6. Versuchskriege
"Was für'n süßer kleiner Krieg"
Der Falklandkrieg 1982
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Wie Ronald Reagan war auch die britische Premierministerin Margaret Thatcher gewählt worden, eine "geistige Wiedergeburt" durch Opfer zu produzieren, im Inneren durch eine Rezession und außenpolitisch durch einen Krieg.
Bis Anfang 1982 hatte sie den ersten Teil ihrer Aufgabe erfolgreich beendet: die Prosperität der 60er und 70er Jahre abzubauen, indem sie die Zahl der Arbeitslosen während ihrer ersten drei Amtsjahre auf fast das Doppelte ansteigen ließ.
Für das fast noch viktorianische Gewissen der meisten Engländer waren die Drohungen des Wohlergehens damit noch nicht dauerhaft beseitigt (trotz der Beteuerungen der Tories, sie würden zu ihrem Wort stehen und "ernst machen".) Angefeuert von steigenden Gewinnen aus dem Nordseeöl und von der wirtschaftlichen Produktivität einer unternehmungslustigen neuen Psychoklasse, waren die Indexziffern der britischen Wirtschaft nach dem Sommer 1981 nach oben geklettert; das Bruttosozialprodukt begann zu steigen und produzierte frische Ängste, die beseitigt werden mußten (purged).
Frau Thatcher wurde persönlich verantwortlich gemacht für das ungute Gefühl, das durch den wirtschaftlichen Aufschwung bei den älteren Psychoklassen entstand. Der Pegel der Tories in den Umfragen sank auf 30 % und Anfang 1982 befand sich Margaret Thatcher mitten in der "Zusammenbruchsphase" ihrer Amtszeit. Man würde bald etwas tun müssen, um die Wut von ihr auf einen geeigneten "Feind" umzulenken; jemanden, der sich überzeugen lassen würde, bei einem Blutopfer mitzumachen, das auf phantastische Weise das "schlechte Blut" fortspülen könnte — die schuldbeladenen Gewissen, die Wut — die England, so wurde es zunehmend empfunden, immer stärker verschmutzten. Mit den Worten eines Beobachters: "Frau Thatcher wird Blut brauchen für ihre Wählerschaft."1)
England, wie auch Amerika, ist ein zu zivilisiertes Land, um offen einen Krieg zu reinen Opferzwecken vom Zaun zu brechen. Entwickelte Länder fangen Kriege an, indem sie versteckte Botschaften an Länder mit schwacher Impulskontrolle geben; indem sie ihnen suggerieren, ein Krieg wäre wünschenswert für sie — und dann lehnen sie sich zurück und waren darauf, daß das Land mit der impulsiven Aktionsstruktur ihnen hilft, ihre (un)bewußten Wünsche auszuagieren. Auf dieselbe Weise geben Eltern ihren Kindern oft verschlüsselte Befehle, die geheimen Wünsche ihrer Eltern auszuführen, um sie danach für ihr "Schlechtsein" zu bestrafen.
Die meisten modernen Nationen versammeln einige impulsive "Kinder" um sich, um sie zu benutzen, wenn sie ein Blutopfer brauchen.* England hat seinen Disput mit Argentinien über die Falkland-Inseln aus eben diesem Grund über Jahrzehnte aufrechterhalten. Denn ein "Pachtvertrag" war schon seit einiger Zeit ausgearbeitet worden, von dem die Unterhändler sagten, er würde "das Problem in zehn Minuten lösen, wenn beide Seiten es wollten".2)
Durch eine Reihe versteckter Botschaften, die andeuteten, daß man die Inseln emotional aufgab — die Aktionen reichten von der Verweigerung der britischen Staatsangehörigkeit für die Bewohner der Falklandinseln bis hin zur plötzlichen Abberufung des britischen Schiffes Endurance (Ausdauer)3) — wurde Argentinien unbewußt dazu aufgefordert, die winzigen Inseln zu besetzen und gleichzeitig zu dem Glauben verleitet, England würde sich der Besetzung militärisch nicht widersetzen.
