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25.  Der Zickzackkurs der Politik 

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360-384

Wir wollen, daß unser individuelles Leben unsere Auffassungen von der Wirklichkeit (und unsere Responsivität für sie) zum Ausdruck bringt; und so wollen wir auch, daß die Institutionen, die unser Leben abgrenzen, gemein­sam unsere erwünschten gegenseitigen Beziehungen zum Ausdruck bringen und ausgeprägt symbolisieren.

Demokratische Institutionen und die mit ihnen einhergehenden Freiheiten sind nicht einfach wirksame Mittel, um die Regierungsmächte zu kontrollieren und sie auf Angelegenheiten gemeinsamen Interesses zu lenken; sie selbst drücken in einer pointierten und offiziellen Weise unsere gleiche menschliche Würde, unsere Autonomie und unsere Kräfte der Selbstregierung aus und sind ein Symbol für diese Dinge.

Wir wählen, auch wenn wir uns der minimalen Wahrscheinlichkeit bewußt sind, daß unsere eigene tatsächliche Stimme eine entscheidende Auswirkung auf das Ergebnis haben wird, zum Teil als Ausdruck und symbolische Bekräftigung unseres Status als autonome und uns selbst regierende Wesen, deren wohlerwogenen Urteilen oder auch nur Meinungen ebenso großes Gewicht beigemessen werden muß wie denen anderer. Dieser Symbolismus ist für uns wichtig. Auch in der Funktion demokratischer Institutionen wollen wir Ausdrücke der Werte, die uns angehen und die uns zusammenbinden.

Die libertäre Position, die ich früher vertreten habe, erscheint mir jetzt ernstlich unangemessen, teilweise deshalb, weil sie die menschlichen Erwägungen und gemeinschaftlichen kooperativen Aktivitäten, für die sie Raum ließ, nicht enger mit ihrer Struktur verband. Sie vernachlässigte die symbolische Wichtigkeit einer offiziellen politischen Beschäftigung mit Fragen oder Problemen als Weg dazu, ihre Wichtigkeit oder Dringlichkeit zu markieren und daher die privaten Handlungen und Interessen, die wir auf sie richten, auszudrücken, zu intensivieren, zu kanalisieren, zu ermutigen und zu bekräftigen.

Gemeinschaftliche Ziele, die die Regierung völlig ignoriert — bei privaten oder familiären Zielen ist das etwas anderes —, scheinen tendenziell unserer gemeinschaftlichen Aufmerksamkeit nicht würdig zu sein und sie daher wenig zu empfangen. Es gibt einige Dinge, zu deren gemeinsamer Ausführung durch die Regierung wir uns in feierlicher Kundgabe unserer menschlichen Solidarität entschließen, und dazu ist die Tatsache dienlich, daß wir sie gemeinsam in dieser offiziellen Form tun, ebenso wie oft auch der Inhalt der Handlung selbst.1)

»Das ist alles sehr schön«, könnte jemand sagen, 

»daß man menschliche Solidarität durch offizielles Handeln zum Ausdruck bringt, aber wir tun das dadurch, daß wir die Rechte von Individuen respektieren, nicht in ihrem friedlichen Leben gestört zu werden, nicht ermordet zu werden usw., und das ist ein hinreichender Ausdruck unseres menschlichen Respekts für unsere Mitbürger; es ist nicht nur nicht erforderlich, in größerem Umfang in das Leben der Bürger einzugreifen, um sie enger an ihre Mitbürger zu binden, diese Beeinträchtigung der individuellen Autonomie bedeutet selbst einen Mangel an Achtung dafür.«

Doch auch unser Interesse an individueller Autonomie und Freiheit ist selbst zum Teil ein expressives Interesse. Wir halten diese Dinge nicht einfach wegen der einzelnen Handlungen für wertvoll, deren Ausführung sie jemandem aufgrund seiner Entscheidung ermöglichen, oder wegen der Güter, deren Erlangung sie ihm ermöglichen, sondern wegen der Art und Weise, in der sie es ihm ermöglichen, an zielgerichteten und elaborierten Aktivitäten, die sein Ich zum Ausdruck bringen und symbolisieren und die den Menschen weiterentwickeln, teilzunehmen. Ein Interesse am Ausdruck und an der Symbolisierung von Werten, das sich am besten und pointiertesten, von Wirksamkeit ganz zu schweigen, gemeinschaftlich und offiziell — das heißt, politisch — ausdrücken läßt, hängt mit einem Interesse daran, sich selbst individuell zum Ausdruck zu bringen, zusammen.

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Es gibt viele Seiten unserer Person, die nach symbolischem Ausdruck streben, und selbst wenn man der persönlichen Seite Priorität zuerkennen sollte, gibt es keinen Grund, ihr die alleinige Herrschaft zuzugestehen. Wenn der symbolische Ausdruck eines Dinges ein Verfahren ist, um seine Wirklichkeit zu intensivieren, werden wir nicht den Wunsch haben, den politischen Bereich so zu verkürzen, daß wir die Wirklichkeit unserer gesellschaftlichen Solidarität und unseres menschlichen Interesses für andere verkürzen. Ich will damit nicht sagen, daß der öffentliche Bereich nur eine Sache gemeinschaftlichen Selbstausdrucks ist; wir wollen dadurch auch tatsächlich etwas erreichen und Dinge verändern, und wir würden Verfahrensweisen nicht als adäquaten Ausdruck von Solidarität mit anderen empfinden, wenn wir glaubten, daß sie nicht dazu dienen würden, ihnen zu helfen oder sie zu unterstützen. Die libertäre Auffassung betrachtete ausschließlich den Zweck der Regierung, nicht ihren Sinn; daher beurteilte sie auch den Zweck übermäßig eng.

Gemeinschaftliches politisches Handeln bringt nicht nur symbolisch unsere Interessenbindungen zum Ausdruck, es stellt auch selbst eine relationale Bindung dar. Die relationale Haltung führt uns im politischen Bereich dazu, daß wir Bindungen des Interesses für unsere Mitmenschen ausdrücken und durch Beispiele vermitteln wollen. Und wenn es im Vergleich zu einer weiteren Verbesserung der Situation derjenigen, denen es bereits gut geht, als relational intensiver und dauerhafter von unserer Seite wie auch von der der Empfänger gilt, denen zu helfen, die in Not sind, dann kann die relationale Haltung erklären, was für den Utilitarismus ein Problem darstellt, warum sich nämlich ein Interesse an der Situation anderer besonders auf die konzentriert, die in Not sind. Wenn Manna vom Himmel fiele, um die Situation der Notleidenden zu verbessern, ganz ohne unsere Hilfe, müßten wir einen anderen Weg finden, um gemeinschaftlich unsere relationalen Bindungen auszudrücken und zu intensivieren.

