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12  -  Die Schriftsteller und der Leviathan 

<Politics and Letters>, 1948

 

 

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Die Stellung des Schriftstellers in einer Periode der staatlichen Kontrolle ist bereits ziemlich eingehend diskutiert worden, wobei allerdings das meiste, was an Ergebnissen von Bedeutung sein könnte, noch nicht vorliegt. 

Ich möchte an dieser Stelle keine Meinung weder für noch gegen die staatliche Aufsicht über die Kunst äußern, sondern lediglich darauf hinweisen, daß es zum Teil von dem herrschenden intellektuellen Klima abhängt, welcher Art der Staat ist, der uns regiert, das heißt in diesem Zusammenhang von der Haltung der Schriftsteller und Künstler selber und von ihrer Entschlossenheit, den Geist des Liberalismus lebendig zu erhalten. 

Wenn wir uns sagen wir in zehn Jahren in einer Lage befinden sollten, in der wir vor einem Staatskommissar wie Schdanow kriechen müßten, dann vermutlich, weil wir es nicht anders verdient haben.

  wikipedia  Andrei_Alexandrowitsch_Schdanow 

Zweifellos bestehen schon heute innerhalb der englischen literarischen Intelligenz starke Gruppierungen, die zum Totalitarismus tendieren. Aber ich will mich hier nicht mit irgendeiner organisierten, zielbewußten Bewegung wie etwa dem Kommunismus befassen, sondern nur mit den Wirkungen auf an sich gutwillige Leute, die politisch denken und die es für nötig halten, politisch Stellung zu nehmen.

Unser Zeitalter ist ein politisches. 

Krieg, Faschismus, Konzentrationslager, Gummiknüppel, Atombomben, etc, das sind die Dinge, die uns täglich beschäftigen, über die wir schreiben, selbst wenn sie nicht immer beim Namen genannt werden. Daran läßt sich nichts ändern. Wenn man sich auf einem sinkenden Schiff befindet, kreisen die Gedanken um sinkende Schiffe. 

Dadurch ist nicht nur unser Themenkreis eingeengt, sondern unsere ganze Einstellung zur Literatur wird von Bindungen bestimmt, die uns zeitweise als nicht-literarisch bewußt werden. Ich habe oft das Gefühl, daß literarische Kritik selbst in den besten Zeiten etwas von Schwindel an sich hat, da anerkannte Maßstäbe fehlen — also eine Bezugnahme auf objektive Wertbegriffe, durch die sich die Feststellung, ob ein Buch ›gut‹ oder ›schlecht‹ ist, beweisen ließe, wodurch jedes literarische Urteil zu einer Reihe unwillkürlich aufgestellter Regeln wird, durch die man die instinktive Einstellung rechtfertigen kann. 

Die wirkliche Reaktion auf ein Buch, wenn überhaupt eine ausgelöst wird, ist allgemein: ›das Buch gefällt mir‹ oder ›es gefällt mir nicht‹, worauf eine rationale Begründung folgt. Dennoch halte ich eine Meinungsäußerung wie ›mir gefällt das Buch‹ nicht für unliterarisch. Unliterarisch wäre: ›dieses Buch vertritt meinen Standpunkt, und deshalb muß ich Werte darin entdecken.‹

Natürlich, wenn man ein Buch aus politischen Gründen lobt, so kann man dabei emotional trotzdem ehrlich sein, weil man ihm aus ganzem Herzen zustimmt. Aber oft kommt es auch vor, daß die Parteisolidarität vom Kritiker eine glatte Lüge verlangt. Das weiß jeder, der beruflich Bücher für politische Zeitschriften besprochen hat. Ganz allgemein: schreibt man für ein Blatt, dessen Haltung man teilt, so sündigt man auftragsgemäß, schreibt man für eins, dessen Haltung man nicht teilt, so sündigt man durch Auslassungen. 

Auf jeden Fall steht bei unzähligen engagierten Büchern — für oder gegen Sowjetrußland, für oder gegen den Zionismus, für oder gegen die katholische Kirche etc. — das Urteil schon fest, bevor man sie gelesen hat, und genaugenommen, bevor sie geschrieben wurden. Man weiß schon im voraus, welche Aufnahme sie in welchen Blättern finden werden. Und trotzdem wird mit einer Unaufrichtigkeit, die manchmal nur minimal bewußt ist, die Fiktion aufrecht­erhalten, daß bei der Kritik rein literarische Maßstäbe angewendet würden.

