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1    Geburten  Chancen und Risiken    North-1986

 

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In den letzten 300.000 Jahren haben 46 Milliarden Exemplare der Spezies Homo sapiens die Erde bevölkert. Demnach leben gut zehn Prozent aller Menschen, die jemals die Erde bewohnt haben, heute. Im Jahre 1985 lebten 337 Millionen Menschen mehr auf diesem Planeten als vier Jahre zuvor.

Ihr Schicksal wird sehr unterschiedlich verlaufen, je nachdem, in welche Gesellschaft sie hineingeboren wurden. Das Spektrum reicht vom „modernen" Leben unter den Vorzeichen des technologischen Fortschritts in reichen Ländern bis zur althergebrachten Lebensweise unter teilweise „primitiven" Bedingungen in den Entwicklungsländern. Doch das Bild ist nicht einheitlich. In armen Ländern gibt es reiche, und in reichen Ländern arme Leute.

In den USA zum Beispiel mußten 1984 zwanzig Millionen Menschen hungern, ein Viertel davon waren Kinder. Im Südwesten der Vereinigten Staaten treten beachtlich viele Krankheiten auf, die durch Unterernährung verursacht werden und im allgemeinen für die Dritte Welt typisch sind.

Obwohl die Chance der Babies in der Armen Welt, ihren ersten Geburtstag zu erleben, heute durchschnittlich um fünfzig bis siebzig Prozent größer ist als noch vor zwanzig Jahren, ist es doch weiterhin zehnmal wahr­schein­licher als bei Säuglingen in der Reichen Welt, daß sie im ersten Lebensjahr sterben. Daß es seinen vierten Geburtstag erlebt, ist für ein Baby der Reichen Welt zehnmal wahrscheinlicher als für ein Baby der Dritten Welt. In Gambia, Sierra Leone und Malawi lebt - trotz verbesserter Überlebenschancen in diesen Ländern - eines von fünf Babies kein ganzes Jahr. Nach einer Untersuchung der Säuglingssterblichkeit in fünfzehn europäischen Staaten liegt die Bundesrepublik Deutschland mit 8,5 Todesfällen pro 1000 auf Platz acht. Die besten Chancen haben Kinder in Island: dort sterben nur 6 von 1000 Säuglingen.

Seit Jahrzehnten gibt es eine Flut von Vorhersagen zur künftigen Entwicklung der Weltbevölkerung. Prognosen, die davon ausgehen, daß die Bevölkerung stark ansteigen wird, haben bei ihren Berechnungen nicht einkalk­uliert, daß die Lebensmittelproduktion weltweit kaum unter den Aspekten einer gerechten Verteilung und einer ökologischen Stabilität betrieben wird. In vielen Teilen der Welt werden Hungersnöte auch in Zukunft dem Anwachsen der Bevölkerung entgegenstehen.

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Datum     Historische Periode    Bevölkerung

298000 v. Chr.  Entstehung des Homo sapiens  2 Mio

40000 v. Chr.   Steinzeit - der Mensch streift umher als Sammler und Jäger   3 Mio

8000 v. Chr   Vom Jäger zum Bauern - der Mensch wird seßhaft    5 Mio

0   Beginn der christlichen Zeitrechnung (eigentlich 1 n. Chr.)   200 Mio

1650   Das Zeitalter des Lernens   500 Mio

1830   Beginn der Industrialisierung    1000 Mio (1 Mrd)

1945   Das Atomzeitalter nimmt Gestalt an    2300 Mio (2,3 Mrd)

1985   Die Gegenwart     4842 Mio (4,8 Mrd)

 

Das Bevölkerungswachstum ist dennoch beträchtlich, und in vielen armen Ländern wird sich die Einwohnerzahl gegen Ende des Jahrhunderts vermutlich verdoppelt haben - ganz besonders in solchen Ländern, die kaum in der Lage sind, für ihre Einwohner genug Nahrung und sanitäre Einrichtungen bereitzustellen. Trotzdem deutet vieles darauf hin, daß Länder den Anstieg ihrer Bevölkerung durchaus mit Erfolg einschränken können: durch gezielte Geburtenkontrolle oder durch die vielleicht wirkungsvollste und am wenigsten demütigende Maßnahme, durch ein verbessertes Schul- und Bildungswesen.