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Aber haben nicht Menschen ein Recht, keine Bindungen der Solidarität und des Interesses zu empfinden, und wenn ja, wie kann die politische Gesellschaft ihren symbolischen Ausdruck von etwas ernst nehmen, das vielleicht gar nicht da ist? Mit welchem Recht drückt sie für andere etwas aus, das sie selbst nicht auszudrücken belieben? Diese anderen sollten — sie wären bessere Menschen, wenn sie es täten — Bande der Solidarität und des Interesses an Mitbürgern (und an Mitmenschen, vielleicht auch an Mitlebewesen) empfinden, obwohl sie durchaus ein Recht haben, dies nicht zu empfinden. (Menschen haben manchmal ein Recht, etwas nicht zu tun oder zu fühlen, auch wenn sie es sollten; sie haben das Recht, sich zu entscheiden.) Ihre Mitbürger allerdings können sich dafür entscheiden, für sie zu sprechen, um diesen Mangel an Interesse und Solidarität gutzumachen — ganz gleich ob die Menschen selbst begreifen, daß ihnen etwas fehlt, oder nicht. Dieses stellvertretende Gutmachen kann aus Höflichkeit erfolgen oder wegen der Wichtigkeit, die eine gemeinschaftliche öffentliche Bekräftigung von Interesse und Solidarität für die anderen hat, und sei es nur, damit sie nicht gezwungen werden zu bemerken, wie gleichgültig und unmenschlich manche ihrer Landsleute sind.

Sicher ist diese gemeinschaftliche öffentliche Bekräftigung nicht einfach verbaler Natur; die, für die gesprochen wird, haben vielleicht Steuern zu zahlen, um zur Unterstützung der Programme beizutragen, die damit verbunden sind. (Daß ein Feigenblatt geschaffen wurde, um die Schande ihrer Gleichgültigkeit zu bedecken, bedeutet nicht, daß sie zu seiner Bezahlung keinen Beitrag zu leisten haben.) Das völlige Fehlen eines symbolischen öffentlichen Ausdrucks von Fürsorge und Solidarität würde uns andere einer Gesellschaft berauben, die menschliche Verbundenheit bekräftigt. »Nun, warum leisten dann diejenigen, die eine solche Gesellschaft wollen und brauchen, keine freiwilligen Beiträge für ihre öffentlichen Programme, anstatt die anderen zu besteuern, die daran gar nicht interessiert sind?«

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Doch ein Programm, das auf diese Weise durch freiwillige Beiträge vieler Menschen getragen würde, könnte zwar wertvoll sein, aber es würde nicht die feierliche Kundgabe und symbolische Bekräftigung der Gesellschaft für die Wichtigkeit und den zentralen Charakter dieser Bindungen von Fürsorge und Solidarität darstellen. Das kann nur durch ihr offizielles gemeinschaftliches Handeln geschehen, bei dem im Namen des Ganzen gesprochen wird. Es geht nicht einfach darum, den einzelnen Zweck zu erreichen — das wäre allein mit privaten Beiträgen möglich — oder die anderen ebenfalls zur Zahlung zu veranlassen — das könnte geschehen, indem man ihnen die erforderlichen Mittel stiehlt —, sondern auch darum, feierlich in jedermanns Namen, im Namen der Gesellschaft, über das zu reden, was sie schätzt.

Ein bestimmtes Individuum könnte es vorziehen, nur für sich selbst zu sprechen. Wenn man aber in einer Gesellschaft lebt und sich mit ihr identifiziert, so setzt einen das notwendig der Möglichkeit aus, sich für Dinge zu schämen, für die man nicht persönlich verantwortlich ist — Unterdrückungskriege oder den Sturz ausländischer Regierungen —, und auf Dinge stolz zu sein, die man nicht selbst getan hat. Eine Gesellschaft spricht manchmal in unserem Namen. Wir könnten die Menschen, die sich gegen den gemeinschaftlichen öffentlichen Ausdruck von Fürsorge und Solidarität und die damit verbundenen Programme wenden, zufriedenstellen, indem wir derartige Bekundungen aufgäben, aber dann würden wir anderen uns unserer Gesellschaft, deren öffentliche Stimme der Fürsorge verstummt ist, schämen. Dieses Schweigen würde dann für uns sprechen.

»Dann hören Sie einfach auf, sich mit der Gesellschaft zu identifizieren! Sie werden sich dann nicht dessen zu schämen brauchen, was sie tut oder nicht tut, was sie sagt oder nicht sagt.«

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Um also den Einwender mit dem öffentlichen Programm zu versöhnen, müssen wir nicht nur unseren Wunsch und unser Bedürfnis unterdrücken, gemeinschaftlich das zum Ausdruck zu bringen, was wir für das Zentralste an unseren gegenseitigen Beziehungen halten — einen Wunsch und ein Bedürfnis, die mit dem Bedürfnis nach Ausdruck der eigenen Person zusammenhängen —, wir müssen aufhören, uns mit unserer Gesellschaft zu identifizieren trotz allem, was diese für unser emotionales Leben und für unser Selbstgefühl bedeutet. Dieser Preis ist zu hoch.

Wenn eine demokratische Mehrheit den Wunsch hat, gemeinschaftlich und symbolisch ihre feierlichsten Bindungen von Fürsorge und Solidarität auszudrücken, wird die Minderheit, die etwas anderes vorzöge, sich in genügendem Umfang zu beteiligen haben, daß man für sie sprechen kann. Auch diese Mehrheit könnte allerdings ihre Bindungen von Fürsorge und Solidarität auch dieser Minderheit gegenüber dadurch ausdrücken, daß sie sie nicht dazu drängt, ganz so weit zu gehen, wie es die Mehrheit allein wünschen würde.

Um es deutlicher zu sagen, ich glaube, es sollte jemandem, der aus moralischen, aus Gewissensgründen an den Zielen einer vom Staat verfolgten Politik Anstoß nimmt, von der Gesellschaft gestattet werden, seine Beteiligung an dieser Politik zu versagen, soweit dies möglich ist, auch wenn die anderen den Wunsch hätten, diesen Menschen in ihre gemeinsame symbolische Bekräftigung einzubeziehen. Ein neueres Beispiel in den Vereinigten Staaten ist ein Krieg, gegen den große Teile der Bevölkerung moralische Einwände hatten; ein aktuelles Beispiel ist die Abtreibung, die für einen Teil der Bevölkerung Ähnlichkeit mit Mord hat.

