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5.  Der Kampf gegen die kosmischen Gewalten

 Metternich-1947

 

  Die Zuflucht zur Kunstlandwirtschaft 

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Die Arbeitsfunktionen der höher entwickelten Landwirtschaft in aller Welt setzen sich heute aus einer ganzen Reihe von Kunstfertigkeiten auf den verschied­ensten Gebieten zusammen. Die erste Stufe der Kunstlandwirtschaft erstieg der Mensch mit der bewußten Nutzbarmachung des Wassers, indem er es zur Förderung seiner Nutzkulturen über das von der Natur selbst gebotene Maß hinaus einsetzte. 

Das geschah instinktiv auf der Grundlage einer vagen Erfahrung. Der Mensch erkannte, daß dort, wo der Boden hinreichende Feuchtigkeit aufwies, die Pflanze sich schneller und günstiger entwickelte, während sie dort, wo diese Vorbedingung fehlte, kümmerte und nur ungenügenden Ertrag erbrachte. Über die Grundtatsachen der Funktion des Wassers als Wachstumsfaktor war und blieb man sich im unklaren bis an die Schwelle der allerjüngsten Zeit. Wir dürfen darum die Generationen vor uns nicht mitleidig über die Achsel ansehen; wir nutzen ja heute auch die Riesenenergien unserer elektrischen Maschinen, ohne das Wesen dieser Energien zu kennen.

Was der Mensch an der Schwelle eines mit Überlegung betriebenen Ackerbaus begann, das hat er durch alle Phasen seiner weiteren geschichtlichen Entwicklung mit Eifer gepflegt. Bewässerungsanlagen mehr oder minder großen Stils erscheinen auf allen Entwicklungsstufen der Urproduktion, und auf der höchsten Stufe der rationellen Landwirtschaft steht der Produktionsfaktor Wasser, in gigantischen Systemen der Wasserbautechnik bewirtschaftet, wiederum an der ersten Stelle. Alle großartige Planung in der Welt, die die Erhaltung und Steigerung der Ernteerträge zum Ziele hat, stellt den Produktions- und Wachstums­faktor Wasser in den Mittelpunkt.

Das Wasser ist das Mittel zur Erhaltung der Böden und der schwer gefährdeten Bodenfruchtbarkeit in der Welt, ferner das Mittel zur Rückgewinnung von Kulturflächen, die sich unter der Betätigung der Menschenhand eine so weitgehende Störung des Wasserhaushalts haben gefallen lassen müssen, daß sie zur Nutzung unbrauchbar wurden und den Weg in die völlige Verwüstung angetreten haben oder diesen Weg bereits bis zu ihrem trostlosen Ziele gegangen sind.

   Das Vorbild des "seltsamsten Flusses der Erde"  

Man weiß nicht genau, wann die Geburtsstunde der künstlichen Bewässerung der menschlichen Kulturen schlug. Doch über das Wie und Woher lassen sich ziemlich sichere Vermutungen anstellen. Die Annahme dürfte nicht abwegig sein, daß auch in dieser Hinsicht die Natur selbst die große Lehrmeisterin war und daß dort die erste künstliche Bewässerung der nahrungspendenden Flächen stattfand, wo die Natur mit einprägsamem Beispiel voranging.

Das große Beispiel einer natürlich funktionierenden Wasserwirtschaft zum Nutzen der ackerbaulichen Kultur bildet der Nil und sein Tal von Khartum bis zum Mittelmeer, jene fruchtbare Insel im heutigen Sandmeer Nordafrikas, die von Beginn der Menschheitsgeschichte eine Wiege und Pflegestätte der Kultur gewesen ist. Seit Tausenden, seit Zehntausenden, ja wahrscheinlich sogar seit noch viel mehr Jahren wiederholt der Nil das sich gleichbleibende Spiel des Steigens und Fallens, das mit der Pünktlichkeit der kosmischen Ereignisse in der Welt der Sterne alljährlich eintritt und in seinen Einzelphasen abläuft. Dieser gewissenhafte Fluß gestattet sich nur ganz unbedeutende Abweichungen von seiner gewohnten Norm.

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Zu Beginn des Monats Juni beginnt der Nil in Ober- und Unterägypten zu steigen, erreicht im September das Maximum seiner Wasserführung, fällt dann zunächst rapid und in der weiteren Folge langsamer bis zum nächsten Juni, in dem dann ein neuer Zyklus der Schwelle und ihres Ablaufs beginnt. Der Unterschied zwischen dem niedrigsten Wasserstand im Sommer und dem Höchststand während der Flutzeit beträgt in Assuan im Durchschnitt 30 englische Fuß. Auch in Hinsicht auf die Höhe seiner verschiedenen Wasserstände gönnt sich dieser "seltsamste Fluß der Erde" nur verhältnismäßig geringe Abweichungen von der gewohnten Norm. 

Kommt es doch einmal zu stärkeren Abweichungen von der Regel, so bedeutet das für das Land der alten Pharaonen Not und Tod durch Wasser­fluten oder durch Hunger infolge der Dürre. Die Geschichte verzeichnet solche anormalen Jahre auf ihren dunklen Blättern sehr gewissenhaft, wie das Hungerjahr 1737, das Notjahr 1877, die Dürrejahre von 1907 und 1913, in denen die Nilflut zwischen fünf und acht Fuß unter dem gewohnten Durchschnitt blieb. Im Jahre 1877 blieben allein in Oberägypten 947.000 Acres (ein Acre hat 40,5 Ar und entspricht ungefähr der Fläche eines halben Hektars) unbestellt liegen. 

Im Trockenjahr 1907 war das Staubecken von Assuan bereits in Betrieb. Die Flut von 1907 war nahezu genau so niedrig wie jene des Schreckens­jahres 1877, aber dank der Wirksamkeit des künstlichen Bewässerungssystems stellte sich die nicht bebaute Fläche Oberägyptens auf wenig mehr als nur ein Zehntel der 1877 unbestellt gebliebenen Fläche.

Als Tut-ench-Amon in Theben sein königliches Szepter schwang, knarrten am Nil schon die von Menschenhand und tierischer Kraft bewegten Schöpfräder, ächzte der Wassersack der Sahia zwischen Flußspiegel und Bewässerungsgraben, wie es auch noch geschah, als Ismail Pascha, Khedive von Ägypten, den ersten Spatenstich zum Suezkanal tat.

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Für die Menschen am heiligen Nil mag das Bekanntwerden mit der die Arbeit der Wassergewinnung erleichternden Archimedischen Schraube eine noch viel größere Bedeutung gehabt haben wie für den modernen Menschen die Ablösung der tierischen Zugkraft auf dem Acker durch den Motor. Auch die Idee der Wasservorratswirtschaft ist im Nillande sehr alt. Herodot erwähnt in seiner Weltgeschichte, daß der Maorissee in der Provinz Fayum in der Zeit der Nilflut mit Wasser gefüllt wurde, das in der Zeit des sommerlichen Niedrigwassers dem Strom zur Bereicherung seiner Wasserführung zurückgegeben wurde. 

 

Von Ägypten her hat sich wahrscheinlich die Idee der künstlichen Bewässerung über die nahen und fernen Länder des alten Orients verbreitet. Nicht die berühmten "hängenden Gärten" der sagenhaften Königin Semiramis von Babylon, die die Alten zu den Weltwundern rechneten und die der deutsche Forscher Koldewey als Dachgärten auf königlichen Palästen und als künstlich bewässerte Terrassen an Bergabhängen identifizierte, ließen die Menschen der alten Welt so in Ehrfurcht erschauern und dann zur Nachahmung willfährig werden, wie jenes grandiose Schauspiel der Natur, das der Nil mit der Pünktlichkeit einer Sonnenuhr im Wechsel der Jahreszeiten bot.

Vielleicht ist sogar China, das alte Kulturland Ostasiens und der uralte Boden wasserbautechnischer Kunst, von Ägypten her beeinflußt worden. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, daß China ebensogut eigene Ideen bei seiner künstlichen Bewässerung verwirklichte. Unstreitig ist dies der Fall in den Kulturgebieten der alten amerikanischen Eingeborenenvölker, der Azteken und Mayas, die, wie die verfallenen und von neuem Urwald überwucherten Trümmer großartiger Bewässerungs- und Terrassenanlagen zeigen, hervorragende Wasserbauer waren.

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Eine Frage scheint noch wichtig zu sein: wann wurde das Naturwunder des Nils beispielhaft für die ackerbauliche Praxis der afrikanischen, asiatischen und europäischen Welt? Logische Überlegung gibt zur Antwort, daß dies wohl in jenem Zeitpunkte der Fall war, wo der natürliche Niederschlag in den trockenen und halbtrockenen Strichen so weit gesunken war, daß der Ertrag der ackerbaulichen Tätigkeit den üblichen Einsatz nicht mehr lohnte. 