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Natürlich ist das Eindringen der Politik in die Literatur ein Vorgang, der kommen mußte. Er mußte kommen, auch wenn es das spezielle Problem des Totalitarismus nie gegeben hätte, weil sich in uns eine Art von schlechtem Gewissen entwickelt hat, das unsere Großväter nicht kannten, das Bewußtsein der ungeheuerlichen Ungerechtigkeit und des Elends in der Welt, und das drückende Schuldgefühl, daß man etwas dagegen unternehmen müßte, ein Gefühl, das die rein ästhetische Einstellung zum Leben unmöglich macht. Keiner könnte heute noch so ausschließlich und einseitig in der Literatur aufgehen, wie Joyce oder Henry James. 

Leider bedeutet heutzutage eine politische Verantwortung übernehmen, sich einer Ideologie oder ›Parteilinie‹ unterordnen, mit all der damit verbundenen Angst und Unehrlichkeit. Im Gegensatz zum Schriftsteller des viktorianischen Zeitalters haben wir den Nachteil, zwischen eindeutig profilierten Ideologien zu leben und für gewöhnlich auf den ersten Blick zu wissen, welche Gedanken ketzerisch sind. Ein moderner literarischer Intellektueller lebt und arbeitet in einem Zustand ständiger Angst, nicht so sehr im Hinblick auf die öffentliche Meinung im weiteren Sinne, als auf die herrschende Meinung innerhalb seiner eigenen Gruppe. Zum Glück gibt es immer mehr als nur eine Gruppe, aber außerdem gibt es jederzeit eine herrschende Doktrin, die zu verletzen man nicht nur ein dickes Fell haben muß; es kann auch eine Halbierung des Einkommens auf Jahre hinaus bedeuten.

Offensichtlich ist in den letzten fünfzehn Jahren die herrschende Richtung besonders in der jungen Generation ›links‹ gewesen. Die Schlagworte waren ›progressiv‹, ›demokratisch‹, und ›revolutionär‹, während die Bezeichnungen, die man um jeden Preis vermeiden mußte, ›Bourgeois‹, »Reaktionär und ›Faschist‹ waren. Die meisten Menschen heute selbst Katholiken und Konservative in ihrer Mehrheit sind ›progressiv‹ oder möchten zum mindesten dafür gehalten werden. Niemand, soviel mir bekannt ist, bezeichnet sich selbst als ›Bourgeois‹, so wie keiner, der gebildet genug ist, um das Wort schon einmal gehört zu haben, je zugeben wird, Antisemit zu sein. 

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Wir alle sind gute Demokraten, Anti-Faschisten, Anti-Imperialisten, kennen keine Klassenunterschiede, haben keine Rassenvorurteile und so weiter und so weiter. Ebensowenig kann ein ernster Zweifel daran bestehen, daß die heutige strenggläubige ›Linke‹ besser ist, als die reichlich snobistische, frömmelnde, konservative Orthodoxie, die vor zwanzig Jahren herrschte, als Criterion und (auf einem niedrigeren Niveau) London Mercury die führenden literarischen Zeitschriften waren. 

Zum mindesten strebte die Linke das Ziel an, eine brauchbare Gesellschaftsordnung zu errichten, wie sie von großen Teilen des Volkes tatsächlich verlangt wurde. Aber sie hat auch ihre Schattenseiten, die sie nicht offen zugeben kann, weshalb bestimmte Fragen von jeder Diskussion ausgeschlossen bleiben.

 

Die ganze linke Ideologie, wissenschaftlich und utopisch, ist von Leuten entwickelt worden, die keine unmittelbare Aussicht hatten, an die Macht zu kommen. Es war deshalb eine extremistische Lehre, die nur äußerste Verachtung für Könige, Regierungen, Gesetze, Gefängnisse, Polizei, Heere, Fahnen, Grenzen, Patriotismus, Religion, konventionelle Moral, mit einem Wort, die gesamte bestehende Gesellschaftsordnung übrig hatte. 

So weit man zurückdenken kann, kämpften die linken Kräfte in allen Ländern gegen eine scheinbar unbesiegbare Tyrannei, wobei die Annahme nahe lag, daß, wenn erst diese besondere Form der Tyrannei — der Kapitalismus — gestürzt werden könnte, der Sozialismus folgen würde. 

Zudem hatte die Linke vom Liberalismus bestimmte, äußerst fragwürdige Anschauungen übernommen wie die, daß die Wahrheit immer den Sieg davontragen müsse und Verfolgung und Unterdrückung von selbst zugrunde gehen würden, oder daß der Mensch von Natur gut sei und nur durch die ihm aufgezwungenen Verhältnisse verdorben werde. 

