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1 - Wohin führt uns die moderne Biologie?  

Taylor-1968

 

   1 Der biologische Durchbruch    2 Freiheit und Verantwortung     3 Bevor es zu spät ist

 

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Vor etwa zweihundert Jahren beschrieb der französische Dichter und Enzyklopädist Diderot in einer ironischen Zukunftsvision mit dem Titel <Der Traum d'Alemberts> die künstliche Aufzucht menschlicher Embryos, deren Begabungen vorherbestimmt werden können. Der Held dieser Geschichte sah im Traum einen großen, warmen Raum, auf dessen Boden kleine, weckglasähnliche Gefäße standen. Auf jedem dieser Gläser klebte ein Etikett mit der Aufschrift: Soldat, Beamter, Philosoph, Dichter; daneben gab es noch Konserven-Diener und Konserven-Könige.

Uns erscheint das nicht mehr ganz so lustig — einige Biologen glauben sogar, daß diese Vision spätestens vor Ende dieses Jahrhunderts wahr wird. Andere Schriftsteller - unter ihnen Shaw und H.G. Wells - haben von einer Kontrolle des Wachstums, von einer Manipulation des Bewußtseins und einer Verlängerung des Lebens um Jahrhunderte geträumt. Nichts davon scheint uns heute unmöglich; einigen dieser Utopien sind wir schon beängstigend nahe.

Es handelt sich hier in allen Fällen um Fortschritte der biologischen Forschung. Wir stehen heute, obgleich wir diese Tatsache kaum ahnen, an der Schwelle einer biologischen Revolution, der eigentlichen Revolution des zwanzigsten Jahrhunderts; sie wird das menschliche Leben tiefgreifender beeinflussen als die industrielle Revolution im neunzehnten Jahrhundert und die technologische Revolution, die wir heute erleben.

Zu lange wurde ein falsches Bild vom Wesen der Biologie verbreitet: Es war die Wissenschaft, die Pflanzen klassifizierte und Bienen beobachtete. Entsprechend sah man den Biologen als blutarmes Wesen, das den Vogelflug studierte und Frösche zerstückelte, um dahinterzukommen, wie alles funktioniert. Im Gegensatz dazu betrachtete man den Physiker als den Mann, der sich mit den Realitäten auseinandersetzt. Seine Basteleien aus Drähten und seine Funkenentladungen führten direkt zur Entdeckung von Fernsehen und Telefon. Sein Interesse für Atome schien anfangs wohl etwas abstrus, aber schließlich ließ sich damit die Atombombe bauen und Kernenergie gewinnen; das ist immerhin einiges. - Wie traurig nimmt sich dagegen das Bild des Biologen aus. Biologie war Naturgeschichte, ein Gegenstand für junge Mädchen und ältliche Schreiber.

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Es ist höchste Zeit, dieses Vorurteil abzubauen. Die Biologen können Entdeckungen vorweisen, die unsere Welt ebenso tiefgreifend beeinflussen wie die der Chemiker und Physiker. Aufmerksame Leser von wissen­schaftlichen Zeitschriften konnten bemerken, daß der Biologie in den letzten fünf Jahren eine immer zentralere Bedeutung zukommt, die jedoch von berühmten Biologen mit großer Sorge beobachtet wird. 

Einer der unermüdlichen Warner ist der Biochemiker Joshua Lederberg, Professor für Genetik an der Stanford University in Kalifornien; er äußerte sich zu diesem Problem bei verschiedenen Gelegenheiten in besonders scharfer Form. So erklärte er 1966 im <Bulletin of the Atomic Scientists>, die gefährliche Voraussetzung für unsere derzeitige Lebensweise bestehe darin, daß der wissenschaftliche Fortschritt im gleichen Maße vorangetrieben werde wie bisher.   wikipedia  Joshua_Lederberg  1925-2008

Professor Bentley Glass, Präsident der <American Society of Naturalists> und einer der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet der Humangenetik, weist immer wieder auf die unabsehbaren ethischen Probleme hin, mit denen die Menschheit schon in naher Zukunft konfrontiert wird, wenn man das Wissen über die Kontrolle der eigenen Fortpflanzung sowie der künftigen Entwicklung tatsächlich anwendet. 

Der englische Nobelpreisträger Francis Crick hebt hervor, daß die Fortschritte auf dem Gebiet der Biologie in großem Umfang dazu beitragen, die überlieferten ethischen Vorstellungen zu zerstören; unklar ist dabei allerdings, wie der Ersatz aussehen soll. 