Aber andererseits waren in erreichbarer Nähe immer noch Wasservorräte vorhanden, die genügten, um einen Ausgleich zu den verminderten Niederschlägen zu bieten. In den ackerbaulich genutzten Ebenen waren die Wälder und Prärien der alten orientalischen Reiche vernichtet, auf den Bergen aber waren die grünen Wasser­reservoire und Regler der Niederschläge, die Wälder, immer noch vorhanden; Auf diesen Bergen rannen deshalb auch noch die Quellen, und die Bäche und Flüsse führten noch das ganze Jahr über Wasser. Es war die Zeit, von der Friedrich Ratzel in seinem Werk "Die Erde und das Leben" sagt:

"Solche Länder sind in vorgeschichtlicher Zeit grün, vielleicht sogar waldreich gewesen. Wahrscheinlich war die ganze nordafrikanisch-westasiatische Wüstenzone so, als Europa ein subpolares Klima hatte. Insofern haben die Beduinen der syrischen Wüste recht, wenn ihnen aus grauer Vergangenheit die ganze Wüste in grünem Gewande leuchtet. Wenn sie aber für den örtlichen Verfall der Kultur einen allgemeinen Rückgang des Klimas verantwortlich machen, irren sie sich. Weil Salomos <Weingärten von Egedi> verschwunden sind, weil von Jerichos Palmen nur noch zwei stehen, weil die Gärten aus der Kreuzfahrerzeit im Jordantale vertrocknet sind, glauben sie, es sei einst alles bebaut gewesen. Aber nur die letzten Ausläufer einer fernen besseren Zeit der Wüste haben vielleicht noch in die geschichtliche Zeit hineingeragt."

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Diese Auffassung erklärt vieles. Wo die seltsame Pracht der "hängenden Gärten der Semiramis" ihre Bewunderer berauschte, ist heute in weitester Runde kein Tropfen Wasser mehr zu finden. Als die Mauren Spaniens Landschaften mit dem wunderbaren Netz ihrer Bewässerungskanäle überspannten, die sich heute verfallen durch wasserlose Öden ziehen, spendete die Waldquelle noch Wasser für die Anlagen und Segen für das Land. Als die indianischen Kulturvölker der Neuen Weit ihre heute verkümmerten und von neuem Urwald überwucherten Bewässerungssysteme schufen, waren die fruchtbaren Strecken schon regenarm, aber die Bergquelle im Dunkel der Wälder spendete noch ihren Segen, bis auch sie versiegen mußte, nachdem der Wald gefallen war und nun sogar die Kunst einer primitiven Landwirtschaft gegenüber einem trotzigen Nein der Natur versagen mußte. 

 

  Ernten, von Regen und Tau unabhängig 

 Geniale Männer, die die heilige Verpflichtung der Menschheit ihrem nahrungspendenden Boden gegenüber rechtzeitig erkannten, haben das Problem der großräumigen künstlichen Bewässerung von fruchtbaren Kulturflächen, die ungenügend beregnet sind, in wichtigen Teilen der Welt seiner Lösung entgegen­geführt. Wenn von den Großleistungen der Wasserwirtschaft zu landeskulturellen Zwecken die Rede ist, denkt der Europäer zunächst an Ägypten.

Seit den ältesten Zeiten hängt Ägyptens Ackerbau vom Steigen und Fallen des Nils ab. Als noch keine Stauanlagen den Fluß in Fesseln gelegt hatten, überschwemmten die Nilwasser in der Flutzeit die Felder, und soweit die aus den Ufern getretene Flut reichte, erstreckte sich das anbauwürdige Land, Nicht in der Durchfeuchtung der überschwemmten Flächen allein lag der Segen der Nilflut, sondern auch in der Tatsache, daß das Wasser aus den Quellgebieten des Weißen und des Blauen Nils fruchtbare Sinkstoffe mitführt, die sich während der Überschwemmung auf den Kulturflächen niederschlugen und diese auf natürliche Weise düngten. 

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Die Geologen haben festgestellt, daß die Nilsinkstoffe die bewässerten Flächen alljährlich um einen Millimeter an Humus bereichern. Das bedeutet an sich und für kurze Zeiträume betrachtet keine wesentliche Veränderung der Humusschicht, aber man weiß, daß der Nil seine Wasserspiele betreibt, solange die Menschheit ihre Geschichte schreibt. In den 6000 Jahren der ägyptischen Geschichte hat der Nil seinem Lande demnach ein Geschenk von sechs Metern Humusboden gemacht.

Ehe der Mensch begann, die Natur zu "korrigieren", erzeugte Ägypten auf dem von der Nilüberschwemmung erfaßten Lande nur eine Jahresernte, und zwar über den Winter und das zeitige Frühjahr. In den trockenen Sommermonaten verdorrte alles auf den Feldern, die wie Ziegelsteine unter der Glut der unbarmherzigen Sonne zusammenbuken. Aber dort, wo das Wasser der künstlichen Bewässerungsanlagen hinreicht und eine willkürliche Bewässerung unabhängig von dem Steigen und Fallen des Flusses vorgenommen werden kann, ist es möglich, die Kulturen auch den Sommer und Herbst über zu unterhalten. Es zeigt sich dort eine nahezu unbegrenzte Fruchtbarkeit. Man bringt es hier mühelos auf vier volle Ernten im Jahre. Das Samenkorn, das man heute dem Schoße der Erde anvertraut, bringt schon nach drei Tagen eine Pflanze hervor, und ähnlich ist das Tempo der weiteren Entwicklung der Saat bis zur Ernte.

 

Der erste, der der Verwirklichung von Plänen zur Erzielung höchster ackerbaulicher Wirtschaftlichkeit nähertrat, war der erste Khedive von Ägypten, Muhammed Ali. Er führte im Jahre 1821 die Baumwollkultur im Nildelta ein. Auch in Baumwolle gab es, wenn man sich den Launen des Flusses anpaßte, nur eine Ernte im Jahr, dort aber, wo der Mensch mit seinen Pumpwerken eine künstliche Bewässerung betrieb, erzielte man eine dreimalige Ernte. Auf Grund dieser Tatsachen kam Muhammed Ali auf den Gedanken, durch ein Wehr den Pegel des Flusses zu heben, um die Baumwollflächen im Delta zu bewässern.

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Die Verwirklichung des Planes aber stieß, entsprechend dem damaligen Stand der Technik, auf starke Hindernisse. Die "Barrage du Nil" bei Kaljub am Trennungspunkt der Nilarme, 23 Kilometer nördlich von Kairo, wurde im Jahre 1833 begonnen, doch erst nach vollen 50 Jahren, im Jahre 1884, fertiggestellt. Mit dieser Anlage war jedenfalls ein vielversprechender Anfang gemacht, der den modernen Ingenieuren den Kern eines neuen gewaltigen Problems zeigte.

Das heutige grandiose System der Wasserwirtschaft Ägyptens wurde mit Beginn unseres Jahrhunderts wirksam. In seinem Mittelpunkt steht das Staubecken von Assuan, das im Jahre 1902 in Betrieb genommen wurde. Es beruht auf dem Prinzip der Wasservorratswirtschaft. Die Sperrmauer von Assuan ist 1,8 Kilometer lang. Sie hat 180 Durchlässe mit Stahltüren, durch die bei Hochflut in der Sekunde 15.000 Kubikmeter Wasser hindurchfließen können. Die ersten Fluten des Nils bringen die Hauptfracht der Sinkstoffe mit sich. Bei ihrem Ansturm werden die Stahltore geöffnet, um einer Verschlammung des Beckens vorzubeugen. Man schließt die Tore, wenn die stärkste Schlammflut abgeflossen ist, um verhältnismäßig klares Wasser zu speichern.

Der Rückstau des Nils an der Mauer von Assuan erstreckt sich auf 225 Kilometer. Das Fassungsvermögen der Sperre beträgt 4,585 Milliarden Kubikmeter. Von der gestauten Wassermasse erhält man einen Begriff, wenn man damit vergleicht, daß der größte Sperrsee Deutschlands, die Saaletalsperre im Kreise Schleiz, rund 215 Millionen Kubikmeter faßt. Assuan versorgt ein Gebiet von 16.000 Quadratkilometer mit Wasser. Errichtet wurde der Bau nach Plänen des britischen Ingenieurs Sir Benjamin Baker, unter beratender Mitwirkung des Franzosen Boule und des Italieners Torricilli. Die Kosten der Mauer stellten sich auf 3 Millionen Pfund Sterling, die Kosten der später erfolgten Erhöhung und Verstärkung betrugen 1,5 Millionen Pfund. In seiner heutigen Gestalt besteht das Werk seit 1912.

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Unterhalb Assuans liegen die kleineren Staubecken von Esneh, Nag Hamadi und Assiut, die Ergänzungen zu Assuan bilden. Dazu kommen noch die Wehre von Sifta und Kaljub.

 

Neben den Stauwerken auf ägyptischem Boden sind im nördlichen Sudan in den letzten Jahrzehnten gewaltige Stauwerke errichtet worden. In dem Bestreben, unabhängiger von der nordamerikanischen Baumwolle zu werden, drängte die englische Wirtschaft auf immer weitere Ausdehnung der Baumwollkultur in geeigneten Teilen Afrikas. Ein Idealgebiet für den Baumwollanbau fand man in dem Dreieck zwischen Weißem und Blauem Nil vor ihrer Vereinigung bei Khartum, in der sudanischen Provinz Gezirah. Die Gezirah-Baumwolle gilt als noch feiner und besser als die schon weltberühmte ägyptische Baumwolle. In der Gezirah fehlte es nur an den nötigen Wassermengen. Sie werden beschafft durch die beiden riesenhaften Stauwerke von Sennar-Makwar und Dschebel el Aulia. 

