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7.  Amerikas globale Unterstützung

Roszak-2003 (bis Ende)

 

»Der Präsident sagte, er wolle sich die Bedingungen für den Krieg gegen den Terrorismus nicht von anderen Ländern diktieren lassen. - <Es kann sein>, sagte er, <dass wir irgendwann als Einzige übrig bleiben. Ich habe nichts dagegen. Wir sind Amerika.>« 

Bob Woodward  in "Bush at War" / "Amerika im Krieg"

»Es wird Zeit, dass wir aufhören, uns einzureden, Europäer und Amerikaner hätten eine gemeinsame Sicht der Welt oder lebten auch nur gemeinsam in einer Welt [...] In wichtigen strategischen und internationalen Fragen von heute sind die Amerikaner vom Mars, die Europäer aber von der Venus: Sie finden wenig Übereinstimmung und verstehen einander immer weniger. Und das ist kein vorübergehender Zustand — etwa das Ergebnis einer bestimmten Wahl­ent­scheidung der Amerikaner oder einer Katastrophe. Die Gründe für die transatlantische Kluft sind tief gehend. Sie haben sich über lange Zeit entwickelt und werden daher wohl weiter bestehen. Wenn es um nationale Prioritäten, internationale Bedrohungen, Herausforderungen oder die Gestaltung der Außen- und Sicher­heitspolitik geht, beschreiten die Vereinigten Staaten und Europa getrennte Wege.«

Robert Kagan, <Power and Weakness> in <Policy Review, Juni 2003> —   wikipedia  Robert_Kagan  *1958 in Athen

 

 Triumphalismus ohne Grenzen 

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Als sich die Besatzung des Irak mehr und mehr zum Guerillakrieg entwickelte, erhoben sich im Kongress und in den Medien immer mehr Stimmen, die ihre Zweifel hinsichtlich der langfristigen Absicherung des amerikanischen Imperiums anmeldeten. Führt man sich vor Augen, wie dick die Schicht kalkuliert patriotischer Anmaßung war, die als Deckmantel für diese zynische und brutale Politik herhalten musste, ist es ohnehin verwunderlich, dass es noch kritische Stimmen in diesem Land gibt.

Die Zweifel derer, die den Aufstieg des Imperiums kritisieren, sind durchaus berechtigt, auch wenn sie an der Oberfläche stehen bleiben. Sie beschränken sich darauf, dass sogar dem Militärpotenzial einer Supermacht Grenzen gesetzt sind. Auch sie kann sich nicht alles erlauben. Wo aber liegen diese Grenzen? Ich hege den Verdacht, dass wir noch nicht annähernd überblicken, wie weit die Triumphalisten beim Aufbau ihrer neuen Weltordnung zu gehen bereit sind.

Würde die amerikanische Außenpolitik pragmatische und rationale Ziele verfolgen, würde sie auf vertretbaren Einschätzungen der Erfordernisse nationaler Sicherheit beruhen, dann hätten sich die amerikanischen Truppen nach dem internationalen Einsatz in Afghanistan vermutlich zurückgezogen. Afghanistan, ein raues Land, das weitgehend von Stammes­herrschern regiert wird, wurde von Al Qaida als Operationsbasis für Terrorakte missbraucht, da diese in den Taliban eine Regierung gefunden hatte, die bereit war, ihre Aktivitäten zu decken. Afghanistan in ein geeintes, wohlhabendes und einigermaßen demokratisches Land zu verwandeln (was wohl mehrere Jahre gedauert hätte), wäre nach dem 11. September eine durchaus glaubwürdige Strategie gewesen.

Aber eben das geschah nicht. Für die Triumphalisten war Afghanistan nur ein leidiges Intermezzo, das viel Ärger verursachte und wenig einbrachte. Afghanistan zu besetzen ist nahezu unmöglich und bietet in wirtschaftlicher und strategischer Hinsicht wenig Vorteile. Außer Opium gibt es dort nichts — ein ziemlich riskantes Geschäft. Also reduzierten die Vereinigten Staaten ihren finanziellen Beitrag zum Aufbau Afghanistans durch die Vereinten Nationen und richteten ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf den Irak. An diesem Punkt wurde — vor allem, als die Besetzung des Irak sich als einziger Schlamassel erwies — die Möglichkeit, dass Amerika sich übernommen hat, plötzlich beunruhigende Realität. Auch wenn das die Triumphalisten vermutlich nicht so sehen. Denn diese haben schließlich, was sie wollten.

Frischen wir doch kurz unser Gedächtnis auf: Die Triumphalisten sind ideologische Dogmatiker. Und beim Dogma geht es nun mal um alles oder nichts. Es kennt keine Grenzen, das ist sowohl seine Stärke als auch seine Schwäche. 

Daher nehme ich an, dass die Triumphalisten Mittel und Wege finden werden, um die Probleme unter den Teppich zu kehren. Welche Probleme? Nun, hier einige Beispiele:

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1. Ist das amerikanische Militär überfordert? 

In gewisser Weise ja. Daher müssen die Triumphalisten bei allem Eifer vorsichtig vorgehen. Möglicherweise müssen sie ihr Licht eine Zeit lang unter den Scheffel stellen und ihre Ziele weniger offen verfolgen. Denn auch die militärischen Kräfte der Vereinigten Staaten könnten sich als nicht ausreichend erweisen. Oder hätten die USA genügend Truppen, um eine weitere Front im Kampf gegen den Terrorismus zu eröffnen? Vermutlich nicht. In dieser Hinsicht haben die Ziele der Triumphalisten sich bereits als zu hoch gesteckt erwiesen. Solange der Widerstand in Afghanistan und im Irak gering war, mögen sie mit dem Gedanken gespielt haben, als nächstes Syrien, den Iran oder Nordkorea zu besetzen. Zumindest hat das Verteidigungsministerium damit gedroht. 2002 hieß es noch, wenn die Studentenproteste im Iran sich verstärkten, würden vielleicht vom Irak aus amerikanische Truppen entsandt, um den Regimewechsel voranzutreiben.

Diese Ambitionen wurden offenkundig auf Eis gelegt. Ohnehin gibt die Regierung sich im Wahljahr 2004 friedliebender und weniger schroff. Sie zeigt wieder Bereitschaft, ihren Einfluss mit den Mitteln der Diplomatie über die Vereinten Nationen auszuüben.

Strategiewechsel wie diesen werden wir von den Triumphalisten noch öfter zu sehen bekommen.

Es wird immer wieder Zeiten geben, in denen die Triumphalisten ihre militärische Drohgebärde zurücknehmen und die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit erkennen lassen. Vor allem in Wahljahren dürfte dies zur gängigen Taktik werden. Vergessen wir nicht, dass das Imperium noch in den Kinderschuhen steckt.

Die amerikanische Öffentlichkeit ist an diese Rolle noch nicht gewöhnt. Soweit es darum geht, die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen, befinden sich die Triumphalisten noch in der Testphase.

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Wenn die US-Streitkräfte nach Afghanistan und dem Irak kein neues Land besetzen, wird man andere Wege finden, um die militärische Stärke der Nation weiter auszubauen. Es werden mehr Männer und Frauen zur Armee gehen, weil man mehr Militärstützpunkte bauen wird. Man wird die Kopfzahl der Spezialeinheiten ausweiten und in die Feuerkraft des Landes investieren. Diese Ziele sind nicht von heute auf morgen zu erreichen. Schließlich muss die Propaganda erst noch die nötige Vorarbeit leisten, um Präventivkriege für jedermann akzeptabel zu machen. Dazu müssen die Ängste der Bevölkerung so weit geschürt werden, dass die Tendenz zum Konsens steigt.

Meiner Ansicht nach werden wir in den kommenden Jahren einen steten Stimmungswechsel in der triumphalistischen Geopolitik erleben: Zeiten des Stillhaltens und der internationalen Zusammenarbeit werden sich abwechseln mit Phasen erhöhter Kriegsbereitschaft, vermutlich ausgelöst durch Probleme der nationalen Sicherheit. Die Amerikaner sind auf diesen Rhythmus bereits eingeschworen. Das <Department of Home Security> lässt mittlerweile einmal pro Woche verlautbaren, es gebe Gerüchte, denen zufolge Al-Qaida bald wieder zuschlagen werde. Dementsprechend verkündet der Präsident die passende Alarmstufe: Gelb, Orange oder Rot. Die polizeiliche Überwachung wurde verstärkt. Städte und Bundesstaaten sollen Geld für weitere Sicherheitsmaßnahmen bereitstellen. Auch die Fluglinien werden ihren Gästen gegenüber immer restriktiver. All das zeigt, dass der Krieg gegen den Terrorismus an der Heimatfront weitergeht. Der Feind schläft nicht.

