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2  Die Inszenierung der Iran-Krise    

"Das Abgleiten in die Impotenz"  

 

32-54

Als Jimmy Carter 1977 Präsident wurde, stand Amerika am Anfang einer der produktivsten Perioden seiner Geschichte. Den Vietnam-Krieg, die Anklage gegen R.Nixon, die Rezession unter G.Ford hatten wir hinter uns gebracht. Die wichtigsten ökonomischen Daten zeugten von beträchtlicher Stärke. Das reale Bruttosozial­produkt stieg um gut 5% an, die Inflation betrug nur 6% und sogar die 7%ige Arbeitslosigkeit aus der Ford-Rezession war im Sinken.

Carter selbst wurde auf einem Parteikongress nominiert, der von offensichtlich utopischen Erwartungen getragen war. Berichterstatter schilderten den Kongress als eine "Orgie des Wir-Gefühls", er sei "weniger ein Kongress, als ein Festival", und sie fragten sich, wie Carter und Mondale es anstellen würden, "diesem Versprechen eines neuen Jahrtausends Substanz zu verleihen".1)  

Nach seiner Wahl zum Präsidenten erschien Carter auf Bildern als Reinkarnation eines Messias, als jemand, der Amerika zu einer tausendjährigen Neugeburt führen würde — einfach durch seine Gegenwart, ohne viel Dazutun unsererseits.      

Carter wurde anfänglich als "starker Messias" dargestellt.

  

Da Leute nur dann solch unrealistische Wünsche an ihren Leader haben, wenn sie sich selber sehr depressiv fühlen,2) wundert es nicht, daß Carters extrem messianisches Bild schon bald zu zerfallen begann.

Im September seines ersten Jahres begann seine Beliebtheit in den Polls zu sinken und die mit ihm verbundenen Bilder in den Medien wechselten von der "starken" Bildlichkeit der Honeymoon-Schonzeit zu denen der "Phase des Zerbröckelns" (cracking phase), in der die Stärke des Präsidentenbildes langsam zerfällt.

Anlaß für die ersten Risse in Carters Image war ein eher unbedeutender Vorfall — Bert Lances Schwierig­keiten mit den Banken. Sie wurden weit über ihre wirkliche Bedeutung aufgeblasen, bis sie zu unserer neuen Phantasielage paßten, nach der Carter beim Versuch, unsere zugrunde liegende Depression zu beheben, sich als impotent herauszustellen hatte. Egal, worum es sich bei Lances Bankärger gehandelt haben mag — mit Jimmy Carters Regierungs­geschäften hatte er nichts zu tun. Aber nachdem die Presse die Bedeutung der Affäre genügend übertrieben hatte, war Carter für die Kolumnisten ein "politischer Stümper, dessen in Scherben gegangenes" Image das Präsidentenamt selbst in "gefährlich geschwächtem Zustand"3) erscheinen ließ.

 

   

"Die Lance-Affaire. 
Was sie Carter kostete."

Lance war der Vorwand für das "Zerbröckeln" von Carter's Bild, 
sinnfällig gemacht durch ein zerbröckelndes Ei.

 

"Carter und Ihr Geld. 
Kann er die Wirtschaftskraft heben?"

Carter erschien während der Phase des 
"Zerbröckelns" als immer kraftloser.

33


Zwar ist es eine Tatsache der amerikanischen Politik, daß alle Präsidenten im Verlauf der ersten beiden Amtsjahre an Popularität einbüßen, doch sank Carters Beliebtheit weit schneller als üblich und die Sprache und Bilder in den Medien waren zunehmend beherrscht von Furcht vor seiner wachsenden Schwäche.

In Wirklichkeit standen unsere Phantasien von Carter's zunehmender Impotenz in krassem Gegensatz zu seiner erfolgreichen Amtsführung als Manager eines wirtschaftlichen Booms während seiner ersten beiden Jahre. Je mehr die ökonomischen Daten sich nach oben bewegten — 1977 gab es einen Rekord, 4 Millionen neue Arbeitsplätze — desto unfähiger erschien Carter in der öffentlichen Meinung.

Derselbe Gegensatz in unserer Einschätzung seiner Außenpolitik: je erfolgreicher er war, sein Versprechen einer friedlichen Außenpolitik einzulösen, — Aushandeln des Panamakanalvertrages / Entspannungspolitik gegenüber Rußland / Verminderung der US-Truppen in Südkorea / Camp David Abkommen im Nahen Osten — desto mehr wurde er beschuldigt, ein "im Ausland wirkungsloser Führer" zu sein. 

<THE NEW REPUBLIC> gab diese Haltung sehr treffend wieder:

Im Zweifelsfall immer auf Carter

Es fällt schwer, eine Zeitung zu finden, einheimisch oder ausländisch, ohne den Refrain aufzuschnappen.... Europäer sehen Carter als schwachen, ahnungslosen Führer... "Unser ineffektivster Nachkriegspräsident"... Momentan braucht man nicht darüber nachzudenken, was zu tun sei. Man sagt einfach "Carter kann nix" und alle nicken.4) 

 

Ein klares Bild: Frieden und Prosperität schienen zu bewirken, daß wir uns schlechter und schlechter fühlten und schwarz sahen für die Belange der Nation. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Arbeitslosigkeit die niedrigste seit 5 Jahren war, die Inflation sich in Grenzen hielt und die Produktion äußerst stark expandierte, fand ein TIME-Überblick zur "Lage der Nation" heraus, eine Mehrheit der Amerikaner glaube, "Amerika stecke in ernsthaften Schwierigkeiten" (THE TROUBLE IS SERIOUS). 

34


Zwischen April 1978 und April 1979 stieg laut TIME die Zahl derer, die glaubten, Amerika "stecke in großen und ernsten Schwierigkeiten" von 41 auf 64 % an;5) soweit ich sehe, ist das die höchste Quote der Verzweiflung in unserer Geschichte. Es schien beinahe so, als wären Frieden und Prosperität die Gründe für unsere Phantasien von ernsthaften Schwierigkeiten und der Impotenz des Präsidenten.

