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Der Holocaust und andere Demozide

  Ackermann (145)    Ruf    Funke 


Von Manfred Henningsen, Die Zeit, 4.6.1998 

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Die Fixierung der westlichen Welt, vor allem aber der USA auf den jüdischen Holocaust macht es schier unmög­lich, die historische Wirklichkeit zu begreifen, daß im 20. Jahrhundert annähernd 170 Millionen Menschen Opfer rechter und linker Terror­regime geworden sind.

Diese These von der Einzigartigkeit des Holocaust läßt die wissenschaftliche Diskussion über die Vergleichbarkeit völkermörderischer Terrorregime fast alle illegitim erscheinen. Wissenschaftler, die dieses Frageverbot nicht akzeptieren und den Holocaust mit anderen Terrorregimen vergleichen, setzen sich der Gefahr aus, als historische Revisionisten denunziert zu werden.

Diese Gefahr ist neueren Datums, da die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges um diese mögliche Vergleichbarkeit von Terror gewußt und sie gefürchtet haben und deshalb den Genozid an den europäischen Juden, der damals noch nicht Holocaust genannt wurde, nicht unter die Anklagepunkte im Nürnberger Prozeß aufnehmen wollten. 

Entgegen den populären Vorstellungen über den Prozeß sind die Hauptangeklagten nicht wegen des Holocaust, sondern wegen anderer Verbrechen verurteilt und hingerichtet worden.

Das erstaunliche Ausklammern des jüdischen Holocaust in Nürnberg wurde von Justice Robert Jackson, dem amerikanischen Hauptankläger, damit begründet, daß, wie er in den Londoner Vorverhandlungen zum Prozeß im Juni 1945 seinen britischen, französischen und sowjetischen Kollegen erklärte, »wir gelegentlich in unserem eigenen Land bedauernswerte Umstände haben, in denen Minderheiten unfair behandelt werden«. 

Ob diese Bemerkung Jacksons auf Indianer oder Schwarze gemünzt war, erläuterte er nicht. Auch Raoul Hilberg, der in seinem dreibändigen Werk über Die Vernichtung der europäischen Juden (1989) ausführlich über diese Weigerung der Londoner Delegierten, die »Vernichtung der europäischen Juden als Verbrechen sui generis« zu behandeln, geschrieben hat, erklärt Jacksons Bemerkung nicht.

  wikipedia  Robert_H._Jackson  (1892-1954)    wikipedia  Raul_Hilberg  (1926-2007)      wikipedia  Sui_generis 

Die Vermutung liegt nahe, daß Jackson primär nicht an sein eigenes Land gedacht hat, da die Sensibilität für amerikanischen Rassismus in den USA im Augenblick des triumphalen Sieges über Nazideutschland und während der Weiterführung des pazifischen Krieges gegen Japan bis August 1945 nicht besonders ausgeprägt war. Er hat wahrscheinlich befürchtet, daß der geplante Prozeß gegen die Naziführung durch die zunehmenden Berichte über die Opfer des sowjetischen Gulag-Regimes schweren Belastungen ausgesetzt werden könnte.

Zudem hätten Fragen über die britische Weigerung, Juden vor und während des Krieges nach Palästina einwandern zu lassen und Fragen an die amerikanische Adresse, warum sie sich geweigert hatten, zum Beispiel die unausgeschöpfte deutsche Einwanderungsquote vor der deutschen Kriegserklärung vom 9. Dezember 1941 für jüdische Flüchtlinge freizugeben, zu unerwünschten Kontroversen während des Prozesses führen können. 

Die Delegierten waren sich einig, daß der Prozeß stattfinden sollte. Deshalb bemühten sie sich auch, alle interalliierten Konflikte zu vermeiden. Jackson hatte den Russen mit seiner amerikanischen Selbstkritik eine Eselsbrücke gebaut, die sie dann auch mit großer Selbstsicherheit betraten. In den Londoner Verhandlungsprotokollen gibt es keine sowjetischen Geständnisse, die Jacksons selbstkritischen Beobachtungen zur Seite gestellt werden könnten.

Wer Le Livre noir du communisme – Crimes, terreur, repression liest, begreift, wie zweifelhaft, wenngleich verständlich die Entscheidung der westlichen Alliierten im Jahr 1945 gewesen ist.

Der Hauptherausgeber des Buches, Stephane Courtois, läßt an seiner Einstellung zum Vergleich kommunistischer und nazistischer Verbrechen keine Zweifel aufkommen. Er kontrastiert bereits in der Einleitung die »Verbrechen des Kommunismus« mit denen der Nazis, wenn er von den 100 Millionen Opfern des Kommunismus und den 25 Millionen der Nazis spricht. Mit dieser provozierenden Gegenüberstellung will er nicht nur das Schweigen über die Vergleichbarkeit faschistischer und kommunistischer Terrorregime brechen. Er will zugleich die Kollaboration der kommunistischen Parteien im Westen und ihrer intellektuellen Mitläufer an dieser Ökonomie des Terrors anprangern.

Im französischen Fall führte das bereits im Dezember 1997 zu einer Parlamentsdebatte, in der Premier­minister Lionel Jospin seinem kommunistischen Koalitionspartner ganz im Nürnberger Stil die historische Absolution erteilte, da die KPF zur antifaschistischen Front gehört hatte.


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Dieser Versuch der Linken, sich um die Aufarbeitung des revolutionären Morderbes von Lenin bis Pol Pot herumzudrücken, wird durch das Livre noir unmöglich gemacht. Denn die globale Aufrechnung, die von den sechs Autoren für Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika geleistet wird, läßt trotz der unterschiedlichen Akzentuierung in einzelnen Beiträgen keinen Zweifel an der makrokriminellen Dimension der marxistischen Utopieverwirklichung aufkommen. Die ideologische Phantasie, die im 20. Jahrhundert so erfolgreich an die Macht gekommen ist, verwirklichte sich mit vergleichbaren Zielen und Methoden in faschistischen und kommunistischen Terrorregimen.

