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Panzereinstieg

 

 

 

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In Erinnerung ist mir ein Training des Panzereinstieges bereits in den ersten Tagen. Ich glaube, es war das einzige Mal, wo ich wirklich in einem Panzer war. Das hat aber auch gereicht. Eng, dunkel und kalt ..., bis heute habe ich diesen Eindruck nicht vergessen können. Natürlich wollte ich nicht auffallen. Bei meiner Unsportlichkeit habe ich jedoch sämtliche Normen verpaßt und kam kaum in den Panzer rein. 

Aber es waren auch andere dabei. So ein Soldat, der schnell den Spitznamen Schwejk verpaßt bekam. Ein ganz rundlicher und gemütlicher, immer anständiger Kumpel. Er stammte aus der Nähe von Belzig. Der war fast so groß wie breit oder rund (ca. 155 cm groß) und paßte kaum durch die Luke. Diese Schwierigkeiten hatte er während der ganzen achtzehn Monate. Oder ein ganz langer, mit Namen Müntzer. Der muß fast zwei Meter groß gewesen sein. Aber verkauft, rein in den Panzer...! Die Abiturienten kamen oftmals in die Panzer der Kompaniechefs (KC's) oder der Zugführer. Da untereinander auch ein Wettbewerb herrschte, wollte natürlich jeder den besten Richtschützen.

Aber zuerst wird das Schicksal, oder wie ich viele Jahre später begreifen sollte, wohl ein anständiger Offizier, mich aus dem Panzer herausholen. Ich werde plötzlich zur Kraftfahrerausbildung des Regimentes abgestellt.

Torg., 21. November 1977

"... so eben habe ich eine dicke Enttäuschung hinter mir, hatte die Chance Panzerei vom Halse zu kriegen. Mitten beim Duschen kommt der UvD und sagt: "Soldat Schütze sofort zum Med. Punkt zwecks Fahr­erlaubnis­untersuchung". Die brauchen noch mehr Kraftfahrer. Ja, was war passiert, linkes Äuge 100 %; rechtes nur 60 %. Jetzt sieht es so aus, als klappt es nicht. Schade. Alles andere war okay. Der Major sagte bis 80 %, was darunter liegt wird wohl nichts werden. Am Sonnabend waren wir bis 16.00 Uhr auf den Beinen. Den ganzen Nachmittag Arbeitsdienst und am Sonntag von 8.00 Uhr bis 13.30 Uhr auch. Heute waren wir wieder im Panzer, gefällt mir drin überhaupt nicht. Nachmittag bis 16.00 Uhr dann Schutzausbildung. Jetzt bin ich nur gespannt, was wird? Ne' Chance habe ich noch von den Panzern wegzukommen."

Viele Jahre dachte ich dann, es war einfach nur unwahrscheinliches Glück, daß ich bereits nach 21 Tagen zum LKW-Kraftfahrer gemacht wurde und damit in den Stab des zweiten Panzerbataillons kam. Hier herrschte unter den Soldaten ein gesünderes Klima, als in den einzelnen Kompanien. Nur sechs Mann, statt 20 bis 30, im Zelt und alles recht pfiffige Zeitgenossen. In diesem Bataillonsstab sollte ich ganze sechs Monate verbleiben. Zimmerkameraden waren Hajo Bogen (Schreiber), Andreas Hermann (Kraftfahrer aus dem Erzgebirge) und Hermann Seebach. Später kam dann noch Günter Kloss (Angermünde) und eine Berliner Schnauze dazu. Zuerst einem Muckerregiment (so wurden die Motorisierten Schützen der NVA genannt, heute Grenadiere) zugeteilt, erhielt dieser Kamerad von uns sofort den Spitznamen Mucker. Auf dieser Soldatenstube war ich der Jüngste.

 

 

Großes Glück für mich, daß ich meine sechs Monate nicht als Sprutz in der Kompanie verbringen mußte. Bei meinem praktischen und sportlichen Unvermögen wäre ich schnell aufgefallen. Man durfte bei der NVA einiges, aber nie und nimmer (besonders im ersten Diensthalbjahr) auffallen! Solche jungen Menschen wurden schnell kaputt gespielt, der Stolz gebrochen und wie ein Stück Dreck behandelt. In der NVA hat es u.a. nach solchen extremen Schikanen etliche Selbstmorde gegeben. Ein Brief vom März 1979 (mein vorletzter Monat) berichtet über solch einen Fall.

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Torg./ 22. März 1979

"... ach, hatte Dir doch von dem geschrieben, der bei der Übung in der vergangenen Woche mit der MPi (Maschinen­pistole) abgehauen ist, war ein Kapo (dreijähriger) vom chemischen Bataillon, hat sich wohl selbst aufgehängt, irgendwo dort im Wald ... und sie haben relativ lange gebraucht, um ihn zu finden (vier Tage)."

 

Wir wurden in der Armee zusammengewürfelt; Abiturienten, Zehnkläßler und sogar Männer mit noch geringerer Schulbildung. Jetzt kam unter extremen Bedingungen alles zusammen. Da gibt es natürliche Feindschaften. So etwas kommt immer wieder im Leben vor. Sind Frauen in der Nähe, nehmen sich Männer sofort zusammen. Manche Frau, die ihren Mann so nett und lieb findet, hätte mal in dieser Zeit Mäuschen spielen sollen, was für menschliche Schweine sich dort zeigten!

Gerade der Haß zwischen Abiturienten und den normalen Schulabgängern konnte böse enden. Die Abiturienten waren häufig nicht so praktisch und benahmen sich oft auch, wie sie es von der EOS her gewöhnt waren: arrogant. Das konnte ihnen schnell zum Verhängnis werden, wenn sie Schwächen zeigten! Darüber wurde in dieser Zeit jedoch nie geredet. Vierzehn Tage in der Kompanie reichten aber für meinen ersten NVA-Spitznamen aus: "Hopser". Bei den Landsern der sechsten Panzerkompanie behielt ich diesen bis zur Entlassung. Den hat mir ein ganz einfacher Soldat mit dem deutschen Namen Lehmann gegeben, weil ich so meine Schwierigkeiten mit dem Gleichschritt hatte. Diesen habe ich dann doch noch gelernt, die Sturmbahn zu bewältigen jedoch nie.

