peter steinbach

Widerstand gegen den Nationalsozialismus

 

 

I.

 

Die deutsche Widerstandsforschung hat derzeit außerordentlich günstige Ausgangs- und Rahmen­beding­ung­en. Bereits in den vergangenen zwanzig Jahren wurde die Einengung der widerstands­historischen Frage­stellungen durch jeweils vorherrschende politisch-legitimatorische Rückbezüge aufgebrochen: Die Feiern anläßlich des 20. Juli 1944 markierten zwar weiterhin einen wichtigen Bezugspunkt öffentlichen Erinnerns, engten jedoch die publizistischen und wissenschaftlichen Diskussionen nicht mehr in jenem Maße ein, welches oftmals in neueren widerstandshistorischen Studien als communis opinio beschworen wurde. 

Vor allem sozialwissenschaftliche Methoden und die Ausweitung des Quellenbegriffs im Zuge einer Erschließung mündlicher Überlieferungen und Erinnerungsarbeit gestatteten Fragestellungen und Arbeits­vorhaben wie niemals zuvor. Der Stand der widerstands­geschichtlichen Forschung ist heute bemerkenswert nicht zuletzt wegen der zunehmenden Interdisziplinarität und der sozialpsychologischen Anreicherung geschichtswissenschaftlicher Zugangsweisen. Das historische Quellenmaterial wird durch die Öffnung bisher unzugänglicher Archive mannigfacher, und die Antworten fallen vielfach entsprechend breit aus.

Der hier vorgelegte Sammelband soll nicht nur die Vielfalt widerstandsgeschichtlicher Themen spiegeln, sondern vor allem auch die Vielfältigkeit des politisch, weltanschaulich oder religiös motivierten Widerstands dokumentieren. Dieser Band entspringt somit auch dem Wunsch, Traditionen und Motivationen des Widerstands in den Blick zu rücken, die in der Widerstandsforschung der letzten Jahre häufig in den Hintergrund gedrängt wurden

Nach einer sehr intensiven Konzentration in den fünfziger Jahren auf das Kulminationsdatum des 20. Juli 1944 und die Personen der Attentäter war es sicherlich gerechtfertigt und notwendig, neue Dimensionen des Widerstands in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. Die Beschäftigung mit dem Widerstand im Alltag und in der Region sowie die Dokumentation einzelner Widerstandsakte von sogenannten »kleinen Leuten« – von Arbeitern, Kommunisten, Juden und Geistlichen – führten zu einer Erweiterung des Begriffes Widerstand. 

Gleichzeitig verlor er aber an Präzision: ethische Motivationen und politische Ziele des Widerstands rückten eher an den Rand des Interesses und schienen beliebiger zu werden. Mit der Feststellung: »Es gab nicht nur den 20. Juli« wurden die moralischen Rechtfertigungen und Bekenntnisse des Widerstands als eines »Aufstands des Gewissens« in den Hintergrund gedrängt. Moralischer Rigorismus wurde durch Begriffe wie Nonkonformität, Resistenz, Protest, Opposition, Dissidenz und schließlich Verweigerung relativiert. Demgegenüber soll der vorliegende Sammelband deutlich machen, daß es in jeder Phase des NS-Regimes einen Widerstand gab, der von ethischen und politi-

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schen Grundüberzeugungen getragen war: Bei aller Verschiedenheit der sozialen, kulturellen und konfessionellen Milieus waren sich die Regimegegner aus unterschiedlichen Gründen zu ihrer prinzipiellen Gegnerschaft zum totalen Staat und seiner totalitären Weltanschauung einig.

Obwohl zahlreiche frühere politische Gegner des Nationalsozialismus dem Anpassungsdruck des Regimes nicht standhielten oder gar der Faszination nationalsozialistischer Propaganda sowie außenpolitischer und militär­ischer Erfolge erlagen, erkannten die Nationalsozialisten schon frühzeitig, daß sich die entschiedenen Anhänger der aufgelösten und verbotenen Parteien und Verbände niemals völlig ihrem totalen Führungs- und Herrschafts­anspruch beugen würden. Sie betrachteten daher ihre politischen Gegner als entschlossene, kompromißlose Feinde, deren Widerstand durch Ausbürgerung und Verfolgung, durch Sondergesetze und Terror, durch Haft und Todesdrohung auszuschalten war. 

