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2. Organisation und Strukturen in der staatlichen Kirchenpolitik   - 1999-Schlichtenbrede

1 Staatsorgane    2.2 Parteiorgane    2.3  MfS-Organe   2.4 CDU     2.5 FDJ, DFD, DSF   2.6 Regional   2.7  Sachsen

 

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Schon der einleitende Blick auf die Quellenlage hat gezeigt, daß sich in der DDR verschiedene offizielle Institutionen mit Kirchenfragen beschäftigt haben. Dies wirft einige Fragen auf, denen im folgenden Kapitel nachgegangen werden soll:

Der letzten Frage kommt hierbei, wie das Aktenstudium ergeben hat, insofern eine besondere Bedeutung zu, als sich herausgestellt hat, daß neben den institutionalisierten Schnittstellen, wo formelle Kommunikations­wege an Aktenspuren sichtbar werden und sich entsprechend nachzeichnen lassen, ein dichtes, schwer zu durchdringendes informelles Geflecht von intendierten personellen Doppelfunktionen bis hin zu zufälligen persönlichen Beziehungsebenen das Gesamtgefüge maßgeblich zu prägen scheint. 

Der Versuch einer Erhellung dieser Zusammenhänge erscheint aus doppeltem Grund lohnend: Ein Heraus­arbeiten von Strukturzusammenhängen würde einen Ausschnitt aus dem Funktionieren des Herrschaftssystems der DDR beschreiben; gleichzeitig jedoch ergibt sich aus der individuellen Besetzung sowohl der staatlichen als auch der kirchlichen Ämter sowie der spezifischen Zusammensetzung der Gruppen ein beträchtlicher Teil der Eigenheit eines Ortes. Damit könnte zugleich der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Durchsetzung zentraler Vorgaben und Anweisungen vom Verhalten der jeweiligen Amtsträger "vor Ort" und ihrem jeweiligen Umfeld abhängig war. Inwieweit eine solche konstellationsbedingte, besondere Ausprägung verifiziert werden kann und welches Gewicht ihr gegebenenfalls beizumessen ist, bleibt abzuwarten.

Neben einem gewissen Zusammenhangsverständnis, aus dem heraus sich eventuell am konkreten Beispiel strukturelle staatliche Kommunikations- und Reaktionsdefizite gegenüber der Kirche und den Gruppen im Hinblick auf die Entwicklung von '89 beobachten lassen, ist ein unmittelbarer Gewinn der Strukturanalyse für die Einschätzung der Aussageabsicht und -kraft der kirchenpolitischen Akten der jeweiligen Organe zu erwarten.


  2.1 Staatsorgane  

Ein erster Blick soll auf die untergeordneten Dienststellen des Staatssekretariats für Kirchenfragen auf Bezirks- und Stadt-/Kreisebene gerichtet werden, da sich wie allerorts so auch in Zwickau die offiziellen Staat-Kirche-Beziehungen vor der Folie dieser staatlichen Verwaltungsorgane gestaltet haben.

2.1.1 Der Rat der Stadt (RdSt) Zwickau

Anfang der 80er Jahre lassen sich im Stadtkreis Zwickau vielfältige, im folgenden näher beschriebene institutionalisierte Gesprächskontakte zwischen staatlichen und kirchlichen Vertretern anhand der Akten nachzeichnen. So lag im Rat der Stadt die Verantwortlichkeit für Kirchenfragen in den 80er Jahren zunächst einmal bei Oberbürgermeister Fischer selbst, sodann in nächster Delegierung bei seinem Stellvertreter für Inneres Stowasser sowie bei dessen Referenten für Kirchenfragen Zöphel.

Beobachten läßt sich nun, daß den jeweiligen Funktionären verschiedene Zuständigkeiten und damit auch verschiedene Gesprächspartner zugeordnet waren. So stand Oberbürgermeister Fischer im offiziellen Gespräch mit Zwickaus Superintendent Mieth. In dieser Konstellation hatte Fischer mehrere Funktionen inne. Zum einen pflegte er die Ebene des sachlichen Informationsaustauschs: Er berichtete beispielsweise über städtische Projekte, allgemeine staatliche Maßnahmen, Sonderveranstaltungen u. ä. und holte gleichermaßen Informationen über kirchliche Bau- und Veranstaltungsvorhaben ein.59)

Zum anderen hatte er eine Repräsentationsfunktion inne: Zur äußeren Demonstration dieser "geordneten" Dienstbeziehung erschien er, immer mit Blumen, etwa auf runden Geburtstagen oder Dienstjubiläen, versandte regelmäßig Weihnachts- und Geburtstagsgrüße und überbrachte persönlich die alljährliche staatliche finanzielle Unterstützung,60) deren Übergabe von einem sogenannten "Scheckgespräch" begleitet wurde. 

Eine dritte Funktion kam ihm in Krisenzeiten zu: Ereignete sich in einer der Zwickauer Kirchen etwas Unvorher­gesehenes, das aus staatlicher Sicht Mißfallen erregte, so berief der Oberbürgermeister den Superintendenten zur Klärung ein, eine Situation, die in Zwickau im Zusammenhang mit den verschiedenen Gruppen immer wieder zu beobachten ist.

59)  Diese Gespräche fanden zunächst unregelmäßig statt, wurden aber 1987 auf vierteljährliche Durchführung festgeschrieben. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143916 (nicht paginiert).  
60)  Vgl. zu den Staatsleistungen an die Kirche Reitinger, Herbert, Die Rolle der Kirchen im politischen Prozeß der DDR 1970 bis 1990, München 1990, S. 15.

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Ebenfalls mit dem Superintendenten trafen sich, gelegentlich auch zusammen, sowohl Stowasser als auch Zöphel. Während dem Stellvertreter für Inneres des OBs im wesentlichen die kontinuierliche Arbeit an Grundsatzdifferenzen so wie die Vermittlung der politischen Großwetterlage und die Arbeit an konkreten strittigen Punkten zukam, war der Referent vornehmlich der Verhandlungspartner im Alltagsgeschäft. Gewöhnliche Geburtstage besuchte er und überbrachte ebenfalls persönlich, nicht ohne in einem begleitenden Gespräch immer wieder den politischen Standpunkt seines Gegenübers zu sondieren, die Wahlbenachrichtigungen. 

Die Kontakte Stowassers und Zöphels, die im Grunde nicht der Gesprächsebenenhierarchie entsprechen, sind vor dem Hintergrund zu sehen, daß die beiden Funktionäre kirchgemeindeübergreifende Angelegen­heiten mit dem Superintendenten zu erörtern hatten. Entsprechend der Gesprächsebenenhierarchie trafen sie sich, nach Möglichkeit jeweils zweimal im Jahr, mit einzelnen Pfarrern der Zwickauer Kirchgemeinden zum gesellschaftlich-politischen Gespräch. 

Während neben Stowasser auch noch andere Mitglieder des Rates der Stadt einzelnen Pfarrern, Mitgliedern der Kirchenvorstände und in ihrem Stadtbereich angesiedelten Synodalen als Gesprächspartner zugeordnet waren, war Zöphel bei diesen sogenannten „Pfarrer-Gesprächen" in den allermeisten Fällen zugegen. Der Referent für Kirchenfragen war für alle Pfarrer der Hauptansprechpartner im örtlichen Staat-Kirche Verhältnis. Und so scheinen breite Facetten seines Aufgabenspektrums, augenfällig beispielsweise die persönlich überbrachten Weihnachtsund Geburtstagsgrüße, gerade der Pflege dieser Beziehungsebene gewidmet gewesen zu sein.

Eine ähnliche Funktion wird sowohl dem "Pfarrergruppengespräch", zu dem ab 1981 einmal im Jahr in der Adventszeit der OB, der Vorsitzende des Rates des Kreises Zwickau und die Ratsmitglieder die Pfarrerschaft der Ephorie luden61)als auch den jährlichen "Gesprächen mit Pfarrfrauen", die mit informativ-geselligem Rahmenprogramm, meist kombiniert mit der Besichtigung <sozialistischer Produktionsstätten>62) anberaumt wurden, zuzuschreiben sein.

61)  Über diese Begegnungen hatte wiederum der Oberbürgermeister unmittelbar an den Vors. des RdB zu berichten. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143916 (nicht paginiert).  
62)  Auf diese Weise sollten den Gattinnen der Amtsträger „überzeugende Eindrücke vom real existierenden Sozialismus vermittelt [werden]." StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143916 (nicht paginiert).

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Alles an dieser Oberfläche der örtlichen Staat-Kirche Beziehungen scheint zunächst erst einmal vornehmlich eines zu vermitteln: den Anschein von Normalität, von gelassenem Miteinander, gespeist aus der Einsicht in die unvermeidbare Existenz des anderen und der jahrelangen Kenntnis des Gegenübers.

Gleichermaßen demonstrativ wie stereotyp loben die staatliche Vertreter auf allen Ebenen immer wieder die "guten" Beziehungen zur Pfarrerschaft63) und würdigen, nicht nur am Beispiel der diakonischen Arbeit sondern auch ganz allgemein, das positive Engagement von Christen in der Gesellschaft.64)

Doch schon ein Blick auf die Art der verbliebenen Aktenbestände zeigt das staatliche Gebaren gegenüber allen kirchlichen Personen und Belangen in einem ganz anderen Licht: Jede der zuvor skizzierten Begegnungen schlug sich in einem Bericht nieder. Von unten nach oben zog sich ein dichtes Berichtswesen, bei dem jeder, der mit Kirchenfragen befaßt war, gemäß dem Prinzip der doppelten Unterstellung65) sowohl seinem Vorgesetzten in der eigenen Dienststelle als auch seinem Vorgesetzten in der übergeordneten Dienststelle berichtete. Auf Kreisebene gingen zudem Durchschläge an das Sekretariat der SED-Kreisleitung, auf Bezirksebene mündeten die Informationen in eine Sekretariatsvorlage zur kirchenpolitischen Situation im Bezirk für die SED-Bezirksleitung ein.66) 

63)  Dies allerdings heißt zunächst nicht mehr, als daß man überhaupt im Gespräch miteinander steht. Solche Äußerungen müssen daher wohl eher im Hinblick auf ihre beabsichtigte Suggestivwirkung denn auf ihren Tatsachengehalt hin gelesen werden.
64)  Beispielhaft sei hier Horst Dohle vom Staatssekretariat für Kirchenfragen auf einer Zwickauer Veranstaltung des RdSt und des RdK, zu der Pfarrer geladen waren, zitiert: „Er betonte unter anderem, was wäre die DDR ohne die Anzahl der Christen, die täglich ihren eigenständigen Beitrag leisten. Es sollte alles vermieden werden, was einen Keil zwischen Christen und Marxisten treiben würde, welche den Verlust der politischen Stabilität unseres Landes bedeuten würde." Informationsbericht des 1. Kreis Sekretärs der CDU Zw./Land von Sept. 1981, ACDP BV Chemnitz (111-030) Nr. 002 (vorl.).
65)  Zum Prinzip der doppelten Unterstellung: „Die Durchsetzung des einheitlichen Staatswillens wurde gegenüber den Fachorganen der örtlichen Räte durch das Prinzip der doppelten Unterstellung, d.h. ihre Unterstellung unter den jeweiligen Rat und unter das Fachorgan des übergeordneten Rats bzw. unter das zuständige Ministerium gewährleistet." Zit. nach: Eppelmann, Rainer/ Möller, Horst/Nooke, Günter/Wilms, Dorothee (Hrsg.), Lexikon des DDR-Sozialismus, Paderborn/München/Wien/Zürich 1996, S. 157.
66)  Konkret berichtete also zunächst auf städtischer Ebene der Referent für Kirchenfragen Zöphel dem Stellv.f.I. beim RdSt Stowasser, dem OB Fischer und den Referenten für Kirchenfragen beim RdB in Gesprächsprotokollen über seine Einzelgespräche mit Pfarrern. In Aktennotizen informierte er über besondere Vorkommnisse und alle zwei Monate erstellte er eine Einschätzung über die kirchenpolitische Situation in der Stadt. Durchschläge hiervon gingen an das Sekretariat der SED-KL. Der Stellv.f.I. beim RdST Stowasser berichtete bis November 1987 alle zwei Monate an den Stellv.f.I. beim RdB Hoyer. Diese Berichte fielen dann weg, weil sich innerhalb eines so kurzen Zeitraumes zu analysierende Tendenzen auf Kreisebene kaum erkennen ließen und sich diese Berichte zum Mißfallen der Bezirksleitung auf die summarische Wiedergabe der Aussagen der einzelnen kirchlichen Amtsträger beschränkten. Statt dessen sollte fortan jährlich die Situation im Kreis eingeschätzt werden, wobei besonderes Gewicht auf Aussagekraft, Aktualität, Lückenlosigkeit und analytische Wertung gelegt wurde. Der OB Fischer berichtete mündlich dem RdB, bei „besondere[n] Vorkommnissefn] auf kirchenpolitischem Gebiet [seines] Territoriums, vor allem hinsichtlich öffentlichkeitswirksamer Vorhaben der Kirchen" sandte er zudem Sofortinformationen an den Vorsitzenden des RdB Fichtner.

