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2 - Ist Sex notwendig ?

Taylor-1968 

  1 Ei-Einpflanzung      2 Samen und Eier      3 Babies aus der Retorte  
  4 Babyfabriken?    5 Sohn oder Tochter   6 Hormone    7 Geburtenkontrolle     8 Folgerung 

 

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Die Biologie hat gerade damit begonnen, einen Sektor von großer Bedeutung im Leben des Menschen grundlegend zu verändern, nämlich den der Fortpflanzung. In den vergangenen Jahren haben neue Methoden der Schwanger­schaftsverhütung, der künstlichen Befruchtung, was eng mit einer verlängerten Lagerungsfähigkeit der männlichen Samen zusammenhängt, sowie die erfolgreiche Behandlung von bestimmten Formen der Unfrucht­barkeit weltweite Diskussionen und Kontroversen ausgelöst.

In welche Richtung und wie weit sich diese Dinge in der Zukunft entwickeln werden, versuche ich hier zu klären.

Antikonzeptiva haben bereits tiefverwurzelte, soziale Verhaltensweisen verändert; sexuelle Erfahrungen vor der Ehe sind ebensowenig etwas Ungewöhnliches wie Familienplanung (feststellbar auch in katholischen Gegenden). Neben persönlichen Problemen haben Antikonzeptiva auch große politische Bewegungen verursacht. Indem wir prinzipiell in der Lage sind, die Bevölkerungsexplosion unter Kontrolle zu bringen, haben wir gleichzeitig die Verantwortung dafür, wie hoch die Bevölkerungsdichte genau sein soll. Es müssen entsprechende Abmachungen auf internationaler Ebene getroffen werden, die alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Leute, die entweder ungebildet sind oder dem Althergebrachten anhängen, mit den Möglichkeiten, die uns die Biologie in die Hand gibt, vertraut zu machen.

Die Antikonzeptiva sind vor allem als Beispiel für die biologische Forschung der Zukunft von Bedeutung. Der doppelte Einfluß, sowohl auf das Individuum wie auf die Struktur der Gesellschaft, scheint nur stellvertretend für das zu stehen, was auf uns zukommt.

Tatsächlich verbindet die biologische Wissenschaft mit dem Begriff der Antikonzeption mehr als gemeinhin angenommen wird. Die bloße Blockierung des Vermehrungsmechanismus ist ein sehr grober Eingriff, etwa so, als wenn man, um eine Maschine zu stoppen, einen Schraubenschlüssel ins Getriebe wirft. Zugleich zeigt die Entwicklung von Antikonzeptiva, daß sich Forschungen auf dem Hormonsektor, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnen haben, nun bezahlt machen.

In den zwanziger und dreißiger Jahren wurden viele dieser Hormone isoliert und ihre Struktur aufgeklärt, außerdem wurden Verfahren entwickelt, die Verbindungen künstlich herzustellen. Das führte zu Substanzen, die gegenüber den natürlichen geringfügig verändert sind: es entstanden Hormone, die es vorher nie gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Verbindungen klinisch getestet, eine Entwicklung, die bis in unsere Zeit hereinreicht.

Die hier benötigte Zeitspanne mag typisch sein; fünfzig bis sechzig Jahre verstreichen, bis eine Entdeckung tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft hat (davon entfallen bereits fünfundzwanzig bis dreißig Jahre auf intensive Laboratoriumsarbeit).

Vieles von dem, was in diesem Kapitel behandelt wird, betrifft Arbeiten, die noch in der zweiten oder sogar noch in der ersten Phase ihrer Entwicklung stehen. Wenn genügend Geld zur Verfügung steht, läßt sich die Zeit bis zur Anwendung zweifellos verkürzen; möglicherweise verkürzen sich diese Zeitspannen zwangsläufig, da heute die biologischen Forschungsvorhaben ganz allgemein großzügiger unterstützt werden als in den dreißiger Jahren. Außerdem fördern Entdeckungen auf bestimmten Gebieten auch andere Forschungsrichtungen.

Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, die sich aus einem tieferen Verständnis des Fortpflanzungsmechanismus ergeben, scheinen außerordentlich weitreichend zu sein. Die zukünftige Forschung wird nicht mehr viel mit den groben Eingriffen zu tun haben, wie wir sie am Beispiel der Antikonzeptiva kennengelernt haben.

Eine der außergewöhnlichen Möglichkeiten, die heute untersucht werden, erregte in der Presse bereits einige Aufmerksamkeit. Man konnte Schlagzeilen lesen wie: »Ableger von Einstein« oder »Ich liebe Mozart den 23.«! In wissenschaftlichen Zeitschriften wurde das unter dem Begriff »Menschen aus der Retorte« (cloning people) publiziert.

Als vor einiger Zeit ein Wissenschaftler in Cornell über seine Ergebnisse auf diesem Gebiet berichtete, erregte das in der Öffentlichkeit Mißtrauen, aber er konnte glaubhaft machen, daß damit eine Entwicklung beginnt, die Flora, Fauna und auch das menschliche Leben auf dieser Erde beeinflussen wird. Joshua Lederberg, einer der führenden Biologen, meinte zu dieser Entwicklung, daß sie erst den <Anfang einer großen evolutionären Umwälzung> bedeute.