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Sobald dieses Gefühl der ständigen Bedrohung erst einmal fest in den Bürgern verankert ist, müssen die Triumphalisten nicht mehr viel tun, wenn sie mehr Mittel für Truppen und Waffen haben möchten. Es genügt, auf ein einigermaßen überzeugendes Ereignis zu warten: eine bombardierte Botschaft, ein abgeschossenes Flugzeug, eine terroristische Vereinigung auf amerikanischem Boden, Gerüchte über feindselige Pläne von Seiten einer Nation, die angeblich über Massen­vernichtungs­waffen verfügt, und schon gibt es Truppenbewegungen oder gezielte Bombenangriffe. Im Irak hat es funktioniert, wieso also nicht auch anderswo? Nordkorea hat sogar offen zugegeben, Nuklearwaffen zu besitzen.

An einem bestimmten Punkt mag die Militärmacht der Vereinigten Staaten überfordert sein, doch wenn die amerikanische Öffentlichkeit erst einmal auf die Grundsätze der triumphalistischen Politik eingeschworen ist — dass den USA ein Angriff droht; dass es ihr gutes Recht ist, sich zu verteidigen; dass die Amerikaner der Welt die Segnungen der Demokratie und des freien Marktes bringen —, werden die triumphalistischen Strategen nach Belieben schalten und walten können.

Dann müssen die Verantwortlichen nur noch auf den Druck der Ereignisse reagieren und einigermaßen schnell sein. Eine eilige Unterbrechung der Nachrichten­sendungen, das grimmige Gesicht eines wichtigen Politikers, eine dramatische Enthüllung, die auf angeblich verlässlichen Informationen beruht — mehr wird dann nicht mehr nötig sein, um die Bevölkerung zu überzeugen. Und die Medien werden dem Präsidenten applaudieren, weil er so schnell und entschlossen reagiert hat. Dieser Präsident kann auch aus der Demokratischen Partei kommen. Das ist nicht weiter wichtig. Kein Präsident wird es sich in Zukunft leisten können, weniger schnell zu reagieren als George W. Bush.

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2.  Können die Vereinigten Staaten sich dieses Imperium überhaupt leisten ? 

Wer glaubt, die USA könnten sich die Politik der vorbeugenden Kriege nicht leisten, hat gleichzeitig Recht und Unrecht. Sie haben Recht, weil das Land sich Militärausgaben, wie die Bush-Regierung sie tätigt, mit Sicherheit nicht leisten kann — wenn nicht die amerikanische Bevölkerung bereit ist, jede Form der Innenpolitik dem Krieg gegen den Terrorismus zu opfern. Doch sobald die Öffentlichkeit von dessen Notwendigkeit überzeugt ist, wird sie bereit sein, das Imperium mit noch viel höheren Beträgen zu stützen.

Denn die Vereinigten Staaten sind tatsächlich ein sehr reiches Land. Man muss sich nur einmal klar machen, dass die Kriege im Irak und in Afghanistan sehr viel weniger gekostet haben als der Zweite Weltkrieg. Auch die Verluste an Soldaten sind nicht annähernd vergleichbar. Wenn wir den Zweiten Weltkrieg als Vergleichsmaßstab nehmen, dann können die Vereinigten Staaten sich noch sehr viel mehr Kriege leisten. Und es kann durchaus so weit kommen. Genauer gesagt ist es eben das, was die Triumphalisten wollen.

Wir sollten nicht vergessen, dass sich im Triumphalismus die innenpolitischen Ziele der Hyperkonservativen widerspiegeln. Diese versuchen, jede Andeutung von Sozialstaat im Keim zu ersticken, indem sie sämtlichen sozialpolitischen Maßnahmen den Geldhahn zudrehen. Im Hinblick auf derart liberale Projekte verfolgen sie eine Politik der verbrannten Erde. Sie wollen den öffentlichen Sektor auf ein absolutes Minimum reduzieren. Und ihre wichtigste Waffe in diesem Kampf ist das Haushaltsdefizit, das sie nötigenfalls bis zum allfälligen Bankrott erhöhen werden. Ihrer Ansicht nach kann es nur gut sein, wenn das Defizit so ansteigt, dass ein fiskalpolitisches Fiasko bevorsteht. Dann nämlich kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die liberale Sozialpolitik der nationalen Sicherheit schadet. Sozialversicherungen und Gesundheitsversorgung werden »unpatriotisch« und müssen dem Kampf gegen den Terror geopfert werden. 

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Diese verdeckte Strategie wird in den USA mittlerweile täglich neu geprobt. 2002 warfen seine Kritiker George W. Bush vor, er verheimliche die wahren Kosten des Kriegs gegen den Irak. Bis Bush sich 2003 dieser Herausforderung mutig stellte. Er bat den Kongress um 87 Milliarden Dollar für den Krieg im Irak. Diese Zahl klang umso dramatischer, als Bush bereits eine Menge ausgegeben hatte. Außerdem wusste jeder, dass dies keineswegs das letzte Mal sein würde, dass der Präsident um Geld für den Irak bat. Trotzdem bewilligte der Kongress die Summe einstimmig. Weder im Kongress noch in der Öffentlichkeit erhoben sich kritische Stimmen. Sogar die Demokraten, die sich gegen diesen Krieg ausgesprochen hatten, waren der Auffassung, man könne die amerikanische Armee dort nicht ohne finanzielle Mittel lassen. Man konnte den Wiederaufbau des Irak nicht auf halbem Wege aufgeben, nicht wahr?

Den 87 Milliarden, die George W. Bush 2003 vom Kongress für den Irakkrieg forderte, waren bereits einige Milliarden für Steuersenkungen vorangegangen, die den Staatssäckel bereits deutlich schmäler hatten werden lassen. Darüber hinaus befand sich Amerika mitten in einer anhaltenden Rezession. Zu jener Zeit fehlte es an allen Ecken und Enden an Geld: in den Schulen, bei der Polizei, den Gesundheitsbehörden und Kommunen. Aber das zählte nicht.

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Sowohl die Steuersenkungen als auch die 87 Milliarden für den Irak wurden bewilligt. Im Jahr darauf verkündete der Präsident bedauernd, dass wegen des hohen Haushaltsdefizites viele sozialpolitische Maßnahmen gestrichen oder reduziert werden müssten. Der Kongress stimmte zu. Wenn das amerikanische Volk glaubt, sich so etwas mitten in der Rezession leisten zu können, wie viel, glauben Sie, wird es auszugeben bereit sein, wenn die Wirtschaft wieder boomt?

Haushaltspolitische Manöver wie dieses werden sich häufen. Zweifelsohne wird es kritische Situationen am laufenden Band geben, und ein Sozialprogramm nach dem anderen wird unter dem Schuldenberg begraben werden. Sogar erzkonservative Organisationen wie die American Conservative Union oder die Heritage Foundation heulten 2004 auf, weil die Bush-Regierung derartig ungebremst den Geldhahn aufdrehte. Im Kongress schickten einzelne republikanische Abgeordnete eine Petition ans Weiße Haus mit der Bitte, die Regierung möge doch das Defizit im Rahmen halten. Vielleicht bangten sie um ihr Image in der Öffentlichkeit. Denn ganz sicher wissen auch sie, dass ein erdrückendes Haushaltsdefizit genau das ist, was die Triumphalisten wollen. Sie konditionieren die amerikanische Öffentlichkeit wie die sprichwörtlichen pawlowschen Hunde.

Die richtige Antwort lautet in diesem Fall: Alles für den Krieg gegen den Terrorismus und keinen Cent für Sozialpolitik. Diese Konditionierung wird von den besten Marketing- und Werbeexperten auf dem Markt vorgenommen. Dieselben, die sich auch um die politischen Kampagnen kümmern. Haben diese Manöver Erfolg, dann ist die Öffentlichkeit am Ende davon überzeugt, dass Sozialprogramme abgeschafft (oder besser noch: privatisiert) werden müssen, damit die Regierung all ihre Ressourcen für ihr wichtigstes Ziel einsetzen kann.

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3.  Wird die Moral der amerikanischen Truppen nicht unter den zahlreichen Kriegen zusammenbrechen ?

Einige Berichte sprechen von Unzufriedenheit der amerikanischen Soldaten im Irak. Es gibt dort auch eine hohe, wenn auch unspezifische Selbstmordrate. In den Radionachrichten sprachen einmal ein paar Soldaten aus, was sie wirklich dachten. Einer davon machte sogar einige giftige Bemerkungen über Verteidigungs­minister Donald Rumsfeld. Natürlich verhängte das Militär daraufhin Sanktionen gegen diese Soldaten und verlängerte ihre Dienstzeit.

Vor allem die Soldaten der Reserve äußern sich freimütig über die Länge ihres Dienstes. Die 200.000 Männer und Frauen der Reserve passen wohl am besten in das ursprünglich in den Vereinigten Staaten angestrebte Bild vom »Bürger in Uniform«. Sie erhalten einen geringen Sold dafür, dass sie sich ein Wochenende pro Monat militärisch ausbilden lassen. Vermutlich erwarteten nur wenige dieser Freiwilligen, dass sie je eingesetzt würden. Doch im Zuge des Kriegs gegen den Terror tun mittlerweile 65.000 Reservisten Dienst. Einige von ihnen wurden schon mehrfach für längere Zeit zum Militärdienst herangezogen. Solch eine Dienstzeit kann bis zu einem Jahr dauern. Das bedeutet, dass die Reservisten ihre Arbeit aufgeben müssen. Ihre Familien sind daher häufig von Armut bedroht. Viele Radio- und Fernsehmagazine haben wiederholt über solche Schicksale berichtet. 