Wenn solche Dinge vom politischen System getan oder finanziert werden, ist jeder wohl oder übel ein Komplize. Einige machen den Vorschlag, alles moralisch Umstrittene aus der politischen Sphäre zu verbannen und es privaten Bemühungen zu überlassen, aber das würde die Mehrheit daran hindern, gemeinsam und öffentlich ihre Werte zu bekräftigen.

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Eine differenziertere Alternative besteht darin, denen, die moralische Einwände gegen solche Programme haben, die Befreiung von der Teilnahme an ihnen zu gestatten. Wir wollen keine Einwendungen zulassen, die leichtfertig sind, und wenn wir es den Leuten erlaubten, lediglich Steuerzahlungen für solche Programme zurückzuhalten, bestünde ein großes Problem, die Aufrichtigkeit solcher Einwendungen zu bestimmen. So ließe sich ein System einrichten, in dem ein Mensch die Zahlung von Steuern für bestimmte Programme, die er moralisch anstößig fände, verweigern könnte, wenn er stattdessen etwas mehr als diesen Betrag (vielleicht fünf Prozent mehr) an Steuern für ein anderes öffentliches Programm entrichtete.

Selbst unter der Voraussetzung dieser finanziellen Versicherung von Ernsthaftigkeit könnten wir darüber besorgt sein, daß man Einwendern aus Gewissensgründen eine Verweigerung zugesteht, denn es dient dem politischen Prozeß, wenn sie ernsthaft daran arbeiten, die Politik, gegen die sie sich wenden, zu verändern, und ihre Motivation könnte vermindert werden, wenn sie nicht mehr persönlich betroffen wären. Diese Erwägung sollte jedoch, glaube ich, dem allgemeinen Prinzip untergeordnet werden, daß wir, wenn wir es überhaupt können, es vermeiden sollten, Menschen dazu zu zwingen, sich an Zielen zu beteiligen, die sie moralisch anstößig oder verabscheuungswürdig finden.

(Wenn irgendwelche Anarchisten moralische Einwände dagegen hätten, sich überhaupt am Staat zu beteiligen, könnten wir ihnen gestatten, fünf Prozent mehr als die Steuer, die sie sonst zu zahlen hätten, an eine private Wohltätigkeitseinrichtung abzuführen, die sie sich aus einer Liste aussuchen könnten — und vielleicht können wir ihre Klagen darüber ignorieren, daß sie dem Staat gegenüber den Nachweis erbringen müssen, daß sie das getan haben.)

All das kann so aussehen, als sei es nur symbolische Buchhaltung — beeinflußt jemand, der einen Beitrag für eine gemeinschaftliche Wohltätigkeitseinrichtung bestimmt, die Zuwendung, die sich ergibt? —, aber selbst ein solcher Symbolismus kann für uns außerordentlich wichtig sein.

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Die Bindungen der Fürsorge für andere können nicht nur — über das allgemeine Steuersystem — symbolisch ausdrucksvolle und (hoffentlich) wirksame politische Maßnahmen mit sich bringen, sondern auch einzelne Beschränkungen der Freiheit zu bestimmtem Handeln. Betrachten wir als ein Beispiel den Fall der Diskriminierung. Was man tolerieren könnte, wenn ein eigenartiger Sonderling es täte — etwa jemand, der Leute mit roten Haaren benachteiligt —, wird unerträglich, wenn ein großer Teil der Gesellschaft zum beträchtlichen Schaden genau derselben Gruppe Diskriminierung ausübt, besonders wenn ein bedeutsamer Teil ihrer Identität in dieser Eigenschaft oder Gruppenzugehörigkeit ruht.

Es besteht daher — beispielsweise im Hinblick auf Schwarze, Frauen oder Homosexuelle — eine Berechtigung zu Antidiskriminierungs­gesetzen im Arbeitsleben, bei öffentlichen Unterkünften, der Miete und dem Verkauf von Wohnungen usw. Eine Bemühung um Allgemeinheit und Neutralität verwandelt diese Bestimmungen dann in Gesetze gegen Diskriminierung auf der Grundlage von Rasse, Geschlecht, sexueller Orientierung, nationaler Herkunft usw., auch wenn die seltene Diskriminierung gegen andere ihnen keine große Beschwerde verursacht. Man braucht nicht zu entscheiden, ob es ein Recht auf Diskriminierung gibt, über das hinweggegangen wird, wenn eine solche Diskriminierung verbreitet genug ist, um eine erhebliche Belastung für eine Gruppe darzustellen, oder ob es kein derartiges Recht gibt, wobei aber einige seltene Diskriminierungen in ihren Wirkungen zu trivial sind, als daß sie systematisches gesetzliches Eingreifen rechtfertigen, das auch seine Kosten und Auswirkungen hat.2)

Bindungen der Anteilnahme und Solidarität können sich von Fürsorge für die Notleidenden bis hin zur Liebe zum Nächsten erstrecken; wie ausgedehnt und intensiv sollen da die Bindungen sein, die in der öffentlichen politischen Sphäre zum Ausdruck kommen? Kein Prinzip kann diese Grenze ziehen. Sie wird vom Umfang und der Breite der tatsächlichen Gefühle von Solidarität und Anteilnahme

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abhängen, die die Bevölkerung hat, und von ihrem empfundenen Bedürfnis, diesen Gefühlen symbolischen politischen Ausdruck zu verleihen. Bindungen der Solidarität und Anteilnahme sind jedoch nicht die einzigen Dinge, deren feierliche Kundgabe und Äußerung in der gemeinschaftlichen politischen Sphäre wir uns wünschen würden. Bei welchen Werten ist es am wichtigsten, daß sie in diesem Bereich ausgedrückt und verfolgt und symbolisiert werden?

Politische Theoretiker fühlen sich oft zu »Positionen« in der Politik hingezogen, und sie beklagen den Mangel an theoretischer Folgerichtigkeit bei den Teilnehmern an demokratischen Wahlen, die zuerst die eine Partei an die Macht bringen und dann, einige Jahre später, eine andere. US-amerikanische Autoren blicken manchmal sehnsüchtig auf die größere ideologische Reinheit europäischer Parteien, aber auch da finden wir, daß die Wähler abwechselnd sozialdemokratische und konservative Parteien an die Macht bringen. Die Wähler wissen, was sie tun.