Schon 1932 hatte der liberale Publizist Theodor Wolff die Folgen eines nationalsozialistischen Wahlsiegs für die Anhänger demokratischer Parteien prophezeit: »Wenn heute der Nationalsozialismus triumphiert ..., dann werdet ihr, solange diese Herrschaft dauern wird, nicht mehr zur Wahl gehen, nicht mehr eure Meinung in die Waagschale werfen dürfen – dann wird man die letzten Reste eurer Freiheit und eurer Bürgerrechte zerschlagen und, mit den brutalen Mitteln, die ihr kennt, euch zu dumpfem Gehorsam, zu schweigender Unterwerfung zwingen.« 

Die von Wolff vorausgesehene »>Legalisierung der Rache<, der terroristischen Unterdrückung« richtete sich bis zum Sommer 1933 in gleicher Weise gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale und Anhänger des Zentrums sowie gegen die Mitglieder der Richtungsgewerkschaften. Auflösung der Parteiorganisationen, Verbot der Presse, Verhaftung der führenden Funktionäre und Entrechtung vieler ihrer Mitglieder trafen alle Parteien in gleicher Weise.

Die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung und Entrechtung führte jedoch keineswegs schlagartig zur Über­windung alter politischer Gegensätze und Konflikte zwischen den verbotenen Parteien. Auch inner­parteiliche Kontroversen wurden, vor allem im Exil, mit der gewohnten Schärfe fortgesetzt. Die Konfrontation mit dem wachsenden Totalitätsanspruch des Staates und die Erfahrung ständig eskalierender Willkür und Gewalt ließen die politischen Gegensätze der Weimarer Zeit jedoch zunehmend in den Hinter grund treten. Hatten viele unterschiedliche Wege in die Gegnerschaft zum National Sozialismus geführt, so schien es bald nur noch eine gemeinsame Haltung im Widerstand gegen das Regime zu geben. Sie war durch den Willen gekennzeichnet, um des gemeinsamen Zieles willen auch den politisch Andersdenkenden zu akzeptieren und einen Kompromiß mit ihm zu suchen. Erst dieser Grundkonsens ermöglichte die Vereinigung oppositioneller Dissidenten unter­schiedlicher politischer und konfessioneller Traditionen in Gesinnungs­gemeinschaften und Zirkeln.

Diese Gruppen waren zunächst keineswegs Zellen des Umsturzes, sondern wollten gedanklich die Grundlagen für eine Neuordnung Deutschlands nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft schaffen. In diesem Bemühen um eine geistige und moralische Erneuerung deutscher Politik machten Oppositionelle aller Richtungen einen Lernprozeß durch, der überkommene politische Traditionen und ideologische Zielsetzungen in dien Hintergrund treten ließ. Wenn auch die konkrete Gestalt der Nachkriegsordnung noch weitgehend im dunkeln blieb, so war die Durchsetzung der demokratischen Herrschaft des Rechts unumstrittener Grundsatz neuer Politik.

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Dieses umfassende Bekenntnis zum Recht beinhaltete gleichermaßen liberales Verfassungsverständnis, sozialstaatliches Gleichheitsdenken und christliche Wertvorstellungen.

Ein vergleichbarer Klärungsprozeß läßt sich auch in den politischen Exilgruppen beobachten. Insbesondere angelsächsische Demokratievorstellungen prägten zunehmend das politische Grundverständnis der Emigranten und ließen ihre unterschiedliche Herkunft zunehmend in den Hintergrund treten.

 

 

II.

Trotz dieser unbestreitbaren Klärung ihrer eigenen Positionen sind keineswegs alle zentralen Fragen der Widerstandsgeschichte geklärt. Zu der wohl mit am leidenschaftlichsten umstrittenen Frage der deutschen Zeitgeschichte gehört dabei das Problem, weshalb Hitler an die Macht kommen und sich dort behaupten konnte. Diese Frage zielt auch auf die politischen Möglichkeiten des Widerstands und kann nur vergleichend beantwortet werden. Als im Laufe des 30. Januar 1933 Gerüchte bestätigt wurden, der deutsche Reichspräsident von Hindenburg habe Hitler, der augenscheinlich schon seit den letzten Wahlen den Zenit seines Erfolges überschritten hatte, das Reichskanzleramt angeboten, meinten selbst politisch wache Menschen, damit sei lediglich eine neue, ebenfalls vorübergehende Präsidialregierung berufen worden. Ohne jede Hektik traten die Führungsgremien von SPD und Allgemeinem Gewerkschaftsbund zusammen. In ersten Aufrufen warnten sie ihre Anhänger vor den Nationalsozialisten; die prinzipielle Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaat, von Grundrechten und republikanischer Verfassung lag jedoch jenseits ihrer politischen Phantasie. Auch die Führung der KPD ließ damals jene Klarsicht vermissen, die ihr die eigene Parteigeschichtsschreibung später gern zubilligte. Sie erwartete die Zuspitzung der gesellschaftlichen Krise, nicht aber ihre scheinbare Bewältigung; deshalb rief die KPD zum Generalstreik gegen die »brutalste, unverhüllteste Kriegserklärung an die Werktätigen« auf. Kaum jemand leistete diesem Aufruf Folge -hatten doch erst kurz zuvor KPD und NSDAP in Berlin gemeinsam einen gegen die SPD gerichteten Streik organisiert; lediglich in einem württembergischen Industrieort namens Mössingen standen alle Räder still.