Es sind meist die Familien der Reservisten, die sich über diese himmelschreiende Ungerechtigkeit beklagen.

Hält diese Entwicklung an, dann wird darunter die Moral der Truppen sowie der Daheimgebliebenen ganz sicher leiden. Vor allem, wenn das Fernsehen, wie es häufig vorkommt, vorzugsweise über trauernde Familien berichtet, die einen Gefallenen zu beklagen haben.

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Doch für jedes Problem gibt es eine Lösung. Das moderne Militär wird ohnehin mehr und mehr privatisiert. Einen Großteil des Ausbildens, Kämpfens und Sterbens übernehmen mittlerweile private Söldner, die von militärischen Dienstleistungsunternehmen angeheuert werden, die ohne Kontrolle durch Kongress und Öffentlichkeit operieren. Diese Unternehmen müssen natürlich keine Amerikaner einstellen. Wenn sie also ihre Glücksritter weltweit rekrutieren, wie es einst die französische Fremdenlegion tat, wer in den Vereinigten Staaten würde sich um diese outgesourcten Kriege überhaupt noch kümmern? Wen schert schon die Moral von Söldnern? Oder die Zahl der Opfer? 

Doch auch wenn das amerikanische Militär weitgehend in den Händen der Amerikaner bleiben sollte, lässt sich die Moral der kämpfenden Truppe stärken. Das Pentagon muss nur mehr Soldaten einziehen, sodass es die Truppenkontingente des Öfteren austauschen kann. Alles, was man für mehr Militär braucht, ist Geld, und wie wir gesehen haben, ist der Kongress ja bereit, diesen Preis zu bezahlen. Neue Rekrutierungsmaßnahmen würden sogar ein drängendes soziales Problem lösen. Die Vereinigten Staaten verlieren immer mehr Jobs an die globalisierte Weltwirtschaft. Die Stellen werden einfach in die Billiglohnländer verlegt. Doch auch die gesteigerte Produktivität in unserer hoch technisierten Welt trägt zum Jobverlust bei. Das führt letztlich dazu, dass auch bei steigendem Einkommen und hoher Produktivität keine Arbeitsplätze mehr entstehen. Das Thema ist in den Vereinigten Staaten noch nicht besonders brisant, doch es taucht in letzter Zeit immer öfter in den Medien auf.

Die Zahl der Soldaten zu erhöhen ist eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen — vor allem jüngere Arbeitskräfte finden so Beschäftigung. Tausende von jungen Amerikanern melden sich freiwillig zum Militär. Aus triumphalistischer Sicht hieße das, dass das Imperium der nächsten Generation eine Zukunft gibt.

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4.  Wird die amerikanische Öffentlichkeit der Kriege nicht überdrüssig ?

Wenn es um Krieg geht, kennt die Geduld der Amerikaner Grenzen. Die militärischen Auseinandersetzungen in Korea (1950-1952) und Vietnam (von den 1950er Jahren bis 1972) dauerten zu lange und stießen deshalb bald auf den Unmut der Bevölkerung. Diese Kriege waren für die Öffentlichkeit »hochgradig sichtbar«. Darüber hinaus schienen sie ohne Aussicht auf Erfolg und forderten viele Todesopfer — allein mehr als 50.000 im Vietnamkrieg. Die Amerikaner mögen — vermutlich wie alle Menschen — Kriege nur, wenn sie kurz, unblutig und schnell zu gewinnen sind. Die Erwartung jedoch, man könne ein Imperium ganz ohne Blutvergießen aufbauen, ist illusorisch. Nichtsdestotrotz gibt es für die Triumphalisten durchaus Mittel und Wege, Debakel, wie die USA sie in Korea und Vietnam erlitten, zu verhindern.

Zum Beispiel kann man Todesopfer vermeiden — und damit prahlen. Genau das geschieht im Irak. Die amerikanischen Soldaten im Irak sind die am besten geschützte Streitmacht, die es je gegeben hat. Ihre Lager sind nur über Langstreckenraketen oder Luftangriffe zu erreichen. Auch die Kampfanzüge der amerikanischen Truppen sind mittlerweile nahezu kugelsicher. Verwundete werden entweder sofort auf dem Schlachtfeld versorgt oder mit Hubschraubern zu einem nahe gelegenen Lazarett geschafft. Ohne diese Vorsichtsmaßnahmen wäre die Zahl der Opfer im Irak sehr viel höher. Es wird schwieriger, amerikanische Soldaten zu verwunden — das ist die positive Seite an der jüngeren Geschichte der Kriegsführung.

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Clevere Public-Relations-Maßnahmen und geschickte Täuschung tun ein Übriges. Die tatsächlichen Verluste werden mit Verzögerung gemeldet und statistisch geschönt. Soldaten, die nicht sofort an ihren Verletzungen sterben, zählen beispielsweise nicht zu den Kriegsopfern, weil sie ja nicht »im Felde« sterben. Sobald man sie einmal als »Verwundete« gezählt hat, fallen sie aus der Statistik. Zudem dürfen die Leichensäcke, die in den Vereinigten Staaten ankommen, nicht gefilmt werden.

Die Regierung hat viele Möglichkeiten, Kriegsnachrichten so zu schminken, dass sie positiv klingen. So hat schon der erste Präsident Bush während des Golfkrieges alle Medien­informationen kontrolliert, die irgendwelche Hinweise auf Leid enthielten. Militärische und zivile Kriegsopfer durften nicht gezeigt werden. Die toten Iraker wurden schnellstens in Massengräbern beerdigt und vergessen.

Wer kann heute noch sagen, ob ein Krieg erfolgreich ist oder nicht, falls es nicht zu einem totalen Zusammenbruch kommt, was bei den Kriegen, die Amerika in der Zukunft noch führen wird, eher unwahrscheinlich ist?

Im Irakkrieg bekommt die amerikanische Öffentlichkeit ständig zu hören, was für nette und konstruktive Dinge die amerikanischen Streitkräfte für die Bevölkerung tun.

Auch hier dürfen zivile Opfer nicht fotografiert oder gefilmt werden. Alle öffentlichen Stellen verkünden ständig, welch ungeheure Fortschritte im Irak erzielt werden. Niemand spricht je von einer »Besatzung« oder einem »Guerillakrieg«. Die Aufständischen werden als »Randgruppe« dargestellt, als verbitterte und fanatische Terroristen.

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Natürlich stoßen auch Taktiken wie diese irgendwann einmal an eine Grenze. Ich fürchte aber, dass die Triumphalisten ungehindert in ihrem Treiben fortfahren können, wenn die Realität von Amerikas Kriegen so wenig wie möglich sichtbar wird und die Öffentlichkeit genug Ablenkung erfährt.

Die triumphalistische Politik wird nicht über ihre eigenen Füße stolpern, und es steht nicht zu erwarten, dass die amerikanische Öffentlichkeit sich gegen diese Politik zur Wehr setzt. Es mag Millionen geben, die gegen Präventivkriege und Besatzung sind, doch es gibt auch Millionen, die diese Kritiker bei der Wahl überstimmen. Und einige Prozent davon sind von einem ideologischen Eifer getrieben, der dem der Triumphalisten in nichts nachsteht. Dabei wirken sie auch noch schrecklich patriotisch. Wenn sich dann der mit frischer Energie versehene Militär-Industrie-Komplex neu formiert, wird er im Krieg gegen den Terror zu einer ebenso wichtigen Job- und Gewinnmaschine, wie er es in den Tagen des Kalten Krieges war. Wenn wir der Triumphalisten Herr werden wollen, dann brauchen wir Unterstützung von außerhalb. Amerika braucht globale Unterstützung.

 

 Mit ein bisschen Hilfe von unseren Freunden 

 

Es gibt einen Aufkleber für die Windschutzscheibe, den man in Amerika recht häufig sieht, eine Warnung, die Leben im Straßenverkehr retten soll: »Echte Freunde lassen ihre Kumpel nicht fahren, wenn sie getrunken haben.« Wenn ich die Lektion, welche die Welt meinem Land erteilen sollte, in einem Satz zusammenfassen müsste, dann würde ich sagen: »Echte Freunde lassen ihre Kumpel kein Imperium errichten.«

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In gewisser Weise haben Amerikas Verbündete in den Monaten und Jahren nach dem 11. September genau das auszudrücken versucht. Sie sehen, wie die Vereinigten Staaten auf die sehr reale Bedrohung durch Al-Qaida reagieren, indem sie ein weltweites Imperium aufbauen. Ich persönlich sympathisiere mit allen diplomatischen Versuchen, das rücksichtslose Streben nach einer globalen Ordnung aufzuhalten, die von der einzig verbliebenen Supermacht der Welt kontrolliert wird. Dieser Widerstand muss sich auf der Straße bemerkbar machen, wann immer es dazu Gelegenheit gibt. 