Die Autoren des Livre noir sind keineswegs die einzigen Wissenschaftler, die sich mit vergleichbarem Terror beschäftigen, auch wenn es vor allem Historiker und nicht Sozialwissenschaftler sind, die sich für dieses signifikante Phänomen des 20. Jahrhunderts interessieren. Der amerikanische Politikwissenschaftler Rudolph Rummel (University of Hawaii) hat seit 1990 fünf Bücher zu diesem Thema veröffentlicht. Sie befassen sich mit der Sowjetunion (Lethal Politics), den beiden China (China's Bloody Century), Nazideutschland (Nazi Democide) und den vergleichbaren Aspekten dieser megalomanischen Regime, die jeweils mehr als zehn Millionen Menschen umgebracht haben (Death by Government). Sein bisher letztes Werk, Statistics of Genocide, beschäftigt sich mit jenen Regimen, die jeweils »nur« eine bis zehn Millionen auf dem Gewissen haben wie zum Beispiel Hirohitos Japan, die Türkei, Nordkorea, Titos Jugoslawien und vor allem Pol Pots Kambodscha. Daß Rummel für diese Arbeit keinen Verleger gefunden hat, sondern sie in mimeographierter Form von einem Institut an der Universität Virginia vertreiben läßt, erklärt sich nicht allein aus der spröden Datenpräsentation, sondern gehört auch zum allgemeinen Desinteresse am Vergleich von Völkermord in den USA.

Seltsamerweise wird Rummel auch nicht im Livre noir der Franzosen erwähnt, obgleich vor allem seine Begriffsschöpfung »Demozid« für die Studie der Franzosen hilfreich gewesen wäre. Der Begriff Demozid wurde von Rummel gewählt, weil Genozid seit der Völkermord-Konvention der Vereinten Nationen von 1948 eine ethnisch-rassische Gruppenidentität für die Opfer voraussetzt.


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Diese spezifische Identität trifft für die meisten Terrorregime im 20. Jahrhundert nicht zu, die ihre Opfer neben ethnisch-rassischen nach sozialen, politischen, religiösen, intellektuellen, medizinischen und anderen Kriterien aussortieren. Selbst Nazideutschland ließe sich besser als Demozid-Regime charakterisieren, weil die Mehrheit der 25 Millionen Opfer – Rummel spricht von 21 Millionen - nicht Juden waren.

Demozide sind das direkte Resultat von Machtbefehlen, die aus dem politischen Funktionszentrum eines Regimes kommen. Sie entstehen nicht als spontane Pogrome oder als kulminierende Aktion einer ideologischen Entwicklung, wie etwa Daniel Jonah Goldhagen das für den Holocaust durch Rekurs auf einen virulenten, in der deutschen Gesellschaft tief verwurzelten Anti­semitismus zu belegen versuchte. Demozide werden von Regimen veranstaltet, um wahnlogische Projekte der Weltver­änderung, die Führer wie Lenin, Stalin, Hitler, Mao und Pol Pot konzipierten, in die Tat umzusetzen.

Hannah Arendt hatte bereits 1951 in ihrem Werk Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft auf die Vergleichbarkeit zweier ideologischer »Zwangsdoktrinen« hingewiesen. Sie schrieb damals: »Die eine ist die zur Ideologie erstarrte marxistische Lehre vom Klassenkampf als dem eigentlichen Motor der Geschichte und die andere ist die von Darwin angeregte und mit dem marxistischen Klassenkampf in mancher Beziehung verwandte Lehre von einem von der Natur vorgeschriebenen Rassenkampf, aus dem sich der Geschichtsprozeß, vor allem der Auf- und Abstiegsprozeß von Völkern ableiten läßt.« 

Ihr Ansatz wurde nicht fortgesetzt, da sich weder die Konservativen noch die Linken angesprochen fühlten. Es erging ihr zwar damals nicht so schlimm wie Albert Camus, der 1951 nach der Veröffentlichung seines Essays über die Ursprünge der spekulativen Wahnlogiken, L'Homme revolte, von Sartre und seinen Mitläufern zum intellektuellen Aussätzigen erklärt wurde. Arendt erlebte dieses Schicksal erst nach dem Erscheinen von Eichmann in Jerusalem (1963), als man sie bewußt mißverstehen wollte. Sie begriff das Böse nicht als Spezifikum der deutschen Kulturentwicklung, sondern als menschliches Verhaltenssyndrom, dessen Banalität universal ist und sich deshalb auch anderswo manifestieren kann. Das Schwarzbuch belegt auf vergleichender kontinentaler Breite, wie richtig Hannah Arendts Einsichten schon damals gewesen sind.


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Die Beschreibung der Einnahme Nankings durch japanische Truppen im Dezember 1937, die Iris Chang 1997 in ihrem Buch The Rape of Nanking - The Forgotten Holocaust of World War II The Forgotten Holocaust of World War II gibt, bestätigt nicht nur, wie richtig die Vergleichsperspektive selbst, sondern wie verbreitet die Verdrängung von Makroverbrechen ist, die nicht zum eigenen Erfahrungshorizont gehören. Daß die Japaner bis heute den von der kaiserlichen Armee befohlenen und organisierten Massenmord an 300.000 Menschen und die Vergewaltigung von nahezu 80.000 Frauen in weniger als sechs Wochen nicht in ihrer Geschichte behandeln, gehört zur Verlogenheit des zeitgenössischen Kaisersystems, das zum Beispiel durch einen jüngeren Bruder Hirohitos direkt in die Verbrechen involviert war.

Iris Chang kontrastiert das Schweigen der Japaner über ihre »Orgie der Grausamkeit« mit der Erinnerungs­arbeit der Deutschen. Sie stellt dieses Schweigen aber auch dem jährlichen Ritual gegenüber, das in Hiroshima und Nagasaki für die 140.000 beziehungs­weise 70.000 Toten der amerikanischen Atombomben veranstaltet wird. Dieser Toten wird gedacht, weil sie zur eigenen Erfahrungsgeschichte gehören und deshalb verstanden werden. Für die Toten von Nanking in den dreißiger Jahren interessiert man sich im Westen erst heute wieder, seit die exotische Gestalt des deutschen Siemens-Vertreters in China, John Rabe, als »Buddha von Nanking« ins historische Rampenlicht gerückt ist.