Der Damm von Dschebel el Aulia sperrt den Weißen Nil kurz vor der Vereinigung mit dem Blauen Nil südlich von Khartum. Die Sperre faßt rund zwei Milliarden Kubikmeter Wasser. Das Stauwerk von Sennar-Makwar staut die Wasser des Blauen Nils; es faßt eine Milliarde Kubikmeter. Vorläufig werden in der Gezirah 126.000 Hektar fruchtbarsten Landes künstlich bewässert, nach weiterem Ausbau der Bewässerungsgräben werden 1.260.000 Hektar künstlich bewässert werden. Es bestehen heute schon 100 Kilometer Hauptkanäle und 9000 Kilometer Nebenkanäle. Schon jetzt ist die Gezirah eines der bekanntesten Liefergebiete der Welt für Baumwolle.

Außer der Ebene von Gezirah hat der Sudan noch weitere Gebiete, in denen die künstliche Bewässerung zu wesentlichen Verbesserungen der Boden­erzeugung führte. Es sind die Ebenen von Tokar und Kasalla. In Tokar besorgt der aus den abessinisehen Bergen kommende Barakat mit seiner in der Regenzeit von fruchtbaren Sinkstoffen schokoladenbraun gefärbten Flut die Bewässerung von ungefähr 55.000 Acres, in Kasalla besorgt es der Fluß Gasch, der aus den Vorbergen Abessiniens kommt und dessen Wasser zur Bewässerung von 50.000 Acres hinreisen.

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Mit den bis heute fertiggestellten Stauwerken sind die gigantischen Pläne für die künstliche Bewässerung der oberen Nilgebiete noch nicht erschöpft. Die Absicht geht dahin, insgesamt 15 Milliarden Kubikmeter zu stauen. Vorgesehen ist noch ein großes Stauwerk am Albert-See, durch das der Wasserlauf des oberen Weißen Nils reguliert werden soll. Hier geht es vor allen Dingen darum, die Zersplitterung des Flusses und seiner Wasser in riesenhaften Sumpfgebieten zu verhüten, weil in diesen Gebieten ungeheure Mengen des Wassers unter der Glut der Tropen verdunsten. Der Weiße Nil, der beim Austritt aus dem Albert-See Bahr el Dschebel heißt, verliert durch Verdunstung auf seinem Wege bis Khartum nicht weniger als 80 v.H. seiner ursprünglichen Wassermenge. Ein weiteres Stauwerk soll am Viktoria-See entstehen mit einem Fassungsvermögen von 2,5 Milliarden Kubikmeter. Auch soll ein Nebenfluß des Bahr el Dschebel, der Bahr el Ghasal, ein Stauwerk erhalten, das 2 Milliarden Kubikmeter faßt. Für den Blauen Nil ist noch ein Stauwerk für die aus dem Tana-See kommenden Wassermengen geplant, das 4 Milliarden Kubikmeter fassen soll.

 

   Unter Indiens Sonne  

An der Spitze aller Länder der Welt steht Britisch-Indien mit der räumlichen Ausdehnung seiner Bewässerungsanlagen. Indien gilt als der Inbegriff der Fülle, des Reichtums und der Wunder. Die äußeren Reize haben zu schmeichelhaften Vergleichen geführt: der eine nennt seine Küsten die Riviera Asiens, der andere sieht in Indien eine Art Italien des Orients. In einer Hinsicht aber gibt es keine vergleichbare Größe für Indien, nämlich im Hinblick auf den üppigen Reichtum der Tier- und Pflanzenwelt.

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Das gilt in gleicher Weise für die Mannigfaltigkeit und den Formenreichtum der indischen Fauna und Flora, wie auch für die Üppigkeit des Gedeihens und der regenerativen Kraftentfaltung. In Indien lebt, auf relativ gesehen kleinem Räume, ein Fünftel der heutigen Erdbevölkerung.

Die Massenanballung so vieler Menschen ist, wie überall, dauernd von schweren Versorgungsgefahren bedroht, und so sind Hungersnöte in Indien zu allen Zeiten keine seltenen Erscheinungen gewesen. Das vergangene Jahrhundert hat es im "reichen Indien" zu feststehenden Hungertabellen kommen lassen. Alle zwölf Jahre erlebte Indien eine Hungersnot von ungeheuerlichen Ausmaßen dergestalt, daß Tausende von Menschen eines elenden Hungertodes starben. Alle fünf Jahre kam es in irgendeiner indischen Provinz zum Massensterben an Hunger. Zudem raffen Pest, Cholera und Fieber, die man in Indien getrost als Mangelkrankheiten bezeichnen kann, fortgesetzt Millionen hinweg.

Es ist in diesem Lande der Fülle und des Reichtums wie in jedem anderen Lande: es gibt Distrikte, die die günstigsten Bedingungen für die Bodenproduktion haben, während es daneben Gebiete gibt, die die primitivste Vorbedingung für eine landwirtschaftliche Nutzung nicht erfüllen. Indien lebt, wie kaum ein- anderes Land, in starrer Abhängigkeit vom Zusammenspiel kosmischer Kräfte: Indiens Sonne, im allgemeinen ein Segen, wird zum Fluch, wenn sie sich nicht mit dem wohltätigen Einfluß des Wassers verbindet. Sonne und Wasser aber bilden Indiens wirtschaftliche Stärke. Mit den Jahreszeiten wechselnd bringt der Südwest- und der Nordost-Monsum den Regen für das Land. Der Monsum beherrscht die Saat, das Wachsen und Gedeihen und schließlich die Ernte.

Es gibt kaum ein zusammenhängendes Erzeugungsgebiet auf der Erde, wo die Niederschläge räumlich so unterschiedlich sind wie in Indien. Man muß das Land eher regenarm als regenreich nennen.

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In diesem Lande der glühenden Sonne, wo die tiefer gelegenen Gebiete ein Jahresmittel in Wärme zwischen 22 und 27 Grad Celsius aufweisen, gibt es in den landwirtschaftlich wichtigsten Gebieten keine nennenswert größeren Niederschläge als im Gebiet des Deutschen Reiches. Der Regenfall schwankt zwischen 125 Millimeter in einem Gebiet Mittelindiens und 6800 Millimeter in einem Gebiet der Westküste, womit dieses letztere Gebiet die Niederschlags­menge an der Westseite des Kamerunberges in Afrika, des regenreichsten Gebietes der ganzen Erde, sogar übertrifft. In den größten Teilen Indiens schwankt die Niederschlagsmenge jedoch zwischen 300 und 1000 Millimeter. Jedenfalls genügen die im Jahresmittel fallenden Regenmengen nicht für höhergespannte landwirtschaftliche Bedürfnisse. 

 

In der Entwicklung großzügiger Feldbewässerungsanlagen sah die britische Kolonialverwaltung das wichtigste Hilfsmittel zur Überwindung der periodisch wiederkehrenden indischen Hungersnöte und zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes. Alle Teile, die weniger als 500 Millimeter Regen haben, bedürfen im indischen Klima der künstlichen Bewässerung, ferner auch zahlreiche Gebiete, die unter schwankendem Regenfall liegen. Primitive Bewässerungsmethoden sind in Indien uralt. Ihr Wirkungsgrad ist aber nur beschränkt. Neuartige, großzügige Methoden kamen mit der britischen Herrschaft ins Land.

Die stärkste Ausdehnung hat die Kunstbewässerung im Fünfstromland. Die heißen, fruchtbaren Ebenen, die sich im Stromgebiet des Indus zwischen Himalaya und Arabischem Meer erstrecken, sind von Natur aus regenarm, aber in ihren Strömen stehen ihnen in reichem Maße die das ganze Jahr über fließenden Schmelzwasser des Himalaya zur Verfügung. Wie in Ägypten, so stützt sich die britische Wasserbaukunst auch in Indien auf die natürliche Hydraulik des Landes. Sämtliche Flüsse des Fünfstromlandes sind in das Bewässerungssystem eingespannt. 

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Staubecken, wie z.B. die Sukkur-Barrage in Lindh, die das große Speicherbecken Indiens bildet, und die allein über 6 Millionen Acres mit Wasser versieht, sorgen für die Speicherung der kostbaren Flüssigkeit, regulieren die Wasserspiegel und schaffen das notwendige Gefälle. Eine Unzahl von Kunstkanälen verteilt das Wasser über das Land.

Im Jahre 1878/79 waren in Indien nur 10.500.000 Acres künstlich durch Fluß-, Brunnen- und Zisternenwasser bewässert. Um die Jahrhundertwende waren jedoch bereits 20.000.000 Acres von der Bewässerung erfaßt. Die Entwicklung ist seitdem in temperamentvoller Weise fortgeschritten. Rund 48000000 Acres waren in ganz Indien in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts der künstlichen Bewässerung erschlossen, das heißt 240.000 Quadratkilometer, oder mit anderen Worten ein Gebiet, das einem Fünftel des ganzen indischen kulturfähigen Landes entspricht, noch anders ausgedrückt: ein Gebiet, das gut der Hälfte der gesamten Kulturfläche des deutschen Vorweltkriegsreiches entspricht. Rund 50.000 Quadratkilometer des indischen Bodens sind so bewässert, daß sie von Regen und Tau unabhängig sind. Über die Hälfte dieser Flächen werden im Anschluß an die künstlichen Kanalsysteme bewässert, der Rest aus Brunnen und Zisternen.