Die SPD-Fraktion bekannte sich zur Weimarer Reichsverfassung, mußte aber hinnehmen, daß die politische Initiative von der Stunde der Regierungsübernahme an auf die wenigen nationalsozialistischen Minister übergegangen war. Die Übernahme der preußischen Polizei durch Göring, die Position Himmlers in Bayern waren für die effektive Machtausübung entscheidend - mochte die demokratische Arbeiterpartei dagegen auch »Kaltblütigkeit, Entschlossenheit, Disziplin, Einigkeit und nochmals Einigkeit« beschwören. Nur in wenigen Städten waren Sozialdemokraten in der Lage, sich in der Konfrontation mit den national­sozialistischen Sturmtrupps zu behaupten; so blieb nur die Hoffnung, die bevorstehenden Reichstagswahlen würden Hitler eine Niederlage bringen. Angesichts der Rechtsbrüche, der Zerstörung der föderativen Ordnung und des Grundrechtssystems durch die Februarverordnungen stellte sich eine Stimmung der Lähmung ein; das Bekenntnis zur Legalität der geschändeten Verfassungsordnung war eher ein beschwörender Appell und Hilferuf als Ausdruck von

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Zukunftshoffnung und Vertrauen in Humanität und Rationalität. Offenen Widerstand leisteten die Parteien der Linken ebensowenig wie die Gewerkschaften: Mit Wandaufschriften und Flugblättern, mit Gesinnungspflege und politischem Bekenntnis ließ sich die nationalsozialistische Machtergreifung um so weniger verhindern, als die NS-Führung die übertragene Chance zur Festigung ihrer Herrschaft entschlossen nutzen wollte und überdies große Teile der Bevölkerung begannen, Hitler zu feiern und die Zerstörung des für sie enttäuschenden Weimarer Systems zu begrüßen.

Diese republikanische Ordnung mobilisierte kaum noch Anhänger. Nicht allein der Makel ihrer Entstehung aus einer militärischen Niederlage und umstrittenen politischen Revolution, ihre außenpolitische Belastung durch das Versailler Friedensdiktat und generationenlange Reparationsverpflichtungen auf der Grundlage des aufgezwungenen Kriegsschuldartikels, ihre Erfolglosigkeit bei der Überwindung wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Katastrophen bestimmten das Bild der Republik in breiten Kreisen der politischen Mitte und nationalkonservativer Flügel, sondern auch das Unverständnis für die Notwendigkeit von politischem Ausgleich in einer parlamentarischen Demokratie durch Diskussion und Kompromiß. Das entscheidende politische Defizit deer Weimarer Zeit war die Unfähigkeit von Parteien und Staatsbürgern, von Presse und Verwaltung, politische Kontroversen in einer grundsätzlich verfassungsbezogenen Weise auszutragen, die Minderheiten schützte und den (politischen Gegner respektzierte. Wo immer absolute Feindschaftsverhältnisse proklamiert werden, fragmentiert: und atomisiert sich die Gesellschaft, wird das Individuum in der Vereinzelung hilflos staatlichen und gesellschaftlichen Kräften ausgeliefert, so-tern diese die Mehrheit erringen. Die Tragik vieler der später von den Nationalsozialisten Verfolgten und Unterdrückten war, daß sie zunächst den totalen Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten nicht erkannten oder ihn sogar als wünschenswert empfanden.

 