Auf der Ebene des RdB berichteten wiederum alle zwei Monate die Referenten für Kirchenfragen ihrem Sektorenleiter Müller und dem Staatssekretär für Kirchenfragen Gysi, der Stellv.f.I. beim RdB Hoyer berichtete monatlich an Fichtner, den Vorsitzenden des RdB und alle zwei Monate an Gysi. Diese Berichtspflicht blieb auch erhalten, nachdem auf Stadt-/Kreisebene die 2-Monate-Berichte aufgehoben worden waren; zusammen mit Müller und Hoyer erstellte der Vors. des RdB eine Sekretariatsvorlage zur Einschätzung der kirchenpolitischen Situation im Bezirk, in der die Informationen aus allen Kreisen zusammenliefen.

Im Staatsekretariat schließlich wurden die Berichte aus den Bezirken gebündelt und an die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED weitergeleitet.

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Jeder Bericht wurde auf nächsthöherer Ebene mit dem persönlichen Wissen und den Informationen des jeweils zweiten Berichtsverpflichteten abgeglichen und zu einer neuer Version entsprechend den übergeordneten Berichtskriterien zusammengeführt. Doch nicht selten scheint dieses System der ständigen Mehrfachkontrollen sich selbst blockiert zu haben. Es wird wiederholt beklagt, die Informationen seien in zu ideologisierenden Wendungen zur Bedeutungslosigkeit stereotypisiert oder zu stark auf Planerfüllung hin geschönt; trotz wiederholter Mahnungen scheint dieser Mißstand bis zur Auflösung des Staatssekretariates für Kirchenfragen und seiner untergeordneten Dienststellen Ende November 1989 nicht wirklich überwunden worden zu sein.

Es läßt sich nun eine Ahnung davon gewinnen, zu was für einer Papierlawine sich die über weite Strecken doch auch alltäglichen Geschäfte der Kirchen in den Mühlen der Apparate ausgewachsen haben. Ein der Breite dieses Berichtswesens entsprechender Strom von Konzeptionen, Weisungen, Maßnahmen und Arbeitsplänen nahm zudem in entgegengesetzter Fließrichtung seinen verzweigten Lauf von der Staats- und Parteiführung bis hin zum örtlichen Referenten.

Allein das breite, auf ständige Mehrfachkontrolle hin angelegte Berichtswesen vermittelt einen konkreten Eindruck von Wesen und Funktion dieser lokalen und regionalen staatlichen Verwaltungseinheiten: Aufgaben ihrer Mitarbeiter waren die Herstellung und Aufrechterhaltung einer Gesprächsebene zu kirchlichen Mitarbeitern, die Sicherung von Informationen zu allen Regungen der Kirche, die Weiterleitung dieser Informationen und die Entgegennahme und Umsetzung inhaltlicher Anweisungen. Das durch fortwährende Schulungen und kirchenpolitische Fortbildungen67) gezielt aufgebaute selbstbewußte Auftreten dieser örtlichen staatlichen Kirchenpolitiker68) mag im ersten Eindruck darüber hinwegtäuschen, daß ihre faktische Eigenverantwortlichkeit auf das Ausführen der jeweils direkt an sie erfolgten Weisungen beschränkt blieb.

 

67)  Für die Mitarbeiter für Kirchenfragen beim RdSt bzw. beim RdK fanden regelmäßige Lehrgänge im Heim des Staatssekretärs für Kirchenfragen in Tabarz statt, Oberbürgermeister hatten regelmäßig an Qualifizierungslehrgängen durch die Betriebsakademie teilzunehmen. Zur Verbesserung der Argumentationsfähigkeit der staatlichen Gesprächspartner sind zudem ab 1987 „zu ausgewählten Schulungsthemen alle zwei Monate aussagekräftige Referenten für eine spezifische Anleitung zu gewinnen." Vgl. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen 143916 (nicht paginiert). 
68)  Daß es durchaus schwierig war, geeignete Kader zu finden, die selbstbewußt und vorgebildet genug waren, um der Begegnung mit Kirchenvertretern gewachsen zu sein, zeigt die Tatsache, daß an anderen Orten des Bezirkes Karl-Marx-Stadt die Stelle des Referenten für Kirchenfragen mehrfach über einen längeren Zeitraum unbesetzt blieb, obwohl man sich um eine Besetzung bemüht wurde oder Unzufriedenheit mit dem vorhandenen Referenten artikulierte. Vgl. StAC, Bezirksparteiarchiv KMST, SED BL IV F-2/3/085, Anlage.

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So schreibt beispielsweise der Vorsitzende des Rats des Bezirks Fichtner in seinen Orientierenden Hinweisen für die Arbeit auf kirchenpolitischem Gebiet im Jahr 1988 an den Oberbürgermeister:

"Generell sollte bei kirchlichen Wünschen, Bitten bzw. Anträgen — falls eine Versagung oder Befürwortung nicht augenfällig gegeben ist — das Anliegen lediglich [...] zur Kenntnis genommen werden, um Zeit für erforderliche Abstimmungen im Kreis, Bezirk und gegebenenfalls mit zentralen Organen zu gewinnen."69) Als Folge dieser strengen Hierarchisierung und entsprechend der ständigen Rückversicherungs­notwendigkeit ergibt sich eine beträchtliche Zähflüssigkeit in Entscheidungsprozessen, die mit steigender Anliegenzahl in unruhigen Zeiten noch zunimmt.

Folgt man nun aber dem Fluß dieses verzweigten Berichtswesens zu seiner Mündung und umgekehrt den Weisungen zu ihrer Quelle, so stößt man, nicht überraschend, auf verschiedenen Ebenen auf Parteigremien.70)

Die kirchenpolitischen Mitarbeiter der Verwaltung auf Stadt-/Kreis- und auf Bezirksebene waren entsprechend Träger und Vermittler einer staatlichen Kirchenpolitik und konnten damit durchaus ein Erscheinungsbild vor Ort prägen, nicht jedoch waren sie deren Vordenker71. An der gesellschaftlichen Oberfläche besetzten sie die Rolle der kooperativen Gesprächspartner der Kirchen, ihre Interessen und inhaltlichen Standpunkte speisten sich jedoch, wie sich aus der Innenansicht dieser Dienststellen ergibt, aus kirchenpolitischen Parteivorgaben . Was also im Gespräch mit kirchlichen Mitarbeitern verhältnismäßig unverfänglich nach Interesse am Gegenüber und gegenseitiger Information über Interessen, Pläne und Probleme aussehen sollte, stand unter der Maßgabe sowohl der unermüdlichen ideologischen Belehrung als auch der 'Abschöpfung' kirchlicher Informationen zur eigenen Strategieoptimierung.

 

69)  StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 144094/2, BL 48.
70)  Auf deren konkrete Funktionen soll unter den Punkten 'SED-Kreisleitung' und 'SED-Bezirksleitung' eingegangen werden.
71)  Zur generell, auch entstehungsgeschichtlich bedingt, schwachen Position des Staatssekretariates für Kirchenfragen neben der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED und der kirchenpolitischen Abteilung beim Ministerium für Staatssicherheit vgl: Boyens, Armin, Das Staatssekretariat für Kirchenfragen, in: Vollnhals, Clemens, Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicherheit, Berlin 1996, S. 120-138.
72)  Wenn in diesem und nachfolgenden Kapiteln also von kirchenpolitischen Standpunkten oder Vorgehensweisen staatlicher Vertreter die Rede ist, dann wird damit eine Politik beschrieben, die zwar in den staatlichen Verwaltungsorganen zu Tage tritt, aber von der SED initiiert und gesteuert wird.

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Dabei schien in den 80er Jahren ein wesentlicher strategischer Schwerpunkt auf dem zu liegen, was intern unter den Schlagworten „Differenzierungs- und Polarisierungsarbeit"73 subsumiert wurde. Differenziert wurde nach der jeweiligen politischen Einstellung der kirchlichen Mitarbeiter. Das Spektrum der Einschätzungen in Zwickau reichte dabei von „feindlich", bzw. „reaktionär", über „schwankend", „abwartend", „sachlich", „realistisch", „gesprächsbereit" bis hin zu „aufgeschlossen", „sehr aufgeschlossen", „loyal"; in die Extrempositionen sind jeweils nur einzelne Personen eingestuft, der überwiegende Teil der Einschätzungen wurde im Mittelfeld verankert74. 

Vornehmlich dieses Mittelfeld ist gemeint, wenn das Sekretariat der BL im März 1986 in einem allgemeinen Maßnahmenplan fordert: „[...] die gezielte, differenzierte und kontinuierliche politisch-ideologische Einflußnahme auf die Geistlichen und kirchlichen Amtsträger ist zu intensivieren."75 Ziel dieser ,Differenzierungsstrategie' ist es nun, gleichermaßen unauffällig wie effektiv76, den Einfluß der ,positiv' eingestellten Pfarrer durch Unterstützung ihrer Initiativen zu stärken und entsprechend den ,negativ' eingestellter Pfarrer einzudämmen, ohne jedoch die ,negativen Kräfte' durch zu offensichtliche Isolation in aktionismusanfäUige Randpositionen zu drängen.

Es entsteht somit ein Doppelbild, das zwischen Dialog und Differenzierung schillert, ein Doppelbild, das in den Verwaltungsorganen seine Gestalt findet, dessen Wesen sich jedoch aus dem ideologischen Kampf um das weltanschauliche Deutungsmonopol speist.

 

 

73)  Unter dem Stichwort 'Differenzierung' findet sich im „Wörterbuch der Staatssicherheit" die folgende Definition: „Differenzierung: methodisches Grundprinzip der bewußten Beobachtung der operativ vorhandenen Unterschiede der operativen Bedeutsamkeit von Personen, Handlungen, Vorkommnissen, Erscheinungen usw. sowie der unterschiedlichen objektiven Erfordernisse und Möglichkeiten des wirksamen Einsatzes operativer Kräfte, Mittel und Methoden. [...]" Suckut, Siegfried (Hg.), Das Wörterbuch der Staatssicherheit, Berlin 1996, S.90.
74)  Vgl. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 122490 (nicht paginiert).
75)  StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143915 (nicht paginiert).
76)  Genau diese beiden Anforderungen jedoch in der Praxis zur Deckung zu bringen, stellte ein beträchtliches Problem dar, grenzte oft genug den Handlungsspielraum ein oder führte sogar zu Scheinmanövern, die den eigentlichen politischen Zielen entgegenliefen. Dieses Problem stellte sich im übrigen den inoffiziellen Mitarbeitern des MfS in vergleichbarer Weise, wie wir später noch sehen werden.

