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(IV)  Sechste Gruppensitzung 

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Unbewusstes 

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In dieser Sitzung nahmen wir uns eines schwierigen Themas an, welches in verschiedenen Aspekten fast alle unsere Patienten bereits einmal beschäftigt hatte und ihre Erwartungen hinsichtlich Psychotherapien im allgemeinen prägte. Die Schwierigkeit dieses Themas beginnt schon mit seiner Bezeichnung: Die Patienten pflegten unseren Diskussionsgegenstand das Unterbewusste zu nennen. 

Da aber unsere Selbsterfahrung mit der Primärtherapie unter anderem ergeben hatte, dass angeblich "unbe­wusst­es" Material ohne fremde Deutung in einer Menge spontan bewusst wurde, wie dies nach konvent­ionellen Vorstellungen über das Unbewusste gar nicht möglich sein dürfte, blieben wir dem Terminus "Unbewusstes" gegenüber vorsichtig. Um einen Arbeitsbegriff zu haben, nannten wir solches Material vorläufig "unformuliert". 

Im folgenden thematisierten wir typische Vorgänge innerhalb der Primärtherapie, in denen unformulierte Konzepte möglicherweise das Handeln und Denken von Menschen beeinflussen. Das erste dieser Themen ist das Idealkonzept von der eigenen Person, welches oft unbemerkt in Handlungen eingeht und nicht selten eine realistische Sicht der Dinge verhindert.

Die Patienten hatten in der Regel eine genaue Vorstellung davon, in welche Richtung sie sich mit Hilfe der Therapie entwickeln wollten. Nach dem Sinn solcher Veränderungen befragt, gaben sie den Wunsch an, sich in gewisser Hinsicht zu vervollkommnen, weil sie sich erhofften, über diesen Weg mehr Zuwendung zu erhalten. Sie gingen von der Vorstellung aus, wären sie nur ein wenig netter, erfolgreicher, geduldiger, fleißiger oder mutiger, so würde dies dazu führen, dass sie von anderen Menschen eher angenommen würden. 

Sie hatten im Laufe ihres Lebens schon viele Anstrengungen in dieser Richtung unternommen. Der Entschluss, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen, wurde oft als der letzte und entscheidende Schritt betrachtet, durch den ein endgültiger Durchbruch auf dem Weg zum Geliebtsein und Anerkanntwerden erreicht werden sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, waren die Patienten dazu bereit, sich ständig zu überfordern; sie waren sogar willens, sich in eine Richtung zu verändern, in der sie sich selbst nicht repräsentiert fühlten, um Zuwendung und Anerkennung ihrer Umwelt zu erhalten. 

Fast alle hatten erleben müssen, dass Zuwendung und Liebe der Bezugspersonen ihrer Kindheit an bestimmte Forderungen gekoppelt wurden. Die Kinder sollten anders sein oder sich anders verhalten, als es ihnen selbst in der jeweiligen Situation gemäß gewesen wäre. Insofern stellt der Versuch eines in seinem Berufsleben erfolgreichen Erwachsenen, der ohne äußeren Druck und Notwendigkeit sich ständig überfordert, um noch erfolgreicher zu werden, unter Umständen auch einen Versuch dar, endlich die Liebe und Anerkennung zu erreichen, die ihm immer vorenthalten worden war. 


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Wenn ein Kind, das sich als unerwünscht und ungeliebt erlebt, ständig hört, wie seine Mutter die schwarzen Haare eines Nachbarkindes bewundert, oder die schulischen Leistungen der Kinder ihrer Freundin besonders hervorhebt, so kann sich in dem Kind der Eindruck verfestigen. es sei "nicht richtig". Hätte es nur die richtige Haarfarbe oder wäre es intelligenter, hätte es auch ein Anrecht darauf, geliebt zu werden. Dieses Kind wird sich vielleicht als Erwachsener seine Haare färben und eine akademische Karriere anstreben, in der unhinterfragten Hoffnung, die Liebe der Mutter noch erringen zu können.

Bisweilen erreichen Menschen tatsächlich solche Ziele und erhalten unter Umständen darüber auch Anerkennung und Zuwendungen. Trotzdem bleiben diese Menschen im Grunde verunsichert, da sie das, was sie tun und leisten, nicht aus einer echten, sondern aus einer opportunistischem Motivation heraus entwickelt hatten. Sie haben ihrer Umgebung etwas vorgespielt und müssen daher ständig befürchten, dass die Zuwendung, die sie erhalten, nicht ihrer Person gilt, sondern ihnen nur so lange zuteil wird, wie sie diese Rolle spielen.

Wenn dann etwa auf Grund einer Krankheit diese Rolle nicht mehr durchgehalten werden kann, muss das Zurückgewiesensein von Neuem gefühlt werden. Wenn Patienten sich dazu entschließen, sich mit dieser Problematik zu konfrontieren, so bedeutet dies in der Regel, dass sie als erstes realisieren müssen, von ihren Bezugspersonen nicht gemocht worden zu sein und die Versuche, sich Zuwendung um den Preis der Verleugnung der eigenen Person zu erzwingen, häufig genug fehlschlugen.

Eine solche Einsicht ist schmerzhaft und verletzend. Besonders traurig daran ist die Erkenntnis, dass man sich Zeit seines Lebens vergeblich bemüht hat und die Bemühungen um Anerkennung teilweise Stresskrankheiten und gestörte soziale Kontakte zu Folge hatten, weil alle anderen Bedürfnisse nur einem bestimmten Ziel untergeordnet wurden. Erst in dem Augenblick, in dem der ohnehin längst verlorene Kampf um Liebe und Anerkennung der Bezugspersonen bewusst aufgegeben wird, sind Menschen auch in der Lage, von jetzt an ihr Leben entsprechend ihren tatsächlichen Bedürfnissen zu gestalten. Wenn sie schon von ihrer Umgebung nicht akzeptiert worden waren, so können sie doch wenigstens aufhören sich selbst zu hassen und ständig unter Druck zu setzen und statt dessen entsprechend ihrer realen Belange leben.

Dass sich in der Folge dann tatsächlich ein positives Grundgefühl ausbreitet und dass Menschen, die eine positive Einstellung zu sich entwickelt haben, auch von anderen eher gemocht werden, war eine Erfahrung, die die Patienten erst im Nachhinein beschreiben konnten.


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Weil die Patienten mit Hilfe des beschriebenen Verfahrens selbstständig dazu in Lage sind, solche Zusammen­hänge zu erkennen, betrachteten wir es nicht als unsere Aufgabe, sie bei jedem einzelnen Patienten individuell aufzudecken. Eine andere Form des Ich-Ideals kann sich herausbilden, wenn auf Grund bestimmter Mangelsituationen Vorstellungen oder Tagträume entstehen, in denen fehlendes Gefühl ausgedrückt wird. Dass sich jemand, der hungert, wunderschön gedeckte Tische mit einer Vielzahl köstlicher Speisen vorstellt, ist nicht umsonst Inhalt des berühmten Märchens vom Mädchen mit den Schwefelhölzern von Hans Christian Andersen.