Durch die Tagebücher Rabes, die von Chang erst als wichtiges historisches Dokument identifiziert und in einer gekürzten Fassung von Erwin Wickert veröffentlicht worden sind (John Rabe, Der gute Deutsche von Nanking, Stuttgart 1997), gewinnen Nanking und das Verhalten der japanischen Truppen internationale Aufmerksamkeit, weil hier ein Mitglied der Nazipartei in Zusammen­arbeit mit ein paar Amerikanern und Europäern zur zentralen Figur der internationalen Sicherheitszone für Hundert­tausende von Chinesen wurde.

Rabe handelte aus der unmittelbaren Verantwortung für seine chinesischen Unter­gebenen, die er nicht ihrem japanischen Schicksal überlassen wollte. Auch wenn der Vergleich mit Oskar Schindler für Iris Chang naheliegt, besitzt die politische Naivität Rabes geradezu surrealistische Züge. Wahrscheinlich hatte er vor seiner Rückreise nach Deutschland 1938 keine Ahnung von der Wirklichkeit Nazideutschlands. Er glaubte anscheinend an den Führer als Heilsbringer. Er benutzte nicht nur die Nazifahne und -armbinde erfolgreich als Schutzzeichen für seine chinesischen Schützlinge gegen marodierende und vergewaltigende japanische Soldaten.

* (d-2015:)   wikipedia  John_Rabe  1882-1950  


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Er schrieb zudem Hitler einen persönlichen Brief, in dem er den japanischen Terror anklagte und um Intervention bei den Japanern bat. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde Rabe, der in Berlin zunächst noch einige Vorträge über Nanking hielt, von den Nazis zum Schweigen gezwungen. Ob er später je begriffen hat, daß Nanking Naziterror antizipierte, erfährt der Leser weder von Wickert noch von Chang.

Im Gegensatz zu Wickert jedoch, der die Geschichte Nankings primär im Hinblick auf den »guten Deutschen« zu belegen versucht, zeigt Chang, wie bestialisch die japanischen Soldaten den Auftrag, keine Gefangenen zu nehmen und die Chinesen nicht als Menschen zu behandeln, in die Tat umsetzten. Es gibt keinen qualitativen Unterschied zwischen dem Verhalten der japanischen Soldaten in Nanking und dem der Angehörigen des Hamburger Reserve-Polizeibataillons 101, das durch die Bücher von Christopher Browning (Ganz normale Männer) und Daniel Goldhagen (Hitlers willige Vollstrecker) berühmt geworden ist. 

Iris Changs detaillierte Beschreibungen von Beerdigungen Lebender, Verstümmelungen, Vereisungen, Verbrennungen, Massen­erschießungen, Wettbewerben der Enthauptung, Reihen­vergewaltigungen von Teenagern beweisen, wie gewöhnlich und verbreitet diese Praktiken des Terrors im 20. Jahrhundert gewesen sind. Wird der jüdische Holocaust durch die Nanking-Massaker oder durch Veröffentlichungen über Pol Pots Blutherrschaft 1975 bis 1979 in Kambodscha relativiert?

Pol Pots Regime handelte im Bewußtsein revolutionärer Realitätsveränderung. Diesem Ziel durfte sich niemand in den Weg stellen. Dies bedeutet, wie ein prominenter Parteidenker laut Livre noir bekennt, daß von den acht Millionen Einwohnern Kambodschas »eine Million guter Revolutionäre ausreicht für das Land«. Diese massenmörderische Legitimation der Utopie wurde partiell verwirklicht, als man von den acht Millionen annähernd zwei Millionen umbrachte oder umkommen ließ. 

Die Einzigartigkeit des kambodschanischen Mordregimes besteht nicht allein in der Zahl der Opfer, sondern vor allem in der konsequenten Übersetzung der utopischen Vision in die Wirklichkeit. Diese Übersetzung begann im April 1975 mit der zwangs­weisen Leerung der Städte. Sie setzte sich fort mit permanenten Umsiedlungen: religiösen, ethnischen, politischen und sozialen Säuberungen, Umerziehungs­kampagnen, massenhaften Zwangsehen, Zerstörung von Tempeln, Verfolgung von Menschen mit höherer Bildung, Fremdsprachen­kenntnissen und Auslandserfahrung und so weiter.


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Auf den »Killing Fields« von Choeung Ek, außerhalb von Phom Penh, steht ein gläserner Tempelturm, in dem 8985 Schädel, die 1986 in einem Massengrab gefunden wurden, etagenweise aufgebahrt sind - eine wahre Bibliothek des Todes. Diese Schädelstätte der linken Utopie überschaut ein Areal von bereits geöffneten und noch geschlossenen Massengräbern, in denen man mehr als 20.000 Tote vermutet. Im zugänglichen unteren Teil des Tempelturmes sind die Schädel gruppenmäßig identifiziert ausgestellt, zum Beispiel »senile Frauen über Sechzig« oder »senile Männer über Sechzig«. Die Toten wurden meist erschlagen, weil Munition gespart werden sollte.

Im Gefängnis von Tuol Sleng in Pnom Penh bestätigt die Galerie der Photos, die von den Tausenden von Verhör- und Exekutions­opfern gemacht wurden, physiognomisch die These vom Demozid unter südostasiatischen Bedingungen. Hier wurde die Khmer-Gesellschaft in ihrer ganzen ethnischen, politischen, sozialen und religiösen Breite verfolgt. Hier findet man die Wahrheit über den marxistischrassistischen Doppelcharakter des Regimes. Es gehört zur deutschen Tabuhaltung gegenüber der vergleichenden Demozidforschung, daß das explosive Buch von Ben Kiernan (The Pol Pot Regime. Race, Power and Genocide, 1975-79, Yale University Press 1996), das linke Glaubensartikel umstürzt, noch keinen deutschen Verleger gefunden hat.

