1. Jürgen Fuchs: Der Abschied von der Diktatur
1 Das Foto der Tochter in den Akten
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Der Historiker Golo Mann will gemeinsam mit dem Politiker Heiner Geißler die Berliner Stasi-Akten-Behörde schließen. Von Anzünden ist die Rede, von der Vernichtung der Aktenbestände, vom Zubetonieren. Der Zeitungsherausgeber Erich Böhme blickt in seiner «Betrachtung zum Wochenende» in den Abgrund und «hätte nichts dagegen, wenn die Spree bei ihrem nächsten Hochwasser-Gang die beschämenden Hauswart-Akten der Gauck-Behörde mit sich fortnähme». Die wirklichen Verbrecher, fügt er hinzu, müßten natürlich strafrechtlich verfolgt werden.
Der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski wirft den Deutschen eine «riesige Dummheit» vor. Sie sollten eine politische und moralische Abrechnung mit der DDR-Zeit herbeiführen, auch Bücher zum Thema schreiben, aber nicht die Stasi-Akten publizieren. «Das ist für mich ein Zeichen des deutschen Masochismus. Das ist eine geistige Krankheit», sagt er. Und da er gut schreiben kann und ich seine Bücher mag, zitiere ich eine schöne Stelle aus seinem Gespräch in der <Süddeutschen Zeitung>:
«Nun stellen Sie sich einmal vor: Ein Oppositioneller war vor zehn oder fünfzehn Jahren schon zum x-ten Mal im Gefängnis, und als er schon zum hundertsten Mal verhört wurde, und das Verhör schon zwanzig Stunden dauerte, hat er im Schein der Glühbirne etwas Unangenehmes gesagt. Weil er müde war, weil er sich wehrlos fühlte, weil er plötzlich eine Stunde der Schwäche erlebte. Das steckt nun in diesen Akten.
Seitdem hat er weiter gelitten, im Gefängnis gesessen, sich engagiert und ist zu einer wichtigen Person in der öffentlichen Meinung geworden. Plötzlich kommt so eine kleine Ratte von der politischen Polizei und sagt: <Moment, er war mein Spitzel, denn vor fünfzehn Jahren hat er das und das gesagt.> — Und jetzt muß sich der arme Kerl verteidigen. Jetzt muß er sagen, daß das eine Stunde seiner Schwäche gewesen sei, und was er sonst noch alles vorbringen mag.
Aber warum sollte der ehemalige politische Bandit, der ihn verhört hat, jetzt eine Art Richterrolle bekommen ... Es gibt sehr viele falsche Dokumente. Deswegen verzichten wir in Polen weitgehend auf Nachforschungen, wie sie jetzt in Deutschland betrieben werden...»
Ein wunderbares Stück Prosa. Mitleid ergreift uns mit diesem politischen Häftling. Empörung über den Stasi-Bandit, den Vernehmer oder Führungsoffizier. Szczypiorski hat Recht. Er kommt aus Polen, die hatten viel mehr Oppositionelle als die DDR. Er sieht durch. Hat vieles selbst erlebt. Schreibt gute Bücher. Tritt für Versöhnung ein, für ein anderes, niveauvolleres Erinnern, ein literarisches zum Beispiel. Aber, Andrzej Szczypiorski, und doch widerspreche ich Ihnen. Bleiben wir sehr konkret, bleiben wir bei Ihrem Beispiel: Auch ich saß im Gefängnis, kenne Verhöre ohne Pause, sah den Schein der Glühbirne, oder besser der Leuchtstoffröhre. (Es war später, in unserer nahen, modernen Zeit.)
Gut, man verweigert die Aussage, hält es durch über Tage, vielleicht Wochen, mitunter länger. Und dann kommen diese Augenblicke, von denen Sie so enorm sprechen, Minuten der Schwäche, des Weinens, des Bemühens, irgendwie rauszukommen. Dann fängt man sich wieder, wird hart, trennt ab, das Wörtchen «egal» kommt, oder «zehn Jahre? Na und!» Solche Worte kommen dann und werden gelebt. Aber die Aussage, der Name, das kleine Einlenken kann stehen in ihren Papieren, vielleicht noch mit eigener Unterschrift. Es kann harmlos sein, unwichtig, nicht brauchbar gegen andere, aber doch bohrt es innen, wie lang ist die Spur dieser Augenblicke im Schein ihrer Bürolampen! Und dann, das ist die andere Variante, Andrzej Szczypiorski, kann so etwas passieren:
Die kleine Ratte der politischen Polizei oder der von ihm geführte «ZI», Zelleninformant, geht später umher, behauptet etwas, geht zu Zeitungen und Verlagen, da hat einer etwas veröffentlicht über den Knast. Er hat sich ganz anders verhalten, hat «gesungen» usw...
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Oder heute, im Jahr 92, kommt der Vernehmer Groth in die Cafes der Bürgerrechtler und läßt seine Stories vom Stapel.
(d-2015:) Vernehmer von Rudolf Bahro oder wikipedia Joachim_Groth
Kein politischer Häftling hatte bis heute eine Seite, ein Blatt Papier, einen Beweis zur Verfügung. Nur das Erlebnis, den Bericht, das Zeugnis. Bei mir wurde ein «ZI» eingesetzt, um nach der Haft in Westdeutschland solche Geschichten über mich zu erzählen. Es war eine eingefädelte und fortgesetzte «Zersetzung», sie traf mich, quälte auch.
Wissen Sie, wie erleichtert ich war, jetzt die Fakten zu finden? Meine «Vernehmungsprotokolle», das Standhalten und auch die Augenblicke der Schwäche. Vernichtet sollen die Daten über ihre Taten werden? In die Spree gekippt wie Schnee, einbetoniert wie der Reaktor von Tschernobyl?
In Polen gab es immer wieder Perioden des Aufatmens, Phasen der Befreiung. In der DDR nicht. Erst heute haben wir ihre ekelhafte, über die gesamte Gesellschaft gebreitete Konspiration, ihre «operativen Maßnahmen», die auch vom Geheimnis lebten, etwas enttarnt. Es sind große Verbrechen, keine kleinen Blockwartspitzeleien. Die gab es natürlich auch. Aber das ist nicht das, was in den Akten der bekämpften Opposition, in den «Operativen Vorgängen», hauptsächlich vorkommt.
Wir waren weniger als ihr in Polen, das stimmt. Es gab außerdem eine direkte Rutsche über die deutsch-deutsche Grenze, für viele die Rettung vor jahrelanger Haft, manchmal sicher auch vor dem Verlust des Lebens: der Häftlingsfreikauf, der Menschenhandel, den das Regime erfolgreich und schäbig praktizierte. Wir waren wenige, das stimmt. Aber nach dieser Diktatur- und Tätervergangenheit ab 33 vielleicht nicht zu wenige. Ich möchte zuhören, auch andere begreifen, mit Adam Michnik diskutierte ich neulich Stunden. Aber ich möchte nicht belehrt werden. Und ich bitte darum, eine Information zur Kenntnis zu nehmen, offenbar ist noch viel Unkenntnis unterwegs über diese Akten und die Handlungen der Stasi:
Ich fand in einem häßlichen blauen Ordner das Foto meiner Tochter Lili. Sie war ein Jahr alt, dieses Foto stand in meiner Zelle, am Glasziegelschacht. Andere fanden persönliche Briefe, die abgefangen wurden von der «M»-Kontrolle, der Postkontrolle, sie waren nie angekommen. Jetzt, erst am Tag dieser Aktenöffnung, trafen sie ein. Bündelweise nahmen Bürgerrechtler mit nach Hause, was ihnen gehörte, weggenommen bei konspirativen Wohnungsdurchsuchungen.