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Diese perfektionistische Lehre haben wir fast alle nicht vergessen, in ihrem Namen protestieren wir, wenn (zum Beispiel) eine Labour-Regierung der Tochter des Königs eine große Apanage bewilligt oder sich nicht entschließen kann, die Stahlindustrie zu verstaatlichen. Aber wir haben in unsern Köpfen noch eine ganze Reihe uneingestandener Widersprüche als Folge wiederholter Enttäuschungen gespeichert.

Die erste große Enttäuschung war die russische Revolution. 

Aus sehr unterschiedlichen Gründen hat sich die gesamte englische Linke veranlaßt gesehen, das russische Regime als ›Sozialismus‹ zu akzeptieren, während sie stillschweigend zugab, daß sein Geist und seine Methoden nicht das geringste mit dem zu tun hatte, was man bisher in diesem Lande unter Sozialismus verstand. Daraus ergab sich eine Art Schizophrenie des Denkens, bei der Worte wie ›Demokratie‹ zwei miteinander unvereinbare Bedeutungen haben können und Dinge wie Konzentrationslager und Massendeportationen gleichzeitig richtig und falsch sind.

Der nächste Schlag für die linke Ideologie war der Aufstieg des Faschismus, der den Pazifismus und Internationalismus der Linken ins Wanken brachte, ohne zu einer Revision der Grundanschauungen zu führen. Die Besetzung anderer Länder durch deutsche Truppen lehrte die europäischen Völker etwas, was Kolonialvölker schon lange wußten, daß nämlich Klassen­gegensätze nicht alles bedeuten, daß es daneben noch so etwas wie ein gemeinsames nationales Interesse gibt. Nach Hitler fiel es schwer, ernstlich zu behaupten, daß »der Feind im eigenen Lande steht«, daß nationale Unabhängigkeit wertlos sei. Obwohl wir das alle wissen und notfalls danach handeln, können wir uns nicht von der Vorstellung losmachen, daß es eine Art von Verrat wäre, es offen auszusprechen. Die größte Schwierigkeit liegt aber darin, daß die Linke jetzt an der Macht ist und sich gezwungen sieht, die Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.

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Linke Regierungen sind für ihre Anhänger fast immer enttäuschend, weil, selbst wenn der versprochene Wohlstand verwirklicht werden kann, immer noch eine unerfreuliche Übergangszeit überwunden werden muß, von der vorher nie oder kaum die Rede war. 

Wir erleben gegenwärtig, wie unsere Regierung bei dem verzweifelten Bemühen, die wirtschaftlichen Engpässe zu überwinden, gegen ihre eigene frühere Propaganda ankämpft. Die Krise, in der wir uns befinden, ist kein plötzliches unerwartetes Ereignis wie ein Erdbeben und durch den Krieg nicht verursacht, sondern lediglich beschleunigt worden. Schon seit Jahrzehnten ließ sich voraussehen, daß etwas Derartiges eintreten mußte. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch war unser nationales Einkommen, das auf den Zinsen der Investitionen im Ausland, auf festen Absatzmärkten und den billigen Rohstoffen aus den Kolonien beruhte, gefährdet. Man mußte damit rechnen, daß früher oder später etwas schiefgehen und wir ein Gleichgewicht von Import und Export würden herstellen müssen.

Als das eintrat, sank notgedrungen unser und auch der Arbeiter-Lebensstandard, zum mindesten zeitweise. Das sind Tatsachen, die unsere Links-Parteien niemals klar anerkannt haben, auch wenn sie sich vor Anti-Imperialismus überschlugen. Nur gelegentlich waren sie bereit zuzugeben, daß die englische Arbeiterschaft bis zu einem gewissen Grad von der Ausbeutung Asiens und Afrikas profitiert hatte, erweckten aber gleichzeitig den Anschein, daß wir unsern Raub ruhig aufgeben und trotzdem auf irgendeine Weise unsern Wohlstand beibehalten könnten. Zum überwiegenden Teil wurden die englischen Arbeiter für den Sozialismus gewonnen, indem man ihnen sagte, sie würden ausgebeutet, während sie in Wahrheit die Ausbeuter waren.  

Jetzt ist allem Anschein nach der Punkt erreicht, an dem der Lebensstandard der Arbeiterklasse nicht mehr aufrechterhalten, geschweige denn gehoben werden kann. Selbst wenn wir den Reichen bis zum letzten Blutstropfen alles abnehmen würden, müßten die Massen der arbeitenden Bevölkerung entweder weniger konsumieren oder mehr produzieren.

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Oder übertreibe ich damit das Dilemma, in dem wir uns befinden? Vielleicht, und ich wäre glücklich, wenn ich mich geirrt haben sollte.