Der oben erwähnte Wissenschaftler heißt Professor F. Steward, Direktor des Instituts für Zellphysiologie an der Cornell University; er ist Chemiker und war während des II. Weltkriegs am Luftfahrt­ministerium für die Ausrüstung von Flugzeugen verantwortlich. Er isolierte Zellen von dem eßbaren Teil gelber Rüben und ließ sie in einer sich langsam drehenden Röhre in einer Nährlösung schwimmen, die hauptsächlich aus Kokosmilch bestand. Er schrieb: »Wir waren nicht überrascht über die dramatischen Dinge, die sich in der Karottenzellkultur abspielten.«


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Das Gewebe wuchs schnell. In weniger als drei Wochen hatte das Gewicht um den Faktor achtzig zugenommen. »Es war, als ob die Kokosmilch die träge Zellmaschinerie zu einer größeren Wachstums­geschwindig­keit veranlaßte.« Nach einer Vielzahl von Experimenten mit anderen wachstumsstimulierenden Substanzen trat das Vorhaben in eine zweite Phase. Bis zu hundert von diesen Karotten­explantaten konnten in einem Gefäß kultiviert werden. Einige der Zellen sonderten sich von dem großen Zellhaufen ab und bildeten neue Zellinien. Andere nahmen riesige Dimensionen an, und wieder andere zeigten nach einigen Teilungszyklen faserförmige Strukturen oder sahen Hefezellen zum Verwechseln ähnlich. Schließlich lagerten sich einige Zellen aneinander, und — der eigentliche Höhepunkt der ganzen Geschichte — diese Zellklumpen trieben Wurzeln. Wenn man sie danach in ein festes Medium überführte, begannen grüne Blätter zu wachsen. Pflanzt man nun diese Keimlinge in den Boden ein und düngt entsprechend, so entwickeln sich normale Karottenpflanzen mit normalen Wurzeln, Stengeln, Blüten und Samen.

Bereits vor siebzig Jahren hat der österreichische Biologe G. Haberlandt davon geträumt, daß eine solche Form der pflanzlichen Reproduktion eines Tages möglich sein würde. Steward hat nun diesen Traum verwirklicht. Spätere Experimente haben gezeigt, daß nahezu jede der Zellen eines Karotten-Embryos im Frühstadium zu dieser Form der ungeschlechtlichen Vermehrung angeregt werden kann. Steward bewies, daß er auf einem Gelatine-Nährboden mehr als 100.000 Keime gewonnen hatte, indem die Zellsuspension eines einzigen Karottenembryos ausgesät wurde.

Nachdem Steward dieser Durchbruch gelungen war, führten andere Forscher ähnliche Experimente mit Tabakpflanzen durch. Nur eine geringfügig variierte Vorschrift mußte für diese neue Zellkultur ausgearbeitet werden. Es scheint, daß jede Pflanze spezielle Ansprüche bezüglich des Kulturmediums hat. Man nimmt an, daß es mit der Zeit möglich sein wird, einen ähnlichen Trick auf alle oder zumindest auf die meisten Pflanzen anzuwenden.

Die Gretchenfrage ist natürlich, ob das gleiche Verfahren auf tierische Zellen übertragbar ist. Die Biologen jedenfalls sehen keinen Hinderungsgrund, obgleich bis jetzt noch keine Methode existiert, die tierische Zellen veranlassen könnte, sich im Reagenzglas zu Embryonen zu entwickeln. Die Kultivierung von Zellen im Laboratorium ist zweifelsohne eine neue Methode. Erst vor etwa zwölf Jahren entdeckte man, daß sich aus einer Zelle eine ganze Gewebeschicht bilden kann. Normalerweise teilt sich aber eine einzelne Zelle nicht, wenn man sie in ein Nährmedium überführt. Daraus schloß Wilton Earl, daß eine Zelle Stoffe braucht, die von den übrigen in das Medium abgegeben werden.


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Diese von einer einzelnen Zelle ausgeschiedenen Substanzen diffundieren zu schnell weg und werden soweit verdünnt, daß sie diese Zelle nicht mehr beeinflussen können. Folgerichtig sperrte er eine einzige Zelle in ein ganz kleines Röhrchen, und auf einmal begann sich die Zelle zu teilen. Aber diese Zellkulturen zeigten keine Neigung, sich zu Organen oder anderen Strukturen zusammenzulagern. Die Bildung von Organen scheint von Einflüssen abzuhängen, die möglicherweise chemischer Natur sind und vom angrenzenden Gewebe ausgehen. Nierenzellen z.B. lagern sich nur in Gegenwart von Rückenmarkzellen zu Organellen wie den Tubuli zusammen. Von welcher Art diese Einflüsse sind, wird noch untersucht. Sicher werden einmal Organe auf diese Weise gezüchtet, aber die Brücke zwischen Zellkultur und Organkultur muß noch geschlagen werden.

Ich wäre mehr als optimistisch, wenn ich glauben würde, daß die Kultivierung tierischer Zellen bis hin zu ganzen Organen oder zu einem vollständigen Organismus ähnlich einfach wäre wie im Falle der Karotten.