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Den Grundriß unserer Wohnung in Westberlin, nach der Ausbürgerung, fand ich in den Kopien eines befreundeten Pfarrers. Darunter präzise vermerkt der Weg der Tochter zur Schule, wie sie geht, wie viele Minuten sie benötigt. In den Akten der Abschiedsbrief der Mutter meiner Frau, die nach einem Stasi-Verhör Suizid beging, in einem Umschlag die letzten Fotos, Originale.
Verstehen Sie, warum ich nicht will, daß etwas weggeschafft, weggemacht, zubetoniert oder in die Spree gekippt wird?
Diese Vorschläge und Ratschläge sind vielleicht gut gemeint. Aber sie zeugen von Unkenntnis, sind fixiert auf die kleinen Spitzel, die oft selbst zerbrochenen «IMs». Ich bitte um Respekt. Ich bitte darum, an das Foto meiner Tochter Lili zu denken. Zehntausende von politisch Verfolgten werden solche Funde machen, wenn das Öffnen dieser Akten hoffentlich fortgesetzt wird. Ich ertrage die Abstraktheit dieser Diskussion nicht, nicht das Reißerische kleiner Boulevard-Blätter, nicht das Wohltönende sehr ferner Reden aus den Höhen des Parlaments oder den Chefetagen einer großen Volkspartei. Oder einer anderen.
Ich bitte Sie, Andrzej Szczypiorski, weil Sie es wissen, weil Sie es in Ihren Büchern beschreiben und weil Sie es selbst erlebten, ich bitte Sie, zumindest die Entnahme der persönlichen Gegenstände, die bis heute eingepreßt in Akten lagern, richtig zu finden. Uns diese Qual und diese Rettung nach den Jahren der Diktatur (und nach den anderen Jahren der Diktatur über andere) zuzugestehen.
Etwas wegzuschaffen und wegzumachen, das hatten wir doch schon. Das ist nicht die humane Orientierung. Das ist auch nicht die Milde, die wir dringend brauchen, der Wärmestrom, der uns verlorenging. Diese Akten sind ekelhaft, auch das soziale «Hinrichten» von kleinen Zuträgern ist es. Aber die Herren Generäle feixen noch, sitzen vor Fernsehkameras und sprechen von der «Notwendigkeit der Dienste». Wir sind ziemlich allein, Andrzej Szczypiorski, einsam und fröstelnd vor diesen Papierbergen, vielleicht eine winzige Gruppe. Ich weiß nicht, ob wir durchkommen, ob wir das perverse Geheimnis dieser Stasi-Gesellschaft lüften und so entmachten können.
Ich bitte Sie, an das Foto meiner Tochter zu denken, das ich in einem Band von etwa vierzig ä 300 Seiten fand, in einem grauen Umschlag. Dafür wühle ich alle Regale durch. Dafür kämpfe ich gegen alle, die etwas anzünden oder wieder zuschließen wollen.
Diese «persönlichen Dinge», abzugeben bei den «Effekten», sind ein Teil von uns. Sind unsere Würde, unsere Erinnerung, unser menschliches Zucken «im Schein der Glühbirne». Sie herauszuholen aus den ekelhaften neudeutschen Papierbergen der Täter ist ein Abschied von der Diktatur. Auch eine Rettung. Auch eine Selbstrettung. Sie darf nicht verwehrt werden.
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2 Nicht die Macht, sondern die Angst
Adam Michnik argumentiert politisch. «Die Logik der Übergangsperiode von der Diktatur zur Demokratie»1 wünscht er sich als «einen Kompromiß der politischen Hauptkräfte. Es muß ein Pakt für die Demokratie sein.» Und er warnt: «Ein Bruch dieses Paktes führt zur Brutalisierung und Anarchisierung des öffentlichen Lebens und zum Chaos. Und das Chaos läßt sich nicht reformieren. Das Chaos führt zwangsläufig zur Diktatur.»
Und er stellt eine Theorie auf, wonach «jede Revolution, ob blutig oder unblutig, zwei Phasen hat. Die erste Phase ist bestimmt vom Kampf um die Freiheit, die zweite vom Kampf um die Macht und die Rache an den Anhängern des ancien regime. Die Phase des Freiheitskampfes ist eine schöne Zeit. Jeder, der an diesem Kampf teilgenommen hat, spürte geradezu körperlich, wie all das an ihm freigesetzt wurde, was er für das Beste und das Wertvollste hielt. Die Logik der Rache hat dagegen eine andere Psychologie. Diese Logik ist unerbittlich. Zuerst kommt die Säuberung unter den Gegnern von gestern. Dann kommt die Reihe an die gegenwärtigen Gegner der Racheakte, gestern noch Mitglieder der Opposition... Eine Atmosphäre der Rache und des Hasses entsteht ... Aus dem Zeitalter des Totalitarismus haben wir, wie einen Aussatz, die Überzeugung mitgebracht, daß Klugheit mit permanentem Argwohn gleichzusetzen sei.»
Ich weiß nicht, ob im geteilten Deutschland der Jahre 89/90 eine Revolution stattfand. Ich weiß nur, daß sich viel veränderte, auch in anderen Ländern, fast zeitgleich. Die Demokratie hat an Boden gewonnen. Diese elende Mauer-Grenze fiel.
1) Adam Michnik, «Der lange Abschied vom Kommunismus», rororo-aktuell, 1992.
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Zuerst Massendemonstrationen, vorher die schwierige Arbeit der kleinen Menschenrechts-gruppen. Dann eine merkwürdige, etwas unverständliche Mitteilung in einer Pressekonferenz, bald strömten die Massen, geschossen wurde nicht. Danke, Gorbatschow-Administration! Von Rache und Gewalt der vielen Grenzgänger, immerhin mit wenigen privilegierten Ausnahmen Jahrzehnte interniert in einem kleinen diktatorischen Teilstaat, keine Spur. Eher Erleichterung, Freude, Hoffnung und Euphorie, auch überdrehte Erwartungen.
Der Alltag kam bald. Auch wirtschaftliche Hilfe und die ganz-schnellen Geldhaie mit ihren Krawatten und smarten Sprüchen. Werbung ist nicht die Wirklichkeit, das wurde schnell klar. Und verarschen kann sich jeder selber. Vor allem, wenn man aus Jahren kommt, die niederdrückten, erschöpften und ungewiß waren in ihrem Ausgang. Viele Ängste, enorme Subalternität. Rasch wurde auch klar, daß «Behörden» kommen, wenn der Rechtsstaat kommt, Verwaltungen und Verwaltungsrhetorik. In Ämtern, in Chefetagen können altbekannte Gesichter sitzen und ganz neu tun. Die Sprache der Vorschriften und Erlasse ist meist schnell gelernt.
Schneller als Gerechtigkeit kommt und wirkliche Hilfe, Rehabilitierung der Opfer, Entschädigung für Verjagte und Niedergehaltene. Schnell kommt dieser Blick wieder hervor, der den Bittsteller an der Tür stehen läßt, auch wenn dieser ein Recht hat, eine eigene Geschichte und nicht schlechte Gesetze hinter sich. Dann werden Akten transportiert vor einer Einsicht irgendwann, durchlaufen Zimmer und Gebäude, Hausmeister werden mächtig und das «technische Personal», welches übernommen wurde in milder Absicht.
