Vorspann
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Könnten Philosophen den Geist der Zukunft ergründen oder gar prägen, dann würde der Autor der nachfolgenden Notizen vor dem Zukunftsbild des Philosophen Peter Sloterdijk erzittern, nämlich vor einem »Weltalter, in dem der Unterschied zwischen Siegern und Verlierern« wieder mit »antiker Härte und vorchristlicher Unbarmherzigkeit an den Tag tritt«.
Welche Selbstüberschätzung — aber auch bei denjenigen von Sloterdijks Gegnern, die gleich ihm den Eindruck erwecken, als werde der Ausgang dieser Debatte die Kultur des heraufziehenden Zeitalters prägen.
Beide Seiten haben allerdings einen triftigen Grund, die Debatte überhaupt zu führen, nämlich zu versuchen, den tatsächlich beunruhigenden fundamentalen Orientierungskonflikt auf klärende Begriffe zu bringen. Nur sollten sie nicht verkennen, dass der Kurs der Kulturentwicklung maßgeblich von unberechenbaren Unterströmungen gelenkt wird, die gern missachtet, wer von der eigenen Struktur her die Macht der Intellektualität überschätzt.
In den vorliegenden Aufzeichnungen kann der Leser, wenn er will, einen alt gewordenen Mann in der Erfahrung begleiten, wie alles, was er je neu entdeckt und aufgegriffen hat, aus den Spuren seiner und der gemeinsamen Vergangenheit aufsteigt, die mit Hoffnungen, Illusionen, Angst, Trauer und Schuld immer in ihm anwesend ist.
Allmählich habe ich verstanden, wie das mir von den Eltern und ihrer Generation vermittelte geistige Erbe und die darin enthaltenen Aufträge aussahen und wie ich darauf antworten sollte. Dann wurde ich von der Generation meiner Kinder mitgenommen, die — wie undurchschaut auch immer — eine drückende kollektive Verdrängung durchbrach.
Ein kurzer sozialer Aufbruch zu humanisierenden Reformen, ökologischen und pazifistischen Visionen — dann das leise, aber unbeirrbare Vordringen des Neoliberalismus mit seinen psychischen Korrelaten der rücksichtslosen Selbstsucht, der Entsolidarisierung, des Kampfes um die Überholspur, dabei immer tiefer in eine Megalomanie hineingleitend, in der die Produkte der Risiko-Technologie sich in die Dinosaurier-Ungeheuer aus Spielbergs Jurassic Park verwandeln, d.h. sich auch durch die höchstentwickelte künstliche Intelligenz immer schwerer zügeln lassen.
Aber dagegen steigt eine Furcht auf, die Hans Jonas eine »ethische Pflicht« für den Erfolg seines »Prinzips Verantwortung« genannt hat. Eine Furcht, in der sich der in der Tiefe immer noch lauernde Allmachtswahn aus der mörderischen Vergangenheit meldet. Was heißt, dass die Chance zur Verteidigung eines humanistischen Weltbildes zuerst darin liegt, aufmerksam und unermüdlich in die Erinnerung hinabzuhorchen, was übrigens, wie der Autor zu entdecken glaubt, neuerdings vielen aus der Generation seiner Enkel viel selbstverständlicher erscheint als den inzwischen abgebrühten und gewendeten Alt-68ern.
Aber keine Angst, die nachfolgenden Notizen enthalten zwar auch Versuche des Autors, in der eigenen Lebensgeschichte den geistigen Wandel der Zeit zu erfassen, aber im Vordergrund steht die sehr persönliche Erzählung einer schlichten, manchmal mühseligen, überwiegend jedoch zuversichtlichen Wanderung eines Engagierten zwischen gesellschaftlichen Fronten.
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