Der italienische Professor Salvador Luria, einer der großen Biologen Amerikas, arbeitete seit 1940 an nicht weniger als fünf Universitäten (Columbia, Vanderbilt, Princeton, Indiana und Illinois), bis er zum <Massachusetts Institute of Technology> ging; er ist einer der Begründer der modernen Virologie. Er bekennt, daß er keinen Grund zum Optimismus sieht, sondern vielmehr Furcht empfindet, wenn er daran denkt, welche Gefahr der Menschheit bei einer verant­wortungslosen Anwendung von Erkenntnissen der genetischen Forschung droht. In seinem Beitrag in <The Control of Human Heredity> fordert er die Wissenschaftler auf, es als ihre Pflicht anzusehen, die Öffentlichkeit aufzuklären, damit sie den absehbaren Folgen des wissenschaftlichen Fortschritts gewachsen ist. 

Die schärfsten Warnungen kamen indessen von dem englischen Ethologen Dr. Thorpe von der Cambridge University, der zu den führenden Experten auf dem Gebiet der tierischen Verhaltensforschung zählt. Er erklärte kürzlich: 

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»Die ethischen Probleme, verursacht etwa durch Bevölkerungsexplosion oder künstliche Befruchtung, durch die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Genetik und der Neurophysiologie und schließlich auch durch die Sozial- und Geisteswissenschaften, sind mindestens ebenso groß wie jene Probleme, die aus der Entdeckung der Kernenergie, der Wasserstoffbombe, der Entwicklung von Raumfahrt und Flugzeugen mit Über­schall­geschwindigkeit, von Rundfunk und Computern sowie der Automatisierung resultieren. Ich zweifle nicht daran, daß einige dieser Entwicklungen für die Menschheit mindestens ebenso wichtig sind wie alle voran­gegangenen. Sie sind in ihrer Bedeutung ebenso hoch, wenn nicht höher zu bewerten als die Entdeckung des Feuers, der Bodenbestellung, der Buchdrucker­kunst und die Entdeckung des Rades.« 

Bedeutsamer als Feuer, Buchdruck und Rad? Man könnte es kaum pointierter ausdrücken. Was veranlaßt Dr. Thorpe zu einem so umfassenden Anspruch?

Die Entdeckungen, die er anführt, haben alle die Lebensweise der Menschheit radikal verändert und eine Beeinflussung der Umwelt ermöglicht. Was die Biologen auf Lager haben, wird unseren Lebensstil mindestens ebenso verändern. Bisher war es zum Beispiel für ein Kind üblich, zwei Eltern unterschied­lichen Geschlechts zu haben, die außerdem beide zur Zeit seiner Empfängnis lebten. Solche lästigen Einschränkungen werden rasch verschwinden; die Rückwirkungen auf Ehe und Familie in ihrer heutigen Form sind kaum abzusehen. 

Dank der Möglichkeit, den männlichen Samen zu speichern, ist es schon heute möglich, ein Kind lange nach dem Tod seines Vaters zu zeugen. Eine Frau könnte also eines Tages das Kind ihres Urgroßvaters zur Welt bringen. Die Wissenschaft wird es der Frau ermöglichen, ein Kind ohne Beteiligung des Mannes zu empfangen, und schließlich werden Kinder geboren werden, die auf die Annehmlichkeiten des mütterlichen Schoßes verzichten müssen. Die Eltern, sofern noch vorhanden, werden in der Lage sein, das Geschlecht ihres Kindes im voraus zu bestimmen oder gar zu verändern. 

Aber das sind nur einige Beispiele aus dem Gebiet der Fortpflanzung. Auf dem Gebiet des Alterns prophezeien Gerontologen sowohl eine Verlängerung des Lebens als auch die Erhaltung der jugendlichen Kraft bis ins hohe Alter. Einige erwägen bereits die Möglichkeit der Unsterblichkeit. Neurologen erforschen zusammen mit anderen Wissenschaftlern die Funktionsweise des Gehirns; sie deuten die Möglichkeit an, die Intelligenz zu erhöhen, das Gedächtnis zu verbessern sowie Stimmungslage und Gefühle zu kontrollieren. Genetiker sind davon überzeugt, eines Tages die Erbmasse manipulieren zu können, so daß sie uns vor sich selber warnen; auch die Transplantationschirurgie hat uns bereits mit ethischen Fragen konfrontiert. Biochemiker haben allen Ernstes Versuche vorgeschlagen, Leben aus unbelebter Materie zu synthetisieren. 

Es ist klar, daß dieser »Fortschritt«, wenn er erst verwirklicht ist, eine Fülle sozialer und ethischer Probleme aufwirft.


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Die Schwierigkeit, über diese Entwicklung zu berichten, besteht darin, daß allgemein gehaltene Feststellungen nur einen schwachen Eindruck von den Möglichkeiten der künftigen Entwicklung wiedergeben, während detaillierte Vorstellungen als sensationsheischend abgetan werden. Wenn ich etwa behaupte, daß durch die Transplantationstechnik alle Körperteile austauschbar sein werden, so ist das für die medizinische Avantgarde fast eine Selbstverständlichkeit. Wenn indessen eines Tages jemand zu Ihnen sagen würde: »Darf ich Ihnen meinen Onkel und meine Nichte in einer Person vorstellen? Sie waren in einen Autounfall verwickelt — glücklicherweise konnte der Chirurg aus den unbeschädigten Teilen wenigstens noch einen kompletten Körper zusammenflicken« —, so würde dieses Beispiel eher Unglauben als Bestürzung hervorrufen. 