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2.1.2  Der Rat des Bezirkes (RdB) Karl-Marx-Stadt

Wesentliche Funktionsprinzipien des Bereiches Kirchenpolitik beim Rat des Bezirkes wurden bereits im Zusammenhang seiner Wechselbeziehung zum Rat der Stadt im vorangegangenen Kapitel betrachtet. Beim Rat des Bezirks bestand im Bereich Inneres ein eigener Sektor für Staatspolitik in Kirchenfragen, in dem mehrere Referenten unter Sektorenleiter Müller beschäftigt waren. Organisatorisch unterstand dieser Sektor dem Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres beim Rat des Bezirks Hoyer, fachlich jedoch dem Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi in Berlin. 

Entsprechend der beim Landeskirchenamt festgeschriebenen Gesprächsebenen77 zwischen Kirche und Staat waren den Mitarbeitern des Rats des Bezirks die Mitglieder der Landeskirchenleitung als Gesprächspartner zugeordnet. Da die Sächsische Landeskirche sich über die drei Verwaltungsbezirke Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt erstreckte, trafen sich entsprechend alle drei Vorsitzenden dieser Räte mit Landesbischof Dr. Hempel, alle drei Stellvertreter für Inneres trafen sich mit dem Präsidenten des Landeskirchenamts Dr. Domsch und zusammen mit den Sektorenleitern führten sie, natürlich jeweils untereinander abgestimmt, Gespräche mit weiteren Mitgliedern der Kirchenleitung. Der Rat des Bezirks organisierte ebenfalls ein staat-kirchliches Gesprächsnetz, in das alle im Bezirk wohnhaften und für die sächsische Landeskirche tätigen Mitglieder weltkirchlicher Gremien,78) synodale Mitglieder der Konferenz der Kirchenleitungen, der Bundessynode und der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen der DDR eingebunden waren.79)

Zudem hatte der Rat des Bezirks zu gewährleisten, daß über alle Landessynodalen und ihre Stellvertreter, die auf dem Territorium ihres Bezirks angesiedelt waren, Einschätzungen erarbeitet und zweimal jährlich ergänzt wurden. Diese Strategie der Einflußnahme auf die Kirche über deren Synoden, bzw. deren dort engagierte Mitarbeiter, gewann im Laufe der 80er Jahre für die Staatsvertreter zunehmend an Bedeutung °. Bemerkenswerterweise ist sie im Zusammenhang mit solchen Themen vermehrt zu beobachten, mit denen sich Gruppen im kirchlichen Umfeld beschäftigten und die deswegen zu Themen der Synoden wurden.

Diese Strategie kann also als eine Reaktion auf die Tatsache gedeutet werden, daß staatliche Organe keinen eigenen Zugriff auf die Gruppen hatten und nun entsprechend

 

77)  Auch wenn sich in den Akten kein eigenes Dokument findet, aus dem sich diese Gesprächsebenen explizit nachweisen ließen, so wird doch wiederholt in den Quellen auf eine solche Regelung Bezug genommen, auch Superintendent Mieth bestätigt im Interview „eine klare Protokollabsprache". (Interview Mieth, S. 10)
78)  Lutherischer Weltbund, Konferenz Europäischer Kirchen, Ökumenischer Rat der Kirchen, Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen.  
79)  Vgl. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143915 (nicht paginiert). 
80)  "Es ist geschickt darauf Einfluß zu nehmen, daß die progressiven und realistischen Synodalen ihre Organisiertheit und Kommunikation zwischen den Synodaltagungen erhöhen und zu einheitlichem Vorgehen während der Tagungen befähigt werden. Das bezieht sich nicht nur vordergründig auf den politischen Inhalt ihres Auftretens, sondern auch auf ihre Verantwortung für die Stärkung der Autorität des Bischofs, auf die Beherrschung der synodalen Verfahrenstechnik zur Abwehr reaktionärer Angriffe und auf die personelle Besetzung der Synodalausschüsse." StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen 143915 (nicht paginiert).

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versuchten, „durch geeignete Einflußnahme verstärkt darauf hinzuwirken, daß in zunehmendem Maße die Auseinandersetzungen mit politisch negativen Tendenzen und Kräften innerhalb der Kirche geführt werden"81. Gelänge es also durch diese gezielte Einflußnahme auf Einzelpersonen die staatliche Strategie der Polarisierung und Differenzierung gewissermaßen in das innerkirchliche Beziehungsgeflecht zu implementieren, dann wäre die Rechnung staatlicher Kirchenpolitik aufgegangen: Die Kirche bekämpfte sich selbst in der Unterschiedlichkeit ihrer Glieder, blockierte sich dadurch und verhinderte entsprechend jedwede gesellschaftliche Außenwirkung, die das weltanschauliche Monopol der Staatsund Parteiführung in Frage stellen könnte.

Diese gedankliche Konsequenz macht deutlich, welche Bedeutung diesen Einzelgesprächen mit kirchlichen Mitarbeitern beigemessen wurde. Entsprechend verwundert es nicht, daß Hoyer und Müller selbst sorgfältig festlegten, welche der Synodalen der Rat des Bezirks übernahm und welche dem Kreis überlassen wurden. Zudem kann seit 1983 ein konzeptionell neues Bestreben von sehen des Rats des Bezirks beobachtet werden: Die vom Landeskirchenamt festgeschriebenen und bis dahin praktizierten Gesprächsebenen sollten dahingehend durchbrochen werden, daß der Sektor Kirchenfragen nun auch selbst Gespräche mit möglichst allen Superintendenten des Bezirks führen sollte.82) In Zwickau lösten entsprechende Gesprächsvorschläge mit dem Superintendenten immer wieder dessen Aufbegehren gegen diese Vorgehensweise aus,83) bei unangekündigter Anwesenheit eines Bezirksvertreters im Rat der Stadt beschränkte er sich auf die Entgegennahme des staatlichen Standpunktes, ließ sich jedoch auf keine Diskussion ein und informierte anschließend das Landeskirchenamt über die Gesprächsebenenverletzung.84)

Überraschenderweise finden sich für Zwickau in zwei Fällen ebenfalls wiederholt Auskünfte darüber, daß auch mit Pfarrern Einzelgespräche von Mitarbeitern des Sektors Kirchenfragen geführt wurden. In beiden Fällen handelte es sich um <sehr aufgeschlossene> Amtsträger, der eine Mitglied der CDU und engagiert in der Arbeitsgruppe "Christliche Kreise" der Nationalen Front, der andere Kandidat auf der Liste Einzuladender zum "Gesprächskreis progressiver Ev.-luth. Amtsträger beim Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres" .85) 

 

81)  StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143915 (nicht paginiert).
82)  StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143916 (nicht paginiert). 
83)  Mieth ließ sich auf diese Gespräche letztendlich ein. Der Mitarb. f. Kirchenfragen beim RdB Böhm hält in einem Protokoll vom Oktober 1986 fest: ,,Mieth[...] dazu: ,Ich ärgere mich immer, daß ich mich immer wieder für ein Gespräch mit einem Vertreter des Bezirkes breitschlagen lasse.'" Als er erfuhr, daß der Referent mit ihm über Reykjavik sprechen möchte, hält Böhms Protokoll seine Reaktion wie folgt fest: „Was wollen wir da reden. Ich sprach mit so vielen, mit dem OB, mit dem MA f. Kirchenfragen und vielen anderen. Und Sie wollen auch mit mir über den Frieden reden. Das ist doch klar, wir sind alle für den Frieden [...].Was soll ich da noch sagen. Darüber brauchen wir nicht mehr zu reden." StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen 122490 (nicht paginiert).  
84)  StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 122491 (nicht paginiert).
85)  StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143916 (nicht paginiert). 

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In einem dieser beiden Fällen förderten die Gesprächsprotokolle ein eigentümliches Verhältnis zwischen Pfarrer und Funktionär zutage, das sich deutlich von den üblichen Kontakten zwischen Pfarrern und städtischen Ratsmitgliedern unterschied. Immer wieder unterstützte der Mitarbeiter für Kirchenfragen den Pfarrer bei persönlichen Schwierigkeiten.86) Dadurch entstand eine Atmosphäre des Miteinanders, in der der Pfarrer dem Staatsfunktionär Informationen aus seinem beruflichen Umfeld mitteilte und ihm auch seine Einschätzung von Kollegen und deren gerade aktuellen Projekten gab, nicht ohne gelegentlich zu versichern, daß es in der ihm anvertrauten Evangelischen Studentengemeinde "keine inhaltlichen Probleme, die zu einer Belastung bzw. Angriffen gegen den Staat führen könnten", geben werde.87) 

Die Akten spiegeln, wie der Staatsvertreter diesen Kontakt sowohl zu seinem Informationsvorteil nutzte als auch als potentiellen Hebel, um ein eventuelles Konfliktpotential in der Studentengemeinde unter Kontrolle zu halten. Unabhängig davon, ob der Betroffene das selbst so wahrgenommen hat oder nicht, könnte dies ein Beispiel dafür sein, daß eine aus christlichen Werten gespeiste Nähe zum Ideal des Kommunismus einzelner Amtsträger von staatlichen Vertretern ausgenutzt und die Eigenposition der Kirche vor Ort dadurch geschwächt werden konnte.88)

Was das Funktionieren kirchenpolitischer Strukturen auf der Ebene der staatlichen Verwaltung angeht, zeigt die Konzeption der Gesprächsebenendurchbrechung, daß ab 1983 versucht wurde, über den Rat des Bezirkes ein zweites, von den vorhandenen Gesprächsstrukturen auf der Ebene des Rates der Stadt unabhängiges Informations- und Einflußnahmesystem aufzubauen.

 

86) Als ein Beispiel sei angeführt, daß der MA f. Kirchenfragen der Familie des Pfarrers Urlaubsplätze in Tabarz im Heim des Staatssekretärs für Kirchenfragen besorgte. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 122491 (nicht paginiert).  
87)  Ebd., Gesprächsprotokoll v. 6.02.1987. 
88)  Vgl. hierzu etwa den Vortrag von Wolfgang Krötke: Christlicher Glaube und marxistische Weltanschauung im Alltag der DDR, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", Bd. VI,2: Kirchen in der SED-Diktatur, Baden-Baden 1995, S. 348-355, v.a. 352ff.

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  2.2 Parteiorgane  

 

2.2.1 Die SED-Kreisleitung (KL) Zwickau/Stadt

Auf der Ebene der SED-Kreisleitung beschäftigten sich das Sekretariat der Kreisleitung unter Vorsitz des 1. Sekretärs der SED Zwickau/Stadt Repmann sowie die Mitarbeiter der Abteilung Staatsfragen mit Kirchenpolitik. Die Protokolle der Sekretariatssitzungen zeigen hier, daß Kirchenpolitik ein Thema neben vielen anderen darstellte, dem durchaus kein exzeptionelles Maß an Aufmerksamkeit zugedacht war89. Lediglich ab September 1989 kam der Auseinandersetzung mit der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung im allgemeinen aber auch im Umfeld der Kirchen im besonderen situationsbedingt eine erhöhte Bedeutung zu.