Nach bewegten Wochen und Monaten: bald kam der Alltag. In deutschen Gefilden eher eine Ordnung, Adam Michnik, weniger das Chaos. Es gibt Traditionen. Diese «Ordnung» muß - leider - nicht gleich die gute, demokratische sein. Es geht auch anders, gerade wenn «Chaoten» und «extreme Elemente» ferngehalten werden sollen, «die es überall gibt». Bürgerrechtler können dann «die mit den Motiven sein», die «nicht objektiv» sind, nicht ruhig und gelassen wie ein deutscher Beamter eben sein muß. In der Revolutionstheorie müßte dann aufgepaßt werden, daß von der ersten Phase, der der Befreiung, noch ein wenig übrigbleibt.
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Jeder kann nun erfahren, daß unsere Gegenwart und unsere Zukunft sehr wahrscheinlich genau das sein wird, was Adam Michnik gleich zu Beginn der Veränderungen sagte:
«... es wird eine unvollkommene Gesellschaft sein. Eine Gesellschaft von gewöhnlichen Menschen und gewöhnlichen Konflikten. Aber gerade deshalb», so fügt er hinzu, «sollte es eine Gesellschaft sein, die nicht im Namen politischer Traumschlösser auf die ethischen Normen verzichtet.»
Und welche meint Michnik? Wahrheit. Oder, wie er es genau nennt, «die Wahrheit unserer Wurzeln, die Ethik der Macht der Machtlosen, letztlich also — die zehn Gebote. Alles übrige», fügt er hinzu, «ist Lüge und hat den bitteren Geschmack der Heuchelei.» Einverstanden, Adam Michnik, sehr einverstanden! Ich sage das so nachdrücklich, weil Lüge und Heuchelei nicht verschwunden sind, im Gegenteil, sie behaupten sich ganz beachtlich. Hohe Stasi-Generäle verschweigen aggressiv-grinsend ihr Wissen über die von ihnen praktizierte Repression gegen viele Menschen. Alles waren normale Machttechniken, normale «Dienste». Sie berufen sich auch auf einen Eid, auf staatliche Verträge und wahrscheinlich auf die Treue, ihren ewigen Bund mit Erich Mielke und Erich Honecker. Es ist scheinbar kein Ankommen gegen sie.
Ein einflußreicher Parlamentarier der Christlich Demokratischen Partei Deutschlands hält Spitzel der Ex-DDR für «Garanten des inneren Friedens». Ein Ministerpräsident plaudert über zwanzig Jahre lang in ungezählten konspirativen Treffs mit Geheimdienstleuten der MfS-Kirchenabteilung XX/4. Er tritt nicht zurück, er besteht darauf, nur Gutes gewollt und bewirkt zu haben. Wohl gemerkt: Es geht nicht um Ächtung, Weg-Machen von Menschen. Die Machthaber von gestern sollen nicht weiterherrschen, die stalinistische Nomenklatura soll einen Schritt zurück. Die ärgsten Spitzel und Führungsoffiziere sollen als die erkannt werden, die sie wirklich sind. Ich plädiere für das Anerkennen von «Brüchen» in Biografien, jeder ist willkommen, der aus alten unwürdigen Rollen heraustritt oder einmal Mitleid zeigte, ein Zögern, ein Zucken, eine kleine Solidarisierung! Nichts Gutes soll vergessen werden, schrecklich die totalitäre Vorstellung, alle Funktionäre, Amtsträger und Parteigänger seien gleich gewesen. Gerade die Unterschiede, das Differenzieren, «Aufweichen» starrer Fronten der Dogmatik hat das Ende der Gewalt gebracht!
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Und schrecklich auch das nachträgliche parteitaktische Instrumentalisieren in Wahlkämpfen oder bei «Personalfragen», wenn nur an das eigene konkurrierende Abschneiden gedacht wird: o dieses Gewäsch von der «Aufarbeitung», o diese starren Blockparteiengesichter dazu!
Aber ist es ein Zeichen von Rache und Haß, von jenem totalitären «Aussatz», jenem «permanenten Argwohn», wenn Bürgerrechtler nachfragen und keine Ruhe geben, nach den Fakten bohren, parlamentarische Untersuchungsausschüsse fordern, auch juristische Untersuchungen, eigene Akteneinsicht wahrnehmen, Fakten und erkannte Strukturen veröffentlichen und weitere Recherchen anstellen? Ist das falsch, masochistisch, überflüssig? Ich denke nicht. Es ist auch ein Alltag, der des Eintretens für Bürger- und Menschenrechte. Oder im journalistischen Beispiel: der Alltag der Recherche in der Gazeta Wyborcza oder der Ostberliner Anderen. Daß es noch andere Dinge zwischen Morgen und Abend gibt, die angenehmeren darunter, weiß ich auch. Es muß im übrigen nicht eifernd und verbissen sein, was wir tun, um die jüngsten Beispiele der «Anatomie der menschlichen Destruktivität» (Fromm) zu analysieren.
Adam Michnik weist darauf hin, daß das moderne Europa Beispiele von Ländern kennt, «die es geschafft haben, bei der ersten Phase der antidiktatorischen Revolution stehenzubleiben und die gerade dieser Tatsache heute ihre demokratische Ordnung und ihren Wohlstand verdanken. Nehmen wir Spanien. Der spanische Weg von der Diktatur zur Demokratie beweist, daß man einen Staat aufbauen kann, in dem die politischen Gegner von gestern, oftmals Häftlinge, nicht ihre politische Identität verlieren, sondern - mit ihren Aufsehern - in einem gemeinsamen Staat zusammenleben wollen und können. Sie respektieren die Regeln des Pluralismus, der Toleranz und des ehrlichen politischen Wettstreites. Wenn wir nur in den Spiegel schauen oder tief in das eigene Herz, wird uns klar, wie sehr der totalitäre Kommunismus uns depraviert hat. Uns mangelt es an demokratischer Kultur, an demokratischen Institutionen. Wir haben keine Tradition der demokratischen Koexistenz nach den Regeln der demokratischen Ordnung. Jedes Land Zentral- und Mitteleuropas hat seine eigene Biografie und sein geheimes Wissen um die Gefährdung der demokratischen Ordnung...»
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Ja, ich bin bereit, mit den ehemaligen Aufsehern der Haftanstalt Hohenschönhausen in einem gemeinsamen Staat zusammenzuleben. Und ich respektiere die Regeln des Pluralismus, der Toleranz und des ehrlichen politischen Wettstreites. Aber diese Regeln erfordern, daß zum Beispiel die Aufseher und Vernehmer des jungen Jenaer Dissidenten Matthias Domaschk, der unter ungeklärten Umständen in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Gera zu Tode kam, in ihre Verantwortung gebracht werden, wenn sie schon nicht selbst bereit sind, zur Aufklärung dieses Verbrechens beizutragen. Diese Regeln erfordern, daß die Praktiken der Diktatur ans Licht kommen und das Offensichtliche ihrer Herrschaft nicht nachträglich verdeckt oder verklärt wird.
