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  2.  Hiob und die Angst 

3 Antike     4 Rom 

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Die Hiobgeschichte verweist aber auch auf ein anderes Kapitel der menschlichen Zivilisation und der Arbeits­gesellschaft, das Kapitel der Angst.

Gehen wir davon aus, daß der Mensch sich seinen Gott als Allmacht­gedanken entwickelt hat, und zwar als Allmachtgedanken, um auf die ihn umgebende Natur einzu­wirken. Mit der Erfindung Gottes versucht der Mensch das erste Mal in seiner Entwicklungs­geschichte, über seine Umgebung hinauszuwachsen und sich zu deren Beherrscher aufzuschwingen.

Mit dieser Erfindung transportiert er seine Angst, nämlich seine Todesangst, die er schon lange vor der Entwicklung Gottes hatte, in die Angst vor seinem Versagen. Der Mensch verlagert seine Todesangst in die Angst vor dem Scheitern seiner Arbeit, seines Tuns, seines Lebensentwurfs. Er spaltet sich als Mensch in Gut und Böse auf, in Gott den Allmächtigen und Satan den Vernichtenden. Er beginnt nun als Mensch, mit diesen beiden Polen in sich und um sich zu kämpfen. Er schafft sich seinen Feind als Ausgeburt seines Wahns und erwartet seinen Tod jetzt nicht mehr als Ergebnis seines Lebens, sondern als Teil seines eigenen Tuns.

In der Hiobgeschichte wünscht sich Hiob am Ende seiner Klagen den Tod herbei. Er muß dies auch tun, denn im Versagen seiner Allmacht­vorstellungen muß er an sich selbst zweifeln, er muß sich also im Grunde vernichten, weil er nicht allmächtig ist. Hiob rechtet nicht mit Gott, sondern mit sich selbst. Er erlebt seine Schicksals­schläge als Versagen seiner eigenen Fähigkeiten. Er versagt tagtäglich in seiner Arbeit, und er entwickelt eine immer größere Angst. Er denkt darüber hinaus permanent an Selbst­mord, weil er für ein Problem keine Lösung mehr weiß.

Ging der Mensch vor der Entwicklung der christlichen Ideologie mit seiner Todesangst noch natürlich um — als sogenannter Primitiver beschäftigte er sich mit seinem Tod noch mythologisch, d.h. spiritistisch-geistig —, so geht der christlich-material­istische Ansatz materialistisch mit der Todesangst um. Der Tod findet schon vor der physischen Vernichtung des Menschen in der Vernichtung der Produkte seiner Arbeit, seiner Familie, seines Vermögens, seines Viehs, seiner Häuser usw. statt.

Bei dem Versuch, dieser übertragenen Todesangst zu entrinnen, entwickelt der Mensch immer mehr Methoden, um immer mehr Reichtum anzusammeln und Vorsorge gegen diese übertragene, verdrängte Angst zu treffen. Hiob ist hierfür der Prototyp. Ein Zurück zur Natur des Menschen, zur simplen Einsicht, daß der Mensch zum Sterben geboren und es deshalb sinnlos ist, aus Angst vor dem Tode Selbstmord zu begehen, gibt es für Hiob nicht mehr. Er findet seinen Frieden mit Gott erst in der Rück­gewinnung seiner materiellen, also seiner künstlich geschaffenen Allmachtbasis. Hiob ist eben kein Primitiver mehr, sondern ein Kulturmensch, und der Kulturmensch findet sich nur in dem von ihm Geschaffenen wieder; die Natur ist sein Feind, weil sie ihn mit dem Tode bedroht.

Diese übertragene Todesangst, diese Flucht vor der Erkenntnis des Todes findet einen ihrer Ausgangs­punkte in der Geschichte Hiobs. Es ist nicht mehr die Angst, sondern die Angst vor der Angst, also eine Übertragung, und sie wird künftig der Antrieb für die Arbeit des Menschen und für die gnadenlose Zerstörung der Natur als Todesdrohung für den Menschen sein.

Die Anlässe für den Kampf des Menschen gegen die Natur sind vielfältig, aber immer herbeidefiniert. Ob Naturkatastrophen, Pest, Krebs oder Aids — der Mensch schafft sich aus Angst vor dem Tode eine todbringende Umgebung und läßt sich seit dem ersten Entwurf der Zivilisation von diesem Tun nicht abhalten. Hiob wird erst wieder froh, als er seiner Katastrophe entronnen ist und der Status quo wiederhergestellt wird.