Die Bilder allerdings, die ein Häftling vom Terror der Khmer Rouge gemalt hat und die im Gefängnis ausgestellt sind, lassen noch weniger Raum für Interpretation. Denn auf diesen Bildern wiederholen sich auf geradezu archetypische Weise die Szenen der deutschen Grausamkeit gegen Juden, die Goldhagen allein mit dem antisemitischen Haß der Deutschen erklären kann. Wenn man diese Bilder sieht, auf denen Babys ihren Müttern entrissen, von Bajonetten aufgespießt, an Bäumen erschlagen oder in der Luft erschossen werden, dann beginnt man die These von der Einzigartigkeit des Holocaust für ein westliches Vorurteil zu halten. 

Je mehr Daten von den Szenarien des politischen Demozids im 20. Jahrhundert die vergleichende Forschung erfaßt, um so klarer ist das Ergebnis. Demozide vom Charakter des Holocaust sind nicht einzigartig. Angesichts der überwältigenden Terror-Evidenz des Jahrhunderts ist eine Rangordnung des Völkermords, mit dem Holocaust als Paradigma, für das Verständnis unnütz. Im Gegenteil: Die These von der Einzigartigkeit des Holocaust lenkt von der deprimierenden Evidenz ab, indem sie den Deutschen die Verwirklichung des Bösen als ewigen Zivili­sations­beitrag überläßt, während sich der Rest der Menschheit in bewußtloser Unschuld und Sicherheit der normalen Tagesordnung des Lebens zuwenden kann.

 

Quelle: Die Zeit, 4. Juni 1998 unter dem Titel »Das Jahrhundert der Demozide. Ist der Holocaust wirklich unvergleichbar?«

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Ulrike Ackermann 

Der Terror gehörte schon mit zum Anfang.

Nun in deutscher Übersetzung: Das in Frankreich erarbeitete Schwarzbuch des Kommunismus

 

Am 2. Mai 1967 forderte Jean-Paul Sartre auf dem internationalen Vietnam-Tribunal in Stockholm einen »Nürnberger Prozeß«. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – so die Forderung vieler Linker – sollte die amerikanische Regierung auf die Anklagebank. »USA-SA-SS«, das war damals eine geläufige Parole, die viele Transparente der Vietnam-Kriegsgegner zierte.

Die Zeiten haben sich geändert: Der Antiamerikanismus ist zahmer geworden, der Kommunismus ist von der Weltbühne abgetreten. Die ungarische Verfassung enthält einen Passus, der die sowjetische Niederschlagung der ungarischen Revolution 1956 unter die »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« rubriziert, eine Rechtsnorm, die erstmals bei den Nürnberger Prozessen 1945 Anwendung fand. Die Genfer und New Yorker Konventionen, so die ungarische Begründung, hätten 1956 bereits Gültigkeit gehabt – auch wenn der Westen damals deren gewaltsame Brechung zugelassen hat. In Prag gibt es seit einiger Zeit eine vom Parlament eingesetzte Kommission, die den Auftrag hat, »Verbrechen des Kommunismus« zu ahnden. Und in Paris fordert der Rechtspopulist Le Pen, Vorsitzender der Front National, seit einiger Zeit einen »Nürnberger Prozeß« gegen den Kommunismus.

Dies ist erklärtermaßen nicht das Ziel des Pariser Autorenteams, das zum 80. Jahrestag der Russischen Revolution das Schwarzbuch des Kommunismus vorlegte. Binnen kürzester Zeit erklomm es die Bestsellerlisten, war Anlaß abendfüllender Fernsehdebatten und sorgte für einen Eklat im französischen Parlament: Premierminister Jospin beschloß die Sitzung mit einer skandalösen Ehrenerklärung für seine kommunistischen Koalitionspartner.


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Seinen Kritikern von links hielt Herausgeber Stephane Courtois entgegen: »Hätte die Linke vor 20 oder 30 Jahren Vergangenheitsbewältigung betrieben gegenüber den Verbrechen des Stalinismus, dann könnte Le Pen heute nicht unser Buch für seine Zwecke ausschlachten.« Neben dem renommierten Kommunismusforscher Courtois waren fünf weitere Historiker, die in Fachkreisen hohes Ansehen genießen, an dem Werk beteiligt. Auf rund 900 Seiten liefern sie – allesamt kommen sie aus der Linken - erstmalig ein Kompendium über die Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden.

Die Opferbilanz beläuft sich auf 80 bis 100 Millionen Menschen, die mit dem Leben bezahlt haben: durch Genickschuß oder Kampfgas, Zwangsarbeit oder Deportation, politisch geplante Hungersnöte oder weil sie Opfer des Poliücide wurden: Nach nationalen und sozialen Kriterien gab Moskau festgelegte Quotierungen für »Klassenfeinde« vor und besorgte so die Auslöschung oder Vertreibung bestimmter Teile der Gesellschaft. Die Historiker rekonstruierten – teils auf der Grundlage neuen Archiv­materials –, daß der Terror ein Grundzug des real existierenden Kommunismus war und seinen Anfang bereits 1917 genommen hatte. »Zur Festigung ihrer Herrschaft machten die kommunistischen Diktaturen das Massenverbrechen zur Regierungs­form«, so Courtois in seinem Vorwort. Die Bolschewiken kombinierten ihre militärische Parteiorganisation mit einem utopischen Projekt der radikalen Umwandlung der Gesellschaft, der Schaffung eines »neuen Menschen«, notfalls mit Gewalt. Eine Utopie, auf deren Altar Millionen Menschen geopfert werden, ist bereits in ihrem Kern verbrecherisch.

An der aufgeführten Opferbilanz bestehen in Fachkreisen keine Zweifel. Der französische Historikerstreit entzündete sich vielmehr an Courtois' Vor- und Nachwort: In der Analyse der Verbrechen verwendet der Herausgeber Begriffe, die er der juristischen und historischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus entlehnt. Viele dieser Massenverbrechen entsprächen allen Kriterien der »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, wie sie für die Nürnberger Prozesse formuliert wurden. Er wagte einen Vergleich zwischen Hitlers »Klassengenozid« und Stalins »Rassengenozid«, ohne Nationalsozialismus und Kommunismus in ihren Ideologien und ihrer Gewaltherrschaft gleichzusetzen.