Üblich ist auch die Vorstellung kleiner (und größerer) Mädchen, Prinzessin zu sein. Zur Ausstattung einer richtigen Prinzessin gehören bekanntlich ein langes Kleid, Seidenschuhe mit hohem Absatz, lange Haare und eine Krone. Fragt man nun wie sich eine solche Prinzessin fühlt, so stellen sich die Mädchen vor, sie sei selbstbewusst, fühle sich sicher, locker, souverän etc. Dass aber eine Krone, deren Gewicht mehrere Pfund beträgt, längere Zeit auf dem Kopf getragen, Kopfschmerzen verursacht; dass lange Seidenkleider und Schuhe mit hohen Absätzen keine freien und ungehinderten Bewegungen zulassen und zudem strenge Bestimmungen der Etikette eingehalten werden müssen, wird in die Vorstellungen nicht mit einbezogen.

Tragisch ist es, wenn Menschen versuchen, die konkreten Inhalte ihrer Wunschvorstellungen oder Tagträume eins zu eins umzusetzen, anstatt aufzuspüren, welcher physische und psychische Mangel sich in einer solchen Vorstellung symbolisiert. Es ist denkbar, dass ein Arbeiter, der in einer zugigen, lauten Fabrikhalle arbeitet, von einem Urlaub an einem warmen einsamen Strand träumt und um sich diesen Urlaub leisten zu können, Überstunden macht unter gerade den Bedingungen, die seine Tagträume erst hervorbringen. Um so trauriger ist es dann, wenn sich im realen Urlaub das ersehnte Gefühl nicht einstellt. Würde dieser Arbeiter nun die Inhalte seiner Tagträume in Zusammenhang mit seinem Arbeitsplatz sehen, so könnte eine mögliche Konsequenz darin bestehen, über den Betriebsrat Vorschläge einzubringen, die darauf abzielen, das Raumklima und die Lärmemission in der Fabrikhalle zu verändern.

Bei der Arbeit mit Tagträumen geht es also nicht darum, die Symbole für das Eigentliche zu nehmen, sondern die Defizite zu erkennen, die sich hinter solchen Symbolen verbergen. Es ist nicht Sinn der Therapie, die Patienten dafür fit zu machen, endlich ihre neurotischen Zielvorstellungen umsetzen zu können, sondern die Entstehung solcher Zielvorstellungen zu hinterfragen und aufzuarbeiten.


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Zu den Phänomenen, die von den Patienten gewöhnlich mit Unterbewusstem in Verbindung gebracht und deshalb in dieser Sitzung besprochen wurden, gehört neben den Tagträumen auch Träumen im Schlaf. Patienten, die sich vorher einer Psychoanalyse unterzogen hatten, war es geläufig, sich ihre Träume zu notieren, um sie in der Therapie zu verwerten. Da die Primärtherapie aber im wesentlichen mit Körper­empfindungen arbeitet, empfahlen wir den Patienten, auf eine Interpretation der im Traum erlebten Inhalte zu verzichten. Seit Anfang des Jahrhunderts ist bekannt, dass kinaesthetische und andere sinnliche Eindrücke auf Trauminhalte Einfluss haben.115,116,117 Da sie in unkontrollierbarer Weise darin eingehen, halten wir personenbezogene Deutungen von Trauminhalten vorläufig für spekulativ und raten unseren Patienten davon ab. Statt dessen konnten sie die Empfindungen beschreiben, die bei ihnen im Traum aufgetreten waren.

Solche Empfindungen sind in jedem Falle persönliche Erfahrungen und als solche Teil der Realität. Wenn die Patienten sich an ein wesentliches Gefühl aus ihrem Traum erinnerten, so sollten sie dieses wie üblich beschreiben und dann im wachen Zustand therapeutisch damit arbeiten. Dies hat sich auch bewährt, wenn Patienten über immer wiederkehrende Träume berichteten, bei denen gewöhnlich ein besonderes Bedürfnis nach Deutung besteht. Die Art und Weise, in der geträumt wird, scheint sich während der Therapie zu verändern. So berichteten Patienten, dass sich die Inhalte der Träume nach längerer Primärtherapie immer mehr dahingehend veränderten, dass sie nur noch solche Episoden enthielten, wie sie durchaus auch in der Realität hätten stattgefunden haben können. Dies entspricht auch unserer eigenen Erfahrung.

Eine weitere typische Verhaltensweise, die beinahe jeder unserer Patienten von sich kannte und die zumindest unbeabsichtigt geschieht, kam ebenfalls in dieser Sitzung zu Sprache: Regelmäßig berichteten Patienten von Partnerschaftsproblemen, die im wesentlichen darauf zurückzuführen waren, dass sie ständig ihren jeweiligen Partnern unaufgefordert bestimmte Aufmerksamkeiten, besondere Formen der Zuwendung entgegenbrachten, welche von jenen zu ihrem Kummer oder Ärger nicht in der erwarteten Art und Weise gewürdigt und beantwortet wurden.118)

Es scheint demnach für viele Menschen Ausdruck eines besonderen Liebesbeweises zu sein, bestimmte Opfer für einen anderen Menschen zu erbringen. Dies kann sich in Kleinigkeiten ausdrücken, wie einem geliebten Menschen das vermeintlich bessere Stück Kuchen zu überlassen oder darin, etwas wegzuschenken, an dem man selbst großen Gefallen findet.

 

115)  Freud, S., 1940- 52, Bd.2/3: 28  
116)  Vold, M. , 1900: 834  
117)  Dement und Wolpert 1974: 47 zit. nach Borbé1y, A. , 1987: 66  
118) vergl. Richter, H.E., 1972: 168


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Besonders dann, wenn diese Liebesbeweise unaufgefordert erbracht und nicht als solche deklariert werden, können sie zum Anlass unglücklicher Missverständnisse werden. Wenn nämlich als "Opfer“ etwas angeboten oder weggegeben wird, das für den Geber einen großen Wert darstellt, vom Empfänger aber unter Umständen nur mit halbherzigem Dank entgegengenommen wird, um den Schenkenden nicht zu kränken.

Fragt man nun nach, warum jemand unaufgefordert etwas weggibt, an dem ihm selbst so viel gelegen ist, so bekommt man zunächst regelmäßig zur Antwort, es handele sich hierbei um einen besonders großen Gunstbeweis.

Ginge es nur darum, dem anderen eine Freude zu machen, so stellt sich die Frage, warum der Betreffende seinem Partner nicht das schenkt oder gibt, was dieser sich wünscht. Es zeigt sich meist, dass dieses Geben gar nicht so uneigennützig gemeint war, wie es vielleicht zuerst erschien. Dahinter verbirgt sich oft der Versuch, die Art von Aufmerksamkeit und Zuwendung, die dem Partner unaufgefordert entgegen­gebracht wird, selbst zu erhalten.

Wesentlich ist dabei, dass es letztlich darum geht, etwas ganz Bestimmtes zu bekommen. Insofern versteckt sich hinter den unaufgefordert erbrachten Liebesbeweisen der Versuch zu signalisieren, die nämlichen Liebesbeweise sollten dem Geber von den Augen abgelesen werden. Das Schenken hat in diesem Fall die Funktion des Beispielgebens. Der Beschenkte soll erkennen, was der Gebende eigentlich braucht.

Für erwachsene Menschen wäre es nun leicht möglich, sich ihre Wünsche selbst zu erfüllen und ihren Partnern das zu geben, was diese sich ihrerseits wünschen. Indem sich jemand aber selbst das gibt, was er braucht und dem anderen das, was dieser gerne hätte, wird gleichzeitig der kindliche Anspruch auf Versorgung aufgegeben. Damit verbunden ist die Einsicht, dass eine bestimmte notwendige Zuwendung zu einem Zeitpunkt, als eine Selbstversorgung noch nicht möglich war, nicht stattgefunden hat und auch nicht mehr nachgeholt werden kann.