Ich nehme an, daß im ersten Moment viele Leute solche Zukunftsvisionen wenn nicht bezweifeln, so doch in so ferner Zukunft sehen, daß sie für uns heute ohne praktische Bedeutung sind. Ich muß aber feststellen, daß nichts irriger wäre als diese Meinung. Während die von den Biologen angedeutete Möglichkeit der menschlichen Unsterblichkeit vielleicht in ferner Zukunft liegt, so kann man doch sicher sein, daß vieles, was hier erforscht wird, schon in unserem Leben eine Rolle spielt. Ein Schlaglicht auf die wachsenden Möglichkeiten, unsere Gehirntätigkeit zu beeinflussen, wirft etwa der LSD-Mißbrauch durch junge Leute. 

Dieses Beispiel kann jedoch nicht als repräsentativ für andere gelten. Die Halluzinogene sind nur ein Fall aus der großen Zahl von Möglichkeiten, die Psyche zu beeinflussen. Unsere Generation wird sicher auch noch erleben, daß viele dieser Probleme neben anderen, noch nicht definierbaren, gelöst werden. Die Entdeckung der oralen Antikonzeptiva bezeichnet erst den Anfang einer tief greifenden Änderung in der Geburtenkontrolle, und die Diskussionen um diese Pillen werden bald vergessen sein, da bereits neue hochbrisante Kontroversen abzusehen sind. Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, wann eine dieser Entdeckungen tatsächlich gemacht wird, aber man kann annehmen, daß wenigstens ein Teil der Forschungsobjekte, die von Biologen auf der ganzen Welt bearbeitet werden, innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre eine Anwendung finden. 

Zum Beispiel besteht großes Interesse, den Mechanismus, der transplantierte Organe und Gewebe aus einem fremden Körper abstößt, zu kontrollieren; das würde eine große Zahl von Transplantationsoperationen ermöglichen. Die Übertragung einer Niere oder eines Herzens, die heute Schlagzeilen macht, sollte nur als Meilenstein auf einem langen Weg des Fortschritts gewertet werden. 


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Diese Entwicklung als abgeschlossen zu betrachten, würde den Fehler des Mannes wiederholen, der das Auto mit dem Hinweis ablehnte: »Interessante Konstruktion, aber es wird niemals das Pferd ersetzen.« Tatsache ist, daß unsere Vorstellungskraft nicht sehr weit reicht. Wer konnte vor dreißig Jahren, als Telefone und Lichtschalter aus schwarzem und braunem Bakelit gefertigt wurden, unsere farbige Welt des Kunststoffs vorhersehen, wo neue Materialien je nach Bedarf flexibel oder steif produziert werden? Ebenso ist es schwer vorstellbar, daß die mühsam erarbeiteten und oftmals unvollkommenen biologischen Experimente von heute die fantastisch anmutenden Möglichkeiten sein können, die eine Generation von morgen als selbstverständlich ansieht. Und wenn ich das sage, meine ich nicht die Generation von übermorgen. Viele Möglichkeiten, die ich in diesem Buch diskutiere, werden nur zu bald Wirklichkeit werden, auch wenn sie einigen unglaubhaft erscheinen.

Es ist daher nicht nur die Freude an Spekulationen, sondern von allgemeinem Interesse, die künftige Entwicklung in der Biologie möglichst genau und vollständig vorherzusehen. Aber warum bricht diese fantastische und bedrohliche Entwicklung gerade jetzt über uns herein? Was hat sich in den Laboratorien der Biologen abgespielt, daß sie ihre Probleme alle zur gleichen Zeit ausspucken?

 

   1  Der biologische Durchbruch   

 

Jeder Wissenschaftszweig zeigt dieselbe Entwicklungskurve. Anfangs befaßt er sich mit irrigen, vorwissenschaftlichen Meinungen und formuliert seine Probleme falsch: die Fortschritte sind gering. Ein Minimum genau beobachteter Fakten ist die unerläßliche Voraussetzung für die Formulierung einer Verallgemeinerung. Gelangt man in verschiedenen Teilgebieten zu solchen Einsichten, so wird der Fortschritt beschleunigt. Die Gesetzmäßigkeiten auf Teilgebieten können nun im Zusammenhang gesehen werden und befruchten sich gegenseitig. Physik und Chemie, deren Probleme einfacher und nicht so vielgestaltig sind, erreichten ihren Wachstumsboom früher als die Biologie. 