Aufmerksame Reporter kamen nicht umhin, diese seltsame Verkehrung wenigstens zu bemerken, auch wenn sie keine Erklärung dafür vorbringen konnten. N.Y. Times Reporter Bernard Gwertzman fiel ein "Paradox in der Außenpolitik" auf: "Carter klagt, er bekomme weniger Unterstützung, statt mehr, wenn die Beziehungen zur Sowjetunion problemloser werden."6 James Reston fragte sich, warum Amerika so sehr auf den Mangel konzentriert sei, wo doch in Wahrheit "unsere Überschüsse es sind und nicht unsere Defizite, die uns würgen und erdrosseln."7 Im Wall Street Journal suchte Vermont Royster dem Umstand, daß wachsender Wohlstand häufig von der Angst begleitet wird, etwas Furchtbares könne geschehen, auf die Spur zu kommen:

Irgendwann einmal haben wir alle diese Erfahrung gemacht. Alles stimmt zu Hause, die Familie ist gesund, die Kinder machen sich gut in der Schule, der Job läuft auch. Dennoch wachen wir mitten in der Nacht auf mit dem unguten Gefühl, etwas Schlimmes braue sich zusammen. Die Psychologen nennen es "frei flottierende Angst" ...8)

In Wahrheit ist das, was Psychologen "frei flottierende Angst" nennen, bei Leuten mit "zuviel" Erfolg oft ein Gefühl der Schuld, Schuld eben wegen des Erfolges. Und das "Schlimme, das sich zusammenbraut" ist in Wahrheit der Wunsch, etwas Schlimmes möge passieren, um uns für unseren wachsenden Erfolg und unser Vergnügen zu bestrafen.

Es war, als ob mitten in der Prosperität während der Carter-Periode eine auf Rache sinnende Elternfigur in unserem Kollektivkopf erwacht sei, die uns unsere womöglich glücklichen Familien und das berufliche Wohlergehen mißgönnte. Dies geisterhafte Gewissen suchte uns mitten in der Nacht daran zu erinnern, daß wir nicht mehr Glück zu genießen hätten als unsere Eltern während unserer Kindheit genossen haben. 

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Statistische Angaben erzählen genauer, was unser Gewissen richtig spürt: 1978 war unser durchschnitt­liches Realeinkommen doppelt so hoch wie das unserer Eltern9), wir waren gesünder, hatten mehr persönliche Freiheit, mehr sexuelles Vergnügen, tatsächlich mehr von so gut wie allem, wofür es sich zu leben lohnt ... und es führte dazu, daß wir uns furchtbar fühlten.

Wie groß unsere Schuldgefühle im florierenden Amerika wirklich waren, zeigt eine Analyse der Phantasie­wörter, die Carter in seiner dritten, der "Zusammenbruchsphase" (paranoid collapse phase) bei Pressekonferenzen benutzte.

Pressekonferenzen amerikanischer Präsidenten sind in dieser Hinsicht besonders ergiebig, da die Journalisten sich alle Mühe geben, die vorherrschenden Gruppenphantasien und Gefühle der Amerikaner so direkt wie möglich zum Ausdruck zu bringen, während der Präsident bemüht ist, uns zu erzählen, was er zu tun gedenke zur Erleichterung unserer schlechten Gefühle. Das Folgende ist beispielhaft für eine Pressekonferenz aus Carters "Zusammenbruchsphase". (Wie schon zuvor werden nur die emotional starken Wörter und Körperbilder berücksichtigt.)

 

Phantasieanalyse der 
Pressekonferenz des Präsidenten 
vom 8. März 1978

Phantasiewörter:   

Fantasiebotschaft:

Frage: Verfall? Zusammenbruch?   

F: Zerfällt diese Welt? Wird sie zusammenbrechen?

Antwort: Verfall... schnell ansteigend... schnell ansteigend...Verfall ... Sackgasse 

A: Der Verfall nimmt rapide zu.  Wir fühlen uns in einer Sackgasse, handlungsunfähig.

 F: Tod? Mühen? 

F: Werden die Mühen zu unserem Tod führen? 

 A: Zähne... Spannungen  

A: Man fühlt, wie man die Zähne zusammenbeißt, um die Wut zu lindern.

  F: Action? Action?  

 F: Werden sie in Aktion treten, um uns zu helfen?

A: Act... act... unverzüglich...ungeheurer Druck... Krise 

 A: Ich werde sofort handeln. Ich spüre einen ungeheuren Druck, die Krise lindern zu müssen.

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1979 erreichte die Phantasie, daß unsere Prosperität einen "ungeheuren Druck" erzeuge, der zum Zusammenbruch unserer Welt führen könne, den Höhepunkt. Carter's Gallup Poll sank von 67 % auf 39 % innerhalb eines Jahres, die niedrigste Beliebtheitsquote für den betreffenden Monat seit Truman. Die Zeitungen hörten nicht auf zu schreiben: "Carter ist ein schwacher Präsident. In Washington bezweifelt kaum jemand die Schwäche des Präsidenten. Seinen Kabinettsmitgliedern und seinen Beratern ist sie eine Tatsache. Auf dem Kapitolhügel nehmen Freund und Feind sie als gegeben hin. Die Umfragler messen sie; die Presse in ihrer Mehrheit ergötzt sich daran... "10) Newsweek verkündete, Carter befinde sich jetzt, "da sich Amerikas Fall beschleunigt, auf dem Weg nach unten." The Washington Star stellte fest, Amerika "gleite weltweit in die Impotenz."11) 

 

      

Wir gossen unsere "Collapse"-Phantasien ins "Oval Office" (sein Büro im Weißen Haus), und sahen Carter als zu schwach, unsere Welt am Zusammenbruch zu hindern.

 

The N. Y. Times veröffentlichte an einem Tag zwei Artikel, deren einer Carters Rücktritt forderte, da er "der schwächste und unfähigste Präsident seit Martin van Buren" sei, während im zweiten ein Psychiater schrieb, Carter brauche psychiatrische Behandlung.12 Spekulationen über Carters Geisteszustand sprossen wie Pilze. Als Carter eines Tages einfach eine Rede verschob, die er der Presse angekündigt hatte, "führte die nicht weiter begründete Absage zu der weltweiten Spekulation, Carter sei verrückt geworden." Seine für Termine zuständige Sekretärin mußte Journalisten versichern, "Carter sei gesund, Herr der Lage und wisse, was er tue."13 Sogar Mrs. Carter mußte ins Gefecht geschickt werden und in etlichen Reden "mit aller Kraft die geistige Gesundheit ihres Mannes verteidigen".14 Man phantasierte, sowohl Carter als auch die Nation seien auf dem Weg "verrückt zu werden", so gespalten waren wir zwischen unserer friedlichen äußeren Situation und unserem "zusammengebrochenen" inneren Zustand. 

