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4. Das Ziel 

    

 

145-182

In den drei ersten Abschnitten wurden die Schwächen des gegenwärtigen Gesellschaftssystems in Beziehung zu den menschlichen Bedürfnissen untersucht. Die Analysen ergaben eine Anzahl von Voraussetzungen, die in einer künftigen Gesellschaft erfüllt sein müssen, wenn sie als fruchtbare Basis der menschlichen Aktivitäten und der mensch­lichen Gemeinschaft gelten soll: demokratische Mitverantwortung, persönliche Freiheit, wirtschaftliche Gleichheit, ökologisches Gleichgewicht, Solidarität mit anderen Gruppen (national und global). 

Wir nennen eine Gesellschaft mit diesen Grundzügen eine humane Gesellschaft des Gleichgewichts.

Davon ausgehend werden sich verschiedene Menschen verschiedene Bilder von dieser künftigen Gesellschaft machen, und sie werden sich mit verschiedenen Teilaspekten intensiver befassen. Ein Gesamtbild ist schwer zu schaffen, aber ohne funktionsfähige Gesamtheit hat es keinen Sinn, Teilprobleme zu lösen. In diesem Abschnitt geben wir eine Version einer künftigen Gesellschaft mit den genannten Grundzügen. Es handelt sich dabei nicht um eine statische und endgültige Lösung, sondern um eine dynamische und experimentierende Gesellschaft in dauernder Weiterentwicklung. Deshalb lassen sich auch viele andere Varianten als die beschriebene denken, vor allem was die Einzelheiten in den organisatorischen Systemen betrifft.

Der Übergang zur humanen Gesellschaft des Gleichgewichts darf aus menschlichen und technisch-wirtschaftlichen Gründen nicht übermäßig schroff und drastisch durchgeführt werden. Er darf aus menschlichen und ökologischen Gründen auch nicht zu langsam durchgeführt werden. Darum entspricht die Beschreibung in diesem Abschnitt einem Zeitraum, der sich auf ein bis zwei Generationen erstreckt, also ein Stück in das nächste Jahrhundert hinein.

Die Problemlösung ist doppelter Natur, teils theoretisch, teils praktisch. Wir können fragen: wie müßte die Gesellschaft gestaltet sein, damit die Probleme vermieden werden könnten, unter denen wir leiden und mit denen wir kämpfen und die sich anscheinend im Rahmen des bestehenden Wirtschaftssystems nicht lösen lassen? 

Wir werden versuchen, diese Frage in diesem Kapitel zu beantworten, das mithin den Charakter einer Art von utopischem Grundsatzprogramm bekommt.

Die nächste Frage ist dann, ob sich dieses Programm überhaupt verwirklichen läßt. Man kann auf viele praktische Probleme hinweisen, viele von ihnen können wir selber formulieren, und wir wollen ihnen nicht vorbeugen, ihnen aber vorgreifen, indem wir einige der naheliegenden Fragen stellen (und zu beantworten versuchen). Die Kritik kann sich teils gegen unsere theoretischen Voraussetzungen richten, teils gegen das zu Theoretische und Utopische des Grundsatzprogramms. Ein Einwand liegt nahe: Das läßt sich nicht machen. Darauf liegt auch die Antwort nahe: Die gegenwärtige Entwicklung kann nicht weitergehen, ohne daß es zu ernsthaften Zusammenbrüchen kommt. Die Begründung dafür meinen wir in den vorausgegangenen Abschnitten gegeben zu haben. 

Um nicht im Theoretischen und Utopischen zu verharren, wollen wir versuchen, Wege von der jetzigen Gesellschaft zu einer humaneren aufzuzeigen; das letzte Kapitel — Kapitel 5 also — ist mithin eine Art politisches Handlungsprogramm.

Im nächsten Abschnitt geben wir ein Gesamtbild der neuen Gesellschaft. 
Die nachfolgenden Beschreibungen der Alltagsaktivitäten sind dann in diesen Rahmen einzusetzen.

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Gesamtbild der humanen Gesellschaft des Gleichgewichts 

 

Die Menschen in der neuen dänischen Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts haben zu unterschiedlichen Familien- und Produktionsformen zusammen­gefunden. Der einzelne Mensch hat weitgehende persönliche Freiheit, sich sein Dasein so einzurichten, wie er will, wenn er nur Rücksicht auf die Grundregeln der Gesellschaft nimmt. In der Praxis ist diese persönliche Bewegungsfreiheit unter anderem durch die Gewährung eines Bürgerlohns für alle gesichert. Der Bürgerlohn deckt die minimalen Lebens­haltungs­kosten, so daß niemand gezwungen ist, bezahlte Arbeit zu übernehmen. Für den, der einen höheren materiellen Lebensstandard wünscht, ist das Recht auf bezahlte Arbeit in einem gewissen Umfang gesichert.

Den Grundstamm des dänischen Wirtschaftslebens bilden Gemeinschaftsbetriebe, in denen alle Beschäftigten Mitbestimmung haben. Die Gemeinschaftsbetriebe sind im Besitz der Gesellschaft, aber die tägliche Verantwortung liegt in den Händen der Mitarbeiter. Die übergeordneten Interessen der Gesellschaft sind im Vorstand des Unternehmens repräsentiert. Alle Beschäftigten des Gemeinschaftsbetriebs haben denselben Stundenlohn.

Obgleich jedem, der dies wünscht, Arbeit garantiert wird, hat niemand sein ganzes Leben lang Anspruch auf dieselbe Arbeit. Im Gegenteil strebt man danach, allen Menschen Gelegenheit zu geben, sich mit wechselnden Aufgaben sowohl theoretischer als auch praktischer Natur zu beschäftigen. Durch Einführung des persönlichen Bürgerlohns, der flexiblen Arbeitszeit und der Gleichstellung der Arbeit außer Haus und im Haus sind gleiche persönliche Möglichkeiten (und Belastungen) für beide Geschlechter geschaffen.

Es gibt keine scharfe Trennung zwischen Arbeit, Ausbildung und Freizeit, alle Aktivitäten haben das Ziel, die Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen. Die Lösung bestimmter Gemeinschaftsaufgaben, an denen niemand besonders interessiert ist, wird durch einen solidarischen »Sozialdienst« oder in besonderen Fällen durch einen höheren Stundenlohn vorangetrieben.

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Neben den Gemeinschaftsbetrieben gibt es eine Anzahl kleinere Gewerbebetriebe, die hinsichtlich Organisation und Entlohnung freier sind. Dabei handelt es sich vor allem un Betriebe mit wenigen Mitarbeitern (Familien-Landwirtschaft, kleine Kaufleute, Produktionskollektive, Berater und andere Formen von Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern). Der reale Stundenlohn ist hier oft niedriger als in Gemeinschaftsbetrieben, aber die Besitzer dieser kleinen Gewerbeunternehmen legen mehr Wert darauf, ihre Arbeit ohne jede Rücksicht auf Gruppen anderer Mitarbeiter festlegen zu können. Die starke Begrenzung der Erbmöglichkeiten, die niedrige Verzinsung privater Vermögen und ein gleicher Stundenlohn haben zu einer kräftigen Verminderung der Vermögens- und Einkommensunterschiede geführt. So kräftig, daß die humane Gesellschaft des Gleichgewichts mit Recht eine Gesellschafl der wirtschafllichen Gleichheit, genannt werden kann.

Die wirtschaftliche Gleichheit war eine wesentliche Voraussetzung für das Bewahren der positiven Seiten des Markt- und Preismechanismus; jetzt funktionieren diese wirkungs­vollen Verteilungsmechanismen ohne soziale Schlagseite. Die Menschen bestimmen selber, wie sie ihre Einkünfte in der verschiedenen Bereichen des Konsums ausgeben wollen, wobei aber übergeordnete Zielsetzungen zu einer Sonderbesteuerung gewisser Produkte führen können. Die Konsumwünsche der Bürger sind nach wie vor der lenkende Faktor der Produktion; deshalb kann man eine komplizierte Verteilungsbürokratie vermeiden, wie man sie von zentralistisch geleiteten Gesellschaftssystemen her kennt. Werbung mit dem Ziel, einen künstlichen Konsum zu erzeugen, hat in diesem System keinen Platz; sie ist ersetzt durch eine gründliche Verbraucherinformation.

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Der Marktmechanismus gilt auch für den Wohnungssektor, obgleich der Grund und Boden und die meisten Wohnungen Gemeinbesitz sind. Bürger, die einen größeren Teil des Einkommens für ihre Wohnung ausgeben wollen, können die teuersten und ansprechendsten Wohnungen mieten. Das Mietniveau für den älteren Wohnungsbestand wird in angemessenen Abständen durch öffentliche Versteigerungen justiert, während die Mieten für neue Wohnungen im Verhältnis zu den Baukosten stehen. Auf dieser Basis können in den Orts-Gemeinwesen neue Wohnungen bestellt werden. Einige Menschen ziehen es aber weiterhin vor, Ersparnisse zu machen, damit sie ein eigenes Haus bauen können, obwohl mit diesem Besitz keine wirtschaftlichen Vorteile verbunden sind, auch nicht für die Nachkommen, die ja nur begrenzte Erbmöglichkeiten haben.

Die Produktionsformen der Gesellschaft nehmen Rücksicht auf die physische Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung. Dänemark verbraucht am Anfang des 21. Jahr­hunderts nur wenig Öl und Erdgas, um für Industrie und Wohnungen Heizungsenergie zu liefern. Die Sonnenenergie und die aus ihr abgeleiteten Formen (Wind, Gezeiten usw.) sind jetzt die wichtigsten Energiequellen, sowohl zum Heizen als auch zur Herstellung von Elektrizität. Neue Methoden der sauberen Verbrennung haben Kohle zum wichtigsten Ergänzungsbrennstoff gemacht. Kohle wird auch in einem gewissen Umfang zur Herstellung synthetischer Treibstoffe für Kraftfahrzeuge und Flugzeuge benutzt.

Auf allen Gebieten des Energieverbrauchs hat man große Anstrengungen unternommen, um eine effektive Energieausnutzung zu erreichen. Als Ergebnis ist der Gesamt­energie­verbrauch in Dänemark geringer als in den siebziger Jahren, und die Verschmutzungsprobleme durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe (Öl, Kohle, Naturgas) sind praktisch beseitigt. Eine blühende Wiederverwertungs-Industrie stellt sicher, daß Dänemark in geringstmöglichem Umfang an den globalen Mineralvorräten zehrt.

