Helmut Müller-Enbergs (Hg.)
Inoffizielle Mitarbeiter
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1996 545 Seiten *1960 DNB.Buch Bing.Buch Google.Buch detopia M.htm J.Gieseke H.Knabe |
Inhalt Vorwort (7)
Dokumente (155) Editorische Vorbemerkung (155) Verzeichnis der Dokumente (156) Dokumente 1 bis 21 (159) Anhang (491)
Abkürzungsverzeichnis (491)
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1. Inoffizielle Mitarbeiter und ihre Führungsoffiziere (11)
2.
Die Entwicklung der Richtlinien (18)
3.
Die Funktionstypen (62)
4.
Der Rekrutierungsprozeß (91)
5.
Die Führung in der inoffiziellen Arbeit (117) 6. Bilanz (152)
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Mit den Richtlinien für die inoffizielle Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit werden erstmalig bedeutende dienstinterne Dokumente veröffentlicht, die es ermöglichen, ein weitgehend vollständiges Bild von Art und Umfang der Tätigkeit der zuletzt 174.000 inoffiziellen Mitarbeiter (IM) zu bekommen. Da diese Dokumente auf der Grundlage von KGB-Instruktionen entstanden, lassen sie zugleich Schlüsse auf die Arbeitsweise anderer osteuropäischer Geheimdienste zu, zu denen es bisher noch keine entsprechenden Veröffentlichungen gibt. In einer umfangreichen Einleitung analysiert der Herausgeber die unterschiedlichen Funktionstypen inoffizieller Mitarbeiter, beschreibt ihren Rekrutierungsprozeß, die Praxis ihrer konspirativen Tätigkeit und das Zusammenwirken mit den Führungsoffizieren. Die vorliegenden Dokumente sind ein unverzichtbares Hilfsmittel für Betroffene und Gremien, die mit der Bewertung von IM-Tätigkeiten beauftragt sind. Zugleich liefern sie wichtige Anhaltspunkte für Wissenschaftler und diejenigen, die sich für die Ursachen von Angst und Anpassungsdruck in der DDR-Gesellschaft interessieren. Analysen und Dokumente # Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik # Herausgegeben von der Abteilung Bildung und Forschung # Redaktion: Klaus-Dietmar Henke, Siegfried Suckut, Clemens Vollnhals, Walter Süß, Roger Engelmann Die Meinungen, die in dieser Publikationsreihe geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassungen der Autoren wieder. |
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Dr. Helmut Müller-Enbergs bstu.bund.de/DE/Wissen/Forschung/Mitarbeiter/mueller-enbergs.html Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ansprechpartner für HV A-Forschung. E-Mail: mueller.enbergs @ googlemail.com
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Vorwort
7-9
Nach dem Sturz der SED-Herrschaft und der Öffnung der Archive geriet eine Personengruppe in das Blickfeld der Öffentlichkeit, deren Existenz zwar bekannt gewesen, deren Bezeichnung aber in der DDR-Umgangssprache nicht zum Begriff geworden war: die „IM", die inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Eine Zeitlang schien es, als würde die Debatte über die Verstrickungen dieser heimlichen Zuträger die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte insgesamt dominieren.
Kaum ein Tag verging, an dem die Medien nicht über frühere inoffizielle Mitarbeiter berichteten. Insgesamt berieten mehrere hundert Kommissionen im öffentlichen Dienst, bei den Kirchen, Sportverbänden und Parteien, wie mit diesen zuletzt 174.000 IM umzugehen sei. Spektakuläre parlamentarische Untersuchungen fanden statt. Die Tätigkeit der inoffiziellen Mitarbeiter wurde zu einem besonders umkämpften Thema in der Debatte über die DDR-Geschichte. Dabei hatten die IM in diesem System über keine eigene Macht verfügt. Sie waren bloße Erfüllungsgehilfen der tatsächlichen Machtträger gewesen. Sie hatten den Weisungen ihrer Führungsoffiziere zu folgen gehabt, die Teil der MfS-Hierarchie waren und selbst lediglich als ausführendes Organ der SED-Führung fungierten.
