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Reimer-1971
Wieso Abfall-Lawine? - Industrialisierung, Massenwohlstand - Kaufanreiz zum Wegwerfen - Umwelttod auf Rädern - Werkstoffe aus der Retorte
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Wieso Abfall-Lawine?
Die Rückstände der Zivilisation haben eine sehr verschiedenartige Zusammensetzung. Neben giftigen und ungiftigen gibt es voluminöse und schwergewichtige Teile in der Müllhalde. Einige Bestandteile sind fest, andere flüssig; einige erst wenige Stunden, andere Jahre alt, wenn sie zu Abfall geworden sind.
Trotz dieser Vielschichtigkeit der Abstammung und Eigenschaften gibt es nur wenige Gründe, vielleicht sogar nur einen einzigen Grund für die progressiv wachsende Umweltgefahr des Abfallhaufens. Diese Umweltgefahr besteht vor allem in der »Unnatürlichkeit« der Rückstände und darin, daß der Abfall der Menge nach ungefähr zehnmal schneller als die Menschheit selbst wächst. Ohne wirksame Gegenmaßnahmen läßt sich bei dieser Entwicklung buchstäblich abzählen, wann einige Regionen der Erdoberfläche den Abfallerstickungstod erleiden werden.
Industrialisierung, Massenwohlstand
Sucht man nach einer einfachen Formel für das Ansteigen der Abfallmengen und die wachsenden Schwierigkeiten ihrer Beseitigung, so begegnet man zwei Erscheinungen, auf die sich ein erheblicher Teil des Problems zurückführen läßt: Industrialisierung und der so oft zitierte Massenwohlstand. Wäre der Grad der Industrialisierung nicht nur eine notwendige, sondern auch eine hinreichende Bedingung für den Massenwohlstand, er könnte sogar als einziger Grund genannt werden. Die Tatsache, ob die Industrialisierung zum Massenwohlstand führt, hängt heute natürlich auch noch von der politisch-sozialen Gesellschaftsordnung einer »Abfallgemeinschaft« ab. So hat beispielsweise die CSSR trotz beachtlicher Industrialisierung noch keinen Anteil an den »Segnungen« des im Massenwohlstand begründeten Massenkonsums.
Umgekehrt gibt es Länder mit kapitalistischer Gesellschaftsstruktur, die trotz aller Möglichkeiten der Marktmanipulation den Überfluß noch nicht erreicht haben, weil die Industrialisierung nicht fortgeschritten genug ist, zum Beispiel Spanien und Griechenland. Es wäre eine grobe Vereinfachung zu behaupten, daß in solchen Ländern die Beseitigung der Zivilisationsreste keine Probleme aufwerfen würden. Sie sind jedoch von einer anderen Art als in der Überflußgesellschaft. Gerade aber die hier auftretenden Fragen — Wie der Flut Herr werden, wie sie für die Natur verdaulich machen — stehen im Mittelpunkt dieses Buches.
Der Zusammenhang zwischen Abfallmenge und ihrer »Unnatürlichkeit« einerseits sowie der Industrialisierung und dem Massenwohlstand andererseits ist komplex und nur schwer zu veranschaulichen. Er ist unter anderem von Einflüssen abhängig, die in den einzelnen Industrieländern des Westens unterschiedliches Gewicht haben — so daß es schwierig ist, zu Feststellungen zu gelangen, die für alle Länder in gleicher Weise gültig sind. Es dürfte einfacher sein, anhand konkreter Beispiele von besonders abfallintensiven Auswüchsen des Massenwohlstands darzustellen, wer die Träger der Abfallflut sind. Es geht hier natürlich nicht darum nachzuweisen, warum der systematische Einsatz der Technik in großem Maßstab (Industrialisierung) zum Massenwohlstand geführt hat, sondern warum beide zusammen die Müll-Lawine auslösten.
J. K. Galbraith hat in seinem Buch Die moderne Industriegesellschaft nachgewiesen, daß hohe Durchschnittseinkommen dazu führen, einen Teil der Bevölkerung in ihrem ökonomischen Verhalten beeinflußbar, um nicht zu sagen manipulierbar zu machen. Der für die physische Aufrechterhaltung des Lebens erforderliche Teil des Einkommens sinkt relativ zum Gesamteinkommen ständig ab. So wird ein immer größerer Teil des Masseneinkommens frei für Güter, die nicht unbedingt lebensnotwendig sind. Es ist einleuchtend, daß der satte, bekleidete und beheizt wohnende Wohlstandsbürger eher bereit ist, Geld für »unnötige Dinge« auszugeben als Zeitgenossen, die nur das Existenzminimum zu verleben haben.
Auf diesen freien Teil des Masseneinkommens richtet sich die Werbung direkt und indirekt. Er wird benutzt zum Auf- und Abbau von Prestigewerten und Statussymbolen. Die Manipulierfähigkeit der Verbrauchsgewohnheiten hat mittlerweile fast dazu geführt, das Konsumverhalten der Öffentlichkeit nach den Erfordernissen der Produktionsbetriebe auszurichten, das heißt den Markt als Regulativ auszuschalten. Das hat Konsequenzen für den Abfall.
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Da infolge dieser Absatzschlacht die Sättigungsgrenze auch für relativ hochwertige Güter immer schneller erreicht wird, muß ihre Lebensdauer verkürzt oder der Verbraucher dazu animiert werden, zur gleichen Zeit mehrfach zu konsumieren. So sind inzwischen Gegenstände des Wohnungsinventars — früher von Generation zu Generation vererbt — zu ausgesprochen kurzlebigen Wirtschaftsgütern geworden. Was nicht mehr en vogue [modisch] ist, erhöht den Müllberg. Radios, die noch gute Töne von sich geben, auf dem Müllberg zu finden, ist nicht schwer. Intakte Kühlschränke und andere Küchenhilfen sind fast auf jeder Müllkippe zu sehen. Nicht mehr die Abnutzung und das Erreichen der Altersgrenze bestimmen die Lebensdauer, sondern meist fragliche, oft geringfügige technische Änderungen werden dem Konsumenten als Verbesserung suggeriert.
In den USA ist sogar das Wohnhaus bereits zum kurzlebigen Konsumgut geworden. Die amerikanische Durchschnittsfamilie konsumiert 2,5 Häuser in ihrem statistischen Leben und hinterläßt die Wohnhüllen dem großen Haufen. Auf diese Kurzlebigkeit, dazu meist schwer zu beseitigende Abfälle, geht ein großer Teil der Müllmisere zurück.
