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19  Was kann ich tun?  

 

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Wie wir gesehen haben, gibt es kaum eine psychische Störung, die nicht durch sexuellen Mißbrauch hervor­gerufen werden kann. Da die Folgen sexuellen Mißbrauchs bisher immer unterschätzt wurden, habe ich ganz bewußt auch die Probleme und psychischen Störungen beschrieben, die sich in den extremsten Fällen und meist im Zusammenwirken mit anderen Mißhandlungen und traumatischen Lebensereignissen entwickeln können. -  Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, daß es auch Frauen und Männer gibt, die trotz ihres sexuellen Mißbrauchs keine psychischen Beeinträchtigungen entwickelt haben, weil sie Menschen hatten, die ihnen Geborgen­heit und Unterstützung gaben. Was aber kann man tun, wenn man nicht zu diesen Glücklichen gehört?

   Wie können sich die Betroffenen selbst helfen?   

1. 
Sei bereit, für Deine Heilung zu kämpfen. Egal wie sehr Du psychisch beeinträchtigt bist, Du kannst Dich da herauskämpfen, auch wenn es lange dauern mag. Der erste Schritt dazu ist, daß Du den Entschluß faßt, alle Deine Kräfte dafür einzusetzen. Solange Du kein klares Ziel vor Augen hast, kann sich bei Dir auch nichts verändern.

2. 
Mach Dir klar, daß Du Dir durch den sexuellen Mißbrauch Reaktionsweisen angeeignet hast, mit denen Du Dir auch heute noch fortwährend schadest. Die mußt Du abstellen, denn die Zeit allein wird Deine Wunden nicht heilen. Dazu mußt Du lernen, anders zu denken und zu handeln, so daß die verletzenden Erlebnisse in Deinem Alltag abnehmen und die bestätigenden und schönen Erfahrungen zunehmen. Finde heraus, wie andere Menschen dies machen.

3. 
Entdecke den positiven Anteil Deiner Person. Andere haben Dir das Gefühl gegeben. Du wärst minderwertig und nicht liebenswert. Das ist falsch. Mach Dich auf die Suche nach Deinen eigenen Fähigkeiten und Stärken. Lenke Deine Aufmerksamkeit jeden Tag auf die Dinge, die Du sagst, tust, denkst oder fühlst, die Du in Ordnung oder sogar gut finden kannst.

4. 
Schau Dir die Wirklichkeit an, wie sie ist und hör auf, sie zu beschönigen oder davor wegzulaufen. Achte bewußt darauf, wann Du Dich in Deinem Alltag gekränkt fühlst. Überprüfe, ob die Menschen Dir guttun, mit denen Du Deine Zeit verbringst. Suche Dir gegebenenfalls neue und bessere Freunde und trenne Dich dann von den alten.

5. 
Achte auf Deine Gefühle, vor allem auf Deinen Schmerz, Deine Traurigkeit, Deine Verletztheit oder Deine Wut. Sie sind wichtige Wegweiser, welche Teile Deines Lebens Du in welche Richtung verändern mußt, um zufriedener zu werden. Sie enthalten auch die Energie, die Du brauchst, um diese Veränderungen einzuleiten. Solange Du Deine Gefühle nicht beachtest, mißachtest Du Dich selbst. Indem Du Deine Gefühle wichtig nimmst, nimmst Du auch Dich selbst wichtig. Alle Gefühle sind in Ordnung und erlaubt.

6. 
Lerne, Dich auf Deine eigene Seite zu stellen und Deine Interessen zu vertreten. Behandle Dich selbst mit der gleichen Achtung und dem gleichen Wohlwollen, mit dem Du anderen Menschen begegnest.

7. 
Erlaube Dir, Deinen Mitmenschen deutlich zu zeigen, wann Sie Dich kränken oder ärgern. Nur so haben Deine Freunde eine Chance, Dir zu beweisen, daß Du ihnen vertrauen kannst. Auf diese Weise kannst Du auch falsche Freunde schnell entlarven.

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8. 
Sei wählerisch bei der Auswahl Deiner Freunde und Partner. Dein Selbstbewußtsein hängt davon ab, wie Dich Deine Mitmenschen behandeln. 