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Kopf in der Mangel.
 Mitte 1979 fühlten wir uns wie auf dem Weg zum wahnsinnig werden (wie in dieser Anzeige).

Cartoonisten zeigten Carter als fallenden, sich auflösenden Androiden.

 

 

Im Sommer 1979 hatten einige Zeitschriften die Schlagzeile "Der Sommer-wahnsinn" auf der Titelseite (The Summer Madness), und James Reston begehrte in einem Artikel, überschrieben The Summer Madness, zu wissen, warum genau in diesem Moment "Washington einen Nervenzusammenbruch habe".15

Daß Jimmy Carter unsere verrückten Projektionen genau spürte, versteht sich von selbst. Schließlich ist es die Hauptfunktion eines Führers, die Gefühle aufzunehmen, die wir in ihn injizieren und etwas mit ihnen anzufangen. Wenn wir das Gefühl hatten, verrückt zu werden und uns aufzulösen, mußte er das gleiche fühlen. Wenn wir das Gefühl hatten, mit uns ginge es zu Ende, mußen wir ihn dazu bringen, sich selbst am Sterben zu fühlen.16

 

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Suggestionen, Carter solle sterben, verbreiteten sich ab Sommer 1979. Er wurde "zwischen die politischen <lebenden Toten>" gezählt, ein Zombie, "politisch schon tot" und ein "politisch abgeschlossener Fall" genannt.17) Immer mehr Karikaturen zeigten ihn als Gehängten, zu Tode geprügelt oder auf Beerdigungen. Eine führende Tageszeitung brachte dies Interview mit einem bekannten Gewerkschaftsführer auf der ersten Seite: "Gibt es irgendeine Möglichkeit in ihren Augen, wie der Präsident sich rehabilitieren könnte?" "Ja, eine würde ich sehen" "Welche ist das?" "Sterben".18)

 

Todesbilder von Carter, verbreitet 1979

 

Wo Leute durchdrehen, weil es ihnen zu gut zu gehen scheint, versuchen sie häufig, ihrer Schuldgefühle und Depressionen dadurch ledig zu werden, daß sie wahnsinnig Geld ausgeben. (Am besten sichtbar an frischen Berühmtheiten, die wild mit Geld um sich werfen). Dieser Abwehrmechanismus lebt von der Hoffnung, man könnte auf magische Weise das Schuldgefühl, soviel Geld zu haben, bannen, indem man das Geld unsinnig und in Massen wieder ausgibt.

Gleiches kann größeren Gruppen von Leuten passieren, wenn sie das Gefühl ergreift, sie hätten zu viel angehäuft. Ein guter Konsument fängt dann an, mehr auszugeben als er sollte und leiht sich den Rest. Unternehmen expandieren mehr als sie sollten, auch sie mit bei der Bank geborgtem Geld. Die Gewerkschaften schrauben die Lohnforderungen hoch und fragen nicht mehr nach der Möglichkeit der Kostendeckung. Verkaufsgesellschaften erhöhen die Preise schneller als sonst üblich, ungeachtet möglicher Auswirkungen auf das Verkaufsvolumen. Banken vergeben unbedacht Kredite für zunehmend risikoreiche Projekte in die USA und auch nach Übersee. Alle scheinen mehr "Fehler" zu machen, als gewöhnlich.

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All diese manischen Aktivitäten münden in eine Art "Inflationspsychologie". Es ist die typische manische group fantasy, die einer Periode der Prosperität folgt, und die der Schuldgefühle des "Zuviel" durch die magische Geste der Verschwendung Herr zu werden sucht. Wie TIME in einem Artikel über die Ursachen der Inflation es sah:

Die Leute tragen eine Teilschuld an ihr, weil sie zu habsüchtig sind. Sie müssen das größere Haus haben, den Zweitwagen, den neuen Kühlschrank. Und sie müssen es jetzt haben; ein oder zwei Jahre zu warten, wäre zu viel ... Für Charles Schultze, Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftsberatung, gehen 60 % des Problems zu Lasten der Inflationspsychologie, die sich immer noch weiter ausbreitet.19)

Entsprechend war das erste Ergebnis der collapse fantasy nach der stetigen Prosperität 1977-78 ein Sprung der Inflationsrate 1979 auf 14%, nachdem so viele sich beteiligt hatten an dem manischen Versuch, das Erworbene wieder loszuwerden.

Daß dieser plötzliche Anstieg der Inflation Carters Politik angelastet wurde, barg eine gewisse verrückte Logik... schließlich war es der wirtschaftliche Boom während seiner Amtszeit, der unsere Schuldgefühle erhöht und uns so krank gemacht hatte, daß wir mehr ausgeben mußten, um sie loszuwerden und uns wieder besser zu fühlen, also seine glückliche Amtsführung. Aber selbstverständlich hat niemand das Ansteigen der Inflation auf diese naheliegende Weise analysiert. Gewöhnlich blieben die Analytiker vage, wenn sie Carter die Schuld an der Inflation aufluden, und zogen es vor, nicht auf eine bestimmte Politik hinweisen zu müssen, die dafür verantwortlich hätte sein sollen.

Die collapse fantasies des Sommers 1979 drückten Carters Beliebtheit unter jede bisher dagewesene Minusmarke irgendeines amerikanischen Präsidenten seit es Polls gibt*. Ganz offensichtlich mußte der Präsident etwas unternehmen und zwar schnell. 

