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2.6  Der umwelt-psychologische Ansatz von Theodore Roszak 

 

Von Sven Sohr, 1997

 

 

Interdisziplinäre Diskurse über die ökologische Krise enden nicht selten nach Klärung technischer, wirtschaftlicher und politischer Streitpunkte mit der Feststellung, daß die Beantwortung praktischer Fragen letztlich psychologischer Natur sei. Abgesehen davon, daß es sich hierbei um einen eleganten Weg handelt, keine eigenen Vorschläge zu diesen entscheidenden Fragen vertreten zu müssen, glänzen die gerufenen Fachvertreter meist durch Abstinenz. Dies mag auch nicht zufällig so sein, gibt es doch bis heute kaum überzeugende psychologische Konzepte zur Bewältigung der ökologischen Krise. Einige der wenigen Ansätze, die die akademische Psychologie bisher hervorgebracht hat, werden an späterer Stelle ausführlich vorgestellt (Kap. 5 und 6).

Im Rahmen unserer interdisziplinären Zusammenschau wollen wir uns einem außergewöhnlichen Beitrag aus dem amerikanischen Raum zuwenden. Unter dem Titel Ökopsychologie hat Roszak (1994) von der California State University in Berkeley den Versuch unternommen, Geistes- und Naturwissenschaften zu verbinden und eine Brücke zwischen dem Psychologischen und Ökologischen unter Einbeziehung moderner Befunde der sog. Kosmologie zu schlagen. Dies ist umso erstaunlicher, als Roszak selbst kein Psychologe ist, sondern einen Lehrstuhl für Geschichte und 'General Studies' innehat.

 

Der erste Teil der "Ökopyschologie" ist der Psychologie gewidmet. Roszak setzt sich zum einen mit der Psychologie der Umweltbewegung, zum anderen mit den Schulen der modernen Psychologie kritisch auseinander. Seit dem Aufkommen der Ökologiebewegung in den siebziger Jahren seien Umweltschützer in der Öffentlichkeit vorwiegend als heldenhaft wahrgenommen worden. Man sah sie als Naturliebhaber und verantwortungsbewußte Bürger, die für saubere Flüsse und gesunde Wälder kämpften. Selbst jene Kritiker in Politik und Wirtschaft, die den Zielen der Bewegung ablehnend gegenüberstanden, mußten zugeben, daß die ökologisch-orientierten Frauen und Männer mit hohen Prinzipien und einer grundlegend idealistischen Motivation waren. Roszak konstatiert (zumindest für den amerikanischen Raum), daß solche Zugeständnisse mehr und mehr zurückgehen. Nach Ende des Kalten Krieges würden stattdessen konservative Kräfte in den USA der Umweltbewegung in immer aggressiverer Weise gegenübertreten und ihnen die Rolle des Bösewichts zuteilen, die früher von der marxistischen Opposition ausgefüllt wurde.

Roszak berichtet z.B. von einer in den achtziger Jahren von der Ölgesellschaft 'Mobil Oil' durchgeführten Werbekampagne, die den Charakter einer unverhüllten Kampfansage an die Ökologiebewegung hatte. In einem Werbespot, der unter dem Titel "Lügen, die unsere Kinder ängstigen" lief, wurden die Warnungen ökologischer Gruppen wie 'Friends of the Earth' als "Horrormärchen" disqualifiziert und den Umweltschützern eine Rolle zugewiesen, die den Kommunisten in den fünfziger Jahren zukam: die Rolle diabolisch-subversiver Kräfte, die es darauf anlegten, die Jugend der Nation einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Aufmerksame Beobachter gehen davon aus, daß die ökologische Bewegung daher in den USA analog zur 'roten Gefahr' vergangener Tage zukünftig zu einer 'grünen Gefahr' hochstilisiert werden könnte.

 

So destruktiv marktwirtschaftliche Systeme in ihrem Umgang mit der Umwelt auch sein mögen, sei es heute kein Geheimnis mehr, daß die sozialistischen Systeme ein noch schlimmeres Erbe hinterlassen haben (S.39): "Glasnost gab den Weg auf eine verwüstete Landschaft frei". Die diktatorischen Methoden sozialistischer Führungseliten ließen Andersdenkenden in der Regel nicht die Freiheit, sich der Umweltproblematik anzunehmen. Im Unterschied dazu bot der kapitalistische Westen immerhin so viel pluralistischen Spielraum, daß eine wahrnehmbare Ökologiebewegung überhaupt entstehen und Widerstand aufbauen konnte.

Nach Roszak trage die Umweltbewegung allerdings selbst ein gewisses Maß an Verantwortung für ihre Angreifbarkeit. Ihre hartnäckige Gewohnheit, düstere Prophezeiungen abzugeben, apokalyptische Panik zu verbreiten und Schuldgefühle einzuflößen, stelle das Vertrauen der Öffentlichkeit auf eine harte Probe. Solange 'ökologische Weisheit' an Attraktivität nicht mit der materiellen Befriedigung, die das industrielle Wachstum biete, wetteifern könne, werde sie bei allen Menschen, die auf starke Emotionen ansprechen, immer auf der Strecke bleiben. Umweltschützer hätten wie die meisten politischen Aktivisten oft wenig Einsicht in die menschliche Motivationsstruktur, sie rechneten nicht mit der Unvernunft, der Perversität, den krankhaften Begierden, die in der Tiefe der Psyche verborgen liegen.

Roszak rät der ökologischen Bewegung daher, andere psychologische Wege zu gehen, die nicht so sehr Angst und Verzweiflung, sondern positivere Gefühle im Menschen ansprechen. Als eine Alternative zu Panikmache und Schuld-Trips nennt Roszak schließlich ein intensives Interesse, das aus einer gemeinsamen Identität entstehe, und das er schlicht mit "Liebe" (S.46) bezeichnet. Die Umweltbewegung stelle dabei einen Teil unserer Kultur dar, die sowohl Auslöser der ökologischen Krise als auch der Weg sei, um aus der Krise herauszuführen: "Was wir brauchen, ist (...) eine psychologische Transformation. Was die Erde braucht, muß in uns fühlbar werden; wir müssen es so spüren, als seien es unsere persönlichsten Bedürfnisse" (S.58).

 

Will eine moderne 'Wissenschaft von der Seele' ihrer Aufgabe gerecht werden, dürfe sie nicht die größere ökologische Realität ignorieren, die die individuelle Psyche umgebe, so als könne die Seele gerettet werden, während die Biosphäre zusammenbreche. Als ein Musterbild dieses Status Quo nennt Roszak die "abgekapselte Privatheit" psychotherapeutischer Sitzungen, die Ähnlichkeit mit der Privatheit katholischer Beichten habe (S.115). Nicht nur die äußere Situation, auch die Kernbotschaften der unterschiedlichen Richtungen der gegenwärtigen Psychotherapie analysiert Roszak unter dem Postulat einer ökopsychologischen Perspektive als unzureichend: Für Freud wie für die Behavioristen sei die Psyche ein natürliches Objekt. Auch Jung, der sein Leben lang in ländlicher Abgeschiedenheit verbrachte, nahm wie alle Post-Freudianer die Entfremdung des modernen westlichen Menschen von der Natur als etwas Gegebenes und Irreversibles hin. 

Auch die Wendung nach innen der Humanisten und Existentialisten gehe mit einer Abwendung der Umwelt einher. Die Rebellion der letztgenannten Richtungen gegen den Reduktionismus der Psychoanalyse und den Biologismus der Behavioraner ende meist mit der Abkapselung in einem existentiellen Vakuum. Angesichts der mangelnden Wahrnehmung der ökologischen Krise, die gerade am Beispiel der Psychologie und Psychotherapie besonders deutlich werde, stellt Roszak die Frage, wie wir einen Mann einschätzen würden, der sich nicht entschließen könne, aus einem lichterloh brennenden Gebäude zu flüchten, weil er noch auf der Suche nach seiner Kreditkarte sei. Sicherlich würden wir an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Aber nach Roszak verhalten wir uns genau so in der Konfrontation mit der globalen Krise, indem wir uns mit ähnlichen Ablenkungen verzettelten. Es scheint so zu sein, als wenn unsere Überlebensinstinkte nur auf offensichtliche und unmittelbar überschaubare Gefahren eingestellt seien. Allerdings müsse man psychologische Theorien, die zu irrationalem Verhalten von solchen Ausmaßen nichts zu sagen haben, als mangelhaft bezeichnen.

 

Nach einem ausführlichen Mittelteil, in dem sich Roszak mit neueren Erkenntnissen der "Kosmologie", u.a. der Chaostheorie, beschäftigt und in diesem Zusammenhang von einem "Paradigmenwandel" in den Wissenschaften spricht (S.133), steht am Beginn des letzten Drittels der Trilogie - überschrieben mit dem Begriff der "Ökologie" - die Diagnose eines urbanen Karzinoms, das für den Zustand der Erde kennzeichnend sei. Für eine Ökopsychologie gebe es kein aufschlußreicheres Symptom für unseren kollektiven Seelenzustand als das städtische Habitat, von Mumford (1956) auch als "Megamaschine" beschrieben. Angesichts dieses pathologischen Zustandes der Außenwelt hält es Roszak für äußerst fragwürdig, inwiefern individuelle Psychotherapie überhaupt heilend wirksam sein könnte. Unter Berücksichtigung einer im Mittelteil postulierten 'Renaissance des Animismus' plädiert Roszak im weiteren Verlauf seiner Argumentation für eine Neubewertung des sog. Primitiven, vor allem unter dem Aspekt ökologischer Weisheit. Als einen Mitbegründer der modernen Ökologie verweist Roszak auf eine psychologische Theorie von Peter Kropotkin (1914), die ihn als einen der ersten Ökopsychologen qualifiziere. Aufgrund ausgedehnter Studien mit wildlebenden Tieren sowie Erfahrungen mit Stammesgesellschaften, u.a. in Sibirien, schloß Kropotkin, daß die menschliche Natur fundamental ethisch sei. Verwandtschaftsgefühl und moralische Verantwortung gehören demnach zum Menschen, wie die Fähigkeit zu fliegen den Vögeln eigen sei.

 

An der Basis des Unbewußten liege laut Kropotkin das angeborene Gewissen, die moralische Energie der Persönlichkeit (S.9): "Es ist nicht Liebe, nicht einmal Zuneigung, auf der die menschliche Gesellschaft basiert. Es ist das Gewissen - und sei es auch nur in instinkthafter Form - als Ausdruck der menschlichen Solidarität. Es ist das unbewußte Gewahrsein der Kraft, die in jedem Menschen durch die Praxis der wechselseitigen Hilfe verliehen ist, das tiefe Wissen darum, daß das Glück jedes einzelnen vom Glück aller abhängig ist, und der Gerechtigkeits- und Gleichheitssinn, der das Individuum dazu bringt, die Rechte jedes anderen Individuums als den seinen gleichgeordnet zu betrachten. Auf dieser breiten und notwendigen Basis entwickeln sich die höheren ethischen Gefühle". Diese auf den ersten Blick sehr optimistische Auffassung der menschlichen Natur veranlaßt zu der Frage, wozu dann zum Beispiel Hierarchien und Autoritäten in einer Gemeinschaft noch nötig seien, wenn die Mitglieder der Gemeinschaft mit dieser sozialen Kompetenz aufwachsen. Roszak gibt an dieser Stelle zu bedenken, daß wohl kein Aufwand an Polizeigewalt und Bürokratie genügen würde, wenn es das von Kropotkin konstatierte ethische Unbewußte nicht gäbe.

 

Als einen weiteren Beitrag zur ökologischen Politik der Gegenwart diskutiert Roszak die Tiefenökologie, die zum mystischen, spirituellen Flügel der Ökologiebewegung gehört. Vom Standpunkt der Tiefenökologie aus sei die Prämisse, daß die meisten ökologischen Probleme durch gesetzliche Regelungen und durch ein besseres globales Management gelöst werden könnten, zweifelhaft. Vielmehr sei die ökologische Krise in ihrer Sicht weitaus mehr als eine Ansammlung von Irrtümern, Fehlkalkulationen und Fehlentscheidungen, die durch etwas mehr Sachkenntnis ausgebügelt werden könnten. Notwendig sei ein radikal verändertes Bewußtsein, das auch die wissenschaftliche Rationalität und zentrale Grundsätze des industriellen Lebens in Frage stelle. Einer der Begründer der Tiefenökologie, der norwegische 'Ökosoph' Arne Naess postulierte bereits im Jahre 1973, zu einem Zeitpunkt also, als die ökologische Krise noch kaum im Bewußtsein vieler Menschen verankert war, eine biosphärische Gleichheit, die jede Spezies einbezieht:

"Der ökologische Feldforscher erwirbt einen tiefverankerten Respekt, ja, eine tiefe Ehrfurcht vor den Arten und Formen des Lebens. Er kommt zu einem Verständnis von innen her, einer Art Empathie, die andere nur für ihre menschlichen Mitgeschöpfe reservieren. (...) Für den ökologischen Forscher ist das gleiche Recht für alle Wesen, zu leben und sich zu entfalten, ein intuitiv klarer und eindeutiger ethischer Wert. Die Beschränkung dieses Rechts auf Menschen ist Anthropozentrismus, mit schädlichen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen selbst."