Der besagte Lehmann mußte stundenlang mit einem Stein in der Hand vor dem KC exerzieren. Das kostete den Offizieren ein Lächeln. Er konnte den Gleich- und Exerzierschritt einfach nicht erlernen. 

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Später kam im Stab ein anderer Spitzname dazu: "Embiedel". Wie ich zu dem gekommen bin, kann ich bis heute nicht sagen. Aber ich habe eben noch nie in eine Schablone gepaßt. "Du bist ein Unikum" hat vor Jahren eine Bekannte offen zu mir gesagt. Das kann man in diesem Alter natürlich nicht wissen, aber von den anderen wird dies bereits registriert.

Die Grundausbildung absolvierten wir in einem speziellen Kraftfahrerzug (unter einem ganz laschen Zugführer – Leutnant Seegers). Später kam eine zweimonatige Kraftfahrerausbildung mit dem Ural (einem großen geländegängigen russischen LKW) dazu.

Torg., II./12. November 1978:

"Weißt Du, die Grundausbildung, die unsere Spritzer hier haben, kann man fast als Erholungsphase bezeichnen. Den ganzen Tag stehen sie herum und rauchen - ich weiß noch wie wir in den ersten Wochen rotiert sind, dagegen kein Vergleich mehr. Normalerweise mußten sie ja auch nach der Grundausbildung in die Buden (zu den Alteingesessenen) und dies hieß dann natürlich DDR (Druck, Dampf und Reviere), nun sollen alle zehn Neuen einer Kompanie auf einer Bude bleiben; für sie ist dass zwar gut, nur warum soll es denen auf einmal besser gehen als uns? Und den richtigen Schliff bekommen sie nun mal bei den Alteingesessenen."

Wir hatten mit unserem Kraftfahrer-Ausbildungszug großes Glück. Uns blieb ein Gewaltmarsch über fünfzig Kilometer (mit Sturmgepäck) erspart. Der Schwedter Hermann Seebach, der heute Unternehmer ist, mußte dies mit seinem Zug durchstehen. Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie total erschöpft er danach in unserer Unterkunft ankam. Vielmehr ist mir von meiner Kraftfahrer­ausbildung nicht in der Erinnerung geblieben. Außer, daß die Hilfsfahrlehrer teilweise mächtige Schweinehunde waren und sich gegenüber den neuen Soldaten, den Auszubildenden, oft austobten.

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Hilfsfahrlehrer waren meistens Gefreite oder Soldaten des dritten Diensthalbjahres (EK's), die auf dem jeweiligen LKW als Fahrlehrer eingesetzt waren. Oft kamen sie aus der Transportkompanie von Oberleutnant Zitzewitz. Einige Namen sind mir noch in der Erinnerung verblieben, so Schneider aus Frankfurt (dessen Gesicht sehe ich noch heute vor mir) oder Findeisen aus Schwedt, immer recht hart erscheinend und an das Gesicht von Bergner (aus Schwedt) kann ich mich noch gut erinnern.

Einige Sprutze, die sich dumm anstellten, wurden aus Schikane erzogen. Eine Bestrafung bei Fehlern konnte so aussehen, daß irgendwo auf der Landstraße angehalten wurde. Der Soldat bekam den Befehl: "Gas!"; mußte seine Schutzmaske aufsetzen, zu dem überfahrenen Schild zurückrennen und es putzen. In anderen Fällen durfte er mit aufgezogener Schutzmaske mehrere Runden um den LKW rennen. Oft hatten sie solche Bestrafungen für persönliche Freunde parat. Über mich werden sie wohl öfter mal gelacht haben, aber insgesamt hatten wir keine Probleme miteinander. Schilder geputzt habe ich kein einziges Mal. Meine Kraftfahrerausbildung konnte ich mit der Note Zwei abschließen. Das war Ende Januar 1978.

Mitte November 1977 dann der Höhepunkt nach den ersten Wochen, die Vereidigung in Schwedt. Das Regiment "Walter Empacher" war mit der Stadt als Patenregiment verbunden. Hier fand die Vereidigung der neueinberufenen Soldaten statt. Also bin ich Mitte November wieder in Schwedt einmarschiert. Marschiert sind wir dann auf der Leninallee bis in Höhe des Centrum-Warenhauses. Dort wurden die jungen Wehrpflichtigen auf ihr "sozialistisches" Vaterland (die DDR) vereidigt. 

Einige Schwedter Soldaten durften dann kurz nach Hause. So auch der Hugo des Panzers mit der Nummer 141, Frank Schütze. Meine kleine Schwester erkannte mich in Uniform, Stahlhelm und nun ganz kurzen Haaren an der Wohnungstür nicht wieder. Sie war zu dieser Zeit 10 Jahre alt. Abends wurde dann mit Eltern und Kumpels in der Gaststätte Dreiklang gefeiert. Zille (mein bester Kumpel, Roland Wilke) war auch dabei.

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Kurz vor Weihnachten durfte ich dann zum ersten Mal richtig auf Kurzurlaub (übers Wochenende), zu Muttern! Eine feste Freundin hatte ich zu dieser Zeit noch nicht.