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Ein Aufschrei in der Linken war die Folge. Leidenschaftlich hielt sie, gleich einem Pawlowschen Reflex, die Opfer des Faschismus jenen des Kommunismus entgegen, sah die Ehre der Resistance-Kämpfer beschmutzt und forderte ein »Schwarzbuch des Kapitalismus«. Ähnlich erging es dem im letzten Jahr verstorbenen Historiker Frangois Füret mit seinem Buch über Das Ende der Illusion. Er ging der erstaunlich lange anhaltenden Faszination des Kommunismus in diesem Jahrhundert nach. National­sozialismus und Kommunismus waren für ihn totalitäre Ideologien, die in einer konfliktuellen Komplizenschaft zueinander standen.

Die Reaktionen von linker und linksliberaler Seite auf das Schwarzbuch folgen einem merkwürdigen Wiederholungszwang. Immer noch verteidigt man die »gute« emanzipatorische Idee des Kommunismus gegen seine Perversion durch Stalin. Bis heute wird an einer Revolutionsidee festgehalten, die den »terreur« der Jakobiner rechtfertigt und die lange Zeit in der Sowjetunion die zeitge­nössische Fortsetzung der Französischen Revolution sah. Mit dem Sieg der Sowjetunion über Hitler triumphierte dann ideologisch ein Antifaschismus, der die Wahrnehmung der kommunistischen Verbrechen systematisch ausblendete.

Auch nach 1989 scheinen in vielen Köpfen Verbrechen, die im Namen des vorgeblich Guten begangen wurden, weniger verdammens-wert zu sein als jene, die im Namen des Bösen, sprich Hitler, verübt wurden. Gedenkstätten für die Opfer des Kommunismus sind denn auch nach dessen Zusammenbruch kaum auffindbar. Die Lüge, die ein Herzstück des kommunistischen Totalitarismus war, setzt sich in dessen Wahrnehmung im demokratischen Westen zuweilen bis heute fort. Daran scheinen auch die harten Fakten, die nach der Öffnung der Archive aller Welt zugänglich sind, wenig zu ändern.

1946 legte der kürzlich verstorbene David Rousset ein erstes grundlegendes Werk über die kommunistischen Lager vor: L'univers concentrationnaire. Selbst von den Nazis deportiert, rief er 1949 alle Überlebenden der NS-Lager auf, eine Kommission zur Untersuchung der sowjetischen Lager zu bilden. Eine heftige Diskussion entbrannte in Paris. Wütend wurde er von Jean-Paul Sartre und Maurice Merlau-Ponty als Abtrünniger beschimpft. Margarete Buber-Neumann schrieb daraufhin 1950 im Figaro litteraire über ihre doppelte Erfahrung als Deportierte in nationalsozialistischen und sowjetischen Lagern unter der Überschrift »Für die Untersuchung der sowjetischen Lager. Wer ist schlimmer, Satan oder Beelzebub?«


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Literarische und biographische Zeugnisse über den roten Totalitarismus gab es nicht erst seit dem Spanischen Bürgerkrieg. Man erinnere an Manes Sperber, Arthur Koestler, Alexander Weißberg-Cybulski, Warlam Schalamow, Czeslaw Milosz oder Alexander Solschenizyn, die ihre Erfahrungen als Abrünnige der Kommunistischen Partei oder als ehemalige Lagerinsassen der eher abwehrend gesinnten, westlichen Öffentlichkeit preisgaben. Ihnen haftete gerade in Deutschland immer das Verdikt der »Renegaten« an. 

Auch nach dem Fall des »antifaschistischen Schutzwalls« tut man sich hierzulande schwer, den Blick vergleichend auf beide totalitäre Regimes zu richten; in den Köpfen vieler Westdeutscher und Ostdeutscher scheint der »Schutzwall« im verborgenen weiterzuexistieren.

Joachim Gauck, der Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde, und Ehrhardt Neubert, der Autor eines großen Werks über die Opposition in der DDR, setzen sich in dem Essay, das der deutschen Ausgabe des Schwarzbuchs beigefügt ist, mit dieser deutschen Lage auseinander. Die Volkspädagogik unter der Regie der SED verhinderte die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: »Wer zum kommunistischen Lager gehörte, zählte zu den >Siegern der Geschichte< und war somit Teil der guten Welt des Antifaschismus.

Verbündete der Sowjetunion zu sein, befreite automatisch von deutscher, brauner Schuld. Eine kurze Entnazifizierung in der SBZ diente primär dem Elitenwechsel.« Viele Nazis machten später in der Partei Karriere: »Sobald sie ins Lager der Kommunisten überwechselten, waren sie einer substantiellen Bearbeitung eigener Verstrickung und Schuld enthoben.« Die verbreitete Haltung in der späteren DDR war, so Gauck und Neubert nicht ohne Selbstkritik, ein Arrangement der Bevölkerung mit dem neuen Regime, eine »Selbstentmächtigung durch höhere Einsicht«. Ein schleichender Übergang vom Akzeptieren zum Mitmachen und letztlich Mitverantworten fand statt.

Dem entsprach auf westdeutscher Seite die zweite Phase der Entspannungspolitik; ideologisch war sie begleitet von einem Anti-Anti-Kommunismus der Linken, die in der deutschen Teilung die gerechte Strafe für Auschwitz sah. So wie heute vielen ein Schwarzbuch über die Verbrechen des Kapitalismus wichtiger erscheint als eines über die Verbrechen des Kommunismus, kritisierte man den Kapitalismus und lobte die sozialistischen Errungenschaften der DDR. Sehnsucht nach diesen alten Zeiten macht sich heute wieder breit.

