3. Staatliche Kirchenpolitik in Zwickau in den 80er Jahren
1) 1978 2) Konfliktfelder 3) Friedensfrage 4) Umweltarbeit Abkürzungen
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Die Untersuchung der Struktur- und Funktionszusammenhänge im Bereich der staatlichen Kirchenpolitik hat gezeigt, wie dicht die einzelnen Institutionen sowohl horizontal als auch vertikal miteinander verwoben waren. Wenn im folgenden diese staatliche Kirchenpolitik konkret am Beispiel der Stadt Zwickau in den 80er Jahren in den Blick genommen wird, so kann die Betrachtung der städtischen Gegebenheiten dementsprechend nicht völlig aus dem kirchenpolitischen Gesamtzusammenhang herausgelöst werden, da ansonsten ein verzerrter Eindruck sowohl von der Kompetenz der örtlichen Funktionäre als auch von dem Zustandekommen von Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen entstünde. Die Perspektive des Bezirkes soll daher, natürlich nur in ihrem Reflex auf die Stadt Zwickau und im Hinblick auf alle Kreise in gleicher Weise betreffende Stellungnahmen, in die Betrachtung miteinbezogen werden.
1) Das Grundsatzgespräch vom 6. März 1978
Auch wenn der eigentliche Betrachtungszeitraum dieser Arbeit die 80er Jahre umfaßt, so läßt sich doch kaum eine andere in den kirchenpolitischen Zusammenhängen begründete Zäsur finden, als der 6. März 1978. An diesem Tag trafen sich, im Staatsrats-Gebäude in Ost-Berlin, Erich Honecker und der Vorstand des BEK unter Leitung von Bischof Albrecht Schönherr zu einem gemeinsamen Gespräch, das die weitere Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche auf eine neue Grundlage stellen sollte. wikipedia Albrecht_Schönherr
Geprägt waren das Treffen wie der Prozeß seines Zustandekommens auf beiden Seiten von der Notwendigkeit eines äußerlich geregelten Miteinanders und von der Einsicht, daß die Kirche144 sich mit der Gesellschaftsform des Sozialismus arrangieren mußte und der Staat mit einem Absterben der Religion in absehbarer Zeit nicht rechnen konnte.
Hatte der Vorstand der Konferenz der Kirchenleitungen des BEK "seine prinzipielle Zustimmung zur Politik der SED und die Bereitschaft zu kirchlicher Mitwirkung"145 zu erklären und damit den sozialistischen Staat grundsätzlich als Gesprächspartner anzuerkennen, so hatte ebenso der Staat den Christen
Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen zuzusichern und zugleich die Kirche als gesellschaftlich relevanten Faktor anzuerkennen:"Der Kirche ist heute als eigenständiger Größe in aller Form gesellschaftliche Bedeutung und Mitspracherecht zuerkannt worden. Ihre eigene Mitverantwortung für die Zukunft aller ist unbestritten. Die Kirche wird demzufolge heute nicht als Institution des Klassengegners, sondern als eigenständige gesellschaftliche Kraft gewertet."146
Dieser theoretischen Zusage wohnte jedoch bereits ein nicht geringes Konfliktpotential inne: In sozial-ethischen Fragen mußte und sollte in der Folgezeit die Kirche mit ihrem gesellschaftlichen Gestaltungswillen, zumindest aber Verantwortungsbewußtsein, zu dem Monopolanspruch der Staats- und Parteiführung auf Bestimmung aller gesellschaftlichen Themen und Lebensbereiche in Widerspruch geraten.147
Doch zunächst war ein Rahmenwerk geschaffen worden, das bis 1989 nichts von seiner Bezugskraft verlor und auf das sich, gewissermaßen als kleinsten gemeinsamen Nenner, auch Zwickaus staatliche wie kirchliche Verantwortungsträger nicht nur in Konfliktfällen gleichermaßen unermüdlich beriefen. Dieser modus vivendi bedeutete jedoch noch lange nicht, daß es auch nur zu einer Annäherung in den inhaltlich fundamental unterschiedlichen Weltanschauungen von Kirche und Staat gekommen wäre.
Auch wenn staatliche Vertreter an der Oberfläche fortan die gemeinsamen Anliegen und Aufgaben von Kirche und Staat beschworen, hat die eingängige Betrachtung allein des staatlichen kirchenpolitischen Apparats keinen Zweifel daran gelassen, daß die Kirche nach wie vor als Feind behandelt wurde. Zwei Zitate sollen die Diskrepanz von Schein und Sein, von gesellschaftlicher Oberfläche und ideologischem Hintergedanken nach dem 6. März 1978 veranschaulichen. So schrieb noch am 18.07.1989 Erich Honecker in einem Brief an Bischof Horst Gienke, daß "unsere Gemeinsamkeit größer ist als das, was uns unterscheidet".148
Demgegenüber hatte im Lutherjahr 1983, in dem die DDR-Führung ganz besonders bemüht war, sich der Weltöffentlichkeit möglichst tolerant zu zeigen, Mielkes Stellvertreter, Generaloberst Rudi Mittig, intern keinen Zweifel am wahren Kurs gelassen: "Die Religion ist und bleibt eine Spielart der bürgerlichen Ideologie und ist mit dem Marxismus-Leninismus nicht vereinbar. Eine solche Einschätzung kann zwar zur Zeit nicht Gegenstand öffentlicher Erörterung sein, muß aber die politische wie auch die politisch-operative Grundkonzeption stets mit bestimmen."149
[wikipedia Rudi_Mittig]Bei aller <gutes-Staat-Kirche-Verhältnis-Rhetorik> darf also nicht übersehen werden, daß sich auch nach 1978 die Unvereinbarkeitsprämisse nicht verändert hat. Lediglich die Strategie, die darin bestand, nach außen glaubwürdig zu vermitteln, daß sich gerade doch die Grundeinstellung verändert habe, war angepaßt worden. Das Ziel jedoch, die Eindämmung kirchlichen Gestaltungsfreiraums in der Gesellschaft, bestand unverändert.150
144) Tatsächlicher Verhandlungspartner war zwar nur die evangelische Kirche, Honecker sprach aber immer von "den Kirchen" und versuchte auf diese Weise andere Konfessionen in die getroffenen Absprachen mit hinein zu nehmen.
145) Dohle, Horst, Grundzüge der Kirchenpolitik der SED, hier zit. nach: Besier, Gerhard/Wolf, Stephan, 'Pfarrer, Christen und Katholiken', S. 36.
146) Stolpe, Manfred, Kirche, Staat und Welt, in: KiS 6/1981, Sonderheft zum Hamburger Kirchentag, S. 41.
147) Paul Verner, der am 22. März 1978 die für Kirchenfragen zuständigen Partei- und Staatskader auf Bezirksebene über Ergebnis und Bedeutung des Spitzengesprächs informierte, ließ keinen Zweifel daran, daß der Staat nicht gewillt war, der Kirche tatsächliches Mitspracherecht einzuräumen. Sprach er zunächst noch von einer "Linie des guten Einvernehmens", so führte er doch bald aus: "Die Grenzen enden dort, wo sich Kirche in staatliche Angelegenheiten einmischt." Zit. nach: Besier, Gerhard, Der SED-Staat und die Kirche, 1969-1990, Berlin/Frankfurt am Main 1995, S. 113.
148) Erich Honeckers Brief an Bischof Horst Gienke, in: ND vom 19.07.1989.
149) HA XX: Gutachterliche Stellungnahme zur Forschungsarbeit zum Thema: "Grundorientierungen für die politisch-operative Arbeit des MfS zur Aufdeckung, vorbeugenden Verhinderung und Bekämpfung der Versuche des Feindes zum Mißbrauch der Kirchen für die Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit und der Schaffung einer antisozialistischen 'inneren Opposition' in der DDR" vom 13.5.1983 (gez. Mittig), zit. nach: Vollnhals, Clemens, Die kirchenpolitische Abteilung des MfS, S. 4.
150) Die bei Besier zitierten Quellen etwa des MfS zur "Operation 6. März" zeigen bereits deutlich das Janusgesicht der neuen Kirchenpolitik. Vgl. Besier, Gerhard, Der SED-Staat und die Kirche 1969-1990, S. 108-114.
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2) Konfliktfelder zu Beginn der 80er Jahre
Im Januar 1980 bilanzierte die SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt zum ersten Mal die Auswirkungen des Grundsatzgesprächs für den eigenen Bezirk, konstatierte für eine Mehrheit der Pfarrer eine positive Reaktion auf diese Entwicklung im Staat-Kirche-Verhältnis und kommentierte, daß damit "der Prozeß der Differenzierung und Polarisierung der innerkirchlichen Kräftegruppierungen zugunsten der realistischen Kräfte beeinflußt"151 worden sei.
Als erste unmittelbare Auswirkung des Grundsatzgesprächs läßt sich im Bezirk eine wachsende Bereitschaft der Geistlichen beobachten, überhaupt mit Staatsvertretern ins Gespräch zu kommen. Auch die Tatsache, daß kirchliche Bau- und Grundstücksangelegenheiten, die jahrelang auf Eis gelegen zu haben schienen, plötzlich wieder in Bewegung kamen, könnte als Folgeerscheinung der Spitzenbegegnung gedeutet werden. Für die Stadt Zwickau bekräftigte Oberbürgermeister Fischer ostentativ, "daß es keine gravierenden Probleme zwischen Staat und Kirche gibt", womit er, nicht ohne Genugtuung, eine Bemerkung des ZDF, des "Sprachrohrs des BRD-Imperialismus [...und] Instrument des ideologischen Krieges"152 aufgriff.
Doch auch wenn solche Bekundungen durchaus regelmäßig in den Akten auftauchen, so dürfen sie deswegen noch keineswegs als Tatsachenbeschreibung gelesen werden. Vielmehr scheinen diese Versatzstücke eine doppelte Funktion gehabt zu haben: Nach 'oben' sollten sie signalisieren, daß man den vorgegebenen Ton aufgenommen hatte und nach 'unten' Ansporn und Verpflichtung sein, die Anstrengungen zur Überwindung eventueller Diskrepanzen zu intensivieren.