Einem Landser, der seine achtzehn Monate dienen mußte, standen genau 18 Tage Urlaub zu, sechs Tage für jedes Halbjahr. Jede Panzerkompanie fuhr immer geschlossen auf Urlaub. Nur zweimal im Ausbildungshalbjahr; einmal davon Kurzurlaub (Freitag - Dienstagfrüh) und einen langen Urlaub von einer Woche (z.B. von Dienstag - Dienstag). In meinem ersten halben Jahr beim Stab war das anders. Hier kam es auf den einzelnen nicht so an. Die Gefechtsbereitschaft spielte auch keine Rolle, so daß man den Urlaub nur beantragen mußte. Gerechtigkeit gab es dabei jedoch nicht. Wer die besseren Beziehungen hatte, durfte öfter fahren. So unser Stabsschreiber Hajo Bogen. Schnell hatte ich hier ganz unbeabsichtigt Narrenfreiheit. Es muß einer der ersten Tage im Stabszelt gewesen sein, als mir einer der Längergedienten den Auftrag gab, drüben in der Kaserne alle Öfen anzuheizen. In den nächsten Tagen sollte neuer Fußboden verlegt werden. Davon hatte ich als Städter natürlich keine Ahnung, aber ich versuchte mich darin trotzdem. Einige Stunden später ging ein EK kontrollieren, kein Ofen brannte! In diesem Moment haben sie es mit mir wohl aufgegeben.

In diesen sechs Monaten stand ich keine Wache. Die Stabsleute dienten als stille Reserve und mußten die ganzen organi­satorischen Arbeiten des Bataillons absichern. Es war natürlich weitaus ruhiger als in den Kompanien. Wir lagen auf dem selben Flur wie die sechste Panzerkompanie und das Pionierbataillon des Regimentes. Dort wurde den Spritzern der meiste Streß gemacht. Wie oft lagen sie auf den Knien und putzten mit der Zahnbürste den Flur, spätabends, nach härtester Ausbildung!

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Ende Mai 1978 mußte ich den Stab verlassen und wurde Kompaniekraftfahrer in der 6. Panzerkompanie. Aber das Glück blieb mir hold. Denn gerade zu dieser Zeit müssen Kraftfahrer aus unserem Regiment an ein Motschützenregiment nach Mühlhausen abgegeben werden. Zufälligerweise bin ich auf Urlaub, später höre ich vom Major Kuhrt (Spitzname Oberst), daß mein Name mit auf dieser Liste stand. Motschützen, das war bei der NVA das allerschlimmste Los. Da war die 6. Panzerkompanie unter Oberleutnant Wegener der reine Spaß, dachte ich zu dieser Zeit jedenfalls noch.

Oder das Kugelschieben der EK's. 

Die Entlassungskandidaten des Pionierbataillons waren da vorne weg. Wahrscheinlich ein Ergebnis des harten Alltags in dieser Spezialeinheit. In der Kaserne wurde eine recht große Eisenkugel mit voller Kraft über den Flur gerollt und dazu gebrüllt: "EK's wo seid ihr?". Darauf kam von allen Soldaten des letzten Diensthalbjahres geschlossen ein: "Hier!". In den schlimmsten Kompanien rollte die Kugel am lautesten. Dies war in den alten Kasernen natürlich ein mörderischer Krach, den das ganze Regiment hörte und der deutliche Spuren am Mauerwerk des Flures oder am UvD-Tisch (Tisch des diensthabenden Unteroffizieres) hinterließ. Etliche Male wurde der kaputt geschlagen, am nächsten Morgen gab es dann immer eine große Rede des diensthabenden Offiziers.

Torg., 25. Oktober 1978

"Kleineheute sind es nur noch sechs Monate dann geht die "Sonne" wieder auf. Morgen lassen wir dann die Kugel rollen, die rollt dann immer den Korridor hin und her, macht ganz mächtigen Krach, aber das ist hier so Sitte."

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Torg., 01. Januar 1979

"Wir haben dann hier das neue Jahr dementsprechend begrüßt – war ziemlich voll, als ich um 1.00 Uhr ins Bett kam, aber hat wieder dufte Spaß gemacht – bin dann heute ziemlich heiser vom vielen EK-Brüllen: "Dies Jahr gehen wir nach Haus ..." – habe heute auch kein Magendrehen, war ja auch nur vom Klaren besoffen, "Fusel" (Mischungen mit Primasprit, Wasser und Sirup) habe ich extra nicht mitgetrunken — und ab 23.00 Uhr haben wir nicht nur auf den Tischen getanzt."

 

Oder die Schildkröte: einem Sprutz wurden vier Stahlhelme unter Ellenbogen und Knie geschnallt und ein fünfter auf den Kopf und dann wurde dieses bewegliche "Fahrzeug" über den Flur geschickt; mit Gewalt zum Rollen gebracht, so daß er gegen die gegenüberliegende Wand knallte.

Oder der Alkohol; was im Panzerregiment gesoffen wurde, ging über keine "Kuhhaut". Morgens war es die erste Aufgabe der UvD's, die leeren Schnapsflaschen einzusammeln, die über Nacht aus den Fenstern geflogen waren. Die ausgetrunkenen Flaschen wurden immer über die Fenster entsorgt, das war einfach so üblich. Da sammelte sich nächtlich einiges an! Eine genaue Zahl kann ich heute nicht mehr benennen. 40 Flaschen Schnaps (a 0,7 Liter) waren für unseren Kasernenblock (ca. 150 Soldaten) ganz normal. Kneipen gab es in der Umgebung genug. Z. B. "Der Schwarze Adler" in Torgelow oder der "Lange Arm" direkt vor dem Regiment. In den Kompanien gehörte es zu den Aufgaben der Spritzer, abends genügend Alkohol zu beschaffen. Geschmuggelt wurde durch die Postenbereiche hindurch und über die Mauer hinweg. Besonders kritisch waren solche Tage, an denen die Mot.-Schützenkompanie unseres 21. Panzerregimentes Wache stand. Hier herrschte ein ganz scharfer Spieß, bei dem es noch deutsche Zucht und Ordnung gab. Sein Spitzname war: "Schweinewilli".

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Immer, wenn dieser korpulente Mucker-Spieß Dienst hatte, machten die Motschützen Frühsport nach Dienstvorschrift. Er stand vor der Unterkunft und beobachtete die Truppe, scherte einer aus oder war zu langsam, schrie er über den ganzen Platz. Die anderen Regimentsangehörigen waren an solchen Tagen froh, nicht zu dieser Muckereinheit zu gehören. Hatte die Motschützenkompanie im Regiment Wache, kam es oft vor, daß auf Hugos geschossen wurde, die für ihre Besatzung Alkohol holen mußten. Weigerte sich ein Hugo, wurde er auf dem Zimmer extrem schikaniert, so daß ihm nichts anderes übrig blieb, als schließlich doch dieses "Besondere Vorkommnis" (BV) zu begehen.

