Vorwort
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Die Idee zu diesem Buch begleitet mich schon seit längerer Zeit. Zum ersten Mal kam sie auf, als das globale Finanzsystem im Herbst 2007 anfing, auf den Abgrund zuzusteuern. Die Geschwindigkeit der sich entfaltenden Krise ließ für ein tieferes Nachdenken nicht viel Zeit, doch sobald das Auge des Sturms vorbeigezogen war, habe ich, neben vielen anderen, versucht herauszufinden, was die enorme Expansion des Finanzsektors in den letzten Jahrzehnten erklären könnte und was zu seinem rapiden Niedergang geführt hat.
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Disziplinen war ich darum bemüht, die institutionelle Struktur verschiedener Segmente der Finanzmärkte eine nach der anderen aufzudecken. Am aufschlussreichsten an unseren Befunden war für mich, wie vertraut die grundlegenden Bausteine des Finanzsystems wirkten, trotz der fantastischen Vermögen, die es in der jüngeren Vergangenheit hervorgebracht hat, und ungeachtet seiner beispiellosen Komplexität.
Überall, wo wir etwas tiefer gebohrt haben, stießen wir auf die Kerninstitutionen des Privatrechts: das Vertrags-, Eigentums-, Kreditsicherungs-, Trust-*, Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Sie hatten die Expansion der Wertpapiermärkte befeuert, waren aber, wie sich herausstellte, auch entscheidende Determinanten für ihren Niedergang.
* [Beim »Trust« handelt es sich hier wohlgemerkt um die Rechtsinstitution des »common law trust« und nicht um die auch im deutschen Recht bekannte Treuhandgesellschaft; Anm. d. Übers.]
Als die tatsächlichen Erträge dieser Anlagen hinter die erwarteten Renditen zurückzufallen begannen, setzten die Anleger ihre rechtlichen Ansprüche durch: Sie nahmen Sicherheitsnachschüsse, Kreditlinien, Rückkaufvereinbarungen und Ausnahmeregelungen in Anspruch und trugen damit zu einer Verschärfung der Krise bei. Einige kamen noch rechtzeitig heraus, doch viele andere fanden sich mit Papieren wieder, die ihnen niemand abkaufen würde, abgesehen von den Zentralbanken bestimmter Länder.
Nachdem ich die Kernmodule unseres komplexen Finanzsystems identifiziert hatte, begann ich, ihre Ursprünge in der Zeit zurückzuverfolgen. Ich untersuchte die Entwicklung der Eigentumsrechte, der einfachen Schuldtitel, der verschiedenen Arten von Bürgschaften und Pfändern, die zur Besicherung von Schuldverschreibungen verwendet wurden, die Entwicklung des use (von dem später noch die Rede sein wird) und des Trusts, der Gesellschaftsform und der Geschichte der Insolvenz, jener entscheidenden Nahtstelle, an der im Wirtschaftsleben Entscheidungen über Leben und Tod fallen. Je mehr ich las, desto stärker war ich davon überzeugt, dass das, was mit einer Untersuchung des globalen Finanzsektors begonnen hatte, mich zum Quell des Reichtums geführt hatte: der Herstellung des Kapitals.
Dieses Buch ist das Ergebnis dieser Reise. Das Kapital ist, wie ich in diesem Buch behaupten werde, rechtlich codiert. Gewöhnliche Güter sind einfach genau das, was sie sind - ein Grundstück, ein Versprechen, in der Zukunft bezahlt zu werden, die gebündelten Ressourcen von Freunden und Familie für die Gründung eines neuen Unternehmens oder individuelle Fähigkeiten und Knowhow. Doch jedes dieser Güter kann in Kapital verwandelt werden, indem es in jene Rechtsmodule gekleidet wird, die auch zur Codierung von forderungsbesicher-ten Wertpapieren (Asset-Backed Securities)* und deren Deriva-
* [Dabei handelt es sich, kurz gesagt, um in Gestalt von Wertpapieren gebündelte Forderungen, zum Beispiel aus Immobilienkrediten. Der Handel mit solchen Forderungen bzw. Wertpapieren war, als im Jahr 2007 viele Kreditnehmer in den USA ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen konnten, eine maßgebliche Ursache für die Entstehung der US-Immobilienkrise und der anschließenden globalen Finanzkrise; Anm. d. Übers.]
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ten verwendet wurden, die im Zentrum des Aufstiegs der Finanzbranche in den letzten Jahrzehnten standen. Diese rechtlichen Module, nämlich Vertrags-, Eigentums-, Kreditsicherungs-, Trust-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht, können dazu verwendet werden, den Inhabern bestimmter Güter einen komparativen Vorteil gegenüber anderen zu verschaffen. Jahrhundertelang haben Rechtsanwälte an diesen rechtlichen Modulen gefeilt, sie an verschiedene Güter angepasst und damit den Wohlstand ihrer Mandanten gemehrt. Und die Staaten haben die Codierung des Kapitals dadurch unterstützt, dass sie ihre juristischen Zwangsmittel für die Durchsetzung der gesetzlichen Rechte, die dem Kapital eingeräumt wurden, zur Verfügung gestellt haben.