Eine andere Auswirkung der Industrialisierung, die verkürzte Arbeitszeit, hat ganz neue Abfallkategorien geschaffen: den Freizeitmüll. Bekanntlich gibt es ganze Industriezweige, die den Konsumenten für seine Freizeitgestaltung zu Wasser, zu Lande und in der Luft auszustatten auf der Lauer liegen. Da auch hier die Grenze der Aufnahmefähigkeit viel zu schnell erreicht wird, muß mit Modellveränderungen und dergleichen mehr Kurzlebigkeit erzeugt werden. Die Folge: Schlauchboote, Luftmatratzen, Zelte und jede Art von Campingausrüstung als Konsumschutt auf der Müllkippe. Kaum war es gelungen, dem Klappfahrrad zum Durchbruch zu verhelfen, endeten Tausende von Fahrrädern in »gestreckter« Ausführung beim Sperrmüll.
Die Schwierigkeiten, den sogenannten Freizeitmüll zu beseitigen, werden durch überdurchschnittlich hohe Verwendung von Kunststoffen noch vergrößert. Typisch für diese Entwicklung und auch dafür, wie verkaufspsychologisch der Freizeitmüll an den Mann gebracht wird, ist dieser Annoncentext des Chemiegiganten XYZ:
Die Welt wird schöner mit jedem Tag, aber auch voller — besonders an schönen Tagen. Haben Sie Ihre eigene, einsame, kleine Insel in der Südsee schon gekauft? Oder gibt es keine mehr? Vielleicht hilft Ihnen unser Vorschlag weiter. Was Yachtclubs in größeren Stückzahlen kaufen, können Sie auch einzeln haben: die neuen Kunststoff-Pontons für Bootsstege. Leicht, unsinkbar, wellen- und wetterfest — sogar mit Außenbordmotor zu fahren.
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Das Material für diese schwimmende Inseln liefert XYZ: Trivial — eines von unseren rund 6000 Produkten. XYZ denkt viel über Ihre Freizeit nach. Für Zeltstoffe haben wir Frivol. Für Angelruten glasfaserverstärktes Trivial und für die Schnüre Penetranton. Für Luftmatratzen gibt es Aero-flux. Für Wasserski den Chemiewerkstoff Trivial. Manchmal wissen wir wirklich nicht mehr, was Sie sich wohl noch von XYZ wünschen könnten. Haben Sie eine neue Idee?
Hier ist leicht zu erkennen, was man sich wohl von XYZ noch wünschen könnte! Die Beantwortung der Frage nämlich, wie dieses Zeugs eines Tages wieder beseitigt werden soll.
Oft sind es auch strukturelle Veränderungen, vom Wohlstand und dem technischen Fortschritt bewirkt, die indirekt zu einer Erhöhung der Abfallflut beitragen. Zentralheizung und Elektroherd haben Millionen von Privat-Müllverbrennungen den Garaus gemacht. Heizöl, Erdgas und Nachtstrom haben außerdem die Brennstoffe, mit denen man Papier, Verpackungen usw. gemeinsam verbrennen konnte (Koks, Kohle, Holz), aus den vorhandenen Anlagen verdrängt. Damit sind in den privaten Haushaltungen, die das Volumen des Müllbergs zu gut fünfzig Prozent aufbauen, nahezu alle Feuerstätten verschwunden, in denen zumindest leicht brennbare Abfälle am Ort der Entstehung vernichtet werden konnten. Allerdings muß man aus lufthygienischen Überlegungen heraus das Verschwinden dieser Kleinst-Müllverbrennungsanlagen begrüßen. Denn so wurde zwar ein beachtlicher Teil des Mülls im Volumen verkleinert, die schädlichen Stoffe aber in die Atmosphäre ausgestoßen — also nur eine Verlagerung des Problems bewirkt.
Ganz unabhängig davon, daß die einzelnen Wohlstandsprodukte der Wohlstandsindustrie nach ihrer kurzen Benutzung schwer zu beseitigen sind — wovon hier noch im einzelnen die Rede sein wird —, so ist es in erster Linie ihre Überzahl, die Schwierigkeiten bereitet. So lange nicht andere Maßstäbe für die Qualitätsverbesserung unseres Daseins gefunden werden als steigende Produktionszahlen und das sogenannte wirtschaftliche Wachstum, wird der Abfall weiter wachsen.
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Kaufanreiz zum Wegwerfen
Es begann damit, daß die Herstellung von Verpackungen gar kein selbständiges Gewerbe — und schon gar keine Industrie — im eigentlichen Sinne des Wortes war. Irgendwann kam ein Krämer auf die Idee, Zucker und Mehl nicht mehr in das vom Käufer mitgebrachte Gefäß zu schütten, sondern dafür eine Spitztüte bereitzuhalten. Dieses Verpackungsmittel herzustellen war eine kleine Schicht der Bevölkerung in ihrer Unfreiheit in der Lage. Das Tütenkleben war eine sprichwörtlich bekannte Gefangenenbeschäftigung.
Als der Sohn jenes anonymen Krämers mit dem ihm befreundeten Drucker absprach, künftig seinen Namen auf die Tüten zu drucken, begann das Unglück. Aus dem Mittel zum Zweck rationellerer Warenverteilung wurde ein Selbstzweck. Der Grundstock für das Wachstum des Hausmülls war gelegt.
Freilich, wertvolle und zumeist flüssige Ware wurde immer schon verpackt, jedenfalls so lange es Handelsware betraf. Das war aber eine Verpackung, die keine andere Aufgabe hatte, als die Ware transportfähig und eventuell haltbarer zu machen. Diesen Urformen der Verpackung ist jedoch bereits ein Teil jener Probleme eigen, die heute abfalltechnisch gesehen so viel Schwierigkeiten machen — die Emballagen hielten länger als die ihnen anvertrauten Güter: Noch heute findet man Amphoren aus vorchristlicher Zeit im Wüstensand und unter dem Meeresspiegel. wikipedia Amphore goog Emballage
Inzwischen ist die Herstellung von Verpackungen zu einer Industrie gigantischen Ausmaßes geworden. Verpackt wird buchstäblich alles. Ob Weltraumraketen oder Dosenmilch, lebende Tiere oder tote Würstchen. Am schlimmsten für den Abfallberg ist aber die Verpackung, die weder schützt noch konserviert.
Maschinen haben längst tütenklebende Gefangenenhände, Kunststoffe und Metalle, Papier und Ton ersetzt. Der Umsatz dieses Industriezweiges beträgt allein in der Bundesrepublik Deutschland mehr als zehn Milliarden DM im Jahre (1970). Das ist halb soviel, wie für Soziales im Bundeshaushalt des gleichen Jahres angesetzt ist.