Diese Illusionen fanden sich nicht zuletzt bei vielen Offizieren der Reichswehr, die keine republikanischen Traditionen ausbilden konnten und wollten. Allerdings ist zu bedenken, daß manche dieser Offiziere in einer konservativ motivierten Distanz gegenüber den neuen Bewegungen und Bestrebungen verharrten und sich auf diese Weise wenn schon keine bewußte Nonkonformität, so doch eine latente Resistenz bewahrten. Ihr Gesellschaftsbild war durch den deutschen Obrigkeitsstaat, nicht aber durch die nationalsozialistische Bewegungsdiktatur geprägt worden. Vor allem jüngere Offiziere begrüßten das Ende des verachteten Weimarer Systems freudiger und erwartungsvoller als viele ihrer älteren Kameraden, die sich aus sozialer Distanz gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie der Volksgemeinschaft heraus gegenüber der »Bewegung der Gosse« reserviert hielten. Vielleicht erklärt diese Haltung sozialer Distanz die heute vielfach unverständlich anmutende Teilnahmslosigkeit angesichts der Verfolgung vom Kommunisten und Sozialdemokraten, von Pazifisten und Gewerkschaftsmitgliedern-, schließlich auch des Verbots der KPD, der SPD und der Gewerkschaftsorganisationen aller Richtungen. Die Selbstauflösung der liberalen Mittelparteien und der Zentrumspartei, des Christlichen Volksdienstes und der "DNVP atmeten hingegen -augenscheinlich weniger den Geist der Unterdrückung als der Freiwilligkeit; deshalb konnte der Untergang dieser Parteien kaum die Empörung der bewußt politikfernen Offiziere wecken. Am Ende des Jahres 1933 hatten die Nationalsozialisten schließlich ohne nennenswerten Widerstand ihre politische Herrschaft konsolidiert. Hitler hatte in den ersten Monaten seiner Herrschaft die Stellung

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und das Selbstwertgefühl der Reichswehr strikt beachtet; gerade dadurch hatte er ein »systemkonformes Verhalten« vieler Offiziere ermöglicht und sie, wenn nicht gewonnen, so doch auch nicht zum Gegner gemacht.

Eine Ausnahme bildete lediglich der »rote General« und Chef der Heeresleitung, Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord. Ihm trauten viele zu, Hitler aktiv zu bekämpfen oder zumindest zu arrestieren. Nach seiner Versetzung zur Truppe war jedoch nicht damit zu rechnen, daß Hitler ausgerechnet einen Truppenführer besuchen würde, der als vergleichsweise republiktreu galt. Hitler wußte, daß ihm zu dieser Zeit allein die Reichswehr gefährlich werden konnte – deshalb umwarb er ihre Führung. Seine Rechnung ging auf: Entscheidende Jahre verhielt sich die Führung der bewaffneten Macht still.

Hitlers Berücksichtigung der Stimmung hoher Reichswehroffiziere und die scheinbare Respektierung der politikfernen Stellung der Truppe sicherten und verstärkten möglicherweise die politische Isolation der Reichswehrangehörigen. Partielle Übereinstimmung mit politischen Zielen und Respekt vor den außenpolitischen Erfolgen -Lösung des schon von Brüning, Papen und Schleicher beharrlich bearbeiteten Reparationsproblems, Anerkennung durch die päpstliche Kurie beim Abschluß des Reichskonkordats, Verlassen des Völkerbundes, Aufrüstung und allgemeine Wehrpflicht, Besetzung des Rheinlandes - ließen über manche Schatten hinwegsehen. Hierzu gehörte neben dem Straßenterror der SA-Hilfspolizei und der Errichtung »wilder Konzentrationslager« vor allem der Arierparagraph aus dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933, der in der Folgezeit auch die Reichswehr berührte, aber wegen der verschwindend geringen Zahl der Offiziere jüdischen Glaubens hier kaum Bedeutung hatte. Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 - von Goebbels als Reaktion auf Demonstrationen gegen die »deutsche Regierung« gerechtfertigt - verstärkte bei einigen Offizieren das Unbehagen gegenüber der NS-Führung. Auch die Diffamierung deutscher jüdischer Soldaten ließ Nachdenklichkeit aufkommen, führte aber ebensowenig zu Konsequenzen wie die Errichtung des Konzentrationslagersystems.

 

 

III.

Deshalb sind aus der Reichswehr zu dieser Zeit kaum Äußerungen oder kritische Stimmen über Verfolgung und Terror, über Entrechtung und Unterdrückung überliefert. Dies gilt auch für die Gruppen, die später die »zivile Opposition« bildeten. Diese Haltungen waren charakteristisch für die allgemeine politische Unsensibilität gegenüber dem Schicksal der Menschen, die schutzlos der Willkür ausgeliefert waren. Bücher­verbrennungen, Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft, Vertreibung vieler Intellektueller in das Exil oder in die innere Emigration erregten die allgemeine Stimmung wenig; das »Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses« wurde ebensowenig als Schändung alles dessen, »was menschliches Antlitz« trägt, begriffen wie die Vertreibung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben. Allerdings begannen hier die ersten Konflikte zwischen dem abstrakten rassenpolitischen Postulat und der konkreten Auswirkung für den einzelnen: Bei vielen der später entschlossensten Wider­stands­kämpfer entstand Unsicherheit angesichts der Rechtlosmachung gu-

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