Die Auffassung von Naess spiegelt ein biozentrisches Weltbild wider, nach dem die natürlichen Lebensrechte sich nicht nur auf den Menschen beschränken, sondern auf die gesamte Natur ausgedehnt werden.

 

Schließlich wendet sich Roszak noch einer weiteren ökopsychologischen Bewegung zu, dem sog. Ökofeminismus, der aus einem richtungsweisenden Kongreß hervorging, der an der University of California in Berkeley 1973 abgehalten wurde. Als die zweite Welle der Frauenbewegung Mitte der sechziger Jahre begann, hätte niemand voraussagen können, daß sie im Laufe eines Jahrzehnts zu einer einflußreichen Kraft in der Umweltpolitik werden könnte. Das ursprüngliche Anliegen der Feministinnen war der klassische demokratische Anspruch auf politische und soziale Gleichheit, für den auch die erste Frauenbewegung um die Jahrhundertwende gekämpft hatte. Die Gestalttherapeutin Dorothy Dinnerstein war unter den feministischen Psychologinnen eine der ersten, die einen neuen Stil der Elternschaft postulierte und davon ausging, daß die Einbeziehung der in der Regel distanzierten Väter in die Kinderbetreuung den Kindern die Entwicklung einer ausgewogenen Geschlechtsidentität ermöglichen würde. Nach Dinnerstein sollten Männer weltweit fünfzig Prozent der Aufgaben in der Kinderpflege und -erziehung übernehmen (1976). In den meisten Kulturen der Welt stamme die Geschlechtsrollenidentität von der Annahme her, daß Frauen dem Reich der Natur zugeordnet sind, während Männer dem Bereich der Kultur angehören. Nicht nur in sozialen Mechanismen und politischen Strukturen, sondern auch in Mythen, Metaphern und Symbolen zeige sich, wie tief das Schicksal der Frauen mit dem Schicksal des Erdkörpers verbunden war und ist. Roszak steht Geschlechtsrollenzuschreibungen generell skeptisch gegenüber und prophezeit (S.336): "Es wird weder Frieden im Kampf der Geschlechter geben noch ökologische Vernunft, wenn wir nicht endlich mit dem gefährlichen Unfug Schluß machen, menschliche Tugenden in 'männliche' und 'weibliche' Schubladen einzuordnen." Trotz der intensiven Bemühungen der Ökofeministinnen müsse nach Roszak die Verbindung zwischen Ökologie und Psycho-logie auf einer professionellen, psychologischen Ebene noch ausgearbeitet werden.

 

Bei der Frage nach den Wegen der Umsetzung ökopsychologischer Einsichten kommt Roszak noch einmal auf die Ökologiebewegung zurück. Die Strategie, die die Umweltbewegung bisher zum Beispiel im Umgang mit dem verschwenderischen Konsum verfolgte, sei vor allem die der Repression gewesen. Engagierte Ökologen zeigten zu oft doktrinäre Intoleranz in ihrer scharfen und unnachsichtigen Kritik an menschlichen Schwächen. In der Umweltpolitik engagierter ökologischer Gruppen gebe es eine eisern asketische Unterströmung, die verhinderte, daß der Zusammenhang zwischen zügellosem Konsum und dem Streben nach persönlicher Erfüllung erkannt werde. Roszak spricht sich für eine Strategie der kreativen Umlenkung des zügellosen Konsums aus, in dem er auf das alte Konzept der Muße verweist. Muße sei etwas anderes als Freizeit oder Konsum, aus dem Blickwinkel des Bruttosozialprodukts gesehen werde sie jedoch als Zeitverschwendung abgetan. Die Neubewertung der Muße zu einem wirtschaftlichen Gut höchster Ordnung könne nach Roszak aber ein erster Schritt sein, um ein moralisches Äqivalent dem Konsum- und Luxusbegehren gegenüberzustellen. Literarische Öko-Utopien im Sinne eines lustbetonten Lebens ohne Konsumzwänge finden sich u.a. in den Romanen "Island" (1962) von Aldous Huxley und "Ecotopia" (1977) von Ernest Callenbach.

 

Trotz seiner pessimistischen Einschätzungen gegenüber der Psychotherapie hinsichtlich des Ziels, dem ökologischen Ich näherzukommen, sieht Roszak dennoch Perspektiven für die Zukunft der Psychotherapie. Er verweist dabei auf Psychoanalytiker Harold Searles, der bereits 1960 befand: "Während der letzten sechzig Jahre erweiterte sich der Blickwinkel der Psychotherapie; anfang eng auf intrapsychische Prozesse fixiert (...), ging sie allmählich dazu über, interpersonelle und allgemein soziologisch-anthropologische Faktoren einzubeziehen. Es erscheint also als der naheliegende Schritt, in der nächsten Phase unseren Horizont so weit auszudehnen, daß er die Erforschung der Beziehung des Menschen zu seiner nichtmenschlichen Umwelt ermöglicht." Allerdings sei innerhalb des Kontextes einer urban-industriellen Kultur am intellektuellen Horizont der Psychotherapie die reale Natur so lange nicht zu sehen, wie die Umwelt weiter von der zivilisierten Gesellschaft manipuliert und mißhandelt werde. Die sog. Umwelt, um die es gehe, sei aber keine soziale Konstruktion, sondern durch die Natur in ihrer Gesamtheit vorgegeben. Diese ehrwürdige Umwelt erlaube es schließlich erst, uns in ihrer evolutionären Geschichte zu bewegen. Roszak weist darauf hin, daß Kinder sich von der Anmut der Natur noch verzaubern ließen, wie z.B. ihr Umgang mit Tieren zeige.

 

Auf der Suche nach dem ökologischen Ich wird Roszak innerhalb der vorherrschenden psychologischen Schulen schließlich am ehesten bei Jung (1958) fündig. Das Konzept des kollektiven Unbewußten erweise sich als brauchbare Ausgangsposition für den Entwurf einer Ökopsychologie. In seiner ursprünglichen Formulierung war das kollektive Unbewußte das Reservoir der komprimierten evolutionären Geschichte. So umfasse das kollektive Unbewußte auf seiner tiefsten Ebene die komprimierte ökologische Intelligenz unserer Spezies, aus deren Quelle sich die Kultur entfalten könne. Mit dem Rekurs auf Jung bekennt sich Roszak zur "Bereitschaft, auf wissenschaftliche Strenge zu verzichten, wenn es um die Rettung spiritueller Werte geht" (S.421). Dies gehöre zu den Prinzipien 'sanfter' Psychologien. Roszak beendet sein Buch, in dem er acht "Prinzipien der Ökopsychologie" (S.441-444) zusammenfaßt. Er legt dabei Wert darauf, seine Prinzipien nicht in einem doktrinären Sinne als rein wissenschaftlich verstanden zu wissen, sondern eher als Leitfaden, der einige wesentliche Grundzüge einer Psychologie auflistet, die sich als Beitrag zur Überbrückung der Kluft zwischen dem Psychologischen und dem Ökologischen bzw. zwischen den Bedürfnissen des Individuums und des Planeten versteht:

 

"1. Der Kern des Bewußtseins ist das ökologische Unbewußte. Für die Ökopsychologie ist die Unterdrückung des ökologischen Unbewußten die tiefste Wurzel des kollusiven Wahnsinns in der Industriegesellschaft; offener Zugang zum ökologischen Unbewußten ist der Weg zur Heilung.

 

2. Die Inhalte des ökologischen Unbewußten repräsentieren bis zu einem gewissen Grad und auf einer gewissen Ebene die lebendigen Erinnerungen der kosmischen Evolution, die bis zu den Initialbedingungen in der Geschichte der Zeit zurückgehen (...). Die Ökopsychologie beruft sich auf die Erkenntnisse der neuen Kosmologie und strebt danach, sie für die Erfahrung real zu machen.

 

3. Ziel der Ökopsychologie ist es, den latenten Sinn für ökologische Interdependenz, der im ökologischen Unbewußten verankert ist, wieder zum Leben zu erwecken. Die Ökopsychologie versucht die fundamentale Entfremdung zwischen dem Menschen und seiner natürlichen Umwelt zu heilen.

 

4. Wie für andere Therapien ist auch für die Ökopsychologie die Kindheit das ausschlaggebende Entwicklungsalter. Mit dem magischen Weltgefühl des Neugeborenen wird das ökologische Unbewußte wiedergeboren; jedem neuen Leben wird es beim Eintritt in die Welt als Geschenk mitgegeben. Die Ökopsychologie versucht, die dem Kind angeborene animistische Qualität der Erfahrung im funktionell 'gesunden' Erwachsenen wiederzugeben. Um das zu erreichen, wendet sie sich vielen Quellen zu, u.a. (...) den Einsichten der Tiefenökologie. Sie assimiliert das aus diesen Quellen stammende Wissen mit dem Ziel, das ökologische Ich zu schaffen.

 

5. Das ökologische Ich bildet in seinem Reifungsprozeß einen Sinn für ethische Verantwortung dem Planeten gegenüber aus, die genauso lebhaft empfunden wird wie unsere ethische Verantwortung anderen Menschen gegenüber. Das ökologische Ich versucht, diese Verantwortung mit dem Netz der sozialen Beziehungen und politischen Entscheidungen zu verweben.

 

6. Zu den wichtigsten therapeutischen Zielsetzungen der Ökopsychologie gehört die Überprüfung und Neubewertung gewisser zwanghafter, männlicher Charakterzüge, die unsere politischen Machtstrukturen durchdringen und uns dazu treiben, die Natur zu unterwerfen und zu dominieren, als wäre sie ein fremder, rechtloser Bereich. Hier greift die Ökopsychologie auf einige zentrale Einsichten des Ökofeminismus und der feministischen Spiritualität zurück, vor allem in bezug auf die Entmystifizierung und Auflösung der traditionellen Geschlechterstereotypen.

 

7. Alles, was zur Etablierung überschaubarer sozialer Formen und zur Stärkung der Persönlichkeit beiträgt, nährt das ökologische Ich. Alles, was nach großangelegter Dominanz und der Unterdrückung der Persönlichkeit strebt, unterminiert das ökologische Ich. Daher stellt die Ökopsychologie die Vernunft unserer alles verschlingenden urban-industriellen Kultur grundsätzlich in Frage, unabhängig davon, ob sie kapitalistisch oder kollektivistisch organisiert ist (...).

 

8. Die Ökopsychologie geht davon aus, daß es zwischen dem Wohlbefinden des Planeten und dem der Person eine synergetische Wechselbeziehung gibt (...). Die Bedürfnisse des Planeten sind die Bedürfnisse der Person; die Rechte der Person sind die Rechte des Planeten."

 

 

2.7 Der umwelt-philosophische Ansatz von VON HÖSLE

Was kann uns die Philosophie (grch. "Liebe zur Weisheit") - ehemals die Königsdisziplin der Wissenschaften, heute dagegen meist nur am Rande der Universitäten wahrgenommen, oft sogar als "weltfremde" Geisteswissenschaft verspottet - über Ursachen und Auswege der ökologischen Krise mitteilen? In der Tat hat auch die Philosophie lange Zeit zu diesem Thema geschwiegen. Dabei lassen sich schon in der Antike bei Platon richtungsweisende Denkmuster entdecken, wie der Berliner Philosoph Maurer (1989) aufgezeigt hat. Die Tatsache, daß inzwischen der Philosophie zur ökologischen Frage wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist vor allem Hans Jonas zu verdanken, der mit seinem Werk "Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technische Zivilisation" (1979) den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sowie zahlreiche Ehrendoktorwürden in aller Welt erhielt. Auch für viele Nichtphilosophen wurde Jonas zu einer Art Pflichtlektüre (unter ihnen Verantwortungsträger aus Wirtschaft und Politik, wie z.B. Altbundeskanzler Helmut Schmidt). In diesem Kapitel interessieren vor allem Jonas' Antworten auf die Frage, warum Philosophie und Ethik heutzutage stärker als in früheren Zeiten gefordert seien (zum Begriff der Verantwortung ausführlicher in Kap. 6.4). Im Zentrum unserer Suche nach philosophischen Beiträgen zu Ursachen und Auswegen der ökologischen Krise stehen in diesem Kapitel die sog. Moskauer Vorträge des italienischen Philosophen Vittorio von Hösle, die in einem Buch mit dem Titel "Philosophie der ökologischen Krise" (1991) zusammengefaßt vorliegen.