151) StAC, SED-BL KMSt IV D-2/3/121 (nicht paginiert).
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Realistischer hingegen liest sich die als Auftakt zur Beschreibung örtlicher Konfliktfelder abgegebene Einschätzung, daß sich "die Differenzierungspolitik bei den Geistlichen der Landeskirche
[...] nach wie vor sehr kompliziert und langwierig [gestaltet]".153) So zeigte sich beispielsweise bei der Unterschriftenaktion zu der sogenannten "Willenserklärung der DDR",154) daß der Protest, den die Einführung des Wehrunterrichts ausgelöst hatte, noch keineswegs verklungen war: Vornehmlich die notorischen Nichtwähler unter den Pfarrern in Zwickau155 verweigerten ihre Unterschrift mit dem Hinweis: "Ich bin zur Einführung des Wehrunterrichts auch nicht gefragt worden."156Ein anderer Grund für die Unterschriftsverweigerungen könnte darin zu suchen sein, daß sich die Vorstellungen innerhalb der Kirche, wie der Weltfrieden zu erringen sei, von denen der staatlichen Friedenspolitik unterschieden:157) So sah die Kirche zu dieser Zeit im Gegensatz zum Staat wesentliche Schritte etwa im Abbau der Feindbilder zwischen den Blöcken, in einer konsequenten Friedenserziehung statt Wehrerziehung oder auch in einseitigen Entspannungsschritten der Sowjetunion, womit sich der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan schon nicht mehr vereinbaren ließ.158 Aufgrund dieser, von der staatlichen Sicht abweichenden Auffassung hatten sich bereits in den 70er Jahren kirchliche Gremien der theologischen und sozialethischen Positionsbestimmung in der Friedensthematik zugewandt.159
Eine Ausdrucksform, in der sich kirchlicher Friedenswillen durch die ganzen 80er Jahre hindurch auch bis an die Basis der einzelnen Ortsgemeinden niederschlug, war die <Friedensdekade>, deren erste 1980 unter dem Motto "Frieden schaffen ohne Waffen" DDR-weit stattfand.
152) STAZ, Rat der Stadt Zwickau/Inneres, 2587, Bl. 45.
153) Ebd., Bl. 80.
154) Es handelt sich um eine Unterschriftenaktion, in der im Herbst 1979 die Ablehnung des NATO-Doppelbeschlusses durch weite Teile der Bevölkerung und die Zustimmung zu Abrüstungsinitiativen Breschnews ausgedrückt werden sollte.
155) Das Wahlverhalten der Zwickauer Pfarrer stellte sich in den 80er Jahren für Kommunal-, Bezirkstags- und Volkskammerwahlen verhältnismäßig konstant wie folgt dar: Von 15 Pfarrern beteiligten sich neben dem Superintendenten 5 Pfarrer nicht an den Wahlen, 10 nahmen teil. Vgl. dazu: STAZ, Rat der Stadt Zwickau/Inneres, 2587, Bl. 137.
156) Ebd., Bl. 79.
157) Vgl. zu der grundsätzlichen Auseinandersetzung der Kirche mit der Friedensfrage auch die Diskussion in den 60er Jahren zur Wehrdienstverweigerung am Beispiel des Arbeitspapiers Zum Friedensdienst der Kirche - Eine Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen. Vgl dazu Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition, Kap. 24.
158) Ehrhart Neubert verweist in diesem Zusammenhang auf einen Rundbrief des Magdeburger Bischofs Krusche, in dem dieser die Verschärfung der weltpolitischen Situation sowohl auf den NATO-Doppelbeschluß als auch auf den Einmarsch in Afghanistan zurückführte und damit Verstimmung auf Seiten der SED auslöste. Vgl. Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition, S. 382/383.
159) Hier wären zum Beispiel der Ausschuß Kirche und Gesellschaft, der Facharbeitskreis Friedensfragen, das Studienreferat Friedensfragen, die Theologische Studienabteilung beim BEK und das Kirchliche Forschungsheim Wittenberg zu nennen. Vgl. dazu auch: Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition, Kap.34.
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Auch in Zwickau kam es neben den normalen Gottesdiensten am letzten Tag der Friedensdekade um 13.00 Uhr zu einem Friedensgebet, die Glocken wurden jedoch, um ein provokatorisches Zusammenfallen des Friedensgeläuts mit der wöchentlichen Sirenenprobe zu verhindern, auf 13.15 Uhr verschoben.160) Mit der Friedensdekade, für die vorbereitendes Material vom sächsischen Landesjugendpfarramt erarbeitet worden war, wurde die Auseinandersetzung mit diesem Thema in einer eigenen Organisationsform auch in Zwickau verankert, auch wenn im ersten Jahr das öffentliche Interesse an diesem Veranstaltungsangebot noch gering war.
Weitaus größeren Zulauf hatte zuvor im Oktober desselben Jahres der regionale Kongreß und Kirchentag in Wilkau-Haßlau bei Zwickau gehabt. Auch dort stand unter dem zentralen Motto "Beim richtigen Namen nennen — aber wie?" die Frage nach Frieden und Gerechtigkeit, mit Schwerpunkt auf der Verantwortung des Einzelnen, auf der Tagesordnung.
In kleinen Gesprächsgruppen zu jeweils etwa fünfzehn Leuten hatten Gemeindeglieder und kirchenferne Interessierte aller Alters- und Berufsgruppen aus dem näheren und weiteren Umfeld Zwickaus die Gelegenheit, drei Kongreßtage lang Meinungen, Ängste, Fragen und Gedanken zur persönlichen Dimension dieser großen gesellschaftlichen Themen in gegenseitigem Austausch und im Gebet zu artikulieren. Am Sonntag schloß der Kongreß mit einem gemeindefestartigen Kirchentag ab, der wiederum auch Menschen anzog, die nicht am Kongreß teilgenommen hatten. Die Themen für solche regionalen Kongresse und Kirchentage wurden von ehemaligen Kirchentagsteilnehmern, ehrenamtlichen Mitarbeitern und in der Kirchentagsarbeit aktiven Pfarrern gemeinsam festgelegt und über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten in mehreren Treffen inhaltlich vorbereitet.
Neben den Kongressen und Kirchentagen der regionalen Kirchenbezirke fand zudem in Sachsen abwechselnd in Dresden und Leipzig noch alle vier Jahre ein Kongreß und Kirchentag der gesamten Landeskirche statt. Dessen Generalthema wurde zwar von dem jeweils für einen Kirchentag gewählten Präsidium vorgeschlagen und diskutiert und vom Landesausschuß der sächsischen Kongreß- und Kirchentagsarbeit161) beschlossen.
160) Wegen der zu erwartenden Koinzidenz von Friedensgeläut und Sirenenprobe war es im Vorfeld bereits zu erheblichen Spannungen zwischen Konferenz der Kirchenleitungen und Staatsvertretern gekommen. Vgl. dazu auch: Büscher, Wolfgang/ Wensierski, Peter/Wolschner, Klaus (Hg.), Friedensbewegung in der DDR, S. 122/123.
161) Jede Gliedkirche im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR hatte einen eigenen Landesausschuß, Delegierte der einzelnen Landesausschüsse trafen in der Konferenz der Landesausschüsse zu Beratung, Erfahrungsaustausch und Themendiskussion zusammen. Das ist durchaus bemerkenswert, weil dadurch in der Kirchentagsarbeit eine DDR-weite Abstimmungsmöglichkeit gegeben war. Vgl dazu: Heitau, Sibylle, Kirchentagsarbeit in der DDR, KiS 5/1975, S. 24-30.
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Einzelne Themensegmente, die das Generalthema meist in 5 bis 6 eigenständige Unterpunkte gliederten, wurden jedoch zur unabhängigen Vorbereitung wieder an die Ephorien delegiert. Dort bereiteten dann engagierte Laienmitarbeiter, die sich bereit gefunden hatten, als Gesprächsleiter eine thematische Kleingruppe auf dem kommenden Kirchentag zu leiten, die einzelnen Gesprächseinheiten inhaltlich vor.162
Auf diese Weise floß die Mitarbeit aller interessierten Ephorien in die sächsische Kongreß- und Kirchentagsarbeit mit ein. Auch aus Zwickau beteiligten sich auf diesem Wege neben dem Superintendenten und dem Pfarrer der Katharinenkirche ehrenamtliche Mitarbeiter kontinuierlich an der Kirchentagsarbeit; einer von ihnen war Erwin Killat, auf den noch zurückzukommen sein wird.
Auch wenn die sächsische Kongreß- und Kirchentagsarbeit in den frühen 80er Jahren kein offenes Konfliktfeld mit der Staatsmacht dargestellt hat, so erscheint es dennoch unvermeidlich, sie hier bereits zu erwähnen, weil diese Veranstaltungen Christen, aber auch Kirchenfernen die ansonsten rare Möglichkeit eröffneten, über menschliche und gesellschaftliche Fragen lebensnah und offen in Kleingruppen ins Gespräch zu kommen.
Damit schufen die Kongresse und Kirchentage einen Ort der Gesprächskultur, der viele Menschen für drängende Lebens- und Glaubensfragen sensibilisiert hat.163
162) Für die Mitarbeiter und Diskussionsleiter wurde vom sächsischen Landesausschuß seit 1970 die Möglichkeit angeboten, sich in einem theologischen Fernkurs, im Rahmen dessen Lehrbriefe mit Informationen und Aufgaben verschickt wurden, gezielt auf die angenommene Herausforderung vorzubereiten.
