Peter Steinbach, Johannes Tuchel, (Hrsg.)

Widerstand gegen den National­sozialismus

 

Bonn 1994
Redaktion: Claudia Horn, Klaus-W. Wippermann
Eine Buchhandelsausgabe besorgt der Akademie Verlag, Berlin
Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Für die inhaltlichen Aussagen tragen die Autoren die Verantwortung.
Satzherstellung und Lithos: Froitzheim, Bonn
Druck: Clausen & Bosse, Leck
ISBN 3-89331-195-5 • ISSN 0435-7604

 

  S.htm

1994

 

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I n h a l t  

Zum Geleit (Richard von Weizsäcker)  ...13

Peter Steinbach: Widerstand gegen den Nationalsozialismus  ...15

 

I. Ausgangslagen des Widerstands   ... 27

Hans Maier: Das Recht auf Widerstand  ...33 
Klemens von Klemperer: Naturrecht und der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus - Ein Beitrag zur Frage des deutschen »Sonderwegs«  ...43
Heinrich August Winkler: Requiem für eine Republik - Zum Problem der Verantwortung für das Scheitern der ersten deutschen Demokratie ...54
Klaus Megerle: Die Erfahrung der Weimarer Republik: Fehlender Grundkonsens in einer fragmentierten Gesellschaft   ...68
Detlef Lehnert: Die unterschätzte Republik - Ein fragwürdiger Negativkonsens über das Scheitern von Weimar in zeitgenössischer Sicht der politischen Gegner des Nationalsozialismus  ...85
Klaus Drobisch: Nationalsozialistische Verbrechen und widerständige Reaktionen  ...97

 

II. Widerstand aus der Arbeiterbewegung    ....107

Klaus-Michael Mallemann: Kommunistischer Widerstand 1933-1945 - Anmerkungen zu Forschungsstand und Forschungsdefiziten ...113
Hartmut Mehringer: Sozialdemokratischer und sozialistischer Widerstand  ...126
Michael Schneider: Gewerkschaftlicher Widerstand 1933-1945  ...144
Michael Kißener: »Nach außen ruhig, nach innen lebendig« - Widerstand aus der katholischen Arbeiterschaft  ...153

 

III. Widerstehen aus christlichem Glauben   ....165

Günther van Norden: Die Barmer Theologische Erklärung und ihr historischer Ort in der Widerstandsgeschichte  ...170
Heinz Hurten: Katholische Kirche und Widerstand  ...182
Brigitte Oleschinski: Religiöse Gemeinschaften im Widerstand  ...193

 

IV. Widerstand aus politischen Grundüberzeugungen  ...203

Horst R. Sassin: Liberalismus und Widerstand  ...208
Ekkehard Klausa: Politischer Konservatismus und Widerstand  ...219
Winfried Becker: Politischer Katholizismus und Widerstand  ...235
Hans Mommsen: Die künftige Neuordnung Deutschlands und Europas aus der Sicht des Kreisauer Kreises  ...246

 

V. Umsturzversuche und militärische Opposition 1937 bis 1943  ....263

Klaus-Jürgen Müller: Über den »militärischen Widerstand«  ...266
rainer A. blasius: Appeasement und Widerstand 1938   ...280
Jürgen Schmädeke: Militärische Umsturzversuche und diplomatische Oppositionsbestrebungen  -  Zwischen der Münchener Konferenz und Stalingrad ...294
winfried meyer: Staatsstreichplanung, Opposition und Nachrichtendienst Widerstand aus dem Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht  ...319
Angela Kaiser-Lahme: Die Beziehungen deutscher Regimegegner zu den europäischen Widerstandsbewegungen  ...339

 

VI. Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944  ...351

Gerd R. Ueberschär: Der militärische Umsturzplan: Die Operation »Walküre«  ...353
Heinrich Walle: Der 20. Juli 1944. Eine Chronik der Ereignisse von Attentat und Umsturzversuch ...364
Ulrike Hett / Johannes Tuchel: Die Reaktionen des NS-Staates auf den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944  ...377