Dänemark ist auch wieder dabei, seine natürliche Gestalt als Land der Landwirtschaft anzunehmen. Die meisten Menschen führen einen Teil ihrer Arbeit in der Landwirtschaft aus, viele Kinder wachsen unter natürlichen Verhältnissen auf, zwischen Feldern und Tieren, nicht nur zwischen Maschinen und Wohnblocks.

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Es wird wieder Wert auf die Herstellung pflanzlicher Erzeugnisse sowie auf die Produktion von billigen und gesunden Lebensmitteln — auch für den Export — gelegt; in der Umweltkrise der Übergangszeit hatte sich ein steigender Bedarf an einer solchen Produktentwicklung ergeben. Die neue, dezentralisierte Forschungsorganisation hat auf diesem Feld zu guten Ergebnissen geführt.

Die politische Planung und Verwaltung ist auf drei Ebenen verteilt: die lokale, kommunale und nationale. Die Aufteilung wurde mit dem Ziel vorgenommen, eine aktive Nahdemokratie zu schaffen. Alle Entscheidungen werden so nah beim betroffenen Bürger gefällt, wie dies nur irgend möglich ist. Die Verwaltung ist dezentralisiert, und nur die übergeordneten und übergreifenden Beschlüsse werden auf höchster Ebene gefaßt.

Das Orts-Gemeinwesen ist die grundlegende soziale Einheit, im Prinzip nur so groß, daß alle Mitglieder die Möglichkeit (aber nicht die Pflicht) haben, sich zu kennen; in der Regel hat es weniger als 1000 Mitglieder. Die neuen Wohnviertel sind über einen längeren Zeitraum hinweg hinsichtlich der gemeinsamen Benutzung technischer Hilfsmittel und der Durchführung praktischer Arbeiten so eingerichtet worden, daß man — ohne eine übertriebene Arbeitsteilung — sowohl Ressourcen als auch Arbeitskraft sparen kann. Die Orts-Gemeinwesen sind in Aufbau und Funktionsweise recht unterschiedlich, abhängig davon, ob Großstadt oder Landbezirk, aber die grundlegenden Prinzipien sind die gleichen. Im Verhältnis zum Dänemark der siebziger Jahre ist eine wesentliche Verschiebung der Bevölkerungsverteilung von den Großstädten zu den kleineren Städten und Landbezirken eingetreten. Die oberste Behörde des Orts-Gemeinwesens ist das Ortsthing, zu dem alle Bürger zugelassen sind und auf dem alle Stimmrecht haben, wenn sie das 16. Lebensjahr erreicht haben. Jedes Ortsthing entsendet einen Vertreter zum Kommunalthing.

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Dieser Repräsentant informiert das Ortsthing regelmäßig über die regionalen Probleme. Im übrigen diskutiert das Ortsthing jede einzelne Frage, die für das Orts-Gemeinwesen und die Kommune von Interesse ist, und reicht dem Kommunalthing Vorschläge zu deren Lösung ein.

Die Größe der Kommune ist so bestimmt, daß sie sich im sozialen, medizinischen, kulturellen Bereich und im Bildungsbereich selber tragen kann. Das heißt, daß die Kommune über Kinderheime, Pflegeheime, Krankenhäuser, Ausbildungszentren, kleine Schulen, Büchereien, Sportanlagen, Mitbürgerhäuser und andere Räumlichkeiten für kulturelle Aktivitäten verfügt. Dazu kommen in der Kommune einige Gemeinschaftsbetriebe, Landwirtschaft eingeschlossen. Indem man die Kommune zu einer selbsttragenden Einheit macht, schafft man einen überschaubaren Rahmen für die alltäglichen menschlichen Aktivitäten. Auf der anderen Seite darf die Kommune nicht so groß werden, daß es schwierig ist, zu den einzelnen Institutionen und Arbeitsstätten zu gelangen; 40.000 bis 60.000 Einwohner wäre also eine erstrebenswerte Größe. Es wird sich als möglich erweisen, auf diese Art und Weise einige der höherqualifizierten gesellschaftlichen Aktivitäten (inklusive Forschung und Ausbildung auf Universitätsniveau) in das dezentralisierte Kommunensystem einzupassen. Übriggeblieben sind einige wenige nationale Aufgaben, die in bezug auf Apparatur und Spezialausbildung des erforderlichen Personals besonders große Investitionen erfordern. So hat Dänemark nun beispielsweise nur drei Fakultäten für Ingenieure und Mediziner, die auf dem gesamten Fachgebiet mit dem modernsten experimentellen Forschungsgerät versehen sind.

Die Kommune wird von einem Kommunalthing verwaltet, in dem für jedes Orts-Gemeinwesen der Kommune ein Vertreter sitzt. Wichtige Entscheidungen werden jedoch erst nach einer kommunalen Volksabstimmung getroffen, bei der jeder Bürger im Alter über 15 Jahren stimmberechtigt ist. Dem KommunaltJiing angeschlossen ist ein kultureller Ausschuß mit Repräsentanten der Vereine, Gesellschaften usw. in der Kommune. Der kulturelle Ausschuß kann eine selbständige Verantwortung für einen Teil der kommunalen Tätigkeit auf diesem Gebiet haben.

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Die Kommunen und die Orts-Gemeinwesen nehmen sich gemeinsam der Umweltplanung an und können über die Areale der Gemeinde weitgehend frei verfügen. Nur bei besonders umfassenden Vorhaben werden die staatlichen Organe hinzugezogen.

Jedes Kommunalthing wählt einen Repräsentanten zum Volksthing, das außer diesen indirekt gewählten Repräsentanten eine entsprechende Anzahl Mitglieder hat, die in direkten Nationalwahlen gewählt worden sind. Neben dem Volksthing gibt es ein Fachthing mit Repräsentanten aus fachlichen Verbänden, Ausbildungszentren, kulturellen Gesellschaften usw. Das Fachthing ist ein beratendes Organ des Volksthings und setzt für die Regierung Experten­ausschüsse ein. Die staatlichen Institute für Konsequenzforschung und Technologiebewertung (in Verbindung mit eingebrachten Gesetzesvorlagen u. ä.) sowie für internationale Entwicklung, Friedensforschung usw. unterstehen dem Fachthing, das auch die Verantwortung für das Veranstalten von Hearings zu wesentlichen Gesellschaftsproblemen hat.

Alle wichtigen nationalen Beschlüsse erfolgen auf der Basis einer Volksabstimmung. Die legislative Arbeit des Volksthings hat eine erhebliche Rationalisierung und Vereinfachung erlebt. Das Volksthing bestimmt die Richtlinien und interessiert sich weniger als in den siebziger Jahren für einige Routine- und Einzelaufgaben; umfassende Debatten über grundlegende politische Probleme nehmen einen bedeutenden Platz ein. Auf dieser Basis werden die übergeordneten Rahmen für den Produktions- und Dienstleistungssektor sowie das dazugehörige Lohnniveau festgelegt. Diese Zahlen werden zweimal jährlich unter Berücksichtigung der erzielten Ergebnisse und der zu erwartenden internationalen Konjunktur justiert. Eine Neuorientierung der Arbeit des Volksthings hat es ermöglicht, daß man in viel stärkerem Umfang als früher den Staatsbürger bei der Gesetzgebung hinzuziehen kann.

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Natürlich gibt es weiterhin im Gemeinwesen Interessenkonflikte. Die einzelnen Fachgruppen, Orts-Gemeinwesen, Kommunen und Regionen konkurrieren noch immer in einem gewissen Maß bei der Förderung der Aktivitäten, denen sie jeweils die größte Bedeutung beimessen. Aber im Gegensatz zur vernichtenden inneren Zwietracht und egoistischen Gruppenkonkurrenz (vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet) der siebziger Jahre ist es nun gelungen, die Dynamik dieser Interessenunterschiede für die Gesellschaft insgesamt auf positive Art auszunutzen.

 

Eine dänische Kommune im 21. Jahrhundert 

 

X-Stadt gehört mit knapp 40.000 Einwohnern zu den kleineren der 100 Kommunen in Dänemark. Die Stadt arbeitet mit der nahegelegenen Y-Stadt, die mehr als 60.000 Einwohner umfaßt, zusammen. Die beiden Kommunen haben hinsichtlich der weiterführenden Ausbildung eine gewisse Arbeitsteilung geschaffen, desgleichen auf wirtschaftlichem Gebiet.

 

Die Produktion in X-Stadt

 

Die Betriebe von X-Stadt stellen verschiedenartige Produkte her. Die traditionellen Wirtschaftszweige wie Landwirtschaft, Gartenbau und Textilindustrie sind unter anderem durch die Fabrikation elektronischer Ausrüstung für eine Anzahl von automatischen Steuerungsfunktionen ergänzt worden. Außerdem ist X-Stadt Zentrum einer Spezialität auf dem Bausektor geworden: gut isolierte Wohnmodule mit Wärmeaustauscher und andere Installationen zur restlosen Ausnutzung der Wohnungswärmeenergie, die von hochtechnisierter elektronischer Ausrüstung gesteuert werden.

Diese Systeme werden von der Firma Sonnenbau produziert. Gemeinsam mit einer Firma in Y-Stadt, die Sonnenheizungssysteme produziert, hat Sonnenbau einen wachsenden Markt für Wohnungen erschlossen, deren Wärmeversorgung

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sich auf dauerhafte Energiequellen sowie auf Ausnutzung der »Gratiswärme« stützt, die durch die täglichen Aktivitäten der Bewohner — wie Kochen, Beleuchtung und anderes — entsteht. Diese Wohnungstypen sind eine Weiterentwicklung der sogenannten Null-Energie-Häuser der siebziger Jahre.

Sonnenbau wurde zu Beginn der achtziger Jahre von einer Gruppe junger Handwerker gestartet, die den größten Teil des Anfangskapitals vom staatlichen Kreditfonds für wirtschaftliche Entwicklung erhielten. Der Fonds ging von Anfang an darauf ein, daß Sonnenbau auch als organisatorisches Experiment betrachtet wurde.

Die Firma wurde als sogenannter Gemeinschaftsbetrieb aufgebaut, dessen Vorstand zur Hälfte aus Mitarbeitern sowie zu je einem Viertel aus Repräsentanten von Kommune und Staat besteht. X-Stadt ist jetzt in 40 Orts-Gemeinwesen aufgeteilt, und das Gemeinwesen, in dem Sonnenbau liegt, nimmt einen der kommunalen Plätze im Vorstand ein. Nach den geltenden Regeln können Gemeinschaftsbetriebe auch völlig unter kommunaler Regie arbeiten, solange sie weniger als 20 Mitarbeiter haben.

