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Der falsche Traum vom Weltwochenende

Nachwort

 

 

333-335

Warum haben wir dieses Buch jetzt erst geschrieben und nicht vor zehn Jahren? Zunächst einmal werden die meisten Menschen mit der Zeit klüger. Und dies liegt daran, daß ihnen die Zeit Gelegenheit gibt, die Richtigkeit ihrer Annahmen zu überprüfen. 

Und bei dieser Überprüfung kam heraus, daß sich viele ökologische Glaubenssätze und Untergangs-Szenarien der letzten Dekaden schlicht als falsch oder übertrieben erwiesen haben. Wir haben Dinge miteinander verbunden, die wir seit einiger Zeit wußten oder ahnten. Plötzlich ergab sich daraus ein neues Bild. Wir glauben, daß der richtige Zeitpunkt für dieses Buch gekommen ist.

Und wir glauben, daß sich einige Dinge ändern sollten. So müssen Journalisten wieder das Fragen lernen. Statt ökologische Standardfloskeln aufzubrühen, empfiehlt sich die Überprüfung: "Stimmt das überhaupt?" Katastrophenmache, Oberflächlichkeit, Langeweile und Frust in der Umwelt­bericht­erstattung resultieren ja auch aus dem Gefühl: Es ist alles gesagt und wir wissen bereits alles. Dem möchten wir entgegenhalten: Es ist keineswegs alles gesagt und wir wissen ungeheuer wenig. 

"Reculer pour mieux sauter" (zurücktreten um besser springen zu können) heißt eine französische Redewendung. Nehmen wir sie uns zum Vorbild für unsere Arbeit: Treten wir ein wenig aus der Kampflinie zurück und entwickeln eine neue Kultur der Nachdenklichkeit. Werden wir ein bißchen bescheidener, neugieriger, fairer. Die Arbeit macht daraufhin auch wieder mehr Spaß, denn das Thema wird spannender.

Die interessantesten Geschichten und Zukunftsperspektiven verbergen sich nicht hinter dem, was wir wissen, sondern hinter dem, was wir nicht wissen. Wir wissen, daß alles Leben auf der Erde erst durch die Photosynthese ermöglicht wird: Wir wissen aber (noch) nicht, wie wir uns diesen Prozeß als unerschöpfliche Energiequelle nutzbar machen könnten. Wir wissen, daß unsere Zellen sich in unserem Organismus zu einem höheren System zusammenfinden. Wir wissen aber nicht, ob wir nicht selbst auch Teil eines höher organisierten Niveaus sind. Wir wissen, daß es ein menschliches Bewußtsein gibt, wir haben aber keinen blassen Schimmer davon, wie unser Gehirn dies zu Wege bringt. 

Wohin wird die Evolution unseres Bewußtseins uns rühren? Konrad Lorenz sagte einmal: "Der Übergang vom Affen zum Menschen – das sind wir." Überraschungen lauern allenthalben.

Isaac Newton schrieb: "Ich komme mir vor, wie ein kleiner Junge, der am Strand spielt und sich damit vergnügt, dann und wann einen ungewöhnlich glatten Kieselstein oder eine hübsche Muschel zu finden, während der große Ozean der Wahrheit gänzlich unentdeckt vor mir liegt."

Auch der Umweltbewegung könnte ein wenig mehr Neugier nicht schaden. Anstatt alle intellektuelle Energie auf die Absicherung des einmal gefaßten Weltbildes zu konzentrieren, sollten die Schleusen geöffnet werden für den Zustrom neuen Wissens. Dazu gehört Souveränität und Selbstbewußtsein.

Umweltschützer müssen lernen, sich auch einmal ohne wenn und aber zu freuen. Aus dem schnellen Brüter in Kalkar macht der Holländer Henry van der Most einen Vergnügungspark. In den Kühlturm kommt ein Schwimmbad (!). Die Idee vom "Kernwasser-Wunderland Kalkar" wäre vor zehn Jahren allenfalls im rheinischen Karneval durchgegangen. Inzwischen freut sich das Volk tatsächlich auf die große Wasserrutsche. 

Aber diejenigen, die den Erfolg errungen haben, üben sich im Relativieren, indem sie auf die vielen anderen ungelösten Probleme hinweisen.

Die Amerikaner sprechen gerne vom "Moment of Glory". Wann darf ein Maler feiern? Wenn er sein Gemälde fertiggestellt hat? Wenn er es verkauft hat? Wenn es im Museum of Modern Art ausgestellt wird? Oder wenn er 200 Jahre tot ist und die Nachwelt ihn zum bedeutenden Vertreter seiner Epoche kürt? 

Auch die Umweltbewegung scheint die Stunde des Erfolgs auf den Sankt Nimmerleinstag datieren zu wollen. Sie bringt sich masochistisch um das Erfolgs­erlebnis. 

Umweltschützer müssen lernen, den Weg als das Ziel zu begreifen. Das Etappenziel, der Zeitpunkt der Belohnung, muß an erreichbaren Zielen orientiert werden. Nur wer den "Moment of Glory" bewußt selbst setzt, entgeht dem großen Frust.

Den Tag an dem alles getan sein wird kann es nicht geben.

"Der Traum vom Weltwochenende", wie es der Philosoph Peter Sloterdijk formuliert, wird unerfüllt bleiben. 

Die Menschheit wird sich durchwursteln, immer und immer wieder. 

Romane und Theaterstücke haben Anfang und Ende, die Geschichte kennt keinen Schlußpunkt. 

"Ich glaube, daß die Vision vom Ende ausgedient hat", sagt er belgische Chemie-Nobelpreisträger und Wissenschaftsphilosoph Ilya Prigogine, "Wir müssen uns von dieser naiven Sicht befreien. Wenn überhaupt, dann befinden wir uns eher am Anfang als am Ende der Geschichte." 

Alle Zeiten sind Übergangszeiten, auch die unsere.

334-335

 

Ende

 

 

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