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2.  Die Entwicklung der Richtlinien

 

 

18-33

Das MfS faßte die Richtlinien für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern mehrfach neu. Sie fielen immer umfänglicher und differenzierter aus. Einen wesentlichen Einfluß auf die Überarbeitung hatten Erkenntnisse, die sich aus der praktischen IM-Arbeit ergaben. Die Richtlinien waren somit zugleich normatives Steuerungs­mittel und Reflex der Praxis. Darüber hinaus mußten sie dem gesellschaftlichen Wandel und veränderten ideolog­ischen Vorgaben angepaßt werden sowie den bürokratischen Ansprüchen eines personell stark wachsenden Staatssicherheitsdienstes genügen.

Dieser Prozeß ist nachzuzeichnen.

Leider sind für die Geschichte des IM-Regelwerkes wichtige Dokumente, die Aufschluß über den unmittelbar mit ihrer Erarbeitung verbundenen Diskussions­prozeß geben könnten, beseitigt. Dies geht aus eigens dazu gefertigten "Vernichtungs­protokollen" hervor. So heißt es etwa in dem zur Richtlinie 1/58, daß am 22. Januar 1959 "mittels Zerreißwolf" die Entwürfe und Materialien, die vor Druck­legung dieser Richtlinie im Umlauf waren, vernichtet wurden.33 Das belegt die konspirative Sorgfalt, um die die MfS-Führung bemüht war, erschwert aber die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte dieser Dokumente.

Im einzelnen waren von der Gründung des MfS im Jahre 1950 bis zu seiner Auflösung nacheinander fünf Richtlinien für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern gültig, klammert man Spezialrichtlinien für die Arbeit im sogenannten Operationsgebiet aus.34 Sie tragen alle die gleiche Unterschrift. Die ersten beiden unterzeichnete nicht der Minister, Wilhelm Zaisser, sondern Staatssekretär Mielke im September 1950 bzw. im November 1952.35 Die dritte und alle weiteren erließ Mielke dann als Minister: im Oktober 1958, im Januar 1968 und zuletzt im Dezember 1979.36

In den fünfziger Jahren traten somit drei IM-Richtlinien in Kraft: die erste lediglich für zwei, die zweite für sechs und die Richtlinie 1/58 für etwa neun Jahre. Die Richtlinie 1/68 galt dann über zwölf und die Richtlinie 1/79 über zehn Jahre, bis zum Januar 1990 (vgl. Tabelle 1).

33)  Büro der Leitung: Vernichtung der Entwürfe der Richtlinie 1/58, 3.1.1959 [sie!]; BStU, ZA, DSt 101113, o. Pag.; Übergabe-Vernichtungsprotokoll, 17.11.1958; ebenda.
34)  Richtlinie 2/68 vom Januar 1968 für die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im Operationsgebiet; BStU, ZA, DSt 101126; Richtlinie 2/79 vom 8.12.1979 für die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im Operationsgebiet; BStU, ZA, DSt o. Nr.
35)  Dokument 1, S. 159-163; Dokument 2, S. 164-191.
36)  Dokument 4, S. 195-239; Dokument 6, S. 242-282; Dokument 10, S. 305-373.


Tabelle 1: Gültigkeit der Richtlinien für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern

 

Erfassungs-richtlinie

Richtlinie 21

Richtlinie 1/58

Richtlinie 1/68

Richtlinie 1/79

von

21.10.1950

20.11.1952

1.10.1958

1.1.1968

1.1.1980

bis

19.11.1952

30.9.1958

31.12.1967

31.12.1979

12.1.1990

 

 

   2.1.  Erfassungsrichtlinie von 1950  

 

Erst sieben Monate nach dem Beschluß der Provisorischen Volkskammer vom 8. Februar 1950, die Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft in ein Ministerium für Staatssicherheit umzuwandeln, sind Initiativen erkennbar, die inoffizielle Arbeit zu formalisieren. Der Befehl 1 des Ministers, der dazu am 20. September 1950 erlassen wurde, veranlaßte die Ausarbeitung einer Richtlinie, die Festlegungen für die Arbeit mit den inoffiziellen Mitarbeitern und zu ihrer zentralen Erfassung enthalten sollte.37

Der späte Zeitpunkt mag irritieren, weil die zeitgenössische westliche Berichterstattung den Aufbau des MfS schon im Herbst 1949 in Vorbereitung gesehen und insbesondere die Spitzelfunktion der "neuen 'Gestapo' der Ostzone" hervorgehoben hatte.38 Es könnte also vermutet werden, daß es bereits einschlägige Regelungen gab. Doch das war nicht der Fall. Die Gründe für den späten Erlaß der ersten Richtlinie dürften mit der Geschichte der ostdeutschen politischen Polizei zusammenhängen, die bis in das Jahr 1945 zurückreicht.

Sie war bis zum Beginn der fünfziger Jahre vor allem durch eine großangelegte "instrumentalisierte politische Säuberung" geprägt.39 Bereits im April 1945 hatte die Moskauer KPD-Führung gefordert, daß "alle aufrichtigen Deutschen" mithelfen müßten bei der "Aufspürung und Vernichtung von Kriegsverbrechern, faschistischen Terroristen, Provokateuren und Saboteuren".40

 

37  Befehl 1/50 vom 20.9.1950 über die Schaffung einer Abteilung Erfassung und Statistik und über das Inkrafttreten der Richtlinien; BStU, ZA, DSt 100001, S. 1. Mit diesem Befehl traten ebenfalls die "Richtlinien über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR festgestellt wurden" (BStU, ZA, DSt 101091) und die "Richtlinien zur Erfassung der durch die Organe des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verhafteten Personen" (BStU, ZA, DSt 101091) in Kraft.

38  Neue "Gestapo" in der Ostzone, in: Telegraf vom 19.12.1949.

39  Zum Begriff vgl. die Einleitung in: Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller (Hrsg.): Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991, S. 7-20, hier 14f.

40  Richtlinien vom 5.4.1945 für die Arbeit der deutschen Antifaschisten in dem von der Roten Armee besetzten deutschen Gebiet; Stiftung Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv (SAPMO-BA), DY 30, Nachlaß (NL) 36/502, Bl. 89-94. Druck: Peter Erier, Horst Laude und Manfred Wilke (Hrsg.): "Nach Hitler kommen wir". Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Führung 1944/45 für Nachkriegs­deutschland, Berlin 1994, S. 380-386, hier 381. An anderer Stelle heißt es: "Vor allem sind die Behörden zu unterstützen bei der Aufdeckung und Vernichtung der Naziverbrecher." Ebenda, S.383.