Unglücklicherweise verläuft das Bevölkerungswachstum kumulativ. Auf den ersten Blick scheint es nicht so gravierend, ob die Wachstumsrate ein, zwei oder drei Prozent beträgt - in einem Jahrhundert jedoch bedeuten diese Zahlen ein Anwachsen um 270, 724 beziehungsweise 1922 Prozent. In den meisten Fällen kann ein armes Land nur dann Fortschritte bei der Ernährung seiner Einwohner erzielen, wenn die Bevölkerungszahl konstant ist oder sinkt. Um die Selbstversorgung in den Ländern der Dritten Welt zu stabilisieren, bedarf es jedoch weltweit umfassender Reformen der Agrarpraktiken.

Weit über zwei Milliarden Menschen leben in Ländern, deren Bevölkerung im Jahr um mehr als zwei Prozent wächst. Wenn eine Bevölkerung aber jährlich um 2,1 Prozent anwächst, dann ist sie nach 33 Jahren doppelt so groß. Soll eine Bevölkerung konstant gehalten werden, dann müssen pro Frau 2,1 Kinder geboren werden. Diese Zahl wird in vielen Weltgegenden erheblich überschritten: Asien (ohne China und Japan) 4,2 Kinder; Lateinamerika 4,5 Kinder, Afrika 6,4 Kinder, Nordamerika und Europa 1,9 Kinder, Sowjetunion 2,3 Kinder.

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Die Bandbreite des Problems liegt auf der Hand. Nigeria hat weniger als ein Drittel der Einwohnerzahl Rußlands, muß aber Jahr für Jahr 2,8 Millionen mehr hungrige Münder stopfen, während die Wachstumsquote der Sowjetunion niedriger, nämlich bei 2,2 Millionen liegt. Chinas und Indiens Bevölkerung vermehrt sich jedes Jahr drastisch, nämlich um fünfzehn Prozent beziehungsweise dreizehn Millionen.

Viele europäische Länder weisen heute eine konstante Bevölkerungszahl auf. Den Chinesen ist es mit einer Politik der Geburtenkontrolle, die aus einer drakonischen Mischung von Belohnung und Strafe besteht (die zwangsweise Sterilisation ist häufiger als allgemein zugegeben, und noch immer wird der Kindesmord an weiblichen Neugeborenen praktiziert), gelungen, die Geburtenrate um fast ein Drittel zu senken. Bei einem Bevölkerungszuwachs von mehr als einem Prozent wird es trotzdem eine ungeheure Aufgabe sein, bis zum Ende des Jahrhunderts die 1,2 Milliardengrenze einzuhalten (1986 waren es 1050 Millionen Chinesen).

Die jüngsten Geburtenziffern haben die Bevölkerungsplaner in Peking allerdings aufgeschreckt: mit knapp 15 Mio. Geburten lag 1987 der amtlich registrierte Zuwachs deutlicher als bereits im Vorjahr über dem Soll. In den Städten konnte zwar die „Ein-Kind-Familie" bei freier Versorgung mit Verhütungsmitteln und durch rigorose Überwachungsmethoden recht erfolgreich durchgesetzt werden. Auf dem Land dagegen, und dort leben achtzig Prozent der Chinesen, gilt nach wie vor, daß ein Kind Geschwister braucht. Die Regierung hat beschlossen, die vorübergehend gelockerten Kontrollmaßnahmen wieder zu verschärfen. Denn nach dem chinesischen Mondkalender steht das „Jahr des Drachens" vor der Tür. Nach altüberlieferter Tradition sind die Chinesen davon überzeugt, daß Kinder, die unter dem Zeichen dieses Glückssymbols gezeugt werden, zu außergewöhnlich tüchtigen, klugen und gesunden Menschen heranwachsen. Die Regierung befürchtet, daß mehr „Drachensöhne und -töchter" geplant sind, als die Bevölkerungspolitik verkraften kann.