Hiob ist der angstgetriebene Wachstumsfetischist, der sein Unwissen hinter Frömmigkeit verbergen kann. Mit ihm entwickelt sich für unsere Zivilisation Gut und Böse und die Angst vor dem Tode zur Angst vor dem materiellen Verlust, und folgerichtig versuchen die Menschen vor allem durch Arbeit diese übertragene Angst zu verlieren.

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  3  Die Welt der Antike  

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Der ackerbauliche Entwurf der Zivilisation mit seinen Grundelementen Naturausbeutung, entfremdete Arbeit, Bevölkerungs­wachs­tum, Sendungsbewußtsein, Herrschaft und Angst ist schon nach wenigen tausend Jahren Ackerbau endgültig formuliert. Dieser Entwurf duldet kein Zurück mehr, vor allem kein Zurück zur Zivilisation des Jägers und Sammlers; er kennt nur die Wahl zwischen Fortschritt und Untergang.

Die tägliche Lebensgestaltung dieser Zivilisationsform ist Arbeit und Arbeitsvernichtung, denn die Arbeit schafft unweigerlich immer einen Überfluß an Gütern. Dieser Überfluß an Gütern muß verbraucht oder vernichtet werden. Mit dem Zwang zur Arbeit entsteht also auch der Zwang zur Vernichtung, die Antiarbeit.

Darüber hinaus läßt die Arbeit in ihrer organisierten Form ein Ausbrechen aus ihren Zwängen nicht mehr zu. Sie schafft eine Abhängigkeit von den erarbeiteten Produkten und setzt damit die Ausstiegs­schwelle aus der so organisierten Gesellschaft immer höher. Insoweit schafft Arbeit Arbeit.

Die Arbeit ist also der ideologische Grundrahmen der ackerbaulichen Gesellschaft und das Bewertungs­kriterium für alles menschliche Tun. Mit der Weiterentwicklung der Arbeitsgesellschaft bezieht der Mensch immer mehr Elemente seiner Umgebung in die Arbeitsorganisation ein. Zunächst seine eigene Familie, dann Tiere, dann Wasser und Windkraft, dann Menschen als Sklaven, dann die Bodenschätze und zum Schluß die menschliche Intelligenz an sich.

In diesen Entwicklungsprozessen hat es immer wieder Versuche gegeben, sich aus der Abhängigkeit dieser Ideologie zu befreien, einen Ausbruch zu wagen. Einer der ersten uns bekannten Ausbrüche dürfte in der griechischen Antike stattgefunden haben.


Die Dorer und Ionier waren Nomadenvölker, die die Arbeit verachteten. Ihre Siedlungen und ihre Städte waren keine ackerbaulichen Siedlungstypen, sondern Versuche, das Jäger- und Sammlerleben mit dem Seßhaft-Ackerbaulichen zu verbinden. Ihr höchstes Ideal war aber nicht der Bauer oder der Arbeiter, sondern der Jäger.

Die Dorer und Ionier besaßen noch etwas von der Unbekümmertheit und der Ursprünglichkeit menschlichen Lebens. Sie gaben ihre Siedlungen, so großartig sie auch waren, wieder auf, wenn sie die Hoffnung hatten, daß hinter dem nächsten Hügel, auf der nächsten Insel oder im nächsten Land auf sie eine große Beute wartete, die sie nur zu erobern brauchten. Ihre Götter sind keine fleißigen Buchhaltertypen, keine Verwalter, die große Entwürfe einer Welt machen, es sind faule, genußsüchtige Wesen, die immer für einen guten Streich bereit sind, die grausam sind, die unendlich viele Gefühle haben, kurz: es sind noch die alten Götter der Jäger und Sammler, die aber schon mit dem Problem der Abhängigkeit vom Ackerbau konfrontiert sind.

Das Festhalten der Griechen an den Jagdidealen dokumentiert sich vor allem in ihrer ungeheuren kulturellen Kreativität. Der Ackerbauer oder der Industriemensch ist im eigentlichen Sinne nicht kreativ, sondern fleißig. Sobald ein Ackerbauer oder ein Industriemensch sich mit Kultur beschäftigt, wird er neureich, spießbürgerlich, kleinbürgerlich, kurz: er schafft auch in der Kultur Ordnung. In der Anfangsphase nutzten die Griechen ihre kulturelle Kreativität kaum für ein wirtschaftliches Wachstum, sondern mehr für Krieg, für Prachtbauten, für eine spielerische Philosophie. Mathematik und Dichtkunst. Kunst und Wissenschaft der Antike waren in den Arbeitsprozeß noch nicht integriert.