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Diese "gründliche Reinigung" zählte die KPD-Führung41 in den ersten Nachkriegswochen zu den "unmittel­barsten und dringendsten Aufgaben".42 Eine politische Erweiterung dieser Säuberungsabsicht ist in der Gründungserklärung des "zentralen Einheitsfront-Ausschusses" der SBZ dokumentiert, zu dem sich KPD, SPD, CDU und LDP zusammengefunden hatten. Nun war auch "gegen das Gift der Nazi-Ideologie wie gegen alle imperialistisch-militaristischen Gedankengänge" anzugehen.43

In dieser Formulierung klingt bereits die Intention an, den "politischen Säuberungsgehalt" der Entnazifizierung zur strukturellen Umwälzung der Gesellschaft zu nutzen.44 Die Regelungen der Alliierten standen dem nicht entgegen, denn konkrete Festlegungen zur Entnazifizierung wurden erst mit der Kontroll­ratsdirektive 24 im Januar 1946 getroffen. Sie sah die Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstanden, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen vor.45

Die Entnazifizierung, die zugleich eine politische "Säuberung" war, setzte in der SBZ unmittelbar mit dem Einmarsch der Roten Armee ein.46 Zur Entnazifizierung der Verwaltungsapparate zogen die örtlichen Gliederungen des obersten Machtorgans in der SBZ, der "Sowjetischen Militäradministration in Deutschland" (SMAD), anfangs verschiedene "Antifaschistische Ausschüsse" heran, die über detaillierte Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse verfügten.47

 

41  Wilhelm Pieck: Berlin von Hitler befreit! Rundfunkansprache vom 4. Mai 1945, in: ders.: Reden und Aufsätze, Bd. l, Berlin 1954, S. 423-426, hier 425.

42  Aufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 11.6.1945, in: Deutsche Volkszeitung vom 13.6.1945. Druck: Erler/Laude/Wilke: Nach Hitler kommen wir! (Anm. 40), S. 390-397, hier 394.

43  Gründungs-Erklärung des zentralen Einheitsfront-Ausschusses vom 14.7.1945. Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien. Druck: Siegfried Suckut: Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945-1949. Die Sitzungsprotokolle des zentralen Einheitsfront-Ausschusses. Quellenedition, Köln 1986, S. 64f., hier 65.

44  Vgl. Clemens Volinhals in Zusammenarbeit mit Thomas Schlemmer (Hrsg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945-1949, München 1991, S. 43.

45  Vgl. Direktive 24 des Kontrollrates vom 12.1.1946 zur Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. Druck: Ruth-Kristin Rößler (Hrsg.): Entnazifizierungspolitik der KPD/SED 1945-1948. Dokumente und Materialien, Goldbach 1994, S. 64-81.

46  Vgl. Kurt Arlt: Das Wirken der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) im Spannungsfeld zwischen den Beschlüssen von Potsdam und den sicherheitspolitischen Interessen Moskaus 1945-1949, in: Bruno Thoß (Hrsg.): Volksarmee schaffen - ohne Geschrei! Studien zu den Anfängen einer "verdeckten Aufrüstung" in der SBZ/DDR 1947-1952, München 1994, S. 91-139.

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Obgleich die sowjetische Besatzungsmacht bis 1947 das Verfahren bestimmte, traten ab Juli 1945 mit der Bildung von Landes- und Provinzialverwaltungen sowie von Kriminalämtern der Polizei verschiedentlich deutsche "Kommissariate für Besatzungs­angelegenheiten" (K 7) in Erscheinung. Sie fungierten als Verbindungsstellen zu den "operativen Gruppen" des NKWD und unterstanden ausschließlich deren Weisungen.48 Bei dieser politisch-polizeilichen Tätigkeit wird es zum Einsatz von inoffiziellen Mitarbeitern ("V-Leuten") gekommen sein, die überwiegend der sowjetischen Seite unterstellt gewesen sein dürften.49 Belege dafür gibt es bislang nicht.

Das Tätigkeitsfeld der deutschen politischen Polizei, der sogenannten K 550, wurde durch den BefehT2ÖT der SMAD 5b, der im August 1947 ergangen war und die Direktiven 24 und 3852 des Alliierten Kontrollrates umsetzte, erweitert.53  

 

47)  Vgl. ebenda, S. 43; vgl. auch: Erich Reschke: Geleitwort, in: Die Volkspolizei 1(1948)1, S. l. In Dresden nahm diese Aufgabe die "Überwachungsabteilung" des Personalamtes der Stadtverwaltung wahr; BStU, ZA, Allgemeine Sachablage (AS) 229/66, Bl. 364. Den Hinweis verdanke ich Monika Tantzscher. Vgl. auch: Geschichte. Studienmaterial. Teil II, hrsg. von der JHS, 1980; BStU, ZA, JHS 132/80, S. 21.
48)  Hessischer Minister des Innern. Abteilung I P: Innenpolitische Information 103a (geheim) über den Staatssicherheitsdienst der Sowjetzonen-Republik vom 1.11.1950 (Abschrift); Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bestand Wilhelm Zaisser, S. l. In der MfS-Literatur werden sie als "spezielle Organe" gekennzeichnet; Geschichte. Studienmaterial. Teil II (Anm. 47), S. 21.
49)  "Die mit tschekistischen Aufgaben betrauten Genossen", heißt es in der MfS-Historiographie, "führten ihre verantwort­ungsvolle und komplizierte Arbeit im Rahmen der von der SMAD erlassenen Befehle und unter unmittelbarer Anleitung der sowjetischen Organe für Staatssicherheit durch." Diese bewältigte "in den ersten Jahren die hauptsächlichsten Aufgaben der inoffiziellen Arbeit"; Geschichte. Studienmaterial. Teil II (Anm. 47), S. 34f.
50)  Eine exakte Bezeichnung der K 5 erscheint kaum möglich. Der Vizepräsident der Deutschen Verwaltung des Innern (DVdI), Kurt Wagner, beklagte die uneinheitliche Bezeichnung mit Sonderreferat, Referat, Dezernat oder Kommissariat. Protokoll vom 7.10.1947 der Arbeitstagung der Dezernats- und Kommissariatsleiter; BStU, ZA, AS 605/66, Bl. 8^4-2, hier 8. In der Regel dürften schließlich bei den Landeskriminalämtern die Dezernate K 5 und bei den Kreiskriminalämtern die Kommissariate 5 bestanden haben; vgl. Der Staatssicherheitsdienst. Ein Instrument der politischen Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, hrsg. vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, Bonn/Berlin 1962, S. 15.
51)  Befehl 201 vom 16.8.1947 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung -Oberkommandierenden der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland. Richtlinien zur Anwendung der Direktiven 24 und 38 des Kontrollrates über die Entnazifizierung; BA, Abt. Potsdam, Archivgut des Ministeriums des Innern, Bestand Nr. 7. DVdI, Bd. 421, Bl. 14-17. Zur Bedeutung dieses Befehls aus Sicht des MfS; vgl. Geschichte. Studienmaterial. Teil II (Anm. 47), S. 38f. 
52)  Direktive 38 des Kontrollrates vom 12.10.1948 zur Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen. Druck: Entnazifizierungspolitik (Anm. 45), S. 97-124. 
53)  Norman M. Naimark: The Russians in Germany. A History of the Soviel Zone of Occu-pation, 1945-1949, Cambridge / London 1995, S. 360f.