Nehmen wir an, daß es mehrere miteinander konkurrierende Werte gibt, die in der politischen Sphäre gepflegt, betont und verwirklicht werden können: Freiheit, Gleichheit für bisher ungleiche Gruppen, Gemeinschafts­solidarität, Individualität, Selbständigkeit, Mitleid, kulturelle Blüte, nationale Macht, Hilfe für äußerst benachteiligte Gruppen, Wiedergutmachung vergangenen Unrechts, Entwerfen kühner neuer Ziele (Raumforschung, Besiegen von Krankheiten), Milderung ökonomischer Ungleichheiten, die umfassendste Bildung für alle, Beseitigung von Diskriminierung und Rassismus, Schutz für die Machtlosen, Privatheit und Autonomie für die Bürger, Hilfe für andere Länder usw. (Auch Gerechtigkeit könnte einfach ein weiterer wichtiger Wert sein — vielleicht angemessen eingefangen von der »Anspruchstheorie«, die ich vor einigen Jahren vorgelegt habe,3) vielleicht auch nicht —, aber sie wäre in jedem Falle einer, der manchmal in Kompromissen hintangestellt oder eingeschränkt werden könnte.)

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Nicht all diese achtbaren Ziele lassen sich mit voller Energie und vollen Mitteln verfolgen, und vielleicht sind diese Ziele auch theoretisch nicht miteinander vereinbar, insofern nicht alle guten Dinge miteinander zu einem harmonischen Paket geschnürt werden können. (Dieser letzte Punkt ist besonders in den Schriften von Isaiah Berlin herausgearbeitet worden.)

Jede politische Partei wird also ein Paket von Vorschlägen haben, das mit einiger Beständigkeit einige von diesen Zielen, aber nicht alle enthält; sie werden sich darin unterscheiden, welche Ziele sie auswählen, und auch darin, welchen Rang sie einigen von denen, die sie gemeinsam haben, zuerkennen. Eine »prinzipiengeleitete« Position in der Politik umfaßt eine derartige Auswahl einiger Ziele und ihre Rangordnung sowie eine theoretische Begründung für diese Auswahl und eine Kritik anderer Selektionen.

Es ist unmöglich, alle Ziele in einer widerspruchsfreien Form miteinzubeziehen, und selbst wenn man den Anschein erwecken könnte, dies zu tun — indem man beispielsweise ein Ziel auf die 93. Stelle setzt —, würden doch einige Ziele nicht genug hervortreten, um als Teil der Position wahrgenommen (oder in politisches Handeln umgesetzt) zu werden. Viele Ziele, die man nicht zu gleicher Zeit gemeinsam verfolgen kann, lassen sich jedoch im Laufe der Zeit miteinander vereinbaren oder zumindest verbinden, indem man das eine einige Jahre lang verfolgt und einige Jahre später dann ein anderes. Doch kein Parteiprogramm erklärt, daß die und die Ziele vier Jahre lang verfolgt werden sollen und danach dann andere. Die Amtszeit ist nicht lang genug, um das zweckmäßig erscheinen zu lassen; in der nächsten Wahlperiode ist genügend Zeit, um diese anderen Ziele zu verkünden.

Tatsächlich wird die Partei, die an der Macht ist, jedoch nicht in der Lage sein, in nennenswertem Umfang zu anderen Zielen überzugehen, wenn dieser Zeitpunkt kommt. Sie hat dann Wählergruppen für die Unterstützung genau derjenigen Ziele mobilisiert, die sie bis dahin verfolgt hat, Wählergruppen, in deren Eigeninteresse durchaus die Weiterverfolgung dieser Ziele liegen mag.

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Auf diese Ziele in der kommenden Legislaturperiode zu verzichten oder sie erheblich herunterzuspielen würde den Aufbau einer ganz anderen Wählerbasis erfordern — eine schwierige Aufgabe. Einige der Programme, die in gutem Glauben in der Verfolgung von Zielen in die Wege geleitet wurden, werden sich außerdem nicht sehr gut angelassen haben; es wird unvorhergesehene unangenehme Nebenwirkungen geben, unerwartete Schwierigkeiten bei der Erreichung der Ziele usw. Die Reaktion der Partei wird darin bestehen, diese Programme um so intensiver zu verfolgen; sie wird Wähler für genau diese Programme mobilisiert haben; für einen Teil des Parteiapparats wird die Karriere mit diesen Programmen verknüpft sein oder damit, eine hohe öffentliche Wertschätzung für sie aufrechtzuerhalten — das ist schließlich ein Teil ihrer »Erfolgsbilanz«. Aus diesem Grunde wäre es für die Partei äußerst schwierig, jetzt ganz andere Mittel zur (Weiter-)Verfolgung eben dieser Ziele zu gebrauchen und die Programme, die sie eingeführt hat, drastisch zu kürzen oder zu verändern.

Andererseits kann es sein, daß die Programme ganz gut funktioniert haben; die Ziele, zu deren Erreichung sie bestimmt waren, sind vielleicht merklich gefördert worden. Wieviel wird als »genug« zählen? Wann wird es Zeit sein, sich anderen Zielen zuzuwenden, solchen, die jetzt dringlicher sind, sei es wegen veränderter Umstände oder wegen des Fortschritts, der in letzter Zeit bei den ersten Zielen gemacht worden ist? Bei allgemeinen politischen Zielen kann man mit einiger Sicherheit sagen, daß es immer einige Leute geben wird, die es für wichtig halten, sie noch weiter zu verfolgen, vielleicht in einer Weise, die erhebliche »strukturelle« Veränderungen in der Gesellschaft mit sich bringt, während andere der Ansicht sein werden, es sei bereits genug getan worden, entweder weil ihnen jetzt andere Ziele dringender erscheinen oder weil sie sowieso nicht wollen, daß jene früheren Ziele in größerem Umfang verfolgt werden.

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Die aktivsten Mitglieder der politischen Partei werden sich jedoch als letzte anderen Zielen zuwenden; sie sind vielleicht unter den allerletzten. Denn gerade die Tatsache, daß diese Mitglieder diesen Zielen so große Priorität — größere als die meisten anderen Menschen — einräumen, kann das sein, was sie ursprünglich zu der Partei hinzog oder sie dazu veranlaßte, genügend Energie einzusetzen, um politisch aktiv zu werden, und viele von ihnen werden sich im Laufe der Jahre, in denen sie für diese Ziele geworben und gearbeitet haben, in denen sie sich darüber Sachkenntnis erworben und Karrieren darauf aufgebaut haben, noch stärker auf sie festgelegt haben. Ein Umschwenken ist für sie vielleicht nicht unmöglich, aber sie werden das nur ungern tun und keine große Notwendigkeit dazu sehen, bevor sie von den Wählern mit Nachdruck dazu aufgefordert werden. Die Partei an der Macht wird diese Botschaft noch nicht gehört haben.