Im Verlauf der ersten fünf Jahre nach der Gründung von Sonnenbau tastete man sich zu einer Arbeits- und Organisationsform vor, die für einen großen Teil der dänischen Unternehmen zum Vorbild geworden ist. Sämtliche 300 Mitarbeiter in Sonnenbau haben denselben Stundenlohn und dasselbe Mitspracherecht bei der Einteilung der täglichen Arbeit im Unternehmen. Die primäre Aufgabe des Vorstandes ist es, die Verhandlungen mit dem Orts-Gemeinwesen, mit der Kommune und dem Staat über die langfristigen Produktionspläne des Unternehmens zu führen. Hierzu gehören insbesondere Investitionen für Produktionsanlagen und Verbesserungen im Arbeitsmilieu, die Berücksichtigung der physischen Umwelt und übergeordnete Wünsche der Gesellschaft sowie ihre Bedürfnisse hinsichtlich der Produktentwicklung.

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Der Vorstand legt die Investitionsvorschläge dem gesamten Mitarbeiterstab zur Genehmigung oder eventuellen Änderung vor. Kann man sich auf dem Verhandlungsweg nicht einigen, liegt die endgültige Entscheidung beim Vorstand. Aber die Mitarbeiter können, wenn eine Mehrheit dafür stimmt, die Entscheidung des Vorstands vor einem unparteiischen Produktionskomitee anfechten, das von der Regierung eingesetzt ist. Bislang sind bei Sonnenbau Probleme dieser Art nicht aufgetreten, aber andere dänische Gemeinschafts­betriebe haben Schwierigkeiten gehabt, die intern nicht gelöst werden konnten. Das war vor allem der Fall, wenn übergeordnete Zielsetzungen, die Zusammensetzung der Produktion zu verändern, auf den Willen der Mitarbeiter stießen, sie unverändert zu lassen.

Ein Umstand, der Sonnenbau am Anfang eine Menge Probleme brachte, war paradoxerweise mit dem speziellen Erfolg der Firma verknüpft. Die Mitarbeiter waren nicht an die Vorstellung gewöhnt, daß der Erfolg sich nicht unmittelbar auf die Höhe des Lohns auswirken sollte. Aber diese neuen gesellschaftlichen Spielregeln werden jetzt als ganz natürlich und angemessen aufgefaßt.

Die gesetzlich festgelegten Regeln besagen, daß vom Gewinn die ersten 15 Prozent (im Verhältnis zum Investitionskapital) zu gleichen Teilen zwischen Unternehmen, Kommune und Staat verteilt werden. Die nächsten 15 Prozent werden im Verhältnis 1:2:2 verteilt. Was darüber hinaus an Gewinn anfällt, kommt völlig dem Staat zugute. Dieses System steuert einer kurzsichtigen Preispolitik zur Ausnützung spezieller Marktkonjunkturen entgegen.

Die Mitarbeiter können den Teil des Gewinns, über den die Firma selber verfügt, für Verbesserungen und Investitionen verwenden, aber nicht für Lohnerhöhungen. Wenn die Firma den Wunsch hat, stärker auszubauen, muß der Vorstand durch Verhandlungen mit der Kommune und dem Staat versuchen, einen gesonderten Zuschuß dafür herauszuholen. Diese Zuschüsse werden auf der Basis einer Bewertung von Leistungsfähigkeit und Arbeitsmilieu in der Firma sowie der Bedeutung der Erzeugnisse für das Gemeinwesen zuerkannt.

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Es versteht sich von selber, daß nicht alle dänischen Firmen einen Gewinn erwirtschaften. Wenn die Jahresbilanz eines Gemeinschaftsbetriebs ein Minus ausweist, so wird dies im ersten Jahr automatisch von Kommune und Staat gedeckt. Auf Veranlassung des Vorstands erfolgt eine Analyse der Defizitursachen, und dem kommunalen Wirtschaftsausschuß wird ein Dreijahresbudget vorgelegt. Dieser Voranschlag kann durchaus über mehrere Jahre hinweg ein Minus ausweisen, wenn dieses mit übergeordneten Bedürfnissen des Gemeinwesens begründet werden kann. Stimmt der Wirtschaftsausschuß mit dem Unternehmen in dessen Analyse und Vorschlägen nicht überein und will er keine Deckung für die künftigen Defizite bewilligen, dann kann die Firma dennoch drei Jahre weiterproduzieren, wenn sie die Finanzierung auf andere Art bewerkstelligen kann, beispielsweise indem die Mitarbeiter mit gekürztem Lohn weiterarbeiten. Keine Firma darf ihre Mitarbeiter jedoch länger als drei Jahre mit verkürztem Lohn beschäftigen. Wenn innerhalb dieses Zeitraums kein ausreichend gutes Resultat erzielt werden kann, hat der kommunale Wirtschaftsausschuß das Recht, das Unternehmen zu schließen, wobei ein eventueller Überschuß beim Auflösen der Aktiva zwischen Staat und Kommune geteilt wird.

Im laufenden Betrieb bedienen sich die dänischen Unternehmen wie früher eines weitverzweigten Bankensystems. Der Staat hat die Lenkung des gesamten Bankensystems übernommen, aber die örtlichen Filialen (die Kommunalbanken) haben bei der laufenden Kreditvergabe eine erhebliche Verfügungsfreiheit.

Die guten Arbeitsverhältnisse in den Gemeinschaftsbetrieben haben es mit sich gebracht, daß die Mehrheit der dänischen Bevölkerung diese Form der Produktionsorganisation vorzieht. In X-Stadt sind 75 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in Gemeinschaftsbetrieben beschäftigt. Die restlichen 25 Prozent verteilen sich auf Produktionskollektive, kleine Landwirtschaften, kleine Handelsbetriebe und verschiedene freiberufliche Dienstleistungsfunktionen. Außerdem hat das blühende kulturelle Leben von X-Stadt Maler, Schriftsteller und Musiker angezogen, die von ihrem Bürgerlohn und von dem leben, was sie mit ihrer Kunst verdienen können. Die meisten Künstler haben ein Einkommen, das etwas niedriger ist als das Normaleinkommen in den Gemeinschaftsbetrieben.

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Für Arbeitslöhne in Gemeinschaftsbetrieben oder für andere Einkünfte, die unter dem sogenannten Höchstlohn liegen, zahlt man keine Steuern. Der Höchstlohn wird jährlich vom Volksthing festgelegt und entspricht derzeit dem Lohn für eine Vierzigstundenwoche in einem Gemeinschaftsbetrieb. Einkünfte über den Höchstlohn hinaus unterliegen einer stark progressiven Staatssteuer. In X-Stadt sind davon nur etwa ein halbes Hundert Menschen von insgesamt 40.000 betroffen, speziell einige sehr gefragte Künstler und Handwerker. Für die freien Berufe sind im übrigen die Honorare so festgelegt, daß nur die wenigsten erheblich über den Landesdurchschnitt hinauskommen.

Die Wahlen zum Vorstand der Gemeinschaftsbetriebe erfolgen einmal jährlich unter allen Mitarbeitern; Wiederwahl ist zulässig. Die Erfahrungen bei Sonnenbau haben gezeigt, daß ein Mitarbeiter üblicherweise drei bis fünf Jahre im Vorstand ist. Sind die Rahmen für die Produktion und für die Investitionen des folgenden Jahres festgelegt, mischt sich der Vorstand in den täglichen Betriebsablauf so wenig wie möglich ein. 10 bis 20 Mitarbeiter bilden eine Arbeitsgruppe, die sich ihre Arbeit selber einteilt. In der täglichen Mittagspause spricht sie das Arbeitsprogramm durch. 

Sie entsendet außerdem einen Vertreter in den Koordinierungsausschuß der Firma, der zweimal wöchentlich zusammentritt. Drei gewählte Mitglieder des Koordinierungsausschusses nehmen für jeweils ein Jahr die tägliche Leitung der Firma in formalem Sinne wahr, wie in früheren Zeiten die Direktion in privaten Aktiengesellschaften. Bei Sonnenbau zeigte sich bald, daß zwei der Mitarbeiter besondere Verwaltungs- und Leitungseigenschaften hatten; sie sind nun mehr als zehn Jahre lang wiedergewählt worden. Der dritte Platz ist wechselnd besetzt worden; er hat in gewissem Umfang als Ausbildungsplatz fungiert. 

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Ein wichtiges Prinzip ist bei Sonnenbau, daß man möglichst nicht bei einer bestimmten Arbeitsaufgabe Wurzeln schlagen soll. Das hat einen fruchtbaren Wechsel unter den Arbeitsgruppen ergeben, und alles deutet darauf hin, daß das, was anfangs durch Mangel an Spezialerfahrung verlorenging, durch neues Denken und übergreifende Arbeits­erfahrung voll aufgewogen wird.

Die durchschnittliche Arbeitszeit bei Sonnenbau beträgt etwa 25 Stunden wöchentlich, mit Variationen im Intervall von 10 bis 40 Wochenstunden. Die Gemeinschaftsbetriebe und die öffentlichen Institutionen sind verpflichtet, neue Mitarbeiter einzustellen, wenn es in der Kommune eine wachsende Anzahl Arbeitssuchender gibt. Ist für die entsprechende Erweiterung der Produktion oder des Dienstleistungsbereichs keine wirtschaftliche Basis vorhanden, dann wird die Arbeitszeit für den Teil der Beschäftigten herabgesetzt, die mehr als der Durchschnitt arbeiten; die zur Verfügung stehende Arbeit wird also aufgeteilt. Übersteigt in der Kommune der Bedarf an Arbeitskräften das lokale Angebot, muß man versuchen, Mitarbeiter aus anderen Kommunen heranzuholen. Auf gesamtdänischer Basis sorgt das Volksthing dafür, daß die Unterschiede zwischen den einzelnen Kommunen nicht zu groß werden. Das erfolgt durch die Festlegung von Richtzahlen für die durchschnittliche Arbeitszeit auf der Basis statistischer Berechnungen über die Beschäftigungs­situation.

Gleich anderen dänischen Gemeinschaftsbetrieben hat Sonnenbau die Möglichkeit, in jedem Jahr zehn Prozent vom festgesetzten Beschäftigungsdurchschnitt abzuweichen. Für größere Abweichungen ist eine schwer zu erhaltende spezielle Genehmigung erforderlich. Kurzfristige Abweichungen in der Beschäftigung — etwa saisonbedingt — werden über den öffentlichen Dienstleistungssektor ausgeglichen. Diese einfachen Prinzipien haben die Arbeitslosigkeit mit einem Mindestmaß an Bürokratie praktisch abgeschafft. Niemand hat mehr das Gefühl, das Gemeinwesen hätte keine Verwendung für ihn, und jeder hat Arbeit, der Arbeit haben will.