Die Verpacker haben ihre eigene Messe, und sie haben einen Verband in Bonn und an anderen Plätzen der Welt, wo es darum geht, Interessen zu wahren. Diese Eigenständigkeit verdammt zum Wachstum, die installierten Maschinen sind kapitalintensiv und müssen produzieren. Wenn der Markt für Verpackungen nicht genug hergibt, muß er eben vergrößert werden.
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Die Verpackungsindustrie hat im Mittel ein Mengenwachstum von 6 Prozent im Jahr. 6 Prozent Zuwachs, das bedeutet eine Verdoppelung in etwa zwölf Jahren. Verdoppelung von heute 150 bis 160 Mark pro Kopf und Jahr auf 300 Mark. Macht heute die Verpackung durchschnittlich 10 Prozent des Warenwertes aus, so werden in absehbarer Zukunft 25 Prozent des Warenwertes für das zu zahlen sein, was die Mülltonnen verstopft. 6 Prozent Zuwachs bedeutet aber auch, daß der Wert der Verpackung in den Industrieländern, von denen hier die Rede ist, rund sechsmal so schnell anwächst wie die Bevölkerung selbst.
Darüber, daß die Verpackungen einen nicht unerheblichen Anteil an den Wucherungen des Abfallberges haben, machen sich die Hersteller scheinbar keine Gedanken. Jedenfalls sind sie nicht bereit, die kontrollierte Beseitigung ihrer Produkte zu unterstützen. Im Gegenteil, die deutschen Verpacker fordern für Auskünfte über statistisches Material 25 000 Mark plus 11 Prozent Mehrwertsteuer.
Spätestens beim Erkennen dieser Zusammenhänge müßte selbst dem Betrachter, der sich um diese Dinge wenig schert, klarwerden, daß die Entwicklung der Verpackungsindustrie nicht ausschließlich und unbedingt mit der Verbesserung der Transportfähigkeit und Konservierung der Güter zu tun hat.
Der Beitrag des Verpackungsmißbrauchs zum Abfallberg ist vielfältig. Da ist zunächst einmal die Tatsache, daß Verpackungen immer mehr Einweg-Charakter annehmen: Verpackungshersteller, Warenverteiler, Warenverbraucher, Mülltonne. Das ist der angeblich so vorteilhafte »Einweg«. Die Zeiten, da das Butterbrotpapier noch mal mit nach Hause genommen, die Milchflasche beim Milchhändler wieder abgeliefert wurde oder der Kaufmann die mitgebrachte Tüte wenn schon nicht mit barer Münze, so doch mit einem freundlichen Lächeln honorierte, sind gründlich und unwiderruflich vorbei. Für einen großen Teil der Verpackungen ist der Verzicht auf die Rückfahrkarte berechtigt, da die Ansprüche an Hygiene nun einmal gestiegen sind und ohne warengerechte Verpackung kaum befriedigt werden können. Abfalltechnisch gesehen äußerst ungünstig ist das im allgemeinen große Volumen der Verpak-kungen. Das Verhältnis Gewicht-Volumen ist bei Verpackungen bedeutend ungünstiger als das der Werkstoffe, aus denen die Verpackung hergestellt ist. Soweit dies mit dem eigentlichen Zweck des Verpackens zu tun hat, muß man es wohl als unvermeidliche Folge des technischen Fortschrittes in Kauf nehmen und versuchen, so gut wie möglich damit fertig zu werden.
Fraglich wird die Sache dort, wo das für die Abfall-
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beseitigung so hinderliche Volumen der Umhüllungen sich zum überwiegenden Teil aus einer Zweckentfremdung für Werbezwecke erklärt.
Besonders störend wirkt sich aus, daß für die Verpackungen in immer größerem Maße Materialien verwendet werden, die weitaus länger halten als die ihnen für Transport und Konservierung anvertrauten Waren. Die folgende Tabelle über den Kunststoffanteil an der Verpackung verdeutlicht dies.
Volumen der Verpackung Volumen der Verpackung
in 1000 m3 in 1000 m3
(BRD 1966) (BRD 1975)
Papier 1900 2500
Kunststoff 200 500
Metall 100 150
Glas 600 800
Holz 650 650
Diese von der Verpackungsindustrie genannten Zahlen bewegen sich an der unteren Grenze dessen, was wirklich zu erwarten ist. Demnach werden Kunststoffe, Metalle und Glas auch volumenmäßig bald fünfzig Prozent der Verpackungen ausmachen. Vom Gewicht her tun sie das bereits lange. Die Kurzlebigkeit der Güter verhält sich zur Langlebigkeit der Verpackungen oft umgekehrt proportional. Die Kunststoffflasche begleitet das Spülmittel auf seinem kurzen Lebensweg höchstens einige Wochen, führt dann aber ein eigenständiges Dasein für viele Jahre. Kreuzt sie nicht den Weg irgendeiner kontrollierten Abfallbeseitigung, so ist sie eines Tages am Strand von Westerland zu finden, wo sie im Gegensatz zu Glasflaschen sogar dem Sandschliff trotzt. Warum ist noch niemand darauf gekommen, eine Verpackung »Modell Apfelsine« zu konstruieren? Auch Bananen können in dieser Hinsicht als vorbildlich verpackt angesehen werden. Beim Gebrauch dieser Waren wird die Verpackung notwendigerweise zerstört. Sie besteht zudem noch aus kurzlebigen, für die Natur verdaulichen Werkstoffen.
Es gibt viele Beispiele sinnvoller Verpackungen, besonders aus Bereichen, wo Werbemißbrauch nicht möglich ist oder ihr Volumen und Gewicht mehr Geld kosten, als der Abnehmer der Ware bereit ist zu zahlen. Man sehe sich nur auf den Flugplätzen an, was da, auf hauchdünnen Holzpaletten befestigt, des nächtlichen Transportfluges harrt. Wertvolle Maschinen, der Übersee-Export ganzer Branchen geht auf die Luftreise,
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von ein paar dünnen Seilen zusammengehalten. Warum können laut ganzseitigen Annoncen in den Tageszeitungen weltberühmte Kamerahersteller ihre hochwertigen Güter von Kontinent zu Kontinent praktisch ohne Verpackung verfrachten? Weil es, ohne dem Absatz dienlich zu sein, Geld kosten würde. So erklärt sich, daß der Transport über den Ladentisch mehr Volumen, Gewicht, kurz Abfall erfordert als der Versand von Wetzlar nach Sidney.