Im Jahre 1900/01 waren in Britisch-Indien 39.142 englische Meilen an Bewässerungshauptkanälen in Tätigkeit, zwanzig Jahre später, im Jahre 1920/21, waren es 55202 englische Meilen: Der jährliche Zuwachs im Kanalsystem beläuft sich auf 800 englische Meilen. Es verdient noch erwähnt zu werden, daß einige dieser segensreichen Anlagen gegen den Willen der indischen Landeigentümer durchgeführt werden mußten, so die Bewässerung der Provinz Oudh vom Flusse Sarda her. Um das Projekt, das rund 2.000.000 Acres berücksichtigt, wurde fünfzig Jahre lang mit den eingeborenen Landeigentümern gestritten.

Über die wirtschaftliche Wirkung der Bewässerungsanlagen belehrt die Tatsache, daß an Hand der Mehrernten die Amortisation der in den Bewässerungs­anlagen investierten Kapitalien 7 bis 8 v. H. beträgt.

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Im Gebiet des Chenab in der Provinz Pandschab liegen fruchtbare Gebiete, die sich im englischen Regierungsbesitz befinden. Bevor der Chenab in das Bewässerungssystem einbezogen wurde, brachte der gesamte liegende Regierungsbesitz mühsam Ernten im Werte von mehreren hundert Pfund Sterling auf, nach Inbetriebnahme der Bewässerungsanlagen im Chenab stieg der Wert der Ernten unvermittelt auf 70.000 Pfund Sterling im Jahre. 

Die Bewässerungs­anlagen verteilen sich unregelmäßig auf alle indischen Provinzen und Länder. An der Spitze steht die Provinz Lindh am Unterlauf des Indus mit einem bewässerten Anteil der Gesamtfläche von. 83 v. H., es folgt die Provinz Pandschab mit 38 v. H., Madras mit 19 v. H., die nordwestliche Grenzprovinz mit 14 v. H. und Burma mit 12,5 v. H. An letzter Stelle steht Bengalen mit 0,4 v. H. des Anteils der bewässerten Fläche an der Gesamt­kulturfläche. Bengalen, die am dichtesten besiedelte indische Landschaft, verzeichnete bemerkenswerterweise die letzte indische Hungersnot im Jahre 1943/44.

 

   Die Rettung des Gartens Eden  

Wir verlassen Indiens und Ägyptens sonnenüberflutete Gefilde und wenden den Blick in die "Neue Welt", die hinsichtlich der Ausdehnung ihrer bewässerten landwirtschaftlichen Flächen an zweiter Stelle in der Welt steht. Wenn uns auf dem Kolonialboden des Britischen Weltreiches die Weiträumigkeit der Planung und die Schärfe des Blicks für die wirtschaftlichen Möglichkeiten bei den Großwerken der Wasserwirtschaft faszinierte, so schlagen uns in den Vereinigten Staaten von Amerika, die in technischer Hinsicht ein wirkliches Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind, die souveräne Kühnheit ganz neuer Ideen und die schöpferische Originalität des modernen Ingenieurs in ihren Bann.

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Rund 20.000.000 Acres sind in den Vereinigten Staaten bewässert. Davon entfallen 1.000.000 Acres auf die Reisflächen in den Staaten Louisiana, Arkansas, Mississippi und Texas, während der Rest auf die Weststaaten Kalifornien, Colorado, Idaho, Montana, Utah und Wyoming entfällt.

Als eine Perle im Kranz der 48 Staaten der Union gilt dem Amerikaner Kalifornien, das sich zwischen dem 32. und 40. Breitengrad an der Küste des Großen Ozeans erstreckt. In unserer Hemisphäre liegen zwischen diesen Breiten Südspanien, Süditalien, der südliche Balkan, Marokko, Algerien, Tunis und Kleinasien. Das Kernstück dieses Bundesstaates bildet das Zentraltal, eine langgestreckte Ebene, die durch hohe Gebirgszüge, die Sierra Nevada im Osten und das Küstengebirge im Westen, geschützt ist. 

In idyllischer Abgeschlossenheit liegt dieses Paradies der nordamerikanischen Westseite; bis zu 4000 Meter erheben sich die schützenden Berge, und über Pässe von 2000 Meter Höhe führen die Zugangsstraßen. Das gesegnete Tal hat eine Länge von 800 und eine Breite von 60 bis 85 Kilometern, so daß eine landwirtschaftlich nutzbare Fläche von etwa 50.000 Quadratkilometern vorhanden ist, ein Landkomplex, der der Oberfläche von Rheinland und Westfalen entsprichst.

Zwei gegenläufige Flüsse bilden die Lebensadern dieses Tales. In nordsüdlicher Richtung strömt der Sacramento, in südnördlicher fließt der San-Joaquin-River. Beide Flüsse vereinigen ihre Wasser in der Nähe von San Francisco, durchbrechen nach der Vereinigung die Massive des Küstengebirges und ergießen sich dann in die San Francisco-Bay.

Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts fieberte der Goldrausch durch das selige Tal. Glücksucher und Glücksritter aus aller Welt erschienen, um den heißbegehrten gelben Schatz zu heben. Als das Goldfieber abgeklungen war, blieb neben viel zerbrochener Hoffnung große Not im Lande zurück, bis dem einsichtigen Teil der Siedler zum Bewußtsein kam, daß der goldarm gewordene Boden noch einen anderen kostbaren Schatz barg, nämlich eine hohe Fruchtbarkeit.

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Das Klima war mild und gesund, der Sommer lang und warm, und die Hitze wuchs nicht ins Unerträgliche. Nur einen Nachteil entdeckte man: es fiel nur wenig Regen. Die Siedler ließen sich durch diesen Mangel nicht beirren. Sie begannen zu pflügen, zu graben und zu säen, und die Erde lohnte dankbar die Mühe. Immer neue Siedler kamen, um ihre Arbeit mit der Leistung bereits seßhaft gewordener Bodenwirte zu vereinigen. In den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als der deutsche Weinbau an Rhein und Mosel, Nahe und Ahr schwere Krisen durchmachte und zahlreiche tüchtige Winzer zur Auswanderung gezwungen wurden, war ihr Reiseziel auf fremder Erde das gesegnete Ufer des Sacramento. Sie blieben dort ihrem alten Gewerbe, dem Weinbau, treu.

In kurzer Zeit entwickelte sich das Zentraltal zu einem blühenden Garten Eden. Unübersehbar dehnten sich beiderseits des Sacramento und des San Joaquin reiche Weingärten, gigantische Obstkulturen, riesige Nutzgärten subtropischen Charakters. Der Sommer ließ die köstlichsten Früchte in erdrückender Fülle reifen. Kalifornische Früchte und kalifornischer Wein wurden gesuchte Standardartikel auf den verwöhnten Märkten aller Kontinente. Ist es ein Wunder, daß Amerikas berühmtester Obstzüchter, Luther Burbank, unter dem gebefreudigen Himmel des kalifornischen Zentraltales seine erstaunlichen Leistungen in der Zucht neuer Obstsorten und neuer Obstarten vollbrachte?

Bis zur Jahrhundertwende war Kaliforniens Zentraltal unbestritten das glücklichste Tal auf dem Erdenrund. Allerdings: man mußte, um Höchsterträge zu erzielen, die Ländereien und Gärten künstlich bewässern. Man nahm den Nachteil leicht. Warum auch nicht? Beide Flüsse, die das Tal, durchströmten, führten genügend Wasser, um sie anzuzapfen und das abgezweigte Wasser zu Bewässerungszwecken zu gebrauchen. Um die Kosten machte man sich keine Sorgen. Die hier gepflegten Spezialkulturen nährten ihren Mann so ausgiebig, daß zusätzliche Erzeugungskosten kaum eine Rolle spielten.

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Das reiche, glückliche Tal verschrieb sich an der Schwelle des Jahrhunderts, in dem wir leben, dem modernen technischen Fortschritt. Das war gewiß kein Fehler, fehlerhaft war nur die Art, in der man die Wohltat des technischen Fortsehritts nutzte, und das Maß, in dem man ihn im Lande wirksam werden ließ. Bislang hatte man der Erde gedient und sich klug und bescheiden den gegebenen glücklichen Produktionsfaktoren angepaßt, nun aber begann man, in einem ungezügelten Streben nach Mehrertrag und höherem Gewinn die Erde zur Hergabe weiterer "Geschenke" zu zwingen.

Nun brauchte man dem immerhin mühsamen Geschäft der Anzapfung von Wasserläufen nicht mehr obzuliegen. Man konnte Brunnen graben und mit Hilfe leistungsfähiger elektrischer Pumpen das unterirdisch fließende Wasser im Landbau nutzbar machen. Von jetzt an war die Bodenkultur nicht mehr an die engen Räume gebunden, die das abgeleitete Flußwasser in natürlichem Gefälle erreichte. Eine Expansion der landwirtschaftlich genutzten Flächen allergrößten Stils setzte ein. Immer neue Felder wurden in Kultur genommen, immer stärker wurde aber auch das ober- und unterirdisch fließende Wasser in Anspruch genommen, bis dieses schließlich überhaupt nicht mehr zur Aufrechterhaltung der anspruchsvollen Bodenerzeugung hinreichte.