Hier einige Anhaltspunkte, woran Du merken kannst, ob Dich jemand wirklich mag: der andere nimmt sich Zeit für mich; hört mir zu; hilft mir; tröstet und streichelt mich; läßt zu, daß ich mich an ihn kuscheln kann in Momenten, wo ich das brauche; läßt mich allein und in Ruhe, wenn ich das möchte, ohne daß ich deswegen ein schlechtes Gewissen haben muß; bedrängt mich nicht mit seinen sexuellen Wünschen, wenn ich ihm zu verstehen gegeben habe, daß ich nur schmusen will; gibt mir Gelegenheit, vor anderen zu glänzen und von ihnen beachtet zu werden; hilft mir eine Blamage zu vermeiden; macht sich mit mir Gedanken, wie ich ein Problem von mir lösen könnte; macht mir Mut, unterstützt mich mit Worten und Taten, würdigt meine Leistungen und bestätigt sie; lobt mich; kann über meine Fehler auch hinwegsehen; äußert Verständnis; erkennt meine Mühen an; gibt auch mal nach oder verzichtet auf etwas; zeigt Interesse an mir und meinem Gefühlsleben; fragt mich, wie ich den Tag verbracht habe oder läßt mich von meinen Erfolgserlebnissen berichten; hört mir interessiert zu; läßt mir Zeit, einen Gedanken oder ein Problem zu formulieren; läßt mich ausreden oder ermutigt mich in schwierigen Gesprächen, weiterzusprechen oder stellt mir klärende und helfende Fragen; vertraut mir persönliche Erlebnisse und Gefühle an; ist beim Streiten fair, verzichtet auf Schimpfworte und Drohungen und trägt seinen Teil zur Versöhnung bei; gibt zu, wenn er einen Fehler gemacht hat usw.

 

9. 
Lerne, einem Menschen, den Du magst, auf diese Art und Weise Deine Liebe zu zeigen. Achte aber immer sehr genau darauf, daß Du nicht mehr, aber auch nicht weniger für ihn tust als er für Dich.

 

10. 
Wenn sich ein Mensch von Dir abwendet und den Kontakt zu Dir abbricht, ohne daß Du es recht verstehen kannst, dann frage ihn, ob Du irgend etwas gesagt oder getan hast, was ihn gekränkt hat. Du kannst Dich für diese Information bei ihm bedanken und ihm sagen, daß Du dies nicht mit Absicht getan hast und es Dir leid tut. Mach Dir bewußt, daß Du manchmal jemanden verletzt, ohne es zu wollen oder zu merken und versuche herauszubekommen, wann und wie das passiert.

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11. 
Informiere Dich über den sexuellen Mißbrauch und befasse Dich mit den Kränkungen, die Dir sonst noch zugefügt wurden. Sie gehören zu Dir und möchten von Dir gewürdigt werden. Achte aber darauf, daß Du Dich nicht überforderst und gönne Dir immer wieder Zeiten der Erholung, in denen Du diese Erinnerungen wegschiebst. Nimm Dir immer nur soviel vor, wie Du im Moment auch verdauen kannst. Das Heilen Deiner Wunden braucht Zeit. Bremse Dich, wenn Du mit Dir ungeduldig wirst, denn sonst stehst Du Deinen eigenen Fortschritten im Weg.

 

12. Erlaube Dir wenigstens in Deinen Gedanken, jenen Menschen böse zu sein, die Dich in der Vergangenheit sexuell mißbraucht, gekränkt oder im Stich gelassen haben. Schreibe jedem einen Brief, in dem Du beschreibst, was Du ihm vorzuwerfen hast. Beschreibe, wie traurig, verletzt und zornig Du bist. Verlange Rechenschaft und Wiedergutmachung. Stell Dich auf Deine eigene Seite. Nimm Dich selbst wichtig, denn jene Menschen, die Dich kränkten, haben es nicht getan. Dein Mitleid und Verständnis für diese Menschen ist jetzt fehl am Platz. Du wirst erst richtig verzeihen und vergessen können, wenn Du Dir erlaubt hast, in Gedanken mit diesen Menschen abzurechnen. 

Vielleicht mußt Du diese Briefe immer wieder überarbeiten, bis sie Deiner tiefen Verletztheit gerecht werden können. Diese Briefe sind ausschließlich dazu da, Dir beim Verdauen Deiner Kränkungen zu helfen. Indem Du durch das Briefeschreiben Deinen Schmerz in Zorn umwandelst und ihn innerlich vorwurfsvoll gegen diejenigen richtest, die Dir soviel Leid angetan haben, hast Du ein heilsames Ventil für Deinen tiefen Schmerz gefunden, von dem Du Dich auf diese Weise allmählich befreien kannst. Vieles wird sich verändern, wenn es Dir gelingt, diese Briefe für Dich zu schreiben. Du wirst Dich danach lebendiger und selbstbewußter fühlen, was sich auch in Deinem Umgang mit anderen Menschen bemerkbar machen wird.