Die Wählerschaft sehe ich in der folgenden Situation: Ziele und Programme sind von der herrschenden Partei einige Zeit lang verfolgt worden, und die Wähler gelangen zu der Auffassung, das sei weit genug, vielleicht sogar zu weit, gegangen. Nun ist es Zeit, die Balance wiederherzustellen, andere Ziele einzubeziehen, die zumindest in letzter Zeit vernachlässigt wurden oder zu geringe Priorität erhielten, und es ist Zeit, einige der neueingerichteten Programme einzuschränken, sie zu reformieren oder zu kürzen.

Nun kommt eine neue Partei an die Macht, die ihre eigenen neuen Programme hat und deren Bindung an die, die zuletzt von der jetzigen Opposition eingeführt wurden, schwach genug ist, um daran einige erforderliche Veränderungen vorzunehmen — vielleicht zu viele, aber dann wird es zu einem späteren Zeitpunkt Gelegenheit geben, auch dafür Abhilfe zu schaffen. 

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Die Partei, die die Macht verloren hat, wartet den rechten Augenblick ab, überarbeitet ihre Programme etwas, fügt einige neue Ziele hinzu, die sie früher nicht verfolgt hatte und die auch von der gegenwärtigen Regierungs­partei nicht verfolgt werden, und wartet darauf, daß das Pendel wieder auf ihre (abgewandelte) Seite ausschlägt. Eine Versuchung wird darin bestehen, die eigenen alten Ziele noch stärker und reiner zu vertreten und zu behaupten, die Partei habe die Macht verloren, weil man diese Ziele nicht gründlich genug vertreten habe — die britische Labour Party ist ein Beispiel hierfür —, aber das mißdeutet die Wünsche der Wähler.

Die Wähler wollen den Zickzackkurs. Als vernünftige Menschen erkennen sie, daß keine politische Position alle Werte und Ziele, deren Verfolgung man sich in der politischen Sphäre wünscht, in angemessener Weise erfassen kann, und daher werden sie sich abwechseln müssen. Die Wählerschaft als ganze verhält sich in dieser vernünftigen Weise, selbst wenn erhebliche Teile von ihr den eigenen früheren Zielen und Lieblingsprogrammen unter allen Umständen verpflichtet bleiben. Denn es kann einen bedeutenden Block von Wechselwählern geben, der auf neue Ziele umschwenkt und die Veränderung herbeiführt — daß die ideologisch am wenigsten festgelegten Wähler eine Wahl entscheiden können, ist für die Anschauung, die den Wunsch hat, Politik solle eine bestimmte Menge von Prinzipien einführen, ein Greuel, aber im übrigen wünschenswert —, und sowieso wird eine neue Generation von Wählern auf der Bühne erscheinen, die bereit ist, ein anderes Gleichgewicht anzustreben, und sogar darauf erpicht ist, etwas Neues zu versuchen.

Dies ist keine Theorie, die uns eine Vorhersage darüber ermöglicht, wann der nächste Schwenk stattfinden wird. Sind die Dinge weit genug, sind sie zu weit gegangen? Ist es Zeit, sich vernachlässigten Aufgaben und Zielen zuzuwenden? Sollten wir das, womit wir schon einige Fortschritte gemacht haben, energischer verfolgen? 

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Das haben die Wähler zu entscheiden, und ihre Entscheidung kann durchaus zum Teil davon abhängen, was sie während eines politischen Wahlkampfs für Aussagen hören und von wem.

(Es wäre wünschenswert, darüber nachzudenken, wie man ihnen helfen könnte, durchdachter zu entscheiden.) 

Die Aufgabe für eine Partei, die die Macht aufgibt und in die Opposition geht, besteht nicht darin, ihre frühere Position unverändert zu wiederholen, sondern mit einigem Verständnis und sogar mit Anteilnahme die Verfolgung anderer Ziele zu beobachten, die ehrenwert genug sind, um einen beträchtlichen Teil der Wähler zu bewegen, und inzwischen ihre eigene Zielvorstellung zu artikulieren, auf alten oder selbst auf neuen Zielen aufzubauen, denen sie sich besonders verbunden fühlt, und mit der Zeit der Öffentlichkeit zu helfen, auch ihre Vorstellung von der nächsten Kehrtwendung zu formulieren.

Als Individuen könnten wir uns entscheiden, zu einem anderen Zeitpunkt, früher oder später, umzuschwenken, als das eine Wählermehrheit getan hat. Jeder von uns sollte jedoch unfanatisch genug sein zuzugeben, daß es für die Gesellschaft nach einiger Zeit richtig wäre, zu einer energischen Verfolgung anderer Ziele als derer überzugehen, für die wir gegenwärtig am meisten eintreten, und wir sollten bescheiden genug sein zu glauben, daß die Entscheidung darüber, wann die Zeit gekommen ist und was für ein Gleichgewicht gegenwärtig zwischen würdigen Zielen hergestellt werden sollte, die sich nicht alle kombinieren oder energisch zugleich verfolgen lassen, nicht eine ist, die von irgendeinem Menschen allein, auch nicht von uns, getroffen werden sollte. 

Ist es einfach so, daß eine demokratische Wählerschaft, die die Verfolgung von Zielen einer Wahlperiode erlebt, die die Artikulation anderer Zielvorstellungen hört und persönlich ein vollständigeres Spektrum der Folgen von Maßnahmen kennt, besser über das richtige aktuelle Gleichgewicht entscheiden kann als jeder einzelne Mensch? Oder ist es so, daß die Entscheidung darüber, welches Gleichgewicht für sie dann richtig ist, zum Teil davon abhängt, wohin sie als nächstes gehen wollen?

Wie dem auch sei, wenn man die Wahl hat, entweder den besonderen Inhalt einer Gruppe bereits artikulierter politischer Prinzipien — ich meine solche, die angeben, was für Ziele in einer Demokratie verfolgt werden sollten, nicht diejenigen, die einer Demokratie selbst als Begründung und Rechtfertigung zugrundeliegen —, auf Dauer zu institutionalisieren oder aber den Zickzackprozeß demokratischer Politik, einen, in dem den Wählern durchaus dieselben Prinzipien, aber neben anderen, vorgestellt worden sein können, dann werde ich jedesmal den Zickzackkurs wählen.

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26.  Das Leben der Philosophie

 

Oft wird angenommen, daß es nur zwei rationale Verfahren gibt, um zu neuen Zwecken und Zielen zu gelangen, die wir nicht bereits akzeptieren: erstens, indem man entdeckt, daß sie wirksame Mittel für Zwecke sind, die wir haben — Überlegung richtet sich immer auf Mittel, sagte Aristoteles, niemals auf Zwecke —, und zweitens, indem wir existierende Zwecke verfeinern und neu gestalten, damit sie besser zu wieder anderen existierenden Zwecken passen, die in ähnlicher Weise zwecks Anpassung umgestaltet werden — das, was manche Philosophen als »Ko-Spezifizierung« bezeichnet haben.