Wenn Wein in Tankwagen umgeschlagen wird statt in Holzfässern, geht zwar ein Teil der Weinromantik verloren, aber es liegt dann wenigstens kein Verpackungsmißbrauch vor. Mangel an entsprechenden Hölzern und die Lohnintensität des Küferhandwerkes haben hier neue Wege erzwungen. Wenn aber Kühlschränke, Fernsehgeräte und Trockenrasierer — in Folien, Schaumstoffen und Kartonagen eingebettet — doppelt so viel Platz einnehmen, wie ihren eigentlichen Abmessungen entspricht, so ist dies Mißbrauch und könnte vermieden werden. Wenn dann noch zusätzliche Verpackungshüllen geschaffen werden, die nicht nur für den Inhalt, sondern auch für das noch in der Entwicklung befindliche Folgeprodukt werben, so ist es wohl berechtigt, der Verpackungsindustrie oder besser denen, die diese Art von Emballage für ihre Waren glauben beanspruchen zu müssen, einen gewichtigen Teil der Verantwortung für die Abfallmisere zuzuweisen.
Die unsinnigsten Wirkungen zeitigen Verpackungen, deren ursprüngliche Bedeutung hinter der Werbeträgerfunktion völlig zurückgetreten ist. Gemeint sind bedruckte Tragetaschen, Einkaufsbeutel und dergleichen, die jeder Händler, jedes Warenhaus kostenlos wohlfeil halten, weil irgendwelche organisierten Lobbys — genannt Verbände — glauben mitteilen zu müssen, daß nach ihrer Auffassung Mathilde, die Kuh aus dem oberen Neandertal, die beste Milch gibt. Die Spekulation geht auf: Der Verbraucher läßt Netz und Einkaufstasche zu Hause, er läßt sich vor die Werbekarre spannen, er unterliegt ihrer Suggestion, er wird nicht gewahr, daß er nur ein Glied — allerdings das entscheidendste — in der Kette zwischen Profit und Müllhalde ist. Bei den Verpackungen ist der Konsument noch irgendwie persönlich beteiligt. Würde er weniger kaufen, wäre dieser Teil des Abfallstromes geringer. Ganz schlimm ist es, wenn er völlig unbeteiligt via Briefkastenschlitz Abfall ins Haus bekommt. Gemeint ist einer der Defizitträger der Post, die Postwurfsendung.
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Umwelttod auf Rädern
Am Autoverkehr drohen die Städte zu ersticken; zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Breiter werdende Straßen versperren normales städtisches Leben ohne Aussicht auf Bändigung des Autostromes, die Dunstglocke über den Städten und der Lärmpegel in den Städten werden wesentlich aus den Auspufftöpfen gespeist. Das alles ist bekannt und wird zwischen Los Angeles und München heftig diskutiert.
Weitaus weniger in das Bewußtsein der Menschen ist die Tatsache gedrungen, daß die fahrbaren Untersätze auch einen nicht zu übersehenden Beitrag zum Abfallberg leisten. Dabei ist es bei weitem nicht mit der Belästigung durch Autowracks innerhalb und außerhalb der Stadt getan. Was der Mensch an Schuhsohlen spart, wenn er sich vierrädrig fortbewegt, wird als Autoreifen um so schneller verschlissen. Abfallfolge: Altreifen. Und die Regel, daß »gut fährt, wer gut schmiert«, gilt auch für das Automobil. Abfallfolge: Altöle und -fette. Eine indirekte Wirkung ist vor allem darin zu sehen, daß das Automobil als Massengefährt sehr dazu beiträgt, sonstige Überflußreste auf Straßen und Landschaften zu verteilen.
Unübersehbar ist auch der Anteil, der bei der Produktion des Automobils in den Herstellerwerken anfällt. Während der zukünftige Einfluß von Verpackungen, Wohlstandsmüll und Chemiewerkstoffen auf den Müllberg heute noch nicht abzuschätzen ist, ist die Entwicklung beim Automobil überschaubar. Zwar werden auch dort noch verrückte Auswirkungen des Überschusses zu erwarten sein — das Zweit-Auto ist schon in Fahrt, das Dritt-Auto wahrscheinlich schon in Werbevorbereitung —, aber es ist bereits eine Selbstbremse vorhanden. Denn beim Automobil führt die hektische Absatzschlacht nicht in gleicher Weise zur Verkürzung der mittleren Lebensdauer wie bei anderen Konsumgütern. Das ist eine Folge der ständig zurückgehenden Jahreskilometerleistung, die wahrscheinlich auf die eingeengten Bewegungsmöglichkeiten (verstopfte Straßen) für das Auto zurückgehen. Mit anderen Worten: Die steigenden Zulassungszahlen schaffen mehr parkende als fahrende Autos. Die letzteren sind es aber, die die Lebensdauer bestimmen.
Auch Zahlen aus den USA zeigen, daß mit neun Jahren Durchschnittsalter im langfristigen Mittel gerechnet werden kann. Interessant ist die Tatsache, daß das Lebensalter des Autos in der Bundesrepublik Deutschland eher geringer ist als in den USA, obgleich die Kraftfahrzeugdichte hier erst rund sechzig Prozent der amerikanischen Werte erreicht hat. Der Prestigewert des Autos ist in deutschen Landen immer noch höher, neue Autos als Statussymbol besser geeignet als alte.
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Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die hauptsächlichen Probleme der Abfallmisere aus den Komponenten Mengenanfall und Unnatürlichkeit der Rückstände resultieren. Der Mengenanfall des Abfallprodukts Auto ist aus den genannten Gründen zu übersehen. Hier wird zwar noch eine Steigerung von vierzig bis fünfzig Prozent bis Ende der siebziger Jahre eintreten, dann aber — jedenfalls nach heutiger Kenntnis der Dinge — ein etwa gleichbleibender Anfall von Autowracks zu erwarten sein.
Da der Export von Gebrauchtwagen aus den Industrieländern des Westens eine deutlich steigende Tendenz aufweist, wird sich unter Umständen der Anfall von Autowracks hier sogar noch verringern. Natürlich ist der Außenhandel langfristig gesehen keine sehr effektive Abfallbeseitigungsmethode, da die Dinge buchstäblich nicht aus der Welt geschafft werden. Aber derartige Ventile mindern den Druck und leiten den Überfluß in Regionen, wo der Müllberg noch zu übersehen ist. Weitaus bedenklicher als der Mengenanfall muß daher in Zukunft die zunehmende Verwendung von Kunststoffen und Verarbeitungsmethoden in der Automobiltechnik angesehen werden, die den »natürlichen Abbau« erschweren. Das ist den Automobilherstellern noch nicht einmal zu verübeln. Der Markt verlangt — oder die Konkurrenz erzwingt — noch besseren Korrosionsschutz des Karosserieblechs, noch verschleißfestere Polsterbezüge, splitterfreie Lampenabdeckungen usw.
