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Vorwort

Schellnhuber-2015

8-11

Dieses Buch

handelt von der größten Geschichte aller bisherigen Zeiten. Die drei Hauptrollen spielen die Menschheit, das Klimasystem und das Wunderelement Kohlenstoff, kurz C genannt. Letzteres ist Voraussetzung für alles irdische Leben, kann aber noch vieles mehr – je nachdem, welche Gestalt es annimmt oder welche Verbind ung es eingeht. Als gasförmiges Kohlendioxid wärmt es die Erdoberfläche, als fossiler Brennstoff in der Erdkruste bewahrt es die Sonnenenergie über Jahrhundertmillionen auf.

Das Klimasystem ist zugleich Diener und Herr des Kohlenstoffs, wie zu erläutern sein wird. Zudem hat dieses System durch seine früheren Schwankungen eine intelligente Lebensform, den Homo sapiens, hervorgebracht und durch seine jüngste Stetigkeit die Landwirtschaft, jene Grundlage aller Kultur, ermöglicht.

Der moderne Mensch zeigt sich dafür jedoch nicht dankbar, denn er ist einen historischen Pakt mit dem Kohlenstoff eingegangen, der sich gegen das Klima richtet: Wie ein freigesetzter Flaschengeist erfüllt C dem Homo sapiens jeden Energiewunsch und lässt die Überflussgesellschaft entstehen. Doch gleichzeitig erhitzt der rasend aufsteigende Luftkohlenstoff den Globus über alle zuträglichen Maße und wendet sich damit gegen seine Befreier. Ergo geht unsere Zivilisation den Weg in die Selbstverbrennung – aus Gier, aus Dummheit und vor allem aus Versehen.

So verhängnisvoll könnte sich jedenfalls diese schicksalhafte Dreiecksbeziehung entwickeln, deren faszinierendsten Aspekte ich schildern werde. Der Ausgang der Geschichte ist allerdings offen: Immer noch kann sich der Mensch von der fossilen Verführung lossagen und vor dem selbst errichteten Scheiterhaufen kehrtmachen. Wenn Wissen und Wollen umgehend zusammenfinden. Und wenn wir deutlich mehr Glück als Verstand haben …

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sollte bereits vor mehr als fünf Jahren erscheinen, und zwar unter dem ironischen Titel »Stühlerücken auf der Titanic«. Autor und Verlag hatten dabei eine eher konventionelle Beschreibung des Klimaproblems auf knapp 300 Seiten im Sinn. Also gestrickt nach dem bewährten Muster »Führender Experte erläutert eine wichtige und komplizierte Thematik auf anschauliche Weise für ein breites Publikum und warnt vor den ernsten Folgen des sich abzeichnenden Politikversagens«. Durchaus lesenswerte Bücher dieser Art sind beispielsweise zur Griechenland-Krise verfasst und verkauft worden.

Das Thema Klimawandel sprengt jedoch ein solches Format; seine wissen schaftlichen, gesellschaftlichen und moralischen Dimensionen lassen sich nicht mehr durch Konvention und Ironie bändigen.

Alleine in den besagten fünf Jahren sind ungeheuerliche Dinge geschehen, die uns ins Ohr brüllen, dass die vertraute Welt (und nicht nur eine marginale Volkswirt schaft in Südosteuropa) aus den Fugen gerät:

Der Fast-Kollaps der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen politischen Architektur des Multilaterismus auf dem Kopenhagener Klimagipfel von 2009; die Hexenjagd gegen die Klimawissenschaft im Nachgang zu jener unseligen Konferenz unter Missachtung aller Prinzipien der Aufklärung; die Dreifachkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 und die dadurch ausgelöste Wende in der deutschen Energiepolitik mit ihren globalen Folge­erscheinungen; die entsetzlichen Verwüstungen weiter Teile der Philippinen durch den Supertaifun »Haiyan« im November 2013; die historische Dürre in Kalifornien, das durch den Klimawandel wohl seinen Status als Fruchtkorb Amerikas einbüßen wird; das Entstehen einer ebenso idealistischen wie aggressiven Bürgerbewegung, die Institutionen und Individuen auffordert, ihr Geld aus der Fossilwirtschaft abzuziehen; das Anschwellen der Flüchtlingswellen aus Afrika und dem Nahen Osten, welche gegen die Küsten und Grenzbefestigungen des saturierten Europa anrollen, usw. usf. …

Manche dieser Entwicklungen hängen direkt mit der menschengemachten Erderwärmung zusammen, aber allesamt sind sie Speichen eines Schicksalsrades, das der Klimawandel immer schneller in eine ungewisse, fremdartige Zukunft treibt. Wird dieses Rad jemals wieder zum Stehen kommen, und wenn ja, wo?