Der Berliner Antifaschist und Historiker Wolfgang Wippermann etwa denunzierte das Schwarzbuch auf der »Volksuniversität«, einer traditionellen linken Sammlungsveranstaltung, die alljährlich zu Pfingsten stattfindet, als »Geschichtsschreibung mit dem Taschenrechner« – so als käme es nicht auf einige Millionen Tote an, wenn nur die gute Absicht gegeben sei.

Der Kommunismus wurde nicht militärisch besiegt, sondern durch die Demokratiebewegungen in Ostmitteleuropa endgültig delegitimiert. Der Fall des Eisernen Vorhangs wurde möglich, weil die Sowjetunion wirtschaftlich und militärisch zu geschwächt war, um wie 1953 in Berlin, 1956 in Ungarn und 1968 in Prag ihre Einflußsphäre gewaltsam zu sichern. Der Forderung Le Pens nach einem neuen Nürnberger Prozeß entgegnet Courtois in seinem Nachwort: »Die Verbrechen des Kommunismus sind im Namen demokratischer Werte, nicht im Namen nationalsozialistischer Ideale zu analysieren und zu verurteilen.« Man kann sich nur wünschen, daß der neue, nun von französischer Seite ins Land getragene Streit an einige immer noch virulente Denkverbote rührt, die bereits den deutschen Historikerstreit drei Jahre vor der Wiedervereinigung noch vehement geprägt hatten.

Quelle:  Süddeutsche Zeitung, 8. Juni 1998

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Christian Ruf 

Wer hört denn noch auf die Signale?

In Frankreich löste es Streit aus, nun erscheint Das Schwarzbuch des Kommunismus in Deutschland

Quelle: Dresdner Neueste Nachrichten, 11. Juni 1998 

 

»Liegt das Verbrechen im Kommunismus, so wie es im Nationalsozialismus liegt?« Gestellt hat diese ketzerische Frage Stephane Courtois im Vorwort des von ihm herausgegebenen Schwarzbuches des Kommunismus, das eine erste weltumspannende Bestandsaufnahme der kommunistischen Verbrechen versucht. Courtois beantwortet die Frage mit einem Ja - im Widerspruch zu nicht wenigen anderen Schwarzbuch-Autoren. Eigentlich erzählt das Buch nichts Neues, die Verbrechen sind hinlänglich bekannt. Bei unserem Nachbarn Frankreich löste das Werk trotzdem einen erbitterten Streit aus. Nun ist das Buch auf deutsch im Piper Verlag erschienen, ergänzt um das von Ehrhardt Neubert und Joachim Gauck verfaßte Kapitel »Die Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR«.

In Frankreich mit seinem Resistance-Mythos flogen die Fetzen. Premierminister Jospin mußte rettend eingreifen, damit die Debatte erstarb. Stalin ist schuld, nicht der Kommunismus und schon gar nicht der französische. Die französische Linke, insbesondere die an der Regierung beteiligte KPF, zog sich auf die nationalen Traditionslinien zurück und stahl sich mit einem Fingerzeig auf Stalin aus der Verantwortung und der Geschichte. Die Verweigerung der Debatte speist sich aus denselben Quellen wie die Weigerung, sich mit Vichy auseinanderzusetzen.

Im Ostblock wurde das Schwarzbuch gelassener aufgenommen, nicht zuletzt deshalb, weil man die Ideologie real zu ertragen hatte. Während in der Bundesrepublik vor drei Jahren jeder scheel angesehen wurde, der das Wort »Befreiung« Deutschlands nur mit Bauchschmerzen und einem »ja, aber« über die Lippen pressen konnte, behaupten in Polen nicht mal postkommunistische Politiker und Historiker, Polen sei 1945 von der Roten Armee »befreit« worden. 


CHRISTIAN RUF     151

Polens Antikommunisten, Intellektuelle der demokratischen Opposition, ja selbst Dissidenten aus den Reihen der Partei, hatten bei der Debatte um Parallelitäten und Ähnlichkeiten von Nationalsozialismus und Kommunismus nie ideologische Bauchschmerzen. Aber Osteuropas Intellektuelle können Thesen wie die von Courtois auch unbefangener diskutieren, weil sie sich nicht vor dem Verdacht schützen müssen, sie würden national­sozialistische Verbrechen bagatellisieren. In Deutschland ist man, um sich vom NS-Regime zu distanzieren, zur Identifizierung mit den Opfern verpflichtet. Und niemand war mehr Opfer als Juden und Zigeuner. Doch in Polen, den baltischen Staaten, der Ukraine oder Weißrußland gedenkt man in erster Linie der eigenen Opfer, und da schneiden Rote Armee, ja der ganze Kommunismus äußerst schlecht ab. Ins Baltikum kam die Wehrmacht zunächst mal als »Befreier«, auch wenn's trotz Wehrmachts­ausstellung schwerfällt, das zu akzeptieren. Das böse Erwachen kam erst später.

Steht uns hierzulande jetzt auch eine Debatte bevor? Mal sehen, wie die bundesdeutschen Linken auf Courtois-Sätze wie diesen aus dem Schwarzbuch reagieren: »Der Hungertod eines ukrainischen Kulakenkindes >gilt soviel< wie der Hungertod eines jüdischen Kindes im Ghetto von Warschau«. Vermutlich – so meine Prognose – mit einem Aufschrei der Entrüstung und dem entwaffnenden »Argument« Faschist. Oder wird sich Linke dem Streit verweigern und sich (mal wieder?) in die geistige Wagen­burg zurückziehen?