Das war ein guter Köder für Argentinien. Nicht wegen des wirklichen Werts der Inseln, sondern weil Argentinien ebenfalls in einer nationalen Zusammenbruchsphantasie explosiven Ausmaßes steckte — dazu gehörte eine Rekordarbeitslosigkeit und hohe Inflation — so daß LA PRENSA einen Monat vor der Invasion einräumen mußte: "Was diese Regierung noch retten kann, ist ein Krieg."4)
* Womit die "modernen" Nationen den Stand erreichen, auf dem die altmodischen Eltern sich schon immer befanden; und ob "moderne" Eltern ihre Kinder aus anderen Gründen haben, wird sich erst zeigen müssen. (d.Ü.)
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England war aber nicht das einzige Land, das Argentinien zu dem Gedanken ermutigte, es könne seiner inneren emotionalen Lage durch eine militärische Aktion nach außen Herr werden. Seit Reagans Amtsantritt hatte Amerika Argentiniens Staatschef General Galtieri mehrfach aufgefordert, sich militärisch aggressiver zu zeigen. Wie Reagans Vater war auch Galtieri ein zu impulsiven Ausbrüchen neigender Alkoholiker; Reagan wußte, wie leicht es wäre, ihn zu Gewalthandlungen zu provozieren. Amerika pumpte eine Menge Waffen in Argentiniens kleine Armee und schickte Ausbilder als Gegenleistung dafür, daß Argentinien Truppen nach Honduras schickte für unseren verdeckten Krieg ("covert war") gegen Nicaragua, außerdem für das argentinische Versprechen, einen geheimen Reagan-Plan zur Blockade Kubas zu unterstützen.5)
Obwohl Amerika eine Invasion der Falklands öffentlich nicht befürwortete, unterstützte eine Reihe von Reagans Leuten offen Galtieris Spiel mit der Möglichkeit des militärischen Angriffs. Die amerikanische UN-Botschafterin Jeane Kirkpatrick erklärte erstaunten britischen Diplomaten am Abend vor Galtieris Invasion, "bewaffnete Aggression" sei das ja nicht, da die Inseln Argentinien bereits gehörten.6)
Und Alexander Haig hatte Argentiniens militärische Abenteuerlust derart offen unterstützt, daß Nicanor Costa Mendes, argentinischer Außenminister, ihm ins Gesicht sagen konnte: "Wenn es Krieg gibt, dann allein durch eure Schuld."7) Auch Amerika benutzte Argentinien als sein "impulsives Kind". Als wir dann die Invasion verurteilten, war das ein Schock für "Argentina" und sie fühlte sich verraten.8)
Die Reaktion beider Seiten auf die Invasion war ungehemmt hurrapatriotisch. Die Slogans betonten die Notwendigkeit eines "nationalen Opfergangs". Als die britische Streitmacht zu den Falklands losgeschickt wurde, begleitete sie das Jubelgeschrei des Parlaments: "Taten, nicht Worte" und auf der Plaza de Mayo gab es diesmal Freudentränen. "Wie zwei Schuljungen, denen es in den Fingern kribbelt", schrieb jemand, "sie werden erst zufrieden sein, wenn es Blut gibt."9)
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Amerikas freudige Erregung über den Krieg war kaum weniger manisch als die englische. "Bravo, Britannien", rief es aus einem Journalisten, "Haut sie zusammen! (Bash them!)"10) England hatte uns vorgemacht, wie man sein group fantasy-Dilemma loswerden konnte. Wie wir hatten sie in der "collapse phase" festgesteckt, unfähig, durch die Opferung ihrer Arbeitslosen allein zur Wiedergeburt zu gelangen. Wie bei uns war in ihnen die Wut gewachsen, zusammen mit der Angst, ihr Führer wäre zu schwach, ihnen bei der Kontrolle ihrer Gefühle zu helfen. "Die Welt sieht gespannt auf England", schrieb der Kolumnist Patrick Buchanan, "Und die Welt wird schlechter dran sein, wenn die Engländer den Kampf nicht aufnehmen... Maggie Thatcher muß begreifen, daß England diese Demütigung nicht hinnehmen kann, sonst ist es am Ende."11)
Die Engländer (the Brits) schienen aber besser zu wissen als die Amerikaner, wie man diese Dinge anpackt: du stiftest dein Kind an, dich zu demütigen, dann "haust du's zusammen". Es funktioniert in der Familie und es funktioniert im Krieg.