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Natürlich gibt es in X-Stadt wie in anderen Kommunen einige Arbeiten, um die sich niemand reißt, vor allem solche, die von vielen Menschen als zu langweilig und zu routinemäßig empfunden werden. Es sind Arbeiten sowohl auf dem Produktions- wie auch auf dem Dienstleistungssektor, obwohl man versucht hat, sie soweit wie möglich abzubauen. Das Problem wurde dadurch gelöst, daß alle Staatsbürger im Alter von 15 bis 25 Jahren die Pflicht haben, für einen gewissen Zeitraum derartige Arbeiten zu übernehmen (eine Art solidarischen Sozialdienst). Sie werden von den Orts-Gemeinwesen und Kommunen verwaltet, wobei bei der Verteilung der Arbeitsplätze weitestgehend Rücksicht auf die Interessen, die körperliche Verfassung, die Familienverhältnisse und die persönlichen Arbeitspläne des einzelnen genommen wird. In bestimmten Fällen wurde besonders unangenehme Arbeit mit einem höheren Stundenlohn kombiniert. Jetzt ist die Lösung mit dem solidarischen Sozialdienst jedoch so allgemein anerkannt, daß auf längere Sicht besondere wirtschaftliche Vergünstigungen kaum noch notwendig sein werden.

 

Zusammenspiel zwischen Ausbildung und Produktion

 

Die Erfahrungen, die in den siebziger Jahren mit Experimenten überall in Dänemark, unter anderem bei Versuchen, die Jugendarbeitslosigkeit zu mildern, gesammelt wurden, haben zu einer Veränderung im Verhältnis von Ausbildung und Arbeit geführt. Die Einseitigkeit, die das Bildungssystem prägte, in dem in erster Linie die theoretischen Anlagen gefördert wurden, ist durch eine größere Vielseitigkeit mit dem Schwerpunkt auf praktischer und schöpferischer Arbeit ersetzt worden.

Sonnenbau ist gleich allen anderen Gemeinschaftsbetrieben in X-Stadt in das Ausbildungssystem der Kommune einbezogen. Etwa 20 Mitarbeiter haben als Hauptaufgabe übernommen, die Jugendlichen auf die Teilnahme am Produktionsprozeß — von der Volksschule bis zum Universitätsniveau — vorzubereiten. 

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Man bemüht sich darum, daß Kinder und Jugendliche einen wesentlichen Teil ihrer Ausbildung als praktische Arbeit im Gemeinwesen jenseits der Schulmauern leisten. Seinerzeit machte man sich über den Vorschlag lustig, daß dies auch für die Anfängerklassen zutreffen sollte. Wenn man jetzt beobachtet, wie eifrig die Jüngsten bei Sonnenbau dabei sind, Baumaterialabfall zu sortieren, Verpackungskisten zusammenzuhämmern, am Aufräumen und Saubermachen teilzunehmen usw., so liegt auf der Hand, daß die Idee sinnvoll ist. Der frühe Start erleichtert es den Jugendlichen auch, sich an das Arbeitsmilieu in den verschiedenen Betrieben zu gewöhnen.

Aus dem neueren theoretischen Wissen der älteren Praktikanten und ihrer frischen, unbefangenen Betrachtung der Produktionsprobleme können die Betriebe Nutzen ziehen. Die Jugendlichen haben große Freiheit bei der Wahl der Praktikantenstellen, aber aus praktischen Gründen beginnen sie möglichst in einem Betrieb des Orts-Gemeinwesens. Gefordert wird, daß man im Verlauf der Ausbildung mindestens ein Jahr in drei verschiedenen Betrieben gearbeitet hat; ein Betrieb sollte möglichst ein landwirtschaftlicher sein. Die Unternehmen bemühen sich um Attraktivität für die Jugendlichen, nicht zuletzt deshalb, weil der Staat für jeden Praktikanten einen gesonderten Investitionszuschuß bewilligt. Für die praktische Tätigkeit der Jugendlichen sind in X-Stadt gemeinsam im Rahmen des Ausbildungszentrums der Kommune auch Produktionswerkstätten geschaffen worden.

Bei der Stadtplanung von X-Stadt hat man dafür gesorgt, daß die Kindergärten und Schulen nah bei den Betrieben liegen. Trennte man früher Arbeit, Ausbildung und Freizeit scharf voneinander, geht man nun den umgekehrten Weg. Für die Mitarbeiter von Sonnenbau ist es ein großer Vorteil, daß sie die Räume, die Spielplätze und das Hallenbad der benachbarten Schule benutzen können, die auch Außenstehenden zugänglich sind.

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Zu Anfang erhoben sich viele warnende Stimmen, die meinten, es werde unmöglich sein, mit derart lockeren Arbeitsverhältnissen eine Produktion aufrechtzuerhalten. Die Vorstellung, einige Mitglieder einer Arbeitsgruppe könnten mitten in der Arbeit zum Hallenbad hinübergehen, während andere im Kindergarten verschwinden, um mit den Kindern zu spielen, und der letzte Teil der Gruppe im Ausbildungszentrum der Kommune am Sprachunterricht teilnimmt, kam erfahrenen Betriebsleitern völlig grotesk vor. Zu ihrer Überraschung aber haben Firmen wie Sonnenbau gezeigt, daß sich dies nicht nur machen läßt, ohne daß das Ganze im Chaos endet, sondern daß im Gegenteil die Effektivität der Produktion steigt und die Mitarbeiter gleichzeitig mit ihrer Arbeit zufriedener sind.

Im Interesse der historischen Wahrheit muß man zugeben, daß es nicht überall von Anfang an so rosig aussah. An manchen Stellen gab es eine harte Übergangsphase, besonders in großen, fest etablierten Firmen, deren Traditionen sich schwer abbauen ließen. Die meisten dieser Firmen sind jetzt von der neuen Generation übernommen worden, der der Grundgedanke des Gemeinschaftsbetriebs natürlich erscheint. Die Struktur in den großen Firmen ist außerdem so aufgebrochen worden, daß die Großunternehmen jetzt eher als Gruppen zusammenarbeitender Betriebe mit einer Größe von jeweils einigen hundert Mitarbeitern tätig sind. 

Die Erfahrung scheint zu zeigen, daß es besser ist, einen neuen, selbständigen Betrieb mit eigenem Vorstand zu gründen, wenn die Zahl der Mitarbeiter etwa 300 zu übersteigen beginnt. Andernfalls geht der Zusammenhalt verloren, die Mitarbeiter kennen sich nicht mehr. Viele sind im übrigen der Ansicht, sogar die Zahl 300 sei zu hoch; eine Entwicklung geht in Richtung auf kleinere Betriebseinheiten, die dann aber in größeren Gruppen auf einem gemeinsamen Produktionsgebiet zusammenarbeiten. Entsprechende Sektorisierungs- oder Divisionalisierungsgedanken waren in einigen größeren dänischen Unternehmen schon in den siebziger Jahren modern. Das Motiv war damals jedoch vor allem die wirtschaftliche Effektivität der einzelnen Abteilungen ans Licht zu bringen, um so eine verstärkte Wettbewerbsfähigkeit anzuheizen.

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Die neue Form der Zusammenarbeit in Unternehmensgruppen verläuft erstaunlich reibungslos, nachdem die alten wirtschaftlichen Profit- und Konkurrenzbegriffe als primär lenkende Faktoren abgeschafft worden sind.

Gleichzeitig haben die neuen Prinzipien auf dem Produktionssektor die allgemeine Einstellung gegenüber den Wachstumsproblemen geändert. Es ist kein Selbstzweck mehr, einen ständigen Produktionszuwachs des Betriebs zu sichern, wohl aber einen Zuwachs in der Qualität des Arbeitsmilieus und der Produkte.

Bei Sonnenbau hat man in den letzten Jahren die Möglichkeit einer Teilung in zwei oder drei selbständige Firmen untersucht, ohne jedoch zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen. Die Zusammenarbeit in der Firma ist gut, und vielen Mitarbeitern bedeutet das Gefühl etwas, gemeinsam am Aufbau des Unternehmens beteiligt gewesen zu sein. Darum werden bestimmt noch einige Jahre vergehen, bis Sonnenbau die endgültige Lösung seiner Wachstumsprobleme findet.

 

Wettbewerbsfähigkeit der Industrie

Die Gemeinschaftsbetriebe haben auch — verglichen mit dem traditionellen kapitalistischen System — eine überraschende Flexibilität bewiesen, was die Ausnutzung hochentwickelter, arbeitssparender Technologie betrifft. Dies beruht vor allem darauf, daß eine neue Technologie nicht hauptsächlich von Profitmotiven diktiert wird, sondern von der Rücksicht auf das Wohlergehen der Mitarbeiter.

Im politischen System der siebziger Jahre wurde es ständig schwieriger, eine neue Technologie zu akzeptieren, weil sie strukturelle Arbeitslosigkeit auslöste. Als typische Beispiele können neue optische Methoden im Druckereigewerbe und die EDV-Umstellung in den Büros genannt werden. Streiks und Sabotage an der neuen technischen Ausrüstung waren damals die Reaktionen. 

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Einige Industrieländer schlagen sich noch immer mit diesen Problemen herum, was die Bedingungen der dänischen Industrie auf den internationalen Märkten erleichtert hat. Wir haben uns einen Ruf als zuverlässige und stabile Lieferanten von Qualitätswaren geschaffen. Das hat sich finanziell in Form einer positiven Zahlungsbilanz ausgewirkt.

Die Einführung der EDV-Technik ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, welche Entwicklung eine neue kontroversielle Technologie auslösen kann. Die umfassende Verbreitung der EDV-Technik in den siebziger Jahren gab Anlaß für neue gesellschaftliche Probleme: hohe Streik- und Sabotageanfälligkeit, Gefahr des Mißbrauchs zentraler Karteien, der Mangel an Flexibilität in Verwaltungsfragen, fehlender persönlicher Kontakt zu den Dienstleistungsorganen, Wegrationalisierungen menschlicher Arbeitskraft. Ein generelles Problem war, daß die Einführung der EDV auf der Wertgrundlage der zentralen Organe erfolgte und als ein Lenkungsinstrument betrachtet wurde, das besonders für große Betriebe und für die zentrale Kontrolle und Lenkung gut geeignet war.