Es gibt jedoch noch einen weiteren rationalen Weg, um zu neuen Zwecken zu gelangen, diesmal auf einer tieferen Ebene. Wir können die verschiedenen Zwecke und Ziele, die wir bereits haben, prüfen, um herauszufinden, was für weitere Zwecke und Werte ihnen zugrunde liegen und sie rechtfertigen oder ihnen eine einheitliche Begründung liefern könnten. Auf diese Weise können wir zu ganz neuen und unvermuteten Zwecken geführt werden, die uns in ihren Auswirkungen überraschen. Wir können auch dazu veranlaßt werden, einige der Zwecke und Ziele, mit denen wir begannen, abzuwandeln oder sogar zu verwerfen, darunter solche, die wir zu verstehen und zu begründen versucht hatten. 

Betrachten wir zum Vergleich die Art und Weise, in der die Annahme einer erklärenden naturwissenschaft­lichen Theorie jemanden dazu führen kann, einige der Daten oder der Theorien auf niederer Ebene, zu deren Erklärung diese Theorie ursprünglich eingeführt wurde, abzuwandeln oder sogar zu verwerfen.

(Zum Beispiel sind es nicht genau die Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung — sondern vielmehr Abwandlungen davon —, die Newtons Gesetze ergeben und erklären, auch wenn das eine Stelle war, an der seine Aufgabe begann.)

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Eine philosophische Untersuchung unserer Ziele und Zwecke liefert uns also ein wirkungsvolles Werkzeug, um auf rationale Weise und auf einer neuen oder tieferen Ebene zu neuen Zielen fortzuschreiten.

Jemand »hat eine Philosophie« — sagen wir gewöhnlich —, wenn er eine durchdachte Auffassung von dem hat, was wichtig ist, eine Auffassung von seinen wichtigsten Zwecken und Zielen und von den Mitteln, die zu ihrer Erreichung geeignet sind. Eine zusammenhängende Auffassung von Absichten und Zielen kann dazu verhelfen, das Leben eines Menschen zu lenken, ohne daß sie ausdrücklich herangezogen wird. Meistens wird sie dies nicht werden. Ein Mensch wird vielmehr einen Teil seiner allgemeinen Aufmerksamkeit darauf verwenden zu verfolgen, wie sein Leben abläuft. Nur wenn er erheblich von dem abweicht, was seine Philosophie erfordert, wird die bewußte Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden. Eine Lebensphilosophie braucht das Leben nicht überintellektualisiert werden zu lassen.

Ein Mensch kann das Gefühl haben, daß er und sein Leben reicher sind als jede Theorie. Er oder sie könnte eine Philosophie formulieren, die auch diesem Gefühl Raum läßt, eine, die die Auffassung vertritt, daß es manchmal wichtig ist, spontan zu sein und keine Maxime, eben diese mit eingeschlossen, anzuwenden. Eine Gelegenheit, bei der er spontan lebt, würde dann unter die Maxime fallen, ohne eine Anwendung von ihr zu sein. Er könnte dann durchaus das Gefühl haben, daß er große Massen jenseits aller Theorie umfaßt. Das würde die Sache jedoch vielleicht nicht ernst genug nehmen. Vielleicht trotzt das Leben selbst dem Formulieren einer allgemeinen Theorie, die es ganz abdecken soll. Eine Lebensphilosophie zu haben ist natürlich nicht damit identisch, eine allgemeine und vollständige Theorie dessen zu besitzen, was im Leben wichtig ist. Wäre solch eine umfassende Theorie möglich? 

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Selbst eine komplizierte Theorie wird höchstens — wir wollen hier ruhig übertreiben — tausend Faktoren erwähnen, aber vollständige Genauigkeit wird vielleicht ein Vielfaches davon erfordern. Zeigen nicht der Umfang, die Reichweite und die Mannigfaltigkeit der großen russischen Romane und der Stücke Shakespeares, wie unzulänglich jede einzelne Theorie wird sein müssen? Hier habe ich an die bloße Zahl der Aspekte und Faktoren des Lebens gedacht, die eine vollständig allgemeine Theorie vereitelt; es besteht auch die Möglichkeit — ich kenne keine Gründe dafür, dies anzunehmen —, daß es bestimmte Faktoren gibt, die zu komplex (oder zu einfach?) sind, als daß man sie mit irgendeiner Theorie adäquat behandeln könnte. Erinnern wir uns aber an die frühere Aussage darüber, wie das Fehlen von vorab festgelegten bestimmten Gewichtungen für die Dimensionen der Wirklichkeit Raum für freie Entscheidung läßt.

 

Eine Lebensphilosophie könnte noch auf eine andere Weise vor dem Phänomen des Lebens unbedeutend wirken, weil nämlich die Tatsache des Lebens selbst wichtiger erscheinen könnte als jede besondere Form, in der ein Leben verlaufen kann. Wenn wir uns vorstellen, daß für die Bestandteile der Existenz einer Person Punkte gegeben werden, wobei der höchste erreichbare Wert 100 ist, dann könnte es 50 Punkte bringen, lebendig zu sein, Mensch zu sein könnte 30 Punkte bringen, an einer vernünftigen Schwelle von Kompetenz und Funktionsfähigkeit zu sein könnte 10 weitere Punkte bringen, was sich bis dahin zu einer Summe von 90 Punkten addiert. Die Frage, wie man leben soll, nach welcher speziellen Philosophie, würde sich dann nur darauf beziehen, wie viele der verbleibenden 10 möglichen Punkte man erzielen oder gewinnen würde. Diese verbleibenden 10 Punkte wären diejenigen, die wir durch unsere Handlungen kontrollieren könnten, aber ob es uns gelänge, 6 oder 7 Punkte zu bekommen, wäre weniger wichtig als die Tatsache, daß wir bereits wohl oder übel 90 Punkte hatten. (Hinter diesen 90 könnten noch andere Punkte stehen, die garantiert sind, solche dafür, daß man existiert, oder auch nur dafür, daß man eine mögliche Wesenheit ist.) 