Der Begriff <Biologie> wurde zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts geprägt, als man noch glaubte, daß sie mehr der Naturgeschichte als etwa der Medizin zugeordnet werden müsse. Vorher bestand gar kein Bedürfnis, in der Wissenschaft von der belebten Natur eine eigene Disziplin zu sehen. Zunächst beschäftigte man sich vorwiegend damit, Lebewesen zu beobachten und zu klassifizieren, bis die ersten großen Entdeckungen in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gemacht wurden: die Zelltheorie von Schwann und Schleiden, die alle Formen des Lebens auf einen gemeinsamen Nenner brachte, sowie die Evolutionstheorie von Chambers und Matthews (für die Darwin später einen passenden Mechanismus vorschlug). Kurz danach veröffentlichte Mendel seine Arbeiten, die es ermöglichten, Probleme der Vererbung zu studieren. 


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Der Fortschritt hängt ebenso von den zur Verfügung stehenden Werkzeugen ab. Bis zur Entdeckung des farbkorrigierten Mikroskops Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war ein Studium der Zelle unmöglich, während die Beobachtung von Strukturen innerhalb der Zelle wie die der Chromosomen erst durch die Entwicklung des apochromatischen Ölimmersionsmikroskops Ende des neunzehnten Jahrhunderts möglich wurde. Der fantastische Aufschwung, den die biologische Forschung in den letzten Jahren erlebt hat, geht in erster Linie auf das Konto neuer Forschungsgeräte, die es erst erlaubten, lebendes Material zu untersuchen. Das Hauptverdienst gebührt vielleicht dem Elektronenmikroskop, das eine millionenfache Vergrößerung erlaubt und Strukturen enthüllt, die außerhalb des Auflösungsvermögens eines Lichtmikroskops liegen. 

Die Dinge sehen, heißt an sie glauben. Eine Aufnahme vermittelt uns mit einem Schlag genaue Informationen über Größe und Ausdehnung, Anzahl und Anordnung von Strukturen sowie über andere Parameter, von denen sonst jeder einzelne in langwierigen Experimenten ermittelt werden müßte. Die langwierigen Experimente mußten jedoch gemacht werden, bis die entsprechenden Geräte nach dem Krieg in den Handel kamen. Von ähnlicher Bedeutung sind die diffizilen, aber außerordentlich wirkungsvollen Verfahren, die einzelnen Komponenten eines Gemisches von biologischen Strukturen aufzutrennen. Auf diese Weise lassen sich nicht nur die verschiedenen Zelltypen, aus denen sich ein Organismus zusammensetzt, auseinandersortieren, sondern auch die verschieden großen Strukturen und Moleküle innerhalb einer Zelle abtrennen und identifizieren. 

So ermöglicht es die Ultrazentrifuge, Lösungen einer 100.000fachen Erdbeschleunigung auszusetzen, wobei die Moleküle entsprechend ihrem Gewicht verschieden schnell sedimentieren. Mit Hilfe der Elektrophorese gelingt eine Auftrennung geladener Moleküle. 

Eine weitgehende Automatisierung vieler Laboratorien beschleunigt diese Arbeiten. In den meisten biochemischen Instituten findet man heute Maschinen, die Tag und Nacht in Betrieb sind. Ohne zu ermüden, machen sie Messung auf Messung, drucken die Daten aus und berechnen schließlich die Ergebnisse. Da sich die Biologie mit einer so komplexen und schwierigen Materie befaßt und oft nur verschwindend kleine Mengen zur Verfügung stehen, kann sie auf diese technischen Hilfsmittel nicht verzichten.


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Diesen Durchbruch verdanken wir jedoch noch mehr der Spitzfindigkeit der Chemiker, die heute in der Lage sind, unglaublich komplizierte Reaktionsketten aufzuklären, die in den Zellen, im Blut, der Lymphe oder sonstwo ablaufen. Der Trend zur Spezialisierung führte zur Biochemie als eigener Disziplin. Es kommt vielleicht die Zeit, wo die Physik mehr zur Klärung von Fragen wie etwa: was passiert an der Zelloberfläche, wie kontrahiert sich der Muskel oder wie funktioniert die Nervenleitung, beitragen kann als die Chemie. Die Biophysik stößt in noch kleinere Dimensionen vor als die Biochemie. Was auch immer die Gründe sein mögen, die Feststellung, daß sich die Biologie immer schneller entwickelt, ist sicher richtig und die Bezeichnung Durchbruch ist sicher keine Übertreibung.

Was bei den Physikern schon früher üblich war, nämlich der Trend zur Millionen-Dollar-Maschine und zum Teamwork, setzt sich auch hier durch. Ein Stab von Spezialisten aus verschiedenen Fachrichtungen wie Cytologen, Kristallographen, Biochemiker, Neurologen, Molekularbiologen etc. bearbeiten gemeinsam ein Problem. 