In Indien und Bangladesch haben Bestechungen der unterschiedlichsten Art Einwohner dazu bewegt, sich freiwillig sterilisieren zu lassen. In anderen Staaten, vor allem im südlichen Kerala, wurden ungewöhnlich niedrige Geburtenraten erreicht, weil sich viele Frauen, die in diesem Staat eine überdurchschnittlich gute Schulbildung aufweisen, für Geburtenkontrolle entschieden.

Nur ein Drittel der Frauen in Entwicklungsländern benutzt empfängnisverhütende Mittel (in den Industriestaaten sind es 72 Prozent) - obgleich fast die Hälfte der Frauen in verschiedenen Ländern der Dritten Welt bei Umfragen angab, daß sie keine weiteren Kinder haben wollten. In der Dritten Welt haben Frauen, die die Schule besucht haben, im Durchschnitt weniger Kinder - grob gerechnet zwei bis drei Kinder weniger. Die Frauen in Bangladesch, die sieben Jahre oder länger eine Schule besuchen, verwenden fünfmal häufiger empfängnisverhütende Mittel als ihre weniger gebildeten Schwestern anderswo.

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In ärmeren Ländern sind empfängnisverhütende Mittel für viele Frauen nicht ohne weiteres erschwinglich, außerdem müssen die Familien groß genug sein, damit die Kinder später ihre Eltern versorgen können. Das Problem bei der Diskussion der Fortpflanzungsraten besteht zum Teil darin, daß die Vorteile einer konstanten oder sinkenden Geburtenrate in einer Gemeinschaft (falls sie überhaupt existieren, was umstritten ist) sozialer Art sind. Wenn alle Familien weniger Kinder bekommen, haben alle mehr zum Leben. Wenn eine einzelne Familie sich jedoch allein gegen den Trend stellt, dann hat sie weniger Kinder, die die Eltern im Alter unterstützen können, und sie haben dann obendrein mit eben jener Verknappung zu kämpfen, die durch zusätzliche Geburten verursacht wurde. Dies ist ein gutes Beispiel für die „Tragödie des gemeinen Volkes" - gemeinsam müssen sie das Richtige tun, damit der einzelne dadurch zumindest die Aussicht auf einen Vorteil hat.

 

Wieviel ist für jeden von uns da?

Es gibt auf der Erde rund 1,5 Milliarden Hektar Ackerland, mehr als 3 Milliarden Hektar Weideland und ungefähr 4 Milliarden Hektar Wald. Mehr als 8 Milliarden sind demnach nutzbar, können auf die eine oder andere Weise bewirtschaftet werden: das bedeutet etwa zwei Hektar pro Person.

Der Ökologe Arthur Westing hat die gegenwärtige Landwirtschaftsproduktion zugrundegelegt, die Belastbarkeit unserer Erde analysiert und berechnet, wie viele Menschen das Land bei unterschiedlichen Ansprüchen an den Lebensstandard ernähren könnte.

Die wesentlichen Fragen sind: Welche Bevölkerungsmenge könnte weltweit mit der gegenwärtigen Landwirtschaftsproduktion reichlich versorgt werden (etwa auf dem Niveau der reichen Nationen - mindestens aber beim Doppelten des durchschnittlichen Bruttosozialprodukts pro Kopf der Weltbevölkerung), und wie viele Menschen könnten auf der Basis eines einfacheren Lebensstandards versorgt werden (der Hälfte bis dem Doppelten des durchschnittlichen Bruttosozialprodukts pro Kopf der Weltbevölkerung).

Arthur Westing kam zu dem Ergebnis, daß die Weltbevölkerung mindestens halbiert werden müßte, wenn jedermann im Wohlstand leben soll. Ein einfacherer Lebensstandard wäre für drei Viertel bis zwei Drittel der heutigen Erdbevölkerung möglich. Nach einer anderen Berechnung könnte einem Viertel der heutigen Menschheit ein amerikanischer Lebensstandard geboten werden.