Das Problem der Griechen aber war ihr Umgang mit der Arbeit, denn sie hatten die Arbeit in Form der Sklaven in ihre Gesell­schaft integriert. Diese Sklaven wurden zwar von ihnen verachtet und als nicht der menschlichen Gesellschaft zugehörig betrachtet, aber sie schufen immer stärker die Grundlage ihres Lebens, ihrer Versorgung. Damit machten sich die Griechen selbst abhängig von der Arbeit und von ihren Sklaven. Unmerklich wurden immer mehr Elemente der Arbeitsgesellschaft in die Gesellschaft der Jäger und Sammler eingeführt. Die Griechen wurden immer seßhafter, entwickelten Vorschriften und organisierten ihren Staat immer mehr nach Arbeitsstrukturen.

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Nirgendwo wird das deutlicher als bei den Spartanern. Obwohl die Spartaner bis zu ihrem Untergang nie wirklich gearbeitet haben, sondern ihre Erfüllung immer im Kriegsdienst sahen, waren sie am Ende ihrer Entwicklung die perfekteste Arbeits­gesellschaft und damit zum Untergang bestimmt. Sie hatten feste Organisationsformen entwickelt, durchorganisierte Verwaltungs­strukturen übernommen, lebten völlig genußlos und dienten nur noch der Pflicht, aber nicht sich selbst. Ihre kulturelle Kreativität war auf einem absoluten Nullpunkt angelangt, als sie ihren letzten Krieg gegen die Römer verloren.

Die Spartaner dokumentieren am besten, was Rüstung und Krieg eigentlich bedeuten. Sie sind kein Relikt des Jäger- und Sammler­lebens, sondern ein Produkt der Arbeitsgesellschaft. Der Jäger und Sammler versorgt sich, aber er greift nicht an. Krieg ist eine der ersten Formen der Antiarbeit, es ist eine Vernichtung von Arbeitsüberschuß. Krieg ist die Perversion der Jagd, er ist die Triebabfuhr des Arbeitsmenschen.

Die Geschichte der griechischen Antike dokumentiert sehr eindringlich die Zusammenhänge zwischen Lebenshaltung, Arbeit und Naturzerstörung. Obwohl die Griechen mehr eine Nomadenkultur haben, ist die Basis ihres Lebens die Ausbeutung von Mensch und Natur. Die Überschußprodukte sind Krieg, Baukunst, Philosophie und Theater. Die Symbole dieser Lebensweise sind die Städte. Die griechischen Städte lösten sich im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr von ihrer Umgebung ab und führten ein Eigenleben.

Die Griechen bemerkten nicht, daß sie langsam, aber sicher ihre Umgebung ausplünderten und verbrannten. Sie verschlossen die Augen vor diesen Problemen und wiegten die privilegierte Stadtbevölkerung mit einer Art Kanonen­bootpolitik in Sicherheit. Aus nichtigen Anlässen wurden weit entfernte Gebiete angegriffen und wie im Falle Troja in langwierigen Kriegen zerstört. Auch die rituellen Olympischen Spiele waren keine Kultur­leistung, sondern Teil einer städtischen Arbeitskultur.

Das Ende einer solchen Gesellschaftsform war vorgeprägt. Die immer größere Integration der Sklaven in das Leben schuf gleichzeitig eine immer größere Abhängigkeit von der Arbeit. Um dieser zu entrinnen, mußte der Raubbau an der Natur intensiviert werden. Großflächige Umweltzerstörungen waren die Folge.

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Der schöne Schein des edlen Griechen, der sich als idealtypischer Mensch in seine Kultur, seine Philosophie seine Baukunst und sein Theater versenkt, ist eine Geschichtslüge, die durch die Anschauung der Reste Griechenlands erkennbar wird. Die Haltung der Griechen zur Arbeit war ein Selbstbetrug, und die Zerstörung ihrer Stadtstaaten durch die Römer war letztlich eine Selbstzerstörung. Denn es ist sehr wahrscheinlich, daß die Sage "Rom ist von griechischen Siedlern gegründet worden", richtig ist, daß also westwärts ziehende griechische Nomaden einen neuen Reformstaat in Rom aufgebaut haben. Dieser Reformstaat war ein viel perfekteres Abbild der Verbindung von Arbeit, Natur­zerstörung, Krieg und Kultur, denn den Griechen fehlte die Zentrale, die Gesamtmacht, die Konzernspitze eines antiken Arbeitsstaates.