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Alles, was wir an Einzelentscheidungen getroffen haben, würde in seiner Bedeutung vor der Tatsache verblassen, daß wir leben und Entscheidungen fällen. Es könnte also im Leben wichtig sein, sich nicht ausschließlich auf die frei verfügbaren zehn Punkte zu konzentrieren, sondern immer die großen Schwellen im Bewußtsein zu behalten, die wir und alle anderen Menschen bereits ohne jedes Handeln von unserer Seite überschritten haben. (Wenn wir in einer dunklen und kalten Ecke des Universums säßen, würden wir da nicht Gemeinschaft mit allem fühlen, was lebte — vorausgesetzt, es bedrohte uns nicht?) Ein Teil des Rats, den die Philosophie über den frei verfügbaren Teil des Lebens, die möglichen restlichen 10 Prozent, geben könnte, wäre also, etwas davon darauf zu verwenden, daß man sich auf die 90 Prozent, die bereits vorhanden sind, konzentriert und für sie dankbar ist. Solcher Rat bezeugt ein Verständnis für die Größe des Lebens und hilft auch bei den verbleibenden 10 Prozent.

Wir können ein Bedürfnis nach einem weiteren Ziel empfinden, einem letzten jenseits derer, die wir bislang skizziert haben. Es ist verlockend, sich dies als ein weiteres äußeres Ziel, einen anderen Bereich vorzustellen, den nachmals zu erreichen die Bestimmung unseres Lebens ist, als eine weitere Aufgabe, die wir erfüllen sollen. Manche traditionellen religiösen Lehren haben auf ein Leben nach dem Tode gehofft, auf eine Zeit und ein Reich, da die Gläubigen zur Rechten Gottes sitzen und sein Antlitz schauen würden. Andere haben sich mit einiger Schadenfreude und Berechtigung darüber beklagt, daß diese Visionen, wie sie beschrieben wurden, langweilig sind. Wenn es ein anderes Reich, ein Leben nach dem Tode, gäbe, wäre das, was wir dort gern tun würden, dieses Reich zu erkunden, darauf einzugehen, in ihm in Beziehungen einzutreten, schöpferisch zu sein, alles zu gebrauchen, was wir dadurch gewonnen hätten, und uns dann vielleicht noch weiter zu verwandeln und von neuem zu beginnen. Jedes weitere Reich wäre eine neue Arena für die Spirale von Aktivitäten.

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Sicher könnte es eine förderlichere Arena für diese Spirale sein, eine, die reicheren Lohn bringt — die Vollendung dieses Reiches könnte gerade darin bestehen, daß es dem intensivsten Erkunden, Eingehen usw., allein oder in Gemeinschaft, zugänglich ist —, aber es ist dann sachdienlich, darauf hinzuweisen, wie weit wir davon entfernt sind, die gegenwärtige Arena ausgeschöpft zu haben.

Meine Reflexionen hier waren nicht auf ein weiteres Reich, das als nächstes kommt, gerichtet. Wenn aber auf das irdische Leben tatsächlich ein nächstes Reich folgt, ist das, was wir dort tun sollen, genau derselbe Typ von Dingen wie hier — der Wirklichkeit zu begegnen und selbst durch eine Spirale von Aktivitäten wirklicher zu werden und gemeinsam unsere Bezugnahme auf die Wirklichkeit zu steigern —, und zwar auf den Wegen, die dort möglich sind. (Wenn Gemeinschaft mit Gott das Ziel wäre, wäre diese fortdauernde Existenz ein Zustand, den wir zu erkunden, auf den wir einzugehen hätten usw., und in ihm wären diese Aktivitäten äußerst wirklich.) 

Dieses weitere Reich könnte ein anderes Größenniveau dieser Aktivitäten zulassen und neue Dimensionen der Wirklichkeit offenbaren, aber es würde nach genau demselben Kriterium beurteilt werden: nach dem Wesen der Aktivitätenspirale dort und danach, wie wirklich wir sein können. (Wenn dort weitere geeignete Aktivitäten möglich wären, würden auch sie der Spirale hinzugefügt werden.) Vielleicht gibt es ein weiteres Reich, aber sein Zweck wird nicht in einem noch weiteren zu finden sein, oder wenn ja, dann muß es früher oder später ein Reich geben, dessen Zweck nicht in einem anderen, weiteren zu finden ist. Und in diesem Reich, wo immer es ist, ist es diese Philosophie, die gilt.

Das würde nicht notwendig bedeuten, daß man dieser Philosophie auch jetzt zu folgen hat. Es ist theoretisch möglich, daß dieses gegenwärtige Reich einfach ein Mittel ist, um eine bestimmte Eigenschaft zu erlangen, so ähnlich wie ein Besuch beim Zahnarzt, und daß es, wenn man jetzt in diesem Reich die endgültige richtige Philosophie anwendete, das Ausmaß ihrer späteren Anwendung verkürzen würde.

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Diese Philosophie würde für uns irgendwann einmal richtig sein — nur nicht jetzt. Die Heiligkeit des Alltagslebens, von der wir oben sprachen, ist jedoch eine Heiligkeit des gegenwärtigen Reiches. Ganz gleich, ob es ein weiteres Reich in der Zukunft gibt oder nicht, das Reich, das gegenwärtig und aktuell ist, ist eine angemessene Arena dafür, die eigene endgültige Philosophie zu leben, für das vollste Engagement in der Spirale der Aktivitäten und der Verfolgung der Wirklichkeit. Manche, die die Wirklichkeit schätzen, sind durch die Mängel dieser Welt dazu veranlaßt worden, Wirklichkeit anderswo zu suchen — die Gnostiker und einige Platoniker sind Beispiele dafür —, aber die Wirklichkeit hier ist Wirklichkeit genug. Dies ist es, was uns die allergrößten Kunstwerke durch ihre eigene Wirklichkeit zeigen, auch wenn es nicht das ist, was manche sagen. Die hier entwickelte Philosophie ist nicht für das endgültige Reich allein, auch wenn das gegenwärtige Reich vielleicht genau dies ist. Sie soll in jedem Reich, das heilig ist, befolgt und gelebt werden.

In unserer Meditation darüber, daß man jedem Ding sein Teil geben soll, erwies sich, daß das bedeutete, Response als etwas Zustehendes darzubringen oder vielmehr die Akte des Eingehens, Erkundens und Schaffens als eine Feier der Wirklichkeit, als eine Liebe zu ihr darzubringen. Liebe zu dieser Welt ist der Liebe zum Leben gleichgeordnet. Liebe ist unser Sein in dieser Welt. Und Liebe zum Leben ist unser vollster Respons darauf, daß wir leben, die umfassendste Form, in der wir erkunden, was es heißt zu leben.