Abgesehen von politischen Revolutionen oder Reformen, die nötig wären, um den riesigen Reichtum der Erde gerechter zu verteilen, gibt es noch andere Probleme. In vielen Staaten wäre eine Landreform nötig, wenn die Bauern Nahrungsmittel für sich selbst und ihre Nachbarn anbauen sollten, statt an die reichen Nationen zu liefern. Die größte Schwierigkeit ist dabei wahrscheinlich, daß der Anbau für den eigenen Bedarf nicht dem Geschmack und den Interessen der einflußreichen Gesellschaftsschichten entspricht.

Es hat den Anschein, als käme jetzt der schnelle Fortschritt, mit dem wir der Erde immer mehr Nahrung für unsere wachsende Weltbevölkerung abrangen, zumindest vorübergehend zum Stillstand.

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Ein Großteil der Produktionssteigerung war nur auf Kosten der ökologisch tragbaren Bewirtschaftungstechniken möglich und führte in der Reichen Welt zu einem erheblich höheren Verbrauch an fossilen Brennstoffen, die nicht nachwachsen. So gesehen bauen wir unsere Nahrung eigentlich ab und nicht an. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist der Pro-Kopf-Anteil an Ackerland weltweit um ein Drittel gesunken, während sich der Verbrauch an Düngemitteln verfünffacht hat. Bei Getreide beispielsweise fand die schnellste Produktionssteigerung zwischen dem Zweiten Weltkrieg und 1973 statt: ein jährlicher Zuwachs von drei Prozent, insgesamt eine Verdoppelung. Heute jedoch erzielen die Landwirte weltweit kaum zwei Prozent Zuwachs, und in Afrika haben anhaltende Dürreperioden die Ärmsten am härtesten getroffen.

 

Bodenschwund

Das Ackerland, auf dem unsere Nahrung wächst, geht mit alarmierender Geschwindigkeit verloren. Angespornt von billigen Düngemitteln verzichteten westliche Landwirte auf Bracheperioden und Fruchtwechsel und leiteten damit den Verlust von Böden und Bodenfruchtbarkeit ein (auch wenn sie einen Teil des Schadens durch Chemiezugaben wettmachen).

Die hungrigen Bauern der Armen Welt haben begonnen, immer steilere Hänge urbar zu machen (gewöhnlich ohne Terrassen anzulegen, mit denen ihre Vorfahren den Boden vorm Abrutschen und vor Erosion schützten), und auch sie verzichteten auf Brache und Fruchtwechsel, um die Erträge hoch zu halten, zumindest kurzfristig. Sie können es sich nicht leisten, weiter vorauszudenken. Afrika und Asien allein büßen alljährlich fast eine Milliarde Tonnen fruchtbaren Ackerlands durch den Wind ein - der Boden wird in großen Federwolken, die vom Satelliten aus deutlich zu erkennen sind, aufs Meer hinausgeweht.

Der Gelbe Fluß und der Ganges schwemmen jedes Jahr rund drei Milliarden Tonnen Erde aus ihrem Einzugsgebiet fort. Für Indien schätzt man, daß die jährlichen Ernten dem Boden an die 18,5 Millionen Tonnen Nährstoffe entziehen, daß dagegen kaum mehr als zehn Millionen Tonnen zurückgegeben werden (die Hälfte davon als organischer Abfall, die andere Hälfte in Form von Kunstdünger). Diese beachtliche „Fruchtbarkeitslücke" läßt Schlimmes für Indien ahnen, das gezwungen ist, die Nahrungsmittelproduktion von heute 130 Millionen Tonnen Getreide auf 240 Millionen Tonnen zu steigern, wenn das Land eine Bevölkerung ernähren will, die um die Jahrhundertwende die Ein-Milliarden-Grenze erreicht haben wird (1984 betrug Indiens Bevölkerung etwa 745 Millionen).

