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Ecce Homo! 

Epilog   

 

301-303

Das Kind wird den Leidensweg Christi zu gehen haben. Der Beginn aber von alledem liegt in jenem Ecce homo. Hier steht ein Mensch, er trägt nicht Gott in sich, er ist wie entleert und ist bereits gedemütigt und gezeichnet worden von solchen Gewalten, die ihn hätten verteidigen können. Dann wurde er vor die Menge, vor die Autorität der Gesellschaft geschleppt.

Die Schule war für das Kind die Stätte größter Trostlosigkeit. Jene ungeheuren Gebäude scheinen für eine Menge von Erwachsenen errichtet. Alles ist hier auf den Erwachsenen zugeschnitten: die Fenster, die Türen, die langen Gänge, die kahlen einförmigen Klassenzimmer. Und drinnen trug der Schüler seit vielen Generationen stets die schwarze Uniform, das Trauerkleid, eine ganze Kindheit hindurch. 

Die Familie ließ das Kind allein, verließ es an der Schwelle jenes Gebäudes: jenes Tor war wirklich eine Sperre, eine klare Trennungslinie zwischen zwei Lagern und zwei Verantwortlichkeiten. Und das Kind schien, weinend, hoffnungslos und von Furcht bedrückt, über jenem Tor Dantes Höllen­inschrift zu lesen: "Durch mich gelangt man in die Stadt der Schmerzen", in die Stadt, wo das verlorene Volk wohnt, das Volk, von dem die Gnade sich abgewandt hat. Eine strenge, drohende Stimme forderte das Kind samt vielen unbekannten Gefährten auf hereinzukommen, wobei man alle zusammen als böse Geschöpfe betrachtete, die Strafe verdient hatten: "Weh euch, ihr bösen Seelen ..." 

Und wohin wird das Kind gehen?

Es geht dahin, wo es der haben will, der befiehlt und gebietet. Es geht in eine ihm bestimmte Klasse, und irgendeiner macht den Minos, der je nachdem, wie oft er sich mit seinem Schweif umringelte, der verdammten Seele zu verstehen gab, für welche Abteilung der Hölle sie bestimmt war: für die erste, die zweite, die dritte oder gar die vierte, in denen alle ewige Strafen verbüßen und aus denen es kein Entkommen gibt. Ist man einmal drinnen im zugewiesenen Raum, so schließt eine Lehrerin die Tür. Von diesem Augenblick an ist sie Herrin und befehligt das Häuflein Seelen ohne Zeugen und ohne Einspruchsmöglichkeit.

Elternhaus und Gesellschaft haben das Kind ihrer Autorität übergeben. Die Menschen haben jene der Barmherzigkeit würdige Saat in den Wind gestreut, und der Wind hat sie hier abgesetzt. Die zarten, zitternden Glieder sind für drei und mehr Stunden der Agonie in eine Bank gefesselt, für drei und für abermals drei Stunden und lange Tage, Monate, Jahre. Da sitzt nun das Kind in seiner Bank, ständig gestrengen Blicken ausgesetzt, die zwei Füßchen und zwei Händchen dazu nötigen, ganz unbewegt zu bleiben, so, wie die Nägel den Leib Christi an die Starrheit des Kreuzes zwangen.

Und wenn dann in jenes nach Wissen und Wahrheit dürstende Gemüt die Gedanken der Lehrerin entweder mit Gewalt oder auf irgendeinem anderen gutbefundenen Weg hineingepreßt sind, dann wird es sein, als blute dieses kleine, gedemütigte Haupt wie unter einer Dornenkrone.

Jenes Herz voll Liebe wird von der Verständnislosigkeit der Welt durchbohrt werden wie von einer Lanze, und bitter wird ihm vorkommen, was die Bildung ihm zum Stillen seines Durstes darreicht.

Schon steht das Grab bereit für die Seele des Kindes, die inmitten so vieler Unnatürlichkeit nicht zu leben vermag; und ist sie begraben, dann werden viele Wächter darauf sehen, daß sie nicht aufersteht.

Aber das Kind ersteht immer wieder und kehrt immer wieder, frisch und lächelnd, um unter den Menschen zu leben. Wie Emerson sagt: das Kind ist der ewige Messias, der immer wieder unter die gefallenen Menschen zurückkehrt, um sie ins Himmelreich zu führen.

303

 

Ende

 

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