Die Probleme sind nicht mehr rein deskriptiver Natur: die Biologen machen vielmehr Hypothesen, die durch entsprechende Experimente überprüft werden. Ihre Messungen werden mit der größtmöglichen Präzision ausgeführt und oft statistisch ausgewertet. Die Notwendigkeit, zwischen Biologie und Medizin zu unterscheiden, wird immer dringlicher.

Indessen verschleiern diese Feststellungen vielleicht etwas die Tatsache, daß die Biologie eine ganze Gruppe von Disziplinen umfaßt und daß einige von ihnen wesentlich weiter entwickelt sind als andere.

Man kann sagen, daß die Biologie sieben verschiedenen Fragestellungen nachgeht; dieses Buch berücksichtigt die Tatsache, daß jede dieser Entwicklungslinien verschieden weit entwickelt ist. Die Fragen können kurz folgendermaßen formuliert werden:

  1. Wie entstand ursprünglich irgendeine Form des Lebens?

  2. Was ist die Ursache für die Vielfalt der Lebewesen (Arten)?

  3. Worin besteht das Phänomen des Alterns und was sind die Ursachen des natürlichen Todes?

  4. Wie funktionieren Lebewesen: welche biochemischen Mechanismen sind dafür verantwortlich (einschließlich der Frage, wie widerstehen sie Infektionen)?

  5. Auf welche Weise wird das Verhalten der Lebewesen kontrolliert und wie funktioniert das Gehirn?

  6. Wie vermehren sich die Lebewesen (was passiert bei der Befruchtung und was ist die Ursache der Vererbbarkeit bestimmter Merkmale)?

  7. Auf welche Weise wachsen und entwickeln sich Lebewesen (und wie entwickelt sich das Ei in der Gebärmutter)?


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Das 19. Jahrhundert sah eine dieser Fragen beantwortet, nämlich die Frage nach der Vielfalt der Lebewesen (Nr. 2). Kürzlich konnte auch die Frage Nr. 6 im wesentlichen geklärt werden. Die Details des Befruchtungsvorgangs sowie der Mechanismus der Vererbung sind in ihren Grundzügen aufgedeckt, wobei allerdings noch einige Punkte endgültig geklärt werden müssen. Auch bezüglich der Frage Nr. 4 wurden wesentliche Fortschritte gemacht, und zwar vor allem auf dem weitverzweigten Gebiet der Physiologie. Viele der sozialen und ethischen Probleme, die auf uns zukommen, haben ihre Ursache in der Erforschung der beiden letzten Fragen.

Die Probleme, mit deren Klärung nicht in der nächsten Zeit zu rechnen ist, beziehen sich auf die Fragen 3, 5 und 7, und zwar: Altern und Tod, Wachstum und Entwicklung sowie Hormonwirkung und Gehirntätigkeit. Dahinter liegt noch die letzte Frage nach dem Ursprung des Lebens, aber in diesem Punkt sind sogar die Biologen um eine Antwort verlegen. Ich werde alle diese Gebiete der Reihe nach behandeln, wobei ich bei den Punkten beginnen will, die jedermann angehen, um dann auf die etwas ferner liegenden und spekulativen Fragen einzugehen. Lassen wir die Frage nach der Evolution, die im letzten Jahrhundert so viel Staub aufgewirbelt hat, als eine Bombe, die bereits losgegangen ist, beiseite, so bleiben uns noch sechs hochbrisante Themen — sechs Zeitbomben, deren Sicherungen verschieden lange schmoren.

 

   2 Freiheit und Verantwortung   

 

Wie radikal die Umwälzungen sind, die auf uns zukommen, läßt sich am besten durch einen Vergleich erläutern. Wir können heute im großtechnischen Maßstab Substanzen synthetisieren, die wir früher nur von der Natur her kannten, und wir können sogar Verbindungen herstellen, die vorher nie existierten. Während wir uns früher mit dem zufrieden geben mußten, was die Natur uns lieferte, sind wir heute in der Lage, die Substanz selber zu bestimmen. So etwas könnte man chemische Kontrolle nennen. 

In ähnlicher Weise werden wir im kommenden Jahrhundert eine biologische Kontrolle ausüben, d.h.: Wir bestimmen, wieviel Leben welcher Art wo leben darf. Wir werden ebenso in der Lage sein, Formen des Lebens hervorzubringen, die noch nie existierten.