Dieses Buch erzählt die Geschichte der rechtlichen Codierung des Kapitals aus der Perspektive des Guts [asset]: Grund und Boden, Unternehmen, private Schulden und Wissen, ja sogar der genetische Code der Natur. Ich zeichne hier nicht sämtliche Nebenpfade in der Entwicklungsgeschichte des Rechts nach, all jene Drehungen und Wendungen, die notwendig waren, um zu gewährleisten, dass die alten Codierungstechniken den neuen Gütern genügten. Für Juristen sind solche Einzelheiten überaus befriedigend, bringen für Außenstehende jedoch ein Maß an Detailliertheit und Komplexität mit ins Spiel, das für das Verständnis der Grundidee, wie das Recht gleichermaßen Vermögen wie Ungleichheit schafft, nicht nötig ist.
Darüber hinaus gibt es einen reichhaltigen Literaturbestand, der die Entwicklung ausgewählter rechtlicher Institutionen nach-
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zeichnet, zum Beispiel die des Trusts, der Gesellschaftsform oder des Kreditsicherungsrechts.
Diejenigen Leserinnen und Leser, die sich damit näher beschäftigen wollen, finden in der in den Anmerkungen dieses Buches zitierten Literatur einige entsprechende Hinweise. Die Rechtshistorikerinnen und die Fachleute aus den jeweiligen Rechtsgebieten bitte ich um Nachsicht für die Vereinfachungen, zu denen ich mich gezwungen sah, um gewährleisten zu können, dass das vorliegende Buch auch für Nichtjuristen zugänglich sein würde. Das sind die Leserinnen und Leser, die ich beim Schreiben des Buches im Sinn hatte, solche also, die vielleicht noch nie ein Buch über Recht aufgeschlagen haben, aus Angst, dass es zu trocken und zu kompliziert oder einfach nicht von Belang sein könnte. Ich habe mich bemüht, die rechtlichen Institutionen nicht nur verständlich, sondern auch interessant und relevant für die gegenwärtigen Debatten über Ungleichheit, Demokratie und Governance zu machen. Das Recht ist ein mächtiges Werkzeug für die Ordnung des Sozialen und hat, wenn es klug eingesetzt wird, das Potenzial, einem großen Spektrum gesellschaftlicher Ziele zu dienen; dennoch wurde es - aus Gründen und mit Folgen, die ich zu erklären versuchen werde - fest in den Dienst des Kapitals gestellt.
Viele Menschen haben mich auf meinem Weg der Niederschrift dieses Buches begleitet. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Columbia Law School haben mich ermutigt, ein Buch und nicht nur einen Artikel zu schreiben, als ich meine Ideen vor vier Jahren erstmals auf einem Workshop der Fakultät präsentierte. Meine Schülerinnen und Schüler an der Columbia Law School sind immer die Ersten, an denen ich meine neuen Ideen ausprobiere. Sie sind klug und direkt in ihren Ideen und Kritiken, und ich habe im Laufe der Jahre eine Unmenge von ihnen gelernt, als ich sie in den Komplexitäten des Gesellschaftsrechts, der Wertpapiere und ihrer Regulierung, aber
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auch in der Rolle des Rechts für die Entwicklung außerhalb der kapitalistischen Ökonomien des Westens unterrichtet habe. Ich habe außerdem enorm von Gesprächen mit ehemaligen Studierenden und Alumni profitiert, die erfolgreiche Praktikerinnen und Praktiker geworden sind. Einige haben mich sogar in meinen Lehrveranstaltungen besucht und mich und meine Studierenden an ihrem Wissen teilhaben lassen, über das nur intime Kenner der juristischen Praxis verfügen.
Dieses Buch hat zudem sehr von den Forschungsvorhaben und Workshops profitiert, die unter der Schirmherrschaft des Center on Global Legal Transformation stattgefunden haben, dessen Leitung ich an der Columbia Law School innehabe. Ich danke den Sponsoren, vor allem dem Institute for New Economic Thinking (INET) und der Max-Planck-Gesellschaft im Verbund mit der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, auf das Herzlichste.
Ein Buch zu schreiben kann ein ziemlich einsames Unterfangen sein. Glücklicherweise hatte ich viele Gelegenheiten dazu, frühe Ideen zu diskutieren und an wechselnden Zuhörerschaften ausprobieren zu können. Dazu zählten das Buffett Institute an der Northwestern University, die Chinesische Universität Hongkong, die ETH Zürich, die Goethe-Universität in Frankfurt am Main, die Humboldt-Universität zu Berlin, das Interdisciplinary Center Herzliya in Tel Aviv, die KU Leuven (wo ich die Ehre hatte, im Jahr 2016 die Dieter Heremans Fund Lectures in Law and Economics zu halten), die London School of Economics, die Oxford University, die Fakultät der Rechtswissenschaften an der Universität Tel Aviv sowie die Teilnehmer der jährlichen Zusammentreffen der Global Conference on Economic Geography, des Global Corporate Governance Institute und von WINIR, dem World Interdisciplinary Network for Institutional Research.