Amerikanische Politiker, die triumphalistisches Gedankengut vertreten, sollten sich mit dem Unmut der Massen auseinander setzen müssen, wenn sie andere Länder besuchen. Doch das reicht noch nicht. Um die ideologischen und religiösen Unterströmungen, die Amerika aktuell durchziehen, an ihrem Tun zu hindern, ist das noch lange nicht genug.

Was aber kann nun tatsächlich getan werden? Die folgenden drei Punkte halte ich für die aktuell chancenreichste Strategie, auf die amerikanische Politik Einfluss zu nehmen.

 

1.  Eine Therapie für die dysfunktionale Familie der Vereinten Nationen

Ich mag der neuen amerikanischen Vorherrschaft kritisch gegenüberstehen, doch mir ist ebenso klar, dass es nur wenige ausreichend entwickelte internationale Institutionen gibt, an welche die USA oder andere bedrohte Staaten sich wenden könnten, wenn es um ihre Sicherheit geht. Die Kritiker der Bush-Regierung haben immer und immer wieder gefordert, Amerika möge doch unter dem Dach der Vereinten Nationen handeln.

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In Wahrheit aber sind die Vereinten Nationen nur ein schwaches Instrument, eine kraftlose Schöpfung der Weltmächte, die nie im Sinn hatten, sie zu einer starken, unabhängigen Institution heranwachsen zu lassen. Sie krankt an einem umständlichen bürokratischen Apparat und beschränkt sich nur allzu oft auf kleinliches Gestreite und moralisierende Phrasendrescherei. Die Vereinten Nationen haben zu wenig Geld und Truppen. Und wenn man den UN die Verantwortung für ein finanziell gut ausgestattetes Programm überträgt — wie dies zum Beispiel bei der Initiative »Öl für Nahrung« im wirtschaftlich boykottierten Irak der Fall war —, dann wird darüber ein dichter Mantel des Schweigens gebreitet, aus dem nur einzelne Gerüchte über Verschwendung, Korruption und drastische Fehlinterpretationen der Lage dringen.

Kein Wunder, dass die Triumphalisten sich erbarmungslos über die Vereinten Nationen lustig machen. So tönen beispielsweise Richard Perle und David Frum, zwei Falken aus dem triumphalistischen Lager: »Die Vereinten Nationen sind sicher nicht völlig nutzlos. [...] Sie schaffen Arbeitsplätze für die weniger begabten Verwandten von Staatspräsidenten auf Lebenszeit. Sie geben kleineren Staaten das Gefühl, dass auch ihre Stimme zählt. Und wenn das Gebäude leer ist und Schulklassen durch die Hallen spazieren, scheint es für einen stillen Moment so, als seien sie tatsächlich in der Lage, den uralten Traum von einer Welt ohne Kriege umzusetzen.« (Aus dem Hörbuch An End to Evil: Strategies for Victory in the War on Terror).

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Wenn die Vereinten Nationen angerufen werden, steckt dahinter häufig Wunschdenken. Meist handelt es sich um eine von Idealismus getragene Geste, in der sich das Bedürfnis nach etwas anderem als unilateralem Handeln ausdrückt. Wenn wir die UN als große Familie aller Nationen sehen, dann müssen wir eingestehen, dass diese Familie ernsthaft gestört ist und Hilfe braucht. Die Triumphalisten, welche für die Vereinten Nationen nur Verachtung übrig haben, liegen vielleicht falsch, wenn sie Maßnahmen zur kollektiven Sicherheit ablehnen, doch sie haben allen Grund zur Ungeduld mit einer Institution, in deren Struktur sich die realen politischen Verhältnisse auf der Welt kaum widerspiegeln.

Trotzdem zeigten die Vereinten Nationen in der Irakkrise bemerkenswerte Initiative. Sie bestanden auf Waffeninspektionen und setzten die rigorose Anwendung der beschlossenen Sanktionen durch. Dies waren beeindruckende Maßnahmen zur Bewahrung des Friedens. Tatsächlich ist der Unmut der Bush-Regierung gegenüber den UN vor allem darauf zurückzuführen, dass deren Waffeninspektoren einfach zu gute Arbeit leisteten. Diese stellten nämlich einfach Bushs Behauptung, der Irak sei eine Bedrohung für die amerikanische Sicherheit, in Frage. Die Sanktionen hingegen erwiesen sich als nicht so effektiv, wie sie geplant waren, da die irakische Zivilbevölkerung die Hauptlast trug. Trotzdem wurde ein wichtiger Präzedenzfall für die Zukunft geschaffen. Denn in der Irak-Frage zeigten die Vereinten Nationen eine Entschlossenheit bei der Beschneidung der Souveränität eines ihrer Mitgliedsstaaten, die sie bis dato noch nie an den Tag gelegt hatten. Dieses Beispiel könnte durchaus Schule machen und eine neue Ära der internationalen Politik einleiten.

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Vor diesem Hintergrund hätte man andere Schurkenstaaten ohne militärische Intervention entwaffnen können — wiewohl es vermutlich nicht ohne die Androhung einer ähnlichen Militäraktion wie in Afghanistan gegangen wäre. Und die Vereinten Nationen hätten andere friedenserhaltende Initiativen beschließen und durchführen können, ohne den totalen Krieg zu riskieren. Hätte man zum Beispiel den gesamten Irak nicht zur Flugverbotszone erklären und Saddam Hussein so den Einsatz seiner Luftwaffe unmöglich machen können? Hätten die Vereinten Nationen nicht beschließen können, dass sämtliche Flugplätze und Raketenabschussbasen im Irak unter internationale Aufsicht gestellt werden? Flugplätze und Abschussbasen können, wie wir im folgenden Krieg erfahren haben, leicht aus der Luft überwacht und mit minimalen Kollateralschäden außer Gefecht gesetzt werden. Wenn Massen­vernichtungswaffen wirklich Anlass zur Sorge gaben, weshalb konnte man Saddam Hussein nicht einfach den Besitz von entsprechenden Trägersystemen verbieten, ohne die chemische und biologische Waffen nutzlos sind?

Natürlich hätte keine dieser Maßnahmen je die Bush-Regierung zufrieden gestellt. Diese war fest entschlossen, im Nahen Osten eine beeindruckende amerikanische Militärmacht zu installieren und in Bagdad eine Marionettenregierung einzusetzen. Und das ist nur ein Vorspiel für weit ehrgeizigere Pläne in der gesamten Region. Statt die Vereinten Nationen so umzugestalten, dass sie terroristische Aktivitäten effektiv unterbinden können, verlassen die Triumphalisten sich lieber auf unilaterale, weltweite Machtausübung durch das amerikanische Militär. Man sollte ihnen daher nicht die geringste Möglichkeit geben, solche Einsätze zu rechtfertigen — nicht einmal dann, wenn es keine andere Alternative zu geben scheint.

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An diesem Punkt können Amerikas globale Verbündete wirksam dazu beitragen, den Vormarsch der Triumphalisten aufzuhalten. Angesichts des triumphalistischen Unilateralismus müssen die amerikanischen Liberalen sicher sein können, dass es nicht nur naive Hoffnung und symbolische Geste ist, wenn sie fordern, dass die Vereinten Nationen wieder ins Zentrum der außenpolitischen Bemühungen gerückt werden. Nichts könnte die Ziele der Triumphalisten wirkungsvoller durchkreuzen als das konsequente Bestreben der mächtigsten Staaten der Welt, die Vereinten Nationen — und vor allem den Sicherheitsrat — schnell zu reformieren. Damit würden sie diesen jede Entschuldigung nehmen, die UN zu umgehen. Möglicherweise müssen sie dazu den Triumphalisten den offenen Kampf ansagen, doch sie werden feststellen, dass viele Amerikaner sie dabei unterstützen, indem sie Washington zwingen, bei der Schaffung einer effektiven internationalen Institution zur Friedenssicherung mitzuwirken.

 

2.  Die Finanz-Zügel anziehen 

Die Weltöffentlichkeit ist sich vermutlich der Tatsache nicht bewusst, dass sie schon jetzt ein wirksames Druckmittel in Händen hält, auf die Politik Amerikas Einfluss zu nehmen, einen ökonomischen Hebel, den ihre Regierungen jederzeit betätigen können. Sie sind nämlich die Gläubiger der am höchsten verschuldeten Nation der Geschichte.

Das bestgehütete Geheimnis der Welt ist der immer desolatere Zustand der amerikanischen Wirtschaft. Alles, was den ungeschützten Blick auf die tief greifenden wirtschaftlichen Probleme des Landes noch verhindert (vor allem von Seiten der Amerikaner selbst), ist der allgemein herrschende Glaube, dass Amerika nun einmal das reichste Land aller Zeiten ist.