163) Nachdem große gemeinsame Kirchentage der Gliedkirchen auf dem Boden der DDR nach 1954 nicht mehr möglich waren - der Berliner Kirchentag 1961, der eigentlich auch noch ein gesamtdeutscher war, litt wenige Tage vor dem Mauerbau bereits unter zahlreichen Einschränkungen - hatte es in den Landeskirchen immer wieder Überlegungen gegeben, wie das Anliegen der Kirchentagsbewegung unter DDR-Verhältnissen weiterhin zu realisieren sei. Der Gedanke der Dezentralisierung und Regionalisierung schien dabei dem Tatbestand Rechnung zu tragen, daß Großveranstaltungen, wie sie bislang üblich gewesen waren, wegen staatlichen Widerstands nicht zu realisieren sein würden. Dennoch aber schien es, als könne so das Anliegen der Kirchentagsbewegung, Laien auf breiter Ebene zum Engagement in Kirche und Gesellschaft zu ermutigen, fortgeführt werden. 1968 wurde in Sachsen das Jubiläum '1000 Jahre Bistum Meißen' zum Anlaß genommen, einen ersten sächsischen Landeskirchentag zu organisieren, der, nach dem Vorbild des Kongresses 'Missio heute' von 1967 in Berlin, an drei Kongreßtagen Raum für Kleingruppendiskussionen bieten sollte. 1975 wurde zudem der Abschlußsonntag zu einem die Ergebnisse der einzelnen Kongreßtage zusammenführenden Kirchentag umgestaltet. Da sich dieses Modell in den folgenden Jahren bewährte, wurde es ab 1976 auch auf einzelne Kirchenbezirke übertragen. Auf diese Weise entstand das spezifisch sächsische Modell der Kongreß- und Kirchentagsarbeit. Vgl. dazu: Kahl, Hanna, Kongreß und Kirchentag, in: Auerbach, Dieter/Stiebert, Klaus, Kirche in Sachsen, S. 118-125; Heitau, Sibylle, Kirchentagsarbeit, S. 28/29.
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Sehr viel kritischer als die Kirchentagsarbeit wurde von staatlicher Seite die Bewegung, die Anfang der 80er Jahre in die kirchliche Jugendarbeit kam, verfolgt. Wie vielerorts so entstand auch in Zwickau bei der Pauluskirche eine eigene Band, die auf Jugendveranstaltungen spielte. Ebenso traten Bands aus anderen Städten, wie etwa die Gruppe Tools of the Lord aus Schneeberg, in Zwickau auf und wurden nicht selten zum Publikumsmagnet auch für kirchenferne Jugendliche. Der Kommentar des Oberbürgermeisters zu dieser Entwicklung: "Wenn die Kirche meint, daß Beat neuerdings zur geistlichen Musik gehört, müssen sie sie eben spielen",164) verrät eine gewisse Ratlosigkeit dieser neuen Artikulationsform gegenüber. Entschlossener klingt der Aufruf zur Gegenoffensive: "Den Versuchen zur Aktivierung kirchlicher Jugendarbeit ist die konsequente Durchsetzung unserer sozialistischen Jugendpolitik entgegenzusetzen."165
Auch das Auftreten des Jugendevangelisten Theo Lehmann, der mit gleichermaßen markanten wie provokanten Bibelarbeiten eine große Anzahl von Jugendlichen auch in der Zwickauer Pauluskirche stark für das Evangelium zu begeistern vermochte,166) löste aus dem gleichen Grund bei den staatlichen Stellen Irritation aus, weil es hier der Kirche gelang, Jugendliche durch geistliche Impulse zu mobilisieren und wirkungsvoll anzusprechen.
Vergleichsweise einfacher war es für die Staatsfunktionäre, auf die Ortspfarrer Druck auszuüben, wenn diese, wie etwa bei einem Konzert von Bettina Wegner, ihre kirchlichen Räume <systemkritischen> Schriftstellern für Lesungen oder Liedermachern für Konzerte öffneten.
Ein ganz anderer Bereich der kirchlichen Jugendarbeit erregte zudem staatliche Aufmerksamkeit: Seit 1979 bemühte sich der Sozialfürsorger Frank Kirschnek, der durch die sozialdiakonische Arbeit der Inneren Mission offiziell an die evangelische Kirche vor Ort angebunden war, eine Arbeit mit an den Rand der Gesellschaft geratenen Jugendlichen aufzubauen. In diesem Zusammenhang versuchte Kirschnek Jugendliche, die entweder kriminell gefährdet, alkoholanfällig, aus der Haft entlassen oder aus sozial schwierigen Verhältnissen waren, zu sammeln und ihnen durch praktische Hilfe und zwischenmenschliche Auseinandersetzung wieder einen gesellschaftlichen Kontext zu bieten, der ihnen verlorengegangen war.
In dieser Angelegenheit hatte sich Kirschnek, unter Verweis auf die Unzulänglichkeit staatlicher Maßnahmen, immer wieder um eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit staatlichen Organen bemüht, war aber mit dem Hinweis auf die strikte Trennung von Kirche und Staat und dem deutlichen Nachsatz, man ließe sich nicht in diese staatliche Aufgabe hineinreden und akzeptiere keinesfalls ein Partnerschaftsverhältnis, sondern höchstens eine Maßnahmenkoordination in Einzelfällen, abgespeist worden.
164) STAZ, Rat der Stadt Zwickau/Inneres, 2587, Bl. 61.
165) Ebd., Bl. 70.
166) Zum Jugendephorietag im Mai 1980 kamen in Zwickau um die 600 Jugendliche zusammen, um Theo Lehmanns Bibelarbeiten zu alt- und neutestamentlichen Gestalten zu hören, die meist schon durch ihre Titel wie Ein General geht baden, Ein König geht fremd, Ein Prophet geht auf's Ganze, Ein Gangster geht zu Gott oder Ein Toter geht um angetan waren, die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erregen. Vgl. auch: Ebd., Bl. 61.
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Mehr als die Tatsache, daß Kirschnek überhaupt mit diesen Jugendlichen arbeitete, beunruhigte die staatlichen Stellen die Art, wie er es tat. Einmal wöchentlich versuchte er alle der etwa 30 Jugendlichen im Lutherheim zusammenzubringen, darüber hinaus bot er in seiner Wohnung auch Treffen in kleineren Gruppen an. In diesen Gruppentreffen befürchteten die Staatsvertreter "eine Konzentrierung von Jugendlichen mit [...] einer antisozialistischen Zielstellung";167) ein Antrag des Sozialfürsorgers auf ein Energiekontingent für Nachtspeichergeräte, um einen Kellerraum der Lutherkirche als Jugendraum auszubauen, wurde offiziell mit Hinweis auf die "gespannte Energiesituation"168) abgewiesen, intern jedoch damit begründet, man wolle es "nicht zur Bildung einer festen Gruppierung labiler Jugendlicher"169) kommen lassen.
3) Kontroversen in der Friedensfrage
Neben den beschriebenen Konfliktfeldern, die zu Beginn der 80er Jahre die alltäglichen Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat prägten, spiegeln die Akten jedoch auch eine wachsende Nervosität auf Seiten der staatlichen Funktionäre, deren Ursache nicht explizit aus den Akten zu entnehmen ist, die aber darin ihren Ausdruck fand, daß der Ton in Dienstanweisungen, wie in einzelnen Gesprächssituationen zu verfahren sei, harscher wurde und zugleich die Bestandsaufnahmen nüchterner. So wurde beispielsweise über die Geistlichen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt an den Staatssekretär wiederholt berichtet: "Die Ursachen für die derzeit angespannte internationale Situation werden nicht tiefgründig erkannt und oftmals zu einseitig beurteilt."170
Dabei sind die Gründe für diese wachsende Nervosität wohl im wesentlichen in zwei Faktoren zu suchen, die zunächst außerhalb des Verhältnisses von Staat und Kirche lagen, auf dieses aber unmittelbar ausstrahlten: Zum einen müssen restriktive Reaktionen staatlicher Organe gegenüber der Kirche vor dem Hintergrund der Befürchtung gesehen werden, Anstöße der Streik- und Oppositionsbewegung in Polen, deren zentrale Stütze immerhin die katholische Kirche war, könnten auch die DDR erfassen.171
167) Ebd., Bl. 83. 168) Ebd. 169) Ebd., Bl. 120.
170) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 110495 (nicht paginiert).
171) Bezeichnenderweise wird die Entwicklung in Polen in den 'Pfarrergesprächen' möglichst ausgespart, die "rein theoretische" Frage des Superintendenten "Was würde mit einem sozialistischen Land geschehen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung andere gesellschaftliche Verhältnisse wünscht?" bleibt im Raum stehen. Vgl. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 85146 (nicht paginiert).
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Zum anderen hatte sich sowohl im Zuge des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan als auch im Zusammenhang mit der Debatte um die Nachrüstung de NATO der internationale Druck beträchtlich verstärkt172) und nicht zuletzt in der Bundesrepublik zum Anschwellen einer Friedensbewegung geführt, deren Formierung in der DDR von Anfang an unterbunden werden sollte. Vor diesem Hintergrund müssen nun die staatlichen Reaktionen auf eine Initiative gesehen werden, die in Dresden ihren Anfang nahm und sich schließlich in der ganzen Republik verbreitete: Im Oktober 1980 legte der Dresdener Pfarrer Wonneberger in seinem Pfarrkonvent erstmals einen Entwurf zu einem "Sozialen Friedensdienst" (SoFd) vor, der als Beschlußvorlage für die Volkskammer gedacht war und eine ernsthafte, gleichberechtigte Alternative sowohl zum Wehrdienst als auch zum Bausoldatentum darstellen sollte. Der Vorschlag sah in 24-monatiger Dienstzeit den "Einsatz von SoFd-Leistenden [...] an sozialen Schwerpunkten" vor.173
Der SoFd-Entwurf sollte nach Beschluß des Dresdener Pfarrkonvents als Eingabe vor die sächsische Herbstsynode gebracht werden und nach Möglichkeit von dort als Diskussionspapier im Rahmen der Friedensdekade an die Kirchgemeinden weitergeleitet werden. Doch die sächsische Landessynode, die wegen der Nichtzulassung westlicher Journalisten sowieso in Spannungen zu den Staatsorganen stand, zog es vor, den SoFd-Entwurf, der unweigerlich als massive Einmischung in staatliche Angelegenheiten verstanden worden wäre, zu diesem Zeitpunkt nicht an die Gemeinden, sondern an den Ausschuß "Kirche und Gesellschaft" des BEK weiterzuleiten.174) Nun ist der weitere Weg, den das Papier nahm, aufschlußreich im Hinblick auf die Wirkung, die es erzielte: Noch im November 1980 erhielt der sächsische Landeskirchenamtspräsident Domsch Kenntnis von dem Papier, am 17. November erwähnte er diese Initiative im Rahmen eines Gesprächs mit Vertretern des Staatssekretariats.175
172) Die Hoffnungen, die in die Genfer Abrüstungsgespräche gesetzt wurden, wurden zugleich begleitet von der Angst, daß ein Scheitern der Verhandlungen die Schraube des Wettrüstens weiter anziehen würde und daß diese Situation gerade für die europäischen Länder mit einem hohen akuten Sicherheitsrisiko verbunden sein würde.