Die Diskussion dieser Dinge war für viele Patienten der Anlass dafür, ihre Vorstellungen und Erwartungen an eine Zweierbeziehung neu zu überdenken. Für einige stellte sich dabei heraus, dass sie letztlich, ohne sich dies im einzelnen klar gemacht zu haben, von einer idealen Liebesbeziehung erwarteten, von ihrem Partner unaufgefordert ihre Wünsche erfüllt zu bekommen.

Eine solche Vorstellung entspricht aber eher den Bedürfnissen eines Säuglings oder Kleinkindes, das seine Bedürfnisse noch nicht deutlich artikulieren und sie erst recht nicht selbst befriedigen kann.


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Hat man diese Zusammenhänge erst einmal verstanden, so kann man bei entsprechender Selbstbeobachtung jeweils daraus schließen, wo solche kindlichen Residuen in einem selbst noch wirksam sind und anschließend mit Hilfe der Therapie korrigieren. Um den Begriff des "Unterbewussten" vom Biologischen her fassbar zu machen, informierten die Patienten noch darüber, daß bestimmte Funktionen des menschlichen Nervensystems offenbar in keinem Fall bewusstseinsfähig sind.

Als Beispiel führten wir Veränderungen im visceral innervierten Bereich an. So kann zwar die Wirkung einer plötzlichen Erweiterung von Blutgefäßen in der Peripherie an der auftretenden Wärmempfindung festgestellt werden, die Bewegung der Gefäßmuskulatur selbst aber ist der bewussten Wahrnehmung nicht direkt zugänglich.

 

 


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7. GRUPPENSITZUNG    Verwirrung als Trauma 

 

 

Manche Patienten schilderten Konfliktsituationen, denen sie real ausgesetzt waren und für die sie keine Lösung finden konnten. Um ihnen einen allgemeinen Zugang zu ermöglichen, informierten wir in dieser Sitzung über die möglichen Konflikttypen: die Qual der Wahl zu haben, vom Regen in die Traufe zu kommen, oder etwas Unangenehmes in Kauf nehmen zu müssen, um etwas Angenehmes zu erreichen (Appetenz-Appetenz-, Aversions-Aversions-, Aversions-Appetenz-Konflikte).119

Damit konnten die Patienten bei sich selbst bestimmen, um welche Art von Konflikt es sich bei ihrem Problem handelte. Nun boten wir ihnen eine besondere Vorgehensweise an, mit Hilfe derer sie in Konfliktsituationen leichter zu einer Entscheidung gelangen konnten. Als Grundlage dazu beschrieben wir einen klassischen Versuch PAWLOW's, bei dem Hunde lernten, eine Ellipse von einem Kreis zu diskriminieren, wobei die richtige Wahl darüber entschied, ob der Hund Futter bekam oder mit elektrischen Stromschlägen traktiert wurde. Nachdem die Hunde beide Formen sicher gegeneinander abgrenzen konnten, wurden die beiden Figuren einander langsam angenähert. Die Hunde blieben fähig, die einander angeglichenen Figuren zu unterscheiden, bis sie sich fast vollständig glichen (Achsenverhältnis 9:8).

Erst zu diesem Zeitpunkt reichte das Diskriminierungsvermögen des Tieres nicht mehr aus und es reagierte mit Dekompensation und massiven somatischen Störungen.120 Um sich in solchen quälenden Konflikt­situationen leichter entscheiden zukönnen, sollten die Patienten die möglichen Konsequenzen einer Entscheidung für die jeweilige Alternative klar herausarbeiten und auch ganz bewusst dabei übertreiben, um die jeweiligen Gegensätze klarer zu kontrastieren Wenn also der Konflikt sich beispielsweise darin ausdrückte, dass eine Patientin sich nicht entscheiden konnte, ob sie mit ihrem Partner zusammenzubleiben und eine Zuneigung heucheln sollte, die nicht bestand, oder allein zu leben, wovor sie sich fürchtete, so konnte sie sich in einem Gedankenexperiment ausmalen, was es für sie bedeuten würde, ihr ganzes Leben abhängig zu sein und Gefühle vorspielen zu müssen. Gleichzeitig sollte sie auf die begleitenden Gefühle achten.

Im Gegenzug sollte sie sich vorstellen, wie es sein würde, wenn sie für immer allein bleiben und mit ihrer Angst zurecht kommen müsste. Auch dies sollte sie sich übertrieben ausmalen und dabei wiederum ihre Gefühle registrieren. Mit dem so erlangten Bewusstsein vom Stellenwert der jeweiligen Alternativen, fiel es ihr leichter, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zur Grundlage ihrer Entscheidung zu machen.

 

119)  vergl. Hinde, R.A., a.a.O.: 410- 466
120)  Pawlow, I.P., 19 zit. n. Halder, P. 1973: 32 


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Diese Vorgehensweise ist sinnvoll, wenn in einer Situation eine optimale Lösung nicht erreicht werden kann, aber eine Entscheidung getroffen werden muss. Solche Entscheidungen werden nicht ein für alle mal getroffen, sondern können situativ sehr wohl unterschiedlich ausfallen. Dieselbe Patientin könnte unter dem Einfluss einer Erkältung zu einer anderen Lösung gelangen, als hätte sie die Entscheidung nach einem erholsamen Wochenende, gut ausgeruht, zu fällen.

Immerhin führt die beschriebene Vorgehensweise, die nicht allein logische Argumente, sondern auch die gefühlsmäßige Situation des Individuums in die Entscheidung einbringt, zu einer unmittelbaren Entlastung. Daher ist sie auch zur Krisenintervention geeignet.

Kamen die Patienten zu der Überzeugung, bei dem Konflikt seien zwar Aspekte der aktuellen Situation von Bedeutung, aber im wesentlichen seien in diesem Konflikt überkommene Erlebnisanteile enthalten, so konnten sie die Gefühle, die sich während der gedanklichen Überpointierung der Konfliktanteile gezeigt hatten, aufgreifen, beschreiben und dann mit den im diesem Zusammenhang auftretenden Assoziationen im Sinne der Therapie umgehen.

Bei einigen Patienten fiel auf, dass sie ständig die gleichen Konflikte beschrieben und immer neue Aspekte berichteten, die bei der Lösung ihres Konfliktes berücksichtigt werden müssten. Solche Patienten forderten wir auf zu überlegen, ob sie einen Nutzen davon hatten, ihr Problem selbst dann aufrechtzuerhalten, wenn damit Schwierigkeiten verbunden waren. So konnte das Beibehalten des Konfliktes dazu dienen, Probleme zu verdecken, die viel schwerer anzugehen gewesen wären, als der aktuell geäußerte Konflikt. Als Beispiel dafür mag die Geschichte von der Mutter dienen, die ihrem Sohn zwei Hemden schenkte und ihn, nachdem er das eine angezogen hatte, gekränkt fragte, ob Ihm denn das andere nicht gefalle.

In einer solchen, sogenannten double-bind-Situation121), würde der Sohn, versuchte er den Konflikt zu lösen, indem er das richtige" Hemd anzieht, zu keinem befriedigenden Ergebnis kommen können. Würde er sich dazu entscheiden, einfach eines von den Hemden zu tragen und den Konflikt nicht auf der Ebene zu lösen, auf der er ihm angetragen wird, so müsste er sich mit dem vielleicht sehr viel größeren Problem auseinandersetzen, dass seine Mutter ständig versucht, ihn mit unfairen Tricks ins Unrecht zu setzen. Es kann sich für ein Kind unter Unständen als sinnvoller erweisen, einen scheinbar unlösbaren Konflikt mit sich zu tragen, als der Realität, einer verrückten Mutter ausgeliefert zu sein, ins Auge sehen zu müssen.

