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 1.  Der Gegenstandsbereich der Ökologischen Religion 

 

 

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Keine Religion verdient diese Bezeichnung, die sich nicht zum Ganzen des Seins in eine umfassende Beziehung setzt. Diesen Bezug auf das Ganze des Seins teilt die Religion mit der Philosophie (zumindest haben sich die klassischen Systeme großer Philosophie von Plato bis Heidegger immer so verstanden). 

Aber stärker als der Philosophie geht es der Religion nicht nur um »Lösung« der Welträtsel und Seinsprobleme, sondern um Erlösung, um Heil und Heilsein, also um das »Öko-Logische«. »Das Heil und die Liebe zum Heil aller Dinge bleiben selbständige Urkategorien der Religion, das Seiende, wie es an sich ist, bleibt die selbständige Urkategorie der Metaphysik.« 1)

Indem also der religiöse Mensch sich auf das universale Ganze des Seins bezieht, ihm zu entsprechen sucht und dabei auch sein ganzes eigenes Sein in den Vollzug bringt, erwirkt er sein Heil, seine Integrität, sein wahres Gesund-Sein und — nach seiner Überzeugung — auch das der Dinge, der Natur, deren Teil er ist. Insofern ist jede Religion, die diese Bezeichnung verdient, in ihrer Tiefe und Zentralität ökologisch bestimmt und ausgerichtet. Keine kann sich das Heil des Menschen ohne das der Welt, des Kosmos, der Natur vorstellen. Das Paradies am Anfang und am Ende der Geschichte, von dem viele Religionen berichten, beinhaltet auch den totalen Frieden mit und unter den Tieren und Pflanzen, die in jeder Hinsicht befriedete Natur, weil der Mensch mit allem, was zur Natur gehört, die Geschöpflichkeit, die Kreatürlichkeit teilt, und eine partielle Erlösung, also die Erlösung eines Teiles, etwa nur die des Menschen, keine echte Erlösung wäre.

Aber gerade die großen, historisch gewordenen Religionen haben fast alle einen Sündenfall hinter sich, der dazu führte, daß sie sich ihres ökologischen Zentralanliegens nicht mehr bewußt waren, daß die goldenen »ökologischen« Lebensregeln, die sie einmal aufgestellt hatten, von Dogmen, die nur noch der Machtstabilisierung dienten, und von immer unverständlicher gewordenen Riten und Kultpraktiken überlagert, ja überwuchert wurden. Auch wurde — wie in der Einführung bereits erwähnt — die Natur aus dem religiösen Seins- und Wertverhältnis immer mehr hinausgedrängt, im Christentum spätestens seit der Ära des großen Kirchenvaters Augustinus (in manchem ein Vorläufer von Descartes, einem der Hauptväter der neuzeitlichen Philosophie der Subjektivität und Anthropozentrik sowie einer dadurch bedingten Geringschätzung und Mechanisierung der Natur). 

Das Heil wurde nur noch zwischen der Seele und Gott abgehandelt, die Natur blieb draußen, die Seele war naturlos, körperlos geworden. »Gott und die Seele begehre ich zu kennen, nichts sonst«, betonte, wie schon zitiert, Augustinus. Ja, die Beziehung zur Natur wurde zu etwas dem Heil der Seele Abträglichem: »Und die Menschen gehen hin und bewundern die Bergesgipfel, die gewaltigen Meeresfluten, die breit daherbrausenden Ströme, des Ozeans Umlauf und das Kreisen der Gestirne und vergessen darüber sich selbst.« 2)

Nur noch einmal gab es einen Lichtpunkt in der christlichen »Heilsgeschichte der Naturvergessenheit«: Franz von Assisi, seine vorbehaltlose Anerkennung von Tieren und Pflanzen, von Sonne und Mond, von Bergen, Flüssen, Meeren und Gestirnen als Brüder und Schwestern. Doch gerade zu seiner Zeit, nämlich im 12. und 13. Jahrhundert, nicht erst in der sogenannten Neuzeit, begann die technokratische Unterwerfung der Natur mit einer Vielzahl agrar-, Verkehrs- und energietechnischer Erfindungen ihren spektakulären Siegeszug, der in der Industriegesellschaft unserer Tage gipfelt.

Ausgerechnet ein Ordensbruder des Franz von Assisi, nämlich der englische Franziskanermönch Roger Bacon, entwarf im Spätmittelalter den Plan einer scientia experimentalis, einer Experimentalwissenschaft, die die wissenschaftliche Grundlage für die militärische und technische Beherrschung der Natur und menschlicher Gesellschaften liefern sollte.

Doch das alles sei nur am Rande erwähnt. Den vielfältigen und komplexen Beziehungen zwischen Christentum und Geschichte der Technik und Industrial­isierung kann hier nicht weiter nachgegangen werden.

Es muß jedoch noch einmal ganz deutlich gesagt werden: 

Echte Religion berücksichtigt das Ganze des Seins, denn nur durch den Bezug zu diesem Ganzen kann alles heil und heilig werden (das deutsche Wort »heilig« leitet sich vom griech. holos = ganz ab). Es ist dann schon eine — wenn auch nicht unbedingt in böser Absicht vorgenommene — Verengung der Religion, wenn diese allein durch den Gottesbezug definiert wird, indem man etwa begründend hinzufügt, daß Gott ja das Ganze des Seins sei. Deswegen habe ich in der Einführung das ganzheitliche Seinsverhältnis, das für Religion wesentlich ist, von vornherein konkreter ausgestaltet, indem ich die Ökologische Religion als jene bezeichnet habe, die das Verhältnis des Menschen zur Gesamtnatur und zum Kosmos in den Mittelpunkt stellt, die sich an das »große Haus des Universums« rück-bindet (von: religare), die die großen Ordnungen und Gesetze des äußeren Universums wie des inneren, nämlich der Psyche, erkennen, erfühlen, bewundern und verantwortungsvoll praktizieren will.

Das absolute Prinzip, ohne das allerdings keine Religion auskommt, fehlt dabei nur scheinbar. Es ist in den Begriffen Natur, Kosmos, Universum im Grunde bereits enthalten. Aber durch meine Art von Definition der Ökologischen Religion wird von vornherein der Annahme ein Riegel vorgesetzt, ein Mensch oder überhaupt irgendein intelligentes Lebewesen könne ohne Vermittlung durch den Kosmos, also unter Überspringung des Universums, in seiner geistig-materiellen Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit, eine Beziehung zum absoluten Prinzip aufnehmen. Eine solche Beziehung ist der Sache nach unmöglich, wer sie für sich behauptet, ist einer Illusion zum Opfer gefallen.

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