 

VII. Widerstand im Krieg  ...391

Gerhard Paul: Die widerspenstige »Volksgemeinschaft« Dissens und Verweigerung im Dritten Reich ... 395
Christl Wickert: Frauenwiderstand und Dissens im Kriegsalltag  ... 411
Wilfried Breyvogel: Jugendliche Widerstandsformen - Vom organisierten Widerstand zur jugendlichen Alltagsopposition ... 426
Christiane Moll: Die Weiße Rose  ...443
Jürgen Danyel: Zwischen Nation und Sozialismus: Genese, Selbstverständnis und ordnungspolitische Vorstellungen der Widerstandsgruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boyssen  ...468
eva bliembach: Flugblattpropaganda des Nationalkomitees »Freies Deutschland«  ...488
claus-dieter krohn: Der Kampf des politischen Exils im Westen gegen den Nationalsozialismus  ...495
sylvia rogge-gau: Widerstand von Juden im Alltag und in nationalsozialistischen Lagern 513
norbert haase: Desertation - Kriegsdienstverweigerung - Widerstand  ... 526
edgar wolfrum: Widerstand in den letzten Kriegsmonaten ... 537

 

VIII. Die Auseinandersetzung mit dem Widerstand in beiden deutschen Staaten nach 1945  ... 553

Ines Reich: Das Bild vom deutschen Widerstand in der Öffentlichkeit und Wissenschaft der DDR ....557
Christiane Toyka-Seid: Der Widerstand gegen Hitler und die westdeutsche Gesellschaft: Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte des »anderen Deutschland« in den frühen Nachkriegsjahren ....572
Werner Bramke: Neuordnung der Nachkriegsverhältnisse in Ostdeutschland aus dem Geist des Widerstandes ...582
Peter Steinbach:  Widerstandsforschung im politischen Spannungsfeld ...597

 

Auswahlbibliographie 623 * Personenregister 658  * Die Autoren  670

 


 

»Ich beschwere mich nicht über das, was mir auferlegt ist. Du kannst dir nicht denken, wie bereit ich bin, diese Prüfung zu tragen. Überhaupt ist es nicht die Gegenwart, die mich am meisten beschäftigt, vielmehr ist es die Zukunft. Das, was heute ist, ist ein Übergang.«   

Julius Leber aus der Untersuchungshaft in Lübeck, 27.Juni 1933

 

»Es stehen hier letzte Entscheidungen für den Bestand der Nation auf dem Spiel; die Geschichte wird diese Führer mit einer Blutschuld belasten, wenn sie nicht nach ihrem fachlichen und staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln. Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo ihr Wissen, ihr Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbietet.«  Ludwig Beck Denkschrift vom 16. Juli 1938

 

»Bei der Begegnung mit uns muß man spüren, daß wir uns weder überflüssig noch unterlegen wissen ..., daß es uns gar nicht darauf ankommt, um jeden Preis ein paar Lebenstage länger dazusein, daß es aber wohl darauf ankommt, um jeden Preis so zu sein, wie wir sind.«  Alfred Delp in einem Aufsatz 1939

 

»Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung mißtrauisch gegen die Menschen geworden und mußten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht zynisch geworden - sind wir noch brauchbar?«  Dietrich Bonhoeffer Ende 1942 in der Schrift »Nach zehn Jahren«

 

»Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.«  Sophie Scholl nach ihrer Verurteilung zum Tode am 22. Februar 1943

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»Ich möchte, daß man weiß: daß es keinen namenlosen Helden gegeben hat, daß es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten, und daß deshalb der Schmerz auch des letzten unter ihnen nicht kleiner war als der Schmerz des ersten, dessen Namen erhalten bleibt. Ich möchte, daß sie Euch alle immer nahe bleiben, wie Bekannte, wie Verwandte, wie Ihr selbst .« Julius Fucik Haftaufzeichnung aus dem Frühjahr 1943

 