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Manchem mag diese Aussicht schrecklich erscheinen, aber wie bei jeder Art technischen Fortschritts können wir das neue Wissen zum Schaden oder Nutzen der Menschheit anwenden. Die erste Voraussetzung muß sicherlich ein hohes Maß an Verantwortung sein. Während früher alles durch Zufall oder durch nicht zu beeinflussende Umstände passierte, haben wir es nun in der Hand, regelnd einzugreifen. Wir werden mit der Notwendigkeit konfrontiert, Entscheidungen zu treffen, eine Aufgabe, die viele als Last empfinden. Dauernd entscheiden zu müssen, ist der Preis der Freiheit. Es wird nötig sein, Institutionen zu schaffen, die Entscheidungen von größerer sozialer Tragweite treffen. Das Wuchern der biologischen Forschung wird sie uns sicherlich bescheren.

Die technologische Revolution brachte dem Menschen neue Freiheiten. Statt daß er sein Leben dort verbringen muß, wo er geboren wurde, ist es jetzt leicht für ihn geworden, andere Teile des Landes zu besuchen, sich an einem Ort seiner Wahl niederzulassen und doch den Kontakt zu seiner Verwandtschaft und zu der Welt, in der er seine Kindheit verbracht, aufrecht zu erhalten. Zugegeben, das konfrontierte ihn mit der Notwendigkeit, selbst über seinen Wohnort zu entscheiden, anstatt einfach hinzunehmen, was ihm das Schicksal beschied, aber die Last der Verantwortung war, verglichen mit dem Gewonnenen, gering. Ebenso führte diese Entwicklung natürlich zu viel überflüssiger Umherreiserei, die den großen technischen Aufwand vielleicht nicht wert war, der sie erst ermöglichte, und bewirkte neue Bevölkerungsbewegungen, verstärkte die Landflucht und schuf damit soziale Probleme in den Städten. 

Die biologische Revolution wird vergleichbare Folgen haben. 

Dieses Wissen wird nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Industrie verändern. Es wird das Ausmaß und die Art der Investitionen beeinflussen und damit Ausmaß und Art der Besteuerung. Wir erleben heute die Entwicklung einer Industrie, die auf wissenschaftlichen Ergebnissen aufbaut, die von der Physik und vor allem von der Elektronik geliefert werden. 

Eine zweite Welle der auf dem wissenschaftlichen Fortschritt basierenden Industriezweige, nämlich die biochemisch, biophysikalisch und biologisch orientierten, wird folgen. Ihre Vorläufer sind kleine, aber clevere Firmen, die schon heute die gebräuchlichsten biochemischen Substanzen ab Lager liefern, sowie biomedizinische Ingenieure, die für den Arzt sinnreiche Geräte, vom Sender in Pillenform bis zur künstlichen Niere, entwickeln. Aber auch auf medizinischem Gebiet ist eine starke Expansion zu erwarten; selbst die Landwirtschaft wird davon nicht unbeeinflußt bleiben. Die Form der Schädlingsbekämpfung, männliche Schädlinge auszusetzen, deren Nachkommen steril sind (wie sie mit großem Erfolg von Dr. Edward F. Knipling bei der Schraubenwurmfliege angewandt wurde), hat Millionenverluste im Obstbau verhindert. Das ist jedoch nur ein Beispiel für eine künftige Entwicklung.


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Ein Blick in die Zukunft wäre aber nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Soziologen von Interesse. Hinzu kommt noch der militärische Aspekt. Der britische Astronom Fred Hoyle sagte zu mir: »Ich möchte mit der Biologie nichts zu tun haben, wenn ich mein Leben noch einmal neu beginnen könnte. In zwanzig Jahren wird es der Biologe sein, der hinter Stacheldraht arbeitet  

Sowohl von den USA als auch von Großbritannien ist bekannt, daß sie beachtliche Einrichtungen zum Studium der biologischen Kriegsführung unterhalten. Die amerikanischen Forschungsinstitute befinden sich in Fort Detrik, die britischen liegen in Porton Down. Die amerikanische Armee besitzt weiterhin Fabriken in Edgeworth und anderswo, die biologische Waffen herstellen; einige wurden in Vietnam bereits eingesetzt. Die Waffen können sowohl gegen Pflanzen wie Tiere als auch gegen Menschen eingesetzt werden. 

Inwieweit andere Länder, vor allem Rußland und China, ähnliche Entwicklungen betreiben, bleibt ein Geheimnis. Man kann aber ziemlich sicher sein, daß sie ebenso wie eine Reihe kleiner, aber aggressiver Länder daran arbeiten. Parallel dazu werden in vielen Ländern Nervengifte entwickelt und produziert. Amerikanische Generale haben die Verwendung solcher Stoffe (darunter LSD-25) befürwortet, die den Widerstandswillen unterminieren sollen, mit dem Hinweis, daß auf diese Weise ein humaner, unblutiger Krieg geführt werden kann. Das wäre wichtig, wenn es sich als richtig erweisen sollte, aber manche sehen die Kehrseite der Medaille; das Problem bedarf noch der Klärung.