173) Zit. nach der endgültigen Fassung vom 9.5.1981: Aufruf der Initiative "Sozialer Friedens dienst", in: Büscher, Wolfgang/ Wensierski, Peter/Wolschner, Klaus (Hg.), Friedensbewegung in der DDR, S. 169-171.
174) Vgl. dazu: Schmid, Josef, Kirchen, Staat und Politik, S. 196/197.
175) Vgl. ebd., S. 199; Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition, S. 390.
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Während staatliche Stellen also bereits im Bilde waren, kam eine Verbreitung der Idee in den Gemeinden über die Synode nicht in Bewegung, so daß sich die Initiatoren im Mai 1981 dazu entschlossen, einen überarbeiteten Entwurf per Kettenbrief an der Basis zu verbreiten. Auch wenn die sächsische Initiative nun langsam zu zirkulieren begann,176) ist beispielsweise über Zwickau in der Berichterstattung des Stellvertreters des OB noch Anfang August zu lesen, "daß sie [die Pfarrer] von dem Brief der Initiatoren des SoFd keine Kenntnis besaßen".177
Als Mitte August der Brief beim Superintendenten einging und allen Pfarrern zugestellt wurde, lag den Referenten für Kirchenfragen im Kreis wie im Bezirk längst vom Staatssekretariat eine detaillierte Einschätzung der Initiative und entsprechend eine Argumentationshilfe zur rigorosen Abschmetterung dieser 'Kampagne' im Rahmen eines minutiösen taktischen Maßnahmenplans vor. Primäres Ziel dieses Plans war es, durch gezielte Gespräche mit Synodalen und Mitarbeitern der kirchlichen Jugendarbeit, aber auch mit progressiven' Pfarrern, noch vor der Herbstsynode zu bewirken, daß "diese Aktivitäten [gemeint ist der Umgang mit dem SoFd-Papier] innerhalb der Kirchen durch die realistischen Kräfte selbst paralysiert werden".178 Natürlich sollte zudem jede Initiative, wie etwa Unterschriftensammlungen, die den SoFd-Gedanken über den kirchlichen Raum hinaus verbreitet hätte, unterbunden werden. Am Beispiel des SoFd sollte exemplarisch klargestellt werden, daß der Staat der Kirche keinesfalls ein 'Wächteramt' einräumen würde.179
Die Entwicklung dieser Initiative läßt verschiedene Zusammenhänge deutlich werden: Die äußerst angespannte weltpolitische Situation löste auch in breiten Teilen der DDR-Bevölkerung einen drängenden Friedenswillen aus, der sich in Initiativen wie der Forderung nach einem sozialen Friedensdienst Ausdruck verschaffte.
Gleichzeitig verstärkte der äußere Druck jedoch bei der DDR-Führung die Nervosität gegenüber nicht staatlich gesteuerten Initiativen, zumal wenn sie aus kirchlichem Umfeld stammten und durchaus tief in vorhandene Machtstrukturen einzugreifen drohten, und förderte die Bereitschaft, in dieser Sache "mit entschiedener Ablehnung [zu] reagieren".180
176) Mit größerer Breitenwirkung war dies etwa auf dem Frühjahrsseminar in Königswalde und auf Regionalkirchentagen in Görlitz, Dessau und Stralsund der Fall.
177) STAZ, Rat der Stadt/ Inneres, 2587, Bl. 151.
178) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 143988 (nicht paginiert).
179) Vgl. dazu auch die Argumentationshilfe auf Kreisebene in: STAZ, Rat der Stadt/ Inneres, 2587, Bl. 145.
180) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 143988 (nicht paginiert).
181) Am 10.11.1981 legte Erich Honecker persönlich den Bezirks- und Kreissekretären der SED in einem Fernschreiben seine Einschätzung und das weitere Vorgehen bezüglich des SoFd dar. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 115183 (nicht paginiert). Daraufhin wies der 1. Sekretär der SED-BL die 1. Sekretäre der Kreisleitungen an, eine Beratung über die konkreten Arbeitsschritte in dieser Frage unter Beteiligung von Rat der Stadt/Kreis und Kreisdirektion des MfS einzuberufen. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 114743 (nicht paginiert). Darüber hinaus trat beispielsweise in Zwickau der Sachsenbeauftragte des Staatssekretärs Horst Dohle vor den Pfarrern der Ephorie auf, um die staatliche Haltung zum SoFd zu erläutern. STAZ, Rat der Stadt/ Inneres, 2587, Bl. 161.
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Diese Haltung wurde nun durch den beträchtlichen Informationsvorsprung der Staatsorgane dahingehend begünstigt, daß durch ein koordiniertes, massives,181) zum Teil sogar präventives Auftreten der Staatsvertreter ein enormes Druckpotential gegenüber den Kirchenleitungen aufgebaut wurde, so daß immer wieder auch bei kirchenleitenden Mitarbeitern, die dem SoFd im Grunde wohlwollend gegenüberstanden,182) eine öffentliche Solidarisierung oder gar ein einheitlicher kirchlicher Standpunkt verhindert wurden. Anders als in Dresden, von wo der SoFd-Impuls ausgegangen war und wo er wohl auch die höchsten Wellen schlug, kam es in Zwickau, obwohl Superintendent Mieth dem Entwurf zunächst aufgeschlossen gegenüberstand, deshalb nicht zu heftigen Auseinandersetzungen, weil sich dort zu dieser Zeit noch keine Gruppenstruktur um das Friedensthema gebildet hatte.
Dennoch hatte die Dresdener Initiative das Bewußtsein der örtlichen Gemeinden, vor allem vieler Jugendliche, spürbar für das Friedensthema sensibilisiert. Auch dort griff zunehmend die Sorge um die weltpolitische Situation Raum. Zudem rief das staatliche Unverständnis gegenüber dem Friedenswillen besorgter Bürger Verunsicherung hervor. In Zwickau wurde dieser Prozeß häufig gerade bei jungen Leuten im kirchlichen Umfeld darin sichtbar, daß sie seit der '81er Friedensdekade unter dem Motto "Gerechtigkeit - Abrüstung - Frieden" den Aufnäher mit der Losung "Schwerter zu Pflugscharen" als Ausdruck ihrer persönlichen Auseinandersetzung mit der beängstigenden Situation des atomaren Wettrüstens nach außen trugen. Damit hatte ihr Friedenswillen eine Ausdrucksform gefunden,183) die zudem die Möglichkeit einer Solidarisierung mit <Ähnlichdenkenden> eröffnete und somit in den Einzelnen zunehmend das Selbstverständnis stärkte, Teil einer kirchlichen Friedensbewegung mit einem eigenständigen Friedensauftrag zu sein. Doch gerade diese Form der öffentlichen Solidarisierung mit einem Friedensbegriff, der sich, wie die Kontroverse um den SoFd gezeigt hatte, doch deutlich von dem der Staats- und Parteiführung unterschied, rief heftige staatliche Gegenreaktionen hervor,184) die in repressivem Vorgehen gegen Aufnäherträger an Schulen, aber auch in der Öffentlichkeit ihren Ausdruck fanden und schließlich in einem Verbot der Aufnäher gipfelten.185
182) Zu diesen zählte zunächst auch Landesbischof Hempel.
183) Das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" zeigt eine, an den biblischen Text von Micha 4,3 angelehnte, stilisierte Abbildung eines Denkmals des sowjetischen Künstlers Jewgenij Wutschetisch, das die UdSSR der UNO geschenkt hatte und das in New York aufgestellt worden war. Das Symbol war bereits als Leitmotiv für die Friedensdekade 1980 vom BEK angenommen worden. Vgl. dazu: Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition, S. 399.
184) Erich Honecker klärte in einem Fernschreiben vom 16.4.1982 die 1. Sekretäre der SED-Bezirks- und Kreisleitungen darüber auf, "daß bestimmte kirchliche Kräfte unter dem Vorwand einer eigenständigen', unabhängigen' Friedensbewegung bestrebt [seien], im Interesse imperialistischer Kreise oppositionelle Kräfte gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht zu organisieren" und warnte energisch davor, "daß sich die Kirchenleitungen nicht in die Rolle eines ,trojanischen Pferdes' drängen lassen sollten". Fernschreiben Erich Honeckers, in: Hartweg, Frederic, SED und Kirche, Bd. 2, S. 450.