Einige Amerikaner fantasierten sogar darüber, ob wir uns nicht ins englische Opfer einklinken könnten. Warum sollten nicht auch wir unseren "glorreichen kleinen Krieg" jetzt haben? "Ein paar US-Schiffe, unterwegs in den Südatlantik, würden die Aufmerksamkeit der Junta auf die Tatsache konzentrieren, daß die USA beabsichtigten, den Erfolg ihres NATO-Verbündeten zu garantieren",12) empfahl George F. Will von NEWSWEEK.
Die Phantasie, daß England, Amerika und Argentinien auf einer kleinen Insel zum gemeinsamen Blutvergießen zusammenkämen, mag reichlich seltsam anmuten, aber sie paßt zu der Tatsche, daß beide — England wie Amerika — bis kurz vor der Invasion Argentinien mit hochmodernen Waffen belieferten. Sie pumpten todbringende Waffen wie todbringende Gefühle in denselben Delegierten. Tatsächlich waren in den Köpfen vieler Amerikaner alle drei Länder derart miteinander vermengt, daß es irgendwie plausibel erschien, als ABC-Kommentator Carl Bernstein den Kampf um die Falkland-Inseln mit der "Schlacht von Yorktown"* verglich.13)
Teile von uns segelten mit der britischen Flotte südwärts. Wir hatten schon zu lange dasitzen und die ganzen Krieg-der-Sterne-Filme ansehen müssen. Warum konnten wir nicht auch wie die Engländer...?
* in der Amerika seine Unabhängigkeit gewann.
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"Als die iranischen Militanten in Teheran unsere Botschaft besetzten und unsere Mitbürger als Geiseln nahmen... hätten wir da nicht antworten können, wie die Premierministerin Margaret Thatcher geantwortet hat, mit einer Armada und einer Invasion", schrieb Kolumnist James Kilpatrick,14) dem Präsidenten eine Botschaft übermittelnd.
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Newsweek: Der Krieg läuft. — Britischer Senkrechtstarter Sea Harrier. Vom Krieg in Erregung versetzt zeigte Amerika einen erigierten Phallus und zwei Hoden.
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Aber nicht nur der Kriegsbeginn verlangt die Macho-Schau anschwellender Männlichkeit. Alle Aspekte des Krieges haben sexuelle Inhalte und bekanntlich ist ein großer Teil der Kriegsbegeisterung des Soldaten wie des Bürgers sexueller Art. Die englischen Zeitungen hatten das haargenau drauf, als ihre Flotte südwärts fuhr: "Schiebt's eurer Junta hinten rein (STICK IT UP YOUR JUNTA)"*, "Die Zeit des Redens ist vorbei: Unsere Jungens wollen sie naßmachen" etc.
Am Anfang von Kriegen steht die kollektive Phantasie einer Vergewaltigung, weil wir unsere eigenen unbewußten sexuellen Phantasien in den "Feind" hineinlegen. Genau wie das innere Opfer der Rezession eine zweistufige Phantasie verlangt, in der wir die Arbeitslosen (1) als Container unserer gierigen Wünsche sehen und sie dann (2) für diese Wünsche bestrafen, so verlangt das "äußere" Opfer von uns, sowohl unsere eigenen "Jungs" wie auch die "Feinde" als (1) Container unserer sexuellen Wünsche zu benutzen und sie dann (2) für diese Wünsche bestraft zu sehen.
* Sunday People. Die Schlagzeile ist mehrdeutig; sie bezieht sich auf die Wendung a punch up your ass, wörtlich: einen Tritt deinen Hintern hoch, gleichzeitig aber ein gängiger Brutalausdruck für homosexuellen Verkehr. So heißt a punch up your Junta "Tretet der Junta kräftig hinten rein" aber auch "Fickt sie in den Arsch"; und durch das "your" vor Junta schwingt auch mit (gesprochen an den Zeitungsleser): der Junta eins drauf zu geben, das war mal wieder wie anständig gefickt zu werden (also etwa was früher auf deutsch ein "innerer Reichsparteitag" hieß).(d.Ü.)