Von nun an ging die Entwicklung ihren verhängnisvollen und schicksalhaften Weg. Von Natur aus lagen die Grundwasserstände im Zentraltal recht günstig, aber unter der starken Beanspruchung sanken sie fortgesetzt, so daß man genötigt war, die Brunnen immer tiefer zu bohren.

Es kamen feuchte Jahre, die das Bild der Entwicklung überdeckten. Man ließ sich dadurch in eine trügerische Sicherheit wiegen. Einsichtige Männer aber sahen schon damals besorgt in die Zukunft und erhoben auch ihre warnende Stimme, aber die Stimmen verhallten unbeachtet in der herrlichen Landschaft.

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Der Stand der Dinge offenbarte sich aber mit entsetzlicher Deutlichkeit in einigen nun kommenden Trockenjahren. Solche Jahre waren 1918 und 1920. Die Grundwasserstände sanken erschreckend ab, besonders im südlichen Teil des Tales. Noch tiefere Brunnen mußten erbohrt werden. Im Jahre 1924 stand man vor der Tatsache, daß die Grundwasserstände um 7 bis 15 Meter im ganzen Talgebiet, an einzelnen Stellen aber sogar bis zu 24 Meter gesunken waren. Eine wirtschaftliche Wasserförderung erwies sich an vielen Stellen bereits als unmöglich. Die Versteppung des blühenden Landes begann.

Es kamen weitere Jahre mit geringen Niederschlägen: 1927 bis 1935. Die Jahre 1931 und 1934 waren ausgesprochen trocken. Im Jahre 1934 waren bereits 80.000 Morgen einst blühenden Gartenlandes völlig ausgetrocknet und versteppt. Die blaße Sorge hatte Einzug gehalten in das einst so blühende Tal, die bange Angst um die Zukunft lähmte das Leben. Kosmische Kräfte waren entfesselt.

Unheilvolle Entwicklungen waren als Folge der Versteppung in Fluß gekommen. Die Niederschläge wurden immer geringer, die Wasserführung der Flüsse sank rapid. Trinkwassermangel stellte sich ein. Im Mündungsdelta der beiden Flüsse bei San Francisco kam es zu verhängnisvollen Einbrüchen des Meerwassers in. die Flußrinnen. Die salzige Flut stieg in den Lauf der Flüsse, versalzte die Brunnen und machte neben dem oberirdischen auch das unterirdische Wasser für den menschlichen Verbrauch, für industrielle Zwecke und für die Landbewässerung unverwendbar. Die Schiffahrt war bei den dauernd niedrigen Wasserständen längst schwer geschädigt oder ganz zum Erliegen gekommen.

Die Bundesregierung in Washington setzte im Jahre 1932 den Senatsausschuß für Bewässerung und Urbarmachung ein. Eine gründliche Untersuchung der Verhältnisse in Kalifornien ergab, daß die Versteppung in vollem Flusse war. 

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Im Süden des Tales ergab sich, daß für über 600.000 Morgen nur für etwa die Hälfte genügend Wasser zur Bewässerung vorhanden war und daß 300.000 Morgen unwiederruflich der Versteppung anheimfallen mußten, wenn nicht bald und energisch eingegriffen wurde, um zusätzliches Wasser zu liefern.

Inzwischen war Franklin Delano Roosevelt auf den Präsidentenstuhl der Vereinigten Staaten gelangt, der Mann des klaren Blicks und der kühnen, experimentier­freudigen Tat. Er sah in dem gewaltigen Fragenkomplex, der sich auf den Zustand und die Entwicklung geologischer Tatbestände im weiten Gebiet der Union bezog, nicht eine Summe von Teilfragen, die in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Staaten fielen, sondern er wertete ihn von vornherein als zentrale Staatsaufgabe.

Man weiß um die harten Kämpfe um Kompetenzen und gegen Interessen- und Interessentenkreise im Rahmen der sozusagen auf kaltem Wege herbeigeführten Verwaltungsreform in Amerika unter dem Präsidenten Roosevelt. Der Mann der neuen bahnbrechenden Idee hat im wesentlichen gesiegt. Der wildeste Raubbau an der Erde ist zu Ende, ein Werk grandiosen Aufbaus hat begonnen. Eine neue Welt ersteht in der "Neuen Welt", kraft junger, schöpferischer, wagemutiger Gedanken.

Im Rahmen der Arbeiten des Senatsausschusses tauchte erstmalig der Plan auf, der der Wasserwirtschaft Kaliforniens eine Sonderstellung in der ganzen Welt zuweist, ein Plan, der sowohl wegen seiner großartigen Konzeption wie wegen der wahrhaft phantastischen Art der Ausführung das Staunen der Fachwelt auf dem Erdenrund erregte. Am oberen Sacramento sollte ein gewaltiges Staubecken für die Speicherung des im Winter und im Frühjahr anfallenden Überschußwassers errichtet werden. In der sommerlichen Trockenzeit sollte das Überschußwasser abgelassen werden, um eine regelmäßige Wasserführung des Sacramento zu gewährleisten. 

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Vor dem Mündungsdelta sollte das Wasser aufgefangen werden, soweit es nicht zur Verhütung von Meereseinbrüchen gebraucht würde. Von dort sollte es mit Hilfe riesiger Pumpwerke über Hunderte von Kilometern den San Joaquin aufwärts in das besonders notleidende Gebiet am oberen San Joaquin gedrückt werden, um von hier aus den ober- und unterirdischen Wasserfluß talabwärts regulieren zu helfen.

Sogar die Fachleute Amerikas schüttelten darob zweiflerisch den Kopf. Man belächelte den tollkühnen Plan, der undurchführbar schien. Man suchte nach anderen Plänen, die in der Ausführung weniger schwierig waren — aber man fand solche nicht. Aber heute ist dieser phantastische Plan ein lebendiges Werk der Landeskultur im Kalifornischen Zentraltal geworden. Die Felder und Fluren werden gut und reichlich bewässert, die Versteppungsgefahr ist behoben, das Land quillt wieder über von hundertfältigem Segen.

Bundespräsident Roosevelt sah nicht die Schwierigkeiten des rettenden Werkes, sondern nur die Notwendigkeit, schnellste Hilfe zu bringen. Er empfahl den Sachverständigen und Ingenieuren, sich den unmöglich erscheinenden Plan genauer zu betrachten und an ihm das technische Können der Neuen Welt zu erproben. Und siehe da! Die Schwierigkeiten des Planes schrumpften mehr und mehr zusammen. Der zuständige Staatssekretär erstattete dem Bundes­präsidenten seinen abschließenden Bericht, in dem er das vorliegende Projekt als eine brauchbare Lösung bezeichnete und die Ausführung als bezuschussungs­würdiges Unternehmen empfahl. Die Kosten in Höhe von 170 Millionen Dollar wurden bewilligt.

Am Oberlauf des Sacramento wurde das Shastabecken als Hauptspeicher angelegt, das mit seinem Fassungsvermögen von 5 Milliarden Kubikmetern zu den größten Kunstwasserspeichern der Welt gehört. Ein zweites, kleineres Speicherbecken, das Friant-Becken, entstand am Oberlauf des San Joaquin-River. 

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Von diesem Becken führen zwei Kanäle, der Maderna- und Friant-Kern-Kanal, in natürlichem Gefälle in die nördlich und südlich des Beckens gelegenen wasserarmen Gebiete, um hier der künstlichen Landbewässerung und anderen wirtschaftlichen Zwecken zu dienen. Im Contra-Costa-Kanal findet das gigantische Werk seine eigentliche Krönung. In ihm werden die überschüssigen Wassermengen des Sacramento kurz vor dem Mündungsdelta gesammelt und durch gewaltige Pumpwerke den San-Joaquin-River aufwärts ins Friant-Becken gedrückt, um in diesem Gebiet die Wassernot zu beheben. Zweimal dienen also die gesegneten Fluten des Sacramento der schönen Aufgabe, befruchtend auf das Land einzuwirken, zunächst im eigenen Stromgebiet des Sacramento, dann, nach Bewältigung sehr beträchtlicher Höhenunterschiede mit Hilfe gewaltiger Pumpen, ein zweites Mal im Tal des San Joaquin.

Ein wahrhaft geniales Werk des technischen Geistes und der menschlichen Hand hat im Dienst an der nahrungspendenden Scholle hier nicht nur den Lauf eines Flusses sozusagen in sein Gegenteil verkehrt, sondern dem Namen des Flusses, den vergangene Generationen Sacramento benannten, eine späte und früher nie geahnte Deutung gegeben.

Der ewige Frühling ist wieder eingezogen in das Kalifornische Zentraltal.

 

   Die Gigantenfaust im Tennessee-Tal  

Es zeugt nicht nur für die ungeheure wirtschaftliche Kraft der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch für den eisernen Willen dieses Landes, schnell, gründlich und nachhaltig Heilung der Schäden zu suchen, die Unverstand, Habgier und Profitgeist im organischen Gefüge der Natur anrichteten, wenn fast zu der gleichen Zeit ein zweites, in mancher Hinsicht noch viel großartigeres und kühneres Projekt in die Wirklichkeit der amerikanischen Landschaft projiziert wurde: das Tennessee-Tal-Projekt.