Diese Probleme sind nach dem Systemwechsel im großen und ganzen beseitigt. Mit der dezentralisierten Verwaltung und den kleineren Betriebsgrößen ist zentrale EDV-Lenkung geringer geworden. Statt dessen wird die EDV-Technik individueller ausgenutzt, und sie gehört wie selbstverständlich zum Alltag der meisten Menschen. Schulen und andere Ausbildungsstätten, Dienstleistungseinrichtungen, Gewerbebetriebe haben eigene kleinere Computer und Terminals, die von einzelnen Mitarbeitern und Arbeitsgruppen zum Abruf der Informationen gebraucht werden können, die man gerade benötigt. Auch die meisten Wohnungen haben ihr eigenes Terminal und oft auch einen Kleinstcomputer. Die EDV-Technik ist dezentralisiert und menschenorientiert geworden, während sie früher zentralisiert und führungsorientiert war.

Vielleicht ist es vor allem die überraschende Verbesserung der dänischen Zahlungsbilanz, die in den letzten Jahren mehrere andere Industrieländer veranlaßt hat, mit Nachahmungen des dänischen Produktionssystems zu experimentieren.

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Der Arbeitskampf um neue arbeitssparende Technologie und die sich daraus herleitende strukturelle Arbeitslosigkeit hat im Ausland an vielen Stellen einen Umfang angenommen, der die politische Stabilität in den betreffenden Ländern derart stark gefährdet, daß sie unter allen Umständen gezwungen sind, für ihre Probleme neue politische Lösungen zu rinden.

 

Formen des Zusammenlebens

Abgesehen davon, daß die Wohnungspolitik anstrebt, Verbindung zwischen den Menschen zu schaffen (und nicht wie früher deren Trennung), gibt das Gemeinwesen keiner Form des Zusammenlebens den Vorzug vor einer anderen. Ein wichtiges Instrument zur Sicherung der persönlichen Freiheit ist der Bürgerlohn, den jeder dänische Staatsbürger von der Geburt an erhält. Für Kinder unter 15 Jahren soll der Bürgerlohn die Mindestausgaben für ein Kind decken, das als gewöhnliches Familienmitglied lebt. Nach Vollendung des 15. Lebensjahres erhalten alle Bürger einen Bürgerlohn, der den Mindest-Lebenshaltungskosten einer Person mit eigenem Haushalt entspricht. Damit ist keine Basis mehr vorhanden für das »Eigentumsrecht am Mitmenschen«, das die alte Sexualmoral beschützte; das Zusammenleben kann ausschließlich auf Sympathie und gemeinsamen Interessen aufbauen. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Ehepartner hat die Zahl der Scheidungen verringert und nicht gesteigert, weil die Familienmitglieder sämtlich mit Aufgaben in und außer Haus beschäftigt sind und sich darum nicht gegenseitig auf die Nerven fallen müssen.

In der alten Gesellschaft gab es eine gradlinige Verbindung zwischen den kleinen geschlossenen Familien und den großen geschlossenen Institutionen. Oft ging es über das Vermögen einer kleinen Familie hinaus, einem »schwierigen« Kind Geborgenheit zu geben, und ein Kind wurde in der Kleinfamilie leicht schwierig. In Familiengemeinschaften gibt es immer ältere Menschen, die sich mit den kleineren Kindern befassen können, und die Kinder haben die Möglichkeit zum Kontakt mit allen Altersgruppen.

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Das Leben in der Gemeinschaft bringt es mit sich, daß viele Menschen nicht das Bedürfnis empfinden, »eigene« Kinder in die Welt zu setzen. Kleinkinder brauchen ständigen engen Kontakt mit ein und demselben Menschen; deshalb muß sich ein Elternteil in dessen ersten beiden Lebensjahren um das Kind kümmern und hat damit das Recht, von außerhäuslichen Arbeitspflichten befreit zu werden. Bei Scheidungen, die dazu führen, daß ein Elternteil aus einer Großfamilie auszieht, verbleiben die Kinder normalerweise in der Großfamilie. Die alte Kernfamilie ist jedoch keineswegs verschwunden. In X-Stadt ziehen etwa 30 Prozent weiterhin diese Familienform vor.

Es ist nicht notwendig, für eine wirtschaftliche Sicherung der Nachkommen zu arbeiten, und es ist nicht möglich, diesen durch ein Erbe spezielle Vorteile zu verschaffen. Zugelassen ist jedoch das Vererben von Vermögen bis zu einer gewissen Größe (die etwa einem Jahreslohn entspricht) an Kinder und Mitglieder der Familie und Großfamilie. Die Wohnungen und Höfe gehören in der Regel der Kommune, aber das Benutzungsrecht geht auf die Nachkommen über, solange diese ihrer Verpflichtung zur Instandhaltung und zur Zahlung der (teilweise marktorientierten) Miete an die Kommune nachkommen.

Die wirtschaftliche Gleichstellung der Geschlechter hat dazu beigetragen, die alten Geschlechterrollen abzuschaffen, aber auch dazu, daß die Unterschiede zwischen den Geschlechtern heute in der ganzen Gesellschaft zum Tragen kommen, und nicht — wie früher — in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen; die Frau ist öffentlich genauso aktiv wie der Mann, der Mann hat im Haus dieselben Pflichten wie die Frau. Früher wurden die Knaben von Geburt an für die »Männerrollen« und die Mädchen für die »Frauenrollen« sozialisiert. Die Änderung des Verhaltens wurde dadurch stark beschleunigt, daß die Mütter mit der Zeit begriffen, daß sie durch die Art, wie sie ihre Söhne erzogen, selber daran mitwirkten, Probleme für ihre Töchter zu schaffen.

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Die Erziehung sowohl der Jungen als auch der Mädchen zur Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft, die enge Verbindung der Kinder zu den Eltern und anderen Erwachsenen sowie die wirtschaftliche Unabhängigkeit der größeren Kinder haben zur Folge, daß der Generationsunterschied sich fruchtbar auswirkt und nicht zu einer Kluft wird.

Durch ihre Teilnahme an der Arbeit und den kulturellen Aktivitäten des Gemeinwesens haben die Kinder die Möglichkeit, sich Vorbilder und Lehrer zu wählen; ein fundamentales Bedürfnis, das in der Massengesellschaft mit den geringen Möglichkeiten für persönliche Kontakte kaum befriedigt wurde. Spezielle Begabungen, die in der Gesellschaft der Ungleichheit Schwierigkeiten haben konnten, aus ihrem Milieu herauszudrängen, kommen besser zu ihrem Recht und gelangen leichter an jemanden, der ihnen die richtige Orientierungshilfe geben kann.

Es wird jetzt Wert darauf gelegt, daß die Menschen sich mit kulturellen Aktivitäten nicht nur als Zuschauer befassen, sondern auch als Teilnehmer; daß die Kinder lernen, sich nicht nur mit Worten auszudrücken, sondern auch mit dem Körper, in der Musik, im Tanz, in dramatischer Darstellung. Zwischen Orts-Gemeinwesen und zwischen den Kommunen besteht ein lebhafter Wettbewerb, der sich nicht nur auf sämtliche Disziplinen des Sports erstreckt, sondern auch auf kulturelle Veranstaltungen, Musikfeste und Ausstellungen.

Die Zusammenarbeit im Orts-Gemeinwesen zwischen den Familien-Gruppen und den Nachbargruppen kann viele unterschiedliche Formen annehmen.

Einige Dienstleistungsformen, die früher öffentliche Institutionen verwalteten, wie Kinderkrippen, Kindergärten, Altersheime, Pflegeheime und dergleichen, gehören nun teilweise zum Aufgabenbereich der Orts-Gemeinwesen. Das bedeutet, daß die meisten Kleinkinder und alte Menschen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, wenn sie wollen. Die Alten fühlen sich nicht länger überflüssig, sondern können bis ins hohe Lebensalter hinein in Gemeinsamkeit mit

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den jüngeren Generationen eine wertvolle Leistung erbringen. Wenn die Kräfte nicht mehr ausreichen, können sie von Menschen gepflegt werden, die ihnen bekannt sind, anstatt in einer fremden Institution zu landen.

Aus früherer Zeit gibt es in X-Stadt genug Eigenheime, um die Bedürfnisse der Kernfamilie decken zu können. Der neue Wohnungsbau konzentriert sich deshalb auf Gemeinschaftswohnungen, in denen eine Großfamilie gemeinsam die Waschmaschine, die Trockenschleuder, die Tiefkühltruhe, den Datenschirm, die Windmühle, die Werkstätten usw. benutzen kann. Die Gemeinschaftswohnung hat außerdem eine Großküche und einen Familienraum, in dem man gemeinsam essen kann und in dem sich ein großer Teil des sozialen Lebens abspielt. Aber die Gemeinschaftswohnung ist auch so eingerichtet, daß der einzelne und kleinere Gruppen in Ruhe ein Privatleben haben und zeitweise getrennt vom Rest der Großfamilie leben können. 

Die neuen Gemeinschaftswohnungen enthalten Kleinwohnungen mit eigener Küche und der weiteren erforderlichen Ausstattung. Weil das Benutzungsrecht von den Menschen ähnlich erlebt wird wie das Eigentumsrecht, wenden sie zur Erhaltung und Verbesserung ihrer Wohnungen ähnlich viel auf wie vor dem Systemwechsel. In X-Stadt bemüht man sich, alle neuen Gemeinschaftswohnungen mit etwa einem halben Hektar Land auszustatten, damit die Großfamilie Gemüse und Obst zur teilweisen Deckung ihres Bedarfs anbauen kann. Aus praktischen Gründen kann dieses Stück Acker nicht immer unmittelbar bei der Wohnung liegen, weshalb es wieder mehr Schrebergärten gibt.

Nicht alle Kommunen halten sich an dieselbe Wohnstruktur wie X-Stadt. Im Gegenteil, die einzelnen Kommunen streben danach, ein gewisses eigenes Profil zu wahren, das ihrer natürlichen Umgebung und Wirtschaftsstruktur angepaßt ist. Das Volksthing fördert die Experimente mit neuen Wohnformen durch Zuschüsse. Die größeren dänischen Städte sind im Laufe der letzten zwanzig Jahre bevölkerungsärmer geworden; so ist die Einwohnerzahl von Kopenhagen

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und den drei anderen großen Städten (Ärhus, Odense und Älborg), gemessen an den siebziger Jahren, zum Beispiel um die Hälfte zurückgegangen. Ein großer Teil der schlechten Wohnviertel ist saniert worden, und die Städte sind dadurch offener und grüner geworden.