Der antike Modellfall Griechenland demonstriert in eindringlicher Weise, was es bedeutet, wenn Völker oder Staaten über ihre ökologischen Verhältnisse leben. Die natürlichen Umweltbedingungen werden dann so nachdrücklich verändert, daß eine Rückkehr zu natürlichen Lebensweisen auch in den nächsten Jahrhunderten nicht möglich ist. Die katastrophalen Umwelt­bedingungen des heutigen Großraums Athen im Sommer, die Hitzekatastrophen, die Wasserprobleme und vieles andere mehr sind Ergebnisse des antiken Raubbaus und Ergebnisse des Nichtlernens aus geschichtlich-ökologischen Abläufen.

Insoweit wäre die Geschichte des antiken Griechenlands und seines Untergangs für uns Heutige die ernsteste Warnung, und zwar deshalb, weil wir sehr genau die Zusammenhänge kennen und uns das Ergebnis an Ort und Stelle ansehen können. Wir verstellen uns aber diese Erkenntnis, weil wir die Geschichte Griechenlands als Geschichte von Kriegen, von großen Führern, von Philosophen und Künstlern und von reformerischen Staats­männern sehen wollen.

Das antike Griechenland ist nicht an seinen äußeren Feinden zugrunde gegangen. Dies war nur der letzte Anstoß, der das morsche Gebäude zum Einsturz brachte. Es ist zugrunde gegangen an seiner fatalistischen Haltung gegenüber Arbeit und Umwelt. Indem die Herrschenden einer immer kleineren Zahl von Sklaven immer mehr Arbeit aufbürdeten, mußte die Nutzung der Natur intensiviert werden, d.h. die Ausbeutung mußte in die Naturausbeutung verlagert werden. Insoweit finden wir hier — wahr­scheinlich zum ersten Mal in der geschriebenen Geschichte unserer Zivilisation — den Kreislauf von Herrschaft, Arbeit, Ausbeutung und Naturzerstörung.

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Die jeweils Herrschenden wollen dem Zwang der Arbeit entfliehen und übertragen ihre Arbeit auf Unter­drückte, auf Sklaven, Unfreie, Industriearbeiter. Um diese Arbeit erträglich zu machen, werden Geräte, Maschinen, Systeme entwickelt, die das Los der Arbeitenden erleichtern, aber zur Naturzerstörung und Ausbeutung führen. Mit dieser Intensivierung der Arbeit wächst die Habgier der Herrschenden, und es kommt zu einer Verständigung der Herrschenden mit den Ausgebeuteten. Diese erhalten einen Anteil an der Naturausbeutung und können sich fortan als kleine Beherrscher im großen Gesamtsystem sehen.

Beide Gruppen verstehen die Zusammenhänge nicht und sehen nicht, daß sie ihre eigene Lebensgrundlage zerstören, und zwar in verschiedenen Zeitstufen: zunächst ihre eigene Lebensgrundlage, indem sie immer mehr arbeiten, um irgendwann der Arbeit zu entrinnen; ein Ziel, das sie in der Regel nicht erreichen, zweitens in bezug auf ihre Nachkommen, indem sie diesen eine zerstörte Natur überlassen, drittens in bezug auf die Bestimm­ung des Menschen im ökologischen Gesamtsystem, indem sie ihn langfristig aus der ökologischen Teilnahme am Naturleben ausschließen und ihm eine Lebensform aufzwingen, die gegen seine Natur gerichtet ist.

Mit der ackerbaulichen Arbeitsgesellschaft entwickelt sich also ein Fortschritt der Produktivkräfte, der auf einer fortschreitenden und immer intensiveren Ausbeutung der Natur aufbaut. Bisher war uns diese Erkenntnis verstellt, weil wir die Geschichte der Zivilisation nur nach menschlichen Maßstäben gemessen haben. Diese sogenannten humanen Maßstäbe sind samt und sonders Kriterien des schmarotzerhaften Stadtmenschen. Der Indianer, der Eskimo oder des Südseebewohner würde den Fortschritt der Produktiv­kräfte als inhumanes Entwicklungs­modell einstufen.

Das antike Griechenland war aber lediglich ein lokaler Einstieg in das Unternehmen Weltuntergang. Unser Erbe der Antike ist die Teilhabe der Ausgebeuteten an der Ausbeutung der Natur. Es ist die Philosophie Platons, des Staatsdenkers und Staatserhalters, und nicht die Philosophie des Skeptikers Sokrates, der zum Selbstmord gezwungen wurde.

Dennoch ist der Vergleich der antiken Kultur mit der Kultur der heutigen Industrie­gesellschaften bezeichnend für die Haltung der Menschen zu ihrer Umwelt. Die jeweilige Haltung läßt sich am besten an den Fetischen festmachen, die die Zeit als Überschuß­produkt der Arbeit schafft.