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Der Reichtum als solcher ist freilich da, doch er ist mittlerweile so einseitig verteilt und so massiv bedroht, dass man in den letzten zwanzig Jahren verzweifelte Anstrengungen unternahm, dies zu verbergen. Wie viele Amerikaner wissen schon, dass die USA bis Mitte der 1980er Jahre eine Gläubigernation waren, deren Handelsdefizit gleich Null war? So wie für die Akzeptanz des Goldstandards Bedingung ist, dass alle die Überzeugung teilen, Gold sei ein echter Wert, so setzt der jetzige Stand der Dinge voraus, dass alle Amerika für das grundsolide Fundament der Weltwirtschaft halten. An der Stabilität der amerikanischen Wirtschaft zu zweifeln wäre, als stellte man die Autorität und Heiligkeit des Papstes am Vorabend der Reformation infrage. Und was noch schlimmer wäre: Den gefährlichen Zustand der amerikanischen Wirtschaft einzugestehen hieße, das ganze System einer globalisierten Wirtschaft in Zweifel zu ziehen. Und natürlich will kein Staat seinem mächtigen »Endabnehmer« in die Suppe spucken.

Die amerikanische Wirtschaftspolitik ist mittlerweile zur Gänze von Wunschdenken geprägt. Die Regierung, ob sie nun von Republikanern oder Demokraten gestellt wird, beteuert immer wieder, dass »die Fundamentaldaten« der Wirtschaft stimmen und dass die Globalisierung sie sogar noch stärken wird. Aber wir kaufen die Welt mit geliehenem Geld leer! In der Zwischenzeit aber sinkt der Lebensstandard der Arbeiterklasse, weil die Löhne sinken und die Arbeitsplätze wackeln. Die Anzahl der Amerikaner, die unter der Armutsgrenze leben (vor allem Kinder) wächst stetig. Die Mittelschicht hingegen reduziert ihre Sparrate und verschuldet sich immer tiefer. (Die amerikanischen Privathaushalte haben im Jahr 2004 einen Schuldenberg von 2 Billionen Dollar angesammelt, Hypotheken noch gar nicht mitgerechnet; das ergibt pro Haushalt 19.000 Dollar Schulden.) Die Infrastruktur des Landes geht langsam vor die Hunde. Dienstleistungen der öffentlichen Hand werden zurückgefahren, und die Unternehmer investieren ihr Kapital in anderen Ländern.

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Zwanzig Jahre lang haben die Vereinigten Staaten ein immer höheres Handelsbilanzdefizit angesammelt. Mittlerweile schulden die USA privaten Investoren und Regierungen anderer Länder über 3 Billionen Dollar. Nur so konnte Amerika es sich leisten, die Militärausgaben so massiv zu erhöhen. Das Verteidigungsbudget wird mit Auslandsschulden bezahlt, was bedeutet, dass der Status als Supermacht mit dicken Hypotheken belastet ist. Einerseits steigt also die Auslandsverschuldung der USA, andererseits wird das Haushaltsdefizit immer größer. Dieses Vorgehen wurde bis dato nur von den Präsidenten aus dem republikanischen Lager praktiziert (von Reagan und den beiden Herren aus dem Bush-Clan), die sich im Wahlkampf durchweg als »fiskalpolitisch konservativ« gaben. Mittlerweile sind sogar solche Sonntagsreden passee.

Republikanische Führungspersönlichkeiten bekennen sich offen zum Schuldenmachen. Sie hätten das ja auch kaum noch länger verheimlichen können. Nun heißt es allenthalben, dass ein hohes Haushaltsdefizit kein echtes Problem sei. Während seiner gesamten Präsidentschaft legte George W. Bush nicht ein einziges Mal sein Veto gegen einen sozialpolitisch motivierten Budgetposten ein (also gegen so genannte »pork-barrel«-Projekte, die vor allem der eigenen Wählerklientel zugute kommen). Ein Sachverständiger meinte dazu: »Er wirft mit dem Geld um sich wie der sprichwörtliche betrunkene Matrose mit seiner Heuer.«

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Das Congressional Budget Office (der Rechnungshof des amerikanischen Kongresses), eine sehr verlässliche Quelle, kalkuliert, dass angesichts der kumulativen Effekte von Rezession, Steuersenkungen und erhöhten Ausgaben das Haushaltsdefizit in den Vereinigten Staaten in den nächsten zehn Jahren auf 2,4 Billionen Dollar anwachsen wird. Sogar der amerikanisch dominierte und strikt konservative IWF (den man schon »Amerikas größten Aktionär« genannt hat) hielt es für nötig, sich in der Sache zu äußern. Im Januar 2004 warnte der IWF offiziell, dass Amerikas Schuldenberg mittlerweile die Weltwirtschaft gefährde. Seinen Schätzungen zufolge wird die Nettoauslandsverschuldung der USA bald 40 Prozent seiner Wirtschaftskraft entsprechen, »ein bisher ungekanntes Niveau für die Auslandsverschuldung eines großen Industriestaates«. Auch andere große Industrienationen wie Japan, Deutschland und Frankreich schieben enorme Defizite vor sich her. Aber sie werfen ihr Geld wenigstens nicht für fruchtlose militärische Abenteuer zum Fenster hinaus. Außerdem obliegt ihnen nicht die Verantwortung als »Motor der Weltwirtschaft«.

Als der IWF seine Warnung aussprach, tat die Bush-Regierung diese sofort als »übermäßig besorgt« ab. Im selben Monat trat Präsident Bush vor den führenden Köpfen der NASA auf und verkündete, als wolle er das Schicksal herausfordern, ein kostspieliges neues Programm, um den Mond zu kolonisieren und den ersten Menschen auf den Mars zu schicken. Preis? Anfangs etwa 12 Milliarden, gefolgt von weiteren 500 Milliarden in den nächsten zehn Jahren. Und woher will er das Geld nehmen? Diese Frage ließ er unbeantwortet.

Doch jede Institution, die einem Land Geld leiht, kann die finanziellen Zügel anziehen, die sie in der Hand hält. Das ist nicht besonders nett, daher halten sich große Finanzinstitutionen auch gewöhnlich mit solchen Maßnahmen zurück.

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Doch die Vereinigten Staaten haben dieses Mittel selbst schon mehrfach angewandt, um Schuldnernationen ihren Willen deutlich zu machen. So unterstützten die Amerikaner jahrzehntelang das marode britische Empire, das auf der weltpolitischen Bühne während der ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts als Stellvertreter amerikanischer Interessen agierte. Als diese Situation nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr tragbar war, zögerten die Amerikaner nicht, die finanzielle Macht des IWF zu nutzen, um die 1956 erfolgte Invasion Ägyptens durch die Briten (sowie die Franzosen und Israelis) zu vereiteln.

Es mag schwierig sein, sich dies auch bei einem so mächtigen Land wie den Vereinigten Staaten vorzustellen, nicht zuletzt aus ethischen Gründen. Im Moment rechnet sicher niemand in Washington, ob Republikaner oder Demokrat, mit solchen Maßnahmen. Doch im Jahr 2002 zogen die Investoren Saudi-Arabiens, ohne dass Washington etwas dagegen unternehmen konnte, 200 Milliarden Dollar aus dem amerikanischen Finanzmarkt ab, weil sie die amerikanische Wirtschaftspolitik für verfehlt hielten und die ständige Kritik der Regierung Bush an der mutmaßlichen Unterstützung von Terroristen durch die saudische Königsfamilie leid waren.

Europäische und asiatische Regierungen, die den Vereinigten Staaten das Geld geliehen haben, um deren Status als Supermacht zu finanzieren, besitzen also sehr viel mehr Macht als die Saudis und können die amerikanische Politik durchaus beeinflussen. Vor allem die Europäische Union mit ihrem langsam erstarkenden Euro wäre durchaus in der Lage, den USA einen freundschaftlichen Rippenstoß zu verpassen. Geld spricht eine klare Sprache — und keineswegs immer mit amerikanischem Akzent.

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Wie der Wirtschaftswissenschaftler William Greider meint: »Wenn der Euro erst einmal seine Stabilität unter Beweis gestellt hat und sich allgemein durchsetzt, ist der Dollar nicht mehr länger die einzige Option. An diesem Punkt wird es für Europa oder andere Staaten einfacher, den finanziellen Hebel gegen die Vereinigten Staaten anzusetzen, ohne sich selbst oder dem globalen Finanzsystem Schaden zuzufügen. Europa ist noch nicht so weit, doch der Euro steigt — und mit ihm der Zorn Europas.«

Amerikas zunehmend prekäre Position im Welthandel führt deutlich vor Augen, wie hemmungslos die amerikanische Politik mittlerweile geworden ist. Man möchte annehmen, dass die hohe Verschuldung die USA zu Dankbarkeit oder zumindest zu einer etwas höflicheren Haltung ihren Geldgebern gegenüber bewegt. Was also soll man von der Arroganz halten, die George W. Bush und seine Berater offenbarten, als sie das Weiße Haus übernahmen? Offenkundig hatte der rechte Flügel beschlossen, sämtliche wichtigen politischen Entscheidungen auf brüskierende Weise ohne Abstimmung mit den Partnern zu treffen. Dies unterstreicht nur, dass in Amerika mittlerweile Leute Politik machen, denen es egal ist, ob das aufgeblähte Handels- und Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten zum finanziellen Risiko für ausländische Investoren wird. Fast scheint es, als interessiere es sie nicht, ob die Welt den Dollar aufgibt oder nicht. Wie lange können die Vereinigten Staaten so weitermachen, bevor ihre Gläubiger beschließen, ihnen endlich Manieren beizubringen?