Auf der anderen Seite soll das ausgediente Fahrzeug möglichst schnell von selbst, ohne Belästigungen hervorzurufen, in seine Bestandteile zerfallen. Zwei widerstrebende Forderungen, die nicht auf einen Nenner zu bringen sind. So erklärt sich, daß der durchschnittliche Kunststoffverbrauch für jeden Personenkraftwagen im Jahre 1969 in der Bundesrepublik etwa dreißig Kilogramm betrug. Von der Zwischenschicht in Verbundglasscheiben über Kühlergrills und Rücklichter bis zu Türverkleidungen und Polsterbezügen haben Chemiewerkstoffe heute bereits Blech, Glas und natürliche Textilien verdrängt. Man rechnet damit, daß der Kunststoffanteil bis Ende 1980 auf über hundert Kilogramm pro Auto ansteigt. Hierdurch wird die Vernichtung der Autowracks sehr erschwert, da der Eisenschrott, den sie hauptsächlich darstellen, für die Stahlerzeugung nur noch bedingt verwendbar ist. Stahl als einer der ältesten Werkstoffe des Menschen erfordert für die meisten Anwendungsbereiche und Anwendungszwecke eine definierte Zusammensetzung und bestimmte Reinheitsgrade bezüglich seiner Legierungsbestandteile.
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Das immer weniger Stahlblech enthaltende Automobil ist infolgedessen als rückfließender Rohstoff erst nach komplizierten und aufwendigen Aufbereitungsmethoden geeignet. Die Bearbeitung der Automobilwracks führt zu Schrottpreisen, die über den Marktpreisen liegen. So wandern vorläufig die meisten Wracks noch auf Sammelplätze, von denen es allein in der Bundesrepublik Deutschland mehr als zweitausend gibt. Auf den Autofriedhöfen lagerten im Jahre 1969 fast eine halbe Million Altwagen.
Dieser Berg wird so lange wachsen, bis die öffentliche Hand durch Subventionen den Automobilschrott auf marktübliche Preise herabschleust. Warum auch nicht? Wird nicht auch der Butterberg durch Subventionen abgebaut, nachdem er zuvor mit Subventionen errichtet wurde (was man von den Autowrack-Halden gewiß nicht sagen kann) ? Noch gar nicht zu übersehen ist die Entwicklung, die sich abfalltechnisch gesehen einstellen würde, wenn das Auto komplett aus Kunststoff gefertigt würde. Zwar sind auch die heute vorherrschenden Baustoffe des Automobils strenggenommen Kunststoffe, da weder Blech noch Glas noch Textilien in der im Automobil angewandten Form natürlichen Ursprungs sind. Diese Bestandteile lösen sich aber, wenn auch mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit, gewissermaßen von selbst in Wohlgefallen auf. Entscheidend ist, daß Blech-Schrott ein Rohstoff ist, der wieder eingesetzt werden kann. Auf die heute bekannten Kunststoffe trifft das jedoch kaum zu. Schon wurde die erste Ganz-Kunststoff-Karosserie eines deutschen Chemiewerks vorgestellt. Auch ein Kunststoff-Fahrgestell wurde bereits gezeigt. Vorläufig sind dies noch Einzelerscheinungen, aber die Chemie drängt auf die Märkte. Im Nutzfahrzeugbau werden die Fahrerhäuser, im Omnibusbau die Oberdecks heute schon vorwiegend aus sogenanntem glasfaserverstärktem Kunststoff hergestellt.
Als nächster Schritt wird allgemein die Einführung von Kunststoff-Autogetrieben erwartet. Erfahrungen mit einzelnen Zahnrädern aus Kunststoff liegen bereits seit Jahren vor. Die Vorteile dieser Kunststoffgetriebe (billig in der Herstellung und geräuscharm) rechtfertigen automobiltechnisch gesehen ihre Einführung zum frühestmöglichen Zeitpunkt. An die Beseitigung von so viel Chemie denkt vorläufig noch niemand. Tönt da ein euphorisierter Verbandschemiker: »Das totale Kunststoffauto würde 2500 bis 3000 Mark kosten, dieser Preis lohnt keine kostspielige Reparatur. Man fährt das Auto zwei oder drei Jahre, und dann wirft man es zum alten Eisen oder besser gesagt zum alten Kunststoff.« Dem um seine Umwelt besorgten Zeitgenossen genügt das.
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Abgefahrene Reifen fallen im Durchschnitt pro Fahrzeug jährlich zwei Stück an. Bei etwa 17 Millionen Autos in der Bundesrepublik Deutschland (1970) sind dies bereits 34 Millionen Altreifen. Eine Steigerung auf 40 bis 45 Millionen pro Jahr im Jahre 1980 wird erwartet. Auch hier gibt es eine zunehmende Verwendung von Kunststoffen: die Gewebeeinlagen, bislang aus Baumwolltextilien, sind heute überwiegend aus Chemiefasern. Bisher wurde ein nicht unerheblicher Teil der Altreifen regeneriert, das heißt der Verwendung wieder zugeführt. Dieses Verfahren ist jedoch lohnintensiv, und die regenerierten Reifen erfüllen nicht mehr alle Ansprüche, die heute an die Fahrsicherheit gestellt werden. Nur noch sehr aufwendige Spezialreifen für Lastkraftwagen und Sonderfahrzeuge werden in Zukunft regeneriert werden. Mehr als achtzig Prozent dagegen enden auf dem Müllberg. Daß heute nicht bereits ein großer Teil der Altreifen vernichtet wird, hängt mit den besonderen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, zusammen. Hierüber wird später berichtet.
Der dritte große Komplex der Kategorie »Auto und Abfall« sind die verbrauchten Motorenöle. Ihr Anteil zum Müllberg ist weitgehend unsichtbar. Die Altöle lassen sich nicht aufstapeln, sondern passen sich als Flüssigkeiten den sie umschließenden Gefäßen an. Das sind oft genug dunkle Kanäle. Altöl stellt bei unkontrollierter Beseitigung eine derart ernstzunehmende Gefahr — Boden- und Grundwasserverseuchungen — dar, daß sich die Behörden diesem Problem schon lange zugewendet haben. Es gibt zumindest in der Bundesrepublik Deutschland ein sogenanntes Altölgesetz, das alles, was mit Einsammeln und Vernichten dieser Rückstände zusammenhängt, regelt. Von den Altölmengen, zu denen nicht nur die verbrauchten Motorenöle gehören, und den Methoden ihrer Beseitigung wird später noch ausführlich berichtet. Autowracks, Altreifen und Altöle zwingen dazu, sich mit dem Automobil auch nach seiner Außerdienststellung intensiv zu beschäftigen.