 

Dezentralisierte Rechtspflege

Demokratie, Regierung durch das Volk, ist gleichbedeutend damit, daß das Volk sich selber regiert, daß also der Regierungsapparat so klein wie möglich ist. Das ursprüngliche Lenkungsmittel ist die Moral; ungeschriebene Regeln für das Verhalten, die zu übertreten die Mißbilligung der anderen nach sich zieht. In der anonymen Massengesellschaft, in der die Menschen sich nicht umeinander kümmern, hat Moral nur einen geringen Stellenwert, vor allem bei der Jugend; die Kriminalität ist zuallererst eine Jugendkriminalität und ein Produkt der Großstadt mit ihren schlechten Wohnverhältnissen. Auch zu enges Miteinanderleben kann psychisch belastend sein; die Opfer der Verbrechen, die im Affekt begangen werden, sind oft die nächsten Verwandten. Diese Formen der Kriminalität lassen sich weder mit abschreckenden Strafen noch mit einem verstärkten Kontrollapparat bekämpfen, sondern man kann ihnen nur durch Formen des Zusammenlebens vorbeugen, die weder zu locker noch zu eng sind. 

Der Mensch hat das Bedürfnis, in der Gesellschaft tätig zu sein, er will zeigen, was er kann, damit die anderen ihn achten und er bei ihnen beliebt ist; wird dieses Bedürfnis nicht befriedigt, kann schlimmstenfalls Kriminalität die Folge sein. Die beste Möglichkeit, er selber zu sein und sich selber zu lenken, hat der Mensch in einer überschaubaren Gruppe. Man kann vom Menschen kein Verantwortungsgefühl für eine Gesamtheit erwarten, wenn er keine Verantwortung für die eigene Umgebung trägt, und wenn er vor allem »die Gesellschaft« als unpersönlichen Machtapparat erlebt. Weil »Recht« nicht das Recht der Gesellschaft gegenüber den Bürgern bedeutet, sondern das Recht der Bürger, sie selber zu sein, ist die lokale Selbstverwaltung von fundamentaler Bedeutung.

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Auch hinsichtlich der Polizei sind die Orts-Gemeinwesen sehr selbständig; die staatliche Polizei greift in örtliche Angelegenheiten nicht ein und befaßt sich nur mit Verbrechen gegen den Staat. Die Orts-Gemeinwesen haben eine eigene Polizei, an manchen Stellen gehen die Aufgaben der Polizisten einfach periodisch von einem Bürger auf den anderen über. Das Orts-Gemeinwesen wählt Menschen aus, die in Konflikten, die die Bürger nicht selber lösen können, vermitteln; ein Ausschuß unter dem Ortsthing nimmt die Aufgaben des Gerichts wahr; wenn Strafe für notwendig erachtet wird, besteht sie häufig aus verschiedenen Formen der Quarantäne. 

Leitende Rechtsprinzipien sind,

 

Politik auf kommunaler Ebene

Das Kommunalthing in X-Stadt hat 40 Mitglieder — je einen Repräsentanten für jedes Orts-Gemeinwesen. Es tritt am ersten Mittwochnachmittag in jedem Monat zusammen. Alle Gemeinschaftsbetriebe und öffentlichen Institutionen der Kommune sind dann geschlossen. Stehen Fragen auf der Tagesordnung, über die die Meinungen auseinandergehen, kann die Sitzung sich durchaus bis zum Abend hinziehen. 

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Sie findet im Bürgerhaus statt und ist öffentlich. Normalerweise gibt es einige ioo Zuhörer, aber in einigen Fällen waren auch mehr als 500 dort. Die Zuhörer dürfen kurze Kommentare abgeben und Fragen an Thingabgeordnete richten, die aus dem Stegreif antworten. Die gesamte Sitzung wird über Kabelfernsehen innerhalb der Kommune übertragen, aber dennoch ziehen es viele Bürger vor, selber im Saal anwesend zu sein und den persönlichen Kontakt zu spüren. Die monatliche Sitzung des Kommunalthings hat sich zu einer Art von gesellschaftlichem Ereignis entwickelt und damit die tatsächliche Nahdemokratie aktiviert. (Das ist einer der vielen Bereiche, für den sich die Zukunfts­forscher der siebziger Jahre geirrt haben. Sie sagten voraus, daß die modernen Kommunikationsmittel für viele Ausbildungsformen, für Konferenzen, gesellschaftliche Zusammen­künfte usw. den direkten Kontakt zwischen Menschen nach und nach überflüssig machen würden. Die Entwicklung ist eher umgekehrt verlaufen.)

Einer der jüngsten Vorschläge im Kommunalthing, an dem sich die Gemüter erhitzten, war, auf dem Aussichtshügel nördlich der Stadt eine große Windmühle mit 2 MW Leistung zu bauen. Für eine Windmühle ist die Lage ideal, aber es ist auch eines der schönsten Naturgebiete der Gemeinde, und die Orts-Gemeinwesen waren in ihren Ansichten geteilt. Nach einer heftigen Debatte, die sich über Monate hinzog, wurde durch Volksabstimmung in .der Kommune entschieden, die Mühle an einem technisch weniger idealen Platz aufzustellen, wo sie aber andererseits nicht mit Rücksichten auf die Naturerhaltung in Konflikt kommt.

Die Kommunikation mit den Bürgern gilt als eine der wichtigsten Aufgaben des Kommunalthings. X-Stadt gibt ein eigenes kommunales Tageblatt heraus mit Diskussionsbeiträgen und Informationen, die für die Bürger der Kommune von politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Interesse sind. Außerdem benutzt man das Bürgerhaus als Informationszentrum und Stätte der Begegnung zwischen den Bürgern und ihren politischen Repräsentanten. 

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Jedes Ortsthing in der Kommune kommt mindestens einmal monatlich zu einer Sitzung zusammen und benutzt dazu das Bürgerhaus, falls im Orts-Gemeinwesen keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung stehen. Außerdem bringen einige der Orts-Gemeinwesen eigene informelle Wochenzeitungen heraus.

In den letzten Jahren wurden vom örtlichen Kabelfernsehen öffentliche Anhörungen und Sitzungen der Unterausschüsse der Kommunalthings ausgestrahlt. Alle Angelegenheiten der Kommune wurden öffentlich behandelt, aber dennoch geschah es, daß dieses oder jenes Orts-Gemeinwesen sich schlecht informiert fühlte. Dies liegt in der Regel daran, daß der örtliche Repräsentant im Kommunalthing im Informationsaustausch mit seinem Orts-Gemeinwesen nicht aktiv genug ist. Um die Vertrauensbasis zu erhalten, ist die Amtszeit auf ein Jahr begrenzt; außerdem kann auch in der Zwischenzeit ein Vertreter abgelöst werden. In den meisten Fällen ergab sich jedoch eher ein entgegengesetztes Problem: die Repräsentanten der Orts-Gemeinwesen haben die Tendenz, zu lange im Amt zu verbleiben. Um dem System mehr Dynamik zu verleihen, ist darum die Regel eingeführt worden, daß man höchstens acht Jahre lang hintereinander als Delegierter tätig sein kann.

Die Verwaltung des Kommunalthings zahlt den Bürgerlohn an alle Bürger in der Kommune und koordiniert die Gemeinschaftsprojekte der Kommune. Eine andere wichtige Aufgabe ist die jährliche Übersicht über die Beschäftigungssituation in der Kommune und über ihre Ausgaben für die Löhne. Spätestens am 1. August muß dieser Bericht dem Fachthing eingereicht sein, das für das Volksthing ein Memorandum über die Situation in ganz Dänemark ausarbeitet.

Als das System noch neu war, nahm diese Arbeit unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch. Der Begriff Arbeit wurde zu unflexibel und perfektionistisch aufgefaßt, insbesondere wurde scharf zwischen entlohnter und lohnfreier Arbeit unterschieden. Als die Hausarbeit mit Kinderaufsicht, Essenszubereitung usw. zur entlohnten Arbeit mit demselben Stun-

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denlohn wie andere Arbeit gemacht wurde, zeigte sich ein (unerwartet) großes Interesse an Hausarbeit. Es war derart groß, daß man aus übergeordneten wirtschaftlichen Rücksichten gezwungen war, die Zahl der entlohnten Hausarbeitsstunden zu begrenzen; sie muß im Verhältnis zur Größe und Zusammensetzung der Familie stehen. Derzeit kann niemand (weder für Arbeit im Haus noch außer Haus) mehr als 40 Lohnstunden pro Woche gutgeschrieben bekommen; aber viele Menschen arbeiten (im früheren Sinn des Wortes) bedeutend mehr.

Mit der jetzigen gelassenen Einstellung gegenüber der Frage entlohnter und lohnfreier Arbeit gibt es wenig Schwierigkeiten. Die jährliche Veränderung in den Beschäftigungs­wünschen der Kommunen sind relativ gering, und der jährliche Beschäftigungsbericht wird schnell und routinemäßig vorgenommen. Statt dessen wird die Zeit für eine ausführliche Debatte darüber genutzt, in welche neuen Aktivitäten investiert werden soll. Oft fällt die endgültige Entscheidung durch eine Volksabstimmung im Bereich der Kommune. In X-Stadt ging es bei der letzten Wahl darum, ob die größten Investitionen auf dem Sektor Gesundheit oder Ausbildung erfolgen sollten.

 

Politik auf nationaler Ebene

Das Volksthing hat 199 Mitglieder: 100 werden indirekt gewählt, jedes Kommunalthing entsendet einen Repräsentanten, 99 sind direkt gewählt. Die örtlichen Wahlen sind reine Personalwahlen, bei den Wahlen zum Volksthing kann für Parteien wie auch für Personen gestimmt werden, die zu keiner Partei gehören.

Das Volksthing wählt die Minister, die nur einmal wiedergewählt werden können, für einen Zeitraum von vier Jahren. Das Volksthing kann innerhalb einer Wahlperiode nicht aufgelöst werden, und auch die Mitglieder können nur einmal wiedergewählt werden. Das Volksthing führt regelmäßig mit Hilfe des Kabelfernsehens orientierende Volks­abstimmungen durch; ein Drittel dieses Gremiums kann beschlußfassende Volksabstimmungen durchsetzen.

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Die alten politischen Parteien, die vor allem als wirtschaftliche Interessenparteien fungierten, spielen keine große Rolle mehr. Es steht den Bürgern nach wie vor frei, sich in Interessenparteien zu organisieren, aber in den Orts-Gemeinwesen und Kommunen sind diese Parteien nicht repräsentiert. Die örtlichen Repräsentanten können sich einer Partei zugehörig fühlen, die Parteien im Volksthing können die Stimmen der örtlich gewählten Abgeordneten bekommen, aber es ist nicht vorstellbar, daß gerade diese für eine größere Macht der Parteien eintreten werden.