Rund die Hälfte des Ackerlandes auf der Erde wird derart fahrlässig bewirtschaftet, daß pro Jahrzehnt ungefähr sieben Prozent des Mutterbodens verlorengehen. In der Reichen Welt wird man wahrscheinlich die Alarmglocken läuten hören und die Krise abwenden. Die armen Länder der Erde aber, die wie üblich durch Mangel an Möglichkeiten in der Falle sitzen, werden weiter auf einen katastrophalen Rückgang der Bodenfruchtbarkeit zusteuern.

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Die Verbannung der Wildnis

Während sich regenarme Gebiete und Waldland rund um die Erde zunehmend in Wüsten verwandeln, werden unsere neuen Erdenbürger jene Wildnis, unter der wir vom Menschen unberührtes Land verstehen, nur noch in Restbeständen genießen können.

Heute noch unberührte Urwälder werden dann wahrscheinlich Nutzwälder sein, weil wir allmählich lernen, welche Produktionsmethoden angemessen sind. Viele Wanderhirten, die heute noch frei umherziehen, sehen sich im Verlauf eines Prozesses, der eines Tages vielleicht weite Landstriche ertragreich macht (vielleicht aber auch, wie bisher der Fall, zu ihrer Verwüstung beiträgt) gezwungen, seßhafte Bauern zu werden.

Die nächsten Jahrzehnte werden die Erschließung der unwirtlichsten Gebiete der Erde bringen, speziell die Ausbeutung der Antarktis. Es ist fraglich, ob noch rechtzeitig internationale Gesetze in Kraft treten, die dafür sorgen, daß dieses Vorhaben geregelt und gerecht für die Erdenbewohner vor sich geht. Falls unsere jungen Erdenbürger die Tiere der Wildnis bewundern wollen, so werden sie sich höchstwahrscheinlich mit einer stark reduzierten Artenvielfalt begnügen müssen.

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Auswege

Die Weltbevölkerung muß nicht unerbittlich anwachsen: die Menschen sind in der Lage, ihre Fruchtbarkeit zu regulieren, und sie tun es auch schon. Darüber hinaus besitzt die Erde enorme Möglichkeiten Nahrungsmittel zu liefern. Ein Anwachsen der Bevölkerung muß nicht notwendigerweise ein sinkendes Pro-Kopf-Vermögen bedeuten: es gibt viele Länder, die sowohl eine steil ansteigende Bevölkerung als auch ein rapide ansteigendes Pro-Kopf-Vermögen aufweisen (zum Beispiel Kenia, Tansania und Pakistan). In zunehmendem Maße unterstreichen Vertreter aller möglichen politischen und wirtschaftlichen Schattierungen die hervorragende Bedeutung, die eine Landwirtschaft, die für den eigenen Bedarf produziert, die Subsistenz- oder „Bedarfs­deckungs­wirtschaft", für die Milliarden Erdenbewohner hat. Berichte der Vereinten Nationen, der Weltbank, des Weltwährungsfonds oder liberaler Wohlfahrtsverbände wie Oxfam stimmen häufig weitgehend darin überein, daß unserem Planeten wahrscheinlich Erfolg beschieden sein könnte, wenn die bäuerliche Landwirtschaft Fortschritte machte.

Zwischen den Bauern und der Hochertragsproduktion stehen politische und bildungsbedingte Schranken. Wenn wir wollten, könnte die Erde weitaus mehr Menschen ernähren. Verstreut in diesem Buch finden sich Beispiele für kleine Anzeichen und für Projekte, die andeuten, daß unsere Zukunft glänzend sein könnte. Es gibt jede Menge Schwierigkeiten technischer Art, doch sie sind nicht unüberwindbar. Politische und kulturelle Probleme dürften sich vermutlich als härtere Brocken erweisen.