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Von Bedeutung für die politische Polizei und für den Aufbau eines Netzes von inoffiziellen Mitarbeitern war, daß ihr im Kontext dieses Befehls von den sowjetischen Sicherheitsorganen, in deren Händen bis zu diesem Zeitpunkt die Bearbeitung aller wesentlichen politischen Delikte gelegen hatte, entsprechende Kompetenzen übertragen wurden.54 Innerhalb der im Juli 1946 gebildeten Deutschen Verwaltung des Innern (DVdI) erhielt Vizepräsident Erich Mielke die Zuständigkeit für die Durchführung dieses Befehls.55 Die Rolle der politischen Polizei bestand darin, in den von den Entnazifizierungskommissionen zugewiesenen Fällen zu ermitteln, Festnahmen oder Untersuchungshaft anzuordnen und die Ergebnisse der Recherchen den Staats­anwalt­schaften bzw. der SMAD zuzuleiten.56

Dabei zeigte sich jedoch, wie Mielke im Oktober 1947 feststellte, daß ein "großer Teil der Bevölkerung" die Mitarbeit an der Aufdeckung der "faschistischen Überreste" verweigerte. Mancherorts unterblieb sie vollständig, was die Ermittlung von "Beweismaterial" erheblich erschwerte.57 Die Bereitschaft, Personen anzuzeigen, war gesunken. Bis Januar 1948 waren bei der politischen Polizei lediglich rund 33.000 solcher Meldungen eingegangen.58

In dieser Situation kam die Frage nach inoffiziellen Mitarbeitern auf:  Sie wurden als Instrument zur "politischen Säuberung" gebraucht. Einer von der DVdI einberufenen Arbeitstagung im Oktober 1947, zu der Dezernats- und Kommissariatsleiter der K 5 eingeladen worden waren, kommt in diesem Zusammenhang entscheidende Bedeutung zu.59 Die dort versammelten Leiter betrachteten den Befehl 201 als eine "große Belastung", weil seine Umsetzung einen relevanten Teil der Mitarbeiter beanspruchte. Schon die bisherige Arbeit, wie die Untersuchung von Sabotage und Wirtschaftsdelikten, wäre kaum zu bewältigen. Offenbar wurden die Aufgaben allein von hauptamtlichen Mitarbeitern erledigt. Lediglich einzelne Dezernate der K 5 wie Leipzig und Dresden konnten von der Arbeit mit V-Leuten berichten.

 

54)  Vgl. Fritz Rotschu: "Der Befehl Nr. 20l", in: Die Volkspolizei 1(1948)8, S. 8; vgl. auch: Bernhard Sagolla: Die Rote Gestapo. Der Staatssicherheitsdienst in der Sowjetzone, 2. erw. Aufl., Berlin 1953, S. 10.

55 Vgl. Schlußwort Walter Ulbrichts auf der Konferenz der Innenminister der SBZ am 12.10.1947; SAPMO-BA, DY 30, NL 182/1085, Bl. 321-329. Druck: Entnazifizierungspolitik (Anm. 45), S. 184-187, hier 186. Darüber hinaus waren die Deutsche Verwaltung für Justiz und die Länderregierungen für die Durchführung des Befehls verantwortlich.

56 Vgl. Schema für den Aufbau der Prüfung und Untersuchung nach Befehl 201 vom 27.10.1947; SAPMO-BA, DY 30, IV 2/13/4. Druck: Entnazifizierungspolitik (Anm. 45), S.190.

57 Bericht von Erich Mielke über den Stand der Durchführung des Befehls 201 vom 16.8.1947 auf der Besprechung am 30.10.1947; SAPMO-BA, DY 30, IV 2/13/4. Druck: Entnazifizierungspolitik (Anm. 45), S. 196-211, hier 198f.

58)  Vgl. Ernst Schmidt: Auswertung der Entnazifizierung nach dem Stand vom 25.1.1948 in der Sowjetischen Besatzungszone; SAPMO-BA, DY 30, IV 2/13/4. Druck: Entnazifizierungspolitik (Anm. 45), S. 250-255, hier 255.

59)  Vgl. Protokoll vom 7.10.1947 der Arbeitstagung K 5 der Dezernats- und Kommissariatsleiter; BStU, ZA, AS 605/66, Bl. 8-42. Die Landespolizeibehörden wurden erst im Juli 1948 unmittelbar der DVdI unterstellt.

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Der Vizepräsident der DVdI, Kurt Wagner, versuchte, die Dezernenten von der unbedingten Notwendigkeit der "V-Leute-Arbeit" zu überzeugen. Sie seien, erklärte er, als "Garanten und Mithelfer" zu betrachten, die dazu beitragen würden, "die Aufgaben der K 5 zu lösen".60) Die "Schaffung" von V-Leuten sollte die Mitarbeiter der K 5 von den Mühen eigener Ermittlungen entlasten. Ein Leipziger Dezernent formulierte mit Blick auf die geringe Unterstützungsbereitschaft der Bevölkerung pointiert: "Wir hören praktisch nichts. Durch die V-Leute hören wir, was wir hören müssen."61)

Offenbar setzte jetzt, wenn auch nur langsam, die gezielte Rekrutierung inoffizieller Mitarbeiter ein. Doch spielten sie im Jahre 1948 noch keine nennenswerte Rolle bei der Informationsbeschaffung.62) Und auch im Gründungsjahr der DDR trat kein spürbarer Wandel ein, da – wie sich herausstellte – viele V-Leute innerhalb der Bevölkerung bekannt und folglich nicht mehr einsetzbar waren.63) Wichtigste inoffizielle Informanten waren gewiß die Funktionäre der SED in den örtlichen und regionalen Parteiapparaten.64) Gesucht wurden immer weniger ehemalige Nationalsozialisten, sondern "Reaktionäre", zudem "Saboteure" und "Verbrecher", die - wie unterstellt wurde - im Auftrag westlicher Geheimdienste und Organisationen den Wandel der SBZ/DDR zu einer politischen und wirtschaftlichen Ordnung sowjetischen Typus zu verhindern versuchten.65) Mit Beginn des Kalten Krieges hatten sich deutlich Feindbild und Arbeits­schwer­punkte geändert.