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Als Fetisch der Jäger- und Sammlerkultur kann die Venus von Willendorf gelten, jene idealtypische Frauen­figur, die, obwohl nur wenige Zentimeter groß, die Verehrung des damaligen Menschen für die Fruchtbarkeit, für die Reproduktion und für das Weibliche, d.h. das intelligente Element in der Natur, zeigt. Das antike Gegenstück dürfte die Zeusfigur des Phidias im Tempel von Olympia sein, jene riesige, 12m hohe Goldfigur, in die eine enorme Menge Arbeit investiert wurde, eine Arbeit, die Umwelt und Menschen zerstörte, die ein männliches, unproduktives Element von Kultur darstellt, welches mit einem ungeheuren Herrschaftsanspruch in einem trotz seiner riesigen Ausmaße viel zu kleinen Tempel thront.

Der Fetisch der Industriegesellschaft in der Endphase des 20. Jahrhunderts ist zweifellos das Automobil. Direkt oder indirekt arbeitet eine ganze Nation an dem, für das oder wegen des Automobils, und sie opfert diesem Gott alles, was ihr von ihren Vorfahren noch vererbt worden ist, und das war schon bitter wenig. Denn der Wald, den uns unsere Vorfahren vererbt haben, war schon ausgeräumt und aufgeräumt wie eine 3-Zimmer-Sozialbauwohnung, und eigentlich brauchte man diesem Wald kaum noch eine Träne nachzuweinen, wenn wir ihn nicht so bitter nötig hätten als Übergang zu einer eventuell neuen Naturkultur.

Die Arbeit am Fetisch ist zum Schicksal der Menschheit geworden. Der Fortschritt, der sich aus der Arbeit ergibt, produziert den Rückschritt der Ökologie und der Natur. Beide Kurven laufen exponentiell aufeinander zu. Die Produktivität eines heutigen Facharbeiters in der Automobilindustrie ist im Vergleich zum Frühmenschen oder zum antiken Menschen ungeheuer hoch. Gleichzeitig verschwenden Tausende von Ingenieuren ihre Kreativität, um einen Türgriff, ein Lenkrad, einen Aschenbecher in einem Automobil zu entwickeln. Noch mehr Ingenieure arbeiten daran, ein Automobil, das bisher nur 220 km/h schnell war, 250 km/h schnell zu machen, eine Geschwindigkeit, die man nirgendwo mehr fahren kann. Millionen Menschen träumen von einem Ding, das sie sich nie leisten können, das sie aber auch gar nicht gebrauchen können, und niemand träumt mehr von einem intakten Wald, einem sauberen Fluß, einem frischen Apfel oder einem stillen Tal. Der Fetischcharakter unserer Arbeit dokumentiert sich in diesen drei Entwicklungsstufen.

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  4  Rom, die Zentralmacht  

 

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Die Geschichte des römischen Reiches stellt für die desintegrierende Wirkung der Arbeit einen neuen Höhepunkt und einen neuen Ausgangs­punkt des Zerstörungs­potentials von Arbeit dar. Der römische Staat fügt den griechischen, ägyptischen und babylonischen Elementen der Arbeit eine neue Dimension hinzu: die Organisationsstruktur einer Zentralmacht.

Dabei hatte es in Italien zunächst ganz dezentral begonnen. Wesentliche Elemente der römischen Kultur waren aus dem etruskischen Handwerks­staat übernommen worden, einer Staatsform, die in sich noch einen gesunden Anteil von Anarchie, d.h. natürliches Mißtrauen gegen Herrschaftsformen, besaß.

Die Menschen in einem Handwerksstaat sind in der Regel bei allem autoritären Bewußtsein mißtrauisch gegen die da oben, gegen andere und gegen Verwaltungen. Sie sind auf das Praktische, auf das Wesen der Arbeit, auf die ursprüngliche Verbindung der Sinne ausgerichtet. Einer der Ausgangspunkte der Entwicklung der Zentralstaatsidee, die bis heute Leitmotiv für alle abend­ländischen Staatsmodelle blieb, war die berühmte Fabel aus der Frühzeit der römischen Republik, die früher in Deutsch­land jeder Abiturient in seinem Lateinunterricht lernen mußte und die als Ursprung einer angeblich organischen Staatstheorie gilt.

Die Plebejer, also die Handwerker und Arbeiter, waren der Herrschaft der Patrizier, also der Edlen und Vornehmen oder auch der Intellektuellen, überdrüssig. Sie sind es leid, von der Oberschicht gegängelt zu werden, verlassen geschlossen die Stadt und beschließen, sich auf einem eigenen Hügel anzusiedeln. Sie beginnen also mit der Gründung einer eigenen, selbstorganisierten Stadt.