 

* So wie ich es zwei Jahre zuvor vorausgesagt hatte. In meinem Buch "Jimmy Carter and American Fantasy", in Artikelserien, Reden und Radiosendungen im Verlauf von 1977 habe ich die Struktur amerikanischer group fantasies hinsichtlich der amerikanischen Präsidenten untersucht und vorhergesagt, wie Carters Popularität im Sommer 1979 total zusammenbrechen werde. Ich sagte damals auch, Amerika würde ihn dann "impotent" nennen und ihn gegen Ende 1979 auffordern, einen "Feind" zu finden, der Amerika erniedrigen und uns in eine militärische Konfrontation zwingen würde. 20 Zwei Jahre später war die nationale Stimmung genau von der Art, die ich vorausgesagt hatte. Hedrick Smith nannte in einem Leitartikel auf der ersten Seite der N. Y. Times die amerikanische Stimmung "politisch explosiv" und zitierte einen hohen Regierungsbeamten: "Die Amerikaner sind im Wahn — Heißer Sommerwahn (hot-summer mad)" 21) 

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Carter zog sich nach Camp David zurück zur Beratung. Wie Moses stieg er auf den Berg und lauschte auf die Stimme Gottes: das Volk und seine gewählten Vertreter. Einiges davon, was das Volk ihm in Camp David zugeflüstert hat, hat er in seinem Tagebuch festgehalten:

"Mr. President, wir sind in Not. Sprich zu uns über Blut, Schweiß und Tränen."
"
Der Kongress ist zusammengebrochen ..." 
"Die Leute sind einfach noch nicht zu Opfern bereit."  
"Die Zivilisation ist in der Krise (malaise of civilization)."  
"Seien Sie kühn, Mr. President."  
"Wenn Sie führen, Mr. President, werden wir folgen."22

Carter hörte darauf, was die Menschen von ihm wollten. Er sollte kühn sein. Er sollte ihnen Blut, Schweiß und Tränen bieten. Und er sollte ihre Malaise beenden, indem er ihnen ein Opfer präsentierte. Nachdem Carter vom Berg herunter war, aber bevor er eine Chance hatte zur "Ansprache an die Nation" spekulierten einige Kommentatoren, was er als die notwendigen Taten dem Volk vor Augen führen werde, das Land von seiner Gefühlskrise zu heilen. Max Lerner riet ihm, den Schamanen zu spielen:

Carters Politik des heiligen Berges

Der Führer heute muß ein praktizierender Magier sein, ein Stammesschamane, der die unsichtbaren Geister anruft, daß sie ihre heilenden Kräfte ins Werk setzen.23

 

Harriet van Horne mutmaßte, wie die Botschaft an das Land aussehen könnte: "In Kürze wird eine frohe Botschaft der Inspiration an das amerikanische Volk ergehen, die da lautet: <Opfer> ... Was aber ist zu opfern übrig?"24) — Ja, was? Oder vielmehr: wer?

Am 15. Juli sprach Carter zur Nation und teilte ihr mit, was er auf der Bergspitze gehört hatte und was er tun würde, die Leute von ihrer Verzweiflung zu befreien.

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Phantasie-Analyse der 
Presidential Address to the Nation
1. Juli 1979

Phantasiewörter:

Schmerz... Krieg.. Drängen... Blut ... Schweiß ... Tränen ... Liebe ... Hals ... gestreckt ... Messer ... Krieg .... Erosion ... zerstören ... Leere ... Krise ... Warnung ... Schocks ... Tragödie ... Kugel... Morde... Todeskampf ... Schock ... Wunden ... gekrümmt... letzter Atemzug... Opfer ... Opfer ... Weinen ... Schwitzen ... Krieg ... Krieg ... Kampf... Einschnitt... Schneiden ... Krieg ... Kampf... Opfer ... Angriff... Wiedergeburt...

Fantasy Message:

Ich weiß, ihr leidet Schmerzen, als ob Krieg wäre. Ich weiß, ihr empfindet ein furchtbares Drängen. Ich soll euch Blut, Schweiß und Tränen geben, damit wir wieder lieben können. Wir werden jemandem mit unserem Messer an die Kehle gehen müssen. Wir werden womöglich in den Krieg ziehen müssen, mit Waffen, um die Krise zu beenden und die Leere in uns zu zerstören. Ich muß euch jetzt warnen: Es wird Schocks, Tragödien, Kugeln, Morde, Todeskämpfe geben. Es wird Wunden geben, gekrümmte Körper und Menschen, die ihren letzten Atemzug tun. Es wird ein Opfer geben. Es wird Tränen geben, Metzeleien, Krieg und Kampf. Wenn wir jetzt Opfer bringen, werden wir im Angriff sein und Amerika wird eine Wiedergeburt erleben.

 

Die Kolumnisten hatten recht. Der "Stammesschamane, der die unsichtbaren Geister anruft, damit sie ihre heilenden Kräfte ans Werk setzen", würde ein magisches Opfer bringen müssen. Das älteste Prinzip der Menschheit: wenn die Welt voll mit Schuld, Wut und Verzweiflung ist, wenn alles beschmutzt und das Ende der Welt nah scheint — opfere. Denn in diesem Opfer — Mensch oder Tier — wird die Gruppe geläutert sein. Häßliche Gefühle und alles böse Blut zwischen uns werden wieder rein sein.25 Alle Wut wird auf das Opfer ventiliert, die Gruppe wird ihre Wiedergeburt erleben und die Nation wird ihre Ganzheit fühlen und wieder fähig sein zur Liebe.

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Jimmy Carter kannte sich aus mit dem Prinzip der reinigenden Wirkung des Opfers. Mit der Mehrheit der Amerikaner zelebrierte er das Opfer Christi zur Erlösung der Welt jeden Sonntag seines Lebens. Mit einer Mehrheit der Amerikaner26) hatte er die verjüngende Kraft des Opfers Christi in einem persönlichen religiösen Wiedergeburtserlebnis erfahren. In seiner 15.-Juli-Adresse an die Nation erinnerte er uns an die Notwendigkeit des Opfers bei der Wiedergeburt. 

Zuerst beschrieb er die Schwere der emotionalen Krise: "Wir können diese Krise erkennen im wachsenden Zweifel daran, ob unser Leben so einen Sinn hat... da es die gesellschaftliche und politische Struktur Amerikas zu zerstören droht..." Dann teilte er uns die Ursache unseres Problems mit, unseren Wohlstand: "zu viele von uns neigen dazu, nur dem eigenen Wohlergehen und dem Konsum zu huldigen... wir haben erkannt, daß der Besitz und der Konsum von Dingen unser Verlangen nicht befriedigen ... materielle Güter anzuhäufen reicht nicht, die Leere auszufüllen ..." Und schließlich versprach er uns, daß ein Opfer, "ein kleines Opfer eines jeden von uns" die nötige "Wiedergeburt des amerikanischen Geistes" produzieren könne.