Die mit den entsprechenden Fragestellungen befasste Wissenschaft hat in letzter Zeit dramatische Fortschritte gemacht und gestattet dadurch Ausblicke ins späte 21. Jahrhundert (und darüber hinaus), die einen schaudern lassen: Die naiven Verheißungen der Moderne stehen in Flammen, die uns unbarmherzig miterfassen werden, wenn wir das Haus der Zivilisation nicht aus sicherem Material neu erbauen. Dies ist der eine Grund für den nun gewählten Titel »Selbstverbrennung«.

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versucht die ganze Geschichte vom Klimawandel in seiner Dreiecksbeziehung zu Zivilisation und Kohlenstoff zu erzählen. Das ist ein unerhörter Anspruch, zumal das Buch trotzdem lesbar, ja spannend und unterhaltsam sein soll. Um diesem Anspruch wenigstens annähernd gerecht zu werden, habe ich einen ungewöhnlichen Ansatz gewählt:

Wissenschaftliche Einsichten, persönliche Erinnerungen und politisch-moralische Wertungen sind zu einer Dreifachwurzel geflochten, die mit jedem Kapitel tiefer in den Gegenstand eindringt. Bis schließlich die Fundamente unseres kulturellen und spirituellen Selbstverständnisses erreicht werden, wo nach dem Wesen der Menschlichkeit (conditio humana) angesichts ihrer größten Bedrohung zu fragen ist. Entsprechend dringt mein Narrativ von der »Haut« zum »Fleisch« bis ins »Mark« vor – aber nicht linear oder disziplinär geordnet, sondern nach einer inneren Logik, die mir der Gegenstand selbst aufgezwungen hat. So gesehen bin ich nur ein Stenotypist im Dienste des eigentlichen Autors.

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erscheint im selben Jahr wie die Enzyklika »Laudato si’«, mit der Papst Franziskus wort- und gedankengewaltig in die Umweltdebatte eingegriffen hat: »Wenn wir die Schöpfung zerstören, wird sie uns zerstören!« Ich hatte die besondere Ehre, dieses einzigartige Dokument zusammen mit zwei der höchsten Repräsentanten der katholischen beziehungsweise orthodoxen Kirche der Weltöffentlichkeit im Juni 2015 vorzustellen. Die Enzyklika ist ganz im Geiste des Franz von Assisi geschrieben, der vor 800 Jahren schon die Solidarität mit den Schwachen und die Harmonie mit der Natur beschwor.

Diese beiden ethischen Gebote dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie es vor allem die verantwortungslose Bereicherungsideologie in den zwei Dekaden nach dem Mauerfall von 1989 getan hat.

»Laudato si’« räumt diesen falschen Widerspruch beiseite und macht auf mitunter hochpoetische Weise geltend, dass soziale Gerechtigkeit und ökologische Nach haltig keit nur gemeinsam zu realisieren sind. Ja, die Klimafrage wird in der Enzyklika auch angesprochen, und das auf bemerkenswert kundige und hellsichtige Weise.

Aber diese Thematik steht nicht im Zentrum der Kirchenschrift, während sie zweifellos der Gegenstand ist, um den mein Buch kreist – auf abwechselnd engeren und weiteren Bahnen. Dabei bemühe ich mich, die Vernunft als Navigationsprinzip zu nutzen, während sich die Enzyklika selbstredend vom Glauben leiten lässt.

Doch je tiefer man in die Klimaproblematik eindringt, desto deutlicher wird, dass diese beispiellose Zivilisationskrise nur durch die Verbindung von Glaube und Vernunft bewältigt werden kann. Wenn also Spiritualität und Intellekt­ualität Hand in Hand gehen.

Insofern finden sich in »Laudato si’« und meinem Beitrag eine Reihe von Gemeinsamkeiten, obwohl die jeweiligen Befunde und Bewertungen das Ergebnis völlig unterschiedlicher Auseinandersetzungen mit Himmel und Erde sind. Wobei sich meine Kompetenzen zweifellos eher auf Letztere beziehen. Aber ganz gleich, ob sich das Paradies im Diesseits oder im Jenseits befindet: Es wird jeden Tag offenkundiger, dass wir dabei sind, es im Namen des »Fortschritts« zu verspielen.

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spricht somit, ebenso wie die Enzyklika, nicht von einer fernen, mystischen Apokalypse, sondern von einem nahen, profanen Desaster, auf das unsere Zivilisation starrsinnig zusteuert. Der Begriff »Selbstverbrennung« erscheint für diese kollektive Torheit durchaus angemessen, zumal sie den Wärmetod unzähliger Kreaturen verursachen würde.

Der von mir gewählte Titel steht aber auch noch für andere, individuellere Bedeut ungen. Nicht für die ebenso heroischen wie entsetzlichen Fanale, mit denen tibetische Mönche die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Unter drückung ihrer Heimat und Kultur lenken wollen. Ich opfere mit dieser Veröffentlichung weder Leib noch Leben – allenfalls fordere ich den Spott von Literaturkritikern und Fachkollegen heraus, die übereinstimmend meinen könnten, dass der Schuster doch besser bei seinen naturwissenschaftlichen Leisten geblieben wäre. Dennoch ist der Schritt, den ich hier vollziehe, nicht belanglos:

Nach rund dreißig Jahren der Auseinandersetzung mit allen Aspekten des Klimawandels drängt es mich, umfassend Stellung zu beziehen. Die Befunde der Forschung sprechen inzwischen eine so eindeutige Sprache, dass wir die gelehrte Debatte über die saubere Trennung von Subjektivität und Objektivität hinter uns lassen können.