 

Wenn man mit Whitehead davon ausgeht, daß alle Philosophie nur als Fußnoten zu Platon zu interpretieren sei, dann liegt es nahe, auch in Zeiten der ökologischen Krise nach Platon zu fragen. Einerseits wurde in der Antike und speziell bei Platon mit einem Leib-Seele-Dualismus sehr früh ein Grundstein für die Entfremdung des Menschen von der Natur gelegt (im Gegensatz zum Beispiel zu den früheren mythischen Naturphilosophien), der zu Beginn der Neuzeit sich schließlich vollends "entfaltete". Andererseits finden sich aber auch bei Platon Ansatzpunkte zur Lösung der heutigen ökologischen Krise. Einen Versuch, Platon daraufhin analysieren, unternimmt Maurer (1989) mit seinen Thesen über das moderne Interesse an Platons 'Staat'. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, daß Platon mit der Kritik der Polis seiner Zeit zugleich Grundzüge unserer Zeit trifft. Platon diagnostizierte so etwas wie die 'Athener Krankheit'. Sie zeige sich in einer bestimmten Lebenshaltung, nach der es das Beste für den Menschen und für sein Glück förderlich sei, die eigenen Bedürfnisse und Begierden so groß wie möglich werden zu lassen. Dagegen werde nach Platon bzw. Sokrates durch ein solches Immer-mehr-haben-Wollen ("Pleonexia"), durch einen unendlichen Progreß der Begierden, ein kosmisches, göttlich garantiertes Maß verletzt. Dabei sei Pleonexie ein doppeltes Streben, sowohl kompetitiv nach dem Mehr als andere, als auch absolut nach dem Immer-mehr. Aus moderner Sicht sei es naheliegend, bei Platon im Zusammenhang mit seiner Diagnose der Athener Krankheit auch eine Einsicht in deren Umweltfolgen zu vermuten. Im Vergleich zu der Begrenzungskrise der altgriechischen Poliskultur mutet die heutige Begrenzungskrise der Menschheitspolis gewaltig an.

 

Die Platonische Lösung einer ethisch-politischen Vernunftaristokratie, bei der die innere und die äußere Verfassung in Beziehung gesetzt werden, sei zwar problematisch, zumal aus liberalistisch-demokratischer Sicht (vgl. Popper 1980). Aber für mindestens ebenso problematisch hält Maurer angesichts der Begrenzungskrise unserer erdumfassend gewordenen technologischen Zivilisation die moderne Lösung einer vor allem äußerlichen Ordnung. So stelle die Platonische, ethisch-politische Psychologie eine interessante Theorie über die Ursachen der ökologischen Krise der technologischen Zivilisation dar. Mit seiner engen Verbindung zwischen äußerer, politisch-gesellschaftlicher und innerer, ethischer Verfassung enthalte Platons Staat eine ernstzunehmende Alternative zum modernen Lösungsweg in dem Sinne, den unendlichen Fortschritt der Konsumbegierden des 'american way of life' unter Kontrolle zu bringen.

 

Auch Jonas (1979) ist diesen Gedanken, die modern gesprochen in Richtung einer totalitären Ökodiktatur gehen, nicht völlig abgeneigt. Er zieht sie zumindest in Erwägung und gesteht einen Zustand der Ratlosigkeit angesichts der heutigen politischen Situation ein. Im "Prinzip Verantwortung" spekuliert Jonas mit der "Macht der Weisen" (S.56) im politischen Körper. In einer temperierten Fassung ließe sich die platonische Idee wohl auch in ein demokratisches System einbauen. Allerdings äußert Jonas auch den Verdacht, daß die Demokratie auf Dauer nicht die zur Lösung der globalen Probleme geeignetste Regierungsform sei, in einer 'Rettungsbootsituation' gäbe es zur Tyrannis wahrscheinlich keine Alternative.

 

Ausgangspunkt der Analysen bilden die nach Jonas völlig neuartigen Dimensionen menschlichen Handelns, die zur größten Herausforderung führen, die dem menschlichen Sein je aus eigenem Tun erwachsen ist. Gesellschaftlich und philosophisch konstatiert Jonas ein "Vakuum des heutigen Wertrelativismus" (S.7). Da nicht nur das Menschenlos, sondern auch das Menschenbild gefährdet sei, erfordere eine neue Ethik über Furcht hinaus auch Ehrfurcht. Aufgrund der veränderten Dimensionen menschlichen Handelns betrete die ethische Theorie Neu- bzw. Niemandsland. Ein bedeutsames Merkmal traditioneller Ethik ist der Anthropozentrismus, wie er zum Beispiel in dem christlichen Gebot "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!" zum Ausdruck kommt. Diese ausschließliche Ausrichtung auf den Nahkreis des Handelns reiche heute nicht mehr aus (auch wenn sie natürlich weiterhin Bestand habe). Die Vorschriften der Nächsten-Ethik würden "überschattet von einem wachsenden Bereich kollektiven Tuns, in dem Täter, Tat und Wirkung nicht mehr dieselben sind wie in der Nahsphäre" (S.26). Als markantestes Beispiel der veränderten Dimensionen menschlichen Handelns wird die Gefahr der Ausbreitung radioaktiver Strahlung genannt. Weder räumlich noch zeitlich seien die Folgen einer Atomkatasrophe zu überblicken. Es handelt sich dabei um Reichweiten, die über Kontinente und Generationen weit hinausgehen.

 

Jonas postuliert eine nicht-anthropozentrische Ethik, die der Natur ein "sittliches Eigenrecht" (S.29) einräume. In früherer Zeit verband sich mit einer nicht-anthropozentrischen Sichtweise eine mythologische Perspektive, bei der Bäume, Flüsse und Berge den Menschen heilig waren. Damals war die nicht-anthropozentrische Sichtweise oft allerdings auch Ausdruck menschlicher Ohnmacht gegenüber einer übermächtigen Natur, die von den Griechen als Göttin ("Gaia") verehrt wurde. Jonas stellt die Frage in den Raum, ob ohne die Wiederherstellung der durch die wissenschaftliche Aufklärung zerstörten "Kategorie des Heiligen" (S.57) überhaupt eine entsprechende ökologische Ethik möglich sei.

 

In Anlehnung an Kants kategorischen Imperativ schlägt Jonas einen neuen Imperativ vor (S.36): "Handle so, daß die Wirkungen Deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens" bzw. "Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit". Während Kants Imperativ als Beispiel einer Gesinnungsethik nur an das Individuum gerichtet ist, wendet sich Jonas' neuer Imperativ auch an die öffentliche Politik und wird damit über ein moralisches Problem hinaus zu einer politischen Frage. Voraussetzung sei aber zunächst einmal die Akzeptanz des Imperativs. Die weitverbreitete, hedonistische 'Nach-uns-die Sintflut-Haltung' ist nach Jonas nur schwer zu widerlegen. So könnten wir sowohl individuell als auch kollektiv für die Menschheit "ein kurzes Feuerwerk äußerster Selbsterfüllung der Langeweile endloser Fortsetzung im Mittelmaß vorziehen" (S.36). Den Gedanken einer kollektiven Euthanasie greift Jonas an anderer Stelle noch einmal auf, als er das antizipierte Szenario einer Klimakatastrophe mit dem drastischen Anstieg des Ozeanspiegels als das Ende eines kurzlebigen Menschenfestes wie folgt kommentiert (S.334): "So würde das leichtsinnig-fröhliche Menschenfest einiger industrieller Jahrhunderte vielleicht mit Jahrtausenden veränderter Erdenwelt bezahlt werden - kosmisch nicht ungerecht, da in ihnen das Erbe vergangener Jahrmillionen verschleudert wurde".

 

Mit einer Widmung für Jonas ("dem weisen Menschen, dem besorgten Mahner, dem großen Denker, ohne den es immer noch keine praktisch verantwortliche Philosophie der ökologischen Krise gäbe") beginnt Hösle den Band seiner Moskauer Vorlesungen, die er 1990 am Institut der Akademie der Wissenschaften der damaligen UdSSR gehalten hat. Hösle wendet sich gegen die allgegenwärtige Verdrängung ökologischer Katastrophen, die mit der Philosophie nicht vereinbar seien: "Denn die Philosophie hat es mit der Wahrheit zu tun, und zwar nicht mit dieser oder jener Richtigkeit, sondern mit derjenigen Wahrheit, die das Ganze des Seins betrifft" (S.15). Hösle plädiert für eine Naturphilosophie, die die Autonomie der Vernunft mit einer eigenständigen Würde der Natur verbindet, und ruft für diese Aufgabe alle Disziplinen der Philosophie auf, u.a. die Metaphysik, die Anthropologie, die Ethik und die Politische Philosophie. So unerläßlich die ökotechnokratische Detailarbeit der Einzelwissenschaften auch sei, so sehr könne nur die Wiederherstellung eines ideellen Hauses langfristig das Überleben unseres irdischen Hauses sichern. Die Wiedergewinnung einer metaphysischen Heimat für die Menschen der technischen Zivilisation könnte daher eine der größten Herausforderungen für die Philosophie der Gegenwart sein.

 

"Die Ökologie als neues Paradigma der Politik" - so lautet das Postulat des Eingangsvortrags (20ff). Hösle hält eine Universalisierung des westlichen Lebensstandards ohne vollständigen ökologischen Kollaps der Erde nicht für möglich und leitet unter Berufung auf Kants kategorischen Imperativ die Auffassung ab, daß der Lebensstandard der westlichen Industrienationen nicht moralisch sei. An der Grundthese, nach der ökologische Katastrophen auf die Menschheit zukommen werden, gebe es laut Hösle - "trotz aller kollektiven Anstrengungen, dies zu verdrängen" - keinen Zweifel, strittig sei höchstens der Zeitpunkt dieser Katastrophen. Angesichts solcher Zukunftsbedrohungen scheine der seit 1989 in den osteuropäischen Ländern eingetretene Paradigmenwechsel nicht radikal genug gewesen zu sein. Bedenkt man, daß der Ost-West-Konflikt bei allen Gegensätzen mit dem Primat des Ökonomischen als gemeinsame Grundlage das Ziel verfolgte, durch die Entwicklung der Technik die wirtschaftlichen Bedürfnisse der eigenen Bürgerinnen und Bürger möglichst umfassend zu befriedigen, so könne man sich heute sie Frage stellen, ob jenes gemeinsame Ziel überhaupt sinnvoll sei. Hösle erinnert in seinem ersten Moskauer Vortrag daran, daß die Wirtschaft nicht immer das dominante Subsystem in der Geschichte war. Vielmehr weist er mit von Weizsäcker (1989) auf die Paradigmenwechsel der letzten Jahrhunderte hin, die sich von der Religion im 18. Jahrhundert, über die Nation im 19. Jahrhundert auf die Ökonomie im 20. Jahrhundert erstreckten. Gegenwärtig stünde die Menschheit an der Schwelle eines erneuten Paradigmenwechsels, bei dem das Paradigma der Wirtschaft dem Paradigma der Ökologie weichen müsse. So werde das 21. Jahrhundert als das "Jahrhundert der Umwelt" in die Geschichte eingehen. Die Konsequenzen, die sich aus diesem Paradigmenwechsel ergeben würden, seien nach Hösle durch ein völlig neuartges "Freund-Feind-Verhältnis" gekenzeichnet, bei der die ökologische Krise als der gemeinsame Feind der ganzen Menschheit erkannt werden müsse. So sei das alte "Rechts-Links-Denken" der westeuropäischen Intelligenz antiquiert. Für die Zukunft wird folgende Neudefinierung vorgeschlagen (S. 37): "Progressiv ist, wer auf das normativ ausgezeichnete Telos hinarbeiten möchte; reaktionär ist, wer zurück zu einem Zustand möchte, der vom Telos noch weiter entfernt ist als der gegenwärtige; konservativ ist, wer den Status quo bewahren möchte."

 

Der zweite Vortrag beschäftigt sich mit den "geistesgeschichtlichen Grundlagen der ökologischen Krise" (S. 43ff). Dieser Beitrag ist gleichzeitig der im engeren Sinn am meisten philosophische Vortrag der Moskauer Reihe. Gegenstand der Ausführungen ist die Beziehung des Menschen zur Natur. Sie ist nach Hösle - in Anlehnung an Jonas (1979) - charakterisiert durch ein "Mißverhältnis zwischen Macht und Weisheit" (S. 44). Unter dem Hinweis, daß Sinn- und Wertfragen kausalwissenschaftlich letztlich nicht beantwortbar seien, wird eine Verschiebung im Selbstverständnis des Menschen und in seiner Interpretation des Verhältnisses zwischen ihm und der Natur konstatiert, die zum Naturbegriff der modernen Naturwissenschaft und Technik geführt hätte. Als Grundlage der modernen Naturwissenschaft sieht Hösle den Naturbegriff von Descartes mit seiner dualistischen Entgegensetzung von res cogitans und res extensa, die auch als Cartesische Lehre von der Natur bezeichnet wird. Bei Descartes verläuft die Grenze zwischen res cogitans und res extensa durch den Menschen selbst, so daß die physische Natur des Menschen ebenfalls zur res extensa gerechnet wird. Mit seiner contraintuitiven Theorie, nach der die nichtmenschliche Natur vollständig subjektivitätslos aufgefaßt wird, leistete Descartes einen entscheidenen Beitrag zum Siegeszug der modernen Naturwissenschaft, die die Natur als ihren Gegenstand somit deontologisiert, also ihres eigenen Seins beraubt hat. Als ein weiteres Grundmerkmal moderner Wissenschaft nennt Hösle die Überordnung der Quantität über die Qualität, welche sich ebenfalls schon in der Idee der cartesischen Geometrie ankündigt (vgl. Katasonov 1989). Nichts zeige den Triumph des quantitativen über das qualitative Denken eher als der Begriff des "Overkills" - als ob es einen Unterschied machte, ob man einmal oder zweimal tot sei, als ob nicht der Tod eine absolute qualitative Grenze wäre.