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Mit genialem Schwung sind bei der Durchführung dieses Projektes in einem wagemutigen Experiment alle tragenden Gedanken des jüngsten Zweiges und Hilfsmittels der Landespflege, der modernen Raumforschung und Raumplanung, erstmalig in der Welt zur Grundlage der schöpferischen Neugestaltung eines großen notleidend gewordenen Gebietes gemacht worden.

Die Wasserversorgung des Zentraltales war eine ausschließliche Angelegenheit des Staates Kalifornien. Anders ist dies beim Tennessee-Valley-Projekt, das außer dem Staat Tennessee Teile der Staaten Virginia, Kentucky, Mississippi, Ohio, Georgia und Nordcarolina erfaßt. Ein Blick auf die Karte belehrt, daß es sich bei der erfaßten Fläche um ein Kernstück des zentralen Landkomplexes Nordamerikas handelt, um ein Gebiet von hoher wirtschaftlicher Bedeutung.

Der Staat Tennessee liegt am Ostrande jenes inneramerikanischen Gebietes, dessen Oberfläche die bekannte entsetzliche Metamorphose in Richtung auf die Bildung eines wüstenhaften Typs durchmacht. Vollends vernichtet ist ein Teil der Böden von Tennessee und der angrenzenden Staaten, weitere Teile sind schwer in Mitleidenschaft gezogen oder aufs höchste bedroht.

Als F. D. Roosevelt vom amerikanischen Volk zum ersten Beamten der Bundesregierung berufen wurde, war die Not im Tennesseetal aufs äußerste gestiegen. Die natürlichen Grundlagen der landwirtschaftlichen Erzeugung waren so gut wie restlos zerstört. Das schützende Kleid des Waldes und die vom Walde ausgehenden sozialen Wohlfahrtswirkungen waren verschwunden. Die Berghänge waren gerodet. Täler und Hänge waren schutzlos den Wildwässern und Regenstürmen preisgegeben. Die Auswaschung und Abschwemmung der Kulturböden war im Tal und am Hang weit gediehen und verschlimmerte sich zusehends. Man schätzte, daß ein Viertel der Kulturböden im Einzugsgebiet des Tennesseeflusses endgültig zerstört und verloren war, weitere Teile erwiesen sich als schwer geschädigt und von Vernichtung bedroht.

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Der Farmer im Tennesseetal war einst ein selbstbewußter reicher Mann. Nun war er bettelarm geworden. Statistisch wurde ermittelt, daß das jährliche Durch­schnitts­einkommen der Farmer im Tennesseetal schließlich kaum mehr als 80 Dollar betrug. Mit dem Farmer war die übrige Bevölkerung an den Bettelstab gekommen, da im Lande jede kommerzielle und industrielle Initiative fehlte.

Was konnte geschehen? 

Dem noch vorhandenen nahrungspendenden Boden mußte geholfen werden, um ihn nicht rettungslos der völligen Vernichtung anheimfallen zu lassen, und zugleich mußte dem auf diesem Boden sitzenden Menschen, dem Farmer wie allen übrigen Erwerbstätigen, unverzüglich geholfen werden, um sie nicht in Armut und Not verkommen zu lassen. Hier konnte keine flüchtige Subventionspolitik helfen, sondern nur ein umfassend wirksames Werk. Roosevelts Sanierungsarbeit im Tennesseetal ist dieses umfassend wirksame, auf modernsten Gesichtspunkten beruhende Werk.

Genial, wie die Planung selbst, ist die Durchführung. Roosevelt bahnte sich einen dornenvollen Weg durch die Dschungel obstinater Verfassungs­bestimmungen, parlamentarischer Wiederstände, durch die Intrigenkämpfe starker Interessentengruppen und durch eine ganze Welt des Vorurteils und des Zweifels, um schließlich doch das Ziel zu erreichen, das, wie er in einer Botschaft an den Kongreß sagte, in der Aufgabe bestand, "das menschliche Zusammenleben im Gebiet des Tennesseetales in allen seinen Formen mit neuem Leben zu erfüllen".

Tiefgründige Vorarbeit war nach der theoretischen Seite hin geleistet. Landesplanerische und raumordnende Ideen und Aufgaben wurden in den Vereinigten Staaten bereits seit dem Weltkriege mit Nachdruck behandelt. Das Interesse daran verstärkte sich in dem Maße, wie der Ruin wertvoller Böden infolge der Mißwirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart fortschritt.

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Bahnbrecher der neuen Idee ist der langjährige Dekan der landwirtschaftlichen Fakultät und spätere Leiter der Universität Tennessee, Prof. Dr. Harcourt A. Morgan, der bereits im Jahre 1925 mit allem Nachdruck auf die enge Verbindung zwischen der strukturell ungünstigen Lage der Landwirtschaft und dem Fehlen städtischer Siedlungsmittelpunkte und industrieller Beschäftigungsmöglichkeiten hinwies. 

In den technischen Fakultäten, in den Laboratorien und Arbeitsräumen der Universität Tennessee wurde in der Folge unter der geistigen Führung von Prof. H. A. Morgan in jahrelanger studentischer Gemeinschafts­arbeit das Notstandsgebiet am Tennessee nach allen Gesichtspunkten der wissenschaftlichen Raumforschung bis in die letzten Einzelheiten analysiert und ein reichhaltiges Material der geologischen, agrarkundlichen, wasserwirtschaftlichen, klimatischen, meteorologischen, wirtschaftlichen und wirtschaftsstatistischen Tatbestände zusammengetragen, gesichtet und im raumordnenden Sinne ausgewertet. Die Pläne lagen also fertig, es bedurfte nur der starken Hand, die bereit und kühn genug war, das gewaltige Werk der Umgestaltung und des strukturellen Neuaufbaus eines riesenhaften Landkomplexes in die lebendige Wirklichkeit hineinzustellen und dynamisch wirksam zu machen. Der Bundespräsident Roosevelt lieh diese starke Hand.

Der Präsident setzte für die Durchführung des Reorganisationsplans im Tennesseetal eine besondere, mit allen Vollmachten ausgestattete Behörde, die Tennessee-Valley-Authority (T.V.A.) ein. Diese faßte auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtschau über den Komplex der Aufgaben die Arbeit von allen Seiten mit beispielloser Energie an und führte sie in einer Art zu Ende, daß das Tennessee-Reorganisations­projekt beispielhaft in der ganzen Welt dasteht. Für die Vereinigten Staaten bildet es den Auftakt für eine Ausdehnung der Landesplanung und Raumordnung auf weitere Flußtäler, auf weitere Gebiete mit unzureichender und schädlich wirkender struktureller Organisation und schließlich auf das ganze Gebiet der Union.

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Während des ersten Weltkrieges war am Tennesseefluß das große Staubecken Muscle Shoals entstanden zur wirtschaftlichen Verwertung der gestauten Wassermassen. Ein leistungsfähiges Wasserkraftwerk wurde mit einem Aufwand von 150 Millionen Dollar gebaut, das die Energie zum Betrieb einer Anlage zur Gewinnung von Luftstickstoff für die Sprengstoffherstellung zu liefern hatte. Dies Werk war, ehe es fertig wurde, technisch infolge der temperament­vollen Entwicklung der einschlägigen Erzeugungsverfahren bereits überholt und unwirtschaftlich. 

Die T.V.A. baute das Werk gegen schärfste parlamentarische Widerstände, die namentlich von der vertrusteten Elektroindustrie ausgingen, auf der Grundlage der neuesten technischen Erfahrungen aus. Die gestauten Wasser dienen einem kunstvollen und ausgedehnten System, einer weiträumigen Landbewässerung zum Ausgleich der Schäden, die der gestörte natürliche Wasserhaushalt erzeugt. Der gewonnene Strom dient teils der Herstellung von Stickstoff-Düngemitteln, zum anderen Teil wird er privaten Abnehmern zu Preisen abgegeben, die im Vergleich zu dem vom Elektrotrust gestellten Strompreise wirken müssen, als ob er gratis abgegeben würde.

Zwanzig weitere Staudämme stauen die Wasser im Einzugsgebiet des Tennesseeflusses; darunter sind: der Wilson-und-Wheeler-Damm in der Nähe des alten Staudamms von Muscle-Shoals sowie am oberen Tennesseelauf der Norrisdamm, benannt nach dem zielbewußten und streitbaren Senator Norris, der Roosevelts schöpferische Ideen tatkräftig unterstützte. Die Versorgung des Landes mit Wasser ist die erste Aufgabe dieser Flußsperren; ein neuer Wasserhaushalt an Stelle des alten, zugrunde gerichteten Wasserhaushalts soll sich bilden. In erster Linie wird der Wasserbedarf der Landwirtschaft gedeckt. Verdurstende Flächen belebten sich wieder, zerstörte Böden wurden dem Pflug wiedergewonnen. 

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Die zerstörenden Fluten des Winters und Frühjahrs werden in den Staubecken aufgefangen und speisen den Fluß bei sommerlichem Niedrigwasser, die Schiffahrt kommt zu keiner Jahreszeit zum Erliegen. So wohlausgewogen ist dieses System der Wasserwirtschaft, daß neben der Landwirtschaft die Ansprüche aller anderen Wasserinteressenten voll berücksichtigt werden können. Das sonst vielfach zur Regel gewordene Tauziehen um den Vorrang in der Wassernutzung ist überflüssig geworden.