Planmäßig jedoch nahm das Sekretariat der Kreisleitung einmal jährlich die Sekretariatsvorlage „Information über den Stand der Durchsetzung der Staatspolitik in Kirchenfragen in der Stadt Zwickau" von OB Fischer entgegen und stimmte, ohne daß die Akten Spuren einer Diskussion zeigen, den Schlußfolgerungen der Vorlage zu. Das mag sich daraus erklären, daß es sich bei den Schlußfolgerungen zumeist um vage gehaltene Allgemeinplätze handelte90, die zudem bereits Inhalt eines Bezirksbeschlusses waren. Die eigentliche Funktion dieser Vorlagen scheint also nicht primär darin zu liegen, das Sekretariat der SED-Kreisleitung zu informieren; vielmehr offenbart sich hier ein weiterer Strang hierarchischer Verquickung von Staats- und Parteiapparat: Der OB war nämlich Mitglied sowohl des Sekretariates als auch der SED-Kreisleitung, somit dort dem 1. Sekretär des Kreises untergeordnet und entsprechend zur Berichterstattung über seine Arbeit zwecks Kontrolle verpflichtet,91) auch wenn er seine inhaltlichen Weisungen aus der Hand des Rats des Bezirks bezog.92)

 

89)  Bei der Beschäftigung mit einem speziellen Thema verzerrt sich leicht der Blick für dessen Bedeutung im politischen Gesamtzusammenhang.  
90)  Bsp.: „Die Gesprächsführung mit kirchlichen Amtsträgern [...] ist kontinuierlicher zu gestalten,,. StAC, SED- KL Zw./Stdt. IV-D-4/21/078 (nicht paginiert).  
91)  Dieses Funktionsprinzip läßt sich im übrigen auch auf andere Sachgebiete übertragen: Auch wenn die verantwortlichen Stadträte gar nicht ständige Mitglieder des Sekretariates sind, so werden sie doch zu den jeweils relevanten Punkten einbestellt.  
92)  Wenn Jürgen Winkler schreibt: „Die Machtverhältnisse auf der Bezirks- und Kreisebene waren nach zentralem Muster organisiert. Die Sekretariate der SED-Bezirks- und Kreisleitungen befaßten sich mit allen wichtigen Fragen der Region und besaßen Weisungsrecht gegenüber den staatlichen Leitungen." (Winkler, Jürgen, Die Politik der SED, Zum Verhältnis von Partei und Staat in der DDR, in: Herbst, A./Stephan, G.-R./Winkler, J. (Hrsg.), Die SED. Geschichte Organisation, Politik, Ein Handbuch, Berlin 1997, S. 159-176, hier S. 174.) so hat er natürlich theoretisch recht; praktisch jedoch scheinen die Weisungen der KL mehr eine Formalität gewesen zu sein, um die Autorität der Partei auch vor Ort zu vergegenwärtigen. Die maßgeblichen Vorgaben scheint die SED von der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK über das Staatssekretariat lanciert und dann durch die SED-BL noch einmal verstärkt und kontrolliert zu haben.

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Ihre Informationen über die Situation in den Kirchen und deren Umfeld gewann die SED-Kreisleitung aus anderer Quelle: den Diensteinheiten des MfS. Seit den Dienstanweisungen 16/57 und 17/57 bestand ein klares Unterordnungsverhältnis der territorialen MfS-Einheiten unter die jeweiligen SED-Leitungen. Stasi-Bezirkschefs hatten ihre „Arbeitspläne" nur nach Absprache mit dem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung aufzustellen, eine analoge Regelung galt auf Kreisebene ; eine wesentliche Aufgabe des MfS war die Informationsbeschaffung für die Parteiorgane. Ein entsprechend dichtes Informationsnetz muß auf allen Ebenen bestanden haben:

"Der Leiter einer Kreisdienststelle hatte regelmäßig, zumindest wöchentlich, manchmal täglich, an den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung <unter Wahrung der Konspiration> über die Lage in seinem Verantwortungsbereich zu berichten. Das gleiche galt zwischen BVfS und Bezirksleitung. 
[...] 
Neben der Routineberichterstattung gab es Berichte zu Einzelaspekten und die Mitarbeit von MfS-Offizieren in ad hoc eingerichteten Arbeitsgruppen:94) in den achtziger Jahren zum Beispiel zu <Ausreiseantragstellern>, zur Vorbereitung eines Kirchentages, dessen <Öffentlichkeitswirksamkeit> eingedämmt werden sollte, oder auch einer Demonstration."95)

Diese unerschöpfliche Informationsquelle fand ihre einzige Grenze bei der Wahrung der Konspiration. Die Informationen dürften, so Schwanitz 1984 in einer Dienstanweisung, "keine Rückschlüsse auf inoffizielle Mitarbeiter, konspirative Mittel und Methoden des MfS, die operative Bearbeitung/Kontrolle von Personen, laufende operative Aktionen und andere Interna des MfS zulassen".96) 

In genau diesem Vorbehalt, der zunächst einmal nur der spezifischen Arbeitsmethode geheimdienstlicher Tätigkeit zu entsprechen scheint, könnte man den Ursprung der in der Forschung inzwischen weitverzweigten Diskussion darüber sehen, ob das MfS diesen Informationsvorteil für den Versuch einer eigenen Kirchenpolitik zu nutzen suchte.97)

 

93)  Vgl. Süß, Walter, Das Verhältnis von SED und Staatssicherheit. Eine Skizze seiner Entwicklung, BF informiert 17/1997, S. 16/17. 
94)  Aktenkundig ist, daß in Zwickau der Leiter der Kreisdienststelle des MfS, Oberst Nagel, außerplanmäßig zu den Sekretariatssitzungen im Herbst '89 zugezogen wurde: „Die Einschätzung der politisch-ideologischen Situation wurde durch den Leiter der KD MfS zum Wirken oppositioneller und gegnerischer Kräfte ergänzt." StAC, SED-KL Zw./Stdt. 1734 (nicht paginiert). Darüber hinaus berichtet der Leiter der MfS-Bezirksverwaltung, Generalleutnant Gehlert, dem Minister für Staatssicherheit am 31.8.1989 in einer Dienstbesprechung zum Problem der Antragsteller: „Es existiert im Bezirk Karl-Marx-Stadt eine Arbeitsgruppe des 1. Sekretärs der Bezirksleitung und es existiert in jedem Kreis eine Arbeitsgruppe des 1. Sekretärs der Kreisleitung. Diese Arbeitsgruppe setzt sich zusammen unter Leitung des Abteilungsleiters Staats- und Rechtsfragen, Abteilungsleiter Sicherheit, Chef BdVP, Stellvertreter Inneres, Stellvertreter Abteilungsleiter Parteiorgane und Leiter Bezirks Verwaltung für Staatssicherheit. Diese Arbeitsgruppe tagt jeden Dienstag, nennt sich Reisebüro." Zit. nach Mitter, Armin/Wolle, Stefan (Hg.), Ich liebe euch doch alle! Befehle und Lageberichte des MfS Januar-November 1989, 2. Aufl., Berlin 1990, S. 132. Vgl. auch: Das politische Wirken der Kirchen in der DDR und die Reaktionen des MfS, Insider-Komitee zur Aufarbeitung der Geschichte des MfS e.V., Berlin, in: DA 4/1994, S. 374-407, hier S. 382.  
95)  Süß, Walter, Das Verhältnis von SED und Staatssicherheit, S. 33.  
96)  Dienstanweisung 4/84 des Leiters der BVfS Berlin vom 22.10.1984, zit. nach: ebd. S. 33.
97)  Zusammenfassend soll hier auf den Tagungsbericht von Reinhard Henkys zum Thema Kirchenpolitik von SED und Mß verwiesen werden. Henkys, Reinhard, Kirchenpolitik von SED und MfS, Tagung der Gauck-Behörde zum Stand der Forschung, in: DA 2/1995, S. 417-420.  

28


Für Zwickau liegen im Bezirksparteiarchiv der SED weder auf Kreis- noch auf Bezirksebene Berichte oder Informationen von MfS-Dienststellen vor, so daß die Frage, was die Parteiorgane im Vergleich zum MfS gewußt oder nicht gewußt haben, einstweilen nicht beantwortet werden kann.98)

Das Verhältnis der Kreisleitung zu der ihr direkt übergeordneten Bezirksleitung war vornehmlich durch eine ständige Berichtsverpflichtung nicht nur des 1. Kreissekretärs, sondern je nach im Vorfeld von der Bezirksleitung festgelegtem Thema auch aller anderen jeweils kompetenten Mitglieder des Sekretariates charakterisiert. Ein Vertreter der Bezirksleitung nahm darüber hinaus in der Regel an den Sekretariatssitzungen der Kreisleitung teil. Die Beschlüsse des Sekretariates der Bezirksleitung gingen im Durchschlag als Richtungsvorgabe an den 1. Sekretär des Kreises. In wirklich wichtigen Entscheidungssituationen allerdings kamen die Anweisungen sowohl an die 1. Bezirks- als auch an die 1. Kreissekretäre jeweils in Fernschreiben direkt von Honecker . Die allgemeine Beobachtung, daß „Kreisleitungen [...] in keiner wirklich wichtigen Frage unabhängig von der Bezirksleitung oder dem Zentralkomitee entscheidungsfähig [waren]"100) , läßt sich für das Beispiel Zwickau anhand der Akten bestätigen.

 

2.2.2 Die SED-Bezirksleitung (BL) Karl-Marx-Stadt

Strukturell analog zur Situation in der Kreisleitung war auch auf Bezirksebene der Vorsitzende des Rats des Bezirks Fichtner Mitglied des Sekretariates der Bezirksleitung und entsprechend dessen 1. Sekretär Lorenz untergeordnet und berichtsverpflichtet. Jährlich hatte Fichtner die vom Sektorenleiter für Kirchenfragen beim Rat des Bezirks erarbeitete Beschlußvorlage vor dem Sekretariat der Bezirksleitung zu verantworten. Da ihm im Anschluß daran auch die Durchsetzung der gezogenen Schlußfolgerungen zufiel, war jeder Bericht theoretisch zugleich auch Rechenschaftsbericht über den zurückliegenden Berichtszeitraum.

 

98)  Ob sich Durchschläge solcher Berichte noch in den Beständen der Chemnitzer Außenstelle der Gauck-Behörde finden, bleibt abzuwarten.  
99)  Vgl. die bei Frederic Hartweg abgedruckten Fernschreiben Erich Honeckers an die 1. Bezirks- und Kreissekretäre der SED. Hartweg, Frederic (Hg.), SED und Kirche, Bd. 2: 1968-89, Neunkirchen-Vluyn 1995.
100) 
Priess, Lutz, Die Organisationsstruktur, in: Herbst, A./Stephan, G.-R./Winkler, J. (Hrsg.), Die SED. Geschichte Organisation, Politik, Ein Handbuch, Berlin 1997, S. 124-148, hier S. 142. 

29


Da jedoch den Beschlüssen des Sekretariates der Bezirksleitung meist in knappem Zeitabstand Beschlüsse des Sekretariates des Zentralkomitees vorausgingen, handelt es sich bei den Vorlagen für die Bezirksleitung um einigermaßen abstrakt bleibende Remakes der zentralen Vorgaben, die lediglich mit Analysedaten aus dem Bezirk angereichert wurden. Entsprechend vage bleiben auch die Schlußfolgerungen, sie spiegeln lediglich den Willen zur optimalen Umsetzung dieser zentralen Richtungsanweisungen wider. Das Wesen dieser Akten regt zu der Vermutung an, daß in diesem Kontext nicht so sehr das kirchenpolitische Konkretum im Vordergrund stand als vielmehr die Rückversicherung der ideologischen Verläßlichkeit, die wiederum zum Motor der praktischen Umsetzung werden sollte. 