 

13. Wenn Du genügend Kraft hast, kannst Du diese Briefe auch an die entsprechenden Personen schicken. Überlege Dir aber gut, was Du damit für Dich erreichen kannst. 

Du darfst nicht damit rechnen, daß sich Dein Mißbraucher zu seiner Schuld bekennt und sich bei Dir dafür entschuldigt. Ich kenne nur einen Fall, wo dies passiert ist. In der Regel wirst Du mit Gegenvorwürfen und Drohungen zu rechnen haben, weil sich der Mißbraucher in der Zwischenzeit nicht wesentlich verändert hat.

Du kannst mit diesen Briefen überprüfen, ob er Dein Verständnis und Deine gute Meinung über ihn verdient hat. Dadurch, daß er Dich sexuell mißbraucht hat, hat er Dir die Macht gegeben, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen, wann und wie oft es Dir gefällt. Indem Du von dieser Macht Gebrauch machst, verlieren diese Erlebnisse ihren schmerzhaften Stachel.

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Jeder dieser Schritte kostet Dich viel MÜHE, ÜBERWINDUNG, und MUT. Aber mit jedem Schritt, der für Dich schwer war, wird es Dir spürbar besser gehen.

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   Was können Angehörige und Freunde tun?   

 

1. Sei offen für Andeutungen und Hinweise. Vielen Betroffenen fällt es schwer über ihren sexuellen Mißbrauch zu sprechen. Darum machen sie oft nur Andeutungen, in der Hoffnung, daß Du dann nachfragst.

2. Sei ein aufmerksamer Zuhörer. Berichte von sexuellem Mißbrauch sind fast immer wahr. Darum glaube der betroffenen Person, auch wenn ihre Erinnerungen vage und verschwommen sind.

3. Bedanke Dich für das besondere Vertrauen und stell Dich deutlich auf die Seite dieser Person, indem Du zeigst, daß Du dem Mißbraucher die Schuld an dem Mißbrauch gibst.

4. Biete Dich als Gesprächspartner an, aber laß die Person selbst entscheiden, wann sie was und wieviel erzählen will.

5. Informiere Dich über sexuellen Mißbrauch.

6. Zeige der Person, daß Du auch ihre Fähigkeiten und Stärken siehst und daß Du sie gern hast.

 

Was Eltern tun können, um sexuellem Mißbrauch vorzubeugen

 

1. Kindgerechte Sexualaufklärung

Kinder fangen in der Regel mit 3-4 Jahren an, Fragen zur Entstehung von Kindern und zur Sexualität zu stellen. Statt sie auf einen späteren Zeitpunkt zu vertrösten, sollte man ihre Fragen so-

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fort wahrheitsgetreu und in kindgerechter Sprache beantworten. Es gibt auch Aufklärungs-Bilderbücher, die man zusammen mit dem Kind anschauen und lesen kann. Auf diese Weise verhindert man, daß die erste Aufklärung durch einen sexuellen Mißbrauch erfolgt. Man gibt dem Kind ein Wissen mit, mit dem es sexuelle Übergriffe eher einordnen kann und man gibt ihm Worte, sexuellen Mißbrauch zu benennen.

 

2. »Mein Körper gehört mir«

Statt Kinder vor dem bösen fremden Mann zu warnen, sollten sie durch ihre Eltern ermuntert werden, Berührungen abzulehnen, die sie nicht möchten, auch wenn sie von nahestehenden Menschen oder den Eltern selbst ausgehen. Wenn ein Kind nicht schmusen will, sollten Eltern dies respektieren und ihr Kind in Ruhe lassen. Statt ein Kind zu drängen, anderen Menschen zur Begrüßung die Hand zu geben, weil sich das so gehört, sollte man ihm selbst überlassen, ob es dem Beispiel seiner Eltern folgen will oder nicht. 