Menenius Agrippa, ein Patrizier, geht zu den Plebejern und erzählt ihnen die Fabel von den Organen des Körpers, die alle in Abhängigkeit voneinander stehen. Irgendwann erheben sich die Körperorgane gegen den Magen und werfen ihm vor, daß er alles, was die anderen Organe tun, verzehrt. Der Magen reagiert beleidigt, und der Körper wird krank. Die anderen Organe merken, daß sie ohne den Magen und die Verdauungsorgane nicht leben können, nehmen ihre Tätigkeit wieder auf, der Körper wird gesund, und alles funktioniert wieder.   https://de.wikipedia.org/wiki/Agrippa_Menenius_Lanatus

Dies ist die Geschichte des organischen Staatssystems, die bis heute alle unsere Systeme, die wir entwickelt haben, bestimmt. Nur ist an die Stelle des Magens das Gehirn getreten, das als zentrales Schalt-, Organisations- und Machtinstrument des Körpers gilt. Fortan konstruiert man eine organische Sicht des Menschen, schafft Hierarchien und zentralistisch organisierte Strukturen. Alles hängt in feinster Weise von oben nach unten voneinander ab, und oberster Herrscher ist das Gehirn, über das alle Steuerungen laufen.

Die gesamte abendländische Gesellschaft bis zur Hochform der Demokratie des 20. Jahrhunderts orientiert sich letztendlich an diesem künstlich entwickelten System, an dieser Legende. War der Mensch in der Stammesorganisation sei der Frühzeit noch dezentralisiert, nicht hierarchisch eingegliedert in ein Gesamtsystem, so wird er plötzlich zur dienenden Arbeitsbiene degradiert, und das Konstrukt einer angeblich organischen Abbildung dient ihm zur Disziplinierung und als Vorbild für die Organisations­struktur des Zentralstaats.

Das Organisationsprinzip des römischen Staates lautete: herrschendes Gehirn und dienende Sklaven. Ein so organisiertes Staats­system verschwendet in immer größerem Ausmaß Arbeit und Energie, und je mehr Arbeit und Energie verschwendet werden, um so mehr muß aufgewendet werden, um den Staat in seiner Funktion aufrechtzuerhalten. Steht aber im eigenen Land nicht mehr genügend Energie zur Verfügung, muß das Territorium ausgeweitet werden, was wiederum eine Weiterentwicklung der Organisations- und Verwaltungs­strukturen erforderlich macht. Der Anteil an unproduktiver Tätigkeit, an Verschwendung, wird damit immer größer. Ein solcher Staat expandiert so lange, bis die Organisationsfunktionen, die zentralen Schaltstellen des Staates, zusammenbrechen. Je zentraler Staaten und Organisations­strukturen organisiert sind, je mehr Entscheidungen also über die Zentrale geleitet werden müssen, um so anfälliger für Zerstörungen wird diese.

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Die Römer waren kein geniales Kulturvolk, sondern ein brutales Organisationsvolk. Sie entwickelten keine dezentrale Technik, sondern schufen zum ersten Mal in der Technik- und Energiegeschichte der Menschheit zentralisiert-organisierte Groß­technologien. Beispiele hierfür sind ihre logistischen Systeme im militärischen Bereich, ihre Straßenbausysteme, die das ganze Land miteinander verbanden, ihre Massenwohnquartiere, ihre Massenfreizeitsysteme und ihre Massenvergnügungssysteme, Thermen und vieles andere mehr.

All dies konnte nur durch eine immer größere Arbeitssystematik der Bevölkerung zustandekommen. Damit stieg die Produktivität des einzelnen Arbeiters, der in der gleichen Zeit wesentlich mehr produzierte als noch Jahrhunderte zuvor. Mit der Steigerung der Produktivität stieg aber die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Latifundienwirtschaft, Schiffbauindustrie und systematisierte Abholzungsprogramme ließen den Eindruck einer immer größeren Arbeitsleistung des Sklaven entstehen. Damit wurde der Sklave selbst in die Arbeitsmaschinerie, in das Ausbeutungssystem der Natur eingegliedert. Der Sklave degenerierte zum Arbeitsmittel.

Neben dieser Dequalifizierung und Depersonifizierung der Arbeit trat der Aufbau einer übermächtigen Bürokratie, die sich, gesteuert von Zentren und Unterzentren, mit jedem Zusammenbruchszyklus zu immer größerer Effektivität steigerte und ihre Lehren zog, um das System der Kontrolle und der Organisation zu verfeinern. Gleichzeitig mit dieser Verfeinerungs­strategie entwickelte sich eine Schicht von Bürokraten und Schmarotzern, die zu Trägern des Verschwendungs- und Zerstörungs­systems wurden. Sie waren das stabilisierende Element des Gesamtsystems und wurden vom Staat - der Zentrale - gehegt und gepflegt.