Ich will nur sagen, daß dieses Problem unter Leuten, die der linken Ideologie ergeben sind, unmöglich offen und ehrlich erörtert werden kann. Eine Kürzung der Löhne und Verlängerung der Arbeitszeit sind, selbstredend, anti-sozialistische Maßnahmen und müssen daher zuerst ausgeschaltet werden, ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage. Wer andeuten wollte, daß sie einmal unumgänglich sein könnten, würde sich womöglich eine jener Etikettierungen einhandeln, die wir fürchten. Sicherer ist jedenfalls, die ganze Frage zu umgehen und vorzugeben, bei einer Neuverteilung mit den jetzigen Einnahmen und Ausgaben alles in Ordnung bringen zu können.

Eine Ideologie annehmen, heißt immer ein Erbe an ungelösten Widersprüchen übernehmen. Man braucht zum Beispiel nur daran zu denken, daß jeder vernünftige Mensch von der Industrialisierung und ihren Produkten angewidert ist und gleichzeitig weiß, daß die Überwindung der Armut und die Befreiung der Arbeiterklasse nicht weniger, sondern immer mehr Industrialisierung erfordert. Oder die Tatsache, daß bestimmte Arbeiten absolut notwendig sind und doch nie getan werden würden, es sei denn unter einem gewissen Zwang. Oder die Notwendigkeit einer starken Militärmacht, um eine wirksame Außenpolitik treiben zu können. 

Aus all diesen Fällen ergibt sich eine Schlußfolgerung, die klar auf der Hand liegt, die man aber nur ziehen kann, wenn man als Individuum von der offiziellen Ideologie abweicht. Die normale Reaktion besteht darin, die Frage unbeantwortet in den letzten Winkel des Gehirns zu schieben und die alten Schlagworte mit all ihren Widersprüchen herzubeten. In Illustrierten und Magazinen braucht man nicht lange zu suchen, um die Auswirkungen dieser Denkweise zu entdecken.

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Natürlich will ich damit nicht sagen, daß geistige Unaufrichtigkeit besonders Sozialisten oder Linken im allgemeinen eigen oder bei ihnen am meisten verbreitet wäre. Nur, die literarische Integrität scheint mit der Übernahme jeder politischen Doktrin unvereinbar zu sein. Das gilt genauso für Bewegungen wie Pazifismus und Personalismus, die angeblich außerhalb des gewöhnlichen politischen Kampfes stehen. Tatsächlich hat schon der Klang jener Worte auf ›ismus‹ den Geruch von Propaganda an sich. Die Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppe ist notwendig und gleichzeitig für die Literatur tödlich, solange Literatur ein individuelles Erzeugnis ist. Sobald man der Gruppe einen Einfluß, auch einen negativen, auf die schöpferische Gestaltung einräumt, ist das Ergebnis nicht nur Verfälschung, sondern geradezu ein Verkümmern der schriftstellerischen Fähigkeiten.

So weit, so gut. Müssen wir aus alledem folgern, daß der Schriftsteller die Pflicht hat, ›sich aus der Politik herauszuhalten‹? Gewiß nicht! Jedenfalls kann oder wird, wie ich bereits sagte, kein denkender Mensch in einer Zeit wie der unsern die Politik ignorieren. Ich möchte nur dafür eintreten, einen schärferen Trennungsstrich als bisher zwischen unsern politischen und literarischen Verpflichtungen zu ziehen, so daß wir einsehen, daß die Bereitschaft, bestimmte scheußliche, aber notwendige Dinge zu tun, uns nicht dazu verpflichtet, die damit gewöhnlich einhergehenden Parolen zu schlucken. Wenn ein Schriftsteller sich auf Politik einläßt, so sollte er das als Mensch und Bürger seines Landes tun, aber nicht als Schriftsteller.  

Ich bin nicht der Meinung, daß er lediglich auf Grund seiner künstlerischen Sensibilität das Recht hat, sich vor den gewöhnlichen, schmutzigen, politischen Alltagsarbeiten zu drücken. Wie jeder andere sollte er bereit sein, Vorträge in zugigen Sälen zu halten, Parolen auf das Straßenpflaster zu malen, Wähler zu bearbeiten, Flugblätter zu verteilen, ja selbst in einem Bürgerkrieg mitzukämpfen, wenn es nötig ist.