In diese Richtung wäre dann auch der primäre Nutzwert dieser Vorlage gegenüber den im Verteilerschlüssel erwähnten Gremien zu interpretieren, also Partei und Verwaltung, ferner die Räte der Kreise, die 1. Sekretäre der FDJ-Bezirks- und Kreisleitungen, die Abteilung Staats- und Rechtsfragen der Bezirksleitung zwecks Auswertung mit dem Bezirksvorsitzenden der CDU und dem Bezirkssekretär der Nationale Front, schließlich der Leiter der Bezirks Verwaltung des MfS. Inhalt und Verteilerschlüssel dieser Akten deuten darauf hin, daß das Einschwören „befreundeter gesellschaftlicher Organe" und untergeordneter Diensteinheiten auf einen gemeinsamen ideologischen Kurs zu den wesentlichen Aufgaben der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt gehörte. Sie blieb, anders als die Bezirksleitung Dresdens, deren 1. Sekretär selbst, entgegen aller Gesprächsebenen, „intensive Gespräche [...] mit Dr. Hempel"101) führte, stets im Hintergrund kirchenpolitischen Agierens und setzte ihren politischen Führungsanspruch in Kirchenfragen über die staatlichen Verwaltungseinheiten durch.

 

  2.3 Organe des MfS 

 

Den Diensteinheiten des MfS kam in der staatlichen Kirchenpolitik eine besondere Rolle zu, da die Partei in den Kirchen als einzigem gesellschaftlichen Bereich nicht selbst präsent war und die Reichweite des verlängerten Armes <Verwaltung> mitunter an der inneren Gesinnung der kirchlichen Amtsträger auf Grenzen der Informationsermittlung und Einflußnahme stieß. Diese besondere Rolle gewann zudem mit dem Entstehen der sozial-ethisch engagierten Gruppen im kirchlichen Umfeld deswegen an Bedeutung, weil diese Gruppen nicht mehr durch die Staatsvertreter direkt zu erreichen waren.102)

 

101)  StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen 143915 (nicht paginiert).
102) 
Zum generellen Bedeutungzuwachs des MfS in der staatlichen Kirchenpolitik vgl.: Boyens, Armin, Das Staatssekretariat für Kirchenfragen, S. 134-136; Schmid, Josef, Kirchen, Staat und Politik, S. 85. 

30


2.3.1 Die Kreisdienststelle (KD) Zwickau 103)

In der Kreisdienststelle Zwickau leitete Major Linkert das Referat der Linie XX.104) Er, sein Stellvertreter, Major Nestler, und seine Mitarbeiter erstellten in Absprache mit Partei und Bezirksverwaltung des MfS Maßnahmepläne, setzten entsprechend Inoffizielle Mitarbeiter zu ihrer Umsetzung ein, nahmen deren Berichte entgegen, werteten diese aus und modifizierten entsprechend ihre Weisungen an die IMs.105) Zu verantworten hatte Linkert seine Tätigkeit vor dem Leiter der Kreisdienststelle, Oberst Nagel und dessen Stellvertreter Major Ulf Gehlert. Nagel wiederum hatte, neben den Berichten gegenüber dem 1. Sekretär der Kreisleitung,106) regelmäßige Lageinformationen an den Leiter der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Generalleutnant Siegfried Gehlert zu senden. Es ist jedoch anzunehmen, daß dieser über seinen Sohn auch noch auf informellem Wege benachrichtigt wurde. 

Pfarrer Käbisch resümiert, in Kenntnis der Akten, für die 80er Jahre 18 IM im Bereich der Kirche und ihrer Gruppen, die in etwa 25 operativen Bearbeitungsvorgängen mindestens 110 Personen in unterschiedlicher Intensität „observiert" und „bearbeitet" hätten.107) 

Auf diesem Wege also ließ die Kreisdienststelle, ohne daß die einzelnen IM voneinander wußten, im Auftrag der SED die Kirche und die Gruppen in ihrem näheren und weiteren Umfeld nach Möglichkeit umfassend von innen ausforschen, und oft genug macht es angesichts der vielfach völlig belanglosen Informationsflut den Eindruck, als habe allein das Wissen um den "Feind" bei den Parteifunktionären eine <Gefahr-erkannt-Gefahr-gebannt-Mentalität> erzeugt und die Mitarbeiter des MfS in der ihnen zugedachten <Gefahr-erkannt-Plan-erfüllt-Haltung> bestärkt.108)

Vom äußeren Stand der Staat-Kirche-Beziehungen wurde die Kreisdienststelle vom Referenten für Kirchenfragen beim Rat der Stadt Zöphel gleich selbst informiert, dieser war nämlich zugleich Inoffizieller Mitarbeiter der Kreisdienststelle.

 

103)  Zu diesem und dem folgenden Kapitel über die BV des MfS muß angemerkt werden, daß die dazu vorhandenen Akten in der Chemnitzer Außenstelle der Gauck-Behörde im Bearbeitungszeitraum für diese Untersuchung nicht eingesehen werden konnten. Die Sachinformationen sind dem Vortrag „Die Stasi-Bearbeitung der Kirche in Zwickau" von Pfarrer Dr. Edmund Käbisch zum Gemeindeabend am 7. Oktober 1996 entnommen.
104)  Abteilung zur Bekämpfung „politischer Untergrundtätigkeit" beim MfS, zu deren Arbeitsbereich auch die Überwachung der Kirchen zählte.
105)  1988 fertigte Major Linkert an der Juristischen Hochschule des MfS über seine Erfahrungen in Zwickau eine Diplomarbeit an mit dem Titel: „Erfahrungen und Probleme bei der langfristigen Entwicklung und des Einsatzes von IM unter reaktionären Kirchenkreisen dargestellt aus der Sicht des Referats ,Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit' der Kreisdienststelle Zwickau des MfS". MfS-JHS-Nr. 366/88, Vertrauliche Verschlußsache 0001.
106)  Eine weitere Abhängigkeit der Kreisdienststelle des MfS von der SED-KL bestand darin, daß der in der KD des MfS bestehenden Grundorganisation der SED der 1. Kreissekretär der SED-KL vorsaß. Vgl. dazu: Süß, Walter, Das Verhältnis von SED und Staatssicherheit, S. 14/15.
107)  Eine ganze Reihe der Operativen Personenkontrollen und Operativer Vorgänge konnten in Privatkopien bei den betroffenen Personen eingesehen werden.  
108)  Als Beispiel vgl. Generalleutnant Gehlert am 31.8.1989 an Mielke, nachdem er einen Mißstand beschrieben hatte: „[...] Aber die Staatssicherheit hat informiert, nicht erst einmal. Auch an die Zentrale. [...] Wir haben informiert.,, Mitter, Armin/Wolle, Stefan, Ich liebe euch doch alle..., S. 133.

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2.3.2 Die Bezirksverwaltung (BV) Karl-Marx-Stadt

Das bislang in jeder mit Kirchenpolitik beschäftigten staatlichen Institution beobachtete Prinzip der mindestens doppelten Kontrolle zieht sich auch durch die Diensteinheiten des MfS. So konstatiert Käbisch auf der Ebene der DDR-weit zweitstärksten Bezirks Verwaltung Karl-Marx-Stadt noch einmal ein eigenes Netz von Inoffiziellen Mitarbeitern, die sich völlig unabhängig von dem IM-Netz der Kreisdienststelle ebenfalls mit den Zwickauer Kirchen und ihrem Umfeld beschäftigt hätten. Die Bezirks Verwaltung bezog ihre Informationen also zum einen aus den Lageinformationen des Kreisdienststellen-Leiters, in denen die einzelnen, sich bereits gegenseitig kontrollierenden Berichte der Kreis-IMs von den IM-führenden Mitarbeitern der Kreisdienststelle ausgewertet worden waren. Zum anderen glich die Leitung des Referats 4 der Abteilung XX diese Informationen auch noch mit den Beobachtungen ab, die sie aus der Arbeit der eigenen IMs gewonnen hatten. 

Da sich der Sitz der Kirchenleitung der Evang.- Luth. Landeskirche Sachsen in Dresden befand und entsprechend der Dienstanweisung 9/56 109) die dortige Bezirks Verwaltung die „operative Federführung" über die Bearbeitung dieser Landeskirche inne hatte, kann als sicher gelten, daß die Bezirks Verwaltung Karl-Marx-Stadt zudem in regem Informationsaustausch mit der Dresdener Bezirks Verwaltung stand. Eine weitere Beobachtung, die bereits auf Kreisebene gemacht wurde, setzt sich auf Bezirksebene fort und bestätigt damit ein generelles Funktionsprinzip, auf das bereits in der Forschungsliteratur aufmerksam gemacht wurde: Inoffizielle Mitarbeiter und Offiziere im besonderen Einsatz besetzten wichtige Schlüsselstellungen im gesamten Staatsapparat. 

109)  Vgl. Vollnhals, Clemens, Die kirchenpolitische Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit, Bf informiert Nr. 16, S. 10.

32


Im Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt waren es die Referenten für Kirchenfragen, die als Offiziere im besonderen Einsatz nicht nur ihrer vorgesetzten MfS-Bezirksverwaltung den genauen Stand der offiziellen staat-kirchlichen Beziehungsoberfläche spiegelten, sondern zugleich die Arbeit der Staatsfunktionäre kontrollierten. Diese Kader vereinten in gewisser Weise die beiden Pole staatlicher Kirchenpolitik in ihrer Person: Äußerlich standen sie mit den Christen im Dialog, während sie innerlich mit allen Mitteln an der Unterhöhlung von deren gesellschaftlichem Einfluß arbeiteten. 

Zu überlegen wäre, ob in diesem Typ Staats- und geheimdienstlicher Personalunion nicht auch eine erste Koordinierungsfunktion dieser beiden Pole staatlicher Kirchenpolitik angelegt war,110) zumal sich dieses Modell nicht auf einzelne Orte oder Ebenen beschränkte, sondern sich derart durch den gesamten Staatsapparat zog, daß Armin Boyens bei seiner Betrachtung des Staatssekretariates für Kirchenfragen schon Schwierigkeiten sah, „diese Dienststelle als eigenständige staatliche Behörde zu begreifen. Zutreffender wäre seine Bezeichnung als Dependance des MfS."111 

Auch auf der staatlichen Führungsebene also waren von Klaus Gysi und Hermann Kalb bis zu Abteilungsleiter Hans Wilke und Büroleiter Horst Dohle die leitenden Kader in verschiedenen Zeiträumen IM, alle unterhielten durchweg „enge offizielle Kontakte zum MfS" . Zu bedenken gilt es dieses Modell der Doppelfunktionen jedoch nicht nur im Hinblick auf seine Rolle in Konzeption und Umsetzung staatlicher Kirchenpolitik, sondern auch in seiner Bedeutungsdimension gegenüber den kirchlichen Amtsträgern: Sie wurden gezielt in ihrem Gegenüber getäuscht, hinter der Maske der gesprächsbereiten Staatsvertreter verbargen sich oft genug psychologisch geschulte, auf Kirchenfragen spezialisierte Geheimdienstmitarbeiter , die hinter der Kulisse der „guten Staat-Kirche-Beziehungen" auf „lautlose Bekämpfung"114 programmiert waren.