Angesichts des Risikos eines selbst verschuldeten Weltenbrands steht fast jeder vor der Entscheidung, bestimmte Grenzlinien zu überschreiten.

Meine Entscheidung besteht darin, nunmehr endgültig Partei zu ergreifen – gegen eine gesellschaftliche Betriebsweise, welche die natürlichen Lebensgrundlagen unweigerlich zerstören wird. Dadurch beschädige ich womöglich meine Reputation als Experte, der im Normalbetrieb größtmöglichen Abstand von den moralischen Dimensionen seiner Thematik zu wahren hat. Doch nichts ist heute noch normal auf diesem Planeten.

Insofern ist meine Entscheidung, weiß Gott, keine Heldentat, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Somit lässt sich der bewusst dramatische Titel des Buches auch ganz unprätentiös interpretieren: Ich bringe meinen erweiterten Lebenslauf zu Papier und stecke das Dokument in Brand, um damit für kurze Zeit ein wenig zusätzliches Licht zu verbreiten. Dabei können gewisse Dinge vorübergehend deutlicher sichtbar werden als üblich – entweder, weil man ihnen mit der improvisierten Fackel ganz nahe kommt oder weil sich einzelne Worte auf dem brennenden Papier sekundenlang aufwölben und aufleuchten.

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könnte selbst sein kleines Licht nicht werfen, wenn ich während des halben Jahrzehnts der Niederschrift nicht von zahlreichen Kollegen, Freunden und insbesondere meiner Familie unterstützt worden wäre. All diese Unterstützer namentlich zu würdigen ist mir hier nicht möglich, aber einige möchte ich doch explizit nennen:

Bei der Klärung wissenschaftlicher Sachverhalte und anderer inhaltlicher Frage stellungen waren mir Ottmar Edenhofer, Georg Feulner, Dieter Gerten, Daniel Klingenfeld, Elmar Kriegler, Jascha Lehmann, Anders Levermann, Wolfgang Lucht, Stefan Rahmstorf, Mareike Schodder, Kirsten Thonicke, Jonas Viering, Kira Vinke, Ricarda Winkelmann und viele andere eine große Hilfe.

Bei der technischen Realisierung des Manuskripts haben vor allem Carmen Begerock, Sabrina Dahlemann, Maria Knaus, Claudia Köhler, Simone Lehner, Eva Rahner, Alison Schlums, Susanne Stundner, Christiane Walter und Martin Wodinski außergewöhnliche Leistungen erbracht. Die größte Herausforderung dabei dürfte wohl die Entzifferung zahlreicher handschriftlicher Notizen gewesen sein, die ich in irgendwelchen Bahnhofshallen oder Hotellobbys angefertigt hatte.

Die Produktionsregie des Ganzen lag anfangs bei Veronika Huber und bald darauf bei meiner persönlichen wissenschaftlichen Assistentin Maria Martin. Frau Martin war mir in inhaltlicher, technischer und strategischer Hinsicht eine unschätzbare Hilfe. Ohne ihren freundlichen Scharfsinn und ihr geduldiges Perfektionsstreben wäre dieses Buch nicht zustande gekommen.

Größten Dank schulde ich dem Verlag C. Bertelsmann und seinem Verleger Johannes Jacob, der mit unendlicher Geduld und tiefstem Verständnis den über langen Werdungsprozess dieses Titels begleitete. Zwischenzeitlich hatte ich schon mehrfach die Hoffnung aufgegeben, die selbstgesetzte Aufgabe angemessen bewältigen zu können. Er hingegen zweifelte offenbar nie daran, dass die Sache doch noch ein gutes Ende finden würde.

Mit ähnlicher Langmut hat meine Literaturagentin Karin Graf die Wirren dieser Buch-Schwangerschaft begleitet. Unbedingt bedanken möchte ich mich auch beim Lektor Eckard Schuster, dessen Tätigkeit mir zunächst als lästige Besserwisserei erschien. Im Laufe der letzten Monate ist er mir jedoch zu einem hoch geschätzten intellektuellen Partner geworden, dessen Rat ich (fast) immer gefolgt bin.

Und da ist schließlich jemand, der diesen Kreationsprozess nicht nur ertragen und gefördert, sondern auch ganz wesentlich inspiriert hat: meine Frau Margret Boysen. Einige der tiefsten Gedanken meines Narrativs, die dem Leser vor allem im dritten Teil begegnen, sind im Dialog mit ihr entstanden.

Dieses Buch

ist nun für Sie aufgeschlagen …

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