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Zudem wurde versucht, über den beliebten Hebel der Druckgenehmigungen eine Ausbreitung der <kirchlichen Friedensbewegung> zu verhindern. Im Mai '82 beriet der Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt plötzlich über "Sparmaßnahmen", intern hieß es: "Diese Maßnahme bedingt auch den Eingriff in die Belange der Kirchenboten sowie kategorische Unterbindung aller Versuche, über diese Druckerzeugnisse die 'sogenannte' kirchl. Friedensbewegung zu popularisieren."186)
Viele Zwickauer Pfarrer brachten in ihren Reaktionen eigenes Unverständnis und die Enttäuschung ihrer Gemeindeglieder, besonders der Jugendlichen auf die staatlichen Maßnahmen, zum Ausdruck. Der Stellvertreter des OB für Inneres hatte entsprechend nach Karl-Marx-Stadt zu berichten: "Die teilweise umfangreichen Erläuterungen des staatlichen Standpunktes zu diesen Fragen werden zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht akzeptiert."187)
Als von der Bundessynode im September 1982 schließlich zu hören war, die Kirche "verzichte um des Friedens willen"188) auf den Aufnäher, wurde deutlich, daß sich die Rolle der Amtskirche verschoben hatte: Mit dem Anspruch einer Sprecher- und damit oft genug Widersprecherrolle, in der die Kirche, gemäß ihren Werten, ihre Sicht auf die Gesellschaft der DDR in das Gespräch mit den Staatsvertretern einbringen wollte, war sie 1978 angetreten. In dem Maße aber, wie sich in ihrer eigenen Basis Besorgnis um den Weltfrieden in Initiativen Luft machte, die das Machtmonopol der SED in Frage stellten,189) wurde sie als Gesprächspartner beider Seiten in eine Vermittlerrolle gedrängt.
Das Ergebnis der Synode verdeutlichte, daß der staatliche Druck offenbar größer war und die Amtskirche in der generell gespannten politischen Situation die Verantwortung weiterer Eskalationen, wie sie aus der Unterstützung einer breiteren, öffentlichen Friedensbewegung hätten erwachsen können, nicht übernehmen und auch die Beziehungs- und Gesprächsebene zum Staat nicht aufs Spiel setzen wollte.
185) Daß die Staatsorgane durchaus einige Mühe hatten, das Verbot ausgerechnet dieses Symbols zu rechtfertigen, zeigt die Erklärung des Staatssekretärs für Kirchenfragen anläßlich des Sachgesprächs vom 7. April 1982 mit der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen: "Die Einwände des Staates richten sich nicht gegen die Aussage und Bedeutung des Symbols [...] Da das Symbol aber mißbräuchlich zur Schwächung der Wehrbereitschaft in der DDR benutzt worden sei, könne es in der Öffentlichkeit nicht mehr geduldet werden." Judt, Matthias (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten, Bonn 1998, S. 396.
186) STAZ, Rat der Stadt/Inneres, 2587, B1.222.
187) Ebd., Bl. 201.
188) BEK Synode 1982, zit. nach: Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition, S. 403.
189) Auch wenn die Initiatoren dies gar nicht beabsichtigt haben mögen, so liefen ihre Vorschläge etwa zum SoFd in den Augen der Staats Vertreter doch genau darauf hinaus.
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Der Preis, den sie für diese Entscheidung zu zahlen hatte, wurde in den vielen enttäuschten Reaktionen aus ihren eigenen Reihen und aus den Reihen derer sichtbar, die von der Kirche einen kompromißlosen Pazifismus erwartet hatten, so daß fortan eine gewisse Distanz zwischen der Institution Kirche und Interessierten oder Interessengruppen zu einzelnen Themen, wie etwa der Friedensfrage, vor allem an den Orten zu beobachten war, an denen es bereits Initiativstrukturen gab.
In Zwickau mag die skizzierte Rollenverschiebung, wie sie gerade an der sächsischen Landeskirchenleitung sichtbar wurde, eine Leitbildfunktion für die weitere Positionsbestimmung des Superintendenten als Vermittler im Fall zukünftiger, konfliktträchtiger kirchennaher Initiativen begründet haben.
Auch wenn also die Anfänge der "Schwerter zu Pflugscharen"-Bewegung 1981 weitgehend eingedämmt wurden, so blieb doch eine innere Bewegtheit bestehen, die ein mehr oder weniger vages Verantwortungsgefühl und einen Lebenswillen angesichts der atomaren Bedrohung als allgemeine Stimmung zurückließ, die als Nährboden vielfältiger Initiativen begriffen werden kann, welche in der Folgezeit ihren Anfang nahmen.
Das anstehende Lutherjahr, 1983, in dem die Weltöffentlichkeit den Blick auf die DDR und nicht zuletzt auch ihr Verhältnis zu den Kirchen richten würde, zwang jedoch die Staats Vertreter schon bald zu leiserem Auftreten. Staatssekretär Klaus Gysi schärfte den Sektorenleitern für Kirchenfragen ein, "bis dahin den Krach mit der Kirche um die selbständige Friedensbewegung vom Tisch zu haben".190)
Staatlicherseits wurde der Ehrung des Reformators breite Unterstützung zugesagt, diese jedoch zugleich auch als Druckmittel gegenüber der Kirche zur Gewährleistung innerer Ruhe instrumentalisiert. Während die Staatsführung damit um außenpolitischen Prestigegewinn rang, hoffte die Kirche ganz besonders im Rahmen der sieben für dieses Jahr anberaumten Kirchentage ihre gesellschaftlichen Handlungsspielräume erweitern zu können.
Doch so gründlich der Stimmungsumschwung im Lutherjahr auch erscheinen mochte und sollte, unter der Oberfläche machten staatliche Organe allerorts beträchtliche Zugeständnisse und leisteten gleichzeitig massive <Gesprächsarbeit>: "[...] denn wir haben volles Interesse daran, daß im Lutherjahr Ruhe herrscht."191) Doch auch die basiskirchliche Unruhe war durchaus nicht dröhnenden Festtagsreden gewichen, vielmehr lebte die gebrochene Bewegung ungebrochen unter der Oberfläche weiter, suchte sich andere Ausdrucksformen,192) speiste ihr Selbstbewußtsein aus anderen Quellen und besetzte zum Teil auch neue Themenfelder.
190) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 115183 (nicht paginiert).
191) StAC, SED-BL KMSt IV E-2/14/518 (nicht paginiert).
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4) Die Umwelt wird zum Problem
Seit 1980/81 tauchen in den Akten des Rates des Bezirkes Hinweise auf, daß vermehrtes Waldsterben in den Regionen des Erzgebirges beobachtet worden war und einzelne Kreise zu der Beschäftigung mit Fragen des Umweltschutzes veranlaßt hätte. Von einzelnen Pfarrern geäußerte Mutmaßungen, daß die Waldschäden durch Industrieanlagen in der CSSR verursacht würden, wurden von den örtlichen Funktionären jedoch als Verleumdungen des Bruderlandes zurückgewiesen.
Auseinandersetzungen mit der Ökologieproblematik hatte es innerhalb der evangelischen Kirche durchaus auch früher schon gegeben, etwa in Aufsätzen und Reden des Erfurter Probstes Heino Falcke,193) bei der Theologischen Studienabteilung und dem Ausschuß "Kirche und Gesellschaft" beim BEK oder beim Forschungsheim Wittenberg, wo 1979 sogar eine Wanderausstellung zur Problematik erstellt worden war, die seitdem durch die Landeskirchen weitergereicht wurde und wo es ab Herbst 1981 zu Treffen verschiedener Umweltgruppen kam.
An Boden gewann die Auseinandersetzung mit dem Thema Umweltschutz in Sachsen zudem durch den Dresdener Kirchentag194) und die Leipziger Aktion "Mobil ohne Auto". Wesentliche Impulse für die inhaltliche Arbeit sowie die Koordination örtlicher Initiativen gingen ab 1982 von dem bei der sächsischen Landeskirche eingerichteten und mit dem Chemiker Joachim Krause kompetent besetzten Referat "Naturwissenschaft und Glaube" aus.195)
Zu einer Beschäftigung an der kirchlichen Basis mit Problemen der Umweltzerstörung scheint es jedoch vornehmlich dann gekommen zu sein, wenn konkrete Mißstände vor Ort Anlaß zur Sorge gaben. Dies stand sicherlich in Wechselwirkung sowohl mit den genannten, eher theoretischen Grundsatzüberlegungen als auch mit über Westfernsehen vermittelten Informationen über die westdeutsche Öko-Sammelbewegung der Grünen.
192) Beispielsweise nahmen Fragen der Abrüstung, der Friedenssicherung und des Friedensbeitrags der Kirchen auf dem Dresdener Kirchentagskongreß unter dem Motto "Frieden ist teuer - aber bezahlbar" einen breiten Raum ein. Darüber hinaus sei auf die Bedeutung der Friedensseminare in Königswalde, die regelmäßig im Frühjahr und im Herbst stattfanden und weit über die Region hinaus ausstrahlten, verwiesen. Zunehmend entstanden auch gerade nach den Auseinandersetzungen um die Friedensaufnäher an verschiedenen Orten neue kirchliche Arbeitskreise zu dem Thema. Vgl. dazu auch: Ebd.
193) Zu verweisen ist hier auf die Gastvorlesung in Basel 1977 zum Thema Christliche Verantwortung für Umwelt und Überleben in einer sozialistischen Gesellschaft oder auf die Rede bei der ökumenischen Weltkonferenz "Glaube, Wissenschaft und die Zukunft" in Boston 1979 zum Thema Eine christliche Sicht von Wissenschaft und Technik in einem sozialistischen Land, in: Falcke, Heino, Mit Gott Schritt halten, Berlin 1986, S. 144-156 und S. 232-238.
194) Auch Zwickau war wieder stark in die Vorbereitungen involviert: Zu den kongreßvorbereitenden theol. Fernkursen wurden begleitende Konsultationen gehalten, diese fanden in Leipzig, Dresden und Zwickau statt. Vgl. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 143971 (nicht paginiert).
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Eine nicht unwesentliche Rolle für das Entstehen von Öko-Initiativen an der kirchlichen Basis scheint zudem gespielt zu haben, ob Ortsgeistliche und Superintendenten den Umweltbesorgten Ohr und Raum liehen.