 

Die Superstruktur moderner Industriegesellschaften geht nach Hösle auf die Triade von Wissenschaft, Technik und kapitalistischer Wirtschaft zurück und bildet den zunehmend schwerer zu kontrollierenden Motor der modernen Gesellschaft (vgl. Gehlen 1957). Angesichts der historischen Errungenschaften sei der Gedanke eines Ausstiegs aus der modernen Technik und dem modernen Kapitalismus aber zu verwerfen, denn ohne Technik und Wirtschaft lasse sich die Umwelt nicht retten. Auch die Idee der Wissenschaft als Versuch, das Seiende auf wenige Prinzipien zurückzuführen, dürfe laut Hösle nicht verabschiedet werden. Er müsse vielmehr in Richtung Ganzheitlichkeit umgewandelt werden. Aufgabe der Philosophie sei es im Sinne der Übernahme von Verantwortung, "erstens neue Werte zu erarbeiten und sie zweitens an die Gesellschaft und an die Führungskräfte der Wirtschaft weiterzugeben - und zwar so schnell wie möglich" (S.68).

 

Die letzten drei Vorträge sind den praktischen Aspekten der ökologischen Krise gewidmet, welcher der klassischen Dreiteilung der praktischen Philosophie in der Antike und im Mittelalter entsprechen: Individualethik, Ökonomie und Politik. So geht es in dem Vortrag über die "ethischen Konsequenzen aus der ökologischen Krise" (S.69ff) weniger um technische Fragen der Machbarkeit als vielmehr um die Frage, ob es sinnvoll sei, etwas zu machen. Mit dem Wachsen der menschlichen Macht ins Unermeßliche würden die natürlichen Ausgleichsmechanismen von Ökosystemen gefährdet, sofern sie sich nicht von einer Weisheit, die sich als Hüterin der Natur versteht, bewußt bewahren ließen. Zu den wichtigsten Aufgaben der Ethik im Jahrhundert der Umwelt gehöre es, dem "Infinitismus" abzusagen und zum Maß zurückzufinden, um auch die Existenz zukünftiger Generationen zu sichern. Hösle denkt dabei vor allem an asketische Ideale, welche Bedürfnislosigkeit als ein Kriterium von Freiheit proklamieren. Das eigentliche Problem der Ethik liege jedoch nicht in der Wiederbelebung traditioneller Werte oder der Begründung neuer Normen, sondern auf der Motivationsebene. Viel schwerer als die Einsicht in die Notwendigkeit eines Bewußtseinswandels sei die Durchsetzung eines entsprechenden Handelns. Eine der Ursachen der ökologischen Krise sieht Hösle darin, daß wir manchmal wirklich nicht wissen, was wir tun. Eine andere Ursache bestehe in unserem mangelndem Antriebssystem, das keine Veränderung unseres Handeln bewirkt, wenn uns die Folgen mitgeteilt werden. Als ein markantes Beispiel der "kollektiven Unmoral der Umweltzerstörung" (S.90) wird das sog. Gutachterdilemma angeführt: Es sei heute zu fast allen Fragen möglich, wissenschaftliche Gutachten zu erhalten, welche entgegengesetzte Folgen voraussagen - mit der nicht unwesentlichen Konsequenz, daß das Vertrauen in die Institution Wissenschaft erschüttert werde. Meist sorge der Interessenfaktor für die größere Glaubwürdigkeit der positiven gegenüber der negativen Prognose. Jonas (1979) postuliert dagegen den Vorrang der schlechten vor der guten Prognose ("in dubio pro malo"), sofern diese die Vernichtung des Seins beinhalte. Hösle setzt gewisse Hoffnungen auf die gesellschaftlichen Meinungsbildner, explizit auf die Hochschulen und Schulen, Medien und Kirchen, die an der Sammlung und Weitergabe der entsprechenden Informationen arbeiten. Motivationspsychologisch sei es wichtiger, die Menschen zu lehren, wieder die Schönheiten der Natur zu empfinden, als ihnen die moralischen Übel der Umweltzerstörung vorzuführen, wenn man langfristig etwas erreichen wolle.

 

Im Mittelpunkt der vierten Vorlesung mit dem Titel "Ökonomie und Ökologie" (S.96ff) steht die folgende Grundfrage: "Wie muß man mit dem Eigennutz - dem Motor der kapitalistischen Wirtschaft - umgehen, um eine moralisch akzeptable Gesellschaftsordnung zu erreichen?" (S.97). Mit Gorz (1985) ist Hösle der Auffassung, daß sich kapitalistische und sozialistische Wirtschaftssysteme unter dem umfassenderen Begriff des Industriealismus zusammenfassen lassen. Es scheine so, als wenn die Systemgegensätze zwischen Ost und West nicht primär auf einer Divergenz der Ziele wie Selbstbestimmung und Wohlstand für möglichst alle als universalistische Ideale der Aufklärung basierten. Die Differenzen bestünden vielmehr in den unterschiedlichen Vorstellungen über den besten Weg der Realisierung der Ideale. Hösle äußert an dieser Stelle Bedenken gegenüber Jonas, der im "Prinzip Verantwortung" (1979) bei einem Vergleich der beiden Wirtschaftssysteme zu dem Ergebnis kommt, daß ein sozialistisches System eher zu asketischen Idealen der Massen beitragen könne. Stattdessen argumentiert Hösle mit den klassischen Befürwortern des Kapitalismus wie folgt (S.100): "Wer den Egoismus ausschaltet, ohne die Energien, die ihn beseelen, auf einer höheren Ebene bewahren zu können, verdammt die Menschheit zu einer Apathie und Gleichgültigkeit, die noch schlimmer sein wird als der vorangegangene Zustand. Ohne die unheimliche Effizienz eines aus egoistischen Gründen rationalisierten wirtschaftlichen Handelns lassen sich große Aufgaben - wie etwa die Rettung der Umwelt - schwerlich bewältigen". Wenn man nach den Rahmenbedingungen frage, die notwendig seien, um die Zerstörung der Umwelt aufzuhalten, so könne bezweifelt werden, ob das Bruttosozialprodukt den besten Indikator für das Wohlergehen eines Gemeinwesens darstellt, bedenkt man, daß die Umweltzerstörung das Bruttosozialprodukt steigere, da sie jährliche Reparaturkosten in Milliardenhöhe bedinge (vgl. Wicke in Kap. 2.3). Die Bewahrung der ökologischen Grundlagen des menschlichen Lebens könnten wohl nur gewahrt werden, wenn die Rahmenbedingungen sich derart ändern, daß die Umweltzerstörung sich finanziell nicht mehr lohne. Hösle hält es für möglich, z.B. durch ein System von Umweltsteuern ein egoistisches Motiv zu schaffen, um so sparsam wie möglich mit den natürlichen Ressourcen hauszuhalten.

 

In seinem letzten Moskauer Vortrag befaßt sich Hösle mit den "politischen Konsequenzen aus der ökologischen Krise" (S.121ff). Die politische Philosophie beschäftigt sich vor allem mit zwei Fragen: Zum einen geht es um die Struktur eines idealen Staates, zum anderen geht es um die ungleich schwierigere Frage, wie eine Annäherung an den idealen Staat zu erreichen sei, der als regulative Idee seine Geltung auch dann behält, wenn gezeigt werden kann, daß er nie vollständig zu verwirklichen sein wird. Angesichts der ökologischen Krise stellt von Hösle insbesondere die Frage, wer die Rechte der kommenden Generationen schützen könnte. Jonas (1979) bemerkt dazu: "Die 'Zukunft' aber ist in keinem Gremium vertreten; sie ist keine Kraft, die ihr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Das Nichtexistente hat keine Lobby und die Ungeborenen sind machtlos. Somit hat die ihnen geschuldete Rechenschaft vorerst noch keine politische Realität im gegenwärtigen Entscheidungsprozeß hinter sich, und wenn sie sie einfordern können, sind wir, die Schuldigen, nicht mehr da" (S.55). Zur Veränderung der gegenwärtigen Situation diskutiert Hösle - für einen Philosophen ungewöhnlich - einige ganz konkrete, politische Maßnahmen. Innerhalb der Regierung müßte zum Beispiel das Umweltministerium zu einem Schlüsselministerium, dem Innen- oder Finanzministerium vergleichbar, entscheidend aufgewertet werden. Das Umweltbundesamt müßte in der öffentlichen Meinung einen ähnlichen Stellenwert wie die Bundesanstalt für Arbeit erhalten. Dem Übergang vom Sozialstaat zum ökologischen Staat entspräche es nach einem Vorschlag von Fischer (1989), wenn der Präsident des Umweltbundesamtes monatlich im Fernsehen über Erfolge und Niederlagen im Umweltschutz berichtete. Weiterhin müßten die politischen Eliten wie im antiken Rom wieder eine Vorbildfunktion für die ganze Bevölkerung wahrnehmen. So hatte beispielsweise das römische Zensoramt einen feinen Sinn für die moralischen Gefahren, die vom Luxus ausgehen, wie uns Cicero ("De legibus" III 30) verrät. Schließlich reichen nationale Alleingänge angesichts der Globalität der Gefahren nicht aus, so daß eine Umweltaußenpolitik in baldiger Zukunft zum Hauptbestandteil der Außenpolitik werden könnte. Hösle hält von daher einen "Marshallplan zur Rettung der Umwelt" (Wicke & Hucke 1989) für unerläßlich. Dieser Sofortmaßnahmenkatalog sei sofort einzuleiten, da der weltgeschichtliche Zeitfaktor kaum abzuschätzen sei. Vor allem bedarf es aber der Menschen, die sich dieser großen Aufgabe annehmen. Hösle setzt dabei seine Hoffnungen u.a. auf "Führungskräfte, die die Umweltfrage nicht nur abstrakt zur Kenntnis nehmen, sondern von ihr beseelt sind" (S.142/3). Die politische Elite bräuchte eine Vision, die sich nicht in der Wahnidee erschöpfe, das Glück auf Erden bestünde in der Befriedigung aller möglichen Bedürfnisse und der vollständigen Unterjochung der Natur durch den Menschen (vgl. Bloch in Kap. 6.4). Kernpunkt einer solchen Vision müßte vielmehr eine Versöhnung des Menschen mit der Natur sein. Nach Hösle sind die Chancen für die Bewältigung der Probleme auch davon abhängig, ob 'die Jugend' für diese Vision gewonnen werden kann. Die Aufgaben und Herausforderungen der augenblicklichen Weltkultur mögen uns möglicherweise überfordern, wie Hösle abschließend (S.146) eingesteht, sie würden uns Gegenwärtigen aber immerhin nicht das Gefühl geben, nicht gebraucht zu sein.

 

2.8 Der umwelt-theologische Ansatz von DREWERMANN

Am Ende unserer interdisziplinären Auseinandersetzung steht die Frage, ob die menschliche Naturbeherrschung nicht quasi per Religion legitimiert wurde. Selbst wenn die Einstellungen, die das Verhältnis des Menschen zur Natur kennzeichnen, heute weitgehend säkularisiert und enttheologisiert sind, lassen sich auch christlich-religiöse Motive postulieren. So bemerkt z.B. der australische Philosoph John Passmore: "Ökologische Kritiker des Westens haben recht, wenn sie argumentieren, daß das Christentum den Menschen dazu ermutigt hat, sich selbst für metaphysisch einzigartig zu halten und als etwas zu betrachten, das übernatürlich über dem Auf und Ab der Prozesse steht. Das ökologisch Gefährliche am Christentum ist nämlich nicht, daß es die Heiligkeit der Natur ablehnt, sondern daß es die Menschen zu dem Glauben verleitet, sie seien 'Söhne Gottes' und deshalb sicher, weil ja ihre fortgesetzte Existenz auf der Erde durch Gott garantiert sei. In diesem Sinne führt es zu Hybris. Die Natur erscheint als etwas, das man straflos plündern kann" (1992, S.224). Ob solche Einstellungen im Sinne des Christentums sind, kann man zwar bezweifeln, dennoch läßt sich die Sonderrolle des Menschen aus der Theologie leicht ableiten. Verschärfend kommt in unserer heutigen Situation dazu, daß der moderne, über der Natur stehende Mensch im Gegensatz zu früheren Zeiten keinen Gott mehr als Korrektiv über sich glaubt. In der Tat lesen sich zentrale Bibelzitate wie z.B. der Satz "Seid fruchtbar und mehret euch (...) und macht euch die Erde untertan" (Genesis 1, Vers 28) wie frühe Gebrauchsanleitungen zur Herstellung der ökologischen Krise. Allerdings ist es nicht selbstverständlich, aus diesem göttlichen Auftrag einen Herrschaftsanspruch zu interpretieren. Die englische Rede von "steward-ship" weist mehr auf eine Treuhänder-Rolle hin, die den Menschen eher zu einem Verwalter und nicht zu einem Überwältiger macht (Passmore 1980, S.28).