Gleichwohl, was die inoffiziellen Mitarbeiter taten, war für das Funktionieren des politischen Systems und für den Machterhalt der Einheitspartei unverzichtbar. Der MfS-Chef Erich Mielke übertrieb nicht, wenn er sie immer wieder als "Hauptwaffe" des Staatssicherheitsdienstes charakterisierte.1)
Insgesamt haben im Laufe der DDR-Geschichte mindestens etwa 600.000 Personen – zumeist waren es Männer – als IM gearbeitet. Nur ein geringer Teil ist seit der Öffnung der MfS-Archive und dem Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (Ende 1991) enttarnt worden. Von all jenen, die auf Antrag ihrer Arbeitgeber von der Behörde des Bundesbeauftragten überprüft wurden, erwiesen sich im Durchschnitt sieben Prozent als ehemalige inoffizielle Mitarbeiter.
Zwar gab erhebliche regionale und berufsspezifische Unterschiede, doch konnte die überwiegende Mehrheit der enttarnten IM ihre bisherige berufliche Tätigkeit fortsetzen. Die zuständigen Kommissionen gehen in der Regel behutsam und differenzierend mit Beschäftigten um, zu denen ein „positiver" Auskunftsbericht des Bundesbeauftragten vorliegt. Gleiches gilt für die bislang etwa 300.000 Bürger, die durch das Studium der Akten erfahren haben, wer sie denunziert hat.
1) Dokument 10, S. 305.
Nur selten unternehmen sie juristische Schritte gegen die IM, die über sie berichtet haben. Ganz ausgeblieben sind erfreulicherweise Fälle von Lynchjustiz, vor der viele gewarnt hatten, als in den Gesetzgebungsverfahren der letzten Volkskammer und des Bundestages des vereinten Deutschlands über das Pro und Contra der Aktenöffnung gestritten wurde.
Mit der vorliegenden Veröffentlichung wird versucht, auf der Basis der erreichbaren Quellen darüber zu informieren, welche Funktionen und Aufgaben den inoffiziellen Mitarbeitern seit 1950 vom MfS zugedacht, wie ihre Tätigkeit zu organisieren und „anzuleiten" war. Überdies wird thematisiert, wie die Zusammenarbeit mit den IM tatsächlich verlief, inwieweit die Praxis den normativen Vorgaben entsprach.
Jede Verbreiterung des Wissens über die IM, der dieses Buch dienen soll, trägt zur Versachlichung der Debatte bei. Der vorliegende Band will darüber hinaus die Diskussion anregen, geht es doch um die Aufarbeitung eines bedeutenden, noch längst nicht hinreichend erforschten Kapitels der DDR-Geschichte. Bisher liegen kaum Veröffentlichungen vor, in denen die grundlegenden Normen für die inoffizielle Arbeit detailliert untersucht werden und in denen danach gefragt wird, welche Rolle den IM vom Staatssicherheitsdienst zugedacht war.
Die wichtigste Publikation vor der "Wende" erschien bereits 1957, herausgegeben von der in West-Berlin ansässigen „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU).2) Ausführlich und relativ exakt, auch in der Begrifflichkeit, wurden dort die administrativen Regelungen zur Arbeit mit IM beschrieben. Es wurden dabei Erkenntnisse, die auf Angaben von Überläufern beruhten, zusammenfassend referiert.3 In ihrer Detailliertheit blieb die Studie bis 1989 unerreicht und geriet zu Unrecht in Vergessenheit.
Im Jahre 1991 publizierten und erläuterten David Gill und Ulrich Schröter das zuletzt gültige Grundsatzdokument, die IM-Richtlinie 1/79.4 Die Abteilung Bildung und Forschung (BF) des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) brachte kurz nach ihrer Gründung im Jahre 1992 eine Dokumentation heraus, die alle zu diesem Zeitpunkt zugänglichen IM-Richtlinien in chronologischer Reihenfolge in Faksimile enthielt.5)
2) Ministerium für Staatssicherheit. Aufbau und Arbeitsweise. Hefte der Kampfgruppe, hrsg. von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, Berlin 1957, S. 13-17; vgl. auch: Karl Wilhelm Fricke: Die DDR-Staatssicherheit. Entwicklung. Strukturen. Aktionsfelder, Köln 1982, S.102-107.
3) Im einzelnen stützten sich diese auf Angaben aus der Dienstanweisung 57/54 vom 24.12.1954; BStU, Zentralarchiv (ZA), Dokumentenstelle (DSt) 100935; aus der Direktive 48/55 vom 30.11.1955; BStU, ZA, DSt 101141, und aus der Richtlinie 21 (Dokument 2, S. 164-191).