Die härtesten Typen in den Panzerkompanien waren die Lehrgefechtsfahrer (LG-Fahrer). Sie mußten die Übungen der Züge, der Kompanie und des Bataillons absichern und lebten den größten Teil des Jahres in Zelten in Schießplatznähe ohne viel Aufsicht. Nur selten waren sie im Kompaniebereich anzutreffen und führten damit im Vergleich zu den anderen Panzerluden ein recht angenehmes Leben. So brauchten sie kaum auf Kompaniewache und auch der KC ließ sie in Ruhe. Die Sprutze hatten es auf diesen LG-Zimmern aber am schwersten. Hier gab es keinerlei Pardon, denn Spaß haben diese EK's kaum verstanden. Beim Kugelschieben usw. waren sie immer vorneweg ... und natürlich auch beim Saufen. Da sie häufig außerhalb der Kaserne waren, hatten sie die wenigsten Probleme an Alkohol heranzukommen.

Auf den Zimmern im Kompaniebereich waren jeweils vier Besatzungen (GWD), immer der Hugo und der Richtschütze des jeweiligen Panzers, untergebracht. Die Panzerfahrer waren zwar Unteroffiziere, wurden aber damals genauso behandelt wie die einfachen Grundwehrdienstler. Sie hatten, obwohl längerdienend, nur wenige Privilegien. So waren sie wie die Soldaten in den üblichen Zimmern untergebracht, aber immerhin waren sie unter sich.

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Mehr Privilegien in der Kompanie hatten dagegen die Kommandanten. Das waren ebenfalls Unteroffiziere, aber die Chefs des jeweiligen Panzers. Die lagen nicht auf den üblichen Buden (zehn Soldaten zusammen), sondern zu viert oder zu sechst in einem Zimmer und konnten öfter in den Urlaub fahren.

Das Kennzeichen der Panzersoldaten waren rosaumrandete Schulterstücken. Jede Waffengattung hatte ihre eigene Farbe; z.B. dunkelrot für die Artillerie, weiß für die Motschützen und dunkelgrün für die rückwärtigen Dienste. So war man jedoch schnell erkennbar und nicht nur einmal kümmerten sich Streifen der Motschützen insbesondere um die Panzersoldaten. Die eigene Streife drückte auch mal ein Auge zu, das durfte man von Streifen anderer Waffengattungen nicht erwarten. 

Auch Kloppereien beim Ausgang konnten schon mal ihren Anfang in der Abneigung einzelner "Farben" nehmen. So wurde eben Weiß von Rosa verkloppt. Niemand fragte dabei nach Gründen; es ging einfach nur gegen die Mucker...!

Irgendwo habe ich gelesen, die kleinen Seelen hassen die großen und ordentlichen Menschen. Das paßt in einige Erlebnisse, die wir Soldaten mit einem kleinen Hauptmann namens Sommerfeld, einem Angehörigen des Regimentsstabes, hatten. Ein ganz kleiner schwarzhaariger Offizier mit eiskaltem Gesichts­ausdruck. Anfang dreißig, nur 165 cm groß war er. Wofür er eigentlich zuständig war, weiß ich bis heute nicht. Seine Aufgabe bestand nur darin, die Soldaten und Unteroffiziere zu schikanieren und das tat er ausgiebig und mit Spaß!

Wie hat Georg C. Lichtenberg einmal gesagt: "Die kleinen Unteroffiziere sind die schlimmsten!". Neben Oberleutnant Zitzewitz einer der "Schweinehunde" in diesem Regiment. Niemand, der das große Glück hatte, im Panzerregiment "Walter Empacher" zu dienen und mit ihnen Bekanntschaft zu schließen, vergißt diese beiden. Sommerfelds Glanzleistung war es immer, die Urlaubs­ordnung der Kompanie abzunehmen.

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Bevor die Kompanie geschlossen die Kaserne verlassen durfte, kontrollierte er alles. So die Anzugsordnung oder was in den Taschen steckte oder ob ein weißes Taschentuch, ein Kamm und so weiter... am Mann war. Dafür gab es in der NVA spezielle Dienstvorschriften, an die er sich ganz genau hielt. Er fand, wenn er wollte, bei jedem etwas. Und dieser kleine Hauptmann Sommerfeld wollte immer!

Viele Kameraden waren monatelang nicht zu Hause gewesen. Man träumt in solchen Wochen nur von den zukünftigen freien Tagen, vor allem von der Freundin. Nur mit dieser Vorfreude konnte man die ganze Härte dieses NVA-Alltages ertragen. Schließlich wurde jede Minute bis zur Abfahrt gezählt, der Zug fuhr und die Freundin wartete und zählte ebenfalls die Minuten bis zum langersehnten Wiedersehen...! Und dann kam Sommerfeld und machte Theater vom feinsten, eigentlich wegen nichts. Ich habe das in den Kompanien mehrmals miterlebt, wie er sich in solchen Momenten an den Soldaten austobte. Zu meinem Glück bin ich ihm immer entwischt. Ich bin wohl nur ein- oder zweimal auf Kompanie-Urlaub mitgefahren (im letzten Diensthalbjahr verhinderte mein KC dies sowieso) und da hatten wir immer das große Glück, daß unser "lieber" Hauptmann Sommerfeld sich nicht sehen ließ; Fortune! Denn den wenigen Urlaub hatten sich die Panzerluden ehrlich verdient.