»Das Attentat muß erfolgen, koste es, was es wolle. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.«  Henning von Tresckow

 

»Es ist Zeit, daß jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muß sich bewußt sein, daß er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterläßt; er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.«
   Claus Schenk Graf von Stauffenberg kurz vor dem 20. Juli 1944

 

»Es war alles ein aus der Besinnung und Kraft unserer Heimat, deren tiefe Liebe ich meinem Vater verdanke, aufsteigender Versuch, ihr in allen modernen Wandlungen und Erschwerungen unwandelbar bleibendes Recht und ihren tiefen, unentbehrlichen Beitrag gegen den Übergriff fremder Mächte und Gesinnungen zu erhalten und zu vertreten.« 
   Adam von Trott zu Solz am Tag seiner Verurteilung zum Tode, 15. August 1944

 

»Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude. 
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.« 
   Martin Niemöller im Gespräch nach 1945

 

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Zum Geleit 

  Richard von Weizsäcker

Aus seiner Rede: »Der 20. Juli 1944 - Attentat aus Gewissen«, 
zum 20. Jahrestag 1964 in der Evangelischen Akademie in Ostberlin

 

Ist in der allerletzten Phase der dunklen Phase deutscher Geschichte, ist am 20. Juli 1944 und in seinem Umkreis aus Einsicht und Gewissen verantwortlich gehandelt worden? Wie sah der Gewissensentscheid der Beteiligten aus? Wie ist das Wesen des Gewissens und der Aufgaben der Menschen bedingt? Gab es unterschiedliche Gewissensentscheidungen?

Moltke wollte dem Bösen nicht wehren, es vielmehr vollständig sich entwickeln, sich selbst widerlegen lassen, damit ein neuer Anfang gesetzt werden könne. Er fühlte sich durch seine religiösen Überzeugungen an einem Attentat gehindert. Bei anderen, die sich zur aktiven Teilnahme an der Verschwörung durchgerungen hatten, so etwa bei General Stieff, sehen wir, wie das politische Handeln nach der Tat in ein religiöses Motiv quasi zurückgenommen wird. Am Tage seiner Hinrichtung schrieb Stieff: »Es war falsch, Gott in seinem Wirken als kleiner Mensch hochmütig in den Arm fallen zu wollen.« Aber Tresckow, der sich nach dem 20. Juli das Leben nahm, um der Verhaftung zu entgehen, interpretierte das Handeln als Stellvertretung des Volkes vor Gott. Und viele, auch evangelische Christen, sahen gerade ihr politisches Handeln, die Teilnahme an der Verschwörung, unter der Verordnung Gottes als geboten an.

Die Widersprüchlichkeit der Antwort ist sachgemäß und verständlich. Es gab für niemanden, der sich in den Umkreis der Gedanken und Entscheidungen des Widerstandes hineinbegab, bloß durch dieses Hinzutreten den Ausweg schuldlosen Davonkommens gegenüber all den anderen, die weiter mitmachten, wissend oder nicht wissend. Was zu lernen und zu vollziehen war, das war, aus der Bindung des Gewissens heraus für den anderen einzutreten. Und was den Widerstand zusammenhielt, war nicht die soziale Herkunft oder die politische Überzeugung, sondern die Gemeinsamkeit, das Gewissen an der richtigen Stelle einzusetzen, sich ihm in seiner ganzen Last zu stellen und von daher sich der Verantwortungskraft für die Zukunft bewußt zu werden.

Waren es also Nationalisten, die am 20. Juli handelten? Ich glaube nein. Es war der Ausdruck und das Ergebnis einer in die Tiefe gehenden Wandlung des deutschen Nationalbewußtseins. Jahrzehnte waren wir in einen Nationalismus hineingeraten, der uns in die Hände des Tyrannen fallen ließ, uns halb um den Verstand, ganz um unseren Namen, um Millionen von Menschen, um die Einheit unseres Landes und die Hälfte unseres Territoriums gebracht hat. Historisch gesehen wiegt die Schuld, die wir auf uns geladen oder ererbt haben, stärker als die Läuterung, durch die viele Mitglieder des Widerstandes, wo immer ihr Ausgangspunkt auch war, gegangen sind.