 

Eine kritische Analyse des Christentums unternimmt Drewermann in seinem Buch "Der tödliche Fortschritt. Von der Zerstörung der Erde und des Menschen im Erbe des Christentums" (1982). Für Drewermann ist in der vom Christentum so stark beeinflußten Geisteshaltung Europas die Hauptursache der ökologischen Krise zu suchen. Der europäische Geist habe ein Menschenbild entworfen, das bis heute seine Gültigkeit nicht verloren habe. Dazu gehöre sowohl die Überzeugung, daß die Geschichte sich ausschließlich um den Menschen drehe und nur zu seinem Zwecke da sei, als auch die Überzeugung, daß die menschliche Geschichte ihren Sinn in einem ständigen Fortschritt verwirkliche. Ein weiteres Kennzeichen dieses Menschenbildes sei außerdem die einseitige Ausrichtung auf zweckrationale Kräfte, verbunden mit der Leugnung oder Pathologisierung unbewußter Antriebe. Drewermann beginnt seine Analyse unter der Überschrift "Fakten, die Symptome sind" mit einer für Theologen ungewöhnlich ausführlichen Darstellung der real existierenden Probleme (u.a. Bevölkerungsvermehrung, Zerstörung der Wälder, Ausrottung der Tiere usw.) und referiert im Anschluß daran zunächst die technischen Möglichkeiten ("Maßnahmen, die absolut notwendig und dennoch völlig unzureichend sind") und darauf die aus seiner Sicht geistigen Notwendigkeiten zur Bewältigung der Probleme. Auch der anläßlich der 6. Auflage (1992) ein Jahrzehnt nach der Erstveröffentlichung beigefügte Anhang beginnt mit einer über einhundertseitigen Aktualisierung der Krisensymptome und endet mit einigen "Anregungen zum Umdenken".

 

Interessant im Zusammenhang mit dieser Arbeit sind besonders die Beiträge, die sich als spezifisch theologische Antworten auf die Ursachen und Lösungen der ökologischen Krise herauskristallisieren lassen. Der Grund dafür, daß überhaupt ein Theologe einen solchen Beitrag schreibt, liegt nach einer einleitenden Aussage des Autors darin, "daß Theologen das bestehende Problem, wenngleich in einer schicksalhaften Verkehrung ihrer eigentlichen Absichten, wesentlich mitverursacht haben" (S.8). Wie bereits angedeutet, sieht Drewermann die Hauptursache der Krise in einem "rigorosen und schrankenlosen Anthropozentrismus" (S.62), der den Menschen als Mittelpunkt und Maß der Welt betrachte. Insofern sei statt nach "Umweltschutz" eigentlich nach einem neuen Menschenbild zu fragen.

 

Verfolgt man die geistesgeschichtliche Entwicklung des Anthropozentrismus, so ergeben sich nach Drewermann vor allem zwei Gründe, ein philosophischer und ein religiöser. Während für die Ägypter, Babylonier und Inder das Göttliche gerade auf der Einheit von Mensch und Tier beruhte, waren die Griechen die ersten, die ihren Göttern menschliche Züge verliehen und damit den Menschen in die Nähe der Götter rückten. Bereits in der ionischen Naturphilosophie beginne ein Denken, das für das Abendland von entscheidener Bedeutung werden sollte, indem es an die Stelle des Mythos den Logos, an die Stelle des Gefühls die Ratio und an die Stelle der Welt der Götter die Gesetzmäßigkeiten der Ursachen setzte. In diese Zeit fiel der Homo-Mensura-Satz von Protagoras ("Der Mensch ist das Maß aller Dinge").

 

Was diese Einstellung in der Praxis bedeutete, zeigten vor allem die Römer, die den griechischen Anthropozentrismus mit einem ungeheuren Herrscherwillen verbanden. So schrieb zum Beispiel Cicero: "Die Welt ist (...) in erster Linie der Götter und Menschen wegen geschaffen worden, aber all ihre Einrichtungen sind nur zum Nutzen der Menschen ersonnen und ausgeführt" ("De natura deorum", 2. Buch, Kap. LXII). Entsprechend stellt er z.B. die These auf, daß das Schwein sein Leben nur habe, um dem Menschen das Salz zum Einpökeln zu sparen, damit es nicht faule. Mit den Römern trat erstmals eine Geistesart auf den Plan, die die gesamte Natur zum bloßen Rohstoff für menschliche Zwecksetzungen erklärte. Die Wirkungen dieser Einstellungen hätten im gesamten Mittelmeerraum und weit darüber hinaus bis heute ihre sichtbaren Spuren u.a. in Form von verkarsteten Landschaften hinterlassen. Die praktische Skrupellosigkeit, mit der die Römer die Religion auf die Anbetung menschlicher Macht und die Natur auf eine bloße Vorratskammer zur menschlichen Ausbeutung reduzierten, mutet erschreckend an.

 

Das Christentum, das politisch und kulturell das Erbe der Römer antrat und damit das "Abendland" begründete, habe den Anthropozentrismus der römischen Grundeinstellung und die Fremdheit gegenüber der Natur keinesfalls gemildert, sondern eher noch gesteigert. Die Religion Israels, von der das Christentum wesentlich geprägt ist, besaß zur Natur von vorneherein ein problematisches Verhältnis. Im Mittelpunkt dieser Religion stand ganz und gar der Mensch bzw. die Geschichte eines einzigen Volkes. Anders als die Griechen, für deren Naturphilosophie das Göttliche ein unpersönliches Prinzip in oder hinter allen Dingen war, betrachteten die Hebräer den Gott der "Schöpfung" wie einen Patriarchen, der mit seinem Befehl und seiner Macht die Welt regiert. Während die Griechen das Geheimnis der Natur in eine Abstraktion der Rationalität auflösten, betrachteten die Hebräer die Welt als eine bloße Manifestation der Macht Gottes.

 

Nach Drewermann kommen hier zwei Gedanken zusammen: die Natur als Emsemble rationaler Gesetzmäßigkeiten bei den Griechen und die Natur als eine Art Feindin, die sich dem menschlichen und göttlichen Willen zu unterwerfen habe, bei den Hebräern. Beide Gedanken bildeten den Hintergrund der "christlichen" Einstellung zur Natur, und erst ihr Zusammenwirken begründete Jahrhunderte später die moderne Naturwissenschaft und Technik. Der christliche Anthropozentrismus ging schließlich so weit, die Naturordnung völlig auf den Kopf zu stellen und das gesamte Schicksal der Natur vom Menschen abhängig zu machen: wegen der Sünde Adams seien alle Geschöpfe bestraft worden und müßten durch den Menschen erlöst werden - "ganze Generationen von Theologen haben sich abgemüht, diese Anschauung als eine höhere Form der Gerechtigkeit und Weisheit Gottes darzustellen" (S.75), obwohl sich das Christentum gerade mit seinem naturphilosophischen Anthropozentrismus von Anfang an in Widerspruch zu den aufgeklärten griechischen Philosophen befand, die bereits erahnten, daß die Welt nicht einfach nur für den Menschen geschaffen sein konnte.

 

Der eklatante Mangel der biblischen Anthropozentrik wirkt sich nach Drewermann (S.100ff.) dahingehend aus, daß es kaum möglich sei, auf dem Boden der Bibel eine umfassende, nicht nur auf den Menschen bezogene Ethik zur Natur zu begründen. Die Bibel selbst enthalte außer einer einzigen Stelle, nach der der Gerechte sich seines Viehs erbarmt (Spr. 12,10) und dem Gebot, dem dreschenden Ochsen nicht das Maul zu verbinden (Dt. 25,4) nicht einen einzigen Satz, wo von einem Recht der Tiere auf Schutz vor der Rohheit und Gier des Menschen oder gar auf Mitleid und Schonung die Rede wäre. Dabei sei zu bedenken, daß die Schonung der Haustiere in anderen Kulturen schon viel früher zu einem zentralen Anliegen erhoben wurde. Auch im Neuen Testament gebe es kein einziges Wort darüber, daß oder wie man mit Tieren und Pflanzen gütig umgehen müsse oder könne. Im Gegensatz zur Begrenztheit der Bibel sieht Drewermann die Anteilnahme am Wohlergehen aller Lebewesen bei Albert Schweitzer (1960): "Ethik besteht darin, daß ich die Nötigung erlebe, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Damit ist das denknotwendige Grundprinzip des Sittlichen gegeben. Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen" (S.331). Jemand, dem das Leben als solches heilig sei, reiße kein Blatt vom Baum, breche keine Blume und achte darauf, kein Insekt zu zertreten. Ethik ist für Schweizer (S.332) "ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt."

 

Drewermann hält es für eine Pflicht (S.109), auf eine Änderung des religiösen Bewußtseins in der Einstellung zur Natur zu wirken. Gefordert sei eine grundlegende religiöse Neubesinnung, die mit dem bisherigen jüdisch-christlichen Anthropozentrismus breche und zu einem Einheitsdenken und Erleben zurückführe, das in der abendländischen Geistesgeschichte stets als unchristlich, pantheistisch oder atheistisch bekämpft wurde. Es sei auch kein Zufall, daß von der Kirche im Menschen all diejenigen Kräfte verteufelt würden, denen die Mythen entstammen, wie die Kräfte des Gefühls, des Unbewußten oder des Traumhaft-Visionären. Die Leugnung des Unbewußten aufgrund der Vergeistigung des Gottesbildes sei ebenso ein Kurzschluß von Anthropologie und Metaphysik gewesen wie der christliche Anthropozentrismus auf einen naturphilosophischen Kurzschluß hinauslief. Die Konsequenzen dieser christlichen Lehre finden sich laut Drewermann (S.138) auf den Lehrstühlen der Psychologie in den Universitäten im Gewande der sog. tabula-rasa-Theorie wieder, wonach es im Menschen nichts anderes gebe, als das, was er von außen übernommen habe. Aus der Verstandeseinseitigkeit des Christentums erwachse heutzutage die Gefahr, daß der Mensch mit Vorliebe nach dem Modell des Computers gesehen werde und die Vernunft des Menschen sich auf den Gehorsam gegenüber der technischen Steuerung seitens der gesellschaftlichen Bürokratie reduziere (vgl. Weizenbaum 1976). So befürchtet Drewermann, daß die Verwüstung der äußeren Natur durch den Menschen sich durch eine gleichgeartete technische Ausbeutung und Kontrolle des Menschen durch den Menschen vollenden werde. Drewermann stellt die These auf, "daß in der Zerstörung der Natur durch die abendländische Technologie nur die innere Verwüstung des abendländischen, des christlichen Menschen nach außen verlegt wurde" (S.139).

 

Wenn diese Diagnose zutrifft, daß die ökologische Krise letztlich eine Krise des abendländischen Menschenbildes darstellt, kommt man an der Erkenntnis nicht vorbei, daß die eigentlich anstehenden Probleme letztlich religiöser Natur sind. So gesehen wäre die ökologische Krise "eine Krise der Religion und der menschlichen Psyche, dann erst eine Krise der Politik und der Wirtschaft" (S.154). In diesem Sinne könne es nicht genügen, die Schöpfungstheologie des Christentums mit einigen umweltfreundlichen ethischen und asketischen Ableitungen zu schmücken, wie es von Seiten kirchlicher Verantwortungsträger gerne getan werde. Vielmehr gehe es zunächst einmal darum, die Schuld des Christentums an der bestehenden Krise zu begreifen und zu verstehen. Kirchenkritisch konstatiert Drewermann schließlich (S.359ff), daß das Weltbild der christlichen Dogmatik inzwischen zwar rational die Erkenntnisse Galileis zu akzeptieren bereit sei, in Wahrheit aber die Kopernikanische Wende immer noch nicht vollzogen habe, geschweige denn, daß sie es durch Darwin oder Freud hätte verändern lassen. Die christliche Theologie sei von den Veränderungen des modernen Weltbildes absolut unbeeindruckt geblieben, was sich u.a. daran zeige, daß sie nach wie vor den Menschen für das Endziel aller göttlichen Heilsveranstaltungen im Alten und Neuen Testament erkläre. Die Nicht-Beachtung der wirklichen Parameter der Schöpfung in Raum und Zeit lasse die Wirklichkeit des Kosmos - gegen den heutigen Stand des Wissens, aber in Fortführung des statischen Weltbildes der mittelalterlichen Scholastik - als etwas an sich Fertiges, von Gott Gesetztes erscheinen, das vom Menschen beherrscht, benutzt, verwendet und verwaltet, jedoch nicht in seiner Eigenart verändert werden dürfe.

 

Zusammenfassend versucht Drewermann anhand von vier Merkmalen zu zeigen, daß die Problematik des gegenwärtigen Umgangs mit der Natur nicht so sehr darin bestehe, daß die Menschen mit der Technik in der Natur etwas verändern, sondern in der Art, wie diese Änderungen vorgenommen werden. Als Hauptmerkmale des menschlichen Umgangs mit der Natur werden das Prinzip der funktionalen Isolation, die Preisgestaltung der heutigen Wirtschaft, der Faktor des Gefühls (der Faktor der Angst zum Zwecke der Erhaltung der eigenen Existenz bzw. der Faktor des Mitleids zum Zwecke der Erhaltung des fremden Lebens) und der Faktor der unterschiedlichen Zeit, auch als "Diskrepanz der Geschwindigkeiten" bezeichnet, genannt. Insbesondere der letztgenannte Faktor verdient eine gesonderte Beachtung. Wie Ditfurth (1976) in Erinnerung ruft, begann der menschliche Geist vor ungefähr drei Millionen Jahren, seine Augen aufzuschlagen. Noch keine 3000 Jahre ist es her, daß die Menschen die Sterne für Götter hielten und erst seit 500 Jahren besteht eine klare Vorstellung von der geometrischen Form der Erde. Doch auch Millionen Jahre sind in geologischen Zeiträumen der Evolution nicht mehr als ein Bruchteil, gemessen an dem Parameter der Natur seien die Entwicklungsmöglichkeiten der menschlichen Art noch in den Kinderschuhen. Unter diesen Annahmen erscheine die Annahme vermessen, daß just zu dem Zeitpunkt menschlicher Existenz eine Gattung im Besitz der ganzen Wahrheit des Wissens um das Schicksal von Welt und Geschichte sein könne. Drewermann sieht darin eine Form eines archaischen Mittelpunktwahns, der darin bestehe, den eigenen zufälligen Standort als den einzigen und letztgültigen Beobachtungsort und Standpunkt der Weltanschauung zu interpretieren.