Warum? Um Wiederholungen zu verhindern, die immer möglich sind. Um beizutragen, daß die Demokratie nicht auf «operativ-taktische» Geheimnisse gebaut wird, auf ungeklärte Datenverbrechen, auf millionenfache Verletzungen der informationellen Selbstbestimmung. Wenn wir das Treiben der HVA, der «Hauptverwaltung Aufklärung», in Ost und West nicht durchschauen, wird es weiterwirken: im Geheimnis der vernichteten Akten und «Datenträger», im sicheren Machtgefühl der «zuständigen Mitarbeiter» und Zuträger, daß ihnen nichts mehr passieren kann. Die Demokratie in den östlichen Diktaturstaaten ist noch wacklig. Sie soll aber durchkommen, zumindest ab heute und unter Nutzung der Erfahrungen, die zum Beispiel eine deutsche Bundesrepublik ab 45 sammelte. Auch mit der Qual der «Aufarbeitung» (eine schreckliche Wortgeburt wie Entnazifizierung, LTI läßt grüßen!) der Jahre und Verbrechen des Nationalsozialismus und der folgenden Unfähigkeit zu trauern und der enormen Fähigkeit, schnelle «Schlußstriche» zu ziehen, wegzuflippen ins Aktive des «Aufbaus», des Nach-vorn-Sehens, des Vermeidens einer Schuld- und «Fehlerdiskussion».
Ja, wir sind beschädigt von den Jahrzehnten nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur. Ein Blick in den Spiegel, oder, falls das gelingt im Lärm und den Ablenkungsritualen unserer Zeit, tief in das eigene Herz, bringt Gewißheit: Gelähmt sind wir, gezeichnet von jener tückischen organisierten Mutlosigkeit, auf die sich jede Diktatur sehr gut versteht: «Hat ja doch alles keinen Sinn... die Großen kommen immer davon... es gibt keine Gerechtigkeit, keine Wahrheit, sieh dir doch bloß die Boulevardzeitungen
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an... was redet der von Kultur und Toleranz, von Pluralismus und ehrlichem Wettstreit... alles Phrasen... Auflehnen ist sinnlos... wenn man sich auflehnt oder was Unpassendes sagt, wird man gefeuert und arbeitslos» und so weiter und so fort.
Das steckt in uns, Adam Michnik, das ist eine Variation der «zweiten Phase»: Die fortgesetzte Herrschaft und Gewalt der nicht überwundenen sozialen und politischen Depression. Die Abwesenheit von Zivilcourage und die Anwesenheit von Kusch-Verhalten, Unterordnung und Rückzug ins Private. Das Inhumane der erneut einsetzenden und seit 33 gut geübten Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden und den Schmerzen anderer. Die Fähigkeit der Koexistenz mit der Lüge, der Ungerechtigkeit und dem stumpfsinnigen Ventil der Entwertung alles «Fremden», Anderen. Die Bereitschaft, Ein- und Ausgrenzungen erneut zu akzeptieren, ja sogar herbeizuwünschen, wenn es «unübersichtlich» wird. Sogar die Gewalt, die dazu nötig wäre, subaltern hinzunehmen, auszuführen oder gar wieder mit verdrehten Augen in Märsche, Rufe und «Bewegungen» umzusetzen im «Weltmaßstab». Demokratie, Parlament, Öffentlichkeit, Menschenrechte, das wird dann verlacht, verhöhnt, ist erfolglose «westlich-liberale Scheiße».
Die neue Rechte der Einheitsparteistalinisten und Offiziere für Staatssicherheit und Nationale Verteidigung sind durchaus in der Lage, «ewige Werte» von «Gemeinschaft, Sauberkeit, Ordnung und Disziplin» hochzuhalten, wie es die alte Rechte auch getan hat (und wieder ein wenig lauter propagiert, nicht nur in Deutschland). Nein, wir glauben nicht mehr an politische Utopien, an die «neue Gesellschaft», an das Paradies der Werktätigen auf Erden, organisiert von wildgewordenen Parteifeldwebeln oder zur Macht gelangten ehemaligen Opfern, die ihre Leiderfahrung mit einer neuen Diktatur an andere weitergaben. Demokratie ist für uns vor allem das Erkennen und gemeinsame Abwehren von Gefahren, wie es Glucksman formulierte. Oder die Fähigkeit, mit vereinbarten Regeln des Zusammenlebens unfähige Regierungen unblutig loszuwerden, wie es Popper sagte. Falls es sich bei unseren deutsch-deutschen Veränderungen doch um eine Revolution handelt und falls sie in zwei Phasen verläuft, dann sage ich: Auf Phase zwei, auf Rache und Haß, kann verzichtet werden. Auf Wahrheitssuche, auf Durchsetzen der Menschenrechte, auf öffentliche Entlarvung von hartnäckiger Lüge und die Entmachtung konspirativer Abhängigkeits- und Gewaltstrukturen nicht.
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Und wenn wir heute, 1992, durchaus ungeduldig werden, weil spürbar ist, daß das Gefühl der Angst und des Drucks nicht nachlassen will bei vielen in den «neuen Bundesländern», dann nicht, weil etwa eine «Beschleunigung der Abrechnung» den demokratischen Anfang hinwegfegen soll, in Rußland ist das 1917 demagogisch und geschickt von Lenin und seinen Leuten inszeniert worden. Wir sind ungeduldig, weil, wie es die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aus Birma sagt (noch immer muß sie im schikanösen Hausarrest leben am anderen Ende der Welt), «eine Nation die Angstfreiheit im Gemüte» benötigt, um eine offene demokratische Gesellschaft zu organisieren. Darum geht es, nicht um Rache, Argwohn oder Abrechnung.
3 «Mißbrauch der Lyrik» — einige Fakten
Freilich: Aufmerksam, vielleicht sogar auf der Hut, müssen wir sein. Eugen Kogon, der sozialdemokratische KZ-Häftling und Verfasser des «SS-Staates», sagte es so: «Sofort müssen wir auf die Barrikaden gehen, wenn Unmenschliches, auch in kleiner Form, geschieht.» Und woher kommt die Orientierung, der Kompaß der humanen Position? Auch und vor allem aus dem Erinnern. Nichts wird vergessen von all dem Morden, Quälen, Drücken.
Kogon: «Damit man sich aber richtig erinnert, muß man die Fakten präsentieren.» Aus diesem Grunde einige Fakten, einige Auszüge aus Stasi-Akten. Ich möchte ihre Sprache zeigen, ihre deutsche Sprache. Eines ihrer «Feindobjekte» war ich selbst, «bearbeitet» in «Operativen Vorgängen», «OVs» sagten sie, oder «ZOVs», «Zentrale Operative Vorgänge». Auf die Aktendeckel schrieben sie Namen wie «Pegasus», «Revisionist», «Spinne» oder «Opponent». Ich wurde «laufend geführt», also von etwa 1968, da war ich noch Schüler, bis Ende 1989. Ohne Unterbrechung, nur «Teilvorgänge» wurden «archiviert», also in besonderen Magazinen und Hebelschubanlagen abgestellt. Es waren wohl zu viele Leitzordner geworden. In der Ostberliner Behrenstraße, bei der «Gauck-Behörde», saß ich in diesem Frühjahr vor etwa 30 Bänden à 300 Seiten.
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Vieles ist verschwunden und muß mühsam rekonstruiert werden. Es gab keine Grenze für dieses MfS, keine für ihre «Maßnahmepläne» und Praktiken, auch keine Staatsgrenze.
Nach der Haft und der Ausbürgerung 1977, ich wurde Bundesbürger und lebte in Westberlin, ging es erst richtig los. Der Westen war für SED und Stasi «OG», «Operationsgebiet». Die unheilvolle und längere Geschichte der versuchten Unterwerfung anderer Menschen und Territorien wurde fortgesetzt.