Dies läßt sich am Beispiel Zwickaus augenfällig verdeutlichen: Im Oktober 1981 kam in Zwickau Edmund Käbisch als zweiter Pfarrer an den Dom St. Marien. Wenige Monate später wandte sich Käbisch bereits an den Stadtrat für Umweltschutz, um sowohl eine sinnvolle Teilnahme von Jugendlichen der Domgemeinde am "Mach-mit-Wettbewerb" abzusprechen als auch einen ersten Arbeitseinsatz dieser Jugendlichen im örtlichen Naherholungsgebiet anzumelden, an dem schließlich auch Superintendent Mieth teilnahm.
In Abstimmung mit dem Superintendenten regte er die kirchliche Jugendarbeit ebenfalls zu einer Auseinandersetzung mit diesem Thema, anhand des vom kirchlichen Forschungsheim Wittenberg herausgegebenen Materials Ist die Natur noch zu retten? an. Pfarrer Käbisch stellte fortan für jene Zwickauer eine Anlaufstelle dar, die das Anliegen des Umweltschutzes zu persönlicher Sorge aber auch zu Aktivität veranlaßte. Von ihm und um ihn sollte es in den folgenden Jahren noch zu vielfältigen Initiativen auf diesem Gebiet kommen. [ wikipedia Kirchliches_Forschungsheim ]
Nicht wissen konnte der Pfarrer zu dieser Zeit, daß der Stadtrat für Umweltschutz zugleich als IM "Gerhard Förster" der Kreisdienststelle des MfS detailgenau von jedem Vorhaben berichtete.196 Hier zeigt sich, daß die Umweltschutzproblematik von staatlicher Seite längst als potentieller neuralgischer Punkt eingeschätzt worden war und entsprechend doppelt überwacht wurde.197 Käbischs Engagement beschränkte sich jedoch nicht auf die Auseinandersetzung mit Umweltthemen.
195) Vgl. dazu Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition, S. 454.
196) An den Begegnungen zwischen Käbisch und dem Stadtrat läßt sich die Informationsweitergabe in den örtlichen Staats- und Parteiorganen beispielhaft verdeutlichen: Nach einem Gespräch mit Käbisch informierte der Stadtrat den Stellvertreter des OB für Inneres, Stowasser, dieser informierte OB Fischer, Fischer setzte sich mit der SED-KL in Verbindung, diese wiederum informierte Oberst Nagel von der KD des MfS, der zu diesem Zeitpunkt bereits Bescheid wußte, da ihm der Bericht seines IM schon vorlag. Vgl. Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V., Stasi-Akte Käbisch "OV Kontrahent", Bd. 1.
197) Das zeigt sich zum Beispiel auch daran, daß dem Bezirk Karl-Marx-Stadt eine, im Oktober 1982 in Berlin erarbeitete, umfangreiche Studie zur "Haltung der Kirchen in der DDR zu Fragen des Umweltschutzes" an die Hand gegeben worden war. Im übrigen findet sich darin die Einschätzung, daß die kirchliche Ökologiebewegung in der DDR "vorwiegend konstruktive Züge" habe und daß versucht werden sollte, sie noch stärker in die Richtung des "Mach-mit-Wettbewerbs" und der Initiativen des Kulturbundes zu kanalisieren. Vgl. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 122451 (nicht paginiert).
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Hatte er bereits, als er sein Amt in Zwickau antrat, seine Sympathie für die Idee des SoFd nicht verhehlt, so nahm er Anfang '83 die sich zuspitzenden Ereignisse um die Jenaer Friedensgemeinschaft zum Anlaß, zu einem Friedensgottesdienst in den Dom einzuladen198 und dort nicht nur zu einem Engagement in der kirchlichen Friedensarbeit aufzurufen, sondern auch Fürbitte für die Jenaer Verhafteten zu halten, deren Behandlung durch die staatlichen Organe er als Verstoß gegen die Menschenrechte bezeichnete.199 bing Friedensgemeinschaft Jena
Diese Aktivitäten, obwohl natürlich vom MfS argwöhnisch verfolgt, führten so lange nicht zu Konfrontationen mit staatlichen Stellen, wie sie in den Räumen der Kirche blieben. Erst eine <Kerzenverteilaktion der kirchlichen Friedensarbeit in der Innenstadt>, die er in der Weihnachtszeit des Jahres 1983 zusammen mit dem Kirchner am Dom, Jörg Banitz, ins Leben gerufen hatte, rief die Genossen sichtbar auf den Plan, die in der Person des Stellvertreters des OB für Inneres vom Superintendenten die Disziplinierung des Pfarrers forderten. Dies war jedoch nur der Auftakt zu unaufhörlichen Reibereien zwischen dem unbequemen Pfarrer und staatlichen Stellen, zu denen es in der Folgezeit immer wieder kommen sollte.
Zu einem ersten Eklat kam es schließlich bei dem vorweihnachtlichen <Pfarrergruppengespräch> im Jahre 1984, als der Bürgermeister im Beisein der Amtskollegen Käbisch namentlich für seine <negativen> Aktivitäten in Umweltfragen kritisierte: "[...] ich verstehe nicht, daß sich Herr Pfarrer Dr. Käbisch in letzter Zeit abfällig über Umweltdinge äußert, die Angelegenheit des Staates sind und Angelegenheit des Staates bleiben."
Weiter führte er aus, daß es harte Umweltauflagen für Betriebe gäbe, deren Einhaltung der Staat überwache, weswegen es keinen Anlaß für kirchliche Einmischungen gäbe. Vollends gesetzeswidrig sei die Bildung von Ökologiegruppen innerhalb der Kirche, er sage dies deshalb so deutlich, damit "wir uns nicht konfrontieren müssen".
Noch in der gleichen Runde wies der Superintendent die Feststellung, daß die Bildung von kirchlichen Gruppen, die sich mit Umweltproblemen befassen, gesetzeswidrig sei, mit dem Hinweis zurück, "dem Bischof [gemeint ist Hempel] hätte man das nicht gesagt, daß das gesetzeswidrig ist".201 Doch zu der eigentlichen Auseinandersetzung kam es hinterher, zunächst, im Anschluß an das Gruppentreffen, zwischen OB Fischer, seinem Stellv. f. Inneres Stowasser und dem Referenten für Kirchenfragen auf der einen Seite und Pfarrer Käbisch und Superintendent Mieth auf der anderen.
198) Vgl. Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V., Stasi-Akte Käbisch "OV Kontrahent", Bd.1.
199) Die Jenaer Friedensgemeinschaft um Roland Jahn, die aus der Jungen Gemeinde Jena Stadtmitte hervorgegangen war, hatte bereits durch verschiedene ungewöhnliche und öffentlichkeitswirksame Aktionen die örtlichen Sicherheitsorgane aufs höchste alarmiert, als Jahns 'Einmanndemonstration' für die Solidarnosc zu seiner Verhaftung führte, in deren Folge es mehrere Monate lang zu Protestwellen kam, die wiederum weitere Verhaftungen nach sich zogen. Unter dem Druck der Westpresse, die die Ereignisse begleitet hatte und landesweiten Solidarisierungszeichen wurden die Verhafteten zwar schließlich entlassen, die Jenaer Friedensgemeinschaft aber dadurch zerschlagen, daß viele ihrer mutigsten Vertreter, unter ihnen auch Roland Jahn, zum Teil gegen ihren Willen in den Westen abgeschoben wurden. Vgl dazu: Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition, S. 485-489.
200) STAZ, Rat der Stadt Zwickau/OB, 3018, Bl. 21.
201) Ebd. Bl. 23.
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Fischer konkretisierte seine Kritik, Käbisch leite ein "Umwelt-Kabarett", mit dem er nicht nur in Zwickau, sondern auch an anderen Orten, etwa in Annaberg, Karl-Marx-Stadt, Schneeberg und Meerane <negativ> auftrete. Er reiche unter den Besuchern des Kabaretts provokatorisch Wasser aus der Zwickauer Mulde herum, "um negative Geruchsfeststellungen treffen zu können".202 Des weiteren verunglimpfe er die SDAG Wismut und beleidige damit die Sowjetunion, ganz abgesehen davon, daß er sich auch abfällig über die Umweltpolitik der DDR äußere. Schließlich lastete Fischer Käbisch auch indirekt die Bildung der Ökologiegruppe an. Da der Superintendent jedoch nicht bereit war, die Problematik "einfach so stehen zu lassen"203 und in seinem nächsten Gespräch mit dem Oberbürgermeister diesem vorwarf, seinen Amtskollegen "im Kreis der Pfarrer brüskiert zu haben",204 kam es schließlich zu einem Nachgespräch in dieser Sache.205
Inhaltlich verfochten beide Theologen den Standpunkt, "die Kirche trage Verantwortung für die Schöpfung Gottes",206 und habe entsprechend das Recht und sogar die Pflicht, dieses Anliegen und erst recht die Menschen, die es bewegt, ernst zu nehmen. Wenn also der Staat dieses Engagement als feindlich einstufe, müsse es sich um ein Mißverständnis handeln, da die Christen es nachgerade als ihre staatsbürgerliche Pflicht verstehen würden, verantwortungsbewußt für die Umwelt einzutreten. Fischer verwies in seiner Entgegnung auf die Maßnahmen der örtlichen Organe der Nationalen Front wie des Kulturbundes und die Möglichkeit für Christen, sich dort einzubringen.
Erwartungsgemäß kam es zu keiner Annäherung der Positionen. Hatte die verbale Abstrafung Käbischs zum Ziel, diesen im Kreise seiner Kollegen zu isolieren, so brachte sie, außer beträchtlicher Unruhe, jedoch nicht den gewünschten Effekt. Wenn auch die meisten Kollegen sein Engagement nicht recht unterstützen wollten, verteufeln mochten sie es auch nicht: "Er hätte sich das Kabarett von Pfarrer Dr. Käbisch angesehen und eigentlich nichts dabei gefunden"207 kommentierte der Pfarrer der Lutherkirche bezeichnend seinen Eindruck.