 

Um den "Krieg" gegen die Natur zu stoppen, sei dringend ein "Moratorium des Nachdenkens" (S.397) geboten. Der Mensch müsse im Umgang mit seinen beiden großen Trieben, der Aggression und der Sexualität, in den Themenschwerpunkten Krieg und Überbevölkerung in wenigen Jahrzehnten Verhaltensweisen ändern, die sich im Laufe von Jahrmillionen aufgebaut haben. Ein wichtiges Teilziel bestehe darin, zumindest die Reste einer noch intakten Natur vor jedem weiteren Zugriff des Menschen zu schützen. Die expansive Phase der menschlichen Geschichte sei an ihrem Ende angekommen, eine zweite, lebensintensive Phase werde es nur geben, wenn die Menschheit lerne, weise zu werden: "Erst eine Geschwisterlichkeit mit all unseren Mitgeschöpfen, eine Rückerinnerung an den Paradiesmorgen, wird eine Form von Religion heraufführen, in welcher Natur und Geschichte, Ökologie und Ökonomie, Welt und Mensch, Unbewußtes und Bewußtes, Gefühl und Verstand, Frau und Mann, Leib und Seele eine Einheit bilden können" (S.406). Im Gegensatz zur Natur habe der Mensch allerdings keine Zeit mehr, wie Drewermann in seinem Schlußwort mahnend feststellt (S.407): "Denn nur wenn wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen, werden wir das Fieberthermometer heutiger Geschichte auf einen für uns und die Welt erträglichen Grad herunterschlagen können - und stille werden in dankbarem Staunen über die unverdiente Schönheit des Seins".

 

2.9 Zusammenfassung und Bilanzierung der Ansätze

Wie wir gesehen haben, hat sich die ökologische Krise inzwischen auch in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen herumgesprochen. Auch wenn die vorgestellten Ansätze fachintern möglicherweise ein Außenseiter-Dasein fernab vom Mainstream fristen, stellen sie zusammengenommen ein eindrucksvolles Zeugnis einer intensiven Auseinandersetzung mit der Frage dar, wie die Menschheitskrise in den Griff zu bekommen sei. Wie aber bekommen wir die diversen Ansätze in den Griff in dem Sinne, daß wir uns ein abschließendes Bild über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der multidisziplinären Herangehensweisen machen können und gleichzeitig einen Hinweis darauf erhalten, wozu in diesem Kontext die vorliegende Arbeit gut sein könnte? 

Wir werden zunächst die sieben Ansätze jeweils nach folgenden drei Kriterien zusammenfassen: Erstens fragen wir nach der Diagnose bzw. Prognose, die nach Ansicht der jeweiligen Autoren den Status Quo bzw. dessen Fortschritt kennzeichnen. Ausgangspunkt ist also die Perspektive der Gegenwart. In einem zweiten Schritt fassen wir die jeweilige Analyse der Ursachen der ökologischen Krise zusammen, basierend auf der Frage: Wie konnte es zum gegenwärtigen Zustand überhaupt kommen? Hierbei steht meist ein Blick in die Geschichte im Mittelpunkt. In einem dritten und letzten Schritt schließlich fragen wir nach Therapievorschlägen, die sich aus den Ansätzen herausfiltern lassen. Was muß geschehen, damit die Zukunft nicht in einer Katastrophe endet? Erst nach der Durchsicht der Disziplinen hinsichtlich ihrer Ausgangsdiagnose, ihrer Analyse und ihrer Lösungsvorschäge stellen wir vergleichende Überlegungen und den Versuch einer möglichen Synthese an. Abbildung 4 zeigt alle Ansätze in einer zweiseitigen Übersicht.

 

Retrospektive

Tschumi prognostiziert aus biologischer Perspektive eine Erschöpfung der Erdvorräte in wenigen Jahrzehnten, verbunden mit einem Zusammenbruch der menschlichen Population und einer damit einhergehenden Gefährdung der gesamten Biosphäre als übergeordnete Organisation sämtlicher Ökosysteme auf der Welt. Die Ursachen der Umweltzerstörung sieht er in einem überexponentiellen Wachstum der Erdbevölkerung, in der allgemeinen Technologieentwicklung sowie in der vorherrschenden Weltwirtschaftsordnung und hier insbesondere im Mißverhältnis zwischen technischem und biologischem Energiebedarfs der Industrienationen. Als eine weitere wesentliche Ursache wird mangelndes Verantwortungsbewußtsein aufgrund der Dominanz einer sog. Individualethik genannt. Tschumis Therapievorschlag läßt sich prägnant als "Kausaltherapie statt Symptombehandlung" zusammenfassen, womit vor allem die Einhaltung konstanter Konsumbestände und -bedürfnisse im Sinne einer strikten Befolgung des Kreislaufprinzips gemeint ist - oder mit anderen Worten die Achtung biologischer Gesetz-mäßigkeiten. Das Postulat einer ganzheitlichen Betrachtungsweise wird für alle Gebiete der Gesellschaft erhoben - mit besonderem Nachdruck wird der Bereich der Erziehung angesprochen. Tschumi hält schließlich eine zeitliche und räumliche Ausweitung des Geltungsbereiches der Ethik für unerläßlich.

 

Wicke prognostiziert aus wirtschaftlicher Perspektive die Gefahr einer gravierenden Bedrohung der Menschheit unter der Prämisse, daß es keine sofortige gemeinsame Aktion aller Staaten gebe, bei der die Probleme der Bevölkerungsentwicklung, der Nahrungs- und Energieversorgung sowie der Umweltprobleme gleichzeitig angegangen werden. Die Ursachen der Umweltzerstörung werden anthropologisch im Gewinn- und Eigennutzstreben der menschlichen Natur gesehen, was dazu führe, daß ökologische Faktoren nicht in wirtschaftliche Überlegungen einbezogen würden. Wicke konstatiert in der Wirtschaft wie in der Politik eine Opposition gegen wirkungsvolle Umweltschutzmaßnahmen. Als therapeutische Maßnahmen schlägt Wicke auf nationaler Ebene die Aufstellung von monetären ökologischen Schadensbilanzen und eine an den Grundsätzen einer öko-sozialen Marktwirtschaft orientierten rationalen Umweltpolitik vor, in der ökologische Faktoren auch in das Bruttosozialprodukt einbezogen werden müßten. Der Slogan "Umweltschutz statt Eigennutz" könnte dabei als Leitmotiv eines grünen Wirtschaftswunders fungieren. International plädiert Wicke für eine gemeinsame Aktion aller Staaten ("Ökologischer Marshallplan").

 

Luhmann diagnostiziert aus soziologischer Perspektive Umweltzerstörung nur unter der Voraussetzung als ein Problem, daß es überhaupt in den verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft kommuniziert werde. Gleichzeitig prognostiziert er, ausgehend von der Evolutionsgeschichte, eine Eliminierung von Systemen, die einem Trend ökologischer Selbstgefährdung folgen. Im Zentrum der Analyse steht der Befund einer inadäquaten Resonanz der Gesellschaft, die aufgrund ihrer strukturellen Differenzierung nicht als geschlossene Einheit im Sinne einer übergeordneten Vernunft auf die ökologische Probleme reagieren könne. Während es an den gesellschaftsexternen Systemgrenzen (zwischen System und Umwelt) zuwenig Resonanz gebe, erzeugten die unterschiedlichen Teilbereiche des Systems dagegen zuviel Resonanz, was manchmal zu Turbulenzen an den systeminternen Grenzen führe. Obwohl für Luhmann die theoretische Lösung der ökologischen Probleme allseits bekannt sei (Reduzierung der Emmissionen, des Ressourcenverbrauchs und des Bevölkerungswachstums), konstatiert er in der Praxis eine prinzipielle Unlösbarkeit der ökologischen Krise aufgrund der sog. Autopoiesis der Teilsysteme. Die Soziologie kann nach Luhmanns Auffassung eine Aufklärung über die grundsätzliche Erfolglosigkeit aller Bemühungen liefern. Die relativ günstigsten Aussichten für eine Ausbreitung intensivierter ökologischer Kommunikation wird dem Erziehungswesen eingeräumt, insbesondere in Kombination mit dem "Prinzip Angst", welches zur Aufladung der ökologischen Kommunikation mit Moral beitragen könne. Ferner werden auch in anderen Teilsystemen der Gesellschaft einige Ansatzmöglichkeiten angesprochen, für die Wissenschaften fordert Luhmann z.B. eine Selbstanalyse.

 

De Haan diagnostiziert aus pädagogischer Perspektive eine aggressive Kampfkonstallation gegen die Natur, die zu einer fortschreitenden faktischen Zerstörung des Planeten durch das Industriesystem führe und der kommenden Generation gigantische Erblasten hinterlasse. Die aus seiner Sicht nötige Ökologisierung der Bildungseinrichtungen sei bisher weitgehend ausgeglieben, es herrsche eine "Feiertagsökologie" vor. Als Hauptursache der Umweltzerstörung werden die auf Maximen des Konsums und des Egoismus basierenden Wertvorstellungen in der Gesellschaft ausgemacht. Weiterhin wird auf einen mangelhaften Erkenntnisstand der Umweltbewußtseinsforschung und eine kontraproduktive Nutzung der Massenmedien als potentieller Einflußfaktor in der Umweltbildung verwiesen. Der medienpädagogische Hinweis wird auch von anderen Autoren unterstützt, z.B. durch Jungk, der die besondere Funktion von "Informatoren" hervorhebt, oder durch Sloterdijk, der eine sog. Entwarnungsrhetorik für mangelhaftes Ernstfallbewußtsein in der Bevölkerung verantwortlich macht. Als therapeutische Maßnahmen zur Lösung der ökologischen Krise hält de Haan einerseits eine grundlegende Wissenschafts- und Technikkritik, die auch die Geschichte der Natur einbezieht, andererseits ein grundsätzliches Umdenken, das sich von der vorherrschenden technischen Herangehensweise an die Probleme unterscheidet, für erforderlich. De Haan favorisiert die Vision einer nachhaltigen Entwicklung als leitendes Paradigma, das seiner Meinung nach zu einschneidenden Veränderungen in der Umweltbildung beitragen könne.

 

Roszak diagnostiziert aus psychologischer Perspektive eine Manipulation und Mißhandlung der Natur durch die zivilisierte Gesellschaft und eine fundamentale Entfremdung des modernen westlichen Menschen von der Natur. Als Amerikaner beobachtet er eine wachsende Diskriminierung der Umweltbewegung als "grüne Gefahr" bei gleichzeitiger Selbstdiskreditierung der Bewegung durch die Verbreitung apokalyptischer Panik und doktrinärer Intoleranz, die er auf mangelnde Menschenkenntnis zurückgeführt. Die politischen Ursachen der Umweltzerstörung könnten nach Roszak nicht einem einzigen System allein angelastet werden, da sowohl marktwirtschaftliche als auch kollektivistische Systeme zur Umweltzerstörung geführt hätten. Anthropologisch wird vermutet, daß die menschlichen Überlebensinstinkte nur auf unmittelbar überschaubare Gefahren eingestellt seien. Die mangelnde Wahrnehmung der ökologischen Krise zeige sich besonders deutlich in der Psychologie, wo der Mensch meist unabhängig von der ihn umgebenden Realität dargestellt werde. Als Therapie zur Lösung der ökologischen Krise wird - basierend auf dem Postulat einer synergetischen Wechselbeziehung zwischen den Bedürfnissen der Person und des Planeten - eine Aktivierung des kollektiven ethischen Gewissens der Menschen vorgeschlagen, was nach Roszak eine Infragestellung zentraler Maximen des modernen Lebens mit sich bringen und u.a. zu einer kreativen Umlenkung des zügellosen Konsums führen würde. Gleichzeitig könnte ein verantwortungsvolles "ökologisches Ich" die Renaissance des Animismus im Sinne der Tiefenökologie und ein biozentrisches Weltbild fördern.