Lange Zeit hatte es sowohl eine Frauen- als auch eine Jugendpartei gegeben, die sich aber beide später aufgelöst haben, weil ihre Hauptforderungen erfüllt worden waren. Die größten Parteien im Volksthing sind jetzt keine wirtschaftlichen Interessenparteien im alten Sinn mehr, sondern lose Gruppierungen zu übergreifenden gesellschaftlichen Fragen, also die Umweltpartei, die Technologiepartei und die Partei für Fragen der Entwicklungsländer. Die Kandidaten dieser Parteien stellen sich auf der Basis von Programmen zur Wahl, die in verstärktem Maße einige übergeordnete politische Entwicklungslinien hervorheben; in anderen Fragen haben sie freie Hand. Hinzu kommen etwa 40 parteilose Abgeordnete, die ausschließlich aufgrund ihrer persönlichen Standpunkte und persönlichen Qualifikationen gewählt wurden. Bei dieser Zusammensetzung des Volksthings ist der Raum für parteitaktische Manöver sehr begrenzt.

Im früheren Parteiensystem versuchte man den Wählern die Illusion zu vermitteln, daß die Wahlprogramme ausreichend über die politischen Handlungen informierten, die man von den Repräsentanten der Parteien erwarten konnte. Die jetzige Struktur hat die Konsequenzen aus den schlechten Erfahrungen mit diesem Prinzip gezogen. Die Wähler werden jetzt aktiv in die gesamte vorbereitende Arbeit der Legislative einbezogen; desgleichen fällen sie in Volksabstimmungen in wesentlichen politischen Fragen die endgültige Entscheidung. Diese Prinzipien haben die Versuche überflüssig gemacht, alles erfassende und in alle Einzelheiten gehende Parteiprogramme aufzustellen.

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Die Arbeit im Volksthing ist weit weniger gehetzt als die im Folketing der siebziger Jahre, mit dem ständigen Strom neuer Gesetzesvorschläge und den vielen Parteien, die sich taktisch Profil zu geben versuchten. Nach der großen Durchforstung der Gesetze in den achtziger Jahren sind die Politiker sehr vorsichtig geworden und wollen die zentralisierte Bevormundung der Bürger des Landes vermeiden. Einen wesentlichen Teil der Zeit verwendet das Volksthing jetzt auf Prinzipiendebatten, die gründlich durchdachten Gesetzesvorlagen als Vorbereitung dienen. Das Plenarjahr des Volksthings beginnt mit einer allgemeinen Debatte zur Lage der Nation, die Basis ist umfassendes und durchgearbeitetes schriftliches Material der Regierung. Während man früher für diese Debatte nur einige Tage benötigte, ist jetzt ein voller Monat angesetzt; die Bürger werden aufgefordert, in dieser Zeit dem Volksthing Kommentare und Vorschläge zu unterbreiten.

Besondere Mühe wird darauf verwendet, die Bevölkerung aktiver für nationale und internationale politische Probleme zu engagieren. Der Informations- und Büchereidienst des Volksthings arbeitet eng mit den Volksbüchereien in ganz Dänemark zusammen. Auf diese Weise ist es gelungen, die Orts-Gemeinwesen laufend über die Arbeit in den Ausschüssen des Volksthings zu informieren. Gleichzeitig werden systematisch Kommentare und Vorschläge von einzelnen Bürgern, Orts-Gemeinwesen und Ausbildungsstätten gesammelt, damit dieses Material in die gesetzgeberische Arbeit einfließen kann. Man braucht nicht mehr besonders redegewandt zu sein, um seine Gesichtspunkte bis ins Volksthing zu bringen.

Aufgabe des Fachthings ist es, darauf zu achten, daß sämtliche Arbeit in allen politischen Ausschüssen öffentlich geschieht, es trägt auch dazu bei, Informationsmaterial auf allseitige und leichtverständliche Art zugänglich zu machen, beispielsweise durch öffentliche Anhörungen. 

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So gibt es unter der Regie des Fachthings seit mehr als einem Jahr öffentliche Anhörungen zu den Problemen der Entwicklungslander und den Möglichkeiten der Industrieländer, die materiellen Bedingungen der Entwicklungsländer schneller zu verbessern. Die Massenmedien haben dabei mit dem Fachthing eng zusammengearbeitet, und man rechnet damit, daß das Volksthing im Verlauf einiger Monate einen Vorschlag über eine erhebliche Aufstockung der dänischen Entwicklungshilfe zur Volksabstimmung vorlegen wird.

Die Einrichtung des Fachthings neben dem Volksthing hat eine Stärkung der politischen Aktivität mit sich gebracht. Das Fachthing hat besondere Bedeutung als beratendes und vorbereitendes Organ in Verbindung mit den Prinzipiendebatten des Volksthings. Größere Angelegenheiten werden im Volksthing erst dann behandelt, wenn das Fachthing gründliche Untersuchungen zu dem Thema vorgelegt hat.

Das Fachthing hat im Augenblick 200 Mitglieder, die von den Ausbildungszentren der Kommunen sowie von fachlichen und kulturellen Vereinigungen und Gesellschaften ernannt werden. Auch bei den Verbänden ist — wie bei den alten politischen Parteien — eine kräftige Verschiebung in der Funktion erfolgt. Der Dänische Gewerkschaftsbund, der in den siebziger Jahren eine erhebliche politische Rolle, nicht zuletzt bei den Tarifverhandlungen um die Ecklöhne, spielte, beschäftigt sich jetzt nur mit fachlichen Fragen und solchen der Ausbildung. Schon in den achtziger Jahren wurde deutlich, daß die neue gesellschaftliche Struktur und die neuen Produktionsformen die ursprünglichen Aufgaben dieser wirtschaftlichen Interessenorganisationen überflüssig machen würden; nur wegen der zahlreichen festangestellten Personen brauchte man lange Zeit, um die Konsequenzen zu ziehen. Einige andere Vereinigungen und Branchenvereine haben auch ihren Charakter verändert. Die Ingenieurverbände, die in den siebziger Jahren um höhere Gehälter für ihre Mitglieder (und um Kernkraftwerke) kämpften, gingen in den achtziger Jahren dazu über, sich ganz auf wissenschaftliche Fragen und die Fortbildung ihrer Mitglieder zu konzentrieren. 

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Eine neue politische Partei wurde gegründet; die Technologiepartei, ein Sprachrohr für die technisch-politischen Aspekte. Diese Partei hat im Volksthing dafür gekämpft, daß Dänemark sich in einigen hochqualifizierten technologischen Bereichen stärkere Geltung verschaffen sollte. Nachdem die Technologiepartei den Gedanken an Kernkraft und andere Formen der Mammut-Technik aufgegeben hat, arbeitet sie mit den anderen Parteien im Volksthing gut zusammen. Es hat sich als sehr vorteilhaft erwiesen, ausgewählte Formen hochqualifizierter Technologie mit der »angepaßten Technologie« (auch »Zwischentechnologie« genannt) zu kombinieren, die jetzt in der dänischen Industrie dominierend ist.

Alljährlich ist es eine der wichtigen Aufgaben des Fachthings, in der Zeit von August bis Oktober, wenn das Volksthing wieder zusammentritt, die Aufstellungen der Kommunen über Beschäftigungssituation und Lohnkosten zu analysieren. Dieses Material wird mit den Informationen von Danmarks Statistik über die allgemeine wirtschaftliche Situation verglichen — wozu auch Devisenbilanz und Konjunktur für den dänischen Export gehören. Auf dieser Basis arbeitet das Fachthing einen Bericht für das Volksthing aus, der die durchschnittliche wöchentliche Zahl von Arbeitsstunden und den dem entsprechenden Stundenlohn (abgesehen vom Bürgerlohn) vorschlägt. Außerdem wird die Situation der einzelnen Kommunen beurteilt, zum Beispiel: welche Kommunen brauchen in verstärktem Maß staatliche Investitions- und Lohnzuschüsse. 

Sind die Gemeinschaftsbetriebe einer Kommune von den internationalen Wettbewerbsbedingungen besonders hart betroffen, kann sie die einstweilige Erlaubnis erhalten, bis zu drei Jahren einen etwas niedrigeren Stundenlohn als den Durchschnitt anzusetzen. Verbessert sich die Beschäftigungssituation der Kommune in diesem Zeitraum nicht, müssen einige der Bewohner Arbeit in anderen Kommunen annehmen. Diese Probleme können aber in der Regel — unter anderem durch erhöhte staatliche Aktivität in den betreffenden Kommunen — rasch gelöst werden.

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In Verbindung mit dem Beschäftigungsbericht analysiert das Fachthing auch die Produktionspläne der Gemeinschaftsbetriebe hinsichtlich der Bedürfnisse des Gemeinwesens und einiger übergeordneter Ressourcen- und Umweltgesichtspunkte. Das Resultat sind Rahmenpläne für die Produktion des nächsten Jahres, die in einigen Punkten durchaus von den Plänen der Gemeinschaftsbetriebe abweichen können. So hat es sich als durchgehende Tendenz erwiesen, daß das Fachthing eine niedrigere Zuwachsrate der Produktion als die einzelnen Kommunen befürwortet, speziell auf Gebieten, die die Ressourcen belasten. Dieser Widerspruch konnte jedoch durch größere Wiederverwertung teilweise gelöst werden.

Die Produktionsrahmen des Fachthings dürfen nicht als Instrument aufgefaßt werden, die Produktion der Unternehmen bis ins einzelne zu lenken. Aber sie stecken generelle Richtlinien ab, die die staatlichen Repräsentanten in den Vorständen der Gemeinschaftsbetriebe in die Produktionspläne einzubringen versuchen. Besonders können sie ihren Einfluß in Verbindung mit den staatlichen Beiträgen für Neuinvestitionen geltend machen. Diese flexible Wechselwirkung ist bislang ausreichend gewesen, die übergeordneten Rücksichten des Gemeinwesens wahrzunehmen.

Der Beschäftigungs- und Produktionsbericht des Fachthings wird am i. Oktober dem Volksthing übergeben. Er ist so gut vorbereitet, daß das Volksthing innerhalb von drei Wochen den endgültigen Rahmen des kommenden Jahres auf diesen Gebieten festlegen kann. Etwa um den i. Mai stellt das Fachthing auf der Basis der tatsächlichen Ergebnisse des ersten Quartals eine Zusatzanalyse auf. In der Regel führt diese dazu, daß das Volksthing per 1. Juni den Rahmen geringfügig justiert.

Die Bevölkerung hat sich bereits so gut an das System gewöhnt, daß man es als natürlich betrachtet, daß der Stundenlohn bei den halbjährlichen Justierungen auch herabgesetzt werden kann. Im übrigen hat die Justierung nur ein einziges Mal mehr als drei Prozent betragen.