 

Wo bloß könnte dieses Opfer stattfinden? Amerika war, trotz allem, ein zivilisiertes Land, was besagt, daß wir uns schuldig fühlen würden, sollten wir zu offen daran gehen, einige unserer eigenen Bürger für unsere emotionalen Bedürfnisse zu opfern. Es würde daher notwendig sein, unsere Opferbühne auf fremdem Boden zu errichten, einen "Feind" zu finden, der die Schuld des Opfers auf sich nehmen würde.27 Gab es nicht irgendein Land, das unserer Suche nach dem Opfervollstrecker in irgendeiner Weise entgegenkam? Welches Land würde uns am genehmsten sein, in die Kategorie "Feind" erhoben zu werden?

Antworten auf diese Frage konnte man z.B. im Gallup Poll vom Februar 1979 finden. Gallup befragt regelmäßig Leute über die "Popularität", die verschiedene ausländische Nationen bei ihnen genießen. Um den niedrigsten Platz streiten sich 1979 zwei:

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Gallup Poll: 

Wie beliebt sind ausländische Nationen in den Augen der Amerikaner?

in % 

1976

1979

% Änderung 

Kanada

91

91

0

China (VR)

20

29

+ 9  

China (Taiwan)

55

59

+ 4  

Kuba

15

26

+ 11  

Ägypten

49

63

+ 14  

Iran

48

27

- 21  

Israel

65

68

+ 3  

Mexico

74

72

- 2 

Rußland

21

34

+ 13  

Cuba (26 %) war natürlich, als früherer "Feind", immer gut und Carter unternahm einen allerdings kurzlebigen Versuch im Herbst 1979, das Interesse an Cuba als Feind erneut zu wecken: Er führte zu der "Entdeckung", daß russische Truppen sich auf der Insel aufhielten. Aber Cuba schien, aus eigenen internen Gründen heraus, wenig interessiert, unseren Vollstrecker abzugeben, so blieb das andere unbeliebte Land; Iran mit 27 % würde uns zu helfen haben, unser Opfer zu zelebrieren.

Der Poll war auch deshalb vielsagend, weil er zeigte, wie sehr der Iran in den Augen der Amerikaner in den letzten drei Jahren gefallen war. Es ist sehr selten, daß ein Land in so kurzer Zeit um 21 % fällt. Und die Umfrage war im Februar 1979 gelaufen, als der Schah noch an der Macht war, so daß es nicht einfach bloß "Revolutionäre" waren, die von den Amerikanern gehaßt wurden. Später im Jahr, als revolutionäre Iraner amerikanische Geiseln nahmen, amerikanische Flaggen zerrissen und in Massenaufzügen "Tod den Amerikanern" sangen, wurde deutlich, daß sie gewillt waren, an unserem Opfer teilzunehmen. Angesichts solch bedrohlicher Handlungen, wäre es ein für Amerika angemesssener Kurs gewesen, wenigstens die Sicherheitskräfte für die Teheraner Botschaft zu verstärken und jegliche Handlung zu vermeiden, die die Revolutionäre provozieren könnte, erneut Geiseln zu nehmen. Aber, trotz wiederholter derartiger Hilfebitten seitens des Botschaftspersonals, weigerte sich Washington, irgendetwas Wirksames zur Erhöhung von deren Sicherheit zu tun. 

44


So offenkundig war die Einladung zur Geiselnahme, daß, nachdem herumziehende Iraner erneut das Botschafts­gebäude gestürmt hatten, ein amerikanischer General frustriert fragte: "Wieviele Amerikaner müssen erst getötet worden sein, bevor wir etwas unternehmen?"28)

Im Juni 1979 hatte Newsweek berichtet, ein Berater im Weißen Haus habe Zbigniew Brzezinski mit den Worten zitiert, "ein <kleiner Krieg> wäre ganz nützlich, die Stärke des Präsidenten zu beweisen (the President's toughness)."29 Sollte der Iran amerikanische Geiseln nehmen, könnte dies zu genau dem "kleinen Krieg" führen, der Carters versagende Potenz wieder herstellen und die Wut der Nation auf einen "Feind" in Übersee lenken würde.30 Zwar sagte dies keiner laut, aber die group fantasy wuchs, daß das amerikanische Botschaftspersonal zum Opfer des Opfers würde auserwählt werden müssen. Das einzige Problem war, den Iran irgendwie zum Handeln zu bringen, und zwar schnell.

Trotz klarer Berichte des CIA, die offen davor warnten, daß, "wenn der Schah in den Vereinigten Staaten aufgenommen würde, die amerikanische Botschaft besetzt würde und Gefahr für das Leben von Amerikanern bestünde"31, begannen einflußreiche Leute in den USA wie Henry Kissinger und David Rockefeller, Carter zuzureden, den aus dem Iran vertriebenen Schah in den USA aufzunehmen. Im August war schon jeder, außer Carter, dafür, den Schah ins Land zu lassen. Amerikanische Beamte in Teheran, die sich allmählich ihrer Rolle als mögliche Opferschafe bewußt wurden, schickten eine dringende Top Secret Botschaft nach Washington, die sagte: "Die Gefahr der Geiselnahme in Teheran besteht weiter. Wir sollten den Schah nicht eher ins Land lassen, ehe wir nicht effektivere Bewachungsmannschaften für die Botschaft erhalten und getestet haben."32 Immer noch wurden keine zusätzlichen Sicherungskräfte bereitgestellt.

Am 18. Oktober war Carter der "letzte, der die Stellung hielt".33 (the "lone holdout"). Als seine Berater ihn drängten, den Schah jetzt ins Land zu lassen, fragte er offen: "Wenn die Iraner in Teheran unsere Leute als Geiseln nehmen, was werden Sie mir dann raten?"34 Es war keine Frage mehr im Oktober, daß das anstehende Geiselopfer die verborgene Triebkraft war. Aber was war mit Carter, der offenbar zögerte, das von ihm selber eingeleitete Opfer wirklich durchzuführen.