Die systematische Rekrutierung von inoffiziellen Mitarbeitern setzte erst im Frühjahr 1950 nach der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit ein. Die Landesverwaltungen Sachsen und Sachsen-Anhalt des MfS meldeten Ende des Jahres 2.428 bzw. 2.267 IM.66 In "Groß-Berlin" (faktisch: Ost-Berlin) waren es dagegen zu diesem Zeitpunkt erst 141, von denen die ersten im Mai 1950 verpflichtet wurden. Im Ministerium in Berlin wurden bis zum Jahresende 1950 nur 368 IM erfaßt, deren Werbung fast ausnahmslos ab September erfolgt war. Die Landesverwaltung Thüringen registrierte 1951 die ersten IM. Bis zum Jahresende wurden dort lediglich 480 erfaßt.67

 

60  Ebenda, Bl. 27.
61  Ebenda, Bl. 17.
62  Vgl. Komissariat 5: Bericht über die Frühjahrsmesse 1948, o. D.; BStU, ZA, AS 408/67, Bl. 6-9. Den Hinweis verdanke ich Maria Haendke-Hoppe-Arndt.
63  Vgl. Sagolla: Rote Gestapo (Anm. 54), S. 12.
64  Vgl. Geschichte. Studienmaterial. Teil II (Anm. 47), S. 65.
65  Gegen die "Industriepolizei", in: Die Volkspolizei 1(1948)5/6, S. l.
66  So können Rekrutierungen von inoffiziellen Mitarbeitern beispielsweise für Zwickau bereits für März 1950 belegt werden; BStU, ZA, AIM 19453/80, Personalakte, Bd. l, Bl. 2. Aus der hier genannten Akte ist zu ersehen, daß dieser IM im Mai 1950 schriftlich verpflichtet und von der Landesverwaltung Sachsen als 1.086. inoffizieller Mitarbeiter in Sachsen im Tagebuch der Abteilung Erfassung und Statistik vermerkt worden war.
67  Die Angaben beruhen auf speziellen Tagebüchern der Abteilung Erfassung und Statistik des MfS, in denen die IM registriert wurden. Das vom MfS dazu statistisch erstellte Material ist noch nicht erschlossen.

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1950 dürfte die Gesamtzahl der inoffiziellen Mitarbeiter des MfS deutlich unter 10.000 gelegen haben (vgl. Tabelle 2, S. 30). Dieser Befund kann rückblickend nicht überraschen, war der Ausbau des inoffiziellen Mitarbeiterapparates doch eine Aufgabe, die das MfS selbst in den folgenden Jahren nur mit Mühe bewältigte. Die regelmäßige Überarbeitung der Richtlinien ist ein Indiz dafür.

Erst mit dem Beginn der systematischen Rekrutierung von inoffiziellen Mitarbeitern im Sommer 1950 wurden Bestimmungen notwendig, die deren zentrale Erfassung, eine einheitliche Begrifflichkeit und administrative Verfahren beschrieben. Dazu wurde der Befehl 1 vom 20. September 1950 erlassen, der u. a. die Gründung einer Abteilung Erfassung und Statistik im Ministerium und in den Landesverwaltungen sowie die Ausarbeitung entsprechender Stellenpläne verfügte. Danach waren bis zum 15. Oktober 1950 alle bereits vorhandenen IM zu überprüfen, ihre Aufgabenkategorien festzustellen und schließlich in der Abteilung Erfassung und Statistik zu registrieren. Zudem wurden in dem Befehl Richtlinien für die Erfassung der inoffiziellen Mitarbeiter angekündigt, die am 21. Oktober 1950 in Kraft treten sollten.68

Von den "Richtlinien über die Erfassung der geheimen Mitarbeiter, der Informatoren und der Personen, die konspirative Wohnungen unterhalten"69) (Erfassungsrichtlinie) wurden lediglich zwölf Exemplare verteilt, die jedoch vom gesamten operativen Personal zur Kenntnis genommen und beachtet werden sollten.70 In dieser Vorschrift sind Festlegungen zu Kategorien und zur Rekrutierung von IM enthalten. Größeres Gewicht kam offensichtlich der administrativen Organisation der Abteilung Erfassung und Statistik zu, denn insbesondere die Bestimmungen zur Erfassung und Registrierung, zur Aufbewahrung und Übergabe der Akten sowie zur Berichterstattung sind maßgeblich auf deren Bedürfnisse zugeschnitten.

Auf nur vier Schreibmaschinenseiten konzentriert werden in der Erfassungsrichtlinie Erkenntnisse wieder­gegeben, die in ihrer Dichte und Prägnanz auf jahrelange Erfahrungen nachrichtendienstlicher Arbeit verweisen. Darin sind Grundaussagen enthalten, die trotz gewisser Modifikationen bis zur Auflösung des MfS Gültigkeit besaßen. Ein solches Grundsatzdokument kann nicht allein die Frucht von knapp dreijähriger inoffizieller Arbeit der politischen Polizei in der SBZ gewesen sein. Vielmehr deutet einiges auf Adaptionen aus entsprechenden sowjetischen Bestimmungen hin.

 

68  Befehl 1/50 (Anm. 37), S. 1. Mit diesem Befehl traten ebenfalls die "Richtlinien über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR festgestellt wurden" (BStU, ZA, DSt 101091) und die "Richtlinien zur Erfassung der durch die Organe des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verhafteten Personen" (BStU, ZA, DSt 101091) in Kraft.

69  Dokument 1, S. 159-163.

70  Vgl. Befehl 1/50 (Anm. 37), S. 2.

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Auffällig ist insbesondere die eigentümliche Begrifflichkeit für die inoffiziellen Mitarbeiter, von denen nun ein Teil als "Informatoren" bezeichnet wurde. Die MfS-Historiographie hatte stets betont, die sowjetischen Sicherheitsorgane hätten den Aufbau des MfS maßgeblich unterstützt, indem sie ihre Erfahrungen zur Verfügung stellten; ihre Hilfe habe sich auf "alle Arbeits­prozesse" erstreckt.71

In der Erfassungsrichtlinie wird der bis dahin gebräuchliche Terminus "V-Mann" durch drei Kategorien inoffizieller Mitarbeiter ersetzt: geheime Mitarbeiter, Informatoren und "Personen, die eine konspirative Wohnung unterhalten". Im Vergleich zu den später erlassenen Richtlinien zeigt sich, daß diese Kategorien in der Folgezeit lediglich umbenannt und weiter aufgeschlüsselt wurden, aber in ihrem Charakter unverändert blieben. Tatsächlich entsprechen die drei in der Erfassungsrichtlinie genannten Kategorien elementaren Funktionstypen inoffizieller Arbeit des MfS, die verallgemeinert zu bezeichnen sind als IM zur aktiven "Feindbekämpfung", IM zur Sicherung bestimmter Bereiche und IM für logistische Aufgaben.72

Zu der in allen Richtlinien anzutreffenden Grundstruktur zählen Festlegungen zur administrativen Seite der Rekrutierung von IM. Beispielsweise war vor der "Werbung" einer Person zu prüfen, ob sie bereits von einer anderen Stelle geführt wurde. Die Verpflichtung eines Kandidaten durfte nur mit Genehmigung durch den Vorgesetzten des Führungsoffiziers erfolgen. Ihm war ein schriftlicher Vorschlag einzureichen und nach erfolgter Verpflichtung ein Bericht zu übergeben. Danach hatte der Führungsoffizier den neuen IM der registrierenden Stelle anzuzeigen, die diesen; dann auf Karteikarten sowie in einem Tagebuch erfaßte und ihm eine Registriernummer gab. Selbst die Ordnung der IM-Unterlagen war für alle späteren Richtlinien grundlegend. So sah schon die Erfassungsrichtlinie die Führung einer Personal- und einer Arbeitsakte vor und enthielt die Bestimmung, nach der Beendigung der "Zusammenarbeit" mit einem IM die Unterlagen dem Archiv zu übergeben.73

Die Erfassungsrichtlinie enthielt keine Ausführungen zur politischen Bedeutung und äußerte sich nicht zur Legitimation der Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern. Dabei wurde die Notwendigkeit der Einrichtung eines Staatssicherheitsdienstes bereits vor seiner Gründung aus dem Artikel 6 der Verfassung abgeleitet, der Boykott-, Mord- und Kriegshetze unter Strafe stellte.