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Seit Ende des Zweiten Weltkriegs spielte der Dollar im Welthandel eine herausragende Rolle, vor allem, weil der gesamte Erdölhandel in Dollar abgewickelt wird. Mittlerweile erweisen sich andere Währungen wie beispielsweise der Euro als wesentlich stabiler, doch es sieht so aus, als nützten die USA ihre militärische Überlegenheit auch zum Stützen ihrer Währung. Hier mag man entgegnen, dass die Vereinigten Staaten damit ja nur im Recht seien, hätten sie doch jahrzehntelang enorme militärische Lasten geschultert, indem sie Nationen verteidigten, die selbst dazu nicht in der Lage waren. Doch seit Ende des Kalten Krieges hat Amerikas Rolle als letzte verbliebene Supermacht auch etwas Bedrohliches angenommen. Washington nutzt seine militärische Überlegenheit nämlich, um selbst die eigenen Verbündeten dazu zu bringen, sich in Handels- und Finanzfragen amerikanischen Interessen zu beugen. Ganz besonders gilt dies für den zukünftigen Erdölmarkt. Dies ist letztlich auch das Ziel der »wohlwollenden Hegemonie«. Mit der Übernahme der reichen irakischen Ölfelder sind die Vereinigten Staaten durchaus in der Lage, jeden Versuch von Seiten der OPEC, den Dollar durch den Euro zu ersetzen, abzublocken.

Bis an die Zähne bewaffnet zu sein schafft die Illusion von Allmacht. Es war immer schon eine Schwäche von Imperialmächten, dass sie das Militär über eine gesunde Wirtschaft stellten. Auf lange Sicht erledigt sich solch eine Politik von selbst. Die Imperien verlieren an Macht, weil sie ihre gesamten finanziellen Ressourcen aufwenden, um Waffenarsenale zu finanzieren, kostspielige Besatzungen ins Werk zu setzen, ihre Grenzen zu verteidigen und ihre Herrschaft zu erhalten, während die Wirtschaft allmählich vor die Hunde geht. Fundamental betrachtet sind die USA ein wirtschaftliches Kraftwerk, das über enorme Reichtümer und einen gewaltigen Schatz an Know-how verfügt. Doch die Wirtschaft der Vereinigten Staaten ist mittlerweile in eine erhebliche Schieflage geraten. Der jüngste New-Economy-Boom zeigt, wie sehr Wunschdenken sogar die nüchternen Vorstände und Aufsichtsräte großer Konzerne beeinflussen kann.

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Die Welle der Finanzskandale, die in der Folge Wall Street erschütterte, lässt annehmen, dass die Herrn der Welt mittlerweile selbst nicht mehr wissen, wie es um die Wirtschaft tatsächlich bestellt ist. In diesem Fall würden die Gläubiger der Vereinigten Staaten dem Land einen großen Gefallen tun, wenn sie finanziell die Zügel anzögen. Möglicherweise ist dies der einzige Weg, auf dem die amerikanischen Corporados und die mit ihnen verbundenen Politiker vom rechten Flügel zur Vernunft gebracht werden können.

 

3. Die Umerziehung Amerikas 

Auf den ersten Blick scheint es unmöglich, dass Amerikas Gläubiger tatsächlich die Finanzbremse ziehen, um der imperialistischen Politik Washingtons gegenzusteuern. Doch wenn die Imperialisten weiterhin militärische Mittel einsetzen, um den Rest der Welt einzuschüchtern, mag irgendwann der Punkt gekommen sein, an dem dieser Rest keine andere Wahl mehr hat. Die Triumphalisten sind dogmatisch bis ins Mark. Jedes Dogma aber verficht seinen Absolutheitsanspruch auf kompromisslose, aggressive Weise. Dogmatiker werden von Widerspruch irritiert. Jede Art von Meinungsvielfalt ist ihnen ein Gräuel. Die Triumphalisten sind ausgezogen, um der Welt den freien Markt zu bringen. Auf diese Weise wollen sie die Menschheit vor der Sünde des Kollektivismus retten.

Kommt zu dieser Ideologie nun noch die heilsgewisse religiöse Überzeugung der evangelikalen Fundamentalisten hinzu, mit denen die Triumphalisten unter eine Decke geschlüpft sind, dann wird diese unheilige Allianz das Monster eines fanatischen amerikanischen Nationalismus gebären, dem jegliche alternative Denkform als rotes Tuch gilt.

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Solange das amerikanische Volk die Welt durch einen triumphalistischen Filter sieht, werden sich ausreichend Wähler finden, die solche Ziele unterstützen. Daher werden andere Nationen mit den kampfbereiten amerikanischen Liberalen gemeinsame Sache machen müssen, um die amerikanische Öffentlichkeit umzuerziehen.

Wir brauchen einen intellektuellen Rundumschlag gegen den Triumphalismus, eine anhaltende Debatte, welche das ideologische Fundament des rechten Flügels der amerikanischen Politik permanent in Frage stellt. Es reicht nicht, wenn dies nur von Seiten der amerikanischen Kritiker geschieht. Dieser Herausforderung müssen sich die besten Köpfe der Welt stellen. Wir sollten mit Büchern, Artikeln und Vorträgen eine internationale geistige Plattform schaffen, in welche die Intellektuellen Europas, Asiens und Lateinamerikas ihre Ideen einbringen, um sie vor der amerikanischen Öffentlichkeit auszubreiten, damit diese begreift, dass auch andere Nationen sich für unser politisches Leben interessieren.

Das beste Forum für diese Debatte wären die amerikanischen Universitäten. Wenn es gelänge, die Universitäten in diesen Strom einzubinden, würde die höhere Bildung in Amerika einen Aufschwung erfahren, der ihr etwas von der Ernsthaftigkeit und sozialen Relevanz zurückgeben könnte, die sie während der Vietnam-Ära besaß. Der Geist der Teach-ins fehlt heute im Campusleben. Es wird Zeit, ihn wieder aufleben zu lassen. Das Thema, das wir zu seiner Wiederbelebung brauchen, liegt direkt vor unserer Nase.

Wie würde wohl die Reaktion auf solch eine intellektuelle »Invasion« aus allen Erdteilen aussehen? Ohne Zweifel würden die Fetzen fliegen. In den konservativen Zirkeln käme es mit Sicherheit zu einem starken xenophoben Reflex.

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Doch eben diese Reaktion würde verdeutlichen, wie berechtigt die Sorgen sind. Die Engstirnigkeit und ideologische Verbohrtheit der Triumphalisten würde sich schließlich in ihrem ganzen Ausmaß zeigen. Und das Engagement international bekannter Nicht-Amerikaner würde die wahren Dimensionen der Krise offenbar werden lassen: Das Imperium geht die ganze Welt an.

Doch es gibt noch einen anderen Grund, weshalb die Debatte über das amerikanische Vormachtstreben in der ganzen Welt geführt werden muss.

In einem der vorangehenden Kapitel habe ich den Einfluss europäischer Emigranten der 1930er und 1940er Jahre untersucht. Wir brauchen den nicht-amerikanischen Blick auf dieses Ideen-Korpus. Dazu gehört unter anderem, die Erfahrungen dieser Zeit sowie die Schlussfolgerungen, welche die Exilanten daraus gezogen und in die Vereinigten Staaten importiert haben, einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Der Triumphalismus ist eine rückwärts gewandte Weltsicht. Er stammt aus einer Epoche, die längst vorüber ist. Das Europa der ideologischen Auseinandersetzungen und totalitären Bewegungen wurde von nicht-aggressiven und pluralistischen sozialen und politischen Systemen ersetzt. 

Dasselbe gilt für den Sozialdarwinismus, der dem Triumphalismus seine Härte verlieh. Auch dies ist eine Philosophie aus grauer Vorzeit. Außerhalb der Führungsebenen amerikanischer Konzerne findet man vermutlich kaum noch Menschen, die ernsthaft glauben, das Leben müsse von den Gesetzen des Dschungels geprägt sein wie in den frühen Jahren der Industrialisierung. In anderen Ländern hat diese Art von brutalem Unsinn sich längst selbst erledigt. In den Vereinigten Staaten hingegen, wo weitgehend rechte Think-Tanks die politische Diskussion bestimmen, wird der historische Kontext gern ignoriert.