Trotzdem ist es eine gute Nachricht, daß vieles, was getan werden muß, um Gesundheit, Ernährung und Unterbringung zu verbessern, zumindest vom technischen Standpunkt aus einfach ist. Bei der Durchführung hängt viel davon ab, daß man einfachen und oft sehr armen Menschen klarmacht, was auf dem Spiel steht. Die Dritte Welt muß kein Opfer der durch Rauchen verursachten Krebsarten werden, auch wenn die Tabakhersteller für diese drohende Epidemie werben. Einzelne Bauern scheinen weitaus leistungsfähiger zu sein als landwirtschaftliche Kollektive, privatem Landbesitz wird mehr Bedeutung zukommen als staatlich gelenkten Produktionsgemeinschaften.

Viele kleine Traktoren sind leistungsfähiger als einige wenige große. Die Menschen können für sich selbst mehr gute Unterkünfte bauen als Regierungen in der Lage sind, hochmoderne Apartments bereitzustellen. Ganze fünf Dollar können Säuglinge vor vielen tödlichen Krankheiten schützen. Anfang 1985 wurde eine Schutzimpfung gegen die Rotavirus-Diarrhoe in Aussicht gestellt, die einen Dollar kosten soll. Sie könnte jährlich eine Million Säuglinge retten. Muttermilch ist im allgemeinen für Kinder besser als all das, was sich in teuren Flaschen oder Dosen befindet. Zucker, Salz und Wasser kurieren Durchfall wirksamer und billiger als Pillen. Saubere Haushaltung schützt besser vor ansteckenden Krankheiten als Chemikalien.

Das Gedeihen der Wirtschaft der meisten armen Länder hängt gewöhnlich davon ab, ob man Wege findet, um sicherzustellen, daß die Kleinbauern auch wirklich das für sie bestimmte Geld erhalten.

Nur dann können sie mit ihren Ressourcen haushalten und größtmögliche Produktivität erzielen. Aber wie kann man reiche Kaufleute oder Politbürokraten dazu überreden, daß sie das zulassen? Und wie kann man Regierungen armer Länder davon überzeugen, daß es auf Dauer gesehen wenig einträglich ist, zu Lasten Millionen verhungernder Menschen auf dem Lande durch Zuschüsse sicherzustellen, daß die Städter Arbeit haben? Daß es wesentlich produktiver ist, wenn man statt dessen den Bauern hilft, ihre Betriebe zu bewirtschaften? Wie kann man arme Städter von einer so bitteren Wahrheit überzeugen?

Abgesehen von diesen Schwierigkeiten: Wie kann man die Bauern dazu bringen, Gemeinschaftsarbeit zu leisten, die das Überleben ihrer Enkel sichert? Überall auf der Welt hat sich gezeigt, daß Bauern einen Widerwillen gegen staatlich gelenkte Genossenschaftsprojekte hegen. Die kommunistische Welt versteht es, Menschen dazu zu bringen, bei Gemeinschaftsprojekten unproduktive Arbeit zu leisten. Die kapitalistische Welt motiviert die Erzeuger, theoretisch jedenfalls, verfügt aber über keinen Mechanismus, der sicherstellt, daß der Produzierende auch gesellschaftlich verantwortlich handelt.

Haben die Politiker der Reichen und der Armen Welt wirklich den Willen zur Reform? Denen in der Reichen Welt mangelt es an Großzügigkeit, helfen zu wollen, und die in der Armen Welt ziehen es vor, die persönlichen Entwicklungsaussichten nicht zu behindern.

Es hat wenig Sinn, sich über diese Dinge zu ereifern, zu mahnen oder zu lamentieren. Vielleicht wird sich die Lage verschlechtern. Trotzdem steht es außer Frage, daß unser Planet immense Reichtümer besitzt. Es bestehen keinerlei technische Schwierigkeiten bei der Ernährung und Unterbringung einer enormen Anzahl von Menschen. Selbst die eine Million neue Menschen, die innerhalb von fünf Tagen geboren werden, könnte ohne weiteres versorgt werden - wenn diejenigen, die auf unserer Erde Macht besitzen, auch Phantasie und Großzügigkeit besäßen.

Der englische Nationalökonom Thomas Robert Malthus müßte nicht recht behalten mit seiner düsteren Vorhersage, daß die Bevölkerung stets größer sein wird als das Nahrungsmittelangebot.

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North 1986