Das Auto nimmt damit als Abfallursache im weitesten Sinne einen von keinem anderen Medium eingenommenen Platz in der industrialisierten Massenwohlstandsgesellschaft ein. Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, warum die sozialistischen Länder bisher einer hemmungslosen Entwicklung des Automobilismus einen Riegel vorgeschoben haben und nicht — wie im Westen immer behauptet wird — die Befürchtung einer allzu individualistischen Entfaltungsmöglichkeit der Bürger.
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Werkstoffe aus der Retorte
Ohne Chemie ist das Leben in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gar nicht mehr möglich, sie ist allgegenwärtig, sie ist gewissermaßen Trägerin der technischen Revolution. In prächemischer Zeit war die Herstellung von Werkstoffen und damit von Gütern jeder Art an bestimmte natürliche Rohstoffvorkommen gebunden. Die Chemie hat es dagegen ermöglicht, aus natürlichen Rohstoffen, die weit verbreitet vorkommen, neue, künstliche Stoffe herzustellen. Die Folgen dieser Entwicklung waren und sind äußerst vielfältig. In Deutschland, dem Ursprungsland der industriellen Chemie, ergaben sich sogar machtpolitische Konsequenzen. Die Chemie schaffte überhaupt erst die Möglichkeit, dem an bis dahin bevorzugten Rohstoffen relativ armen Land eine gewisse Unabhängigkeit zu schaffen, die zweimal bis zur Katastrophe mißbraucht wurde.
Für den Abfallberg haben die von der Chemie entwickelten Stoffe eine eminente Bedeutung: sie sind es in erster Linie, die den Abfall zu einem Berg werden ließen und einen natürlichen, das heißt biologischen Abbau der Zivilisationsreste verhindern. Die Bakterien und sonstigen Organismen, die in der Kompostecke eines jeden Gartens auf biologischem Wege dazu beitragen, daß die Gartenabfälle nicht ins Uferlose wachsen, sind gegen die meisten Chemieprodukte machtlos. Wie kommt das? Was sind es eigentlich für Kunststoffe, die abfalltechnisch betrachtet so viel Ärger machen?
Zunächst muß man den Begriff »Kunststoff« näher definieren. Es sind nämlich nicht alle künstlichen Stoffe, die nicht von selbst, das heißt unter natürlichen Bedingungen, ohne wesentlichen Schaden anzurichten, wieder abgebaut werden können. Papier und Eisen beziehungsweise Stahl sind zum Beispiel auch Kunststoffe im weitesten Sinn, da sie in der Natur nicht vorkommen. Trotzdem sind sie abfalltechnisch gesehen weitgehend als harmlos einzustufen. Umgekehrt gibt es natürliche Stoffe, die, zu Tage gebracht, verheerende Folgen anrichten können. Ein leckgeschlagener Rohöltanker verteilt letztlich nur ein natürliches Produkt entlang den Küsten.
Kunststoffe im Sinne der Thematik dieses Buches — also Stoffe, die zum Aufbau des Abfallberges direkt und indirekt beitragen — sind solche Substanzen, die nur unter unnatürlichen Bedingungen in überschaubaren Zeiträumen in schadlosere Bestandteile bedeutend kleineren Volumens rückverwandelt werden können.
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Die natürlichen Umweltbedingungen auf der Erdoberfläche sind im wesentlichen durch bestimmte Werte von Temperatur und Druck, durch eine Atmosphäre aus Luft, Feuchtigkeit und durch ein gewisses Maß an Sonneneinstrahlung gekennzeichnet. Sie beeinflussen den Gleichgewichtszustand aller Stoffe entscheidend. Unter diesen Umweltbedingungen ist Eisen beispielsweise instabil, das heißt, es verwandelt sich von selbst in die stabilere Form des Eisenoxydes (Erze) zurück. Bei Papier — im Gegensatz zu Eisen ein organischer Stoff — besorgen Mikroorganismen die Rückverwandlung in stabilere, zumeist ungiftige Formen. Die meisten Kunststoffe des Abfallberges, seien sie nun mineralischen oder organischen Ursprungs, sind dagegen bei den Umweltbedingungen, die unser Planet an seiner Oberfläche bietet, so stabil, daß sie überhaupt nicht oder nur extrem langsam zerfallen. Zudem sind diese Zerfallprodukte oft genug giftig, das heißt, sie beeinträchtigen bestehende biologische Gleichgewichte in negativer Weise. Die Motten und der Rost können ihnen nichts anhaben, ohne daß sie dadurch zu Schätzen werden.
Wenn die im Hinblick auf die Abfallbeseitigung so kritische Verpackungsindustrie mit einem jährlichen Zuwachs von sechs Prozent schon bedenkliche Steigerungen aufweist, so ist das geradezu bescheiden zu nennen angesichts der explosionsartigen Entwicklung bei den Kunststoffen. Dort werden bis zu zwanzig Prozent pro Jahr »geschafft«. Das aber heißt Verdopplung in weniger als vier Jahren. Mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 45 Kilogramm pro Jahr erreichte die Bundesrepublik Deutschland 1969 die Weltspitze. Damit hat es der Kunststoff in weniger als dreißig Jahren geschafft, ein billiger Massenwerkstoff zu werden, im Mengenverbrauch nur noch von Papier, Stahl und Zement übertroffen. Diese Werkstoffe haben für die gleiche Entwicklung Jahrhunderte gebraucht. Auch das unterstreicht die Dynamik der Chemie. Bei der Betrachtung des statistischen Materials über Kunststoff fällt auf, daß die Hersteller und Verbände ganz unterschiedliche Angaben über die Entwicklung machen. Je nach angestrebtem Verwendungszweck wird mal kräftig nach oben, mal kräftig nach unten abgerundet. Für die Diskussion über Umweltbeeinträchtigungen und Abschreibungssätze wird bescheidene Zurückhaltung geübt. Für Aktionäre, für das eigene Selbstvertrauen und sonstige Protzereien wird »Kunststoff, Kunststoff über alles« angestimmt.
Es ist daher nicht ganz einfach, einen zuverlässigen Überblick zu gewinnen. Ein vom Bundesminister des Inneren herausgegebener Bericht weist für 1980 eine Kunststoffproduktion von 3,2 Millionen Tonnen (BRD) im Jahr aus. Die Industrie selbst erwartet dagegen 1980 in der Bundesrepublik 8,5 Millionen Tonnen im Jahr.