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Es scheint in der Gesellschaft des Gleichgewichts geglückt zu sein, jene Tendenzen zur Zentralisierung und Dezentralisierung zu vereinigen, die früher im Widerstreit lagen; einerseits das Bedürfnis der Gesellschaft nach effektiver Lenkung und andererseits das Bedürfnis der Bürger nach Selbstbestimmung. Die Gesellschaft des Gleichgewichts ist eine Gesellschaft aus Gesellschaften, eine Gemeinschaft aus Gemeinschaften. Nur die Aufgaben landespolitischer oder außenpolitischer Natur werden dem Volksthing und den Organen des Staates übertragen.

 

Dänemarks Sicherheitspolitik 

Ende der achtziger Jahre kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem traditionellen Gedankengang, daß die Existenz der Nation sich im militärischen Bündnis mit den westlichen Großmächten auf Streitkräfte mit ständig wachsendem Umfang gründen müsse. Unabhängige Analysen hatten gezeigt, daß das Wettrüsten früher oder später zu einem alles vernichtenden Atomkrieg führen würde, und in diesem Zusammenhang wirkte der Gedanke, die dänische Verteidigung weiterhin in traditionellen Bahnen auszubauen, absurd. Statt dessen wurden die alten Ideen einer gewaltlosen Verteidigung aufgegriffen und politisch real durchdacht. Die Argumentation für die Anwendung des Prinzips der Gewaltlosigkeit basierte darauf, daß

Die Erfahrungen hatten bewiesen, daß auf Gewaltlosigkeit basierende Verteidigung nicht dasselbe ist wie eine defaitistische Haltung der Selbstaufgabe. Im Gegenteil, diese Form der Verteidigung kann bedeutend wirkungsvoller sein als ein militärischer Apparat, der im Fall eines Angriffs von außen doch innerhalb von kurzer Zeit lahmgelegt wird. Verteidigung durch Gewaltlosigkeit geht erstens darauf aus, den Willen des Gegners zu beeinflussen und ihn zweitens am Erreichen seiner Ziele zu hindern.

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Den Anordnungen des Gegners den Gehorsam zu verweigern, seinen Handlungen entgegenzuarbeiten, seinen Drohungen und Strafen zu trotzen, der Versuch, die Moral seiner Truppen und seines Verwaltungsapparats zu zersetzen sowie der Aufbau einer parallelen Regierungsmacht — das gehört zu den Methoden, die man anwenden und vorbereiten kann. Weil sich immer mehr Menschen diesen Prinzipien anschlössen, konzentriert sich die dänische Verteidigung nun auf Objektschutzarbeit und gewisse zivile Aufgaben zur Unterstützung der Schiffahrt, auf Fischereischutz, auf Bewachungsaufgaben, um Neutralitätsverletzungen zu vermeiden usw. Damit ist der Verteidigungshaushalt auf ein Viertel seiner Kosten in den siebziger Jahren gesenkt worden. 

Ein wesentlicher Teil der Ersparnisse wird jetzt für »sicherheitspolitische« Zwecke in internationalem Rahmen eingesetzt: größere Leistungen für die Entwicklungsländer, Unterstützung der internationalen Friedensforschung und der internationalen Organe, die für die Abrüstung und die Vorbeugung militärischer Konflikte arbeiten, sowie verstärkte Leistungen in internationalen Organen. Im Gegensatz zu früher treten die dänischen Delegationen jetzt auf internationalen Begegnungen und Konferenzen zahlenmäßig stark und gut vorbereitet auf. Die Mitglieder werden auf der Basis ihres fachlichen und politischen Könnens ausgewählt, und man strengt sich erheblich an, die Delegationen mit gründlich durchgearbeitetem Material zu versorgen. Und das hat sich gelohnt: Obwohl Dänemark ein kleines Land ohne besondere Machtmittel ist, schenkt man unseren Ansichten im internationalen Rahmen jetzt erheblich mehr Gehör.

Der Vorschlag, einen internationalen Rat für Friedensforschung einzurichten, der aufgrund dänischer Initiative unterbreitet worden war, hatte im Laufe der achtziger Jahre zu konkreten Ergebnissen geführt. Es wurde aus etwa 50 hervorragenden Persönlichkeiten aus allen Teilen der Welt, die unterschiedliche Ideologien, Rassen, Regionen und Fachgebiete repräsentierten, ein Rat gebildet. 

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In den ersten fünf Jahren bezahlte der dänische Staat die laufenden Ausgaben des Rats, aber danach wurden sie international finanziert. Eine Gruppe von Mitarbeitern, die großes fachliches Ansehen genießt, arbeitet daran, Informationen über die Probleme vorzulegen, die den Weltfrieden bedrohen. Die Unabhängigkeit des Rats von nationalen Interessen sowie sein hohes Niveau haben dazu geführt, daß das von ihm vorgelegte Material für die politischen Gespräche auf internationaler Ebene von wesentlicher Bedeutung ist.

Die großen Einsparungen im Verteidigungshaushalt haben es erleichtert, im Volksthing eine wesentliche Erhöhung der Zahlungen an die Entwicklungsländer durchzusetzen. Gleichzeitig wurde die Form der finanziellen Unterstützung geändert, sie ist nun in steigendem Maße zu einer Zusammenarbeit geworden. Eine große Zahl Jugendlicher reist in die Welt hinaus und verbringt einige Jahre in Entwicklungsländern, wobei die Arbeit besonders darin besteht, in den armen landwirtschaftlichen Bezirken eine angepaßte Technologie zu etablieren. Die genaue Kenntnis der Probleme in den Entwicklungsländern hat in der dänischen Bevölkerung zu einem neuen Gefühl der Mitverantwortung geführt.

 

Dänemark im internationalen Zusammenhang

Im Laufe der achtziger Jahre wurde es deutlich, daß die vielen Vorstellungen von einer engeren politischen und wirtschaftlichen Integration der EG-Länder nicht realistisch waren. England und Frankreich hatten sich wechselweise positiv oder negativ verhalten (je nachdem, was sie an besonderen Vorteilen erreichen zu können glaubten), Dänemark und Irland waren skeptisch und zögernd, Italien war überwiegend mit eigenen Problemen beschäftigt. Weil zum Schluß nur noch die Bundesrepublik Deutschland an dem Gedanken einer politisch-wirtschaftlichen Union festhielt, wurde der Kurs der EG geändert.

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Statt nach Integration strebte man nun nach einer loseren Zusammenarbeit mit effektiver überstaatlicher Kompetenz auf den wenigen Gebieten, auf denen ein wirklicher Bedarf bestand (Ausnutzung der Meeresschätze, bestimmte Umweltfragen usw.), während die anderen Bereiche dezentral in einer lockeren Zusammenarbeit der Länder behandelt wurden. Bis zum Ende des Jahrhunderts hatten sich Norwegen, Schweden, die Schweiz, Spanien, Portugal und Griechenland voll in diese westeuropäische Zusammenarbeit einbeziehen lassen.

Für die meisten Waren besteht Handelsfreiheit, aber man hat sich damit abgefunden, daß es Basisbereiche gibt (Lebensmittel, Energie, bestimmte industrielle Güter), in denen die einzelnen Länder oder eine Gruppe einander nahestehender Länder möglichst Selbstversorger sein wollen; sie sichern also die Binnenmarktproduktion in gewissem Umfang gegen Wettbewerb ab. Dänemark, Norwegen und Schweden bilden innerhalb Westeuropas eine solche Gruppe mit einer besonders engen politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit. (Die Erfahrungen haben dafür gesorgt, daß man »Selbstversorgung« nicht mehr mit »Selbstgenügsamkeit« gleichsetzt.)

Die Bindungen an die anderen westeuropäischen Länder haben kein Hindernis für den Systemwechsel in Dänemark bedeutet. Im Gegenteil, das dänische Experiment ist auf weites Verständnis gestoßen und wird mit Interesse verfolgt, nicht zuletzt von den anderen kleinen Ländern in Westeuropa. Nachdem sich erwiesen hat, daß der Systemwechsel überdies für unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von Vorteil war, ist das Interesse zusätzlich gewachsen; unsere Produktionsformen und unser politisches System werden allmählich mancherorts nachgeahmt.

Die ernsthaftesten Gegner dieses Systems waren die multinationalen Gesellschaften, die ihr Wachstum in großem Umfang auf eine globale Arbeitsteilung und vollständige wirtschaftliche Handlungsfreiheit stützten. Sie behaupteten, die Restriktionen im Hinblick auf Kapitalüberführung und die freie Wahl des Standorts für eine Produktion würden für die allgemeine Effektivität der Produktion katastrophale Folgen haben, und das würde sowohl den Industrie- als auch den Entwicklungsländern schaden.

Auf der Basis der tatsächlichen Erfahrung in den achtziger Jahren wirkte diese Argumentation jedoch wenig überzeugend, und der Einfluß der multinationalen Gesellschaften ist seit etwa 20 Jahren rückläufig.

Nach der Stabilisierung ihrer inneren Situation haben die kleinen westeuropäischen Länder (allen voran Dänemark, Norwegen, Schweden, Holland und die Schweiz) auf internationaler Ebene einen besonderen Beitrag zur Lösung der beiden überfälligen Probleme leisten können: eine neue gerechte Weltordnung und eine wirkliche militärische Entspannung. Durch eine aktive Außenpolitik ist es dieser Gruppe gelungen, in so vielen Ländern Gehör zu finden, daß sie einen regelrechten Druck auf die drei Supermächte ausüben konnten. Noch ist die Voraussage verfrüht, ob es gelingen wird, der weltweiten Menschheitsdämmerung zu entgehen. Zunächst einmal haben sich die reichen Länder bereit erklärt, den wirtschaftlichen Ausgleich auf weltweiter Basis erheblich zu verstärken, und die Supermächte haben eine reelle internationale Kontrolle ihrer militärischen Sektoren akzeptiert. Am wichtigsten ist jedoch, daß die für den dänischen Systemwechsel charakteristische Änderung des Verhaltens langsam in internationalen Zusammenhängen spürbar wird.

Viele Fragen zur Gesellschaft des humanen Gleichgewichts mußten hier unbeantwortet und viele Punkte mußten unberührt bleiben. Zum Glück für die Autoren ist aber zu einem günstigen Zeitpunkt ein gemäßigter Skeptiker aufgetaucht, dessen (gar trefflich formulierte) Fragen den Autoren die Möglichkeit geben, die neue Gesellschaft ergänzend zu beleuchten.

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