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Was er auch immer im Dienst seiner Partei tun mag, er sollte niemals für sie schreiben. Er müßte klar zum Ausdruck bringen, daß seine Arbeit als Schriftsteller eine Sache für sich ist, und müßte imstande sein, gemeinschaftlich zu handeln, hingegen, wenn er es so will, die offizielle Ideologie ablehnen. Er sollte nie seine Gedanken opfern, weil sie zu einer Abweichung der vorgeschriebenen Linie führen könnten, und sich nicht allzusehr darum kümmern, ob jemand sein unorthodoxes Denken wittert, was wahrscheinlich sein könnte. Vielleicht ist es nicht einmal ein schlechtes Zeichen für einen Schriftsteller heute, reaktionärer Tendenzen verdächtigt zu werden, so wie es vor zwanzig Jahren ein schlechtes Zeichen gewesen wäre, nicht der Sympathie für die Kommunisten verdächtigt zu werden.

Heißt das alles, daß ein Schriftsteller nicht nur ablehnen sollte, sich der Diktatur politischer Bosse zu unterwerfen, sondern auch, daß er auf jede schriftstellerische Äußerung über Politik verzichten sollte? Keineswegs, um es nochmals zu sagen! Es gibt keinen Grund, warum er nicht auf die schärfste politische Weise schreiben sollte, wenn er es will. Nur müßte es als Einzelperson geschehen, als Outsider, etwa als unwillkommener Partisan am Rande der regulären Armeen. Diese Rolle ist mit seiner üblichen politischen Verwendbarkeit durchaus zu vereinbaren. Es wäre zum Beispiel denkbar, daß jemand an einem Krieg teilnimmt, weil er der Auffassung ist, daß der Krieg gewonnen werden muß, und gleichzeitig ablehnt, Kriegspropaganda zu schreiben. Ist ein Autor aufrichtig, so können sein Schreiben und seine Betätigung manchmal einander widersprechen. Bei bestimmten Gelegenheiten ist das eindeutig unerwünscht. Der Ausweg ist dann aber nicht, seine Impulse zu fälschen, sondern zu schweigen.

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Einem schöpferischen Schriftsteller nahezulegen, in einem solchen Konflikt seine Persönlichkeit zu spalten, mag defaitistisch oder frivol scheinen. Und doch sehe ich nicht, was er sonst praktisch tun könnte. Sich in einen elfenbeinernen Turm einzuschließen, ist unmöglich und nicht wünschenswert. Sich unterwerfen, nicht nur einem Parteiapparat, sondern schon der Ideologie einer Gruppe, bedeutet, sich als Schriftsteller aufgeben. Wir alle wissen, daß dieses Dilemma schmerzlich ist, weil wir die Notwendigkeit des politischen Engagements einsehen und gleichzeitig erfahren haben, was für ein schmutziges, degradierendes Geschäft das ist. 

Die meisten von uns hegen immer noch den heimlichen Wunsch und Glauben, daß es nur darum geht, auch politisch zwischen Gut und Böse zu wählen, und daß alles, was notwendig ist, auch richtig ist. Wir sollten, meine ich, uns von diesem Glauben trennen, der zu den Ammenmärchen gehört. In der Politik kann man nie mehr tun, als sich zwischen zwei Übeln für das kleinere zu entscheiden, und es gibt Situationen, denen man nur entkommen kann, wenn man wie der Teufel oder der Verrückte handelt. Krieg zum Beispiel mag notwendig sein, aber er ist weder richtig noch normal. Auch allgemeine Wahlen sind nicht gerade ein vergnügliches oder erbauliches Schauspiel. Wenn man an solchen Dingen teilnehmen muß, und jeder hat diese Pflicht — es sei denn, er wäre durch Alter, Dummheit oder Heuchelei dagegen geschützt —, muß man auch einen Teil des eigenen Ichs als unverletzlich heraushalten können.

Für die meisten stellt sich das Problem in dieser Form nicht, weil ihr Leben bereits gespalten ist. Sie sind nur in ihren Mußestunden wirklich am Leben, und zwischen ihrer Arbeit und ihrer politischen Betätigung besteht gefühlsmäßig kein Zusammenhang. Von ihnen wird auch nicht verlangt, im Namen einer politischen Bindung sich als Arbeiter zu erniedrigen. Genau das wird aber vom Künstler verlangt, besonders vom Schriftsteller, ja, es ist das einzige, das Politiker je von ihm verlangen.

Weigert er sich, so bedeutet das nicht, daß er zur Untätigkeit verurteilt wird. Ein Teil von ihm, der in gewissem Sinne sein ganzes Wesen ausmacht, kann so entschlossen, notfalls sogar so rücksichtslos handeln, wie nur irgendeiner. Aber das, was er schreibt, soweit es überhaupt einen Wert hat, wird immer das Produkt seines besseren Ichs sein, welches abseits steht, die Geschehnisse registriert und ihre Notwendigkeit einsieht, aber ablehnt, sich über ihre wahre Natur täuschen zu lassen.

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E n d e  

 

 

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