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Tatsächlich sind bei weiterhin progressiv verlaufender Entwicklung — wie bisher — mehr als zehn Millionen Tonnen zu erwarten. Entsprechenden Spekulationen ist auch die weltweite Entwicklung der Kunststoffindustrie ausgesetzt. Die folgende Tabelle zeigt die Differenz einschlägiger Schätzungen.
Weltproduktion in Kunststoffen, Millionen Tonnen pro Jahr
1965 | 1970 | 1975 | 1980 | |
Schätzungen der deutschen Kunststoffindustrie | 15,0 | 25,5 | 42,0 | 60,0 |
Schätzungen der Fachzeitschrift Modern plastics | 14,2 | 27,0 | — | 105,0 |
Berechnungen des Stanford Research Institute |
14,5 | 30,5 | 50,0 | 72,6 |
Die Mengenangaben in der vorstehenden Tabelle täuschen darüber hinweg, daß die Volumenentwicklung der Kunststoffproduktion in Wirklichkeit noch wesentlich rapider verläuft. Statistiker in den USA haben errechnet, daß dort im Jahre 1973 das Volumen sämtlicher Kunststoffe das Volumen sämtlicher Metalle bereits um fünfundzwanzig Prozent übersteigt. Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der nächsten Zahlenaufstellung.
1968 1973 in Millionen m3
Kunststoffe 11.300 20.100Stahl 10.500 14.200
Aluminium 1.130 1.420
Zink 170 200
Zinn 130 133
Magnesium 57 85
Blei 42 45
Summe Stahl und NE*-Metalle 12.000 16.200
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Am besten erklärt sich an konkreten Beispielen, welche Kunststoffauswüchse vornehmlich zur Abfallmisere beitragen. Denn keineswegs alle Kunststoffe sind abfallintensiv. Das gilt vor nehmlich für solche, aus denen kurzlebige Massenkonsumgüter gefertigt werden.
Von der Anwendung der Kunststoffe für Verpackung und im Automobilbau war schon die Rede. Dort sind die Chemiewerkstoffe oft nur Schutzschichten auf Papier und Blech, um während der Nutzung der Gegenstände Längerlebigkeit zu erzeugen. Sie tun es so gründlich, daß sie auch nach dem Abwrak-ken noch schützen, wenn eine entgegengesetzt wirksame Funktion wünschenswerter wäre. Wie aber zeichnet sich das Weiterleben ausgedienter Kleidungsstücke, Möbel und Haushaltsgeräte aus der Retorte ab?
Die Zukunftsforscher sind sich darüber einig, daß auch für die Bekleidung der Menschheit im Jahre 2000 die natürlichen Ressourcen (Wolle und Leder) nicht ausreichen. Heute benutzt erst ein Drittel der Menschheit ständig Schuhe, und der Kunststoffanteil ist bereits beachtlich. Wie wird es sich verhalten, wenn auch der letzte Papua auf künstlicher Hornhaut durch den dann asphaltierten Urwald wandert? Dann werden drei bis fünf Milliarden Paar Schuhe aus Chemie jährlich einen Beitrag zu den Randgebirgen menschlicher Zivilisation beisteuern.
Der Lumpensammler, ein Relikt aus dem Zeitalter der Naturfaser, ist schon abgetreten. Die Motten, die bisher einen beachtlichen Teil alter Kleider einfach gefressen haben, sind schon so weit verdrängt, daß man in vielen Drogerien keine Mittel mehr gegen diese Helfer der Textilindustrie auftreiben kann. Die aus Nylon, Perlon und anderen . . .ons gefertigten Kleidungsstücke haben den Markt bereits erobert. Die »Reine Wolle«-Kampagne der australischen Schafzüchter signalisiert nur das Ende eines weiland in Manchester begonnenen Zeitalters. Die Baumwolle wird noch ein Weilchen mithalten, wenn es aber darangeht, sieben Milliarden Erdenbürger zu bekleiden, bleibt nur die Faser aus der Düse. Der Kunststoffanteil in der Bekleidungsindustrie wird derartig dominierend sein, daß man die traditionellen Herstellungsmethoden wird verlassen müssen. Die Molekülketten werden über Modellkörper wachsen und Webstühle und Nähmaschinen entbehrlich machen.
Im großstädtischen Müll ist heute bereits ein erstaunlicher Anteil von Kunstfaser zu finden. Damenstrümpfe und Dessous verstopfen nicht nur die städtischen Kanalisationsnetze, sie wirken auch Müll zu dichtem Knäuel zusammen. Sie tragen zum ständigen Rückzug der organischen Substanz in den menschlichen Abfällen bei.
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Es ist schon eine rechte Tragik für die nur an ihren Umsatz denkende Industrie, daß auch ein paar Fäden »Eigenbremse« in die Kunstfaser eingewebt sind. Sind sie doch im allgemeinen verschleißfester als natürliche Fasern und geht doch der Prestigewert der Kleidung ständig zurück. An dem, was sich alle leisten können, spart der Wohlstandsbürger, um desto mehr für Statussymbole losschlagen zu können.
Der Anteil der Chemiefasern am gesamten Faserverbrauch der deutschen Industrie für Bekleidungs-, Heim- und technische Textilien ist 1969 bereits auf 6y Prozent gestiegen. Mit Zuwachsraten von 29 Prozent pro Jahr bei synthetischen Fäden werden die klassischen Textflfasern völlig an die Wand gedrückt. Auf sie entfällt in den hochindustrialisierten Ländern nur noch ein Drittel des Textilfaserhaushaltes. Selbst im Weltverbrauch, also inklusive aller unterentwickelten Länder, entfallen auf die Synthetiks bereits über 20 Prozent. In einem Bericht über eine internationale Möbelmesse im Jahre 1970 heißt es: »Bei den Kunststoffen befinden sich einige [Hersteller] in der progressiven Phase, deren weiteren Verlauf noch niemand abschätzen kann.
Neben dem teuersten Kunststoff Polyester mit Glasfaserverstärkung gibt es bereits serienmäßig angewendet tiefgezogene Thermoplaste* — vorwiegend Polystyrole und Preßwerkstoffe — sowie für Einzelstücke auch gebogenes Acrylglas. Bei diesen neuen Schalen versucht man nur selten, die Formen hölzerner Sitzmöbel mit vier Füßen zu imitieren und arbeitet also materialgerecht. Statt Glas wird bei Leuchten in zunehmendem Maße ein neuer Kunststoff verwendet, der bei guter Lichtstreuung neue Effekte ermöglicht.