 

71)  Geschichte. Studienmaterial. Teil III (1949-1955), hrsg. von der JHS, 1980; BStU, ZA, JHS 133/80, S. 17. In Polen und Rumänien werden IM ebenfalls als Informatoren bezeichnet.
72)  Vgl. Kapitel 3: Die Funktionstypen, S. 62-90.
73)  Vgl. Dokument l, S. 159-163.

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Um die "volle Wirksamkeit" dieses Artikels zu garantieren, erklärte Mielke, müßten "geeignete Organe" geschaffen werden, die den "Kampf gegen Agenten, Saboteure und Diversanten" aufnähmen, damit die Justiz die Möglichkeit erhalte, die festgenommenen und überführten Täter "der gerechten Strafe" zuzuführen.74

Obgleich das MfS in diesem Artikel eine "bedeutsame Rechtsgrundlage" sah,75 wurde in der Erfassungsrichtlinie darauf nicht Bezug genommen. Immerhin hieß es bei den kargen Funktionszuweisungen für die geheimen Mitarbeiter, sie sollten Informationen über "feindliche" bzw. "illegale, antidemokratische" Tätigkeit und Spionage beschaffen.76 Damit wies das MfS den inoffiziellen Mitarbeitern eine Schlüsselrolle bei der politischen Überwachung des "Hinterlandes" zu.

 

 

(2.2)  Richtlinie 21 von 1952

 

Am 20. November 1952 wurde von Staatssekretär Mielke die "Richtlinie 21 über die Suche, Anwerbung und Arbeit mit Informatoren, geheimen Mitarbeitern und Personen, die konspirative Wohnungen unterhalten",77 in Kraft gesetzt. Sie löste die Erfassungsrichtlinie ab, ohne daß dies ausdrücklich erwähnt wurde. Anders als ihre Vorgängerin enthält die Richtlinie 21 eine Präambel, in der die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern in die Beurteilung der politischen Lage eingeordnet ist, verbunden mit den sich daraus ergebenden Anforderungen an die innere Sicherheit der DDR.

Ausgangspunkt waren die Beschlüsse des III. SED-Parteitages vom Juli 1950, von denen sich der Staatssicherheitsdienst in seiner "gesamten Tätigkeit" leiten ließ.78 Unmittelbare Auswirkung auf den Verlauf dieses Parteitages hatte der Ausbruch des Koreakrieges wenige Wochen zuvor, ein Ereignis, das sich in der Bewertung der internationalen Lage niederschlug: Pieck sprach, die tatsächliche Entwicklung geschichtspropagandistisch verfälschend, vom Übergang des "anglo-amerikanischen Imperialismus von der aggressiven Kriegspolitik zur direkten, offenen und brutalen militärischen Aggression". Damit erklärte er den "Kampf um den Frieden" zur "erstrangigen Hauptaufgabe".79 Ulbricht benannte auf dem Parteitag die sich daraus ergebenden Aufgaben für das MfS:

 

74)  Erich Mielke: Vortrag, in: Stenographische Niederschrift aus der Ministerratssitzung am Donnerstag, dem 26. Januar 1950 (Unkorrigiert); BA, Abt. Potsdam, Deutsche Demokratische Republik. Regierung. Protokolle der Sitzungen, Bl. 179-196, hier 195f. Sowohl im unkorrigierten als auch im offiziellen Protokoll dieser Sitzung wird Erich Mielke als "Meier (Ministerium des Innern)" bezeichnet.
75)  Geschichte. Studienmaterial. Teil III (Anm. 71), S. 40.
76)  Dokument l, S. 159.
77)  Dokument 2, S. 164-191.
78)  Geschichte. Studienmaterial. Teil III (Anm. 71), S. 25.
79)  Wilhelm Pieck: Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Partei, in: Protokoll des III. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. 20. bis 24. Juli 1950 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin. 1.-3. Verhandlungstag, Berlin 1951, S. 20-108, hier 21.

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"Wir machen darauf aufmerksam, daß die amerikanischen, britischen, französischen und jugoslawischen Agentenzentralen eng mit der Schumacher-Zentrale in Hannover und der Kaiser-Zentrale in Bonn zusammenarbeiten, die täglich Agenten in die Deutsche Demokratische Republik schicken. Besonders nach dem Einfall der Amerikaner in Korea müssen sich alle friedliebenden Kräfte bewußt sein, daß die dort angewandten Methoden der Kriegsprovokation auch in Magdeburg oder in Gebieten an der Zonengrenze Anwendung finden können. [...] Wenn die feindlichen Kräfte wissen, daß sie im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik keine Stützpunkte mehr haben, dann werden sie es sich reiflich überlegen, solche Provokationen zu riskieren."80

Der Staatssicherheitsdienst hatte das "Hinterland" zu sichern, im Staatsapparat "peinlichste Sauberkeit" herzustellen,81 "illegale Schumacher-Agenten" zu entlarven und die "trotzkistische Agentur" in der SED aufzudecken. Tatsächlich konzentrierte er einen Teil seiner operativen Arbeit auf westliche Nachrichtendienste, auf das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen ("Kaiser-Zentrale") und die "gefährlichste und wirksamste feindliche Organisation", das Ostbüro der SPD ("Schumacher-Zentrale").82

Zu den Organisationen, die es zu "zerschlagen" galt, zählten die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU), der "Untersuchungs­ausschuß freiheitlicher Juristen" (UfJ), der "Bund Deutscher Jugend" (BDJ) und die Zeugen Jehovas. In den Jahren bis 1952 gelangen dem MfS dabei, wie es behauptete, "beachtliche Erfolge". So wurden 1951 die Zeugen Jehovas verboten. Im Mai 1952 fand gegen Mitglieder der KgU ein Prozeß statt, in dem zum ersten Mal seit Gründung der DDR ein Todesurteil gefällt wurde. Die KgU galt mittlerweile als die "gefährlichste und verbrecherischste Agentenorganisation". Schließlich folgte im Juli 1952 ein Prozeß gegen UfJ-Mitglieder.83 Einen wichtigen Beitrag dazu werden die Informationen der inoffiziellen Mitarbeiter geliefert haben, denn sie waren "von Anfang an die Hauptkräfte des MfS, um in die Konspiration des Feindes einzudringen, die Pläne und Absichten des Feindes aufzudecken."84