Die Arbeit, die dieses Gesamtsystem zusammenhielt, war nicht mehr die Arbeit des Handwerkers oder des Bauern, sondern die erste Stufe der industriell-organisierten Arbeit. Auch wenn sich Marxisten bis heute weigern, dies anzuerkennen, steht zweifelsfrei fest, daß ein wesentliches Merkmal von industriell-organisierter Arbeit die Zerstörung der Umgebung ist. Industrielle Arbeit nimmt zunächst unbewußt, später bewußt die Zerstörung der umgebenden Natur in Kauf und versucht diesen Prozeß gegen die Erhöhung der Produktivität, die Steigerung des Wertes der Arbeit, aufzurechnen.

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Cato d.Ä., der in seinem Werk "De agricultura" die industrielle Nutzung der Landwirtschaft entwickelt hat, ist der erste, der eine Abschätzung zwischen Ökonomie und Ökologie versucht. Dabei ist aber für Cato der arbeitende Sklave ebenfalls noch ein Teil des auszubeutenden ökologischen Systems. Er ist noch nicht in das Wertesystem des Antagonismus von Mensch und Natur hinein­gewachsen. Erst durch die christliche Ideologie der sogenannte "Sklavenbefreiung" wächst der frühindustrielle römische Arbeiter in die Funktion des Menschen, und damit in den Gegensatz zur Natur, hinein.

Während also in der römischen Zeit nur ein kleiner Teil der Gesellschaft das Recht hatte, die Natur auszubeuten, und der wesentlich größere Teil noch zur Natur selbst gehörte — im perversesten Sinne des Wortes —, führt die Befreiung des Menschen aus dem Sklavendasein in das Arbeiterdasein zu einer Teilnahme an der Ausbeutung der Natur.

Der römische Zentralstaat bietet vor allem bezüglich seiner organisatorischen und umwelt­zerstörerischen Probleme noch wesentliche Überraschungen für uns. Interessant ist der Zeitraum, über den hin sich der Staat Roms halten konnte, gilt doch allgemein, daß mit zunehmender Produktivität der Arbeit die Zerstörungsmacht steigt und damit der Staat um so schneller zerstört wird.

Obwohl die Römer schon früh einen sehr hoch entwickelten Bürokratie- und Organisationsapparat schufen, war ihnen das Glück beschert, noch eine sehr niedrige Umschlaggeschwindigkeit des Transportsystems zu haben. Diese niedrige Umschlag­geschwindig­keit wurde weiterhin begünstigt von der relativ langen Nachrichtenübermittlungsdauer. Heute würde man sagen, die inneren Kommunikations­strukturen waren noch sehr gering entwickelt.

Daneben beließen die Römer den einzelnen Provinzen und unterjochten Staaten noch weitgehend ihre kulturelle Autonomie. Damit schufen sie eine weitere Grundlage für wenig zerstörerische Arbeit mit einer relativ hohen Selbstversorgungsdichte. Die Produkte wurden also noch sehr diversifiziert produziert und nicht über die Zentrale geleitet, und damit führte der Produkt­umschlag nicht zu einer übermäßigen Aufblähung des Transportsystems. Das Transportsystem der Römer, die Schiffe auf dem Mittelmeer, dienten mehr oder weniger nur der Versorgung der Millionenstadt Rom, nicht aber der Versorgung der Gesamtbevölkerung.

Neben diese Gründe für den langen Bestand des Staates Rom tritt noch ein weiterer: Den römischen Zentralherrschern standen für ihre Entscheidungen nur sehr wenige Gesamt­informationen des komplexen Systems zur Verfügung.

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Dies führte zu sehr sicheren Entscheidungen für das Gesamtsystem. Denn allgemein gilt, je höher die Menge an Informationen ist, die für eine Entscheidung zur Verfügung stehen, um so unwahrscheinlicher wird eine richtige Entscheidung.

Dieses Problem läßt sich am Beispiel des Fabius Cunctator darstellen. Als dieser gegen Hannibal kämpfte, standen ihm trotz vieler Kundschafter nur wenige Informationen über dessen Absichten, Truppenstärke usw. zur Verfügung. Dennoch bzw. gerade deshalb fällte er die richtige Entscheidung, indem er nichts tat und dadurch Hannibal besiegte.