 

121)  Watzlawick, P. ,, Beavin, J.H; Jeckson, D.D., 1972: 194ff 


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Insofern kann auch ständiges Grübeln, so lästig es im Einzelfall sein mag, einen guten Schutz davor bieten, die eigene Hilflosigkeit einer bestimmten Situation gegenüber voll erkennen zu müssen. Denn Grübeln stellt immer noch eine Form von Handeln dar, auch wenn diese nur im Kopf stattfindet. Daher kann die Frage ,,warum" einen wirksamen Schutz davor bieten, Hilflosigkeit in ihrer ganzen Tragweite spüren. An dieser Stelle thematisierten wir auch Konflikte, die im Zusammenhang mit traumatisierenden Erlebnissen entstehen können.

Wir beschrieben den klassischen Versuch mit dem Krabbelkind Albert,122 den Verhaltenspsychologen gezielt und erfolgreich gegen alles Kleine, Weiße, Flauschige aversiv sensibilsiert hatten, indem sie Albert immer dann unerwartet mit einem lauten Gong erschreckten, wenn er sich auf eine weiße Ratte zubewegte. Würde der erwachsene Albert nun zu ergründen versuchen, weshalb er sich so vor weißen, weichen Dingen ängstigt, so würde er heute, nachdem er die auslösende Situation längst vergessen hat, in einen unlösbaren Konflikt geraten, wenn er versuchte, sich seine Schwierigkeiten auszureden oder abzutrainieren. Schließlich ist ja nicht das Weiße oder das Weiche die Grundlage der Angst, sondern Lärm.

Dieser Teil der Konditionierung aber ist in Vergessenheit geraten. Wollte Albert seine Ängste verlieren, müsste er sich an die auslösende Konfliktsituation zurückerinnern und könnte dann feststellen, dass nicht etwa das Kaninchen seine Angst begründet hat, sondern daß er als hilfloses Krabbelkind als Objekt für unmenschliche Versuche missbraucht wurde.

Obwohl persistierende Kindheitskonflikte von den davon betroffenen Menschen und auch von seiner Umgebung als außerordentlich lästig empfunden werden mögen, kann der Versuch, bestimmte Situationen zu vermeiden, als Überlebensstrategie durchaus sinnvoll sein. Auch wenn solche Ausweichmanöver starr, unökonomisch und unter Umständen sogar widersinnig erscheinen mögen, sind sie immerhin wirkungsvolle Versuche, sich einer Gefahrensituation, wenn sie sich erneut ankündigt, so rechtzeitig zu entziehen, dass das traumatisierende Ereignis nicht noch ein zweites Mal erlebt werden muss.

Kinder sind in bestimmten Entwicklungsabschnitten besonders gefährdet, durch Konflikte traumatisiert zu werden, wenn sie sich auf einer Stufe ihrer geistigen Entwicklung befinden, in der sie die Ebene des konkret gegen­ständlichen Denkens überwunden haben, aber noch nicht vollständig zu einer abstrakteren Betrachtungs­weise in der Lage sind. Einige Patienten berichteten über typische Probleme, die innerhalb dieser offenbar vulnerablen Phase entstanden waren.

 

122)  Watson, J.P.; Rayner, R., 1920: 1- 14


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So erzählte eine Patientin, wie sie als gut behütetes dreijähriges Kind von ihrer Mutter erstmalig in den Kindergarten gebracht worden war und dort allein bleiben sollte. Während die Mutter sich noch mit einer der beiden Kindergärtnerinnen unterhielt, näherte sich das Mädchen in der Küche neugierig einem glänzenden runden Gegenstand, den es vorher noch nie gesehen hatte. Als es die andere "Tante" nach dem Ding (einem Tee-Ei) fragte, sagte diese: "Achtung, das beißt!" Die Kleine erschrak damals sehr, weil diese Frau, zu der sie Vertrauen haben sollte, solche offensichtlich falschen Dinge zu ihr sagte, dabei auch noch lachte und sie keine Möglichkeit hatte, sich zu ihrer Mutter zu flüchten. Die Patientin war von da an sehr still geworden und behielt ständig den unbestimmten Eindruck, ausgeliefert zu sein.

Wie kurz die Zeitspanne ist, innerhalb derer der Wechsel von ganz konkretistischer Fixierung hin zum Begreifen doppelsinniger Worte vor sich geht, konnte ich unseren Patienten aus eigener Erfahrung berichten: Einer Gruppe von drei- bis vierjährigen Kindern erzählte ich einmal eine erfundene Geschichte, um sie zum Lachen zu bringen. Ich behauptete darin, daß eine Reihe von großen Tieren, die die Kinder von einem Zoobesuch kannten, in unserer Stadtwohnung lebte. Den Kindern machte diese unsinnige Geschichte großen Spaß und sie dichteten noch einige unwahrscheinliche Episoden hinzu. Florian, der ein halbes Jahr jünger war als die anderen Kinder, hörte mit großen Augen zu und bat später darum, mit zu uns nach Hause kommen zu dürfen. Dort angekommen lief er sofort ins Badezimmer, um das Krokodil in der Badewanne und danach die Giraffe im Wohnzimmer zu suchen. Als er die Tiere nicht fand, weinte er bitterlich und war lange nicht zu beruhigen.

Florian hatte die Geschichte wortwörtlich genommen, weil er zu dem damaligen Zeitpunkt, anders als seine Spielgefährten, noch nicht dazu in der Lage war, eine Lügengeschichte als solche zu erkennen. Einige Monate später hatte er an solchen erfundenen Geschichten genauso viel Spaß wie die anderen Kinder.

 

Viele Patienten konnten erst die Bedeutung von bestimmten, achtlos dahin gesprochenen, ironischen Bemerkungen Erwachsener erst im Laufe der Therapie erkennen. Solche Irritationen treten nicht nur in der frühen Kindheit auf. Einzelne Patienten, die auf dem Land aufgewachsen und dann in die Großstadt Berlin gekommen waren, berichteten über ähnliche Schwierigkeiten, die daraus entstanden waren, dass sie von Großstädtern, die ihre Unerfahrenheit und Unsicherheit bemerkt hatten, in ähnliche Verwirrungen und Enttäuschungen verstrickt worden waren.

 

 


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8. Gruppensitzung     Therapeutischer Prozess 

 

In der achten Sitzung wurden Fragen angesprochen, die auftreten, wenn die Patienten die Therapie über einen gewissen Zeitraum hin angewendet haben. Mit fortschreitender Therapie ergeben sich Veränderungen, wie sie von den Patienten zu Beginn der Therapie überhaupt nicht übersehen werden können. So konnten wir die Patienten darüber auch nur allgemein darüber informieren, in der Hoffnung, sie würden sich dann zu gegebener Zeit an unsere Hinweise erinnern, beziehungsweise gezielt Rückfragen stellen.