 

80)  Walter Ulbricht: Der Fünfjahrplan und die Perspektive der Volkswirtschaft, in: Protokoll des III. Parteitages (Anm. 79), S. 338-416, hier 409f.
81)  Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Protokoll des III. Parteitages (Anm. 79), S. 225-275, hier 274.
82)  Geschichte. Studienmaterial. Teil III (Anm. 71), S. 27-29.
83)  Ebenda, S. 49 und 53f.
84)  Ebenda, S. 21. Wolfgang Buschfort nennt drei Fälle, in denen Mitarbeiter des Ostbüros der SPD inoffizielle Mitarbeiter waren; ders.: Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung bis zur Berlin-Krise, München 1991, S. 116-121, hier 117. Siegfried Mampel ermittelt fünf IM im Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen; ders.: Der Untergrundkampf des Ministeriums für Staatssicherheit gegen den Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen in Berlin (West). Schriftenreihe des Landesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR von Berlin, Bd. 1, Berlin 1995, S. 53-62, hier 53. Zur KgU vgl. Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948-1959, München 1987.

27


Beispielsweise richtete sich die im Mai 1951 durch die MfS-Führung ausgelöste Aktion "Wetterleuchten" ausschließlich gegen die KgU ("Hildebrand-Zentrale"). Alle Informatoren und geheimen Mitarbeiter sollten geplante Aktivitäten der Kampfgruppe ermitteln.85

"Vorrangig" aber wurden die IM von 1951 an "zur Absicherung neuralgischer Punkte in den Betrieben" eingesetzt.86 Die Gewähr­leistung der inneren Sicherheit besaß das uneingeschränkte Primat beim MfS,87 und in diesem Zusammenhang kam der Sicherung der Industrie die größte Bedeutung zu. Verkündet wurde dieser Auftrag ebenfalls auf dem III. SED-Parteitag, der den ersten Fünfjahrplan (für die Jahre von 1951 bis 1955) beschlossen hatte, bei dem es darum ging, die Volkswirtschaft dem sowjetischen Vorbild anzupassen und die Privatwirtschaft noch weiter zurückzudrängen.

Aus der Sicht Ulbrichts suchte der "Gegner" die "Aufbauerfolge" der DDR durch die "verschiedensten Methoden der Sabotage" zu stören: "Gerade darin kommt die Verworfenheit des Gangstertums der feindlichen Kräfte in Westdeutschland zum Ausdruck, daß sie nach Hitlers Beispiel nur einen Gedanken haben: Zerstören, zerstören."88 Sie schrecken, erklärte Pieck im gleichen Tenor, "vor Diversionsakten, Brandstiftungen, Eisenbahnattentaten und Sabotageakten gegen unsere Volkswirtschaft nicht zurück".89

Nicht ohne Konsequenzen war für das MfS die zunehmende Blockintegration der beiden deutschen Teilstaaten nach dem "Korea-Schock". Gegen die Einbeziehung der Bundesrepublik in die Europäische Verteidigungs­gemeinschaft wurde eine heftige Kampagne lanciert. Die sowjetische Außenpolitik verfolgte neben anderen wohl auch die Option, einen Friedensvertrag für einen einheitlichen deutschen Staat zustande zu bringen.

 

85  Dienstanweisung 9/51 vom 31.5.1951; BStU, ZA, DSt 100837. Ähnliche Anweisungen und Richtlinien ergingen für die anderen Organisationen. Die "Bekämpfung" dieser Organisationen war Aufgabe der "Linie III", innerhalb des MfS in die Abteilung V/5 eingebunden. Sie war zuständig für "Terrorakte, Diversion, Attentate, Putschversuche" sowie "Unter­grund­gruppen" und "Agentenzentralen". Im Kontrast zur behaupteten Gefährlichkeit des Feindes waren für diese Aufgabe zumindest im Jahre 1955 in der Hauptabteilung V/5 nur 29 Planstellen ausgewiesen, davon lediglich 18 besetzt, auf die Linie III entfielen neun Mitarbeiter. Hinzu kam in der Regel ein Mitarbeiter auf Bezirksebene, zuweilen nur ein Hilfssach­bearbeiter im Rang eines Feldwebels. Vereinzelt blieb zeitweise diese Linie unbesetzt. Insgesamt verfügten die Bezirksverwaltungen über mehrere Dutzend IM, die nur auf diese Organisationen angesetzt waren. Vgl. Organigramm der Abteilung V/5. Ministerium für Justiz - Terrorakte, Diversionen, Attentate und Putschversuche, organisierende und ausführende Untergrundgruppen und Agentenzentralen - Untergrundgruppen mit faschistischem und militaristischem Charakter und die dazugehörigen Agentenzentralen; BStU, ZA, DSt 101550; BStU, ZA, AS 170/56, 5 Bde, hier: Monatliche Berichterstattung auf den Linien der HA V/5/III.
86 Geschichte. Studienmaterial. Teil III (Anm. 71), S. 47.
87 Vgl. ebenda, S. 21.
88 Walter Ulbricht: Der Fünfjahrplan und die Perspektiven der Volkswirtschaft (Anm. 80), S.409.
89 Wilhelm Pieck: Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Partei (Anm. 79), S. 57.

28


Zugleich aber wurde die Spaltung forciert durch die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR und durch die Aufnahme der DDR in den osteuropäischen Wirtschaftsbereich, den RGW, im Herbst 1950. Als sich abzeichnete, daß ein einheitliches Deutschland politisch nicht mehr realistisch war, wurde die Integration der DDR in den sowjetischen Block vorangetrieben. Seinen Ausdruck fand dies auf der 2. Parteikonferenz im Juli 1952, die den "Aufbau des Sozialismus" proklamierte, in dessen Folge die sozialistische Transformation planmäßig beschleunigt wurde. Welchen Aufgaben sich das MfS in diesem Kontext zu widmen hatte, umriß Ulbricht in seinen Ausführungen, die wörtlich Eingang in die Präambel der Richtlinie 21 fanden:

"Mit der gesteigerten Kriegsvorbereitung verstärken der amerikanische Imperialismus und seine Bonner Vasallen ihre Spionage-, Sabotage-, Diversions-, Zersetzungs- und Schädlingsarbeit im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik von Tag zu Tag. Hierbei spielen die deutschen Agentenzentralen, die bürgerlichen Parteien sowie die rechte SPD-Führung in Westdeutschland und Westberlin als Hilfstruppe des anglo-amerikanischen Geheimdienstes eine wichtige Rolle." 90) 