Nun gut, die Vergleichsthese hat zugegebenermaßen etwas Prekäres. Schon im deutschen Historikerstreit hatte die Vergleichs­debatte etwas unangenehm Akademisches. Und einen kausalen Nexus zwischen rotem und braunem Terror wie einst der Historiker Ernst Nolte, dessen These, der Archipel Gulag sei »ursprünglicher« als Auschwitz gewesen, lehnt Courtois zu Recht ab. Und genauso wie es problematisch ist, Nationalsozialismus und Faschismus in einen Topf zu werfen, muß man fragen, ob es sinnvoll ist, die verschiedenen Spielarten des Kommunismus über einen Kamm zu scheren. Auch die vom Schwarzbuch präsentierten Opferzahlen bieten, weil vermutlich zu hoch, Anlaß zur Kritik. Doch Jorge Semprun, der im KZ Buchenwald inhaftiert war und 1964 von der spanischen KP wegen Reformismus ausgeschlossen wurde, ist beizupflichten, wenn er sagt:


 Christian Ruf   152

»Es kommt nicht in Frage,... den Vergleich zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus zu verweigern. Wie auch immer die Schlüsse aus diesem Vergleich ausfallen, und wer auch immer sie zieht. Der Vergleich ist notwendig. Zunächst, weil wir aus ihm den Begriff des Totalitarismus gewinnen, auch wenn bei diesem Begriff alle Welt vor Schmerz aufheult...« 

Schmerzen, die mit einer Tablette nicht zu betäuben sind. Denn wer den Vergleich akzeptiert, muß die gesamte Geschichte der Intellektuellen, die Geschichte der Linken und der politischen Bündnisse revidieren. Und so manche Säulenheilige der »Intelligenz« erweisen sich dann als Blutsäufer, Feiglinge oder bestenfalls kurzsichtige Schwärmer.

Courtois' linke Gegner bemühen vor allem zwei Strategien gegen den Vergleich: das Argument der Differenzierung und das Argument des »humanen Rests«. Mit Differenzierung ist gemeint, daß man die Kommunismen der Welt nicht über einen Kamm scheren könne. Während in Polen oder der DDR vergleichsweise wenig Säuberungen stattfanden, fiel in Kambodscha immerhin ein Fünftel der Bevölkerung einem geplanten Genozid zum Opfer. Das zweite Argument, das des »humanen Rests«, vertritt die Ansicht, daß der Nationalsozialismus von vornherein kriminell war, während der Kommunismus auf einer ursprünglich befreienden Ideologie beruhe. Dieses Credo ist das unverzichtbare Opium der Linken, denn nur das gleichermaßen blinde wie fast schon religiöse politische Engagement hielt den Mythos trotz der Realitäten und Desillusionen so lange aufrecht. Nun gesteht sich zwar mancher ein, daß der Kommunismus keine Lösung parat hält, aber schön war's irgendwie doch. Von dieser Unfähigkeit zu trauern und der Trotzhaltung leben die Postkommunisten - nicht nur natürlich, aber eben auch.

Berge von Leichen und Massengräber, aber die Idee ist doch gut. Man könnte auch einen Satz von Octavio Paz zitieren: »Selten haben soviele gute Gründe soviele wohlmeinende Seelen dazu gebracht, soviele Ungerechtigkeiten zu begehen.« Mit dem unbeirrbaren Glauben an die Richtigkeit der Idee, rechtfertigten vor allem westliche Intellektuelle jahrzehntelang ihre absichtliche Blindheit. Sartre, einer der einflußreichsten Intellektuellen der 50er Jahre, erklärte: »Jeder Antikommunist ist ein Hund.« Der auch von mir sonst sehr geschätzte Philosoph hat eine notwendige Debatte blockiert, als er kategorisch verlangte: »Es ist eine Niedertracht, die sowjetischen Lager untersuchen zu wollen.« Der Terror Stalins, Maos und anderer wird damit entschuldigt, daß ein rückständiger Agrarstaat zu einem


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hochindustrialisierten Superstaat aufstieg (de facto dann doch nur ein Obervolta mit Raketen) und der Analphabetismus beseitigt wurde. Wer sich da unangenehm an Rechtfertigungsmuster aus dem rechten Lager erinnert fühlt, das in den 50ern gern die Judenverfolgung mit Hitlers Autobahnen und der Vollbeschäftigung aufwog, liegt so falsch nicht.

Man kann ja kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen!? Courtois zitiert die Replik eines Dissidenten: »Die zerschlagenen Eier habe ich gesehen. Aber wo ist das Omelett?« Courtois eigentliche Provokation liegt in der Kritik des Antifaschismus, die er aus Francois Furets Ende der Illusion (1995) übernimmt, und in der der französische Historiker Furet mit der Problematisierung des Antifaschismus den demokratischen Charakter der KPF in Frage stellt. Furet sieht, daß sowohl Kommunismus als auch Nationalsozialismus gegen die Demokratie stehen, läßt die Ideologien im Ersten Weltkrieg und im bürgerlichen Selbsthaß ihrer Vordenker wurzeln. Semprun hat auf einen seiner Ansicht nach wichtigen Unterschied hingewiesen. Der Haß der Nazis auf die Bourgeoisie zerstörte diese nicht, während die Kommunisten diese wirklich liquidierten. Die Kommunisten seien also, vom soziologischen Standpunkt aus gesehen, zerstörerischer gewesen für die Gesellschaft. Mit der paradoxen Konsequenz, daß es leichter sei, vom Faschismus zur Demokratie zurückzukehren als vom Kommunismus.

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Das Schwarzbuch des Kommunismus  -  »Eine Vorstudie zur Topographie des Grauens« 

MANFRED FUNKE    <Politische Meinung>, 8/1998

 

Noch längst nicht sind alle Dossiers totalitärer Systeme erschlossen. Und so kann auch das Schwarzbuch des Kommunismus trotz seines gewaltigen Umfanges nur als eine Art Vorstudie zur Topographie des Grauens gelten. Hingegen bietet das Werk bereits eine kompakte Aufklärung über die intellektuelle Verblendung bei den Aufwendungen unterschiedlicher Dignität für den roten und braunen Terror. Bewußt wollen die Herausgeber auf die arithmetische Aufrechnung von zirka einhundert Millionen Opfern kommunistischer Anmaßung gegenüber 25 Millionen des Nationalsozialismus verzichten, aber man kann als Leser einer verschärften Relationierung, das heißt eines Vergleichs ohne Gleichsetzung von kommunistischen und nazistischen Terror-Regimen, laut Francois Furet »verfeindete Brüder«, nicht entgehen.

