Alexander Mitscherlich
Die Unwirtlichkeit unserer Städte Anstiftung zum Unfrieden Konfession zur Nahwelt Großstadt und Neurose
Erste
Auflage 1965 by Suhrkamp Verlag |
1965 161 Seiten (*1908) detopia: |
Inhalt |
Vorbemerkung (7) Die Unwirtlichkeit unserer Städte (9) Konfession zur Nahwelt (123) Großstadt und Neurose (140-161) |
»Dieses Buch gehört zu der in Vergessenheit geratenen Gattung der Pamphlete.« (S. 8) Die in diesem Band gedruckten Arbeiten untersuchen herrschende Programme und Formen der Städteplanung und kritisieren deren irrationalen Charakter. Der Autor weist nach, daß ohne einen zureichenden Begriff von den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen geplant wird, und ohne eine Neuordnung des Grund- und Bodenbesitzes Planung nicht möglich ist. |
Vorbemerkung
8
Dieses Buch gehört zu der in Vergessenheit geratenen Gattung der Pamphlete. Es möchte keinen einzelnen Missetäter anprangern, sondern den Trübsinn der Zeit in einer Sache, die sich ändern ließe — mit etwas Mut zur Einsicht. Aber dieser Mut ist nicht gefragt; der Motivation dieser Mutlosigkeit gilt der Hauptstoß, den das Pamphlet versetzen will.
Wer ein Pamphlet verfaßt, muß sich klar darüber sein, daß er nicht bloß Zustimmung zu erwarten hat. Nur seine Feinde werden vom Autor auch noch die Lösungen der angeklagten Mißstände verlangen. Seine Aufgabe ist die Anklage, das fordert genug Anstrengung für einen Mann.
Zudem ist der Autor sich im klaren, daß ein Volksaufstand zu befürchten stünde, wenn eine starke Gruppe seine These von der Neuordnung der Besitzverhältnisse an Grund und Boden in unseren Städten sich zu eigen machte. Das wäre ihm ein Trost, denn dann käme vielleicht die seit Jahrhunderten fällige deutsche Revolution; der Anlaß wäre ihrer würdig.
Deutschland, beruhige dich — sie wird nicht kommen, die Revolution. Es wird alles beim alten bleiben. Diese Seiten werden vergilben wie Manifeste und Pamphlete vor diesem. Darum widmet der Autor es auch gleich jenen Leuten, die dem Todestrieb unserer Zivilisation mit soviel naiver Emsigkeit und durchtriebener Schläue dienen:
den Hausbesitzern
in Deutschland
und anderswo.Der Blick auf die wachsenden Gebilde, die einstmals Städte waren, zeigt uns, daß sie einem Menschen gleichen, der verzerrt wird durch krebsige Tochtergeschwülste.
Vielleicht gibt es keinen Todestrieb; aber Umstände, die tödlich wirken. Davon ist hier die Rede, obgleich wir — wie alle, die je auf dem Pulverfaß saßen — so tun, als wäre alles unstörbar in bester Ordnung.
#
Alexander Mitscherlich - Die Unwirtlichkeit unserer Städte Anstiftung zum Unfrieden - Konfession zur Nahwelt - Großstadt und Neurose