 

Von Hösle prophezeit aus philosophischer Perspektive unausweichliche ökologische Katastrophen für die Menschheit und einen vollständigen ökologischen Kollaps im Falle einer Universalierung des westlichen Lebensstandards. Philosophisch läßt sich weiterhin ein "ethisches Vakuum" aufgrund neuer Dimensionen menschlichen Handelns (Jonas) bzw. ein "Prometheisches Gefälle" (Anders, vgl. Kap. 6.2) zwischen der menschlichen Herstellungs- und Vorstellungskraft konstatieren. Die Ursachen der ökologischen Krise sieht von Hösle sowohl in einem eklatanten Mißverhältnis zwischen Macht und Weisheit im Verhältnis von Mensch und Natur, die in einer "kollektiven Unmoral der Umweltzerstörung" zum Ausdruck komme, als auch in der Deontologisierung der Natur in den modernen Naturwissenschaften und in einem Leib-Seele-Dualismus begründet. Richtungsweisende philosophische Anstöße für die beiden letztgenannten Tendenzen gaben u.a. Bacon und Descartes. Maurer macht mit Platon die schon in der Antike beklagte menschliche Tendenz zur "Pleonexia" (Immer-mehr-haben-wollen) - in seiner modernen Form als "american way of life" - verantwortlich, die sich anbahnt, globalen Einzug zu erhalten. Als Therapie schlägt von Hösle auf abstrakter Ebene eine neue Metaphysik vor, eine neue Naturphilosophie, die der Natur eine eigenständige Würde zugesteht. Jonas fordert in seiner nicht-anthropozentrischen Ethik ein sittliches Eigenrecht der Natur, potentiell mit einer Wiederbelebung des Heiligen. Die Vision einer Versöhnung des Menschen mit der Natur geht einher mit einem Paradigmenwechsel von der Ökonomie zur Ökologie. Zur praktischen Umsetzung werden eine Reihe politischer Vorschläge (Umweltsteuern, Umweltaußenpolitik und ökologischer Marshallplan u.a.) gemacht und die Verantwortung seitens der Philosophie ausgeweitet - bis hin zur Weitergabe neuer Werte speziell an die Führungskräfte und Jugend der Gesellschaft. Schließlich wird die Nutzung des menschlichen Egoismus und die Einwirkung auf die Motivation der Menschen durch gesellschaftliche Meinungsbildner befürwortet. Dies alles kann als demokratische Variante bezeichnet werden, wie auch das Nachdenken von Jonas (1979, S.55), platonische Ideen ins demokratische System zu integrieren (vgl. im Gegensatz dazu die Diskussion um eine "Ökodiktatur", z.B. Greenpeace-Magazin 1/93: "Mit Gewalt die Erde retten?").

 

Schließlich diagnostiziert Drewermann aus theologischer Perspektive einen Krieg gegen die Natur seitens des Menschen und eine Zunahme der realexistierenden Probleme (genannt wird vor allem das Bevölkerungswachstum), prognostiziert wird eine ökologische Katastrophe ("tödlicher Fortschritt") bei Ausbleiben eines radikalen Bewußtseinswandels. Die Hauptursache der Umweltzerstörung wird im christlich-europäisch geprägten, rigorosen und schrankenlosen Anthropozentrismus gesehen, in der Überzeugung, daß die Geschichte nur im menschlichen Fortschritt ihren Sinn habe. Nach Drewermann werde in der Zerstörung der Natur durch die abendländische Technologie die innere Verwüstung des Menschen nach außen verlegt. Aus analytischer Sicht wird weiterhin die einseitige Ausrichtung auf zweckrationale Kräfte, verbunden mit der Leugnung oder Pathologisierung unbewußter Antriebe, als zusätzliche Komponente ins Feld geführt. Als Lösungsmöglichkeiten der ökologischen Krise nennt Drewermann einerseits die Überwindung des jüdisch-christlichen Anthropozentrismus und damit einhergehend eine Änderung des religiösen Bewußtseins in der Einstellung zur Natur nach dem Vorbild der Ehrfurchtsethik von Albert Schweitzer, andererseits die Änderung der Verhaltensweisen des Menschen im Umgang mit seinen beiden großen Trieben Aggression (Krieg) und Sexualität (Überbevölkerung). Im Gegensatz zu den vorgenannten Maßnahmen, die nur langfristig denkbar sind, kann der letzte Therapievorschlag sofort umgesetzt werden: das Schützen der Reste einer intakten Natur vor dem weiteren Zugriff des Menschen.

 

 

Kritische Würdigung

Tschumi präsentiert eine in sich geschlossene Globalanalyse, verbunden mit einer interdiziplinären und ganzheitlichen Betrachtungsweise, die auch natürliche Gestzmäßigkeiten miteinbezieht (die Ökologie ist dabei in negativer Weise normativ, indem sie uns sagt, was alles passiert, wenn ökologische Gleichgewichte gestört werden), delegiert aber letztlich die Verantwortung an die "Hüter der Ethik".

 

Wicke konzentriert sich im Gegensatz zu Tschumi mehr auf die Therapie und nicht so sehr auf die Analyse der ökologischen Krise, in dem er zwar konkrete originelle Lösungsvorschläge wirtschaftlicher und politischer Natur vorträgt (ökologische Schadensbilanzen und "Marshallplan"), durch seine einseitige Ausrichtung auf den Kostenaspekt allerdings viele Fragen offenläßt. Neben der von ihm selbst genannten Ausklammerung psychosozialer Kosten sei nur auf das Problem hingewiesen, daß gegenwärtig das oberste Ziel der Gewinnmaximierung in einem marktwirtschaftschaftlichen System gerade dadurch am besten erreicht wird, indem keine Rücksicht auf die Natur genommen wird.

 

Luhmann liefert im Rahmen seiner Systemtheorie eine multidisziplinäre Vogelperspektive und zeigt auf, warum alle Bemühungen zur Lösung der ökologischen Krise grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind (aufgrund der Autopoiesis der Teilsysteme, die weder untereinander, geschweige denn mit der Umwelt als nichtintegriertes System kommunizieren können). Einerseits handelt es sich hierbei um eine provokative Theorie, deren Faszination man sich kaum entziehen kann, andererseits aber auch um einen deterministischen Ansatz, mit dem eine Mitarbeit im interdisziplinären Forschungs-verbund praktisch verweigert wird, noch dazu verbunden unter selbstgefälliger Erhebung der Soziologie ("Aufklärung").

 

De Haan stellt eine Verknüpfung ökopädagogischer Überlegungen mit aktuellen globalen politischen Konzepten her und beschwört die Vision einer nachhaltigen Entwicklung, wobei er sich tendentiell der Gefahr einer Überschätzung der Möglichkeiten von Umweltbildung aussetzt.

 

Roszak überrascht mit einer alternativen, unakademischen Sichtweise. Rational nachvollziehbare Argumentationsebenen werden bisweilen bewußt verlassen und eine Reihe von "Öko-Neologismen" (Ich, Intelligenz, Interdependenz, Unbewußtes, Vernunft und Weisheit) in die ökologische Begriffsbildung eingeführt, womit er sich nicht nur dem Vorwurf aussetzt, unmodern und unzeitgemäß zu sein, sondern manchmal auch den Eindruck einer Heilslehre erweckt.

 

Von Hösle versucht nicht nur tiefsitzende Voraussetzungen der Moderne - insbesondere im Dualismus - als Ursachen der Umweltzerstörung aufzuzeigen (er beruft sich dabei auch auf Jonas), sondern entwickelt aufbauend auf seinem Plädoyer für eine neue Metaphysik und für die Ökologie als Paradigma des 21. Jahrhunderts einige praktische politische Vorschläge, die auf eine Ökologisierung der Gesellschaft mit einer Aufwertung der Philosophie als normgebende Instanz hinauslaufen, wobei man wie schon bei de Haan auch bei von Hösle ein dogmatisch aufgeladenes Selbstverständnis der eigenen Disziplin kritisieren könnte.

 

Drewermann schließlich identifiziert in einer aus theologischer Sicht sehr selbstkritischen Analyse den vor allem auf das Christentum zurückgehenden Anthropozentrismus als Hauptursache der ökologischen Krise, bleibt aber in seinem Postulat einer fundamentalen Änderung des religiösen Bewußtseins auf einer eher abstrakten Ebene und somit weitgehend ohne Nennung direkter therapeutischer Maßnahmen (eine Ausnahme bildet der Vorschlag, die letzten Reste einer intakten Natur vor dem Menschen zu schützen).

 

Bilanz

Nun ist es natürlich angesichts der Komplexität des Themas nicht allzu schwer, die vorgestellten Ansätze zu kritisieren. Dies kann nicht der alleinige Sinn der Untersuchung sein. Vielmehr erscheint es lohnenswert, nach gemeinsamen Strukturen zu suchen, um somit wenigstens theoretisch einen interdisziplinären Diskurs zu ermöglichen, der in der Realität in dieser Form meistens nicht stattfindet. Die Gründe dafür mögen sehr vielfältig sein - über den "Jahrmarkt der Eitelkeiten" hinaus gibt es sicherlich auch einige inhaltliche Widersprüche, die manchmal unüberwindbar anmuten, wie wir bei Luhmann gesehen haben. Auf den ersten Blick finden sich jedoch allein schon rein sprachlich gesehen sofort einige auffällige Parallelen.

 

Auf diagnostischer und prognostischer Ebene sind sich alle Autoren über die Gegenwart der ökologischen Krise bzw. die große Gefahr zukünftiger ökologischer Katastrophen einig. Die Diagnose lautet "Kampf" (de Haan) und "Krieg" (Drewermann) gegen die Natur bzw. "Mißachtung und Mißhandlung" (Roszak) der Natur, verbunden mit einer "gravierenden Bedrohung der Menschheit" (Wicke) bzw. "Gefährdung der gesamten Biosphäre" (Tschumi). Die Prognose läuft auf einen "Zusammenbruch der menschlichen Population" (Tschumi), auf eine "Eliminierung von Systemen" (Luhmann), auf eine "faktische Zerstörung des Planeten" mit "gigantischen Erblasten" kommender Generationen (de Haan), auf "ökologische Katastrophen" (Drewermann) bzw. auf einen "vollständigen ökologischen Kollaps" hinaus. Wir unterlassen an dieser Stelle eine Spekulation, welcher Autor aufgrund welcher Formulierung den Status Quo am meisten drastisch beschreibt.

 

Der Ausgangspunkt der Analyse ist also grundsätzlich sehr ähnlich. Was die Ursachen der Umweltzerstörung angeht, so ergibt sich ein differenzierteres Bild, das aber als Ganzes auch eher eine Einheit darstellt als eine Ansammlung von widersprüchlichen Entitäten. Die Ursachen werden auf gegenwärtige weltpolitische Entwicklungen, auf historisch soziale Prozesse und auf anthropologische Gegenheiten zurückgeführt. Die folgende Auflistung spiegelt die Vielfalt der Erklärungen wider, sie sollte aber nicht über die Abhängigkeit der einzelnen Ansätze voneinander hinwegtäuschen, wie sie meist doch zum Ausdruck kommt: Diskrepanz zwischen politischer Ankündigung und politischem Willen sowie Opposition der Wirtschaft (Wicke), Bevölkerungswachstum, Technologie-entwicklung und Wirtschaftswachstumsordnung (Tschumi), systemimmanente inadäquate Resonanz der Gesellschaft (Luhmann), auf Maximen von Konsum und Egoismus basierende Wertvorstellungen der Gesellschaft (de Haan), Entwarnungsrhetorik und mangelndes Ernstfallbewußtsein (Sloterdijk), mangelndes Verantwortungsbewußtsein (Tschumi), kollektive Unmoral als Nach-mir-die-Sinftflut-Haltung (von Hösle), ethisches Vakuum (Jonas), Ameican-way-of-life bzw. Plenoxia (Maurer bzw. Platon) und Prometheisches Gefälle (Anders), Entfremdung des modernen, westlichen Menschen von der Natur (Roszak), Deontologisierung der Natur in den modernen Naturwissenschaften bzw. Dualismus (von Hösle), Anthropozentrismus und innere Verwüstung des Menschen mit zweckrationaler Einseitigkeit und Unterdrückung unbewußter Antriebe (Drewermann), sowie schließlich auf anthropologischer Ebnene die mangelhaften menschlichen Überlebensinstinkte (Roszak) bzw. die menschliche Natur des homo oeconomicus (Wicke). Die Aufzählung ließe sich sicherlich noch vervollkommnen.