Die Kommentare und Rückmeldungen, die ich dort von Kollegen und Studierenden erhielt, halfen mir dabei, meine Argumente zu präzisieren, und haben mich vor vielen Fehlern und Irrwegen bewahrt.
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Ich hatte außerdem das Glück, viele enge Kolleginnen und Freunde zu haben, die mich auf meinem Weg bestärkt haben. Mein verstorbener Kollege Robert Ferguson hat mir das Gefühl vermittelt, auf der richtigen Spur zu sein; ich wünschte, ich hätte ihm das Endergebnis noch präsentieren können. Ca-rol Gluck hat meinen Vorschlag für das Buchprojekt geprüft und mich dazu gedrängt, meinen Blick auf die Gegenwart gerichtet zu halten und nicht der wahrhaft verlockenden Versuchung nachzugeben, mich in der Vergangenheit zu verlieren. Bruce Carruthers, Jean Cohen, Hanoch Dagan, Tsilly Dagan, Horst Eidenmüller, Tom Ginsburg (und seine Studierenden), Maeve Glass, Martin Hellwig, Jorge Kamine, Cathy Kaplan, Dana Neacsu, Delphine Nougayrede, Casey Quinn, Annelise Riles, Bill Simon, Wolfgang Streeck, Massimiliano Vatiero und Alice Wang haben einzelne Kapitel oder frühere Fassungen des ganzen Manuskripts gelesen und kommentiert. Das Endprodukt ist aufgrund ihrer konstruktiven Kritiken umso besser geworden, und ich bin ihnen allen sehr dankbar für die Zeit und die Aufmerksamkeit, die sie ihm gewidmet haben.
Ich möchte zudem zwei anonymen Gutachtern ganz herzlich danken, die ihre eigenen Ansichten und Ratschläge dazu geäußert haben, wie die Argumente meines Buches am besten zu stärken wären und wie dafür Sorge getragen werden könnte, dass es seinem Anspruch genügt, ein breiteres Publikum zu erreichen. Natürlich bin ich allein für sämtliche verbliebenen Fehler verantwortlich.
Herzlichen Dank an meinen Lektor Joe Jackson, der mir all die Freiheiten gewährt hat, die ich wollte, der aber auch stets bereitstand, wenn ich Ratschläge dazu benötigt habe, wie ich die Struktur oder die Erzählweise des Buches verbessern könnte. Ich war mit Kate Garber als Fakultätsassistentin an meiner
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Seite gesegnet, die mir dabei half, mein Englisch zu verbessern, und die mich immer darauf hingewiesen hat, an welcher Stelle mein Schreibstil zu verschachtelt war, um selbst noch für einen so scharfen Verstand wie den ihren nachvollziehbar zu sein. Einen Dank auch an die Bibliothekare an der Columbia Law School, die unermüdlich nach den Materialien geforscht haben, die ich benötigte, und an Karen Verde, die dem finalen Manuskript mit großer Sorgfalt seinen letzten Schliff verpasst hat. Ein besonderer Dank gilt Frank Lachmann, der das Buch in die deutsche Sprache übertragen hat und sich nicht nur als Meister beider Sprachen, sondern auch als sorgfältiger Lektor erwiesen hat.
Ich widme dieses Buch meinem Mann Carsten Bönnemann. Er hat meinen Enthusiasmus für dieses Projekt von Anfang an geteilt, war über den gesamten Verlauf des Schreibprozesses hinweg meine Versuchsperson und hat sich nie darüber beklagt, dass sich das Buch in unsere gemeinsame Zeit einschlich, obwohl es das in vielen Situationen getan hat, wenn wir zusammen waren und meine Gedanken abdrifteten, wenn wieder eine Gelegenheit, Studierende zu unterrichten oder vor einem ausländischen Publikum über die Kernargumente des Buches zu sprechen, mich von ihm wegführte oder als uns das Manuskript in seiner letzten Entstehungsphase sogar bis in unsere Sommerferien begleitete.
Er war mein kritischster Leser, stellte die bohrendsten Fragen und drängte mich dazu, meine Argumente zu ihrem logischen Schluss zu bringen, auch auf die Gefahr hin, potenzielle Verbündete oder Freunde vor den Kopf zu stoßen. Am wichtigsten aber war, dass er mich immer wieder daran erinnerte, dass es auch noch ein Leben jenseits eines Buches gibt.
Die deutsche Übersetzung möchte ich dem Andenken meines Vaters, Hans-Henning Pistor, widmen, dem ich so viel verdanke und der wenige Wochen vor seinem überraschenden Tod die deutschen Druckfahnen noch Korrektur gelesen hat.
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