Zitzewitz war dagegen das, was man sich so unter dem Begriff "menschliches Schwein" vorstellt. Er war von der Natur nicht besonders begünstigt worden. Sah ein wenig aus wie Heino, keine männliche Erscheinung. Helle, weibliche Haut und Statur und dazu eine getönte Brille. So sehe ich ihn noch heute vor mir. Von ihm waren im Regiment viele Geschichten im Umlauf. Zu meinem großen Glück hatte ich mit Oberleutnant (Oblt.) Zitzewitz eigentlich nie näher zu tun. Nur zweimal in den 18 Monaten mußte ich für jeweils zwei Wochen unter seine Fittiche. 

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Dann wurde außerhalb des Regimentes ein Kraftfahrerlager abgehalten, je einmal im Diensthalbjahr. In der Nähe des Objektes war eine Kfz-Lehrbahn und dort wurden alle Kraftfahrer des 21. PR zwei Wochen lang intensiv geschult. Dafür wurde extra außerhalb der Kaserne ein Zeltlager aufgebaut. Gut in Erinnerung ist mir noch das Lager vom Winter 1978 geblieben. Ich war im ersten Diensthalbjahr. Es muß im Februar gewesen sein, bei eisigen Temperaturen – "Klein-Rußland". Seit dem weiß ich in etwa, wie den Juden zumute sein mußte, wenn sie im Konzentrationslager (KZ) morgens zum Appell anstanden und aussortiert wurden. Genauso gingen Zitzewitz und sein Zugführer Hasse (Spitzname Nazi) die Reihen der angetretenen Landser ab und kontrollierten sie. Zum Beispiel auf saubere Kragenbinden, auf Rasur (warmes Wasser und Spiegel gab es im Lager nicht) usw. Und wehe dem, der bei solchen Prozeduren aus der Reihe fiel. Toi, toi, toi – ich bin nicht aufgefallen.

Von den Offizieren wurde willkürlich eine Lagergrenze festgelegt, die kaum gekennzeichnet war. Innerhalb dieser Grenzen durfte laut Befehl des Lager­kommandanten (Oblt. Zitzewitz) kein Soldat pinkeln. Zitzewitz hatte in seiner Kompanie einen Sportler, auf den er es besonders abgesehen hatte. Genau den haben sie eines Tages beim Pinkeln am Rande dieser Lagergrenze erwischt. Daraufhin mußte er sich einen Schutzanzug anziehen (das ist dann besonders schwer) und mit einer Spitzhacke und einem Spaten im gefrorenen Boden eine Grube (ca. 1 x 1 x 1,5 m tief) ausheben. Dafür bekam er von Hasse exakt zwei Stunden Zeit.

Ich stand zu dieser Zeit Posten und beobachtete dies. Wie lange er nun schippen mußte, weiß ich heute nicht mehr genau, aber das waren mindestens zwei Stunden unter Vollschutz. Gut, der Bengel war jung und dazu noch Leistungssportler. Es wird ihm wohl nicht viel ausgemacht haben? Wer einmal unter Vollschutz gearbeitet hat, kann beurteilen, wie hart diese Stunden gewesen sein müssen. Mich hätte das jedenfalls umgeworfen. 

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Noch heute sehe ich Hasse dann gegen 21.30 Uhr mit einem Bandmaß kommen und die fertige Grube ausmessen. Der Soldat mußte laut Befehl 150 cm tief ausschachten und war zufällig bei 155 cm gelandet. Aber die vorgegebene Zeit war überschritten. Ich höre den Offizier der Transportkompanie sagen: "Gut, weil Sie tiefer gegraben haben als gefordert, vergessen wir die Zeitüberschreitung". Er konnte abtreten und die Offiziere feierten in ihrem Zelt weiter. Nur in diesem Zelt und im Gemeinschaftsraum war elektrisches Licht. Dann wurde er um 1.30 Uhr nachts plötzlich wieder geweckt und schlaftrunken mußte er jetzt das Loch wieder zuschippen. Zuvor durfte er einen Zettel schreiben und ihn in die Grube legen: "Ich pinkele nie wieder innerhalb der Lagergrenzen!". Bestimmt wird er dies zukünftig beachtet haben.

Viel Ärger gab es bei diesem Kfz-Lager, weil jeder Soldat trotz der Kälte nur zwei kleine Matratzen zum Schlafen bekommen hatte. Man konnte deshalb immer nur zusammengekauert auf dem kalten Betonfußboden liegen. Einige beschwerten sich, aber dies brachte nichts ein. Uns Mannschaften ging es hier nicht besonders gut. Bei 10 bis 20 Grad unter Null tagsüber am LKW und nachts bei starker Kälte in den Zelten. Die "Kanonenöfen" erkalteten schnell und speicherten kaum Wärme. Zitzewitz und seine Offiziere spielten dagegen öfter in der Dienstzeit Eishockey, angelten in der Randow oder gingen während­dessen auf Jagd. Abends wurde in den Offizierszelten viel gefeiert und gesoffen. Im Feldlager mitten im Winter durften wir nicht im Trainingsanzug Frühsport machen, wie in der Armee üblich, sondern mußten laut Befehl von Zitzewitz bei den herrschenden Minusgraden den Frühsport in Rot/Gelb (kurzes gelbes Hemd und kurze rote Hose) abhalten. Auf solch eine fiese Idee konnte nur dieser Offizier kommen. Ein Brief an meine Eltern vom 16.02.78 berichtet darüber.

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Feldlager Neumühlen, 16. Februar 1978:

"... mit dem Feldlager hat es uns voll erwischt. Totaler Sackstand. Jeden früh Frühsport in Rot/Gelb (nur rote Turnhose und gelbes kurzes Hemd, Trainingsanzug verboten) bei einigen Minusgraden, einem unliebsamen Lagerboß (einige Gruben wurden schon unter Vollschutz ausgeschippt), beschissenes "Fressen", kein Licht (nur für die Bullenzelte), keinen Fernseher (soll kommen - dann ist auf Befehl jeden Abend die <Aktuelle Kamera> - Nachrichtensendung der DDR - zu gucken), Kälte am Tag und in der Nacht, wir liegen hier nicht in Betten, sondern auf zwei Matratzen (60 x 50 cm), die reichen schon der Länge nach nicht, auf Betonfußboden darauf Bettwäsche, dann habe ich noch drei Decken. Aber das ist bei dieser <Dürre> (Armeejargon für Kälte) zu wenig. Hier zählt man nicht nur jeden Tag, sondern auch die Nächte. Im Nachbarzelt hat der erste schon eine Nierenbeckenentzündung."