Mit Relationierung ist keine Relativierung von Verbrechen gemeint. »Wer einen Menschen tötet«, so Walter Jens, »verteidigt nicht eine Lehre, sondern tötet einen Menschen. So einfach ist das.« Aus dem Utopismus der Theoretiker ist heute vor allem der Verrat der Zwecke durch die angewandten Mittel konstatierbar. Aus der Perspektive der Opfer entfällt die moralische Rangfolge brauner und roter Diktatur ohnehin. Das lustvolle Quälen der Opfer hat mit dem aufgezwungenen Druck durch den Feind nichts zu tun.

Doch die von unserem Grundgesetz geforderte Äquidistanz zum rechten wie linken Totalitarismus wird von den Handwerks­burschen imperialer Entrüstungsroutine und vom Kartell des totalitären Liberalismus immer wieder neu eingetreten mit der Rabulistik vom sozialistischen Humanismus, der mit seinem Endziel des aus Entfremdung befreiten Neuen Menschen den Weg über Leichenberge letztlich rechtfertige. Gern wird dabei verwiesen auf das »Entwicklungsmodell« DDR vom terroristischen Stalinismus hin zur Versorgungsdiktatur der SED. 

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War aber »die Verwandlung von nacktem Terror in flächendeckende Überwachung und Kontrolle gleichbedeutend mit einer Liberalisierung«? Wer so mit Joachim Gauck (auf Seite 893 des Buches) fragt, wer den Verkauf von 31775 DDR-Häftlingen an den Klassenfeind im Westen für 3,4 Milliarden D-Mark als »Entwertung des Bürgers zum Exportgut« (Ehrhart Neubert) dingfest macht, kriegt bei der Verteidigung des Schwarzbuchs bei uns heute leicht eins aufs Maul. So entmutigt ist die Republik.

Jetzt zwingt aber das Schwarzbuch zum Aufstand gegen die medienbegünstigten Geschichts-Designer, die sich mit der totalen Okkupation der Menschheitsgeschichte in die Nachfolge jener Utopisten stellen, die den Sinn menschlicher Entwicklung danach ent- und verschlüsselten, wie es der eigenen subjektiven Verfügung über »objektive Gesetzmäßigkeiten« jeweils am dienlichsten schien.

Nur so wurde ein Diskussionsverbot darüber möglich, daß aus der Parallelität des Willens zur unbedingten Herrschaft, aus der Singularität des »Einparteienstaates«, aus der absoluten Verfügung über Recht und Menschenwürde, aus der Pädagogik des Hasses und des Führer-Mysteriums, aus der Allgegenwart des Terrors, aus dem psychologischen »Zureiten« der Opfer eine substantielle Ambiguität zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus entstehen konnte. Kommunisten wollten die Transzendenz von »1789« in der Realität manifestieren, Nazis wollten dieses Datum aus dem Menschheitsgedächtnis ausradieren - in diesen Extremen besteht der totalitäre Ort verspiegelter Begegnung.

Hitler nannte Roland Freister seinen Wyschinski, Stalins Chefankläger. In beiden Diktaturen wurde der »Feind« animalisiert. Hitler sprach von dem Juden als Bazillen, Maxim Gorki von Gegnern als »Ungeziefer«. Für Wyschinski waren Oppositionelle »stinkendes Aas«, »widerwärtige Bastarde aus Fuchs und Schwein«. Politische Versuchs-Medizin gab es unter Hitler und Stalin. Um Kranke und Debile, für Gorki »Parasiten«, zu vermindern, brauche man für Experimente »Hunderte von menschlichen Einheiten« (Gorki). Juden wurden von Stalin drangsaliert, weil sie sich als besonderes Vernichtungsziel Hitlers empfanden und damit angeblich eine Sonderrolle im Bolschewismus als dem wahren faschistischen Angriffsobjekt beanspruchten.

Den Schwerpunkt des Schwarzbuchs bildet die UdSSR, denn für das Forscherteam war die Sowjetunion Lenins und Stalins »die Matrix des modernen Kommunismus«. Dessen Ausformung und Blutspur in vier Kontinenten verfolgen Einzelstudien über Castros Herrschaft bis zum Afrokommunismus, über Spanien bis hin zu Kambodscha, Nordkorea und Afghanistan. In Kabul klärte der Gefängnisdirektor die Häftlinge auf: »Ihr seid hier, um zu Abfall gemacht zu werden.« Das Terror-Regime trieb von sechzehn Millionen Afghanen fünf Millionen aus dem Land, von den 1,5 bis zwei Millionen Toten waren neunzig Prozent Zivilisten.

Zuweilen kann das Werk aufgrund des jetzigen Forschungsstandes nur Splitterwissen vermitteln. Gleichwohl besteht der generelle Wert des Buches darin, ein Luftloch geschlagen zu haben in das Packeis des organisierten Vergessens und Verharmlosens bis 1989. Aber nicht nur bis dahin, wie die »double Standards« (Füret) unter unseren Intellektuellen mit ihrer Beharrlichkeit selektiver Wahrnehmung zeigen. »Es gibt unter Zeitgenossen«, so Ehrhart Neubert von der Gauck-Behörde, »widersinnige Recht­fertigungen und Verharmlosungen der kommunistischen Herrschaft samt ihrer Verbrechen. Doch diese bestätigen eigentlich nur, wie leicht Menschen zu Tätern und politischen Verbrechern werden können.«

Zur Loslösung aus psychopathogenem politischen Ästhetizismus, zur Rückbindung an intellektuelle Redlichkeit könnte Saul Bellows Wort hilfreich sein. Danach kann selbst höchste Intelligenz in den Dienst der Ignoranz gestellt werden, wenn das Bedürfnis nach Illusion nur groß genug ist.

Die Würde der Streitbaren Demokratie käme zu mehr Glanz und Festigkeit, wenn das Schlußkapitel des Buches »Die Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR« von Joachim Gauck und Ehrhart Neubert als Sonderdruck an alle Haushalte unserer Republik verteilt würde. Ihr Lebensgesetz heißt Freiheit statt Diktatur, nicht Kapitalismus statt Kommunismus.

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