45


Man würde ihm wohl eine Lüge erzählen müssen, um ihn zum Mitmachen zu bewegen. Obwohl jeder Arzt, der den Schah bis dahin untersucht hatte, der Meinung war, seine Gelbsucht sei nicht sehr ernst und könne dort, wo er sich befand, in Mexiko, behandelt werden, und obwohl Rockefeller einen amerikanischen Spezialisten geschickt hatte, Dr. Benjamin Kean, um den Schah zu untersuchen und der ebenfalls festgestellt hatte, die Krankheit sei nicht lebensgefährlich und er selber könne ihn behandeln in Mexico, wurde Keans Aussage vom Außenministerium in ihr Gegenteil verkehrt. 

 

   ... die Geiseln vor der Opferung.

Carter wurde vom Außenministerium belogen; es wurde ihm gesagt, Dr. Kean hätte festgestellt, der Schah sei "tödlich" erkrankt und könne "nur in New York behandelt" werden.35 Carter gab schließlich nach, ließ den Schah für seine Gallensteinoperation in die USA einreisen und die Iraner nahmen die Geiseln, wie alle es vorausgesagt hatten. Amerika hatte sich aus seiner dritten, der collapse phase in die vierte, die "Aufruhr"- oder "Durchbruchs"phase (upheaval phase) bewegt.

Der Effekt auf die Stimmung der Nation war entsprechend dramatisch. Die collapse-Bilder verschwanden und Carters Popularität schnellte nach oben, da die Wut, die wir bisher auf ihn gelenkt hatten, von seinem Bild abgespalten und auf das des Ayatollah Khomeini gelenkt wurde. Die N.Y.-Times fragte nach dem Grund für diesen plötzlichen Umschwung der öffentlichen Meinung, und diagnostizierte eine plötzliche "Vergötterung Jimmys" und eine ungewohnte "stumme Verehrung" in seiner Gegenwart.

46


THE NEW YORKER zeigte sich verwirrt, wieso "Präsident Carters Popularitätskurve während der Krise um das Doppelte anstieg. Die plötzlich ausbrechende Vaterlandsliebe scheint den Präsidenten des Landes mit eingeschlossen zu haben."36 Endlich konnten wir unsere furchtbare Wut gegen unseren Leader einstellen. Endlich gab es eine Lösung für unsere Ambivalenz. Wir hatten jetzt einen Feind zum Hassen, in sicherer Entfernung außerhalb unserer Grenzen. Eine Umfrage während der ersten Woche der Iranischen Krise zeigte, wie gut es sich anfühlte, wieder einen Feind zu haben.

 

Carter wurde gezeigt als "all-gut", der Ayatollah als "all-böse", dazwischen die für die Aufrechterhaltung der Spaltung notwendigen Geiseln.

 

Zur Antwort gab es Dinge wie: "Wir fühlen uns vereinigt... man kann uns nicht länger herumstoßen ... es ist wieder etwas Gutes, Amerikaner zu sein... mein persönliches Leben mit seinen Enttäuschungen scheint mir nicht mehr so wichtig... ."37 Nun brauchten wir nur noch das Opfer zu vollenden und unseren "kleinen Krieg" zu bekommen, um unsere Wut vollends auf den "Feind" umleiten zu können.

Um Carter mit der Botschaft zu versehen, daß es notwendig sei, das Opferritual fortzusetzen, gingen zehntausende Amerikaner auf die Straße, um iranische Flaggen zu verbrennen, beleidigten iranische Studenten in den Colleges, warfen Steine in die Schaufenster arabischer Bäckereien, trugen Plakate mit John Wayne herum als Symbol des "zweifäustigen Nationalismus", und schrien "Schickt die Ledernacken" und "A-Bombe auf den Ayatollah" ("Nuke the Ayatollah"). 

47


Carter selbst sagte: "Ich muß dem Zorn des amerikanischen Volkes Ausdruck verleihen. Ich garantiere, wenn ich die Leute in Plains fragte, was ich tun sollte, würde jeder einzelne bis zum letzten sagen: <Bombardiere den Iran>."38

Jetzt, da Carter an der Spitze der Opferer stand, zeigten ihn die Medien stark und kommandobewußt. Der Iran, so schien es, hatte uns vor einem nationalen Desaster bewahrt. "Seit einiger Zeit schon driftete unser Land dahin und stolperte herum ohne Sinn für seine Bestimmung. Der Iran könnte uns wieder auf den rechten Weg bringen. Er hat den Amerikanern Sinn und Zweck wiedergegeben, die Nähe zum alten Teamgeist, daß wir alle zusammen an dieser Sache beteiligt sind", ließ die N.Y. Times einen Interviewten sagen.39

 

   

Nuklearer Niederschlag in Iowa / Übernimmt die Führung / Ein Angriff wird mit allen nötigen Mitteln zurückgeschlagen 

Jetzt sah man Carter als den, der das Opfer in die Hand nahm.

 

Amerikas nationale Einigkeit hing augenscheinlich ab vom Ayatollah. Und wirklich, wenn die Handlungen des Iran uns so gute Gefühle bescherten, dann verdiente der Ayatollah unseren Dank. Ein Kolumnist sprach genau das aus, in einem Artikel der Ende 1979 erschien:

Warum der Ayatollah unseren Dank verdient

Der Ayatollah und der Straßenmob... haben diesem Land einen ungeheuren Dienst erwiesen (a hell of a favor). Und ich meine das nicht wegen der praktisch garantierten Wiederwahl von Jimmy Carter. Der Beitrag des Irans liegt vor allem darin, die USA in eine Renaissance des nationalen Stolzes und der Einigkeit getrieben zu haben, von der wir gefürchtet hatten, sie wären längst dahin.40)

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Carter aber zögerte, militärisch einzugreifen, von seinen Experten informiert, daß selbst ein erfolgreicher Angriff mit Sicherheit das Leben der meisten Geiseln kosten würde und das von "Hunderten" von anderen dazu,41 und daß sogar ein "kleiner Krieg" mit dem Iran ebenso viele Menschenleben fordern könne wie der in Vietnam. 

 

Carter würde als impotent gesehen, wenn er das Opfer nicht ausführte.