Feldlager Neumühlen, 19. Februar 1978:

"Die Hälfte dieses Schrecks für alle Militärkraftfahrer haben wir jetzt schon fast hinter uns. Das Bedrückendste an allem sind die Kälte und die ganzen Umstände hier - keine Tische, Betten usw. Heute nacht war es wieder saukalt (an minus 15 Grad) und mit den drei Decken habe ich es recht schwierig. Zu allem Übel ging dann noch gegen 4.00 Uhr der Ofen aus – so daß wir den Kopf unter den Decken gar nicht hervorstecken konnten. Aber ein wenig haben wir uns schon dran gewöhnt und nächste Woche geht es ja wieder in die Kaserne. Diese Woche haben wir noch zwei Wachen und bei der Kälte wird's bestimmt nicht schön. Jetzt sehe ich erst, wie schön es in der Kaserne gegenüber hier war. Morgen müssen wir vormittags eine Bergung von Kfz durchziehen und nachmittags fahren wir dann in der Kolonne im Gelände (bis 22.00 Uhr). Am Donnerstag fahren wir auch wieder ins Objekt rein - duschen, denn vor Dreck kommen wir hier fast um.

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...gestern und heute (Sonntag) haben sie uns maximal in Ruhe gelassen, wahrscheinlich ist es den Bullen auch zu kalt. Für die ist das hier wie Winterurlaub - eisangeln, schießen...!!! Manchmal sind sie schlimmer als kleine Kinder. Heute sind unsere Kerzen zu Ende gegangen, so daß wir abends im Zelt kaum noch was sehen werden. Einen Fernseher haben sie jetzt auch schon rausgeholt, aber im großen Zelt hält man es vor Kälte kaum aus."

Feldlager Neumühlen, 22. Februar 1978:

"... heute ist mal wieder ein schwarzer Tag, von 18.00-6.00 Uhr müssen wir wieder Wache stehen und am Vormittag war der Messerwerfer (Armeejargon für Friseur) im Feldlager und alle mußten hin. Ja und mir hat er dann auch einen Starhaarschnitt verpaßt – kurz ist dafür kein Ausdruck. Auf diese Art wäre es ganz gut, wenn ich erst später kommen würde (auf Urlaub), dann sind meine Haare wieder etwas nachgewachsen. Und dieser unmögliche jetzige Schnitt ist verwachsen."

Auch das war wieder nur reine Schikane. Was hatte der Friseur mit dem Kfz-Lager zu tun? Und so kurz wie uns hier im Lager die Haare geschnitten wurden, einmalig kurz in der ganzen NVA-Zeit. Ich wollte nach dieser Prozedur beinahe nicht in den Urlaub fahren. Und das bedeutete etwas; schämte mich damit einfach! Ende Februar 1978 ist das Feldlager endlich zu Ende. Großer Hunger hatte sich angestaut. Ein Brief vom 28. Februar 1978 bezeugt dies...

"Das Paket kam in großer Not. Nach langer Zeit hab ich sogar einen großen Anteil vom Kuchen selbst verschlungen. Heute abend waren wir gleich im Konsum und da hab ich mir anständig "was zu fressen" gekauft ..."

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Bei einer größeren Übung hat Zitzewitz sich später mit seiner Kompanie festgefahren. Das ganze Regiment hat darüber gelacht. Vor allem die Landser gönnten ihm dieses Mißgeschick von ganzem Herzen. Obwohl der alltägliche Dienst in der Transportkompanie immer noch einfacher als in den Kampf­kompanien war, hätte ich damals mit keinem seiner Leuten tauschen wollen.

Unter den Offizieren der NVA gab es etliche Suffköpfe. Zwischen Mannschaften und Offizieren herrschte häufig starker Haß. Bei den Rückfahrten aus dem Urlaub nölten besonders die Panzerluden, viele kamen nur besoffen in die Kaserne zurück, die Offiziere und Unteroffiziere, die ihnen begegneten, ständig voll. In solchen Momenten kam der tiefsitzende Haß immer zum Vorschein.

Von unserer Panzerkompanie kamen die meisten mehr oder weniger betrunken aus dem Kompanieurlaub zurück. Unter Alkohol gab es dann immer einige, oft Berliner Großschnauzen, die nun mutig wurden und sich offen weigerten, Frühsport zu machen. An solchen Tagen füllte sich der Regimentsknast immer schnell. Andere waren nicht ganz so mutig, aber sie versteckten sich im Kompaniebereich, lagen unter den Betten oder standen im Besenschrank und hofften, so um den verhaßten Frühsport herumzukommen. 

Mir ist noch ein solcher Dienstag in Erinnerung, als unser KC Chefdienst hatte und die Kompanie sich morgens um 6.00 Uhr aus dem Urlaub zurückmeldete. Nur wenige Soldaten traten freiwillig zum befohlenen Frühsport an. Daraufhin strich Wegener wütend durch alle Zimmer, hieb mit dem Fuß unter die Betten, um all jene, die sich versteckten, hervorzuholen und guckte in alle Besenschränke. Niemals sah er jedoch vorher unters Bett, es wurde einfach runtergetreten ... ein richtiger Panzerlude! So trieb er immerhin einen Teil der Kompanie zum ungewollten Frühsport. Frühsport mußte in der Sommerzeit in Rot/Gelb und in der Winterzeit mit erlaubten Trainingsanzug gemacht werden.

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Laut Dienstvorschrift durfte darunter aber nur Rot/Gelb getragen werden. Das war bei Minusgraden nicht gerade angenehm, also wurden ein dickes Unterhemd und Unterhosen darunter gezogen. Bei richtiger Kälte sogar mehrere davon! Das durfte natürlich kein Offizier merken. Ab und an, und abhängig von den Launen der diensthabenden Offiziere, fanden jedoch Kontrollen statt.