Bei Kunststoffschäumen stehen Hartschäume** (Duromere) erst am Anfang ihrer Entwicklung. Sie dienen aber schon häufig als innere Kerne von Polstermöbeln. Eine sehr schnelle Zunahme haben elastische Schaumstoffe, mit denen sich fast jeder Polstereffekt erzielen läßt. Neue Möglichkeiten der Formgebung bieten Würfel, Quader und viele andere Formen aus Schaumstoff für mobile Möbel, die extrem leicht und strapazierfähig sind.«
Das spricht für sich selbst. Gut an dieser Entwicklung ist zweifellos der vom Material her bestimmte Zwang zu neuen Formen, zum Funktionalismus, zur Abkehr vom vielzitierten »Gelsenkirchener Barock«. Die Auswirkungen auf den Müllberg sind dagegen noch gar nicht zu übersehen. Was jetzt an Möbeln auf der Müllkippe landet, sind noch überwiegend konventionelle Erzeugnisse des Tischlereihandwerks.
* Feste Kunstharze und Kunststoffe, die auch bei wiederholtem Erwärmen immer wieder erweichen und sich dann plastisch verformen lassen.
** Unelastische Schaumstoffe aus Phenolharzen, Polystyrolen, Polyurethanen u. a. mit hoher Schall- und Wärmedämmung.
Verwendung zur Isolierung von Flachdächern, Fußböden u. a., für Blumenkästen, Verpackungen und dergleichen.
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Bei einigen Küchenmöbeln sind es vielleicht sogar schon die ersten Verdrängungsprodukte der Retortenmöbel. Die sogenannte »Wohnkultur« ist noch nicht erfaßt, das menschliche Beharrungsvermögen für den Besitz einmalig erworbenen Mobiliars noch nicht umfunktioniert auf Schnellverbrauch. Wie lange noch?
Gelingt es der Industrie, Kunststoffmöbel so billig zu machen, daß es sich der Durchschnittsbürger leisten kann, die Wohnung mehrfach in seinem Leben einzurichten, dann ist alles nur noch eine Frage der Möbel-Modellpolitik, um den Rhythmus der Sperrmüllabfuhr von jetzt zwölfmal auf fünfzigmal jährlich umstellen zu müssen.
Herkömmliche Haushaltsgeräte sind auch aus Kunststoff hergestellt. Sei es Porzellan, Steingut, Glas oder Stahl. Sie sind oft teuer und häufig von Eltern und Großeltern übernommen. In den seltensten Fällen werden sie als kurzlebige Güter einzustufen sein, auch wenn schon mal ein paar Teller kaputtgehen. Auch hier wird der Kunststoff gründlich Wandel schaffen — wird er doch schnell unansehnlich und ist er doch so billig neu zu beschaffen. Jeden Ostern sollen die Eierlöffel in frischem Gelb erstrahlen, das Kunststoffmesser in den Luft-fahrt-Snackpackungen nur einmal benutzt werden. Schon ist die Geschirrausstattung für jeden Kindergeburtstag auf Chemie abgestellt, von der Tischdecke über Plastikteller bis zum Löffel und den Tassen; mit freundlichen Kindermotiven bedruckt - versteht sich: unzerbrechlich -, macht das der guten Mami gar keine Arbeit. Wann wird auch der Sonntagsbraten des Durchschnittsbürgers auf Thermoplasten serviert? Zubereitet ist er schon in einer kunststoffausgekleideten Pfanne.
Kunststoffe sind nach Menge und Eigenschaften die kritischsten Bestandteile des Müllbergs. Ihr Anteil an unserem Leben und damit nach immer kürzer werdender zeitlicher Verschiebung am Müllberg wächst ständig. Der Kampf gegen den Abfall muß im wesentlichen gegen Auswüchse der Kunststoffverwendung oder gegen bestimmte Eigenschaften der Kunststoffe geführt werden.
Wie sehr die Werkstoffe aus der Retorte noch nach archaischen Formen der Technik-Ethik — die nur auf Entwicklung, Herstellung, Anwendung, Wirtschaftlichkeit usw. abgestellt ist — beurteilt werden, beweisen die Kommentare zu einer internationalen Chemieausstellung im Jahre 1970. Überregionale Zeitschriften veröffentlichten hierzu umfangreiche Beiträge, in denen kein Wort über die Beseitigung der Kunststoffe gesagt wird. Man lese und staune über so viel Kraft und Herrlichkeit.
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Inhaltsangabe der Sonderbeilage der VDI-Nachrichten Nr. 24 vom 17. Juni 1970
Martin - Für Kunststoffe gibt es keinen Ersatz.
Hess - Kontinuierliche Herstellung von Phenolharz-Preßmassen.
Dietze - Leistungsstarker Reaktor für Polyesterschmelze.
Passler - Ein Kunststoff, der aus dem Rahmen fällt.
Dornik u. a. - Polystyrol schafft neue Perspektiven im Möbelbau.
Busscher - Fahrzeugbau orientiert sich am Kunststoff.
Lanius - Plastarelle — Kunststoff als gestalterisches Material.
Preiswerk - Die Verwendung von Epoxidharzen bei Verbundkörpern.
Klöpffer - Excitonen in Polymeren.
Domininghaus - Aus der Geschichte der Kunststoffe.
Inhaltsangabe der Sonderbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 16./17. Juni 1970
Franzke - Basis und Entwicklung der Massen-Kunststoffe.
Mehnert - Entwicklung der Polyolefine von 1954 bis heute.
Haber - Entdeckung und Frühgeschichte des ICI-Hochdruck-Polyäthylens.
Büchner - Technik des Hochdruckverfahrens.
Witt - . . . auf die Eigenschaften kommt es an!
Ziegler - Über die Entstehung des Niederdruck-Polyäthylen-Verfahrens.
Gumboldt - Zur Technik des Niederdruck-Verfahrens.
Löchner - Eine neue Variante des Niederdruck-Verfahrens.
Kohnle Polyäthylen nach dem Phillips-Niederdruck-Verfahren.
Mehnert Anwendungsgebiete des Niederdruck-Polyäthylens.
Kopsch - Über die Herstellung von Polyolefin-Bändchen.
Hofherr - Neuere Anwendungen für Polyäthylen.
Rau - Das Polypropylen und seine Nutzung.
Engel - Andere Polyolefine . . .
Kränzlein - Synthese-Kautschuk des Äthylens und Propylens.
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Dr.-Ing. Hans Reimer 1971 Müllplanet Erde - Bücher des Wissens