 

Die Nation, ihre Presse und ihre gewählten Vertreter wurden ziemlich schnell rasend (grew furious) über Carters Verzögerung im Vollzug des Opfers. Zeitungen versicherten ihm in Schlagzeilen, das Leben der Geiseln wäre unwichtig, da sie sich mit dem Sterben abgefunden hätten: "Ledernacken: Wir haben keine Angst vorm Sterben"42. Kolumnisten fragten: "Warum haben wir dem Iran noch nicht den Krieg erklärt?"43 Säckeweise Leserbriefe flatterten in die Redaktionen mit der wütenden Frage, wieso "Carter nur rede und nichts wirklich tue."44 

Der Vorsitzende der Republikanischen Partei tadelte Carter für sein Zögern mit den Worten: "in den letzten beiden Wochen hat er nur ordentlich mit der Scheide gerasselt, aber ohne etwas im Säbel zu haben (sic!)."45 Wenn Carter nicht handele, sagte TIME, würde er nicht nur als impotent dastehen, sondern als schwache Frau: "Die gefährlichste Entwicklung besteht darin, daß die Welt mehr und mehr glaubt, die USA seien schwach und hätten den Willen verloren, einzugreifen... Man fängt keinen Streit an mit einem Mann, der in der Lage ist, einen zu töten... Wie die eigene Ehefrau ist Amerika immer da und bereit, eine Tracht Prügel zu beziehen (Like your wife... ready to get a beating)."46 

Die wirkliche Gefahr allerdings lag woanders und wurde schnell erkannt: Carters geduldige Diplomatie könnte erfolgreich sein und dazu führen, daß die Geiseln unversehrt freigelassen würden. Damit wäre die Wiedergeburt aus dem Opferritual vorzeitig "abgetrieben" worden. 

49


William F. Buckley Jr. formulierte dies Gefühl so offen wie er sich traute, indem er feststellte, menschliche Opfer würden nur gebracht werden können, wenn die amerikanischen Geiseln blieben, wo sie wären:

Aber was geschieht, wenn der Ayatollah die Geiseln einfach freiläßt... In der Öffentlichkeit wird das Gefühl eines ungenügenden Tauschhandels zurückbleiben. Die Blicke werden sich auf Carter richten, neugierig, welche Form der Strafe er für die im Amt bleibende iranische Regierung wählt, und da liegt der Haken. Wenn die Geiseln erst einmal heimgekehrt sind, ist es sehr unwahrscheinlich, daß die USA noch eine militärische Aktion starten werden von der Art, die Männer, Frauen und Kinder das Leben kostet (.....of the kind that results in death for men, women and children).47

 

Die meisten Kommentatoren waren bemüht, nicht offen zu sagen, daß die Befriedigung der emotionalen Bedürfnisse der Nation die Opferung der Geiseln verlangte. Aber einige waren nahe daran, den geheimen Wunsch hinter der wachsenden Wut über Carters diplomatischen Kurs preiszugeben. THE NEW REPUBLIC z.B. nannte Carters Satz, er "hoffe die Geiseln sicher auszulösen und zwar <ohne Blutvergießen>... einen Fehler."33 

Die Welt erhebe "eine furchtbare Frage, die mehr in Privatgesprächen diskutiert wird als in der Presse und in Funk und Fernsehen. Wie lang kann es sich eine Nation leisten, menschliches Leben, das Leben der eigenen Bevölkerung eingeschlossen, über die nationalen Interessen und den nationalen Ruf zu stellen..."48

Im April dann berichteten die Medien, daß die Amerikaner mehrheitlich nach Krieg verlangten und nannten Carter wegen seines Abwartens einen Feigling: 

"Selten ist mehr vom Krieg geredet worden, daß er gewiß käme, daß er notwendig sei, daß er wünschenswert sei... Kinder aus Harlem fordern Jimmy auf: <Fang an zu schießen> (Harlem kids teil Jimmy: <Start shooting>)... das Gefühl ist weitverbreitet... Carter sei rückgratlos... Carters Politik der <Befriedung> noch grotesker falsch als die Chamberlains... Die Stimmung in Washington hat sich verschoben von wütender Unentschlossenheit, wie die Freiheit der amerikanischen Geiseln in Teheran gesichert werden könne zu der scheinbaren Entschlossenheit, ein Ende der Angelegenheit zu erzwingen."49 

50


Nachdem eine Umfrage der WASHINGTON POST klarstellte, daß die Mehrzahl der Amerikaner für militärisches Eingreifen war, "selbst wenn es" — (das ist unbewußt: eben weil es) — "den Tod der Geiseln bedeuten würde", gab Carter grünes Licht für den "militärischen Rettungsangriff" (rescue raid), von dem seine Militärexperten überzeugt waren, er würde das Leben vieler wenn nicht aller Geiseln fordern.*50

Jetzt bereitete Carter die Nation auf den Schmerz vor, der zugefügt werden müsse. Die Titelseiten­schlag­zeile der New York Times zu Carters Rede vom 14. März hatte schon gelautet: "Carter... sieht Notwendigkeit von Schmerz und Disziplin" — das war zwar auf Finanzfragen bezogen, aber wie alle Schlagzeilenbotschaften während der "Crisis" auch auf den Iran. So verdichtet erschienen derartige fantasy messages während des März, daß ich in mehreren Uni- und Radiovorträgen voraussagte, Carter würde Ende April eine Invasion des Iran starten. (Als ich am 25. April einen Vortrag in der Long Island University halten sollte über "Die drohende Invasion im Iran" wies ich den Veranstalter darauf hin, daß das Ereignis, über das ich sprechen würde, um diesen Tag herum eintreten könne, womit die Zeitangaben auf den Ankündigungsplakaten hinfällig würden.)

 

Anfang April signalisierte Carter den Iranern, daß das Opfer unmittelbar bevorstehe in einer Rede, die die Presse mit der Schlagzeile wiedergab: "Wenn der Iran die Gefangenen nicht freigibt, bleibt den USA nur die militärische Aktion".51 Die iranischen Revolutionäre empfingen die Nachricht und zeigten an, daß sie bereit wären, ihren Part zu übernehmen: "Iran: Wir werden alle Geiseln töten. Die iranischen Revolutionäre gelobten heute, alle 50 amerikanischen Geiseln zu töten, sollten die USA militärisch eingreifen. Diese düstere Warnung kam nur wenige Stunden, nachdem das Weiße Haus offen angedeutet hatte, amerikanische Schiffe könnten den Hafen von Teheran** blockieren oder verminen."52)

 

* Hatte sich Carter letztlich doch entschlossen, etwas für seine Wiederwahl zu tun, die — anders als zu Beginn der "Iran-Krise" — jetzt nicht mehr gesichert schien? (d.Ü.)
**  ....den es für die fantasy wars des Weißen Hauses und der New York Post zu verminen und zu blockieren gilt. Auf dem geographischen Globus hat Teheran diesen Hafen nicht. (d.Ü.)