*
Jena, den 27.01.1975
Eröffnungsbericht zum op. Vorgang «Pegasus»,
Reg.-Nr.X/66/751. Es ist vorgesehen, im op. Vorgang u. a. Fuchs, Jürgen... operativ zu bearbeiten.
2. Bekanntwerden und Begründung der Bearbeitungsrichtung:
... Es besteht der Verdacht, daß strafrechtlich relevante Handlungen im Sinne des § 106 (Staatsfeindliche Hetze) Abs. i Ziffer i und 3 des StGB begangen werden. Durch inoffizielle Berichte und Einschätzungen wurde bekannt, daß dieser Führungskern Verbindungen zu negativen Personen, wie Biermann, Kunze u. a. besitzen, deren Gedankengut im Zirkel sowie in internem Kreis verbreiten und selbst auf dieser Linie sich bewegende Lyrik-Arbeiten verfassen...3. op. Situation:
... durch eine offensive und konzentrierte op. Bearbeitung des Vorgangs mit spezifischen tschekistischen und gesellschaftswirksamen Mitteln und Methoden erfolgt eine zielgerichtete Einflußnahme auf die Entwicklung dieses gesellschaftlichen Teilbereichs. Entsprechend der Bearbeitungskonzeption werden alle Maßnahmen durch koordinierten Kräfteeinsatz der KD Jena und der Abt. XX der BV Gera durchgeführt.Leiter der KD Jena
Schmidt, Leutnant
Erhardt, Major*
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Jena, 31.1.1975 Konzeption zur zielstrebigen Bearbeitung des OV «Pegasus»:
- Offensiv-dynamische Bearbeitung... als ein möglicher Schwerpunkt im Schwerpunktbereich «Mißbrauch der Lyrik» unter Beachtung zu erwartender Verletzungen von Strafrechtsnormen ...
- Organisierung einer schwerpunktmäßigen personengebundenen Vorgangsbearbeitung bei gleichzeitiger weiterer operativen Durchdringung des Schwerpunktbereiches...
- Herausarbeitung der örtlichen, bezirklichen und überterritorialen Verbindungen der Vorgangspersonen zwecks Beweisführung verletzter Rechtsnormen und Fehlverhaltensweisen...
- Personengebundene Herausarbeitung anteiliger Aktivitäten und Formen der Feindtätigkeit und anderer Formen der Kriminalität zur Vorbereitung eines differenzierten Vorgangsabschlusses (Haft-Einschränkung ihrer Aktivitäten-Verunsicherung-Auflösung-Kontaktierungen und IM-Werbl'ingen).
- Erhöhung der Informationstätigkeit an Partei- und Staatsführung zur nachhaltigen Unterstützung einer gesellschaftswirksamen Zurückdrängung/Einschränkung/Verhinderung der Verbreitung hetzerischer bzw. negativ wirkender Aktivitäten und Verhaltensweisen.
- Konzentrierte Bearbeitung und umgehende Liquidierung / Zurückdrängung / Zersetzung / Verunsicherung aller negativen Einflüsse der Vorgangspersonen.
- Prüfung und Organisierung des differenzierten Einsatzes folgender IM:
IMS «Regina» KDJena Ltn. Schmidt IM V «Peter» KDJena Ltn. Schmidt IMV «Buchholz» XX/Gera Ofw.Zelt IMS«Tietz» XX/Gera Ltn. Schiffel IMV«ElkeKnoll» XX/Karl-Marx-Stadt Oltn. Meinhold
- Erweiterung der IM-Basis durch qualifizierte Neuwerbungen während der Bearbeitung und im Prozeß der Liquidierung.
*
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Jena, 9.2.1977
Gründe für das Einstellen des OV « Pegasus »: Im Zusammenhang mit den Ereignissen ami8. n. 1976 (Ausweisung BIERMANNS) wurden die Inspiratoren und Exponenten der Gruppierung inhaftiert und E-Verfahren eingeleitet. Weitere operative und gesellschaftliche Maßnahmen gegen andere Mitglieder der Gruppierung sind bzw. werden eingeleitet... Anzahl der im Vorgang registrierten Personen: 4 Davon:
im Ermittlungsverfahren mit Haft erfaßt: 3 Vorbeugende, erzieherische u. a. operative Maßnahmen: l Vorgang ist gesperrt abzulegen. Inhalt der Akte: Akte i: 293 Blatt
Akte 2:318 Blatt
Akte 3: 317 Blatt
Akte 4: 253 Blatt
Lippoldt, U. Ltn. Nowack, Major stil. Leiter der DE
*
Gera, 23. Juli 1975 IM-Bericht Abt. II, Quelle: IMK «Wally», Abt. 11/3, am 18.6.1975 erhalten. Tonbandabschrift. Wörtlich:
... Mir fällt auf, daß z. B. bei einem Gedicht von Jürgen Fuchs kann ich das verdeutlichen, vom Bild her und auch rein technisch schon so viele Fehler aufgetreten sind, daß ich mir nicht erklären kann, mit welcher Wirklichkeit und bzw. weshalb Leute überhaupt darauf kommen, so etwas zu drucken. Wie z. B.:
JÜRGEN FUCHS IHR BLUMEN
In den Schießbuden
Verwelkt nicht
Sonst
Werden auf den blühenden Wiesen
Die lebenden
Abgeschossen
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Das ist im Grunde ein Satz, ein Gedicht, ein sonstetwas, daß schon inhaltlich von den Bildern her anzugreifen ist und vollkommen verzerrt eine Situation darstellt, die nicht der Realität entspricht. Weiter ein ähnliches:
BESICHTIGUNG
Hinter
Den Klarsichtscheiben
Der Gasmaske
Sehen Sie
Zwei Augen
Im Inneren
Herzkammern
Keine Gaskammer
Der Anspruch dieser Leute vor allen Dingen der des Jürgen Fuchs ist so groß, es ist eine Art von Arroganz, die sich in einem Gedicht ganz deutlich zeigt:
DIESE ANGST Auf halber Zeile:
Daß mein Stift
Zerbricht
Bevor alles gesagt
Und
Wer hört mich
Wenn ich schweige
Einzelne Sachen von ihm raus genommen aus seiner komplexen Arbeit, können im Grunde durch sein Einwirken auf das Publikum die Wirkung haben, die er sich vorstellt, die er sich wünscht, da sie jegliches Engagement im einzelnen eigentlich offen lassen.
*
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Gera, 7.8.1975 Bezirksverwaltung
für Staatssicherheit, Abt. XX
Überprüfung von Handschriften/Ihr Schreiben vom i. 4.1975,
Tgb. Nr. 1117/75
... Die Überprüfung im Schriftenklassifizierungsschrank ergab, daß zwischen den übersandten Vergleichsschriften und den gespeicherten Schriftstücken keine Identität besteht. Von dem übersandten Schriftmaterial wurden Kopien angefertigt, die klassifiziert und gespeichert wurden.
Anlage: 10 Blatt Leiter der Abt. XX Müller Oberstleutnant
*
Berlin, den 20. n. 1976 Haftbefehl
Fuchs, Jürgen, geb. am 19.12.50... ist in Untersuchungshaft zu nehmen. Er wird beschuldigt, staatsfeindliche Hetze begangen zu haben ... mit dem Ziel, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR zu schädigen und gegen sie aufzuwiegeln...
Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte
Sattler
Richter
Berlin, den 20. n. 1976
Zur Sache stellt der Beschuldigte fest: Den Vorwurf, der mir im Haftbefehl gemacht wird, weise ich entschieden zurück. Ich möchte gegen diesen Haftbefehl Beschwerde einlegen und mich an meinen Rechtsanwalt wenden. Den Untersuchungsvorgang hat das MfS übernommen:
Gabbe Major
*
26
Berlin, den 23. n. 1976
Der 3. Strafsenat des Stadtgerichts von Groß-Berlin hat beschlossen:
Die Beschwerde gegen den Haftbefehl wird als unbegründet zurückgewiesen.
*
Berlin, den 20.11.1975 U-Haft Hohenschönhausen
Vernehmungsprotokoll
Frage: Es wird Ihnen Gelegenheit gegeben, sich zu dem gegen Sie
erhobenen strafrechtlichen Vorwurf der staatsfeindlichen Hetze zu
äußern. Welche Aussagen können Sie machen ?
Antwort: Ich habe lediglich drei Aussagen zu treffen:
1. Ich protestiere gegen meine Festnahme!
2. Ich fordere meine sofortige Freilassung!
3. Ich führe keine Gespräche mit Menschen, die einen unbequemen
Literaten ohne Angaben von Gründen inhaftieren! Frage: Sie werden darauf hingewiesen, daß im Rahmen der Bearbeitung des gegen Sie eingeleiteten Ermittlungsverfahrens mit Ihnen keine Gespräche sondern Vernehmungen geführt werden.
*
Berlin, den 7.1.1977
U-Haft Hohenschönhausen Aktenvermerk
Im Verlaufe der seit dem 30. 12.1976 geführten Vernehmungen legte der Beschuldigte Fuchs demonstrativ ein desinteressiertes, geistige Abwesenheit vortäuschendes Verhalten an den Tag, das darin zum Ausdruck kommt, daß er teilweise nicht mehr auf die seitens des Unterzeichners gestellten Fragen eingeht und mittels seines Fingers Buchstaben und Wortverbindungen imaginär im freien Raum oder auf die Tischplatte malt. Auf Aufforderungen, dieses Tun zu unterlassen, reagierte Fuchs nicht, sondern verstärkte diese Handlungen.
Anding Oberleutnant
*
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Berlin, den 4.3.1977
U-Haft Hohenschönhausen Aktenvermerk
In der heutigen Vernehmung über die von ihm hergestellten und verbreiteten Schriften verweigerte der Beschuldigte Jürgen Fuchs ohne Angabe irgendwelcher Gründe dafür passiv jegliche Antwort... er zeichnete schweigend nach den ihm gestellten Fragen Schriftzeichen auf die Tischplatte, gab sein provozierendes Verhalten jedoch nicht auf. In vorangegangenen Vernehmungen hatte Fuchs dem Unterzeichner gegenüber mehrfach geäußert, ihn durch sein Verhalten in den Vernehmungen zu einer unkontrollierten, spontanen Äußerung provozieren zu wollen, damit er «endlich sein wahres Gesicht zeigt». Die dem Beschuldigten gestellten Fragen wurden protokolliert, er verweigerte aber deren Kenntnisnahme.
Groth Oberfeldwebel *
Brief an das MfS v. 31.3.1977
betr.: Veröffentlichungen des Schriftstellers Jürgen Fuchs in der Zeitschrift der Akademie der Künste «Sinn und Form»
Wir erklären auf Anforderung, daß der Schriftsteller Jürgen Fuchs in den letzten Jahren lediglich mit einer Veröffentlichung in Heft 5 des Jahrgangs 1974 beteiligt war... Mehrfach hat jedoch Jürgen Fuchs in den Jahren 74, 75 und 76 der Redaktion Gedichte bzw. Prosastücke zur Veröffentlichung angeboten. Er tat das jeweils auf schriftlichem Wege, ohne jemals persönlich in der Redaktion gewesen zu sein. Den Mitarbeitern der Redaktion ist deshalb Herr Fuchs persönlich nicht bekannt. Die eingesandten Arbeiten waren zumeist wegen politischer Bedenken... für die Veröffentlichung in der Zeitschrift «Sinn und Form» ungeeignet... Die letzte Einsendung von Jürgen Fuchs erfolgte am n. 10.1976 und wurde durch die Redaktion am 3. n. 76 zurückgegeben. Es handelte sich hierbei um Beiträge aus dem Manuskript «Gedächtnisprotokolle»... Für diesen Fall fügen wir in der Abschrift den Schriftwechsel bei...
Heinz Schnabel Dr. Armin Zeißler Generaldirektor stellv. Chefredakteur Akademie der Künste der DDR
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Brief an das MfS v. 18.3.1977 Sehr geehrte Genossen!
Die Zeitschrift «Neue Deutsche Literatur» hat von Herrn Jürgen Fuchs zweimal — und zwar Ende 1972 und im Dezember 1974 — Gedichte zum Abdruck angeboten erhalten. Während die Redaktion aus der ersten Einsendung zunächst einige Gedichte zum Abdruck auswählte, sie dann aber doch nicht in der Zeitschrift veröffentlichte, schickte sie die im Dezember eingereichten neuen Gedichte wegen ihres pessimistischen Grundgehalts nach Prüfung sofort zurück. In der NDL wurden also keine Gedichte von Jürgen Fuchs gedruckt. Gerhard Henniger Walter Nowojski i. Sekretär Chefredakteur
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Berlin, den i. 4.1977
Stellungnahme mit handschriftlichem Zusatz: Erarbeitet durch HA IX (MfS-Hauptabteilung «Untersuchungsorgan») und Abt. Agitation anläßlich Wahlversammlung des Berliner Schriftstellerverban-des am 1.4.1977...
[Auszug: ] Fuchs gehört nicht zu den Leuten, die von sich behaupten können, es ginge ihnen um die Kritik und die Verbesserung des sozialistischen Lebens, sondern er ist seit Jahren ein Mensch, der haßerfüllt darauf aus ist, das Ansehen der DDR zu schädigen... Bei jeder dem Gegner passenden Gelegenheit, von außen auf uns einzuwirken und Unruhe zu schaffen, konnte er sich voll und ganz auf Fuchs stützen... Aus der Analyse westlicher Massenmedien geht unzweideutig hervor, daß er aus durchsichtigen Gründen zu einem « Schriftsteller » hochstilisiert werden soll. Fuchs war außerdem bestrebt, andere Personen in seine subversiven Handlungen einzubeziehen. Aufgrund dringender Verdachtsgründe wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erlassen. Da es sich um ein noch schwebendes Verfahren handelt, können keine weiteren Einzelheiten mitgeteilt werden. Zu gegebener Zeit werden die Justizorgane der DDR über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Fuchs befinden...