Tatsächlich werfen diese Entwicklungen beständig Fragen auf, die der Bevölkerung bewußt werden müssen, und es ist lebenswichtig, sich darum zu kümmern, bevor nichts mehr zu ändern ist. Die Frage etwa, ob man die Bevölkerungs­dichte regeln kann, wenn ja, auf welche Weise und in welchem Maße — also welche Bevölkerungsdichte man für vertretbar hält —, ist nur ein Beispiel aus einer ganzen Reihe von Problemen, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben und von denen die meisten heute noch ignoriert werden.

Sehr bald wird die biologische Revolution unser Leben, unsere Sicherheit und unser Glück in vielfältiger Weise beeinflussen.

 

   3 Bevor es zu spät ist  

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Die biologische Revolution konfrontiert die Menschheit mit völlig neuen und bedrückenden Fragen. Es kommt selten genug vor, daß ein Schriftsteller das Wort <lebensnotwendig> ohne Übertreibung verwenden kann; diese Fragen aber sind echte Lebensfragen, Fragen, die unser ganzes Leben betreffen.

Ich stelle das alles zur Diskussion, da eigentlich bis Hiroshima die Überzeugung vorherrschte, daß Wissen in jedem Falle zu etwas Gutem führe und daß wissenschaftliche Forschung zum Wohle der Menschen sei. 

Weder die Idee, einen bestimmten Wissenschaftszweig zu verbieten, stand ernsthaft zur Diskussion, noch hat jemals ein Wissenschaftler gezögert, seine Ergebnisse zu veröffentlichen, es sei denn, dies wäre zu seinem eigenen Nachteil. Doch die ungeheuren Energien, die durch Kernreaktionen freigesetzt werden, sehen heute viele Menschen als ein unberechenbares Risiko an, das den Nutzen des Fortschritts überwiegt. Es ist daher schon vorge­kommen, daß Wissenschaftler Verfahren nicht publizierten, die es auch kleineren Staaten ermöglichen würden, Kernwaffen herzustellen. 

Einige Physiologen verspüren Gewissensbisse, all das zu veröffentlichen, was sie über die Manipulation der Gehirntätigkeit wissen; sie fürchten, daß diese Erkenntnisse für Gehirnwäsche und ähnliche Zwecke benützt werden. Eine ganze Anzahl der hier beschriebenen Entwicklungen könnte mißbraucht werden — aus Dummheit oder Böswilligkeit oder beidem zusammen. So ist die Frage, ob diese Art der Forschung überwacht und kontrolliert werden sollte, ein echtes und dringendes Problem. 

Heute wäre es noch möglich, die Dinge in den Griff zu bekommen. Bald kann es zu spät sein, und vielleicht wären wir gerade dann bereit, etwas zu unternehmen. 

Es ist daher nötig, sich die Ergebnisse genauer zu betrachten.

Das Gefühl, daß eine bestimmte Art von Wissen für den Menschen zu gefährlich sein könnte, jedenfalls beim jetzigen Stand seiner sozialen und geistigen Entwicklung, gründet vor allem auf der Annahme, daß er seine Macht eher zum Nachteil als zum Vorteil der Menschheit anwendet. Oder vielleicht sollten wir lieber sagen, die Wahrscheinlichkeit, daß die neuen Möglichkeiten mißbraucht werden, ist größer als der etwaige Nutzen für den Menschen. Oder noch einfacher, der Mißbrauch könnte so ernste Folgen haben, daß er von der möglichen vernünftigen Anwendung nicht aufgewogen werden kann. Das etwa ist unsere Einstellung gegenüber den Atomwaffen. Verglichen mit dem Unheil und Elend, das durch den Atomkrieg entsteht, erscheint der Gewinn einer neuen Energiequelle minimal; nicht das geringste Risiko auf diesem Gebiet ist tragbar.


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Sind nun auch die neuen biologischen Entdeckungen von dieser Art? Wie ernst sind die Konsequenzen eines Mißbrauchs? Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eines Mißbrauchs? Wenn nur unverbesserliche Optimisten dem Menschen vertrauen, daß er seine Macht nicht mißbraucht, so ist das Problem einer Kontrolle der biologischen Forschung keine akademische Frage mehr.

Abgesehen von der aktuellen Frage des Mißbrauchs, sei es absichtlich oder unabsichtlich, existiert die scheinbar nebensächliche Frage von großer Bedeutung: Welches Ausmaß an Veränderungen kann eine Gesellschaft überhaupt verkraften? Es ist Zeit, sich den neuen sozialen Gegebenheiten anzupassen, denn wenn Neuerungen unverhofft über uns hereinbrechen, rufen sie Umwälzungen hervor, an denen eine Kultur zerbrechen mag. Ähnliche Beobachtungen konnte man machen, als die westliche Welt mit unterentwickelten Völkern kollidierte. (Es gibt bemerkenswerte Parallelen zwischen der Reaktion der westlichen Jugend auf Halluzinogene wie LSD und der Reaktion von Südsee-Insulanern auf Alkohol.) 