Die beschleunigte sozialistische Transformation stieß auf breite Ablehnung in der Bevölkerung und erforderte flankierende Maßnahmen durch das MfS. Die konspirative Durchdringung der Gesellschaft war zu verstärken, um das "Hinterland" zu festigen und von den Feinden zu säubern".91

Eine der Konsequenzen für den Staatssicherheitsdienst bestand darin, alle Formen der politischen Abweichung von der Parteinorm als mittelbar oder unmittelbar von außen gesteuerte "Feindtätigkeit" wahrzunehmen und entsprechend zu behandeln. Allein im Zeitraum von August bis Dezember 1952 wurden 1.476 Personen festgenommen, wobei jegliche Form von Wider­ständigkeit verfolgt wurde: Verbreitung von Gerüchten, Waffenbesitz, politische Agitation, Desertion bis hin zu nachrichtendienstlicher Tätigkeit.92

 

90)  Walter Ulbricht: Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der SED, in: Protokoll der Verhandlungen der 2. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 9. bis 12. Juli 1952 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Berlin 1952, S. 20-161, hier 71; vgl. Dokument 2, S. 164.
91)  Otto Grotewohl: Für einen starken Staat der Werktätigen unserer Republik, in: Einheit 7(1952), S. 773-782, hier 774f.
92)   Bericht vom 1.2.1953 über die Verschärfung des Klassenkampfes nach der 2. Parteikonferenz der SED; BStU, ZA, AS 185/56, Bl. 4; vgl. auch: Falco Werkentin: Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, Berlin 1995, S. 405-407; Karl Wilhelm Fricke: Zur Menschen- und Grundrechtssituation politischer Gefangener in der DDR, Köln 1986; Gerhard Finn (unter Mitarbeit von Karl Wilhelm Fricke): Politischer Strafvollzug in der DDR, Köln 1979; ders.: Die politischen Häftlinge der Sowjetzone, Pfaffenhofen 1960.

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Tabelle 2:

Neu und umregistrierte IM in den Landesverwaltungen und Verwaltungen des MfS (ohne Bezirksverwaltungen)93

Jahr:

1950

1951

1952

MfS-Zentrale

368

3.791

2.830

Berlin

141

639

489

Brandenburg

*

*

*

Mecklenburg

*

*

*

Sachsen

2.428

2.146

1.697

Sachsen/Anhalt

2.267

5.465

1.325

Thüringen

-

480

1.055

Wismut

-

1.351

906

gesamt

5.204

13.872

8.302

*  Die IM-Registrierbücher liegen nicht vor.

 

Das IM-Netz entsprach damals noch nicht den Anforderungen, die sich aus der geschilderten Einschätzung der politischen Lage ergaben. Es waren, wie es in einer internen Analyse von 1980 rückblickend und verharmlosend hieß, noch "bestimmte Schwächen" vorhanden.94 Im Zeitraum von 1950 bis 1952 dürfte die Zahl der Rekrutierungen von inoffiziellen Mitarbeitern bei etwa 30.000 gelegen haben (vgl. Tabelle 2). Ihre Arbeit wurde parteiintern noch sehr kritisch bewertet.95 Sie zu verbessern sei die "alles entscheidende Frage" bei der Durchsetzung einer "neuen Qualität der politisch-operativen Arbeit" gewesen, befand später die MfS-Historiographie.96 Dem entsprach die Führung des Staatssicherheitsdienstes mit dem Erlaß der Richtlinie 21 am 20. November 1952.

 

93  Die Angaben sind den IM-Registrierbüchern des MfS entnommen. Sie enthalten Mehrfachregistrierungen verschiedenster Art. Es wurden einerseits mehrere Personen unter einer Registriernummer erfaßt, andererseits wurden IM, die von anderen Diensteinheiten übernommen wurden, jeweils neu registriert. Besonders in den ersten Jahren kam es zudem häufig vor, daß Personen als IM erfaßt wurden, obgleich keine inoffizielle Arbeit mit ihnen vereinbart worden war. Schließlich konnte die konspirative Tätigkeit nach kurzer Zeit wieder beendet worden sein, eine Fortsetzung jedoch unter einer neuen Registriernummer erfolgen. Somit erlauben die Angaben über die im jeweiligen Jahr neu registrierten IM keine exakten Aussagen. Sie geben allerdings Aufschluß über Tendenzen der erfolgten Rekrutierungen und ermöglichen Schätzungen zum IM-Bestand. Im Ergebnis der im Herbst 1952 erfolgten Umstrukturierung des MfS durch die Einrichtung von Bezirksverwaltungen kam es zu einer dezentralen IM-Erfassung. Die Tabelle 2 berücksichtigt dies noch nicht. Tatsächlich erfolgten 1952 rund 15.000 IM-Einträge (vgl. Tabelle 3, S. 35).
94  Studienmaterial zur Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit. Teil III: 1949-1955, hrsg. von der JHS, 1980; BStU, ZA, JHS 133/80, S. 66.
95  Vgl. Schlußwort von Walter Ulbricht auf der Parteiaktivtagung im MfS am 28.5.1953; BStU, ZA, SdM1199.B1.261.
96  Geschichte. Studienmaterial. Teil III (Anm. 71), S. 66.

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Eine praxisnahe, mit Beispielen versehene Richtlinie war noch aus einem weiteren Grund vonnöten. Das MfS hatte seinen Bestand an hauptamtlichen Mitarbeitern im Jahre 1952 auf etwa 8.800 erweitert, was einer Verdoppelung binnen eines Jahres entsprach.97 Dieser Ausbau war nicht nur eine Konsequenz aus der Beurteilung der inneren Sicherheit, sondern auch Folge der 2. Parteikonferenz, die u. a. eine Gebietsreform beschlossen hatte.

An die Stelle der fünf Länder traten 14 Bezirks­verwaltungen, und die Zahl der MfS-Kreisdienststellen wuchs aufgrund der neuen Einteilung von 132 auf 217. Die neu eingestellten Mitarbeiter, die als Führungsoffiziere vorgesehen waren, bedurften nach internem Befund einer "konstruktiven, unmittelbar praktischen Arbeitsanleitung",98 die durch die direkte Ausbildung erfahrener Mitarbeiter allein nicht zu gewährleisten war. Die Richtlinie 21 sollte deshalb auch operative Erfahrungen vermitteln.  

Das MfS entwickelte zu diesem Zweck nach eigenem Urteil eines seiner "bedeutendsten Dokumente", das "erstmalig" zusammenfassend über die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern Auskunft gäbe und auf Basis einer "wissenschaftlichen Analyse" geschaffen worden sei.99 Mit der Einführung dieser Richtlinie, von der 505 Exemplare verteilt wurden, begann eine systematische Qualifizierung, vor allem durch wöchentliche Fachschulungen. Damit konnte den "noch unerfahrenen neu eingestellten Genossen" das IM-Regelwerk "sehr schnell" vermittelt werden, urteilten die MfS-Mitarbeiter später zufrieden. Mehr noch, es sei "Hilfe für alle Mitarbeiter" gewesen.100

In der Präambel der Richtlinie unterstellte die MfS-Führung einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen den politischen Erfordernissen und der Rekrutierung von inoffiziellen Mitarbeitern. Die Legitimität der IM-Arbeit wurde mit gegen die DDR gerichteten Aktivitäten sogenannter Agentenzentralen begründet. Einen Hinweis, daß sie auch auf einem gesetzlichen Auftrag beruhte, gab es nicht. Einzige Legitimation waren somit politische Vorgaben der SED-Führung. 