51


Alles war bereit, "das kochende Teer zu kippen" wie Brzezinski sich in der Sitzung ausdrückte, in der die Entscheidung gefällt wurde, Truppen in den Iran zu schicken.*

 

 

Camp David Friedensvertrag / Iranische Geiselkrise / Fehlschlag der Befreiungsaktion 
Carters Giftindex.
Gallup Poll-Prozentsatz der Amerikaner, die mit Carters Amtsführung unzufrieden waren.

*

Nach der mißglückten Invasion, mit acht toten Amerikanern im Sand des Iran als weiterem Beweis unserer Impotenz, bestätigten die Polls, daß unsere Wut gegen Carter auf die Vor-Geisel-Ebene zurückgekehrt war. Wenige zweifelten daran, daß er wiedergewählt worden wäre, hätte er Invasionstruppen in den Iran geschickt und wäre Amerika während des Wahlkampfs im Krieg gewesen. Wie ein Politiker es sah: "Die meisten Leute wären Präsident Carter dankbar gewesen, hätte er eine Atombombe auf Teheran geworfen. Auf jeden Fall wäre er dann wiedergewählt worden."53

Wenn Carter also das Opfer nicht zu vollstrecken bereit war und nicht fähig, uns von unserer nationalen Wut zu reinigen, dann mußte er eben ersetzt werden durch jemanden, der das konnte. 

 

* Die "abgebrochene" Militäraktion fand statt am Morgen des 25. April, einige Stunden vor meiner Long-Island-Vorlesung. Die Zuhörer waren beträchtlich verwirrt, was Phantasie, was Realität sei, während ich sprach; einige mutmaßten sogar, ich müßte irgendwie beteiligt gewesen sein an der Terminierung der Aktion auf gerade diesen Morgen. Da Carter — es sei ihm gedankt — sich geweigert hatte, die ganze fürchterliche Invasionsmacht, die im Persischen Golf versammelt war, einzusetzen, es ihm also nicht gelungen war, das Opfer wirklich durchzuführen, nahm ich es als sicher an, daß die amerikanische Wut sich gegen ihn zurückwenden und ihm eine verheerende Niederlage in den Novemberwahlen bereiten würde. Ebenso sagte ich in dieser Vorlesung voraus, daß Reagan nun mit unserer unerlösten Wut zu tun bekommen werde, und daß Amerika das Opfer, das mit Carter fehlgeschlagen war, würde ausagieren wollen, indem es in irgendeine militärische Aktion hineingehe, vermutlich Ende 1983.

52


Carter — 
zum Kämpfen zu schwach; 
das Opfer fehlgeschlagen.

 

TIME: 
Wer wird für Amerika kämpfen?
Die Krise der Manneskraft.

 

 

Für Richard Nixon war "einer der Hauptfehler, die Präsident Carter machte, daß er sich an erster Stelle, und wie mir schien, sogar ausschließlich um das Leben und die Sicherheit der Geiseln sorgte."54) 

Ein Leader, der sich weigert, die notwendigen Opfer zu inszenieren — um die Nation von ihrem emotionalen Schmutz zu erleichtern — "drückt uns die Luft ab" — wie es ein Reporter ausdrückte — läßt uns ertrinken in unserer eigenen giftigen Wut.55)

Jemand mußte an Carters Stelle treten, der das Opfer vollstrecken würde — und es beseitigen — unser fantastisches nationales Gift. Ein Herkules würde her müssen, unsere Augiasställe von so viel giftiger Wut zu säubern. Ein Mann, der hart sein könnte, der das Opferbeil wirklich schwingen würde, ohne mit den Wimpern zu zucken. 

 

  

TIME: "Die Vergiftung Amerikas / Diese giftigen Chemieabfälle."
Amerika fühlte sich vergiftet von seiner angestauten Wut.

"Das Superepos: Erdrutsch!! In der Hauptrolle: der Veteran persönlich. Mit Billy Carter als Yassir Arafat, Ham Jordan als Steve Rubell / Andy Young als Leonid Breznhew, Bert Lance als er selber, Ziggy Zb als Ayatollah, Amy C. als E = mc2, Jody Powell als The Prez und ein Haufen FBI Agenten als Gastdarsteller in Arabische Nächte."

Reagan wurde als Cowboyheros gezeigt, der den schwachen Jimmy Carter fröhlich in einer Lawine begräbt. 

 

Es müßte ein altmodischer Amerikaner sein älter als Carter und aufgewachsen in einer Familie, die stärker von Gewalt geprägt war. Ein Mann wie Reagan — fähig, den Wahn zu verkörpern, daß unsere Vergnügungen sündhaft seien, unsere Wut aber wahrhaft. Es würde ein Führer sein müssen voller Zweifel an der eigenen Männlichkeit, der unverzügliche militärische Aktionen vom Zaun brechen würde, sobald wir ihn einen Schwächling nannten. Jemand, der uns versichern könnte, daß er unsere Gefühle kenne — wie er es in der Sub-Sprache (fantasy language) seiner ersten Rede als Präsident tat — jemand, der wüßte, wie er uns die Wiedergeburt durch Opfer bescheren könne, nach der wir verlangten:

.... zerstören .... sich auflösend .... geschwächt .... Unheil  .... Opfer  .... zerstören  ..... Wiedergeburt  .... aufgefressen ...verschwendet ...erneuern .... erneuern  ...Opfer .... fließt wie ein mächtiger Strom  .... verletzen .... verwunden ... den nationalen Magen um gedreht ... zerstören .... einfrieren ... Erschöpfung ... Zerstörung ... Schwäche ... Katastrophen ... Schwäche  .... Krieg ... Krieg ... Krieg  ... zum Leben erwecken. 

53-54

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