 

Am meisten gehen die Meinungen bei der Frage nach den Auswegen aus der ökologischen Krise auseinander. Doch auch hier zeigt eine Zusammenfassung aller Ansätze teilweise erstaunliche Ähnlichkeiten und nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, ein bloßes Konglomerat ohne jegliche Zusammenhänge. Die Zusammenstellung der Therapievorschläge erfolgt in ihrer Reihenfolge weitgehend nach dem Abstraktionsgrad der einzelnen Beiträge, beginnend mit den im Sinne einer direkten Umsetzbarkeit konkretesten Vorschlägen: Schützen der Reste der intakten Natur (Drewermann), Ökologisierung der Politik, z.B. Umweltsteuern (von Hösle), Ökologisierung der Wirtschaft, z.B. Aufstellung ökologischer Schadensbilanzen mit dem Ziel eines grünen Wirtschaftswunders (Wicke), Grundsätzliches Umdenken und Ökologisierung der Umweltbildung, einhergehend mit einer Wissenschafts- und Technikkritik, mit dem Ziel einer grünen Bildungswende (de Haan), Ökologisches Denken auf allen Gebieten, verbunden mit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise und Interdisziplinarität in den Wissenschaften, Selbstanalyse der Wissenschaften und Ausweitung der ökologischen Kommunikation durch das Erziehungssystem (Luhmann), Erziehung und Schulung der Kinder zur Änderung der Individualethik (Tschumi), insbesondere Ausbildung von Führungskräften und der Jugend (von Hösle), Nutzung des menschlichen Egoismus als Motivationsfaktor von Verhaltensveränderungen (von Hösle und Wicke), Umlenkung des zügellosen Konsums (Roszak), strikte Befolgung des Kreislaufprinzips (Tschumi), Reduzierung des Ressourcenverbrauchs, der Emmissionen und des Bevölkerungswachstums (Luhmann), "Ökologischer Marshallplan" als international gemeinsame Aktion (von Hösle und Wicke), Paradigmenwechsel von der Ökonomie zur Ökologie (von Hösle und Roszak) bzw. Orientierung am Paradigma der nachhaltigen Entwicklung (de Haan), grundlegende Infragestellung der wissenschaftlichen Rationalität und des industriellen Lebens sowie Aktivierung des kollektiven unbewußten Gewissens hin zum ökologischen Ich, verbunden mit einer Renaissance des Animismus und der Wiederbelebung eines biozentrischen Weltbildes (Roszak), allgemeine Wiederbelebung des Heiligen (Jonas), Erarbeitung neuer Werte durch die Philosophie (von Hösle) bzw. eines neues Menschenbildes mit einer religiösen Neubesinnung des Menschen (Drewermann). Alles in allem ist die Phantasie der einzelnen Wissenschaftler wirklich beachtlich, sodaß man angesichts der utopisch anmutenden Ideen fast aller Ansätze fast schon geneigt ist, die Ernsthaftigkeit der Interventionsvorschläge in Zweifel zu ziehen. In der Tat scheint die Umsetzung der Maßnahmen die alles entscheidene Frage zur Lösung der ökologischen Krise zu sein: Wie können fast sich sechs Milliarden Menschen im Sinne obiger Anleitung selbst therapieren?

 

Natürlich kann auch die vorliegende Arbeit darauf keine Antwort geben. Aber sie kann Schlüsse ziehen aus der Quintessenz der vorangegangenen Ausführungen - vorausgesetzt man teilt die von Jänicke u.a. (1995) in der Einleitung dieses Abschnitts (Kap. 2.1) vertretene Auffassung, daß es einer ihrer Verwantwortung bewußten Wissenschaft obliegt, in einem breiten interdisziplinären Diskurs Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Wir teilen dieses Plädoyer allein schon deshalb, weil Wissenschaft in ihrer Entwicklung nicht unwesentlich selbst zur Entstehung der Menschheitskrise beigetragen hat, wie die meisten der diskutierten Ansätze auch eingestehen. Wissenschaft steht nicht außerhalb des Systems, sondern ist selbst auch ein Teil der ökologischen Krise: Wenn sie für die Ursachen der Umweltzerstörung mitverantwortlich ist, so kommt sie um die Suche nach Auswegen aus dieser Krise - letztendlich aus Selbstschutz - nicht herum. Weiter stimmen wir von Hösle zu, der von der Philosophie her eine Verdrängung ökologischer Katastrophen ablehnt mit der Begründung, daß sich Wissenschaft stets der Wahrheit verpflichtet fühlt.

 

Wie Michelsen (1990) feststellt, werden Wissenschaft und Forschung durch das Problem der Umweltzerstörung in starkem Maße tangiert: "Die heutige Aufgabe von Wissenschaft und Forschung besteht paradoxerweise darin, Probleme lösen zu wollen und auch zu müssen, welche möglicherweise ohne Wissenschaft und deren Anwendung wohl kaum vorhanden wären" (1990, S.12). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung beschränkt sich allerdings häufig auf den Umgang mit den Folgewirkungen und verzichtet darauf, bei den Ursachen der Umweltzerstörung anzusetzen. Eine Überwindung dieser zerstörerischen Entwicklung setzt jedoch auch ein verändertes Wissenschaftsverständnis voraus, das die strikte Trennung von Geistes- und Naturwissenschaft aufhebt und Verantwortung als eine gemeinsame Aufgabe betrachtet. Weiterhin haben sich Wissenschaft und Forschung zu vergegenwärtigen, "daß die Öffentlichkeit nicht dazu da ist, um die Wissenschaft um ihrer Selbstwillen zu finanzieren, sondern daß Wissenschaftler und angehende Wissenschaftler vor allem auch dafür bezahlt werden, dem Gemeinwohl zu dienen, Gemeinwohl im Sinne des öffentlichen Interesses, in dessen Zentrum die Erhaltung der Lebensgrundlagen steht" (1990, S.14).

 

Schlußfolgerungen

Wie läßt sich nun die Botschaft der Analyse zur ökologischen Krise in den Wissenschaften in aller Kürze zusammenfassen? Die Antwort auf die erste Frage fiel in bemerkenswerter Eintracht aus: Die Menschheit befindet sich in einer in dieser Form einmaligen Krisensituation (Diagnose) und ist auf dem besten Wege, in einer Katastrophe zu enden (Prognose).

 

Die daran anschließende zweite Frage, wie und warum es dazu kommen konnte (Analyse), findet eine differenziertere Antwort: Offenbar lehrt uns die Geschichte kulturelle (und möglicherweise auch anthropologische) Weichenstellungen. Zu den wohl wichtigsten Weichenstellungen gehören der Anthropozentrismus, der dazu führt, den Menschen als Maß aller Dinge zu betrachten, und der Dualismus, der zur Entfremdung des Menschen von seiner eigenen und der ihn umgebenden Natur geführt hat. Galt in der Antike noch der gesamte Kosmos als Umwelt, definieren heutzutage die einzelnen Systeme ihre Grenzen selbst. Wurde die Naturbeherrschung früher per Religion legitimiert, ersetzt nach Wegfall des tranzendenten Bezugspunktes die moderne Gesellschaft die "Leerformeln" Mensch und Gott und macht die heutige wissenschaftlich-technische Naturbeherrschung zu einem Kollektivunternehmen der Menschheit. Zu den wichtigsten Belastungsfaktoren der Erde zählen das Bevölkerungswachstum der Entwicklungsländer und das Anspruchswachstum der Industrienationen. In diesem Zusammenhang vertritt z.B. Saeger (1993, S.19) die Auffassung, die globale Umweltkrise sei "weniger eine Folge des Bevölkerungswachstums als eine Folge des unersättlichen Rohstoffhungers der Industriegesellschaften und ihrer Prioritäten". Wie dem auch sei, für das Gesamtsystem ist es am schlimmsten, wenn beide Faktoren zusammenkommen. Ebendies scheint heute der Fall zu sein.

 

Die dritte Frage schließlich nach den potentiellen Auswegen aus der ökologischen Krise (Therapie) offenbart eine ebenso vielschichtige Antwort, vorausgesetzt, man hält eine positive Antwort überhaupt im Bereich des Möglichen (Luhmann teilt diesen Optimismus nicht und begründet dies mithilfe seiner Systemtheorie). Die Antwort kann im Sinne der Ursachenanalyse als zwei Seiten einer Medaille dargestellt werden. Sie umfaßt objektive und subjektive Gegebenheiten, äußere und innere Tatbestände: Auf der obenliegenden sichtbaren Ebene gilt es, alle Maßnahmen zu ergreifen, die dazu beitragen, den globalen suizidalen Trend zu stoppen. Orientierungshilfen zur Erkenntnis der notwendigen Handlungen können die Naturwissenschaften liefern, insbesondere die Ökologie als die Dachwissenschaft, die bei der Untersuchung von Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt objektive Wachstumsgrenzen normativ bestimmen kann. Aufgabe von Politik und Wirtschaft wäre es, diese biologisch-natürlichen Gesetzmäßigkeiten zur Kenntnis zu nehmen, um die Erkenntnisse der Wissenschaften in die Praxis umzusetzen. Eine Möglichkeit auf internationaler Ebene wäre hierfür die Idee eines "Ökologischen Marshallplans".

Auf der anderen, unsichtbaren Seite der Medaille sind all diejenigen Voraussetzungen zu finden, die den subjektiven Faktor Mensch betreffen. Hierzu gehören all diejenigen über Jahrhunderte gewachsenen Grundeinstellungen, die die ökologische Krise zu einer kulturellen Krise gemacht haben. Sie betreffen das Bild, das wir vom Menschen und der Natur haben, unsere Einstellungen und Werte, unsere Ethik und wohl auch unsere "Religion". Nötig ist ein radikaler Bewußtseinswandel, ein Paradigmenwechsel, der auf eine Ökologisierung unserer gesamten Kultur hinausläuft. Ein Schlüsselbegriff wäre in diesem Zusammenhang z.B. die Vision einer nachhaltigen Entwicklung ("Sustainable Development"), die auch kommenden Generationen noch eine lebenswerte Umwelt hinterläßt. Zur Verwirklichung dieser kulturellen Revolution können v.a. die Geistes-, Human- und Sozialwissenschaften beitragen, wertvolle Orientierungshilfen könnten aus der Philosophie kommen (die Vogelperspektive ist ihr ja noch aus den Zeiten vertraut, in denen sie als Königsdisziplin galt).

 

Die vorliegende Arbeit versucht in diesem Rahmen auf der unteren Seite der Medaille anzusetzen. Wenn die Ursache der ökologischen Krise der Mensch selbst ist, in seinem massenhaften und expansiven Dasein, dann gilt es, nicht nur das Bevölkerungswachstum, sondern auch das Anspruchswachstum zu stoppen. Tschumi hat deutlich darauf hingewiesen, daß eine bloße Symptomtherapie nicht ausreicht, wenn gleichzeitig nicht auch die tiefer liegenden Ursachen angegangen werden. Diesen Ursachen liegen jedoch weltgeschichtliche Prämissen zugrunde. Wie die diversen Ansätze der einzelnen Wissenschaften exemplarisch gezeigt haben, lautet die grundlegende praktische Frage, auf die in diesem Zusammenhang eine Antwort erhofft und erwartet wird: Wie ist es möglich, die geistigen Voraussetzungen des Menschen zu verändern, um die drohende Katastrophe noch zu verhindern? Wie diese Frage im Rahmen dieser Arbeit konkretisiert wird, ist Gegenstand der weiteren Ausführungen. Schlüsselbegriff dabei ist das "Ökologische Gewissen". Der Gewissensbegriff scheint wissenschaftlich nicht ganz zeitgemäß zu sein, er bedarf daher zunächst einer gründlichen Analyse.

 

Summary 2

 

 

2. Die ökologische Krise, die auch ein Produkt der Wissenschaften ist, kann nur interdisziplinär angegangen werden (Kap. 2.1).

3. Der umweltbiologische Ansatz von Tschumi (1980) geht von einer Erschöpfung der Erdvorräte bereits in wenigen Jahrzehnten aus. Ursachen dieser Entwicklung werden vor allem im exponentiellen Wachstum der Erdbevölkerung gesehen. Empfohlen wird eine strikte Befolgung des biologischen Kreislaufprinzips (Kap. 2.2).

4. Der umweltökonomische Ansatz von Wicke (1986) diagnostiziert eine globale Umweltzerstörung, wofür menschliches Eigennutzstreben verantwortlich gemacht wird. Empfohlen wird die gemeinsame Aktion aller Staaten in Form eines ökologischen Marshallplans (Kap. 2.3).

5. Der umweltsoziologische Ansatz von Luhmann (1986) sieht in der Umweltzerstörung vor allem ein Kommunikationsproblem aufgrund der inadäquaten Resonanz an den Systemgrenzen und geht von der prinzipiellen Unlösbarkeit der ökologischen Krise aus (Kap. 2.4).

6. Der umweltpädagogische Ansatz von de Haan (1984) konstatiert eine aggressive Kampfhaltung gegenüber der Natur, die vor allem auf gesellschaftliche Wertvorstellungen zurückzuführen sei. Als leitendes Paradigma für die Zukunft wird das Konzept der Nach- haltigkeit empfohlen (Kap. 2.5).

7. Der umweltpsychologische Ansatz von Roszak (1994) macht die fundamentale moderne Naturendfremdung für die Mißhandlung der Natur verantwortlich. Empfohlen wird die Wiederbelebung eines biozentrischen Weltbildes und die Aktivierung eines kollektiven ökologischen Unbewußten (Kap. 2.6).

8. Der umweltphilosophische Ansatz, den von Hösle (1991) vertritt, prognostiziert einen ökologischen Kollaps im Falle der Globalisierung des westlichen Lebensstandards. Ursachen der Umweltzerstörung werden vor allem in einer Deontologisierung der Natur gesehen, empfohlen wird eine neue Naturphilosophie (Kap. 2.7).

9. Der umwelttheologische Ansatz von Drewermann (1992) sieht eine ökologische Katastrophe heraufziehen. Verantwortlich gemacht wird eine innere Verwüstung des Menschen. Es wird eine Änderung des christlich-jüdischen Antropozentrismus empfohlen (Kap. 2.8).

10. Die vorliegende Arbeit ist ein sozialwissenschaftlicher Versuch, auf die ökologische Krise zu reagieren (Kap. 2.9).

 

 

 

 

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