 

110)  Vgl. zu dieser Überlegung auch: ebd. S. 37.
111)  Boyens, Armin, Das Staatssekretariat für Kirchenfragen, S. 128.
112)  "Zwischen dem Leiter der HA XX/4 [...] besteht eine ständige Verbindung zum Staatssekretär für Kirchenfragen.,, HA XX/4: Jahresanalyse 1980, zit. nach: Vollnhals, Clemens, Die kirchenpolitische Abteilung des MfS, S. 18.  
113)  Im kirchenpolitischen Bereich galten sowohl für die operativen als auch für die inoffiziellen Mitarbeiter besondere Maßgaben: Sie wurden ständig gezielt in biblischen Themen und Glaubensfragen, später auch in Friedens- und Umweltfragen geschult, die operativen Mitarbeiter wurden zudem zu einer geradezu seelsorgerlichen Beziehung zu ihren kirchlich gebundenen Gesprächspartnern angelernt; für den Bereich der IM galt etwa, daß sie sich meist nur mündlich zu verpflichten brauchten; als weitere Besonderheit kann gelten, daß gezielt Jugendliche angeworben und eingesetzt werden sollten, die im kirchlichen Umfeld keinen Fremdkörper darstellen würden und eventuell nach einem Theologiestudium sogar direkt in die Kirche eingeschleust werden könnten.
114) 
Zitat eines Promovenden der Juristischen Hochschule des MfS, zit. nach: Süß, Walter, Das Verhältnis von SED und Staatssicherheit, S. 31.  

   33


2.4 Der CDU-Kreisverband Zwickau-Stadt und die Arbeitsgruppe <Christliche Kreise> in der Nationalen Front 

 

Neben den drei großen kirchenpolitischen Organen soll noch eine weitere Organisation in den Blick genommen werden, im Rahmen derer vor allem die CDU versucht hat, im Spielraum ihrer blockpolitischen Möglichkeiten "friedliebende Christen zu sammeln und sie an die Mitarbeit in der Verwirklichung der Ziele des sozialistischen Aufbaus heranzuführen".115) 

Dabei hatte die CDU deswegen keinen leichten Stand, weil die Mitglieder des CDU-Kreissekretariates Zwickau, auf Anweisung der SED, in die offizielle staatliche Gesprächsarbeit des Rates der Stadt mit den Ortspfarrern eingebunden waren und somit von vornherein keine Vermittlerrolle einnahmen, sondern eindeutig dem staatlichen Spektrum zugerechnet wurden. Erschwert wurde ihre Arbeit zudem dadurch, daß die innerkirchliche Dienstanweisung, die für Sachsen die Gesprächsebenen zwischen Staat und Kirche regelte, zwar Gespräche mit Staatsvertretern vorsah, ausdrücklich jedoch nicht solche mit Parteien. Billigten nun einzelne Amtsträger dennoch Gesprächspartner von der CDU, so wurde diese Toleranz immer wieder dadurch verspielt, daß die CDU, sowohl im Interesse der eigenen Mitgliederentwicklung als auch auf Drängen von Seiten der SED versuchte, unter diesen Gesprächspartnern Mitglieder für die CDU zu werben. 

Es ist also weder erstaunlich, daß diese Maßgaben schwerlich zu erfüllen waren, noch verwundert es, wenn der Zwickauer CDU-Kreissekretär Harry Richter auf entsprechende Vorhaltungen von seiten der SED entnervt an seinen Bezirksvorsitzenden berichtet: „Wir haben bereits mehrfach in Gesprächen und auch in Dienstbesprechungen darauf hingewiesen, daß wir zwar als Person Gespräche mit den ev.-luth. Amtsträgern haben, jedoch diese bei offiziellen Einladungen durch unsere Partei nicht positiv reagieren, da sie unsere Partei in ihrem Wirken nicht anerkennen."117

 

115)  Entschließung des 6. CDU-Parteitags vom 18.10.1952, in: Suckut, Siegfried, Zum Wandel von Rolle und Funktion der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU) im Parteiensystem der DDR (1945-1952), in: Weber, Hermann (Hrsg.), Parteiensystem zwischen Demokratie und Volksdemokratie. Dokumente und Materialien zum Funktionswandel der Parteien und Massenorganisationen in der SBZ/DDR 1945-1950, Köln 1982, S. 170-173, hier S. 173.  
116)  Vgl. dazu die Haltung von Superintendent Mieth: „Auch die CDU hat versucht, sich über die Bezirksstelle als Gesprächspartner an uns heranzupirschen, da haben wir dann auch gesagt, wir sind nicht für euch die Gesprächspartner." Interview Mieth.  
117)  Persönlicher Informationsbericht zum 23.12.84, ACDP BV Chemnitz (III-030) Nr. 004 (vorl.). Tatsächlich wird in den Akten des CDU Kreisverbands Zwickau-Stadt in den 80ern wiederholt berichtet, daß Pfarrer auf Mitgliderwerbeversuche äußerst zurückhaltend reagiert hätten.

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In dieser Situation sollten nun die Arbeitsgruppen ,Christliche Kreise' beim Bezirksausschuß und bei den Kreisausschüssen der Nationalen Front eine parteiunspezifische Informations- und Gesprächsplattform bilden, die auf der Grundlage allgemeingesellschaftlicher Themen speziell Amtsträger aller Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie christliche Bürger ins politische Gespräch einbinden sollte. Diese Arbeitsgruppen waren auf Bezirksebene zum einen durch eine ständige Berichtsverpflichtung gegenüber dem Leiter der Abteilung Staats- und Rechtsfragen der SED-Bezirksleitung, zum anderen durch die Mitgliedschaft des Stellvertreters des Vors. für Inneres beim Rat des Bezirks in der Leitung der AG ,Christliche Kreise' beim Bezirksausschuß der Nationalen Front mit den maßgeblichen kirchenpolitischen Gremien vernetzt. Auf Bezirks- und Kreisebene waren zudem die Mitarbeiter für Kirchenfragen zur wirksamen Mitarbeit in den Arbeitsgruppen angehalten.

 

Ergänzend zu den Einzelgesprächen zielte auch diese Arbeitsform darauf ab, unter Kirchenvertretern Staatsloyalität zu erzeugen118 und gegebenenfalls Gleichgesinnte zu verbinden und zu stärken. Um dieses Gesprächsforum für die Christen interessant und ansprechend zu gestalten, wurde sorgfältig darauf geachtet, daß der thematische Aufhänger aus dem alltäglichen Leben gegriffen war,119) daß die eingeladenen Referenten nicht nur staatstragend sondern im jeweiligen Gebiet auch sachkundig waren und daß die inhaltlichen Aussagen, soweit dies zum Thema möglich war, durch Exkursionen wirkungsvoll unterstrichen wurden. 

Darüber hinaus wurde angestrebt, daß möglichst ein Ortspfarrer der jeweiligen Arbeitsgruppe Vorsitzen sollte. In Zwickau tat dies durch den ganzen Betrachtungszeitraum das CDU-Mitglied Pfarrer Schönfelder, über dessen Arbeitsgruppe das Sekretariat der SED-Bezirksleitung urteilt: „Eine gute und beständige Arbeit wird geleistet in den Kreisen Annaberg, Aue, Marienberg, Zwickau/Stadt und Zwickau/Land." Gleichzeitig werden jedoch auch diese Kreise wiederholt angehalten, „ihre Ausstrahlungskraft weiter zu erhöhen" und insbesondere ihr „inhaltliches Niveau so zu erhöhen, daß sie zu ernstzunehmenden Foren des Meinungsaustausches und zu interessanten Begegnungsstätten für Geistliche und kirchliche Mitarbeiter werden." 121)  

Diese beiden Zitate zeigen deutlich das Dilemma, in dem sich die Arbeitsgruppe befand: Selbst bei vielseitigen Angeboten stieg die Außenwirkung nicht wirklich; auch wenn sporadisch in Zwickau einzelne Pfarrer an Veranstaltungen teilnahmen, fest engagierten sie sich nicht.122)

 

118)  "Hauptanliegen der Arbeitsgruppe ist es, den Amtsträgern aus allen Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie christlichen Bürgern, die ein kirchliches Amt bekleiden, geduldig die Innen- und Außenpolitik unseres sozialistischen Staates zu erläutern und die staatsbürgerlichen Haltungen weiter auszuprägen." Beschluß des Sekretariats der Bezirksleitung vom 07.04.1988, StAC, SED-BL KMSt IV F-2/3/055 (nicht paginiert).
119)  "Es geht um Fragen und Zusammenhänge auf dem Gebiet der Kommunalpolitik, Umweltpolitik, Gesundheitswesen, Sozialpolitik, Ehe und Familie, Kulturpolitik und ähnliche Themen." Ebd. 
120)  Ebd. 
121)  StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen 143915 (nicht paginiert).

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Die relative Wirkungslosigkeit sowohl der CDU als auch der AG <Christliche Kreise>, wie sie sich vor Ort beobachten läßt, könnte darin begründet liegen, daß der Balanceakt zwischen Christen und Sozialisten entsprechend des Führungsanspruchs der SED und des Blockparteistatus der CDU von vornherein zu eindeutig linientreue Schlagseite' hatte, um von Christen und Kirche überhaupt als eigenständiges Gegenüber ernst genommen zu werden.123)

 

2.5 Nationale Front, FDJ, DFD, DSF und Deutsche Volkspolizei 

 

Der Vollständigkeit halber sei noch kurz auf einige Organisationen eingegangen, mit denen die Kirchen­abteilungen von Verwaltung, Partei und MfS zusammenarbeiteten, was in kirchenpolitischen Belangen zu Überschneidungen führte.

Dies war in Zwickau etwa in Zusammenhang mit den vielfältigen ehrenamtlichen Initiativen der von der Nationalen Front organisierten Bürgerbewegung <Schöner unsere Stadt — Mach mit!>124) der Fall, in die gezielt auch Christen und Kirchgemeinden einbezogen werden sollten. Mit Entstehen der Gruppen regten die Staatsvertreter gegenüber Pfarrern immer wieder an, das Engagement von Jugendlichen doch in diese Bahnen zu kanalisieren. Die Existenz dieser Form staatlich getragener Bürgerinitiativen diente zudem als Argumentationshilfe, den Gruppen jedwede eigene gesellschaftliche Berechtigung abzusprechen.

 

122)  Das mag auch daran gelegen haben, daß eine Arbeit in der AG anscheinend nicht ohne weiteres mit innerkirchlichen Dienstanweisungen vereinbar war. Deutlich wird dieses Spannungsfeld am Beispiel des Vortrags, den Altbischof Schönherr Anfang 1986 vor dem CDU-Hauptvorstand hielt. „Ufrd, Pfr. Schönfelder brachte zum Ausdruck: Es ist von großer Bedeutsamkeit und außerordentlich wichtig für uns als CDU-Pastoren, daß Altbischof Schönherr bereit war, einer Einladung des Hauptvorstandes Folge zu leisten und dafür einen so gründlichen Vortrag zu halten [...]; Er wird sicher nicht nur Lob aus der kirchlichen Öffentlichkeit ernten. Ich denke dabei an die innerkirchliche Dienstanweisung in Sachsen, nach der wir uns als Pfarrer zu Gesprächen von Staatsvertretern, aber nicht von Parteien einladen lassen, die mir in der Arbeit der AG ,Christliche Kreise' Behinderungen bringt." Persönlicher Informationsbericht zum 23. Februar 1986 von CDU-Kreissekretär Harry Richter an den Vorsitzenden des Bezirksverbandes, ACDP BV Chemnitz (III-030) Nr. 006 (vorl.).  
123)  Veranschaulichen ließe sich diese Deutung etwa am Beispiel der Diskussion der Friedensfrage: „ [...] am 5. Mai '82 erläutert der Kreissekretär der CDU bei der AG „Christliche Kreise,, den Standpunkt seiner Partei zur Friedensfrage: „Christliches Friedensstreben in Neutralität geäußert, stärkt das imperialistische Kriegsstreben und nicht das Friedensstreben des sozialistischen Staates. Deshalb muß der Sozialismus zur Sicherung des Friedens bewaffnet sein. Die gesetzliche Pflicht zur Landesverteidigung in der NVA ist auch von Christen unbedingt auszuüben als eine notwendige Form der christlichen Friedenswahrnehmung.,,,, Bericht Repmann an Lorenz vom 21.5.1982, StAC, SED-KL Zw./Stdt. IV D-4/21/124 (nicht paginiert). Daraufhin plant die AG „Christliche Kreise,, mehrere Beratungen zur Friedensproblematik, der Kreisausschuß der NF reagiert jedoch nicht auf die Vorschläge und schließlich erkundigt sich Schönfelder im Pfarrergespräch beim Referenten für Kirchenfragen: „Wie ernst nimmt das Sekretariat des Kreisausschusses der NF die Arbeit der AG „Christliche Kreise,, wirklich?,, STAZ, RdSt OB 3054 (nicht paginiert).