Torg., 10. Februar 1978:

"... vorige Woche hat es mich dann auch erwischt – ein schwerer Verweis. Wir hatten beim Frühsport (wie immer) Unterhosen an und der TA (technischer Offizier des Bataillons) hat durchgerissen. Aber ohne irgendwelche daraus erwachsenden Schwierigkeiten; also keine Sorgen machen, die Zeit läuft und läuft, aber viel zu langsam."

 

Vieles aus dieser Zeit belegen die Briefe an meine Freundin, Daniela. Mit neunzehn Jahren schreibt man in den Briefen nur wenig über den Armeealltag. In diesem Alter geht es da um ganz andere Sachen. Reihenweise werden Pläne geschmiedet. Und natürlich wird viel von und über die Liebe philosophiert! Ganz normal für einen neunzehnjährigen Soldaten, der wochenlang kein Mädchen gesehen hat und seine Tage hier nur unter Männern zubringen muß. Diese Briefe sind fast vollständig erhalten (Daniela hat die rund 130 Stück gesammelt und aufgehoben). Der böse Ausdruck "Bulle" fällt mir heute beim Lesen dieser Briefe immer wieder auf. So haben wir Soldaten alle Berufsoffiziere tituliert. Das Wort sagt alles über das Verhältnis der Mannschaften zu den Offizieren in diesem Panzerregiment aus.

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Der erste Armeebrief an Dani trägt das Datum 02. August 1978. Wir kannten uns gerade wenige Tage. Noch sind 265 Tage zu dienen. Die Tageszahl steht auf jedem Brief, dazu noch die Tage bis zum Anschnitt. Dieser wurde am 150. Tag vor der Entlassung vollzogen. Die letzten 150 Tage wurde ein Bandmaß getragen und davon wurde jeden Tag ein Zentimeter abgeschnitten. Das erste Abschneiden (der Anschnitt) passierte ganz feierlich, da gab es in den Einheiten verschiedene Zeremonien. Auf mein Bandmaß war der KC besonders scharf. Das weiß ich noch heute. Mehrmals hat er es mir abkassiert und ist dann damit jubelnd durch die Kompanie gezogen.

Torg., II./12. November 1978:

"Heut haben sie mir auf dem Park (bebautes Unterstellgelände für Panzer und Kraftfahrzeuge) mein Bandmaß abgenommen, obwohl ich es nur zur Kontrolle (man hat sich gegenseitig das Bandmaß gezeigt = ich bin EK) für einen anderen EK, der mir seines zeigte, herausholte. Da ich kein zweites habe, habe ich nun einen mächtigen Zapfen, und das 15 Tage vorm Anschnitt. Ne' Woche werde ich bestimmt für ein neues brauchen und in dieser Zeit kann mich hier alles belegen."

Torg., 19. Dezember 1978:

"Kleine, gestern ist mir wieder ein Bandmaß abhanden gekommen, hatte es am Schrank hängen lassen und da mußte gerade der KC hereinkommen; weg war es. In unsere EK-Kasse mußte ich deshalb zwanzig Mark legen (soviel kostet es, wenn man sich das Bandmaß abnehmen Iäßt) und er wollte von mir auch noch 20 Mark haben, dann

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hätte ich es wiedererhalten, aber daraufhin ich nicht eingegangen, war ja nicht mein einziges. Zur Zeit befinden sich in unserer Kasse schon 60 Mark und dieses Geld wird dann am Schluß versoffen (2 x 20 Mark, 1x10 Mark, 2x5 Mark). Wofür man so bezahlen muß?
Immer rechtzeitig abschneiden; Mo.-Fr. 16.45-17.00 Uhr, Sonnabend 13.45-14.00 Uhr und Sonntag 9.45-10.00 Uhr. Und außerhalb der "Bude" immer das Bandmaß am "Mann" (man muß es mithaben egal wo man hingeht und immer vorzeigen können, wenn ein anderer EK des Weges kommt) ... bei einem Verstoß sofort 5 Mark; kannst Dir vorstellen was hier immer bei uns fünfen los ist, um 17.01 Uhr - alles sucht einen, der es verschwitzt hat, sein Bandmaß aktuell abzuschneiden."

 

Torgelow, 06.05.78 (Brief an die Eltern) Ich muß auf meine erste Wache, 48 Stunden Objekt...

"... bei uns kriegen die Neuen ganz schön Betrieb. Aber uns stört das ja nicht, ... und da muß ich nun endlich meine erste Wache 48 Stunden Objekt stehen. Wenn es so warm bleibt, wird es wohl unbelastend (Armeejargon für wenig Streß) werden. Meine Tage im Stab sind gezählt ... ab nächstem Halbjahr bekommen wir zwei Tatra, ... und da müssen die Uralfahrer gehen. Vielleicht lassen sie mich dieses Halbjahr noch im Stab, aber spätestens als EK werde ich dann Kompaniekraftfahrer."

In einem Brief vom 06.08.78 kommt ein Wort vor, was ich schon vollkommen aus meiner Erinnerung gestrichen habe: Tagedrücken. Das war ein NVA-Wort, es steht für das undefinierbare Gefühl des langen Eingesperrtseins. Das Fehlen von Frauen und Abwechslung ging aufs Gemüt. Wie wichtig waren da Briefe von draußen. Oftmals sind Tränen geflossen, weil wieder mal kein Brief von der Freundin oder den Eltern dabei war.

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Torg., 14. Oktober 1978:

"Langsam aber sicher vergeht dieses verfluchte Jahr '78 - Neujahr sind wir bei 115 Tagen, weißt Du, ich bin echt froh, daß der Oktober nun auch bald vorbei ist."

Torg., 07. November 1978:

"... nun habe ich den Vorteil - wir kommen weniger zum Nachdenken, als ihr Mädchen draußen! Den ganzen Tag wirst du beschäftigt und da bin ich abends schon sehr froh ins, Bett zu kommen! Und zur Zeit ist es wirklich sehr schlimm. Aber man weiß eben, keine sechs Monate mehr. Noch 19 Tage bis zum Anschnitt und dann noch 10 x 15 Tage!"