Solche Veränderungen betreffen vor allem die Einstellung zu gewissen Episoden der eigenen Biographie. Stehen zunächst subjektive Auseinandersetzungen mit nahen Bezugspersonen Im Blickpunkt, so verschiebt sich im Laufe einer Therapie die Aufmerksamkeit zu einer mehr objektiven Betrachtungsweise. Zu einem frühen Zeitpunkt der Therapie berichten Patienten in der Regel von Primals, in denen sie selbst sich als Opfer der Einflüsse ihrer Umgebung begreifen. Die Patienten schildern gefühlskalte und lieblose Eltern oder andere personale Einflüsse, durch die sie in ihrer Entwicklung geschädigt worden waren. In einem späteren Abschnitt erkennen die Patienten nach und nach die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die negative Einflüsse auf ihr damaliges Leben hatten. Hier können dann Probleme, wie sie etwa durch die Flüchtlingszelt nach dem Krieg, durch Arbeitslosigkeit, Armut oder Krankheit hervorgerufen wurden, aufgearbeitet werden.

Auch in diesem Stadium der Therapie begreift sich der Patient noch als Opfer, welches mehr oder weniger hilflos bestimmten Einwirkungen ausgeliefert war. Während sich die Patienten im ersten Abschnitt der Therapie im wesentlichen parallel dazu mit Vorstellungen über verbesserte zwischenmenschliche Beziehungen und Erziehungsfragen beschäftigen, stehen konsequenterweise im zweiten Abschnitt Gedanken über gesellschaftliche Zusammenhänge im Vordergrund.

Erst in einem weiteren Abschnitt der Therapie können Patienten erkennen, dass sie nicht nur Opfer besonderer individueller oder gesellschaftlicher Verhältnisse waren, sondern selbst auch immer agiert und damit das Geschehen mitbeeinflusst haben. Unter Umständen wird dann die Bedeutung bestimmter Situationen, die im ersten Abschnitt neu eingeschätzt wurden, zwei Jahre später noch einmal gesehen und nun unter einem anderen Blickwinkel noch einmal neu eingeordnet. Es ist schwierig, zeitlich genauer festzulegen, wann ein Patient die eine Stufe des therapeutischen Prozesses zugunsten der nächsten verlassen wird. Im wesentlichen bestimmt sich der Zeitraum danach, wie konsequent und regelmäßig die Therapie angewendet wird.

Nach unseren Beobachtungen sind die Abschnitte bei regelmäßiger Anwendung der Therapie jeweils etwa innerhalb eines Jahres erreicht.


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Besonders dann, wenn Patienten sich im letzten Abschnitt der Therapie befinden, müssen sie sich unter Umständen mit der Tatsache auseinandersetzen, dass sie nicht nur Opfer waren, sondern im Laufe ihrer Entwicklung gewisse Eigenschaften und Verhaltensweisen ausgebildet haben, die ihnen vielleicht selbst sehr unangenehm sind. An diesem Punkt können Patienten durch ihre "Schuldgefühle" daran gehindert sein, sich klarzumachen, dass sie gelogen, betrogen, andere Menschen gezielt verletzt oder gequält haben.

Diese Tatsachen bewusst anzusehen und zu akzeptieren, stellt für manche Patienten ein scheinbar unüberwindliches Hindernis dar.

Hier empfahlen wir den Patienten, sie sollten Schuldgefühle als Angst vor Bestrafung begreifen. Der Psychiater BÜRGER-PRINZ hat auf die Tatsache hingewiesen, daß Schulddepressionen nur im Einflussbereich christlichen Denkens zu finden seien.122

Daraus können Menschen selbst dann Angst vor Bestrafung entwickeln, wenn niemand sie bei Ihrer Tat gesehen hat. Die Patienten sollten versuchen herauszufinden, welche Art von Strafe sie befürchtetem, beziehungsweise wie sie früher bestraft worden waren. Fast immer berichteten sie dann über Erziehungs­methoden, die entweder Formen von körperlicher Züchtigung, Liebesentzug oder andere Arten von Gewalt enthielten. Darüber hinaus konnten die Patienten sich fragen, ob sie selbst so werden wollten, wie sie geworden waren, oder ob sie nur in bestimmten Situationen keine Alternative zu ihrem Verhalten hatten entwickeln können.

Viele vermochten dadurch zu erkennen, wie sie im Grunde gerne geworden wären, was dann einem Primal gleichkam. Für jene Patienten, die selbst eine unglückliche Kindheit erlebt hatten und von ihren Eltern lieblos behandelt worden waren, war es besonders schlimm, ihrerseits, trotz aller gegenteiliger Absichten, für ihre eigenen Kinder keine liebevolle Atmosphäre herstellen zu können.

Primärtherapie verhilft in diesem Fall dazu, die eigenen Defizite zu erkennen und aufzuarbeiten, was die Patienten in die Lage versetzt, auf die Bedürfnisse Ihrer Kinder adäquat, also auch nicht durch ,,ausgleichende" Verwöhnung zu reagieren. Die Primärtherapie geht, wie alle Hellungsprozesse, nur in kleinen Schritten voran. Die Annahme durch "das" Urerlebnis alle Störungen und Probleme auflösen zu können, ist zwar verführerisch, aber falsch.

 

122) Bürger-Prinz, H., 1971: 93


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Nach Beobachtungen an unseren Patienten und auch an uns selbst werden wirklich gravierende Probleme erst nach einem gewissen Zeitraum angegangen. So können im ersten Jahr der Therapie durchaus eine Menge lästiger Probleme aufgelöst werden, was auch unmittelbare Erleichterung bringt. Ihr Verschwinden ähnelt der Erleichterung, die man empfindet, wenn man den sprichwörtlichen kleinen Stein aus dem Schuh entfernt hat. Wenn Patienten eine Anzahl kleinerer Probleme dauerhaft bewältigt haben, scheinen sie so weit stabil und belastbar zu werden, dass sie dann auch die eigentlichen Probleme, die sie ursprünglich dazu veranlasst hatten, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben, erfolgreich bearbeiten können.

Es ist zu beobachten, dass Primals nicht nur stets zu einem Gefühl der Erleichterung und der Entlastung führen, sondern immer auch einen größeren Handlungsspielraum eröffnen. Allerdings wird die Freude darüber sehr bald von den noch unbewältigten Problemen überlagert.

Aus diesem Grund empfahlen wir unseren Patienten ein Tagebuch zu führen. Dies stellt zwar kein notwendiges Hilfsmittel zur Durchführung der Therapie dar, kann aber bisweilen dazu dienen, sich zu vergegenwärtigen, mit welchen Problemen man sich zu einem gewissen Zeitpunkt auseinandergesetzt hat und wie sehr das Leben von diesen Schwierigkeiten beherrscht wurde.

Anhand eines solchen Tagebuches, in dem Patienten erfahrungsgemäß immer die jeweils unangenehmen Inhalte niederlegen, lässt sich die Entwicklung unter der Therapie innerhalb eines längeren Zeitraums sehr gut nachvollziehen.

Überhaupt sind die möglichen Veränderungen durch Primärtherapie für viele Patienten nicht vorstellbar. Dass unter der Therapie das Interesse an dem Konsum alkoholhaltiger Getränke ganz und gar verschwinden kann, dass im Zusammenhang damit Geselligkeit, wie sie aus Kneipenbesuchen resultiert, zugunsten anderer Formen von Zusammensein aufgegeben wird, dass man sich auf Dauer basal gesund fühlen kann und ähnliche Veränderungen mehr, liegt außerhalb des Vorstellungsvermögens vieler Menschen vor Beginn der Therapie.