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In dem Maße, wie es dem kirchlichen Umfeld in den 80er Jahren gelang, eine eigene attraktive Jugendkultur aufzubauen, nahmen auch die Anstrengungen von staatlicher Seite zu, das Unterhaltungsangebot der FDJ zu verbessern. Eine analoge Entwicklung ist auch für die Themenbereiche <Friedenspolitik> und <Umweltschutz> zu beobachten. In beiden Fällen bleibt jedoch die staatliche Reaktion ohne spürbare Wirkung auf die Aktionen der Kirchenkreise.

 

Immer wieder hat es auch von seiten des Referenten für Kirchenfragen eine Zusammenarbeit mit dem Demokratischen Frauenbund im Rahmen der jährlichen, gemeinsam organisierten <Zusammenkunft mit Pfarrfrauen anläßlich des Jahrestages der DDR> gegeben. Diese Treffen sahen in der Regel zunächst den gemeinsamen Besuch einer städtischen Einrichtung wie der Ratschulbibliothek, des Zwickauer Bekleidungswerks oder der Kindersprachheilschule vor. Im Anschluß daran fanden sich die Teilnehmer in einem Cafe noch zu einer lockeren Gesprächsrunde zusammen, in der eventuelle Berührungsängste der Pfarrfrauen gegenüber staatlichen Initiativen abgebaut werden sollten.125) 

Eine Zusammenarbeit zwischen dem Sektor Kirchenfragen und der Gesellschaft für Deutsch-sowjetische Freundschaft wird zwar erwähnt, hat jedoch kaum Spuren in den Akten hinterlassen. Zu erwarten wäre etwa gewesen, daß ab 1985, verstärkt noch seit dem <Sputnik>-Verbot im November 1988 sehr unterschiedliche Erwartungen von staatlicher Seite und von sehen der Gruppen an die DSF herangetragen wurden. 

Ständige Verbindungen mit der Volkspolizei hingegen unterhielten alle Organe staatlicher Kirchenpolitik zumindest auf der Ebene des Informationsaustauschs. Die intensivste Zusammenarbeit bzw. die fließendsten Übergänge126) dürfte es aber wohl zwischen MfS und dem Bereich Kirche und Vereinigungen des <Arbeitsgebiets I>, kurz <KI>, der Kriminalpolizei gegeben haben, schon allein deshalb, weil die Leiter der KI in aller Regel Offiziere des MfS im besonderen Einsatz (OibE) waren.127) Zunehmendes Gewicht dürfte diese Verbindung im Zusammenhang mit der Ausreisebewegung und den ersten öffentlichen Manifestationen gewonnen haben.128)

 

124)  Dies ist die für die Zwickauer Situation in den Akten verwendete Kurzform der Gesamtbewegung 'Schöner unsere Städte und Gemeinden - Mach mit!'.
125)  Vgl. dazu: StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen 122503 (nicht paginiert). 
126)  Vgl. zu der engen Verquickung von Stasi und VP auch: Herbst, Andreas/Ranke, Winfried/Winkler, Jürgen, So funktionierte die DDR, Lexikon der Organisationen und Institutionen, Bd.l, Hamburg 1994, S. 219-221. 
127)  Vgl. dazu: Stasi intern - Macht und Banalität, hrsg. Vom Bürgerkomitee Leipzig, Leipzig 2. Aufl. 1992, S. 68.

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2.6 Regionale Koordination 

 

"Eine wirkungsvolle Staatspolitik in Kirchenfragen ist nur möglich, wenn alle beteiligten Bereiche einen unkomplizierten und vor allem schnellen gegenseitigen Informationsaus-tausch absichern." Entsprechend dieser Absicht regelten detaillierte Organisationsanweisungen die Informationstätigkeit und -frequenz auf kirchenpolitischem Gebiet und vernetzten alle in Kirchenfragen involvierte Gremien in einem feingliedrigen Berichtswesen entsprechend der hierarchischen Rechenschaftspflicht. Kaum ein Maßnahmenplan endete nicht mit der imperativen Formel: „Die strikte Einhaltung der festgelegten Informa-tionsbeziehungen auf dem Gebiet der Staatspolitik in Kirchenfragen ist zu garantieren." Das schriftliche Berichtssystem genügte jedoch offensichtlich noch nicht, um „ein offensives und in allen staatlichen Instanzen einheitliches Auftreten gegenüber den Kirchen zu gewährleisten" .

Es gab daher zusätzliche Gremien, deren ausdrückliche Aufgabe es war, durch persönliche Absprachen die tatsächliche Umsetzung einer gemeinsamen Linie zu konkretisieren und zu garantieren. Auch wenn formal die Abstimmung von Sachfragen im Vordergrund stand, so darf die Bedeutung der persönlichen Kontakte gerade auf dieser Vernetzungsebene keinesfalls unterschätzt werden. Auf diese Weise wurden informelle Beziehungen, wohlgemerkt im vertikalen Hierarchiegefälle der einzelnen Organe, gefestigt, über die auch unbürokratisch und schnell mündliche Informationen ausgetauscht werden konnten. Es läßt sich leicht vorstellen, daß dieser informellen Schiene etwa in Krisenzeiten eine besondere Bedeutung zukommen konnte. Problematisch an der Beurteilung der Relevanz dieser Beziehungen ist, daß sie sich im Nachhinein kaum mehr rekonstruieren läßt. Wenige Spuren deuten überhaupt nur darauf hin, daß diese Kontakte außerhalb der anberaumten Treffen genutzt wurden.132

128 Genauere Angaben können vorerst nicht gemacht werden, da die Auswertung der Akten der KI noch aussteht.

129 Anweisung des Stellv.f.I. beim RdB an Stellv.Vors.d. RdSt/RdK vom 12.06.1989, StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 144094/2, S. 118.

130 Beschluß des Rates des Bezirkes 0258 vom 28.07.1989, StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143911 (nicht paginiert).

131 Ebd.

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2.6.1 Die 'Koordinierungsgruppe Kirchenfragen'

Beim Rat des Bezirkes bestand eine ,Koordinierungsgruppe Kirchenfragen'. Unter der Leitung des Stellv. des Vors. f. Inneres beim Rat des Bezirks Hoyer kamen in dieser Gruppe mindestens zweimal jährlich der Leiter der Abteilung Staats- und Rechtsfragen und der Mitarbeiter für Kirchenpolitik der SED-Bezirksleitung, sodann der Sektorenleiter Staatspolitik in Kirchenfragen beim Rat des Bezirksb3, des weiteren leitende Vertreter der Fachabteilungen Volksbildung, Kultur, Gesundheits- und Sozialwesen, Jugendfragen, Umweltschutz und Wasserwirtschaft, schließlich der Stellvertreter des Chefs der Bezirksdienststelle der Volkspolizei und einige ausgewählte Stellvertreter für Inneres einzelner Kreise oder Städte zusammen134. Zu ihren allgemeinen Aufgaben gehörte es, auf der Basis der aus den verschiedenen Kreisgremien eingegangenen Informationen inhaltliche Schwerpunkte herauszufiltern und entsprechend zentrale Weisungen auf eine einheitliche Umsetzung im Bezirk abzustimmen. Diese Abstimmungen flössen dann wiederum in die Maßnahmenvorschläge der Ratsvorlagen sowie der Sekretariatsvorlagen ein. Die Hauptaufgabe der ,Koordinierungsgruppe Kirchenfragen' wird jedoch nicht nur bei aktuellen Ereignissen mit der „operativen Abstimmung [eines einheitlichen Vorgehens] mit den leitenden Genossen der betreffenden Bereiche"135 beschrieben.

2.6.2 Die Einsatzleitungen

Weitere Gremien, die schnelles, koordiniertes Handeln in Krisensituationen ermöglichen sollten, waren die Einsatzleitungen. Auf Kreis-, Bezirks- und zentraler Ebene war laut letztgültigem , Statut der Einsatzleitungen' unter dem Kommando des Nationalen Verteidi-

 

132)  So nimmt manchmal ein an einen Bericht angehefteter Notizzettel flüchtig Bezug auf ein Telefonat, in dem wichtige Dinge bereits geklärt werden konnten oder eine Weihnachtskarte fördert zufällig zu Tage, daß der Vors. des RdB Fichtner und der 1. Sekretär der SED-BL Lorenz offensichtlich persönliche Kontakte unterhielten und entsprechend informeller Austausch unter ihnen keine Seltenheit zu sein schien. I3j In seiner Person war also zugleich mindestens ein Vertreter des MfS zugegen.
134)  In den „Konzeptionelle[n] Vorstellungen [des RdB] für den Arbeitsplan des Jahres 1988,, werden zusätzlich der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden der Bezirksplankommission und der 2. Sekretär der Bezirksleitung der FDJ genannt. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143916 (nicht paginiert).

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gungsrates „die Planung, Realisierung und Kontrolle der Maßnahmen der Landesverteidigung durch Einsatzleitungen zu koordinieren und einheitlich durchzusetzen"136. Entsprechend ihres Einsatzbereichs für den Verteidigungs- oder Notstandsfall unterlag ihre Tätigkeit strengster Geheimhaltung, so daß sich nicht einmal Spuren ihrer routinemäßigen vierteljährlichen Sicherheitsberatungen in den Akten des Bezirksparteiarchivs der SED fanden. Der Bezirkseinsatzleitung saß der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung vor, der 2. Sekretär vertrat ihn, der Leiter der Abteilung Sicherheitsfragen der SED-Bezirksleitung fungierte als Sekretär, der Chef des Wehrbezirkskommandos der NVA, der Leiter der Bezirksverwaltung für Sicherheit, der Chef der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei und der Vorsitzende des Rats des Bezirks gehörten ihr statutgemäß an . In Notstandsfällen sollte den Einsatzleitungen eine erhöhte Befehlsgewalt vor Ort zukommen. Gerade daran scheint jedoch die praktische Wirksamkeit dieser Organe in den Krisenmonaten von '89 gescheitert zu sein; für Dresden jedenfalls erhärtete sich inzwischen die Erkenntnis, „daß die Befehle [weiterhin] aus Berlin kamen und [...] selbst zwischen Polizei, Staatssicherheit und Soldaten, die als Hilfspolizei eingesetzt wurden, das reine Chaos herrschte."138)

Eine noch von Dresdener Bürgern im November '89 eingesetzte ,Unabhängige Untersuchungskommission' kam in ihrem Abschlußbericht sogar zu der Einschätzung, daß die Bezirkseinsatzleitung „eine völlig unnütze Einrichtung war, die bei den ersten außerplanmäßigen Vorfällen nicht mehr funktionierte und ineffektiv arbeitete."13 Auch wenn die genauen Arbeitsumstände und die tatsächliche Effizienz der Einsatzleitungen weder abschließend für Dresden noch überhaupt nur in Ansätzen für Karl-Marx-Stadt geklärt sind, so wird doch an der Konzeption dieser und der anderen Koordinationsgremien ein leitmotivisches Streben von sehen der SED-Führung deutlich, ein einheitliches Vorgehen in Kirchenfragen gemäß Parteivorgaben durchzusetzen. Diese immer wieder mit Nachdruck bekräftigte Forderung und die zu ihrer Durchsetzung und Kontrolle geschaffenen Berichts- und Gremienstrukturen manifestierten nicht nur den Führungsanspruch der SED, in den Augen der Parteifunktionäre garantierten sie ihn auch.