Diese Liebe zum Leben hängt mit einer Wertschätzung für die Lebensenergie in ihren verschiedenen Formen zusammen, mit der Vielfalt und der Ausgeglichenheit und dem Wechselspiel des Lebens in der Natur. Wenn wir dies zu schätzen wissen, werden wir nicht mutwillig tierisches oder pflanzliches Leben ausbeuten; wir werden uns einige Mühe geben, den Schaden, den wir anrichten, möglichst gering zu halten. 

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Würde eine Wertschätzung für die komplizierte Entwicklungsgeschichte der lebenden Dinge, denen wir begegnen, uns daran hindern, überhaupt von ihnen Gebrauch zu machen? Wir können nicht überleben, ohne dies zu tun — wir sind auch Teil der Natur —, aber es wäre zu oberflächlich, einfach zu sagen, daß wir auch unser Leben und seine Gebote schätzen und daß es dadurch gerechtfertigt wird, daß wir andere Lebensformen als Mittel dazu benutzen und töten. Doch als Teil der Natur und ihrer Kreisläufe können wir unsere Schulden für das, was wir nehmen, abtragen, wir können Leben nähren und stärken, den Boden mit den Produkten unseres Essens düngen und schließlich das Material unseres eigenen Körpers nach dem Tode wieder in den Kreislauf eingehen lassen. Was uns ausmacht, ist uns geliehen.

Es beruhigt den Geist, wenn wir uns als Teil eines gewaltigen und fortdauernden natürlichen Prozesses sehen. (Denken wir zum Beispiel daran, wie wir am Meer sitzen und Welle für Welle, die niemals zu Ende gehen, sehen und hören und die Unendlichkeit des Ozeans erkennen.) Sich selbst als einen kleinen Teil eines gewaltigen Prozesses zu sehen, läßt den eigenen Tod nicht so sehr bedeutsam, ja nicht einmal beunruhigend erscheinen. Wenn wir uns mit der Totalität des gewaltigen (scheinbar) niemals endenden Prozesses der Existenz im Laufe der Zeit identifizieren, können wir unsere Bedeutung in ihr finden, darin, daß wir ein Teil von ihr sind, und unser eigenes individuelles Dahinscheiden erscheint uns dann als Ereignis von beiläufiger Wichtigkeit.

Kann uns aber solche Bedeutung dadurch zufallen, daß wir Teil eines unendlichen Prozesses sind, sofern wir nicht ein notwendiger oder unersetzlicher Teil sind? Wie kann uns die Bedeutsamkeit dieses Prozesses helfen, wenn wir in ihm überflüssig sind? Wenn man jedoch von der Unendlichkeit der Existenz alles wegnimmt, was unnötig oder ersetzbar ist, dann ist die verkürzte Existenz, die zurückbleibt, nicht annähernd so wunderbar.

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Die Totalität der Existenz und ihrer Prozesse im Laufe der Zeit ist zum Teil wegen ihrer großen Überflüssigkeit wunderbar, und so ist auch unsere Existenz, die Existenz von uns gleichgearteten Dingen, ein charakteristischer und wertvoller Teil. Diese unsere Existenz ist außerdem von denselben Naturgesetzen und demselben Elementarmaterial durchdrungen, die die gesamte übrige Natur ausmachen; als repräsentatives Stück der Natur fassen wir ihre mächtige Bewegung zusammen.

Ich sehe die Menschen als Nachfahren einer langen Abfolge menschlicher und tierischer Vorfahren in einer zahllosen Kette von zufälligen Ereignissen, unvorhergesehenen Begegnungen, brutalen Eroberungen, glücklichen Rettungen, fortdauernden Bemühungen, von Wanderungen und von Überleben in Krieg und Krankheit. Es bedurfte einer verwickelten und unwahrscheinlichen Verkettung von Ereignissen, um jeden von uns hervorzubringen, eine enorme Geschichte, die jedem Menschen die Heiligkeit eines Mammutbaums, jedem Kind die Laune eines Geheimnisses verleiht.

Es ist ein Privileg, ein Teil des in Bewegung befindlichen Reiches existierender Dinge und Prozesse zu sein. Wenn wir uns als Teil dieser laufenden Prozesse sehen und verstehen, identifizieren wir uns mit der Totalität und empfinden in der Ruhe, die dies bringt, Solidarität mit all unseren Gefährten im Existieren.

Wir wollen nichts anderes, als in einer Spirale von Aktivitäten zu leben und andere dabei zu fördern, dies zu tun, und unsere eigene Wirklichkeit zu vertiefen, wenn wir mit den anderen in Kontakt und Beziehung kommen, die Dimensionen der Wirklichkeit zu erkunden, sie in uns zu verkörpern, schöpferisch zu sein, auf die volle Breite der Wirklichkeit, die wir wahrnehmen können, mit der vollsten Wirklichkeit, die wir besitzen, einzugehen, ein Gefäß für Wahrheit, Schönheit, Güte und Heiligkeit zu werden und den ewigen Prozessen der Wirklichkeit unser eigenes charakteristisches Stück hinzuzufügen. Und dies — daß wir nichts mehr wollen — ist zusammen mit der Emotion, die damit einhergeht, übrigens das, was Glück und Freude ausmacht.

    

27.  Ein Porträt des Philosophen als junger Mann 

Als ich fünfzehn oder sechzehn Jahre alt war, trug ich in den Straßen von Brooklyn eine Taschenbuch­ausgabe von Platons <Staat> mit mir herum, die Titelseite nach außen. Ich hatte nur etwas davon gelesen und noch weniger verstanden, aber ich war dadurch erregt und wußte, es war etwas Wunderbares. Wie sehr wünschte ich mir, daß jemand Älterer darauf aufmerksam würde, daß ich das Buch mit mir trug, und daß er mir beeindruckt auf die Schulter klopfen und sagen würde: "......." — ich wußte nicht genau was.

Ich frage mich manchmal, nicht ohne Unbehagen, was dieser junge Mann von fünfzehn oder sechzehn von der Tätigkeit denken würde, zu der er heran­gewachsen ist. Ich möchte gerne glauben, daß er mit diesem Buch zufrieden wäre.

Mir kommt jetzt auch die Frage in den Sinn, ob jener Ältere, dessen Anerkennung und Liebe er damals suchte, sich nicht als der Mensch erweisen könnte, zu dem er heranwachsen sollte.

Wenn wir das Erwachsenen­alter erreichen, indem wir Mutter oder Vater unserer Eltern werden, und wenn wir die Reife erreichen, indem wir einen passenden Ersatz für Elternliebe finden, dann schließt sich dadurch, daß wir selbst unsere ideale Mutter, unser idealer Vater werden, endlich der Kreis, und wir erreichen Vollständigkeit.

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Ende 

 

 

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