In den Zielen, die von ihnen definiert wurden, sind immer auch typische Übertreibungen enthalten, die als Ausdruck ihrer defizitären Lage zu begreifen sind. Für die meisten unserer Patienten war die Überlegung. dass man Schritt für Schritt so gesund werden kann, dass überhaupt kein Bedarf an kompensatorischem Verhalten mehr besteht, nicht nachvollziehbar.

Ein anderes Problem, das in den jeweiligen Gruppensitzungen immer wieder angedeutet worden war, wurde in dieser Sitzung noch einmal gezielt angesprochen. Viele Patienten fragen, was sie tun sollen, wenn sie keine Lust haben, Therapie zu machen.


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Nach unserem Eindruck scheint die Erfahrung, dass es möglich ist, sich für ein bestimmtes Tun zu entscheiden, auch wenn es primär nicht sofort Lustgefühle hervorruft, nicht mehr generell im Rahmen der normalen Sozialisation von Kindern vermittelt zu werden.124

Es ist sicherlich eher ein pädagogisches als ein psychotherapeutisches Problem, wenn mit einem Patienten darüber diskutiert werden muss, dass die Entscheidung, ob er Therapie machen will oder nicht, nur von ihm selbst getroffen werden kann.

Würde ein Therapeut versuchen, den Patienten zu einer Therapie zu motivieren, so wäre hier nur der Grundstein für ein Spiel zwischen Therapeuten und Patienten gelegt, in dem der Patient den Therapeuten mit dem Argument unter Druck setzen kann, er sei von diesem noch nicht richtig therapiert (animiert) worden, denn sonst würde er selbständig arbeiten können. Wenn Patienten keine Lust haben, die Therapie anzuwenden, können sie es entweder trotzdem tun, in der Hoffnung, dass dadurch Veränderungen zum Besseren erreicht werden, oder aber sie tun es nicht und behalten damit auch die alten Probleme.

Dies ist nicht so aufzufassen, dass damit jedwede Kritik an Therapie oder Therapeuten abgewehrt werden solle. Die Patienten können im allgemeinen sehr gut für sich selbst entscheiden, ob sie den Therapeuten in Diskussionen verwickeln wollen, um sich nicht mit der Therapie auseinandersetzen zu müssen. Keine Lust zu haben, wird als Argument meist angebracht, bevor in der jeweiligen Situation versucht wurde, die Therapie anzuwenden.

Treten hingegen reale Schwierigkeiten bei der Anwendung auf, so stellen die Patienten gezielt Fragen an die Methode oder an den Therapeuten.

Viele Patienten erhoffen sich dadurch, dass sie sich einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen, eine verbesserte Partnerbeziehung. Teilweise versuchten sie auch ihre Partner dazu zu überreden, sich ebenfalls einer Therapie zu unterziehen, um dann besser miteinander auskommen zu können.

Andere Patienten oder deren Partner befürchteten, durch eine Therapie könnte ihre Familie oder Partnerschaft zerstört werden. Hierzu konnten wir den Patienten sagen, dass die Methode der Primärtherapie, so wie sie von uns angeboten wird, nicht zum Ausagieren oder zum Herumtherapieren an der Umgebung auffordert. Insofern sind die Patienten gehalten, mit den unangenehmen Gefühlen, welche sie verspüren, an sich selbst zu arbeiten.

Darüber hinaus existiert trotzdem noch das Problem neurotischer Beziehungskonstellationen, in denen der eine Partner nicht selten von Störungen des anderen profitiert. Wird nun ein solches Gefüge von einer Seite her aufgebrochen, werden notwendigerweise alle anderen Beteiligten mit in Bewegung geraten.

 

124)  Ziehe, T., 1975 


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Wenn der eine Partner sich verändert und neu einstellt, wird dies auch Rückwirkungen auf den anderen Partner haben. Das kann dazu führen, dass eine längst zerrüttete Beziehung nun endlich auseinander geht, es kann aber auch dazu führen, dass ein Partner, nachdem er sich selbst geklärt hat, dem anderen Partner gegenüber sehr viel offener und toleranter wird und dadurch erst Chancen für das Weiterbestehen einer Beziehung eröffnet werden. Primärtherapie richtet sich nicht auf Beziehungen, sondern sucht die subjektive Erlebnisweise des jeweiligen Individuums in ihm selbst aufzuschlüsseln, womit gleichzeitig ein entscheidendes Hindernis auf dem Weg zu befriedigenden zwischenmenschlichen Beziehungen beiseite geräumt wird.

Insofern werden auch Paare, die gemeinsam mit der Therapie beginnen, nicht als eine Einheit betrachtet, sondern jeder der beiden Partner versucht sich jeweils unabhängig vom anderen zu klären, um sich danach auf einer anderen Ebene wieder neu begegnen zu können.

Der Prozess der Selbstheilung kann nicht gemeinsam vollzogen werden. Primals sind Individuell und lassen sich weder gemeinsam erleben, noch annähernd von einem anderen Individuum nachvollziehen. Insofern sind Ausdrücke wie Mitfühlen, Nachempfinden oder Verstehen im Zusammenhang mit psychischen Prozessen von sehr zweifelhaften Aussagewert.

 


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9. Gruppensitzung    Sexualität und verwandte Gefühle 

 

 

In der neunten Sitzung wurden als eigenständiges Thema Sexualität und verwandte Gefühle diskutiert. Für viele Patienten handelt es sich bei sexuellen Gefühlen und Empfindungen um einen Bereich, den sie getrennt von anderen Gefühlen betrachten und für den scheinbar andere Voraussetzungen gelten, als bei allen anderen Gefühlen. Dabei mag es eine Rolle spielen, daß Sexualität und alles, was damit zusammen­hängt, hierzulande auch gesellschaftlich als eine Art Gefühlsoase behandelt wird, um die herum ausschließlich sachliche und scheinbar rationale Lebensäußerungen gefordert werden.

Bereits die Erziehung kleiner Kinder richtet sich in aller erster Linie auf den Erwerb von Sachkompetenz und rationalen Strategien. Gefühl wird in den sogenannten musischen Fächern aufbewahrt und gerinnt dort nicht selten zu einer Art Luxusgegenstand, der mit dem täglichen Leben kaum Verbindung hat. Ein so erzogenes Kind wird dann in der Pubertät mit der Forderung konfrontiert, quasi aus dem Stand heraus zärtlich und gefühlvoll zu lieben. Wo die Fähigkeit dazu entstanden sein soll, bleibt ungewiss.

Folglich können in "sexuelle" Wünsche und Handlungen mehr oder weniger unbemerkt völlig andere Interessen und Bedürfnisse aus verschiedenen Gefühlsbereichen eingehen.

Die Patienten sollten mittels Erinnerungen selbst klären, zu welchem Zweck sie in bestimmten Situationen sexuelle Beziehungen eingingen. So kann unter Umständen der Wunsch eine Rolle spielen, einen Orgasmus zu erreichen, um sich endlich wieder entspannt fühlen zu können. Andere Menschen haben Zärtlichkeit und Wärme nur in Zusammenhang mit Sexualität kennengelernt.