Der Sicherung der Grundlage folgte die Ausgestaltung des Raumes. Eindämmungs- und Eindeichungsarbeiten wurden unter Heranziehung des Arbeits­dienstes und durch Einschaltung der Arbeitsbeschaffungsbehörden durchgeführt. Ein umfangreiches Werk der Aufforstung begann. Die Farmwirtschaft hatte sich aus den immer mehr versumpfenden und von Überschwemmungsfluten bedrohten Flußtälern an die Berghänge verlagert, hatte hier durch rücksichtslose Abholzung und Urbarmachung versucht, Neuland für landwirtschaftliche Kulturen zu gewinnen, aber lediglich erreicht, daß nun auch der infolge seines Neigungswinkels an und für sich schon bedrohte Boden nach Verlust seiner schützenden Pflanzendecke rettungslos der Wassererosion und der völligen Vernichtung anheimfiel. 

Eine Umsiedlung größten Stils wurde ins Werk gesetzt. Die Farmen verschwanden von den bedrohten Hängen, um auf von der Erosion gesichertem Kulturland in den Ebenen wieder zu erstehen. An den verlassenen Hängen entstanden unter Einsatz arbeitswilliger und arbeitsverpflichteter Kräfte junge Baumanlagen. Durch das Tennesseegebiet verläuft jener großartige Shelter Belt von neuem Wald, den Präsident Roosevelt vom Golf von Mexiko bis zur kanadischen Grenze anlegen ließ, um das seines alten Waldkleides beraubte Land wenigstens wieder in bescheidenem Maße der Wohlfahrtswirkungen des Waldes teilhaftig werden zu lassen. 

Ihre Krönung fand die raumordnende Arbeit im Tennesseetal durch eine unter modernsten Grundsätzen durchgeführte Verbindung von Landwirtschaft und Industrie in einem organisch gegliederten Wirtschaftsgebiet.

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Hier beginnt das neue Leben in allen Formen des menschlichen Zusammenlebens. Hier beginnt "das größte Experiment, das je eine Regierung unternommen hat", auch in soziologischer Hinsicht beispielhaft für die Welt zu werden, die nach neuen besseren Strukturformen im Zusammenleben ihrer Menschenmassen sucht. Die geschickte Nutzung der landeseigenen Kräfte, hier der Wasserkraft, bewirkt das Wunder einer organischen Wiedergeburt des Notstandsgebiets im Tennesseetal und führt zu einem neuartigen Typ des Nebeneinanders von Landwirschaft und Industrie.

Wie ein Wirklichkeit gewordenes Land Utopia mutet das Tennesseetal an, so zwanglos runden sich die Dinge in der dynamischen Weiterentwicklung. Vom gesicherten nährenden Boden gehen die gestaltenden Kräfte aus. Städte und Dörfer sind neu erstanden, alte Siedlungen erwachten zu neuer Tatkraft. In lockerer Streuung verteilen sich industrielle und gewerbliche Anlagen über das Land. Keine Großbetriebe, nicht Agglomerationen von Mammutindustrien, sondern kleinere und mittlere Betriebe jener Größenklassen, die das Gleichgewicht und die gegenseitige Durchdringung von Landwirtschaft und Industrie auf der Ebene vollkommener Gleichberechtigung gewährleisten. 

Prof. Morgan hat das angestrebte Ziel auf den wirtschaftlich-sozialen Nenner gebracht, daß auf diesem großen Versuchsfeld der praktischen Raumordnung keine "Ruhr of Production", sondern ein "France of Production" mit allen seinen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Vorteilen gesucht werden solle. Das Ziel ist, soweit man die Dinge heute bereits zuverlässig beurteilen kann, vollauf erreicht worden, denn die Richtung der weiteren Entwicklung liegt unzweideutig fest.

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Kanada ist bezüglich der Regenfälle günstiger daran als die Vereinigten Staaten; künstlich bewässerte Flächen gibt es nur in den westlichen Provinzen Saskatchewan und Alberta in einer Ausdehnung von 400.000 Acres. Mexiko bewässert, 5.700.000 Acres, Chile 3.000.000, Argentinien 2.000.000 und Peru 800.000 Acres. In Asien folgen Rußland der englischen Kolonie Indien mit 8 Millionen bewässerten Acres, Japan mit 7 Millionen Acres Reisfläche, Java mit 3 Millionen, Siam mit 1.750.000, der Irak mit 1.500.000 und China mit 1 Million Acres.

Das in fortschreitender Austrocknung befindliche Australien macht erhebliche Anstrengungen, um seine verdurstenden Äcker zu befeuchten und Neuland für die Kultur zu gewinnen. Rund 1 Million Acres in den durstigsten Teilen des Landes sind bis jetzt bewässert. Eine Reihe der kurzen Küstenflüsse liefert das nötige Wasser. Australien hat den Ruhm, im Dawson-Tal in der Nähe von Nathans George eines der größten Staubecken der Welt mit einem Fassungsvermögen von 3,1 Milliarden Kubikmeter zu besitzen.

 

Gegenüber den Riesenflächen bewässerten Landes in fremden Erdteilen nehmen sich die künstlich mit Wasser versorgten europäischen Erzeugungsgebiete bescheiden aus. 

Oberitalien steht hier an der Spitze mit den Landesteilen Lombardei und Piemont. Die dort gepflegte Reiskultur ist die erste Nutznießerin der künstlichen Bewässerung, jedoch nehmen auch alle anderen Zweige der Bodenerzeugung, einschließlich der Wiesen und Weiden, an deren Segen teil. Die Wasserversorgung ist durch die zahlreichen von den Alpen kommenden Nebenflüsse des Po gut und regelmäßig über das ganze Jahr verteilt. Das Netz der künstlichen Bewässerungsanlagen gruppiert sich im wesentlichen um drei Kanäle, den Cavour-Kanal, der wenige Meilen unterhalb Turins den Po anzapft und in breiter Reichweite das linke Po-Ufer bis zum Ticino versorgt, den Naviglio Grande und den Villoresi, die beide vom linken Ticino-Ufer ausgehen und die Lombardei versorgen. Die bewässerte Fläche Oberitaliens ist 4,5 Millionen Acres groß.

Frankreich bewässert in seinen Mittelmeergebieten und in der Auvergne rund 3,5 Millionen Acres, Spanien gleichfalls 3,5 Millionen Acres. In Griechenland faßt die Idee der künstlichen Bewässerung gleichfalls immer stärker Fuß.

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   Das letzte Wort hat die Natur  

Mit vollem Recht steht die Menschheit von heute voller Bewunderung vor den Kulturwerken, die einzelne Völker errichteten, um die erzeugenden Kräfte der Natur zu unterstützen. In der ganzen Welt steht der Begriff der "Intensivierung", der fortgesetzten Mehrerzeugung, im Vordergrund, auch in den Gebieten, die bei geringeren Bodenerträgen bereits über ihr natürliches Vermögen hinaus angespannt waren.

Welchen Weg wären diese Gebiete gegangen, wenn der verantwortungsbewußte Mensch nicht vorsorglich eingegriffen hätte? Der verhältnismäßig schmale Streifen kultivierten Landes auf beiden Nilufern dehnt sich als eine grüne Oase im sterilen Sandmeer der Wüste. Es erhebt sich die Frage, ob die natürlichen Widerstandskräfte dieses schmalen Bodenstreifens bei den erhöhten Ernteforderungen der modernen Zeit nicht unwirksam geworden wären, wenn nicht der Ingenieur mit seinem Werk eingegriffen hätte.

Gewisse Entwicklungen der vergangenen Zeit sind geeignet, diese düsteren Vermutungen zu stützen. Bevor künstliche Bewässerung und künstlicher Dünger Eingang in Ägypten fanden, fiel das Ergebnis der Baumwollernten von Jahr zu Jahr. Im Laufe der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ging der Baumwollertrag Ägyptens um 17 v.H. zurück. Die Entwicklung wurde durch vermehrte Phosphordünger-Aufwendungen und durch Verstärkung der Kunstbewässerung aufgehalten. Neuerdings bewegen die Erträge sich wieder in einer bedenklich stimmenden absteigenden Richtung.

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Zwischen den fruchtbaren und bewässerten Stromgebieten des Ganges und des Indus liegt in gewaltiger Ausdehnung die Wüste Tharr. Die Boden­verhältnisse dieser Ebene sind kaum wesentlich ungünstiger als die der eigentlichen Flußgebiete des Indus und des Ganges, nur fehlt es an Wasser. Auch hier ist die Frage berechtigt: in welcher Bodenverfassung befänden sich heute die künstlich bewässerten Teile des indischen Reiches, wenn die Anlagen der Wasserbautechnik fehlten? Eins aber dürfte vor allen Dingen gewiß sein: ohne die reiche Erzeugung der heute künstlich bewässerten weiten Gebiete wäre die an und für sich schon durch das fortgesetzte rapide Anwachsen der Menschheit knapp gewordene Versorgungsdecke der Welt noch wesentlich kürzer.