Es scheint möglich zu sein, daß biologische Neuerungen so umwälzend sind, daß sie die westliche Zivilisation - wenn nicht die ganze Weltkultur - von innen zerstören können.  

Diskutable Kontrolle könnte auf zweierlei Arten ausgeübt werden. Entweder kontrolliert man Umfang und Richtung der Forschung, oder man läßt der Wissenschaft ihre Freiheit und legt die Ergebnisse auf Eis. Erst wenn es eine nützliche und wünschenswerte Anwendungsmöglichkeit gibt, werden sie wieder aufgetaut. 

In der Praxis müßte man wahrscheinlich eine Kombination dieser beiden Systeme anwenden, denn auch bei einer streng kontrollierten Forschung kann man nicht verhindern, daß Ergebnisse zurückgehalten werden. Natürlich wäre die Durchführung dieser Kontrollen außerordentlich schwierig, und sie könnte gleichzeitig die Ursache von Ungerechtigkeit und Mißbrauch sein. Diese Tatsachen veranschlagen manche Leute so hoch, daß sie lieber der Gefahr in Gestalt einer unkontrollierten Wissenschaft eine Chance geben, als die Freiheit der Forschung einzuschränken. Sicherlich teilen fast alle Wissenschaftler diese Ansicht.

Da die Verhältnisse so liegen, wird es nötig sein, uns mit den Tatsachen auseinanderzusetzen. Wenn das Ausmaß der Veränderungen zu groß und dazu noch unbegrenzt und unkontrolliert ist, könnten wir unsere Fähigkeit zur Anpassung überfordern. Von Zeit zu Zeit wird uns eine neue Erfindung zugemutet, ohne daß wir vorher die sozialen Bedingungen entsprechend modifizieren können. Ein Beispiel dafür ist die künstliche Befruchtung. Sie wirft, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, auch rechtliche Probleme auf, etwa der Art: hat ein Kind, das durch künstliche Befruchtung gezeugt wurde, ein Anrecht auf das Erbe seines Vaters? — 

Anstatt die Rechtslage in diesem und in anderen Punkten vorher zu klären, werden die technischen Voraussetzungen geschaffen, während der Gesetzgeber alles beim alten läßt. Sich nicht zu diesen sozialen und persönlichen Problemen zu äußern und die Menschen ratlos mit der komplizierten Situation zu konfrontieren, verursacht Zeitverlust, unnötige Geldverschwendung, Leid und Ungerechtigkeit.

Wenn ich die Arbeiten von Biologen aus verschiedenen Ländern betrachte und die Ausführungen über die Folgen ihrer Forschungsergebnisse mit einbeziehe, dann erscheint es mir eindeutig, daß der Preis für eine Anpassung an die neuen Verhältnisse schrecklich hoch sein wird, unannehmbar hoch, es sei denn, wir bemühten uns ernsthaft um die Steuerung von Umfang und Geschwindigkeit des Fortschritts, anstatt uns vom Fortschritt terrorisieren zu lassen.

Anscheinend liegt es nicht in der menschlichen Natur, weiterreichende Vorkehrungen auf sozialem Gebiet zu machen, bevor der Schuh drückt; und oft muß der Schuh lange drücken, bevor Trägheit und überkommene Vorstellungen überwunden werden. 

Ein aktuelleres Problem als die künstliche Befruchtung ist der Mangel an künstlichen Nieren, was für viele den sicheren Tod bedeutet. Nichts als die vage Forderung der Öffentlichkeit, daß auf diesem Gebiet etwas getan werden muß, ist festzustellen.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß man gegenüber vielen neuen Entwicklungen erst Vorkehrungen trifft, wenn sich die Probleme vor der eigenen Haustür anhäufen. Das Gesagte läßt nur die Schluß­folgerung zu, daß die Gesellschaft selber in der Lage sein muß, die Forschung und die Freigabe neuer Entdeckungen zu überwachen. Es müssen »biologische Tiefkühltruhen« vorhanden sein, in denen Forschungs­ergebnisse aufbewahrt werden, bis die Gesellschaft auf sie vorbereitet ist. 

Diese Schlußfolgerung ist für mich keineswegs überzeugend. Ich bin keineswegs so optimistisch anzunehmen, daß es bei diesen Kontrollen nicht zu Mißbrauch und schwerwiegenden Verwirrungen kommen wird. 

Dennoch können die künftigen Konsequenzen so verheerend sein und den Untergang unserer jetzigen Zivilisation bedeuten, daß man nichts unversucht lassen sollte.

Die unheildrohenden Zeichen kennen wir, und es ist dringend nötig, daß der Versuch unternommen wird, sie zu interpretieren.

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