Je komplexer nämlich die Basisinformationen und damit die Entscheidungen werden, um so länger dauern die Entscheidungen, um so länger werden die Entscheidungswege und um so weniger werden die von den Entscheidungen Betroffenen sich noch an die Entscheidungen halten können, weil entweder zuviel Zeit vergangen ist oder die Entscheidungen immer irrationaler erscheinen. Die Zentrale befiehlt zwar noch, aber die Fußtruppe antwortet nicht mehr oder ist im Extremfall nicht mehr da. Der Staat löst sich aufgrund seiner Größe und seiner Zentralisierung auf. Die Überaktivität führt nicht mehr zu einem konstruktiven Zusammen­bruch, von der eigentlich eine Gesellschaft oder ein Körper lebt, sondern zu einem destruktiven Zusammenbruch. Der Körper wie der Staat bauen in sich selbst die Zerstörungsmomente auf, die ihm die tödliche Krankheit bringen.

Der römische Arbeitsstaat brach in den Provinzen zusammen, und zum Schluß reichte die Versorgung der Zentrale nicht mehr aus, so daß diese zerfiel. Jeder Staat, der seine Existenz auf einem Arbeitsüberschuß aufbaut, wird an dem Zerstörungs­potential dieses Arbeits­überschusses zusammen­brechen.

Das Interessante an der römischen Entwicklung sind aber die Lehren, die die nachfolgenden Staaten und abendländischen Generationen daraus gezogen haben. Niemand zweifelt am Prinzip des Zentralstaats, niemand zweifelt am Prinzip der Arbeits­theorie eines Zentralstaates, und niemand zweifelt am Prinzip der Naturausbeutung, vielmehr glauben alle, daß diese Prinzipien richtig seien und nur ihre Ausführung wesentlich verbessert werden müßten. Die Zentrale des Zentralstaats bekommt mehr Funktionen, mehr Entscheidungs­gewalt, die Arbeitsleistung der Bürger darf nicht vermindert, sondern muß eher erhöht werden.

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Die Ausbeutung der Natur muß nicht verringert, sondern muß verstärkt werden. Die landwirtschaftlichen Methoden müssen verfeinert werden, der Erzabbau muß verbessert werden, anstatt Holz muß Kohle eingesetzt werden, die Transportsysteme müssen verbessert werden, die Nach­richten­systeme müssen intensiviert werden, und das zur Verfügung stehende Territorium muß vergrößert werden.

Obwohl die Römer für die damalige Zeit schon eine Weltregierung eingerichtet hatten, träumen heute noch viele, darunter z.B. auch Carl Friedrich von Weizsäcker, von einer Lösung unserer weltweiten Probleme durch Weltregierungen, Weltabkommen und ähnliches.

Voller Ironie läßt der inzwischen von beiden großen ideologischen Lagern anerkannte Bertolt Brecht in seiner Dreigroschenoper das "Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens" singen: 

"Ja, mach nur einen Plan, 
sei nur ein großes Licht, 
und mach auch noch 'nen zweiten Plan, 
gehn tun sie beide nicht."
 

Die fundamentale Wahrheit aber, die in diesem einfachen Satz steckt, wird von den meisten großen Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, Soziologen und Staatsmännern trotz ihrer Praxis­kenntnis nicht anerkannt. Hinter allem verbirgt sich wahrscheinlich nur unser altes Menschenbild, unser naiver Traum vom organischen Volkskörper, der zentral von einem Gehirn gesteuert werden kann und dann funktioniert, wenn alle Einzelglieder harmonisch gehorsam den Steuerungsimpulsen des Gehirns folgen.

Dabei ist der Mensch ein anarchisches, chaotisches, dezentrales, nicht hierarchisches Wesen. Nur wer das nicht weiß, und das sind im Augenblick noch fast alle, wundert sich über die menschlichen Reaktionen und Arbeitsweisen. Er wundert sich darüber, daß in Tschernobyl hirnverbrannte Experimente gemacht werden, daß über Hiroshima eine Atombombe abgeworfen wird, daß so getan wird, als habe der riesige Energieverbrauch keine Folgen für die Umwelt, und daß bis zum Schluß die Existenz des Ozonlochs geleugnet wird. 

Erst eine neue Erkenntnis über diesen kreativen Chaoten Mensch würde zu neuen technisch-zivilisatorischen Produkten führen können. Alles, was wir heute besitzen und produzieren, ist Teil unserer irrationalen Vorstellung über einen veredelungsfähigen Wilden. Nicht der Wilde in uns ist das Problem, sondern der Rationale in uns.

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Rieseberg-1992