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Berlin, den 5.4.1977
GUTACHTEN über die Texte von Jürgen Fuchs [18 Seiten] [Auszüge:] Dem Gutachten liegen 63 literarische Texte zugrunde, die in der Anlage im einzelnen enthalten sind. Die Texte wurden fortlaufend nummeriert, was bei der Anführung von Textstellen Berücksichtigung fand. Für die Gutachter war einzuschätzen, inwieweit in diesen Texten unter dem Deckmantel der Literatur Auffassungen und Konzeptionen vertreten werden, die gegen die Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichtet sind. Die Schriften von Jürgen Fuchs sind zum großen Teil inhaltlich offen, recht oft demagogisch verbrämt, gelegentlich weniger deutlich erkennbar - weil nichtig in der Aussage - gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR gerichtet. Die Art der Niederschriften läßt erkennen, daß der systematische Aufbau einer Gegenposition vorausgegangen sein muß... Sein Ausgangspunkt ist die totale Negation der bestehenden gesellschaftlichen Organisationsformen in der DDR... Die Bürokraten, der Apparat, die Funktionäre - das sind die immer wiederkehrenden Worte, die in Verbindung mit Bezeichnungen wie Seelenlosigkeit, Unmenschlichkeit, Heuchelei, Brutalität usw. zur Diffamierung der gesellschaftlichen und staatlichen Organe... benutzt werden... Ganz komprimiert werden die genannten Angriffe in dem Gedicht «Das Erwachen» vorgestellt... Es wird unterstellt, daß angesichts dieser bedrohlichen und allgewaltigen Apparatur der Mensch entweder zum Kriecher, Heuchler werden muß, der angstvoll seine Tage verlebt, oder, wenn er das nicht will, in eine Art innerer, mit Protest und Widerstand verbundener Emigration gehen muß - wenn er nicht der Vernichtung anheimfallen will... Fuchs überantwortet der Kunst eine messianische Funktion. Sie allein vertrete, so versucht er den Ton zu treffen, die Wahrheit inmitten eines Meeres der Lüge... Die Kehrseite dessen ist, daß die Kunst bzw. all das, was sich als Kunst ausgibt, von vornherein absolute Autonomie für sich zu beanspruchen habe... Zu beachten ist der Tatbestand... der grundsätzliche geistige Gehalt... Folgende Texte können als unerheblich aus der Betrachtung ausgenommen werden: « Das Mindeste», «Das Fenster», «Die Fahne» ... Eine weitere Gruppe von Texten ... wird im Folgenden wegen deutlich zutage tretender Besonderheit im Bezug auf die Aussagefähigkeit der Fuchs'schen Position
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genannt: «Die Vorladung», «Der Unterricht», «An der Universität», «Die Lüge»... Die dritte Gruppe von Texten hat schwerwiegende, im wesentlichen auf Verleumdung und Diffamierung bzw. auf Aufwiegelung zum Widerstand gegen den Staat und gegen gesellschaftliche Organe ideelle Grundlagen: «Das Erwachen», «Die Ankunft», «Der Stuhl», «Die Wende», «Der Auftakt», «Das Interesse», «Ihr Blumen»...
Direktor des Instituts für Sektion Germanistik/ Literatur «Johannes R. Becher» Literaturwissenschaft
Prof. Max Schulz der Humboldt-Universität
Prof. Dr. Anneliese Löffler Cheflektor des Aufbau-Verlages Berlin und Weimar Ruth Glatzer«
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Berlin, den 13.12.1976
Durch die von der Hauptabteilung IX/2 in Ermittlungsverfahren wegen staatsfeindlicher Hetze bearbeiteten Beschuldigten... wurde am 17.10.1976 in Leipzig mit dem Ziel der Verbreitung einer Tonbandaufzeichnung mit hetzerischen Texten gefertigt, die bisherigen Feststellungen zufolge am 24.11.1976 vom Hessischen Rundfunk gesendet wurde... Es wird um die Erstattung eines Sachverständigengutachtens. .. gebeten: 1. Welche Texte enthalten die beiden als Beweismittel vorliegenden Tonbänder und wurden die Aufzeichnungen von ein und demselben Geschehen gefertigt...
Leiter der HA IX
Liebewirth
Oberstleutnant«
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Gebührenrechnung, Aktenzeichen 761.709
1. Lohnkosten für Gutachter 3324,-M
2. Lohnkosten für wissenschaftlich- 808,-M technisches Personal
3. Gemeinkosten (300%) 12396,-M
4. Schreibgebühren 30,- MKosten der Expertise: 16.558,- M
Ministerrat der DDR
MfS
Techn. Untersuchungsstelle#
Berlin, den 15. 2.1978
Stellungnahme der HA IX / 2 des MfS zu der von Jürgen Fuchs verfaßten und vom BRD-Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» publizierten Artikelserie «Du sollst zerbrechen», [Auszug:] ...Zu den vorliegenden publizierten Artikeln... kann eingeschätzt werden, daß es sich hierbei um eine ähnliche scheindokumentarische Methode der Darstellung von angeblichen Ereignissen handelt, wie dies von ihm bereits in seinen sogenannten Gedächtnisprotokollen praktiziert wurde, die unter anderem den Gegenstand seines Ermittlungsverfahrens bildeten... Diskriminierung und Verleumdung der Organe des MfS... durch das Hochspielen und Aufbauschen von Geringfügigkeiten... das Ansehen der DDR zu schädigen ... und feindliche Zentren und Einrichtungen in der BRD und Westberlin zu unterstützen.
Eberl Hauptmann
Verteiler
1. Expl. Genosse Minister
2. Expl. Gen. Generalleutnant Beater
3. Expl. Gen. Generalmajor Mittig#
32.
Vermerk
Fuchs macht in seiner publizierten Artikelserie... bezugnehmend auf seine Unterbringung in der UHA des MfS mehrmals Angaben über einen angeblichen « Spion » sowie über « Abhöranlagen ». Es entspricht den Tatsachen, daß Fuchs während des gegen ihn durchgeführten Ermittlungsverfahrens unter operativer Kontrolle durch Technik und ZI (Zelleninformator/Haft-IM) stand. Auf diese Weise gelang es von Dezember 1976 bis 30.3.1977 eine Reihe wertvoller Hinweise... zu erarbeiten. Begünstigt durch vernehmungstaktische Fehler des Untersuchungsführers entstand zum vorgenannten Zeitpunkt bei Fuchs der Verdacht, daß er «abgehört» wird. Eine eindeutige Dekonspiration des ZI konnte jedoch nicht festgestellt werden. Beim ZI handelt es sich (Angaben zur Person)... der mehrfach überprüft eine zuverlässige und gewissenhafte Arbeit leistete und durch die HA VIII für eine inoffizielle Nutzung im Operationsgebiet (Berlin West und Bundesrepublik) vorgesehen ist...
Eberl Hauptmann
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Berlin, den 4.5.1982
An den Leiter der HA XX, Generalmajor Kienberg Persönlich! Streng Geheim!
Zur Unterstützung der operativen Bearbeitung von Eppelmann übersende ich Ihnen als Anlage eine Zusammenfassung der bei der HVA vorliegenden Erkenntnisse über... Kontaktpartner des Fuchs, Jürgen, in der BRD - vermutlicher Agent eines BRD-Geheimdienstes... seit ca. Ende 1981... Organisierung einer Pseudofriedensbewegung in der BRD mit antisowjetischer Stoßrichtung...
Stellvertreter des Ministers
Wolf
Generaloberst
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Berlin, den 6.5.1982 Haftbefehl
Fuchs, Jürgen, geb. am 19.12.50, wohnhaft in 1000 Berlin (West) 42... ist in Untersuchungshaft zu nehmen. Er wird beschuldigt, sich der landesverräterischen Nachrichtenübermittlung und der staatsfeindlichen Hetze schuldig gemacht zu haben...
Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte
Mielich
Richter#
Berlin, den 26.5.82 FAHNDUNG
Nachgenannte Person ist im Fahndungsbuch zur Festnahme auszuschreiben ... Fuchs, Jürgen... Welche Dienststelle ist bei Festnahme oder Ermittlung der Person zu benachrichtigen? HA IX/2, Oltn. Groth, Tel. 5 2440 oder OdH, Tel. 5 2450. bestätigt:
Mielke Liebwirth Unterschrift Leiter HA IX/2
«
Berlin, den 29.9.82 Zwischenbericht der HA XX/5 über die Feindtätigkeit des Jürgen Fuchs [Auszug:]
...Im Vergleich zu den ersten Monaten des Jahres 1982... haben sich die Schwerpunkte der feindlichen Tätigkeit etwas verlagert... Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die Aktivitäten zu bestimmten Anlässen, wie die Popularisierung des «Berliner Appells», der Rummel um HAVEMANN anläßlich seines Todes und die Friedensdemonstration am 10.6.1982 immer massiv verstärkten und auch zukünftig verstärken können... Im Zeitraum von Ende August bis Ende September 1982 wurden in konzentrierter Form spezielle Maßnahmen realisiert, Fuchs zu verunsichern und in seinem Handlungsspielraum zu beeinträchtigen. Das betraf unter anderem:
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• Fuchs wurde kontinuierlich, vor allem in den Nachtstunden, in seiner Wohnung angerufen, ohne daß sich der Anrufer meldete. Gleichzeitig wurde jeweils der Fernsprechanschluß zeitweilig blockiert.
• Im Namen von Fuchs wurde eine Vielzahl von Bestellungen von Zeitungen, Zeitschriften, Prospekten, Offerten u. dgl. aufgegeben, darunter Bestellungen, die zur Kompromittierung des Fuchs geeignet sind.
• Mehrfach wurden Taxis und Notdienste (Schlüsselnotdienst, Abflußnotdienst, Abschleppdienst) vorwiegend nachts zur Wohnung des Fuchs bestellt.
• Mit einer Vielzahl von Dienstleistungsunternehmen und anderen Einrichtungen wurden zu unterschiedlichen Tageszeiten, einschließlich der Wochenenden, Besuche bei Fuchs vereinbart (Beratung zur Wohnungs- und Kücheneinrichtung sowie zur Badausstattung; Polstermöbelaufarbeitung, Polstermöbelreinigung; Wohnungsreinigung; Fensterputzer; Abholung von Schmutzwäsche; Wohnungsauflösung; Abholung von Autowracks; Ungezieferbekämpfung; Bereitstellung von Mietautos mit Fahrer; Massage; Beratung in Versicherungsabschlüssen; Buchung von Reisen; Bestellung von Menüs).
Die dazu durchgeführten Überprüfungen ergaben, daß sich Fuchs angesichts der... veranlaßten Aktivitäten, der wiederholten Störungen und des massiven Eintreffens von Materialien unterschiedlichster Art belästigt fühlt und darüber verärgert ist. Bisher wurden seinerseits keine Bemerkungen bekannt, wonach er die eigentlichen Urheber für diese Belästigungen in Maßnahmen des MfS sieht. Zwischenzeitlich wurde mit der Schwiegermutter des Fuchs eine Aussprache durchgeführt. Wesentliche operative Erkenntnisse wurden dabei nicht gewonnen.
Unter Nutzung persönlicher Interessen wurde die Schwiegermutter aufgefordert, auf ihre Tochter und ihren Schwiegersohn dahingehend einzuwirken, daß sie zukünftig von feindlichen Angriffen auf die DDR Abstand nehmen...
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Gera, den 25.5.83,
Bezirksverwaltung des MfS
Auskunftsbericht
[Auszug:]... Ein besonders enges Verhältnis hat Fuchs zu Kräften, die in der «Charta 77» vereint sind... Über Havel wurde... die von Fuchs abgeforderte und in der Westpresse publizierte Solidaritätsbekundung der «Charta 77» für die «DDR-Friedensbewegung» organisiert ... Diese Beziehungen dienen dem Vorhaben, eine Internationalisierung dieser «Bewegung» in den sozialistischen Ländern zu erlangen... So unterhält Fuchs des weiteren einen engen Kontakt mit dem konterrevolutionären polnischen Literaten Zagajewski, Adam und beteiligte sich an der Organisierung einer Solidaritätssammlung für «Solidarnosc»... Ansatzpunke für das Eindringen und die Zersetzung der Fuchs-Bande: Unter Nutzung der Angst des Fuchs vor dem MfS und seines Mißtrauens können sich aus seinen verwandtschaftlichen Rückverbindungen günstige Möglichkeiten für die Einführung von IM mit anschließender Übersiedlung ergeben ... Spaltung der Agenten-Bande durch Gerüchteverbreitung über Bevorteilung, persönliche Bereicherung, Abwälzung der Gefahren und Belastungen auf andere sowie die Verletzung der Konspiration durch Veröffentlichungen in der Presse, u. a. durch die konspirative Beschaffung und Nutzung der schriftlichen Nachrichten, Informationen usw., welche Fuchs in einem Ordner in seiner Wohnung aufbewahrt...
Anlage
Übersicht über die direkten und indirekten Verbindungen und Kontakte des Fuchs, Jürgen ins Operationsgebiet:
... Biermann, Wolf (Dissident)... Böll, Heinrich (Schriftsteller BRD)... Faust, Siegmar (Dissident)... Rachowski, Utz (Angehöriger von Feindorganisationen)... Reiprich, Christine und Siegfried (AOV «Opponent»)... Serke, Jürgen («Stern »-Reporter)... Corino, Karl («Hessischer Rundfunk»)... In der DDR u.a. Jahn, Rub, Bohley, Katja Havemann...
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April 1988
Diplomarbeit zum Thema: «Die Widerspiegelung politischer Feindschaft gegenüber der DDR in literarischen Angriffen gegen die Grenztruppen der DDR am Beispiel des Buches <Fassonschnitt> von Jürgen Fuchs»
Betreuer: Oberst F. Oettel[Auszug: ] ... Die imperialistischen Konfrontationsideologen machen sich für das Erreichen der Ziele der ideologischen Diversion ehemalige DDR-Schriftsteller, die ihr Land verraten haben, zu nutze. Einer von diesen Verrätern ist... Jürgen Fuchs, der den Roman «Fassonschnitt», welcher die Grundlage für diese Arbeit bildet, im Jahr 1984 herausbrachte... Der Roman ist als besonders gefährlich einzuschätzen, da er geeignet ist, das sozialistische Wehrmotiv der Angehörigen der Grenztruppen der DDR zu untergraben... «Spitzelwahn, chronische DDR-Krankheit, Seuche aller Diktaturen... das Gewollte, Unsoziale dieser... Lage ist besonders daran zu merken, daß sich sofort das Mißtrauen meldet» («Fassonschnitt» S.100)...
Auch hier geht es Fuchs um nichts anderes, als den real existierenden Sozialismus in seinem Kernbestand, der Stabilität und Funktionstüchtigkeit der politischen Macht zu treffen...
Auf Seite 243 schreibt Fuchs: «Dieser Druck soll weg, diese Kasernenwelt, die auch in mir alles regieren und gleichschalten will...»Offiziersschüler U. Rennicke
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Berlin, den 12.12.1989,
ANS (Amt für Nationale Sicherheit)Beschluß über die Archivierung des Vorgangs ZOV «Opponent»
wegen
Wegfall von Voraussetzungen für eine Strafverfolgung.
HA XX/5
Vogel Buhl
Hptm. Oberst
36-37
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