Darf man aber heute schon ein abschließendes Urteil über die Kunstbewässerung fällen? 

Kennt man über die aktuelle und an den gegenwärtigen Tag gebundene Wirksamkeit der Bewässerung großer Landflächen hinaus deren nachhaltige Rückwirkung auf den Boden, die Bodengüte und Bodenverfassung, auf die Fruchtbarkeit und die erzeugenden Kräfte der Erde? Der normale Ablauf der Dinge in der Natur zeigt sich vielfach, soweit diese Vorgänge nicht in natürliche Rhythmen des Geschehens eingefügt sind, nicht sogleich und unmittelbar. Es gibt in der Natur sehr komplizierte Fernwirkungen räumlicher und zeitlicher Art. 

Schritt für Schritt, kaum bemerkbar für das flüchtige Auge des Menschen, dem nur eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne zu überblicken vergönnt ist, vollziehen sich die großen Metamorphosen an und in der Erde. Die Natur mißt mit anderen Maßstäben, als sie im Ablauf des Menschenlebens und in menschlichen Geschichtsepochen üblich sind. Die Erdgeschichte verweist auf die Maßeinheiten, mit denen hier zu rechnen ist, und sogar das, was man eine schnelle Folge von Ursache und Wirkung nennen kann, läßt Zeitspannen erkennen, die ein Menschenleben überragen.

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Aber bleiben wir zunächst bei den möglichen aktuellen Folgen. In allen dauernd künstlich bewässerten Gebieten stellt sich — besonders unter der heißen Sonne südlicher Zonen — ein zunehmender Grad der Bodenversalzung ein. In Ägypten beispielsweise ist die zunehmende Versalzung ein dringlich gewordenes Problem, das den landwirtschaftlichen Fachleuten steigende Sorgen bereitet. Auch Süßwasser hat einen bestimmten, wenn auch nur sehr geringen Gehalt an Salzen, Je schneller die Verdunstung dieses Wassers ist, desto intensiver ist die Salzbildung im Boden. Bei fortgesetztem Wachsen erreicht sie Grade, die sich auf die Pflanzenentwicklung ungünstig auswirken und die so weit gehen können, daß eine ackerbauliche Nutzung überhaupt unmöglich wird.

Das große Problem der Salz- und Sodaböden gewisser Länder, z.B. Ungarns, ist bekannt und zeigt die Schwierigkeiten, die sich der Erzeugung von Boden­produkten entgegenstellen. Für die künstlich bewässerten Gebiete der Welt bleibt vorläufig die Frage offen, ob nicht das dauernd zugeführte Wasser auch bei sorgfältiger Dosierung der Mengen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte einen Salzanteil im Boden entstehen lassen wird, der eine Nutzung im heute bekannten Intensitätsgrad unmöglich macht. Das Auf und Ab im Fruchtbarkeitsgrade Ägyptens bedarf in diesem Sinne sorgfältiger Beobachtung. 

Eine weitere Frage beansprucht akutes Interesse. 

Die künstliche Bewässerung in ariden und semiariden Gebieten hebt einen Produktionsfaktor, in diesem Falle das Wasser, auf eine Wirkungsebene, die ihm die Natur in diesen Gebieten teils aus erklärlichen, teils aber auch aus uns unerklärlichen Gründen versagte. Im allgemeinen herrscht in der Natur eine vollkommene Harmonie der Dinge und Verhältnisse, die in jedem Falle zu einem jeweils optimalen natürlichen Ergebnis führt. Dafür hat der egoistische, rein wirtschaftlich und kommerziell eingestellte Mensch von heute wenig Sinn. Sein Streben geht nach der größten Ernte. Deshalb greift er verbessernd, gelegentlich allerdings auch verschlimmbessernd, in den Ablauf der natürlichen Vorgänge ein.

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Kein einziger Produktionsfaktor ist der menschlichen Beeinflussung nicht unterworfen. Das redlichste und einwandfreiste Geschäft auf diesem Wege ist die Stärkung des Bodenvorrats an Pflanzennährstoffen durch natürliche und künstliche Düngemittel. Damit wird die Futterkrippe der Pflanzenwelt nachgefüllt, es wird ihr das tägliche Brot gereicht, dessen die Pflanze wie jedes andere organische Geschöpf auf Erden bedarf. Die Verbesserung der Einwirkung anderer äußerer Produktionsfaktoren, die zu zeitweiligen und vorübergehenden Erfolgen führen können, bedeuten mehr Stimulantia für die Pflanze. Man kann auf beschränktem Raum künstliche Klimate schaffen, man kann ebendort die Boden- und Luftfeuchtigkeit so regulieren, daß ein Optimum in der vegetativen Leistung der Pflanze herauskommt, wie es in Treibhäusern, Treibbeeten, Warm- und Kalthäusern und in Laboratorienschränken praktisch betrieben wird, und wie es auf großen Freilandflächen mit künstlicher Bewässerung versucht wird.

Hier wird, unter der Wirksamkeit von Werken, die die Menschenhand schuf, dem Boden unter sonst gleichbleibenden Verhältnissen mehr zugemutet, als es die Natur will und der harmonische Zusammenklang der Kräfte gestattet. Auf die Dauer wird bei diesem Unternehmen ein Faktor zu kurz kommen, entweder das Pflanzenwachstum oder der nährende Boden, dem zuviel zugemutet wird hinsichtlich der Entnahme von Nährstoffen; vielleicht werden beide zugleich auf die Dauer den kürzeren ziehen.. Wenn zwei und drei Jahresernten auf Flächen wachsen, die sonst nur einer Ernte fähig waren, so führt das mit Naturnotwendigkeit trotz sorgsamster Bewässerung zur Bodenerschöpfung. 

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Man kann nur immer wieder auf das Schwanken der Bodenfruchtbarkeit in Ägypten verweisen, wo diese Dinge jahrelang beobachtet wurden. Hier treten die biologischen Mängel, die der künstlichen Bewässerung anhaften, und die Schäden, die sie am Boden, anrichtet, deutlich in die Erscheinung. In den anderen bewässerten Gebieten der Welt werden sie sich über kurz oder lang vielleicht in gleicher Weise zeigen.

Eine pfleglich behandelte Natur zahlt nur auf Heller und Pfennig zurück, was ihr gegeben und zugestanden wird. Niemals und in keinem Falle gibt sie mehr, eher etwas weniger. Die Natur sorgt dafür, daß die Bäume an keiner Stelle in den Himmel wachsen, auch nicht in den das Pflanzenwachstum vielfältig begünstigenden Tropen und Subtropen, wo heute die ausgedehntesten Anlagen zur künstlichen Feldbewässerung zu finden sind. Das Kalkül der Natur bleibt mit oder ohne Kunstbewässerung dasselbe.

Die ursprüngliche Tropenlandwirtschaft beruht auf dem Flächenwechsel. Wo zweimal im Jahre die gleiche Fläche mit Mais angesät wird, ergibt die zweite Ernte einen wesentlich geringeren Ertrag als die erste, und es ist notwendig, diese Fläche möglichst einige Jahre brachliegen zu lassen, um sie ihre Kraft wieder sammeln zu lassen. In den höheren Tropenlagen, etwa über 600 Meter, ist überhaupt nur eine Ernte möglich.

Auch in den Tropen wachsen, wie man sieht, die Bäume nicht in den Himmel, trotz der hohen Meinung, die auch manche Agrarwirtschaftler von diesen Nahrungsräumen haben. Wie die Dinge sich einander angleichen, beweist A. von Bernegg, indem er es in seinem Werk <Tropische und subtropische Weltwirt­schaftspflanzen> unternimmt, einige Tropenerzeugnisse auf ihren Kalorienertrag zu untersuchen. 

Danach ergibt eine gute Reisernte je Hektar 14,5 bis 18 Millionen Kalorien, eine gute Maisernte 15 Millionen Kalorien, dagegen eine gute Maniokernte 30 Millionen, eine besonders gute sogar bis 90 Millionen Kalorien. Dafür hat Maniok eine Vegetationsdauer von zehn bis fünfzehn Monaten, gelegentlich sogar eine solche von zwanzig Monaten, während Mais und Reis in der Regel einen halbjährigen Umtrieb haben. Im Kaloriengehalt, also in der Nahrungswertigkeit, drückt sich in jedem Falle der Anspruch aus, den eine Nutzpflanze auch zeitlich an ihren Boden stellt. Ein Vergleich der bei uns heimischen Nutzpflanzen führt zu ähnlichen Resultaten. Jedes scheinbare Mehr an Leistung fordert regelmäßig sein Äquivalent in Mehraufwand, den der Boden zu bestreiten hat.

Die bewässerten Gebiete der Erde sind Lichtpunkte im Alltag der Weltlandwirtschaft, sind blühende Inseln auf den Flächen der großen Kontinente, sind Kornkammern, die der Weltbevölkerung wichtige Anteile ihres Erntebedarfs schenken. Da die moderne Welt gewohnt ist, aus der Hand in den Mund zu leben, muß man ihre gesteigerte Leistung dankbar anerkennen. Es bleibt jedoch abzuwarten, welches abschließende Urteil die Natur selbst darüber zu fällen hat. 

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Dr. Anton Metternich : Die Wüste droht : Die gefährdete Nahrungsgrundlage der menschlichen Gesellschaft