Um den "Kampf gegen die "Agentenzentralen" erfolgreich führen zu können, hielt das MfS es für notwendig, geeignete inoffizielle Mitarbeiter zu rekrutieren. Sie galten als "wichtigste Waffe im Kampf gegen Agenten, Spione, Saboteure und Diversanten".101) Diese Funktionszuweisung verengte das Tätigkeitsfeld der IM erheblich, zumal sie "nur zur Bekämpfung des Feindes eingesetzt" werden durften, wie es später in der MfS-Historiographie mit bedauerndem Unterton hieß.102

 

97  Vgl. Gieseke: Hauptamtliche Mitarbeiter (Anm. 6), S. 40 und 98.
98  Geschichte. Studienmaterial. Teil III (Anm. 71), S. 67.
99  Ebenda, S.66f.
100  Ebenda, S. 66-68.
101  Dokument 2, S. 164.
102  Geschichte. Studienmaterial. Teil III (Anm. 71), S. 67.

31


Tatsächlich waren in der Richtlinie lediglich die geheimen Mitarbeiter für die Arbeit gegen "Feinde", wie den <Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen>, die <Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit> oder den <Bund Deutscher Jugend> vorgesehen.103 Unerwähnt blieben die Informatoren. Sie paßten nicht in diesen Kontext, da sie bestimmte Bereiche sichern und definitorisch keine besonderen Verbindungen zu feindlich tätigen Personen unterhalten sollten. Faktisch jedoch wurde der Begriff der "Feindbekämpfung" weit gefaßt und von der MfS-Führung auch auf das Vorfeld feindlicher Tätigkeit bezogen. Informatoren hätten die Aufgabe, "begünstigende Bedingungen der Feindtätigkeit aufzudecken, vorbeugend zu wirken und den Kampf aus der Offensive heraus zu führen", wie es in der MfS-Historiographie später hieß.104 Mit diesem argumentatorischen Kunstgriff unterstellte die MfS-Führung, daß es zwischen inneren und äußeren Feinden eine "enge Verflechtung" gäbe.105

Das Besondere an der Richtlinie 21 ist, daß sie, wie ansatzweise schon die Erfassungsrichtlinie, alle Grundelemente vereinigte, die dann in den nachfolgenden Richtlinien lediglich modifiziert wurden. Darunter fiel die zielgerichtete, systematische und planmäßige Rekrutierung von inoffiziellen Mitarbeitern, die sich an Schwerpunkten der operativen Arbeit orientieren sollte. Die festgelegten Verfahren der Auswahl, Prüfung und "Werbung" von Kandidaten wurden in den nachfolgenden Jahrzehnten zwar präziser gefaßt, blieben aber grundsätzlich so konzipiert, wie sie nach der Richtlinie 21 durchzuführen waren. Dies gilt ebenfalls für die Bestimmungen zur "Zusammenarbeit" mit IM. In der Richtlinie wurden bereits alle grundsätzlichen Verfahren, wie die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Treffen mit IM, die Vergabe von Aufträgen und die Entgegennahme von Berichten, fixiert.

Zugleich trug die Richtlinie operativen Problemen Rechnung und schränkte die große Bandbreite von Interpretations­möglichkeiten, die die Erfassungsrichtlinie noch geboten hatte, erheblich ein. Die normativen Grundlagen der Arbeit mit IM wurden ausführlich beschrieben. Zahlreiche Fallbeispiele und detaillierte Orientierungshilfen verliehen der Richtlinie didaktischen Charakter: Als Steuerungsmittel und Handlungs­anweisung war sie dem damals im Durchschnitt noch bescheidenen intellektuellen Niveau und der geringen operativen Erfahrung der Mitarbeiter angepaßt.106 Zugleich wurden Schlußfolgerungen aus den Problemen im Umgang mit der Erfassungsrichtlinie gezogen, z.B. durch Nennung "einiger schlechter Beispiele verantwortungslosen Handelns".107 So entstanden neue Anweisungen und Handlungsnormen. Diese enge Wechselbeziehung zwischen praktischer Erfahrung und neuer Normsetzung ist über vierzig Jahre hinweg zu beobachten.

In der Richtlinie 21 wurden viel ausführlicher als bisher verwaltungstechnische Details behandelt. Genauere Festlegungen zur Aktenführung wurden getroffen. So mußte obligatorisch eine Personalakte angelegt werden, wenn eine Zusammenarbeit mit dem IM vereinbart worden war. Ein Aktenspiegel definierte deren Aufbau bis ins kleinste. Entsprechendes gilt für die Struktur der sogenannten Arbeitsakte. Sie hatte eine Abschrift über den Werbungsvorschlag und das Werbungsdokument, vor allem aber numerierte, vom IM handschriftlich verfaßte Berichte bzw. Treffberichte des Führungsoffiziers zu enthalten.108

War die Abteilung Erfassung und Statistik, die spätere Abteilung XII, beim Wechsel von IM-Akten an andere Organisationseinheiten des MfS bis 1952 lediglich unterrichtet worden, so mußte ein Wechsel nunmehr direkt über sie erfolgen109 – insgesamt eine Zunahme der Kontroll­bemühungen und eine Verfeinerung bürokratischer Arbeitsabläufe.

Die tatsächliche Verbindlichkeit der von der Richtlinie 21 neu gesetzten Normen scheint mitunter recht gering gewesen zu sein, was auch auf Vorgaben zurückzuführen ist wie: "am besten" sollten die Führungs­offiziere entsprechend der Richtlinie verfahren.110 Trotz intensiver Schulung blieb die Arbeit mit IM insgesamt hinter den Erwartungen zurück.111

32-33

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103  Dokument 2, S. 165-167.
104  Geschichte. Studienmaterial. Teil III (Anm. 71), S. 21.
105  Ebenda, S. 37.
106  Vgl Gieseke: Hauptamtliche Mitarbeiter (Anm. 6), S. 48f.
107  Dokument 2, S. 174f.

108)  Vgl. ebenda, S. 186-188.
109)  Vgl. ebenda, S. 188.
110)  Dienstanweisung 3/53 V/C vom 14.1.1953, hier Aufgaben des Sachgebietes C; BStU, ZA, DSt 100861, S. 27.
111)  Vgl. Protokoll der Dienstbesprechung mit den Leitern der Bezirksverwaltungen und den Abteilungsleitern am 21.8.1953; BStU, ZA, SdM 1921, Bl. 203-228, hier 220.

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