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Wir fühlten, nur ein Krieg könne unsere Wiedergeburt vollenden.
Wie alle Opferhandlungen sind auch Kriege Kämpfe gegen unser eigenes Es, in denen wir unsere Wünsche in der Person derer, die getötet werden, zuerst ausagieren und dann bestrafen. Die Jugendlichsten, sexuell Attraktivsten werden als Opfer ausgewählt, so wie in vielen Kulturen der hübscheste Krieger geopfert wird, direkt nach einem rituellen Sexualakt. Die dazugehörige Gruppenphantasie ist, daß mit ihrem Blut, mit ihrer Vitalität auch unsere gefährlichen Freuden, unsere Sexualität, im Boden versickern.
In TIME gab es eine gute Beschreibung dieser Phantasie kurz bevor wir die ersten Truppen nach Vietnam schickten. In einer Sondernummer im Januar 1964 über "Sex in the U.S." sah TIME ein gefährliches "Absterben des Puritanismus" in Amerika, an dem die "Freudsche Psychologie" schuld sei. Und:
Amerika ist eine einzige große Orgon-Kiste... Von unzähligen Leinwänden und Bühnen, von Plakaten und Illustrierten, leuchten uns die überlebensgroßen Bilder des Sex entgegen; von zahllosen Regalen werden Bücher unter die Leute gebracht, die noch vor wenigen Jahren als Pornographie galten und nun die Botschaft verbreiten, der Sex wird dich retten und die Libido macht dich frei.15)
Die Gruppenphantasie-Lösung für diesen gefährlichen Anstieg der Sexualität war, daß wir sie nur unter Kontrolle halten konnten, indem wir sie nach Vietnam verschoben. Diese Phantasie erschien am deutlichsten in den Worten Präsident Johnsons, der Vietnam als Hure sah, mit der er eine Affäre hatte:
Ich verließ die Frau, die ich wirklich liebte — die große Gemein-
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Raketen dort haben wollen, wie die Europäer, die dem zustimmen, gehören beide den älteren Psychoklassen an, einig in der Gruppenphantasie von zuviel Wohlstand, zuviel persönlicher Freiheit und übertriebener Sexualität in den letzten Jahrzehnten. Es sind dieselben Psychoklassen, die jeder Generation seit Jahrhunderten ihren europäischen Krieg beschert haben. Beide leben in der Vorstellung, ein großes Schlachten unter den Völkern werde die Welt vom Bösen und vom Schmutz befreien, so wie der zweite Weltkrieg Europa gereinigt hat für den Neuanfang der Nachkriegszeit.* Gemeinsam ist ihnen auch der Wahn, sie würden den Holocaust überleben.
Um die Gerüste für die drei Stufen des Opfers erfolgreich installieren zu können, war es für Reagans Amerika besonders wichtig, unsere wirklichen Absichten nicht ins Bewußtsein dringen zu lassen, da nur die unbewußt gehaltenen Wünsche sich zum zwanghaften Ausagieren eignen, jenseits der Reichweite der Realitätsprüfung. Ronald Reagan — der sich den Polls zufolge als einer der erfolgreichsten amerikanischen fantasy leaders des Jahrhunderts herausstellte — wußte intuitiv, wie die benötigten Opfer einzurichten wären, ohne daß uns ihr wahrer Inhalt und unsere wirklichen Wünsche bewußt wurden. Zunächst würden wir eine Erneuerung der Prosperität brauchen, die neue Ängste über zuviele vergiftete Vergnügen produzieren würde. Dann müßte eine förmliche Benennung des Feindes von Staats wegen erfolgen und einige erniedrigende Zwischenfälle mit Märtyrern passieren, zum Beweis, wie gefährlich der Feind tatsächlich war. Dann würde zum Opferkrieg nur noch eines fehlen, die Ermächtigung durch das amerikanische Volk (authorization by the American people for the sacrificial war).
Für Ronald Reagan, seit der Kindheit gewohnt, so viele unbewußte Wünsche seiner Eltern auszuführen, würde die Erledigung dieser grausigen Aufgabe, die wir in den nächsten Monaten von ihm verlangten, eine mit Liebe getane Arbeit werden (a labour of love).