So sind der Widerstand und der 20. Juli 1944 kein mildernder Umstand für Deutschland geworden, auch wenn viele Männer des Widerstandes lebten und starben im Gedanken der Sühne. Was wir in ihrem Handeln und ihrer Zeit an Schuld erkennen, betrifft nicht sie, sondern die Überlebenden. Aber sie haben uns nicht nur Lücken, sondern auch Vermächtnisse hinterlassen. Ich kann mir keinen unter uns denken, dem es in der Beschäftigung mit den Ereignissen und Männern des 20. Juli nicht immer wieder geht wie mir: Der 20. Juli ist Mahnung und Hilfe, die man fürs eigene Leben

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empfängt, wenn man sich mit den Gedanken und Handlungen dieser Menschen befaßt, die so aufs Wesentliche besogen lebten. Wir sind dankbar für Zeugnisse, die wir aus solchen Entscheidungssituationen ihres Lebens besitzen.

Was vom 20. Juli 1944 fortwirkt, sind nicht historische Zusammenhänge oder politische Berechnungen bei den Verschwörern, sondern ihr Charakter, ihr Gewissen und ihre Tat. Als der Staatsstreich stattfand, waren alle günstigen Zeitpunkte dafür schon verstrichen. Auch waren tiefere Zweifel empfunden worden. Mußte sich das Böse licht selbst widerlegen, anstatt gewaltsam beseitigt zu werden, damit danach ein neuer Anfang gemacht werden könne? Würde etwas anderes als die unbeschönigte totale Niederlage in der Lage sein, uns alle aus der mehr oder minder bewußten Selbstbelügung moralisch zu befreien?

Das alles war bedacht worden. Und dennoch entschlossen sich die Verschwörer, den Wurf zu wagen. Wichtiger als alle Bedenken war es ihnen, unter Einsatz des Lebens ein Zeichen aufzurichten. Sie wollten nicht länger fatalistisch zusehen, auf daß das Unrecht und Unglück bis zur Neige ausgekostet werde. Sie wußten, daß jeder neue Tag immer mehr unschuldige Leben forderte. Es galt, der ständig fortschreitenden Zerstörung der menschlichen Substanz Einhalt zu gebieten.

So setzten einige Menschen ihr Leben dafür ein, um das Böse zu bekämpfen, welches so vielen Mitmenschen unaufhörlich widerfuhr. Schon 1942 hatte Dietrich Bonhoeffer in seinem Fragment über das verantwortliche Leben Maßstäbe genannt, die nun die Attentäter kennzeichneten:

Aus allen Landschaften waren sie zusammengekommen, aus allen Schichten der Bevölkerung, aus allen Traditionen. Es hatte tiefe politische Gräben unter ihnen gegeben. Aber sie hatten erkannt, wie unwichtig dies gegenüber ihren gemeinsamen und nun lebensgefährlich bedrohten Überzeugungen der Humanität geworden war.

Sie hatten die Kraft zu sehen. Sie hatten den leidenden Menschen erkannt. Das gab ihnen den Willen zur Veränderung und die Kraft zum Handeln. Weil sie bereit waren, bewußt und verantwortlich zu leben, waren sie bereit, ihr Leben einzusetzen.

Ihr Leben und ihre Liebe sprechen über ihren Tod hinaus. »Jeden Tag zu nehmen, als wäre er der letzte, und doch im Glauben und der Verantwortung einer großen Zukunft«, wie Bonhoeffer sagt, das ist ihr Vorbild für uns Heutige, für die Alten und die Jungen.

 

Richard von Weizsäcker, 1964

 

 

 

(Aus seiner Rede: »Der 20. Juli 1944 - Attentat aus Gewissen«, zum 20. Jahrestag 1964 in der Evangelischen Akademie in Ostberlin)

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