 

135)  Ebd.
136)  Zitiert nach Herbst, Andreas/Ranke, Winfried/Winkler, Jürgen, So funktionierte die DDR, Bd 1, Hamburg 1994, S. 266.
137)  Eine analoge Zusammensetzung gilt für die Kreisebene. Vgl. dazu auch: Stasi intern, S. 87-95. 
138)  Süß, Walter, Die kurze Amtszeit des Hans Modrow, S. 599.
139) 
Bahr, Eckhard, Sieben Tage im Oktober. Aufbruch in Dresden, Leipzig 1991, S. 173.  

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  2.7  Überbezirkliche Koordination in Sachsen 

 

Da die kirchlichen und die staatlichen Territorialgrenzen nicht übereinstimmten und entsprechend Vertreter der drei Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt mit der gleichen Landeskirchenleitung zu verhandeln hatten, entstand — sollte der hier leicht überprüfbare Anspruch auf einheitliches Vorgehen auch über die Bezirksgrenzen hinaus gewahrt werden — die Notwendigkeit der überbezirklichen Koordination.

 

2.7.1 Sektorenleitertreffen

Eine Ebene, auf der der ständige überregionale Informations- und Erfahrungsaustausch und die Abstimmung in kirchenpolitischen Fragen unter diesen Bezirken realisiert werden sollte, waren die Treffen der Sektorenleiter der Räte aller Bezirke. Viermal jährlich trafen sie in der Regel beim Staatssekretär für Kirchenfragen in Berlin zusammen, gelegentlich nahm der Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, Bellmann, an diesen Treffen teil. Zusätzlich kamen dort nach Möglichkeit alle zwei Monate angelegentlich anstehender kirchenpolitischer Ereignisse in Sachsen die Sektorenleiter der Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt zusammen. Um bereits im Vorfeld solcher Zusammenkünfte Kenntnis von der Entwicklung im benachbarten Bezirk zu haben, wurde im Rahmenarbeitsplan vom 1. Halbjahr 1984 festgelegt, daß es zwischen diesen Bezirken zu einem regelmäßigen Austausch der Berichte kommen sollte, die die einzelnen Sektorenleiter ohnehin alle zwei Monate an den Staatssekretär für Kirchenfragen zu senden hatten. Auch wenn es nur für die Sektorenleiter so explizite Koordinationstreffen gegeben zu haben scheint, so galt doch die grundsätzliche Vorgabe der gegenseitigen Abstimmung in gleicher Weise für die Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres des Rats des Bezirks.140) 

Über eventuelle Schwierigkeiten in der überbezirklichen Zusammenarbeit ist den Akten generell wenig zu entnehmen. Lediglich im April 1983 kritisierte Paul Verner den Rat des Bezirkes Dresden in seinem Referat vor kirchenpolitisch verantwortlichen Genossen des Staats- und Parteiapparates „wegen nicht genügender Abstimmung mit den anderen Bezirken (besonders in Vorbereitung der Synoden)".141) Grundsätzlich gewinnt man anhand der ,Informationen', die über diese Treffen für den Stellv.f.I. beim Rat des Bezirks angefertigt wurden, jedoch nicht den Eindruck, daß es tatsächlich zu regem Austausch oder gar zu kontroversen Diskussionen gekommen wäre.

140)  Vgl.: StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 143911 (nicht paginiert).
141)  Beratung beim ZK vom 15.4.1983, StAC, SED-BL KMSt IV E-2/14/518 (nicht paginiert).

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Die 'Informationen' geben ausschließlich den Inhalt des mehrstündigen Referats des Staatssekretärs zur jeweils aktuellen gesamtpolitischen Lage in seiner Auswirkung auf die staatliche Kirchenpolitik wieder. Träfe die Annahme über die Beschaffenheit dieser Treffen zu, so bestätigte sich einmal mehr die Beobachtung, daß in der hierarchischen Vertikale der Deutschen Demokratischen Republik die Erteilung einer strikten Weisung gegenüber einem diskursiv erreichten Konsens die weitaus verbreitetere Art der staatlichen Machtausübung war.

 

2.7.2  'Sachsentreff'  

Als ein weiteres Instrument der überregionalen Koordination fungierte der sogenannte , Sachsentreff, ein Gremium, dessen Name sich schlicht daraus ableitet, daß sich Vertreter der drei sächsischen Bezirke mit dem gemeinsamen ,Gegenstand' der Sächsischen Landeskirche beschäftigten. Dieses Gremium setzte sich zumeist zusammen aus einem Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK, dem Sachsenbeauftragten des Staatssekretärs für Kirchenfragen Horst Dohle, Mitarbeitern der Abteilung Staatsfragen der Bezirksleitungen der SED der Bezirke Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt und gelegentlich Cottbus, den Stellvertreter für Inneres der Räte dieser Bezirke, ihren Sektorenleitern für Kirchenfragen und gelegentlich auch Vertretern der Bezirksverwaltungen der Staatssicher-heit142.

Inhaltlich standen neben Überlegungen zur Grundhaltung in einzelnen politischen Fragen, Kirchentage, Friedensdekaden, kirchliche Gedenktage und Jubiläen wie etwa 1983 die Lutherehrung, lokale Besonderheiten oder aktuell gewordene Themen wie etwa die Umweltschutzproblematik auf der Tagesordnung. Darüber hinaus gaben die Mitarbeiter von ZK und Staatssekretariat für Kirchenfragen zentrale Instruktionen zu Bundes- oder Landessynoden weiter und informierten über Gesprächsergebnisse auf höherer Ebene. Wenn auf dem ,Sachsentreff auch Mitarbeiter von ZK und Staatssekretariat anwesend waren, so handelte es sich doch um Begegnungen auf einer hierarchischen Ebene. Entsprechend waren diese Treffen stärker von einem Charakter der gegenseitigen Information geprägt. Zentrale 'Empfehlungen' wurden hier nicht imperativ ausgesprochen, vielmehr wurden die Bezirksoberen mit einem kollektiven ,wir' geschickt für den zentralen Führungswillen vereinnahmt.

142)  In der Praxis kommt es jedoch häufig zu unterschiedlichen Personenkonstellationen, da sich einzelne der Genannten vertreten lassen. Zur Zusammensetzung dieser Treffen vgl. z.B.: StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen, 122450 (nicht paginiert).

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2.7.3  Zusammenfassung

Die bisherige Betrachtung und Beschreibung der einzelnen kirchenpolitischen Institutionen und Gremien und ihrer verschiedenen Aufgaben gab Aufschluß über ihre jeweilige Funktion im größeren Zusammenhang, so daß sich schließlich aus vielen einzelnen Mosaiksteinen ein dichtes Bild von der äußeren Organisationsgestalt der staatlichen Kirchenpolitik für die Stadt Zwickau im Bezirk Karl-Marx-Stadt ergibt.

In dieser äußeren, strukturellen Gestalt spiegeln sich bereits signifikante Wesensmerkmale der ideologischen Grundhaltung des SED-Regimes gegenüber den Kirchen: Die Diensteinheiten des Staatssekretariats und die des Ministeriums für Staatssicherheit, die beide um den gleichen Mittelpunkt, die Partei, kreisten, bildeten dabei die Pole, zwischen denen sich das Doppelspiel der staatlichen Kirchenpolitik entfaltete. Während an der Oberfläche die örtliche staatliche Verwaltung akribisch die offizielle Ebene des gemeinschaftlichen Gesprächs pflegte, spionierten die Einheiten der Staatssicherheit das Innenleben von Kirche und Gruppen aus, zugleich waren beide angewiesen, jeweils mit ihren Methoden die kirchenpolitischen Ziele der Partei in das kirchliche Eigeninteresse zu implementieren und schließlich letzteres dadurch perspektivisch zu eskamotieren.

Entsprechend der unterschiedlichen Funktionsbestimmung der einzelnen mit kirchenpolitischen Fragen beschäftigten Organe unterscheiden sich auch Aussageabsicht und -Schwerpunkt ihrer schriftlichen Hinterlassenschaften. Staatliche Quellen spiegeln demzufolge die Ebene eines zwar direkten, aber doch meist sehr förmlichen Außenkontakts, MfS-Quellen spiegeln eine innere Ereignisebene, während SED-Quellen die Ebene der versuchten Synthese und entsprechend erfolgten Reaktion wiedergeben. Allen diesen Zeugnissen ist gemeinsam, daß sie, bei allem Detailwissen, dem eigentlichen Wesen ihres Betrachtungsgegenstands fern bleiben. Zum einen mag zu einem tieferen Verständnis schlicht die Kenntnis fehlen, oft genug jedoch zwingt das ideologische Feindbild den Blick auf die Kirchen von vornherein in eine vorgegebene Spur.143) 

143)  Das geht soweit, daß sogar der Staatssekretär in einer Auswertung der 2-Monatsberichte bemängelt, daß zu oft stereotype, ideologische Wendungen eine präzise Analyse ersetzten und damit keine richtige politische Wertung möglich sei. Vgl. ebd.

Eine weitere Beobachtung trifft ebenfalls auf die Quellen aller kirchenpolitischen Provenienzen zu: 

Vom einzelnen Mitarbeiter auf Kreisebene an nahm das Wissen um konkrete Situationen bis auf die Ebene der Bezirksleitung stetig zu. War somit bei der Bezirksleitung das breiteste Wissen über die konkreten Gegebenheiten vor Ort konzentriert, so lag dort jedoch nicht die Entscheidungsbefugnis, direkt darauf zu reagieren. Gemäß des Systems des demokratischen Zentralismus mußten vielmehr alle Entscheidungen der zentralen Leitungsebene überlassen bleiben. 

Ab der Bezirksebene verdichtete sich also die Informationsfülle zu immer abstrakteren Tendenzaussagen, diese zogen wiederum entsprechend abstrakte Weisungen nach sich, die zudem dem Diktat der Einheitlichkeit unterworfen waren und erst durch die örtlichen Staats- und Parteiorgane für die jeweiligen Situationen aufbereitet werden mußten. Auf diesen Entscheidungswegen, die darüber hinaus noch zu einem komplizierten gegenseitigen Kontrollgeflecht verwoben waren, gingen Reaktionsschnelle und Entscheidungsfähigkeit in untergeordneten Diensteinheiten sowie Angemessenheit und Bezug von Situation und Reaktion verloren. 

Diese Hintergründe mögen heute für die Deutung historischer Situationen erhellend sein, es darf jedoch nicht vergessen werden, daß von diesen Zusammen­hängen für die Kirchen und erst recht für die Gruppen in den 80er Jahren nur der kleinste Teil sichtbar war. 

Ihnen muß die Situation gegeben, die Staats- und Parteiführung mächtig, ihr kirchenpolitisches Gesicht täuschend erschienen sein, zumal sich die SED und ihre Sprachrohre in dieser Zeit alle Mühe gaben, weltanschauliche Widersprüche herunterzuspielen und keinesfalls öffentlich werden zu lassen.

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 Katja Schlichtenbrede (1999) Alternative Gruppen in Zwickau  in den 80er Jahren im Spannungsfeld  von Staat und Kirche