Und wenn Tante Frieda beim Besuch über die Kleine herfällt und sie rücksichtslos umarmt und abküßt, obwohl die das gar nicht will, sollte man seinem Kind beistehen und Tante Frieda bitten, dies in Zukunft anders zu machen. Wenn ein Kind beim Baden keine Zuschauer haben will, sollte dies genauso respektiert werden, wie man dies auch bei einem Erwachsenen tun würde. Solche Erlebnisse zeigen Kindern, daß ihr Körper allein ihnen gehört und daß sie allein bestimmen dürfen, wer ihn berühren oder anschauen darf und wer nicht.

 

3. Selbstbewußtsein fördern

Um das Selbstbewußtsein von Kindern zu fördern, gibt es viele Möglichkeiten. An erster Stelle steht hier, daß man sich Zeit nimmt, für das Kind da ist und auf seine Gefühle Rücksicht nimmt. Des weiteren ist es wichtig, die Leistungen des Kindes anzuerkennen und zu loben; Kindern bei den Dingen, die sie selbst betreffen, im größtmöglichen Rahmen mitentscheiden zu lassen und sie zu fragen, was sie z. B. anziehen oder essen wollen und wie man den Urlaub verbringt; die eigenen Fehler vor dem Kind zuzugeben oder sich bei ihm zu entschuldigen, wenn man ihm Unrecht tat, damit es erfährt, daß Erwachsene nicht immer recht haben.

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4. Zuneigung und Geborgenheit

Kinder sollten das Gefühl entwickeln können, daß sie liebenswert sind und gemocht werden. Dies kann durch liebevolle Worte und körperliche Zärtlichkeiten wie Umarmen, Streicheln, Kuscheln oder Schmusen vermittelt werden. Eine Zuwendung allerdings, die dem Kind aufgedrängt wird, ist keine mehr.

5. Feste Regeln

Kindern sollte man verläßliche Regeln geben, an denen sie ihr Verhalten orientieren können. Sie sollten wissen, wie sie sich Belohnung und Zuwendung von den Eltern beschaffen können und wofür sie bestraft werden. Eltern, die ihren Kindern Regeln geben, an die sich die Eltern selbst auch halten, geben Kindern das Gefühl, daß sie Einfluß darauf haben, wie sie behandelt werden. Sie fühlen sich dann weniger ohnmächtig und ausgeliefert.

Ich habe in diesem Buch auch zeigen wollen, daß sexueller Mißbrauch nicht allein das Problem der Betroffenen und ihrer Angehörigen ist, sondern ein Problem unserer Gesellschaft, also letztlich von uns allen. Sexuellen Mißbrauch wird es geben, solange es ein so deutliches Machtungleichgewicht zwischen Männern und Frauen gibt. Daß dies nicht das »hysterische Geschrei männerfeindlicher Emanzen« ist, zeigen die folgenden Zahlen:

Sexuellen Mißbrauch wird es auch geben, solange wir unsere Kinder als unser Eigentum betrachten, mit dem wir umgehen können, wie wir wollen. In unserer Kultur gilt nach wie vor das Recht des Stärkeren.

Wer bei uns wieviel wert ist, richtet sich hauptsächlich danach, wer am meisten Körperkraft und am meisten Geld hat, so daß er am meisten über andere bestimmen und ihnen Gewalt antun kann. Männer sind daher weltweit am mächtigsten, gefolgt von den Frauen, und ganz am Schluß kommen die Alten, Kranken und Kinder. Die Schwächeren müssen immer wieder als Blitzableiter für die Lebensunzufriedenheiten der Stärkeren herhalten und werden dadurch seelisch krank.

Damit sich daran etwas ändern kann, müssen Frauen lernen, selbstbewußter ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche durchzusetzen. Männer müssen sich daran gewöhnen, sich in andere Menschen einzufühlen, deren Wünsche und Gefühle zu achten und sich selbst zurückzustellen. Je besser Frauen und Männer dazu in der Lage sind, desto ausgeglichener und befriedigender wird auch ihr Zusammenleben verlaufen und desto weniger werden Kinder in die Gefahr kommen, sexuell mißbraucht oder mißhandelt zu werden.

Wohin können sich Betroffene und Angehörige wenden?

Inzwischen gibt es in jeder größeren Stadt Einrichtungen, die den Betroffenen sexuellen Mißbrauchs und ihren Angehörigen Beratung oder Psychotherapie anbieten oder zumindest Hinweise auf andere Institutionen geben können. Zu ihnen gehören unter anderem: Wildwasser, Pro Familia, Erziehungsberatungsstellen, Psychologische Beratungsstellen, Allgemeine soziale Dienste des Jugendamtes, Deutscher Kinderschutzbund.

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