4) Vgl. David Gill und Ulrich Schröter: Das Ministerium für Staatssicherheit. Anatomie des Mielke-Imperiums, Berlin 1991, S. 414-477.
5) Vgl. Die Inoffiziellen Mitarbeiter. Richtlinien, Befehle, Direktiven, hrsg. vom BStU, Abt. Bildung und Forschung, Reihe A: Dokumente 1/92, 2 Bde., Berlin 1992.
8
Diese Sammlung grundlegender Dokumente wurde zum wichtigsten Hilfsmittel in der wissenschaftlichen Diskussion um die inoffiziellen Mitarbeiter und ist mittlerweile vergriffen. Die vorliegende Veröffentlichung präsentiert die grundlegenden Dokumente komplett und versieht sie, was seinerzeit nicht möglich war, mit einer umfangreichen analytischen Einleitung. Sie beschreibt deren Entstehungsgeschichte, analysiert den Wandel der Richtlinien und geht im Detail auf die Praxis der IM-Tätigkeit ein.
Die zahlreichen Anregungen und Vorschläge, die zu der Veröffentlichung von 1992 kamen, wurden berücksichtigt. Insbesondere das neu angefertigte Sachregister entspricht dem Wunsch nach einem schnellen Zugriff auf einzelne Aspekte des Themas. Damit kann diese Publikation als Nachschlagewerk von Wissenschaftlern und Betroffenen ebenso wie als praktisches Hilfsmittel für Kommissionen genutzt werden, die mit der Bewertung der inoffiziellen Tätigkeit beauftragt sind.
Seit der Veröffentlichung der IM-Richtlinien im Jahre 1992 förderte die archivalische Aufbereitung der MfS-Unterlagen weitere Grundsatzdokumente zur inoffiziellen Arbeit zutage. Sie in einem einzigen Band zu vereinigen war aus Platzgründen nicht möglich, so daß in den vorliegenden Band zunächst jene 21 Dokumente aufgenommen wurden, die die Grundlage für die Arbeit im Bereich innere „Abwehr" des Staatssicherheitsdienstes bildeten, der den größten Anteil an der inoffiziellen Arbeit6) innerhalb der DDR hatte. Die Richtlinien der Hauptverwaltung A (HV A), die vornehmlich politische und wirtschaftliche Spionage in der Bundesrepublik betrieb, der Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Nationale Verteidigung (MfNV), die mit der militärischen Spionage beauftragt war,7) und des sogenannten Arbeitsgebietes I der Kriminalpolizei (K I)8 werden in einem weiteren Band veröffentlicht.
Der Herausgeber dankt der Abteilung Archivbestände für ihre nachhaltige Unterstützung vor allem bei der Recherche in unerschlossenen Beständen. Besonderer Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen der Abteilung Bildung und Forschung für die kritische Durchsicht des Manuskripts und namentlich den Betroffenen, die von ihren Erfahrungen mit dem MfS berichteten. Nützlich waren zudem Auskünfte ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter, Führungsoffiziere und anderer hauptamtlicher Mitarbeiter auf gezielte Nachfrage zu ihrer früheren Tätigkeit; dafür sei auch ihnen gedankt.
Berlin, im April 1996, Helmut Müller-Enbergs
9-10
6) Vgl. Jens Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte, Struktur, Methoden. MfS-Handbuch, hrsg. von Klaus-Dietmar Henke, Siegfried Suckut, Clemens Vollnhals, Walter Süß und Roger Engelmann, Teil IV/1), Berlin 1995, S. 101; vgl. ferner: Helmut Müller-Enbergs: IM-Statistik 1985-1988, hrsg. vom BStU, Abt. Bildung und Forschung (BF informiert 3/93), Berlin 1993, S. 17.
7) Vgl. Helmut Müller-Enbergs: Normative Grundlagen für die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS. Eine Dokumentation, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), hrsg. vom Deutschen Bundestag, Frankfurt/M. 1995, Bd. VIII, S. 362-531, hier 371f.
8) Vgl. Das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei. Aufgaben, Struktur und Verhältnis zum Ministerium für Staatssicherheit, hrsg. vom BStU, Berlin 1994; Studie zur Tätigkeit des Arbeitsgebietes I der Kriminalpolizei und zum Zusammenwirken mit dem Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR, hrsg. vom Bürgerkomitee des Landes Thüringen, Zella-Mehlis 1994.