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Der Ex-Chef der US-Nuklearstreitkräfte gibt der Friedensbewegung Recht  

Butler auf detopia

 

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März 1999. Gerade bin ich noch dabei, über die vergangenen Querelen mit der CDU anlässlich der Nobelpreis­verleihung nachzulesen, da wird mir eine frische Rede des amerikanischen Generals Lee Butler zugeschickt. Schon beim Überfliegen bin ich elektrisiert. Es ist wie in einem Gerichtskrimi, in dem ein nachträglicher Zeuge der Anklage einen Tatbestand auf sensationelle Weise klärt. 

General Butler war bis zu seiner Pensionierung vor fünf Jahren Oberbefehlshaber der gesamten Nuklearstreitkräfte der USA, zugleich oberster Kernwaffen­berater des amerikanischen Präsidenten gewesen. Auch die nukleare Kriegsplanung der Vereinigten Staaten gehörte zu seinem letzten Verantwortungs­bereich. 

Jetzt treibt ihn sein Gewissen zu dem Bekenntnis, dass er sich genauso wie Robert McNamara mitschuldig an einer in höchstem Masse unheilvollen Kernwaffen­politik der Vereinigten Staaten halte. 

30 Jahre habe er gebraucht, um die Wahrheit zu erkennen, die laute:

Wir sind im Kalten Krieg dem atomaren Holocaust nur durch eine Mischung von Sachverstand, Glück und göttlicher Fügung entgangen, und ich befürchte, die letztere hatte den größten Anteil daran.

Der General berichtet von Dutzenden geheim gehaltener schrecklicher Unfälle mit atomwaffenbestückten U-Booten und Flugzeugen. Ein mit Kernwaffen beladener B52-Bomber der amerikanischen Streitkräfte sei abgestürzt, dabei seien sechs der sieben eingebauten Sicherungen schon ausgefallen gewesen. Um Haaresbreite sei man einer unausdenkbaren Katastrophe gerade noch entgangen. 

Erst 1991 bekam Butler nachträglich den Kriegsplan zu Gesicht, auf dem 12.500 Ziele in den Staaten des Warschauer Paktes angegeben waren, die mit einigen Zehntausend amerikanischer Nuklearwaffen angegriffen werden sollten. Es sei dies das absurdeste und verantwortungsloseste Dokument gewesen, das er je zu Gesicht bekommen habe. 

Eine Gnade nennt er es, dass der Kalte Krieg damals zu Ende ging. Er beschreibt seine Anstrengungen, das Modernisierungsprogramm für neue strategische Kernwaffen im Wert von 40 Milliarden Dollar zu Fall zu bringen, was aber nur vorübergehend gelang.

Die Lektüre der Rede, auf die ich später noch zurückkommen werde, wühlt mich ungemein auf. 

Mehrmals lese ich das Eingeständnis, dass es wohl vor allem göttliche Fügung gewesen sei, die den atomaren Holocaust gerade noch verhindert habe. Menschliche Unvernunft habe mit Risiken gespielt, die unzweifel­haft die Grenze des Verantwortbaren überschritten hätten. 

Das sagt kein Linker, kein notorischer Pazifist, sondern der Ex-Oberbefehlshaber der amerikanischen Nuklear-Streitkräfte, der zugleich bekennt, von den NGOs (»Non Governmental Organisations« — Nicht-Regierungs-Organisationen) und somit von den verschiedenen Vereinigungen der Friedensbewegung nie in seiner Amtszeit Kenntnis genommen zu haben. Erst jetzt als Pensionär gehöre er plötzlich zu dieser anderen Seite.

Aber warum haben Männer wie McNamara und Butler nicht eher gemerkt, dass sie in ihren Spitzenämtern eine unverantwortliche Politik mitgetragen hatten? Erst nach 30-jähriger Reise sei er ans Ziel der Wahrheit gelangt, sagt Butler, nämlich »dass vieles von dem, was ich glaubte, entweder falsch, höchst vereinfacht, außerordentlich brüchig oder einfach moralisch untragbar war«

Also hatte er zuvor das Falsche nicht kritisch geprüft, hatte nicht über seine ihm zugewiesene Rolle im Apparat hinausgedacht. Allerdings ist ihm die Erleuchtung nicht erst nach der Pensionierung gekommen, sondern schon im Zusammen­hang mit seiner letzten Beförderung, so dass er auf dieser höchsten Stufe bereits wichtige Rüstungsprojekte — vorübergehend — stoppen konnte.

Demnach gehört er gewiss nicht zu den Anpasslern, die um ihrer Karriere willen so lange taktisch mitmachen, bis ihnen die Pensionierung mehr Spielraum zu anstößiger Offenheit erlaubt. Es war also ein innerer Prozess, der Butler dazu bewog, das Programm des Riesenapparates, den er zu bedienen hatte, kritisch mit Kopf und Gefühl zu untersuchen.

Und da meldete sich in ihm Wut, als er die Unsinnigkeit des Programms durchschaute. Psychoanalytisch ausgedrückt: Er revidierte die Delegation seines Über-Ichs an die Autorität der Institution. Er hob die Abspaltung des moralischen Empfindens vom technokratischen Denken auf. Er sah sich genötigt, mit persönlicher Verantwortung für die Folgen der Atompolitik einzustehen, in die er in seiner hohen Funktion eingebunden war. 

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Exkurs über unerforschte, verkannte, missachtete Altersweisheit 

 

 

Die beispielhafte Wandlung Butlers und McNamaras bringt mich auf eine Frage zurück, die mich immer wieder beschäftigt: Warum macht die Welt nur selten von der Weisheit großer alter Menschen Gebrauch, die erst nach jahrzehntelanger Reise wie dieser Butler zu bedeutenden Mahnern und Wegweisern heranreifen? 

Es sind Menschen, die in späteren Jahren in ein immer höheres soziales Verantwortungs­bewusstsein hineinwachsen und sich schließlich dem Allgemeinwohl über die beschränkten Interessen von Gruppen, Verbänden oder selbst der Nation hinaus verpflichtet fühlen. Deshalb können manche von ihnen selbst dort Versöhnung stiften, wo Gegensätze unüberbrückbar scheinen. 

Den alten Robert McNamara, kriegführender Verteidigungs­minister im Vietnam-Krieg, habe ich persönlich mehrere Jahre als Friedens­aktivisten in der Moskauer Stiftung unter der Schirmherrschaft Gorbatschows beobachten können. Itzhak Rabin wurde erst im Alter Pionier der Versöhnung mit den Arabern, die er im Sechstagekrieg noch als Generalstabschef niedergerungen hatte. Nelson Mandela, Anführer des ANC im Kampf gegen das Apartheidsregime, befreite sein Volk ohne den blutigen Rachefeldzug, den alle für unausbleiblich gehalten haben. Es sind Ausnahmen — aber lediglich deshalb, weil man nur ausnahmsweise von den Qualitäten solcher Persönlichkeiten Gebrauch macht, deren psychische Reifung, wenn man es so nennen will, bis zum Lebensende immer noch voranschreitet.

Hier glaube ich übrigens ein bedauerliches Defizit der Psychoanalyse zu erkennen, die sich in der Entwicklungstheorie zu eng an die Biologie gehalten und nur die Stufen bis zum Erreichen der Erwachsenen-Genitalität systematisch verfolgt hat. Erikson war einer der wenigen Klassiker, der noch Stadien des Erwachsenenalters, insbesondere dasjenige der Generativität, skizzenhaft beschrieben hat.

Aber dass es danach immer noch eine geistige

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