Bei einigen Patienten bestehen ungeklärte Beziehungen zwischen Sexualität und aggressiven Impulsen. Die Patienten sollten In Zusammenhang mit Sexualität genauso subtil und sensibel auf Veränderungen ihrer Körpergefühle im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Situation achten, wie sie es sonst auch bei der Therapie gewohnt waren. Dabei geht es in diesem Fall nicht nur darum, diese Gefühle selbst zu registrieren, sondern sie jeweils angemessen dem Partner mitzuteilen. Auch die durch die Therapie gelernte Fähigkeit, Gefühle nicht unbedingt beeinflussen zu müssen, sondern sie einfach aushalten zu können, führt bei sexuellen Kontakten zu einem anderen Erleben.

Da Primals besonders in entspannten Situationen entstehen (s.o.), kommt es manchmal auch während sexueller Beziehungen dazu. Der Partner eines Primärtherapiepatienten sollte darüber informiert sein, um nicht von der tiefen Trauer und Betroffenheit, in der sich sein Partner unerwartet befindet und die sich aus der äußeren Situation heraus nicht erklären lassen, überrascht und vielleicht verletzt zu sein.


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Nach einem Primal verliert sich fast schlagartig das Interesse an dem Problem, das einen Menschen über einen sehr langen Zeitraum hinweg hauptsächlich beschäftigt hat, und er geht einfach zur Realität des Tages über. Für den einfühlsamen Gesprächspartner (auch mit der Methode unerfahrene Therapeuten) ist eine solche Wendung oft unverständlich, und er mag vielleicht gekränkt sein, wenn er nicht rechtzeitig erkennen konnte, dass es sich hier nicht um ein normales Gespräch handelte, sondern dass es darum ging, intrapsychische Verknotungen zu lösen.

Viele Patienten kennen nur die Möglichkeit, unangenehme Gefühle auszuagieren, oder sie zu verdrängen. Die Alternative dazu, nämlich Gefühle voll zuzulassen und zu registrieren ohne sie zugleich impulsiv in Handlungen umzusetzen, ist den wenigsten bekannt. Besonders viele weibliche Patienten betonten, dass ihrer Meinung nach Impulsivität als Ausdruck eines tieferen Empfindens zu werten sei. Sie konnten keine Unterscheidung zwischen Spontaneität und Impulsivität treffen.

In Zusammenhang mit der Therapie ist es aber wichtig, ein Gefühl tatsächlich erst zu einer tieferen Empfindung werden zu lassen, anstatt gleich bestimmte Impulse in Handlung umzusetzen und das Gefühl damit zu verändern.

In dem Maße, in dem die Patienten ein bestimmtes Gefühl annehmen und akzeptieren können, ohne es durch Handlungen zu beeinflussen, laufen Primals sehr viel leichter und müheloser ab, als es sich die meisten Patienten vorstellen können. Insofern ist der Hinweis, zu lernen nichts zu tun, was ein Gefühl verändert, von Wichtigkeit.

Es reicht aus, Gefühle einfach zuzulassen und mit den damit verbundenen Erinnerungen zu arbeiten. Manchmal reicht es schon aus, einmal versuchsweise überhaupt nichts zu tun (auch nicht zu denken!), um sich unversehens von längst verschüttet geglaubten Gefühlen überflutet wiederzufinden.

 


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10. Gruppensitzung         Abschlussgespräch 

 

In der zehnten Sitzung, über deren Ablauf wir die Patienten vorher nicht informierten, sollten die Gruppen­mitglieder wie üblich ihre Schwierigkeiten im Umgang mit der Therapie und die Fragen, die sich daran knüpften, thematisieren. Im Gegensatz zu unserem sonstigen Vorgehen gaben aber nicht wir die Hinweise wie bei bestimmten Problemen vorzugehen sei, sondern die anderen Teilnehmer sollten dem Fragenden mitteilen, wie sie selbst mit diesem Problem mit Hilfe der gelernten therapeutischen Techniken umgingen.

Es ging also nicht darum, dass die anderen Patienten die Funktion von Therapeuten übernehmen sollten, sondern sie sollten laut darüber nachdenken, wie sie selbst mit einem ähnlich gelagerten Problem umgehen würden. Dieses Vorgehen erlaubte uns einen gewissen Einblick, wie unsere Instruktionen von Patienten aufgenommen und verarbeitet worden waren.

Mögliche Missverständnisse kamen zum Vorschein und konnten korrigiert werden. Die Patienten merkten zudem bei dieser Gelegenheit überdeutlich, dass sie zwar die Fähigkeit erworben hatten, mit ihren eigenen Problemen besser umzugehen, sich dadurch aber keineswegs zu Therapeuten qualifiziert hatten. Daran lag uns besonders, da die Primärtherapie ausdrücklich das einzelne Individuum als allein kompetenten "Therapeuten" für sich selbst anerkennt.

Im Anschluss an diesen Abschnitt wollten wir unseren Patienten einen Eindruck darüber vermitteln, wie die Therapie in der Selbstanwendung typischerweise verläuft, da theoretische Instruktionen gerne einen zu glatten und dadurch unrealistischen Eindruck von dem „Therapiealltag“ vermitteln.

Wir lasen dazu, mit Einverständnis der Schreiberin, aus einem Brief vor, den uns eine Patientin nach etwa einem Jahr Selbsttherapie an uns geschrieben hatte.

Die entsprechenden Zitate sollen auch hier wiedergegeben werden:

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"Zu Eurem üblichen Fragebogen mochte ich Euch heute einmal kurz schildern, wie ich mit der Therapie so bisher vorangekommen bin. Ein paar Sachen hatte ich ja auch schon mal am Telefon erzählt, aber ich bin mir eigentlich jetzt erst so einigermaßen klar, wie weit ich nun wirklich schon bin und wie viel ich auch falsch gemacht habe.

Das schlimmste für mich war die Anfangszeit, wo ich die ersten Versuche machte, Theorie in Praxis umzusetzen. Ich wollte sofort alle Neurosen am liebsten auf einmal loswerden und versuchte mit Gewalt, Gefühle aus mir rauszupressen, heulte genug dabei oder steigerte mich in Wutanfälle hinein und dachte, ich würde Therapie machen.


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Das ging eine ganze Weile so und war sehr unbefriedigend. Ich merkte, dass ich mit der Theorie im Kopf kein Patentrezept in der Hand hatte, um an meine Gefühle ranzukommen und dass ich mit Gewalt schon gar nicht Therapie machen konnte. Nach einer Phase großen Selbstmitleides - Warum hilft mir niemand - Ich schaffe es nicht - Die Therapie ist die Hölle -, überlegte ich mir, was ich falsch gemacht hatte.

Hatte ich doch alles so schön angewendet wie ich es gelesen hatte oder wie ihr es mir gesagt hattet und Bilder hatte ich doch schon, aber warum war ich noch keinen Schritt weiter gekommen? Es brach ein Haufen von Gefühlen auf mich ein, mit denen ich von jeher nie besser umzugehen verstand, als sie auszutoben, auszuschreien, auszukotzen oder auszuheulen, aber nicht sie auszuhalten.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es auch vollkommen undramatisch geht. Das war das erste was ich lernen musste und ich bekam so langsam eine Vorstellung von der Therapie, wie sie wohl sein sollte oder bei mir sein wird. Der nächste Schritt war ich. Ohne Dramatik kam ich mir sehr nah. Ich musste mir eingestehen, dass ich mich am wenigsten auf mich selbst verlassen kann, dass ich mich belüge, betrüge, einfach immer wieder linke, wo es nur geht.

Mit dieser neuen Erkenntnis musste ich nun lernen, ohne Panik umzugehen.