202) STAZ, Rat der Stadt Zwickau/OB, 3017, Bl. 32. In diesem Zusammenhang soll er, nach staatlichen Quellen, auch einen künstlichen Tannenbaum mitgebracht haben und dazu geäußert haben, eigentlich habe er eine richtige, kranke Fichte mitbringen wollen, dafür seien andere aber schon bestraft worden. Vgl. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 110498 (nicht paginiert).
203) Ebd. Bl. 33.
204) Ebd. Bl. 40.
205) Oberbürgermeister Fischer holte für dieses Nachgespräch extra die Meinung des Vorsitzenden des RdB ein.
206) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 122489 (nicht paginiert).
207) STAZ, Rat der Stadt Zwickau/OB, 3017, Bl. 41.
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Dieser örtliche Konflikt um die Aktivitäten des in Umweltfragen engagierten Zwickauer Pfarrers Edmund Käbisch macht Verschiedenes deutlich: In Analogie zu der Entwicklung in der Friedensproblematik verstärkte der Staat auch in Fragen des Umweltschutzes in dem Maße den Druck, wie an der kirchlichen Basis die Initiativen zunahmen und an Öffentlichkeit gewannen. Dabei sind die kirchlichen Initiativen in beiden Fällen als Reaktionen auf äußere Situationen zu verstehen, die zunehmend von mehr Menschen als so persönlich lebensbedrohend empfunden wurden, daß die akute Sorge irgendwann die gewöhnliche Alltagsträgheit überwand und Kraft und Willen zu eigenverantwortlicher Tat freisetzte.
Diesem erwachten Verantwortungsgefühl wohnte der Wille inne, die Öffentlichkeit über die erkannten Gefahren zu informieren und so die Möglichkeit zu deren breiterer Bekämpfung zu schaffen. Um aber einen solchen Prozeß auch wirklich bei vielen Menschen anschieben zu können, mußten die Initiativen sich um Außenwirkung und Öffentlichkeit bemühen. Dieser Anspruch kam aber im sozialistischen Staatsverständnis nur der Partei zu, die sich als ausschließlicher Repräsentant aller legitimen gesellschaftlichen <Kräfte> verstand und dieser Logik folgend jede Alternativ-Öffentlichkeit als Systembedrohung bekämpfen mußte.
So verwundert es schließlich auch nicht, daß die Staats- und Parteifunktionäre auf die beiden ganz verschiedenen Grundanliegen Frieden und Umweltschutz sowie die vielfältigen Initiativen dazu immer stereotyp reagiert haben, indem sie sie als Einmischung in staatliche Angelegenheiten zu unterbinden suchten und eine differenziertere inhaltliche Diskussion nur führten, um den Akteuren die Berechtigung zur Sorge und zu eigenverantwortlichem, von staatlichen Organisationen unabhängigem Handeln abzusprechen. Ein Wortwechsel zwischen Superintendent und Referent für Kirchenfragen spiegelt augenfällig den beschriebenen Zusammenhang:
"Von Superintendent Mieth gab es dazu noch folgende Bemerkungen: <Der Staat reagiert noch allzu allergisch zu kirchlichen Umweltaktivitäten. [...] Vor Jahren reagierte der Staat auch so bei den kirchlichen Friedensgruppen. Dabei bestand nie die Absicht, die Verteidigungsfähigkeit anzugreifen, sondern die Verantwortung für den Frieden sichtbar zu machen.>
Vom Mitarbeiter f. KF wurde nochmals eindeutig daraufhingewiesen, daß es der Kirche nicht zukommt, staatliche Umweltpolitik zu machen und dem Staat vorzuschreiben, wie er Umweltpolitik machen muß."208Doch staatliche Maßregelungen konnten das kirchliche Umweltengagement nicht unterbinden. Das Kabarett "Umwelt—Kabarett—Bibel—Meditation" trat weiterhin im Rahmen von Umweltabenden am Dom unter der Leitung von Pfarrer Käbisch auf und sensibilisierte auf gleichermaßen kreative wie sinnfällige Art und Weise für Themen wie Waldsterben, Verfall von Bausubstanz oder Wasserverschmutzung.209
208) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 122489 (nicht paginiert).
209) Zur Veranschaulichung sei eine Szene zur Wasserverschmutzung beschrieben: Ein Angler wirft seine Angel aus, als er sie wenig später herauszieht, ist kein Fisch dran, sondern die Schnur ist durchgeätzt.
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Der geistliche Bezug, der hinter allen diesen Themen stand, wurde wie folgt formuliert: "Die Erde liegt in der Hand Gottes, doch der Mensch, der ohne Gott leben will, nimmt sie selbst in die Hand und richtet sie durch maßloses Ausnutzen zum unersättlichen eigenen Gewinn zu Grunde."210
Dieser geistliche Bezug stellte, wenigstens für Pfarrer Käbisch, Triebkraft, aber auch Legitimation der vielfältigen Formen seines Engagements dar und diesen geistlichen Bezug versuchte er zugleich den vornehmlich jugendlichen Umweltaktiven zu vermitteln. Immer wieder kam es 'am Dom' auch zu ganz praktischen, zugleich gemeinschaftsstiftenden Initiativen und Arbeitseinsätzen von kleineren Gruppen von Jugendlichen in wechselnden Besetzungen; wiederholt wurden beispielsweise sogar in Absprache mit staatliche Stellen Säuberungs- und Begrünungsaktionen im Parkgelände des Konzert- und Ballhauses "Neue Welt" durchgeführt, kirchliche Wälder aufgeräumt oder Renovierungstätigkeiten an kirchlichen Gebäuden verrichtet.
Im Nachhinein ist es dabei schwierig, zu entflechten, ob die Impulse dafür von Käbisch selbst kamen oder aus seinem Umfeld, auch wenn er gegenüber staatlichen Vertretern immer wieder betonte, daß "er sich die Arbeit zu Umweltfragen nicht gesucht [habe], sondern Jugendliche [seien] mit ihren Fragen an ihn herangetreten".211) Festzuhalten jedenfalls bleibt, daß der Dompfarrer ein Herz hatte sowohl für alle Fragen, die mit der Verantwortung des Menschen für die bedrohte Schöpfung Gottes zusammenhingen als auch für die Menschen, die die Sorge um dieses Thema in die Kirche trieb, so daß es in dieser Wechselwirkung zur Ansiedlung einer 'Umweltszene' am Dom kam.
Eines der drängendsten Probleme, die sich der Umweltarbeit stellten, war der Mangel an Information. Um diesem Mißstand zu begegnen, hatte Käbisch sowohl Informationen zur staatlichen Umweltpolitik212) gesammelt als auch wiederholt auf Material des kirchlichen Forschungsheims Wittenberg zurückgegriffen oder Auskünfte von Joachim Krause vom Referat "Naturwissenschaft und Glaube" beim Landeskirchenamt eingeholt.213) Er hatte sich, gerade was die konkrete Umweltbelastung im Zwickauer Raum anging, aber auch wiederholt an den örtlichen Stadtrat für Umweltschutz Dr. Werner gewandt, zum einen, um selber Auskünfte zu erhalten, zum anderen, um auf das beträchtliche Informationsdefizit und die damit verbundene Verunsicherung in der Bevölkerung zu verweisen.
210) Zitat sinngemäß nach einer Bandabschrift des IM "Herbert Schweitzer", Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V., Stasi-Akte Käbisch "OV Kontrahent", Bd.l, Bl. 169.
211) STAZ, Rat der Stadt Zwickau/OB, 3017, Bl. 33.
212) Zum Beispiel der Artikel "Initiativen und Umwelt", in: Einheit, Heft 11/84.
213) Vgl. Interview Käbisch, S. 6.
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Immer wieder bediente sich der Pfarrer zudem des Mittels der Eingabe, wenn er auffällige Vorkommnisse in seiner Umgebung bemerkte. An Anlässen fehlte es nicht, ob Lackgeruch aus dem Mittelgrundbach aufstieg, Farbgeruch aus dem Moritzbach oder gleich Benzingeruch aus der Kanalisation oder ob das in die Mulde eingeleitete Abwasser des Zwickauer Betriebs des Metalleichtbaukombinats Giftstoffe zu enthalten schien, da tote Fische gesichtet worden waren. Eine Eingabe zwang die Stadtverwaltung, wenigstens formal, nicht nur zur Anhörung des Problems, sondern auch zu einer Stellungnahme.214
Auch wenn ein Beschluß der Stadtverordnetenversammlung von Anfang '85 zur Abwasserverbesserung dem 'VEB Lackharz' fortan eine Einleitung von Abwässern in die Kanalisation untersagte, so wurde dies natürlich als staatliche Initiative dargestellt und nicht in Zusammenhang mit der kirchlichen Eingabe gebracht. Der Zwickauer Arbeitskreis <Christ und Schöpfung> honorierte jedoch diese Maßnahme sofort mit einem Dankesschreiben an die Stadtverordnetenversammlung, was wiederum dort als Zeichen gedeutet wurde, daß die Kirche endlich die alleinige Kompetenz des Staates in diesen Fragen zugestanden habe. Ein aus kirchlicher Sicht vergleichbarer Effekt war natürlich auf eine Eingabe wegen "Belästigung durch Flugzeuglärm von Überschallflugzeugen", die ihre Übungsschleife auch über dem Stadtgebiet flogen, nicht zu erwarten gewesen und auch nicht erwartet worden.215)
Hier ging es wohl eher darum, zu unterstreichen, daß solche ,Notwendigkeiten' eine sehr konkrete Belastung für die Bevölkerung darstellten. Durchaus klare Erwartungen artikulierte hingegen eine Serie von Eingaben, die von Käbisch, Jugendwart Diakon Rudolph und Mitgliedern der Domgemeinde angelegentlich der im Januar 1985 entstandenen Inversionswetterlage gemacht wurden. Die Schadstoffbelastung der Luft sei so hoch gewesen, daß es zu Atembeschwerden gekommen sei. Die Bevölkerung sei jedoch weder über die tatsächliche Belastung aufgeklärt worden, noch habe man Verhaltenshinweise gegeben oder geeignete Möglichkeiten ergriffen, um die Hauptverursacher, wie etwa die Steinkohlekokerei "August Bebel", umweltverträglicher zu betreiben. Die Reaktion des Stadtrates für Umweltschutz zeigt hier einmal mehr die Unflexibilität der örtlichen Staatsorgane in der Reaktion auf akute Mißstände: "Von Dr. Werner wurde sehr eindeutig erläutert, daß diese Inversionswetterlage keine lebensbedrohliche Situation mit sich brachte, die Sondermaßnahmen erforderlich gemacht hätte."216
214) Vgl. dazu z.B.: StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 102590 u. 102592 (nicht paginiert).