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Immerhin gibt es auch außerhalb der Universitäten einige wenige Medien, die dazu beitragen können, die Debatte in Gang zu bringen. Und dann ist da auch noch das Internet, das sich längst zum Massenmedium par excellence gemausert hat. Die aktuelle Wahlkampagne von Howard Dean zeigt, wie gut sich das Internet für politische Zwecke nutzen lässt. Dean gelang es, durch seine Internet-Kampagne enorme Geldsummen und politische Unterstützung aus allen Ecken des Landes einzuholen. Das Internet erreicht zwar noch längst nicht jeden, aber zumindest findet sich darin ein nachdenkliches, politisch aktives Publikum, das nach neuen Ideen hungert.

Eben dieses Publikum braucht die Erfahrung der Nicht-Amerikaner, denn nur sie können letztlich kompetent über die triumphalistische Kernthese urteilen, dass man sämtliche sozialpolitischen Probleme dem Markt zur Lösung überlassen müsse. Wie wir sehen konnten, ist die Innenpolitik der Triumphalisten eng mit ihren imperialistischen Bestrebungen im Ausland verknüpft. Auch gebildete Amerikaner mit Auslandserfahrung können mit der Götzendienerei am freien Markt, die momentan die amerikanischen Medien beherrscht, nicht viel anfangen.

Unter dem ökonomischen Druck unserer Zeit berichten weder die Printmedien noch Radio oder Fernsehen umfassend über Politik. Informationen aus dem Rest der Welt schaffen es kaum je in die Nachrichtensendungen, und Kritik an Amerika wird mehr oder weniger totgeschwiegen. Ließe sich dieses Problem vielleicht durch gut bearbeitete »Nachrichten-Pakete« zum Thema »Auslandsbeziehungen« beheben, die Zeitungs-, Radio- und TV-Redaktionen abonnieren könnten? Auch wenn das »Paket« nur fünf Minuten lang ist, so würde es doch schon genügen, der amerikanischen Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass es eine Welt jenseits der amerikanischen Grenzen gibt, die sich durchaus dafür interessiert, was die Vereinigten Staaten treiben.

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Denn die Amerikaner sind zwar dabei, sich die Weltherrschaft zu sichern, doch leider reisen sie nicht gern. Nur 18 Prozent der amerikanischen Bevölkerung besitzt einen Pass. Doch selbst wenn diese Menschen reisen sollten, was bekommen sie neben den größten Touristenattraktionen denn schon zu sehen?

Nehmen wir einmal an, es gäbe eine Art soziales Sightseeing, bei dem man erfahren könnte, wie andere Länder mit Themen wie Kriminalität, Gesundheit, Kindererziehung, Altenpflege, Bildung, Rente und Kultur umgehen. 

Denn auch wenn die entsprechenden Institutionen anderenorts nicht immer einwandfrei funktionieren, so stellen sie doch zumindest eine Alternative dar, welche den Amerikanern angesichts der triumphalistischen Bestrebungen zur Privatisierung fast aller sozialen Leistungen des Staates zumindest mögliche Optionen zeigte. Je mehr die Amerikaner über den Alltag in anderen Industrieländern erfahren, desto mehr kritische Distanz können sie zu den Plänen der orthodoxen Triumphalisten aufbauen.

Und die amerikanischen Liberalen brauchen noch mehr Unterstützung. Auch die Lehren der fundamentalistisch-christlichen Kirchen müssen einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Dies ist in erster Linie die Aufgabe liberalerer christlicher Kirchen in Amerika, doch auch hier wäre ein internationaler Blickwinkel von Nutzen. In den Vereinigten Staaten gilt es häufig als »schlechtes Benehmen«, wenn man die Glaubensvorstellungen evangelikaler Christen kritisiert, auch wenn diese mit ihren Ideen aggressiv auf Missionstour gehen. Das wäre vielleicht akzeptabel, würden diese Leute nicht mit ihrem Glauben Politik betreiben, und dies zudem noch auf höchst intolerante Weise. Wie wir sehen konnten, beeinflussen die Apokalypse-Erwartungen dieser kirchlichen Vereinigungen mittlerweile selbst die amerikanische Außenpolitik.

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Ich hätte nicht gedacht, dass ich den Tag noch erleben würde, an dem ich Tom Paines Klassiker Age of Reason, in dem er das klerikale Denken kritisiert, jedem Amerikaner empfehlen würde. Doch ich lebe hier in einem Land, in dem die Bibel tatsächlich wieder wörtlich genommen wird — und das von immer mehr Gläubigen. Allerdings würden wohl nur wenige Fundamentalisten sich dieser Herausforderung stellen. Denn all diese Bibel-Kämpfer sehen ihre Kritiker meist als Ausgeburt des Satans. Doch sie sollten zumindest wissen, dass ihre Ansichten, zumindest dort, wo es um politische Entscheidungen geht, auf heftigen Widerstand stoßen werden. Man sollte sie um Auskunft bitten, wie ihre Glaubensvorstellungen zu dem Einsatz modernster Techniken passen, dem sie ja keineswegs abgeneigt sind. Vor allem aber sollte man ihnen eine Erklärung abfordern, wie der theokratische Absolutismus, den sie pflegen, zu unseren demokratischen Idealen passt.

 

  Macht korrumpiert  

 

Wenn ich zurzeit meinen Mitbürgern auf Straßen oder Plätzen, in Läden oder Parks begegne, frage ich mich, wie viele von ihnen wohl begreifen, in welcher Gefahr wir uns befinden. Damit meine ich keineswegs die Möglichkeit eines weiteren terroristischen Angriffs, wie Regierung und Medien ihn in unser Bewusst­sein hämmern wollen.

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Ich meine die ethischen und politischen Untiefen, in die die USA geraten werden, wenn die drei Kräfte, die ich hier vorgestellt habe, weiter ungehindert agieren können. Corporados, Triumphalisten und Fundamentalisten üben — aus jeweils unterschiedlichen Interessen — einen dauerhaften und ansteigenden Druck aus, der die Vereinigten Staaten in eine imperialistische Rolle drängt, die die Nation weder ausüben kann noch darf. Verbunden mit dieser Rolle sind immer währender Krieg und dauerhafte Repressionen, die typisch sind für Staaten, in denen die nationale Sicherheit Ziel Nummer eins ist.

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Sehen die Menschen um mich herum, wie dicht wir davor sind, die Kontrolle über unsere demokratischen Instrumente zu verlieren? Kümmert sie das überhaupt? 

Manchmal denke ich, sie setzen absichtlich Scheuklappen auf, um sich dem Ernst der Situation nicht stellen zu müssen, im Glauben, so machtvollen Kräften ohnehin nichts entgegensetzen zu können oder dieser Verantwortung nicht gewachsen zu sein. Es ist eben so viel leichter, die Gefahr zu ignorieren und zu leugnen, ja, vor ihr zu flüchten — in eine der zahllosen imaginären Medienwelten, die uns die Illusion von Wohlbefinden vermitteln.

Die Fluchtmechanismen, das bewusste Wegsehen, welche die Amerikaner mittlerweile meisterlich beherrschen, erschrecken mich immer wieder. Noch schlimmer aber ist ihre Bereitschaft, offensichtliche Verbrechen und Lügen hinzunehmen, wenn sie nur ausreichend mit patriotischer Selbst­beweih­räucherung verbrämt sind.

Wie so viele Amerikaner, welche die Zeit des Vietnamkrieges und des folgenden Watergate-Skandals erlebt haben, macht übermäßiger Patriotismus mich immer hellhörig. Ich habe mit eigenen Ohren hehre Worte vernommen, welche nur den einen Zweck hatten, die Öffentlichkeit zu täuschen.

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Ich habe erlebt, wie die Flagge meines Landes benutzt wurde, um unter ihrem Schutz unsägliche Grausamkeiten zu begehen. Doch obwohl ich gegen patriotisches Brimborium relativ immun bin, fiel es mir nicht leicht, dieses Buch zu schreiben. Das mag daran liegen, dass ich einst dachte, mein Land habe der Welt viel zu geben. Mehr als nur technologische Neuerungen und materiellen Reichtum, denn die Vereinigten Staaten verfügten immer über einen unbekümmerten Egalitarismus, eine unbändige Neugier auf alles andere, eine Offenheit für alles Neue, dass ich die Hoffnung hegte, diese Eigenschaften mögen die Welt des postindustriellen Zeitalters menschlicher gestalten.

Heute bin ich nicht einmal mehr sicher, dass Amerika überhaupt überleben wird. Mein Land ist triumphalistischen Ideologen in die Hände gefallen, die versuchen, ein weltweites Konzern-Imperium zu errichten. Heute haben dort autoritäre Bibel-Kämpfer das Sagen, die fest davon überzeugt sind, dass es Amerikas Aufgabe ist, die Welt auf die leibhaftige Wiederkehr Jesu vorzubereiten. Obwohl ich die Tugenden meines Landes sehr schätze, graut mir doch vor diesem maßlosen nationalistischen Cowboytum.