Die Therapie ließ keine Kompromisse zu, ich musste um voranzukommen — aufhören mich zu bescheißen. Von da an brauchte ich nicht mehr nach Bildern zu suchen, sie kamen ganz von selbst. Ich wurde sensibel für meine Gefühle. Ich kam dann an eine Phase, wo ich meinen Eltern (bei vielen, vielen Bildern) das sagte, was ich ihnen nie sagen konnte und zu meinem Erstaunen war es sehr viel.

Dann musste ich erst mal wieder stark abblocken. Erst konnte ich es nicht eilig genug haben und jetzt fing ich an, mich mit Händen und Füssen gegen die Therapie zu wehren. Ich hatte Angst, weiter in meinen Gefühlen rumzuwühlen.

Ich fing an, mich auf einmal an meine Neurosen zu klammern. Ich musste akzeptieren, dass ich so geworden war. Dazu musste ich mich auch wichtig und ernst genug nehmen und dabei kam ein anderes "altes Gefühl" hoch, nämlich das Gefühl, dass ich die Therapie nicht schaffen werde, ich habe ja noch nie was geschafft, ich werde versagen.


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Das passierte alles so ungefähr im ersten Halbjahr meiner Therapie. Übrigens hatte ich in der Zeit auch angefangen, mir alles aufzuschreiben und konnte nun auch meine einzelnen Entwicklungsstadien gut verfolgen. Das alles beschäftigte mich erst mal eine Weile, meine Zeit war ausgefüllt mit Flucht und Selbstmitleid und sich immer wieder zur Therapie zwingen müssen.

2. Abschnitt:

Ich hatte mit Dir, Philipp, gesprochen und mir die Bestätigung geholt, dass man die Therapie auch nur macht, wenn der Druck stark genug ist. Denn ich hatte mich gefragt, wieso ich mit bestimmten Sachen nicht Therapie machen konnte. Das waren eben alles Sachen wo der Druck nicht stark genug war. Doch über zu wenig Druck konnte ich mich bei vielen anderen Sachen nicht beklagen, doch da versuchte ich vor diesem Druck wegzulaufen.

Ich fühlte mich in die Enge getrieben und ich versuchte mich von dem immer größer werdenden Druck abzulenken. Ich hatte genug von "Gefühlen" und ,,Bildern". Ich wollte einfach keine Bilder mehr sehen, oder wollte die Bilder ohne Gefühle sehen können, Außenstehende bleiben können, wie bei einem Kinofilm, der zwar schlimm ist, mich aber nicht betrifft. Ich wollte die Bilder nicht wahr haben. Ich wollte meine Eltern nicht wahr haben. Ich wollte es auch nicht wahrhaben, dass ich so geworden bin, auch wenn ich hundert mal nichts dafür gekonnt habe.

Ich erlag erst mal wieder allen Süchten, vor allem der Sucht nach einer heilen Welt mit viel Dope, Musik und Träumen. Doch die Spannungen in mir blieben und sie wurden immer größer. Es machte sich wieder "Panik" breit. Ich merkte das "Träume" für mich keine Stütze mehr waren. Sie befriedigten mich nicht mehr und das war schlimm.

Ich wollte meine Träume nicht verlieren, ohne sie wollte ich nicht leben, denn wie sollte ein Leben ohne Träume sein?

Jetzt sind ungefähr 11/2 Jahre Therapie bei mir um. Um Therapie machen zu können, habe ich alles ablegen müssen, was ich früher an Verdrängungsmechanismen angewendet hatte. Ich kann mich heute nicht mehr belügen, ohne dass ich nicht spätestens nach ein paar Tagen merke, dass ich mir was vorgemacht habe. Ich kann nichts mehr tun, ohne an meine Kaputtheit erinnert zu werden und seit ich sie akzeptiert habe, funktioniert kein Verdrängungsmechanismus mehr gescheit.


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Je mehr Therapie ich gemacht hatte, desto ehrlicher musste ich zu mir werden, ich bekam immer mehr eine Vorstellung von meiner Realität. Auch dass die Therapie aus mir keine Prinzessin macht, hatte ich doch auch am Anfang gehofft, dass die Therapie aus mir einen ganz tollen "Menschen" macht.

Heute weiß ich, dass sie aus einem neurotischen Durchschnittsmenschen einen gesunden Durchschnitts­menschen machen kann und mehr möchte ich auch nicht sein.

Zur Zeit bin ich in der Therapie an einem Punkt angelangt, wo ich die positiven Veränderungen an mir feststelle und mich darüber freue, dass die Therapie mir schon eine ganze Menge gebracht hat, aber dann auch gleichzeitig merke, was für ein langer Weg noch vor mir liegt, wie klein die Schritte sind, die man immer nur macht und das Bewusstsein, dass es keine Flucht mehr gibt, die einen nicht doch wieder einholt.

Dall ich keinen Trost mehr finde in Selbstmitleid oder unerfüllbaren Träumen, dass ich endlich und lieber was Realitätsbezogenes machen möchte, was mich wirklich weiter bringt und dass ich meine Erwartungen soweit herunterschrauben muss, dass ich bei vielen kleinen Schritten auch nur kleine Erfolge haben kann, aber das die kleinen Schritte mich auch dahin bringen, wo ich hinkommen will. Meine Veränderungen haben sich mehr so eingeschlichen. Dass ich z.B. als mir etwas nicht gelang, (es war ein Kuchen) ich es nicht mehr so wie früher in die Ecke gefeuert habe. Meine Enttäuschung darüber zwar gefühlt habe, aber ich konnte sie fühlen ohne dabei wütend zu werden oder zu heulen. Ich konnte Enttäuschung ertragen, ich war ihr nicht mehr hilflos ausgeliefert. Das passiert mir jetzt bei so vielen Dingen, wo ich früher auch total aggressiv geworden wäre, mich "angemacht" gefühlt hätte oder dass ich heute Sachen tue, die ich früher nicht gekonnt hätte, die ich mir auch nicht zugetraut hätte, jetzt tue ich sie einfach.

Ich kann auch nicht sagen, wann ich nun ein Primal gehabt habe. Ich weiß nur, dass ich schon welche gehabt haben muss, weil ich eindeutig mit vielen Sachen bereits klar komme. Ich weiß, dass ich Aha- Erlebnisse bei Bildern hatte, die sich wie von selbst zueinander fügten, wie bei einem Puzzlespiel, wo man endlich die fehlenden Stücke gefunden hat, aber das ging immer so ruhig über die Bühne, das ich es immer erst danach begriffen hatte, was jetzt eigentlich abgelaufen war."

 

Zum Schluss vermittelten wir noch unsere eigene Erfahrung, dass die einmal gelernten primärtherap­eutischen Techniken im Bedarfsfall immer wieder angewendet werden können (und werden), dass aber die eigentliche medizinisch notwendige Phase der Therapie nach unserer Ansicht dann abgeschlossen ist, wenn damit diejenigen Probleme aufgelöst werden konnten, die eine echte Behinderung des Patienten darstellten und sein Leben auf Kompensationsbemühungen eingeengt hatten. 

Zu guter letzt teilten wir noch die Beobachtung mit, dass in der Therapie fortgeschrittene Patienten körper­liche Krankheitszustände bisweilen nicht mehr generalisiert, im Sinne eines allgemeinen Krankheits­gefühls erleben und daher nicht selten bagatellisieren. Um dadurch nicht mögliche Krankheits­zustände zu verschleppen, baten wir die Patienten, sich im Zweifelsfall lieber ärztlich beraten zu lassen.

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