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* Genau aus diesem Grund sind besonders die Westdeutschen die psychologischen Sieger des 2. Weltkrieges (wie oft mit Staunen festgestellt wurde); sie hatten das größte Schlachtopferfest mit Erfolg hinter sich gebracht: die Juden weg, die Kommunisten weg, Arbeiterbewegung kaputt, sexueller Umbruch der zwanziger Jahre zunächst gestoppt, mit Kraft durch Freude voll in die Adenauerzeit, 20 Millionen getötete Russen im Rücken (die meisten davon nicht in Schlachten getötet, sondern als Zivilisten umgebracht, aber die Armee war, wie wir alle wissen, sauber geblieben) und ganze Jahrgänge der eigenen Jugend lagen, den Göttern zum Gefallen, auf den Feldern und verfaulten — das Opfer im 1. Weltkrieg war in dieser Hinsicht völlig fehlgeschlagen: es hatte Sexualität, Kommunismus und judische Libertinage erst richtig entfesselt, statt sie zu beseitigen. Erst der 2. Weltkrieg war wirklich befriedigend und eröffnete Zukunftsperspektiven.
Und daher, allein daher, war die psychische Kraft zum »Wiederaufbau« so reichlich vorhanden und konnte sich der Wiederaufbau von all dem Morden so ungerührt geben, weil es seine Voraussetzung war — das Opfer war erfolgreich gewesen. Ein saubereres Staatswesen als die BRD nach 1949 hatte es auf der ganzen Welt noch nicht gegeben. Die berühmten Waschmittel in der Für- und Widerrede um den neuen Staat vertraten etwas Wirkliches, das Totalreinigungsmittel Blut, das Blut der im 2. Weltkrieg Geopferten. Die weißen Tischtücher, mit denen die Tische gedeckt und die Geschichte zugedeckt wurde, sind aus diesem Blut gewonnen und deshalb mußten die paar übrig gebliebenen K Pier der fünfziger Jahre wieder in den Gefängnissen verschwinden oder in der Versenkung oder, unkenntlich gemacht, in der SPD-Spitze, weil sie der Blutfleck waren auf den gedeckten Tafeln, an denen die Leichen der Geopferten verspeist wurden im Ritual der »Freßwelle«. Statistisch wäre zu beweisen: die Zahl der in Jahns Wienerwaldkette in den fünfziger und sechziger Jahren verspeisten gebratenen Hähnchen durfte sich etwa mit der Zahl der im 2. Weltkrieg getöteten Menschen decken. Eine »Unfähigkeit« der Deutschen in ihrem Verhalten nach dem Krieg ausfindig zu machen (die U. zu »trauern«), ist wohl weniger angebracht als ihre Fähigkeiten hervorzuheben, ihre sagenhafte Fähigkeit, die Feste zu feiern wie sie fallen: es war die in diesem Umfang ja erstmalige ausgiebige Befriedigung ihrer Mord und Opferlust (alles unter dem Deckmantel der Notwendigkeiten des Krieges), die es möglich machte, den Aufbau der Fünfziger derart fröhlich anzupacken und unbeirrt ins befreite Gebiet des hemmungslosen Spießerglücks zu steuern, und demselben Umstand verdanken wir unseren relativen sozialen »Frieden« seit 1949. Und demselben Umstand verdanken z.B. die Sinti, daß man sie nicht in Ruhe läßt, daß man sie registriert und schikaniert, sie sind Übriggebliebene der KZs, Gespenster, aus den Listen der zu Opfernden entsprungen. Der Blutfleck hört nicht auf, irgendwo durchzuscheinen. Aber auch die wohltuende Wirkung des Opfers hält noch an. Im sicheren Ruf, die schlimmsten Mörder der Geschichte zu sein und einem der saubersten Staatswesen anzugehören, verhalten sich die Deutschen immer noch relativ beruhigt, »alles unter Kontrolle«, bzw. »alles roger«, wie es die Schüler in der Schule heute sagen. Triumph der älteren Psychokiassen. (d.Ü.)
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