Ich kenne die Geschichte einfach zu gut, um in das allgemeine Jubelgeschrei einzustimmen. Wenn ich die Vergangenheit meines Landes betrachte, sehe ich eine Mischung aus positiven und negativen Zügen, die es alles andere als vollkommen erscheinen lassen. Ich sehe die Tragödie der Sklaverei, die nur ein langer, blutiger Krieg beenden konnte. Ich sehe Lynchjustiz und die verschiedenen Formen von rassistischer Apartheid, die noch fast hundert Jahre nach diesem Krieg de facto oder de jure das Land beherrschten.

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Ich sehe die nahezu vollständige Ausrottung der Ureinwohner Amerikas und den schamlosen Raubbau an einer einst wundervollen Natur. Ich sehe die abstoßende Ausbeutung der Arbeiterklasse, die unsere Städte in den frühen Tagen der Industrialisierung prägte. Ich sehe den enormen Gewaltausbruch während der Prohibition und das Krebsgeschwür des organisierten Verbrechens, das unsere Gesellschaft seitdem durchzieht. Wir sind wohl kaum eine Nation von Engeln.

Doch all diese Sünden haben die Amerikaner sich erstaunlich schnell vergeben. Wenn es um unangenehme Wahrheiten geht, sind wir schnell bereit, »alles hinter uns zu lassen« oder unsere Schandtaten gar in Tugenden umzudeuten. So umschreiben wir unseren Vernichtungsfeldzug gegen die amerikanischen Indianer heute noch beschönigend mit »Eroberung des Westens«, und aus den übelsten Gangstern haben wir Volkshelden gemacht. Wir wollten unbedingt glauben, dass schwarze Amerikaner ein jovialer und kindlicher Menschenschlag seien, der den Rhythmus im Blut habe und dem die Jahrhunderte der Sklaverei nicht das Geringste ausgemacht hätten. Wir sehen uns gern in einem etwas sentimentalen Licht als nette und wirklich großzügige Menschen.

Und natürlich steckt auch darin ein Körnchen Wahrheit. Viele unserer Fehler werden durch löbliche Eigenschaften wieder ausgeglichen. Jeder für sich genommen, sind die Amerikaner ebenso anständige und nette Menschen, wie man sie auch in anderen Ländern findet. Neben unseren Mafiabossen und Industriebaronen, neben den Revolverhelden und Indianerkämpfern, neben den rassistischen Frömmlern und den betrügerischen Managern haben auch wir große Reformer oder humanitäre Geister hervorgebracht.

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Doch wie tugendhaft die Amerikaner auch sein mögen, sie sind anderen Gesellschaften, deren grundlegende Güte sich schon darin zeigt, wie sie ihren Reichtum verteilen, keinesfalls moralisch überlegen. Viele dieser Gesellschaften gehen sehr viel fairer und großzügiger mit ihren Bürgern um. Wenn die Amerikaner nur den Mut fänden, ihre eigene Geschichte offen und kritisch zu hinterfragen, dann würde ihr Anspruch auf moralische Überlegenheit bald verpuffen — und dann ginge es ihnen sehr viel besser, weil sie endlich gelernt hätten, mit der Wahrheit zu leben.

Denn eben die Tatsache, dass wir so viel von uns halten, macht uns heute so gefährlich. Wir sind ein Volk, das sich von der Erhabenheit der eigenen Absichten nur zu gern bezaubern lässt. Politiker, die uns schmeichelhafte Geschichten über uns selbst erzählen, gewinnen unweigerlich unsere Stimme. Daher der Erfolg der Triumphalisten, die uns weismachen wollen, dass wir dazu bestimmt sind, die ganze Welt zu erben.

Die globale Wirtschaft nimmt unter der lenkenden Hand der reichsten Nation der Welt neue Formen an, und die Konzerne lassen keinen Zweifel daran, dass die nationalen Grenzen der Vergangenheit im Reich des Kommerzes keine Zukunft mehr haben. Die Umweltschützer versuchen seit Jahren verzweifelt, uns genau dasselbe beizubringen. Wir können nicht zulassen, dass Nationalismen unser Verständnis des großen geobiologischen Systems beschränken, das unser aller Zuhause ist. Doch weder die Umweltproblematik noch die globalisierte Wirtschaft wurden bislang in ein neues kulturelles Selbstverständnis integriert. Die Vereinigten Staaten, wie sie uns im Irakkrieg gegenübertreten, sind ein erschreckendes Beispiel dafür, was geschieht, wenn eine mächtige Nation den Dialog mit anderen Staaten verweigert. Daraus resultiert ein selbstgefälliger, unbarmherziger Imperialismus, der durch die Welt schwadroniert, Chaos und Hass hinterlassend, wo er Freundschaft säen könnte.

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Die Triumphalisten glauben an eine militante Demokratie, die es mit der ganzen Welt aufnimmt, um ihre verdrehte, vom Klassendenken bestimmte Version von »Freiheit« zu verteidigen. Berauscht von der Macht halten sie präventiv geführte Kriege und unilaterales Handeln für die einzig richtigen Rezepte. Dass »Freiheit« in Form eines weltweiten freien Marktes unter der Kontrolle der Konzerne nur ein neues Kapitel in der Geschichte des Kolonialwesens aufschlägt, haben sie noch nicht begriffen. Doch wie der britische Historiker Niall Ferguson dies schon sagte: Amerika ist »ein verleugnetes Imperium«, seit es nach dem Zweiten Weltkrieg die gestürzte Pax britannica durch eine Pax americana zu ersetzen versuchte. Eines nämlich muss man den Triumphalisten lassen: Sie nennen die Dinge wenigstens beim Namen. Sie versuchen vielleicht, ihre wahren Ziele zu verbergen, doch sie lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sie ihre Macht im nationalen Interesse einzusetzen gedenken. Sie sind stolz darauf, wie knallhart sie sich dort durchsetzen, wo die Liberalen ihrer Ansicht nach einfach nicht den Mumm haben.

Die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten als einziges Land im einundzwanzigsten Jahrhundert die Schattenseiten des Imperialismus nicht aus eigener Erfahrung kennen gelernt haben, erschreckt mich. Wir hätten natürlich aus dem Vietnamkrieg lernen können, doch dem war nicht so. 1991, als wir im Golfkrieg errungen hatten, was der erste Präsident Bush einen »Sieg« nannte, verkündete dieser stolz, dass »das Vietnam-Syndrom« nun überwunden sei. Damit meinte er die Befürchtung, dass alle künftigen Kriege zu einem ähnlichen Desaster führen könnten.

Für die Triumphalisten machte dieses Dekret den Weg frei für das Streben nach weltweiter Hegemonie. Ab hier begannen die Vereinigten Staaten den internationalen Konsens aufzukündigen, demzufolge imperialistische Politik ein für alle Mal der Vergangenheit angehören sollte. Jede andere der großen und viele der kleineren Nationen — darunter Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland, Italien, Spanien, Portugal, Japan, Holland und Belgien — hatten unter den Verwerfungen eines gescheiterten Kolonialismus gelitten. Sie haben gesiegt und doch eine Niederlage erlitten. Und diese Niederlage lehrte sie, dass nur wenige von den Früchten des »Great Game« des Imperialismus profitieren, nämlich in erster Linie die großen Unternehmen, die Kolonialverwaltungen und die Militärbefehlshaber.

All diese Nationen haben ihre Lektion mit Blut und moralischer Beschämung bezahlt. Die Kolonialmächte mögen ihre Truppen jubelnd in die Schlacht schicken und sich begeistert zeigen, wenn ihr Banner über fernen Ländern gehisst wird, doch am Ende werden sie einen hohen Preis dafür bezahlen, dass sie Völker unterjocht haben, die ihre Unterdrücker hassen. Jede Nation, die diese Tragödie schon einmal durchlebt hat, hat aus dieser Zeit bittere, aber wertvolle Lehren gezogen, die sie für immer von solchen Abenteuern abhalten. Diese Erfahrung fehlt den Amerikanern. Wir müssen erst noch lernen, dass wir trotz unseres Reichtums und unserer Militärmacht die Welt nicht nach unserem Bild formen können. Wenn wir trotzdem darauf bestehen und rücksichtslos im Alleingang unsere Macht ausüben, werden wir nichts weiter ernten als Chaos.

»Macht korrumpiert.« Wir alle kennen Lord Actons berühmten Ausspruch. Aber wissen wir auch, wie er weitergeht? »Macht korrumpiert«, meinte er. »Und totale Macht korrumpiert total.« Der Nachsatz ist vielleicht deshalb weniger bekannt, weil es nicht viele Nationen gibt, auf die er zutraf. Es gab in der Vergangenheit viele mächtige Staaten, doch keinen, der nicht wenigstens einen Gegenspieler hatte, der seinen Ambitionen Grenzen setzen konnte. Doch zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts befinden die Vereinigten Staaten sich in der gefährlichen Lage, dem Ziel der totalen Macht näher gekommen zu sein als je ein Land vor ihnen.

Vielleicht hilft es ja, dieser Gefahr mit den Worten der Bibel Ausdruck zu verleihen, da doch in den USA die Frömmigkeit im Moment Hochkonjunktur hat: »Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden.«

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 Ende

 

 

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Theo Roszak 2003