Torg., 10. Dezember 1978:

"... Silvester bin ich dann auf jeden Fall voll; Weihnachten wollen sie hier eine kleine Feier machen; das ist dann aber wieder unheimlich belastend; ich weiß noch, wie wir im vorigen Jahr zu Weihnachten dasaßen, mit so einem großen "Zapfen" (Armeejargon für Tagedrücken). Aber diesmal liegen dann ja nur noch 16 Wochen Armeezeit vor uns und ich hoffe doch, daß dies ein beruhigender Rückhalt ist."

Torg., 27. Dezember 1978:

"Noch 4 Tage, dann ist dieses schwarze Jahr 78 endlich vorbei. Man, wird das aber auch Zeit. Mir steht die "Fahne" (Armeejargon für NVA) "bis zum Kinn" (Armeejargon für - die Schnauze voll haben)."

 

Daniela, aber auch meine Eltern schrieben zum Glück sehr oft. Ich hatte wohl jeden Tag Post. Das half mächtig. Nie wieder werden Briefe mir soviel Kraft geben können wie in diesen Monaten.

Einmal im März 1978 war selbst ich nahe am Heulen, als mir der Stabsschreiber kurz vor Urlaubsantritt meinen Urlaub ohne jede Begründung plötzlich strich. 

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Man freut sich in solchen Situationen wahnsinnig auf jeden Urlaubstag, lange Zeit vorher träumt man davon und durchlebt viele ersehnte Augenblicke. Mein Vater stand bereits mit dem Auto vor dem Kasernengelände und mußte allein nach Schwedt zurückfahren. In diesen Minuten standen mir die Tränen in den Augen. Das einzige Mal in den ganzen achtzehn Monaten Torgelower Volksarmee.

Wenn besondere Vorkommnisse passierten, hat es auch mich ab und an einmal erwischt. Eine Geschichte ist in einem Brief vom 09. August 1978 angedeutet, eine Kompanieübung Anfang August 1978 im Torgelower Gelände.

 

"...mit unserer Übung war ein totaler Reinfall, obwohl ich fast nur im Auto saß - alles total naß, gegen Abend bin ich nur noch im Turnhemd und Unterhose gefahren, laufend mußten wir in total schwerem Gelände die Truppe suchen (Essen)!  ... und gegen 23.00 Uhr hab ich dann so im Schlamm gesessen, daß es kein vor - und zurück mehr gab.

Und dann gerade an einer Stelle, wo die ganzen "Eisenschweine" (Armeejargon für Panzer) durchmußten, da war dann so wenig Platz, daß es ein paar mal mit meinem Ural und Insassen fast am Ende schien. Früh um 5.00 Uhr hat uns dann ein Suchkommando gefunden und mit Schlepper (für Panzer) versucht, mich rauszuziehen, von vorn hat es nicht geklappt, da hat meine ganze Stoßstange dran glauben müssen, total verbogen ...! Und dreckig ist der Uri (Armeejargon für LKW Ural); alles Schlamm. Aber rückwärts haben sie mich dann rausgekriegt. Heute früh durfte ich die Stoßstange erst mal abbauen. Ab 6.00 Uhr war Nachtruhe, ich war um 11.00 Uhr fertig. Seit einigen Tagen nicht mehr richtig geschlafen."

 

Der Spieß hatte sich mit der Abendverpflegung für die Kompanie vollkommen verfahren. Er hatte mich geführt und tat so, als ob er sich im Gelände auskannte. In Wahrheit stimmte das aber nicht und so verfuhren wir uns in der Dunkelheit vollkommen. Und landeten am Schluß irgendwo inmitten der Panzerübungsstrecke, wo kein LKW hingehörte. Dort übten selbst nachts ständig Panzerfahrzeuge verschiedener Regimenter. Wir standen in einer Senke, wo wir bei Dunkelheit kaum zu sehen waren. Links und rechts fuhren alle Arten von Schützenpanzern der NVA an uns vorbei. Eine sehr gefährliche Situation. Wir hatten uns so festgefahren, daß wir allein nicht mehr herauskamen. Nur mit einem Suchscheinwerfer konnten wir andere auf uns aufmerksam machen. Erst am Morgen (gegen 5.00 Uhr) hatte uns der Bataillons-TA (technische Ausbilder, verantwortlich für die Technik) aufgespürt. Mit Hilfe eines Bergepanzers wurden wir dann herausgezogen. Dabei ging der LKW beinahe "vor die Hunde".

Die Urals waren Spritfresser. Brief vom 25.08.78 (über eine Übung):

"... bin 200 km gefahren; 285 l Sprit!"

Aber nicht nur der Ural hat viel Sprit gesoffen, auch die Soldaten, so auf den Übungen. Brief vom 21. August 1978:

"... irgendwer muß bei uns "undicht" sein - am Freitag hat ein Unteroffizier zwölf Flaschen Primasprit (ca. 90 % Alkohol) mitgebracht und die haben sie dann auf alle Panzer verteilt. Einer davon vier Flaschen. ... und gestern kam der Boß zu den Panzerfahrern (der wußte die genaue Anzahl der Flaschen in jedem Panzer) und auf unserem Park mußten sie dann auf Tod und Teufel die Flaschen aus den Panzern hervorzaubern... und heute wurde die Sache ausgewertet und alle Panzer und Kfz abgesucht. Gefunden haben sie verflucht viel. Stell Dir mal vor, die Panzerfahrer hätten soviel gesoffen wie da war ... dann kann man verstehen wie es zu so vielen Unfällen bei einer Truppenübung kommt und einige werden bestimmt den "Arsch" hochschrauben.  ...keine Angst ich passe schon auf, wir haben nur zwei kleine Flaschen Klaren mit - nur zum Tee. Und auf vier Tage verteilt, für zwei Mann ist das nicht viel!"

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