215) Pfarrer Käbisch zum Mitarbeiter für Kirchenfragen in deren Aussprache: "Mir ist klar, daß es nicht ohne geht." STAZ, Rat der Stadt Zwickau/OB, 3053, Bl. 72.
216) Ebd., Bl. 74.
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Im Jahre 1988 verdeutlichte ein vergleichsweise spektakulärer Zwischenfall, daß es den staatlichen Organen offenbar nicht möglich war, Hinweisen auf schwere Umweltschädigungen aus dem kirchlichen Raum überhaupt einen Grund zur Berechtigung einzugestehen. Dies wäre nämlich einem Eingeständnis gleichgekommen, daß sozialistische Arbeitskräfte Mißstände verschuldet hätten und sozialistische Führungskader nicht in der Lage gewesen wären, dies zu ändern. Das konnte schließlich soweit führen, daß benannte Mißstände wider besseres Wissen geleugnet wurden und die Bevölkerung durch gezielte Falschaussagen in vermeintlicher Sicherheit gewiegt wurde.
Im Winter des Jahres 1987 war von Mitgliedern der Umweltgruppe ein Massensterben von Wildenten im Gelände des Schlammabsatzbeckens der SDAG Wismut Crossen beobachtet worden. Zudem war auch verendetes Reh- und Dammwild aufgefunden worden. Dieser Sachverhalt veranlaßte Pfarrer Käbisch zu einer Eingabe, in der er einen Austritt radioaktiver Strahlung, die auch Menschen gefährden könnte, als mögliche Ursache des Tiersterbens annahm und um Aufklärung des Vorfalls bat. Diese Eingabe leitete der Sektor Kirchenfragen zur Klärung an den Leiter der Abteilung Wismut-Angelegenheiten beim Rat des Bezirkes weiter, der eine Laboruntersuchung des Wassers des Schlammabsatzbeckens durchführen ließ. Vom Ergebnis dieser Untersuchung berichtete er dem Sektor Kirchenfragen wie folgt:
"Es wird darin bestätigt, daß eine Arsenvergiftung vorliegt, die Arsenwerte zu hoch sind. Kurzfristige Maßnahmen werden nicht möglich sein, um diese Werte zu verändern. [...] Bei der Auswertung ist zu beachten, daß die Laboruntersuchung internationale Auswirkungen haben kann. Die Information ist bis nach Moskau gegangen und es müßte auch eine zentrale Abstimmung durchgeführt werden, wie die Eingabe zu beantworten ist."217
Wenige Wochen später bei der Aussprache mit Käbisch, zu der dieser zum Ärger der Funktionäre extra noch den kirchlichen Umweltexperten Michael Beleites mitgebracht hatte, beantwortete der hinzugezogene Direktor der AB 101 der SDAG Wismut "entsprechend der abgesprochenen Argumentation die Fragen der Eingabe".218 Die Belastungen durch Strahlen und Chemikalien lägen unterhalb der zulässigen Höchstwerte, der technische Stand des Betriebs sei nicht zuletzt durch die Einführung geschlossener Wasserkreisläufe "planmäßig", eine Havarie habe es nicht gegeben, so daß über die Ursachen des einmaligen Vorgangs des Entensterbens "keine 100%ige Klarheit" bestünde, im übrigen führe der Betrieb aber seit 7 Jahren den Titel "wasserwirtschaftlich vorbildlich arbeitender Betrieb".219
217) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 122491 (nicht paginiert).
218) Ebd.
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In der anschließenden Diskussion äußerten Käbisch und Beleites Skepsis gegenüber den Aussagen des Betriebsdirektors.
Beleites verwies zudem auf die hohe Gesundheitsbelastung, die sich bei Trockenheit aus der Staubentwicklung aus dem Schlammteichgelände ergäbe und beide betonten, daß es kein Geheimnis sei, daß die Umweltbelastungen in Zwickau gerade auch durch die Wismut besonders hoch seien und zu erhöhter Müdigkeit führten, so daß man sogar in der Region von Zwickau als der "schlafenden Stadt" spreche.
Die Erklärungen des Betriebsdirektors vermittelten jedenfalls nicht den Eindruck, als wenn Rat und Wismut das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung ernst nähmen. In der abschließenden Einschätzung des Gesprächs resümierte der Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres: "Deutlich spürbar waren die Zweifel am Wahrheitsgehalt der Argumentation." Das Einzige, was die Staatsvertreter daran beunruhigte war jedoch, daß es deshalb zu weiteren Einmischungen in die Belange des Umweltschutz kommen werde.
In dieser für die Eingeber unbefriedigenden Situation machte der Zwickauer Arzt Dr. Groh, Gemeindemitglied am Dom, eine weitere Eingabe, in der er explizit zu verstehen gab, man wisse, "daß hier [gemeint ist das Tiersterben] Arsen im Spiel sei, da die Wismut Crossen bei der Gewinnung von Silber mit Arsen arbeite". Er verwies im folgenden sowohl auf das konkrete Gesundheitsrisiko für die Menschen dieser Gegend als auch auf die beträchtliche Verunsicherung, die das Verenden der Tiere und das Schweigen der Behörden "bei vielen Bürgern"221) ausgelöst hätten. Der Wismut-Direktor beendete schließlich das Auswertungsgespräch mit dem Arzt mit der krassen Falschaussage: "Größere Konzentrationen von Arsen habe es nicht gegeben. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Arsen und dem Tod der Enten sei nicht nachweisbar."222)
Dieses Beispiel verdeutlicht die Kluft, die zwischen der alltäglichen Erfahrungswelt und dem gewachsenen Problembewußtsein sensibilisierter Bürger sowie der staatlichen Ignoranz und Reaktionslosigkeit gegen Ende der 80er Jahre in der Umweltfrage entstanden war.
In diese Lücke der kalkulierten Des- und Falschinformation223 versuchte Pfarrer Käbisch zu stoßen, wenn er zu Umweltabenden in den Dom einlud und dort ganz konkret, etwa am Beispiel der extrem umweltbelastenden Kokerei 'August Bebel' oder der bleiverarbeitenden Betriebe wie der VEB 'Grubenlampe' oder des Gaskombinats 'Schwarze Pumpe', über die Zwickauer Umweltsituation und ihre Gesundheitsrisiken informierte.
219) Ebd. 220) Ebd. 221) Ebd. 222) Ebd.
223) Es darf nicht vergessen werden, daß die Falschinformation im Wildentenbeispiel einer detaillierten Abstimmung und Gesprächskonzeption folgte.
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Die Themen waren vielfältig und gingen durchaus auch über lokalspezifische Anliegen hinaus: Im Rahmen einer 1985 landeskirchenweit anberaumten "Woche der Schöpfungsverantwortung" ging es beispielsweise um "Großstadtökologie".224 Nicht selten wurden zu solchen Abenden auch Gastreferenten eingeladen, mal Oberkirchenrat Dr. Zappe aus Dresden, der einen Abend zum Thema 'Waldsterben' unter dem Motto "Der Wald ..." hielt,225 oder, zur Friedensdekade, der <Landeskirchenbeauftragte für Umweltschutz> Joachim Krause, der zum Thema "Kernenergie — Ende aller Sorgen oder Sorgen ohne Ende" sprach.226
Die Verbindung zu Krause stellte dabei eine besonders wichtige Beziehungs- und Informationsachse dar. Krause unterhielt nämlich nicht nur Kontakte zu kirchlichen Umweltforschungseinrichtungen, er wurde auch immer wieder von verschiedenen sächsischen Kirchgemeinden zu Referaten eingeladen und erfuhr so vor Ort sowohl von konkreten Umweltbelastungen als auch von diesbezüglich gestarteten Initiativen, so daß er sich gewissermaßen zu einem Informations- und Koordinationsknotenpunkt in Sachsen entwickelte . Vor Ort sammelte er Informationen, auf die er in den kirchlichen Synoden verweisen konnte. Außerdem empfahl er den Engagierten, doch immer wieder in Eingaben die konkreten Mißstände gegenüber staatlichen Organen zu Gehör zu bringen.228
Doch die Bezirksleitung, bei der schließlich die Berichte über ganz unterschiedliche Umweltbelastungen aus den einzelnen Kreisen zusammenliefen, resümierte lediglich: "Durch gezielte und abgestimmte Eingabentätigkeit und Beschwerden versuchen diese kirchlichen Amtsträger den sozialistischen Staat unter Druck zu setzen und maßen sich an, für große Teile der Bevölkerung zu sprechen. Besonders augenfällig trifft das auf den Zwickauer Raum zu [...]." Durch vielfältige Initiativen im Umweltschutz war Zwickau seit Mitte der 80er Jahre unter dem Stichwort 'provokatorische Aktivitäten' in die Schlagzeilen der Berichte und Sekretariatsvorlagen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt geraten. Ein weiterer Eklat im Staat-Kirche-Verhältnis im November des Jahres 1987 war dazu angetan, den Ruf der Stadt als Unruheherd in der Region zu festigen.
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224) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 102596 (nicht paginiert).
225) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 110489 (nicht paginiert).
226) StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 110494 (nicht paginiert).
227) Vgl. Interview Käbisch, S. 6.
228) Vgl. StAC, RdB KMSt, Ber. Inneres/Sektor Kirchenfragen, 110498 (nicht paginiert).
wikipedia Günter Mieth (1929-2018)