Trotzdem waren diese Arbeiten für die Biologen von großem Wert. Die Tatsache, Gewebe im Laboratorium vorrätig zu haben, dessen Eigenschaften genau untersucht sind, ermöglicht die Prüfung verschiedener Wachstumsbeschleuniger, Inhibitoren, Hormone und anderer Substanzen, ohne das Experiment durch andere Organe zu beeinflussen, wie es bei Versuchen an Tieren oder Menschen unvermeidlich ist. Besonders wertvoll ist es ferner, daß man hier ein Gewebe hat, das von einer einzigen Zelle abstammt. Da alle Zellen genetisch einheitlich sind, werden die Experimente auch nicht durch Zellen mit unterschiedlichen genetischen Eigenschaften beeinflußt. Solche genetisch einheitlichen Zellhaufen nennt man »clone«, was aus dem Griechischen abgeleitet ist und soviel bedeutet wie Ansammlung. Die Methode von Steward wurde als »cloning«-Technik bezeichnet.

Die Möglichkeit, Menschen auf diese Weise herzustellen (cloning people), wurde von Lederberg mit Sorge vorausgesehen.

Gärtner erinnern sich an eine andere Art, Pflanzen ungeschlechtlich zu vermehren. Man steckt Teile von Pflanzen, sogenannte Ableger, in den Boden und läßt sie Wurzeln schlagen; auch hier tragen die Nachkommen die gleiche genetische Information wie die Elternpflanze. Die Möglichkeiten einer ungeschlechtlichen Vermehrung des Menschen in der Zellkultur wurde von der sensationshungrigen Presse als »Stecklingsvermehrung« bezeichnet, was zumindest eine irreführende Beschreibung ist. Wenn eine ungeschlechtliche Vermehrung des Menschen tatsächlich gelingen sollte, so ist es viel wahrscheinlicher, daß man es durch Inkubieren einiger Embryonalzellen erreicht, als daß man etwa ein Stück Haut abschält und erwartet, daß davon ausgehend ein Mensch nachwächst.


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Je höher differenziert eine Zelle bereits ist, um so unwahrscheinlicher ist es, sie auf ihren Ausgangspunkt, nämlich den einer undifferenzierten Zelle zurückzuführen. Von hier aus könnte sie durch erneute Differenzierung das ganze Spektrum der verschiedenen Zelltypen des Körpers wie etwa der Nervenzellen, Nierenzellen oder der Muskelzellen neu bilden. Wesentlich dabei ist die genetische Einheitlichkeit eines dieser »clones«. Für die Tierzucht wäre diese Form der Vermehrung von großem Wert; es wäre danach möglich, von einem besonders guten Bullen, einem wertvollen Schaf oder von jedem anderen Tier einen praktisch identischen Nachkommen herzustellen, und das in beliebiger Anzahl und in kürzester Zeit. Sicher würde man von dieser Möglichkeit sofort Gebrauch machen. 

Nur einen Nachteil hat die ganze Angelegenheit; wenn man Tiere auf diese Weise in großer Menge produziert, wird der natürliche Mechanismus der Evolution umgangen. Pflanzenzüchter wissen bereits, daß eine Kombination von geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Vermehrung nötig ist, um gute Züchtungsergebnisse zu erhalten. Man hofft durch die Kreuzung zweier Stämme einen »Superbastard« zu erhalten, obwohl die wissenschaftlichen Grundlagen für diese Dinge noch etwas im dunkeln liegen. Die Probleme beginnen jedoch erst, wenn man auf diese Weise Menschen herstellen will, da man die Fehlproduktion nicht einfach wegwerfen kann. Man hat deshalb die Erforschung dieser Dinge links liegen gelassen, was allerdings zur Folge hat, daß man hier keine exakten Prognosen aufstellen kann. Darauf bezieht sich auch Lederbergs oben zitierte Bemerkung.

Bevor wir jedoch auf diese mehr technischen Fragen eingehen, sollten wir erst die daraus resultierenden soziologischen und persönlichen Konflikte durchdiskutieren. Was wir in dieser Angelegenheit wagen dürfen, hängt nicht zuletzt davon ab, wieweit wir diese Probleme in unser Weltbild integrieren können. Manche Länder werden diese Art der Vermehrung ablehnen und verbieten. Aber wie auch bei anderen Entwicklungen auf dem Gebiet der Biologie, die in diesem Buch diskutiert werden, wäre es möglich, daß unsere Entscheidungsfreiheit stark eingeschränkt ist.

Diese Methoden, die dem Leser hier vor Augen geführt werden, werfen in hochbrisanter Form alle Fragen auf, die mit dem Problem der Eugenik im Zusammenhang stehen. Von wem soll die eine Zelle genommen werden, aus der hunderttausend Nachkommen hervorgehen? (Was würde die Gesellschaft zu den ersten Produkten solcher Experimente sagen?) Welche Art von Selbstverständnis würden die Mitglieder dieser neuen Kaste entwickeln?


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Würden sie sich als eine Elite betrachten, wo Heirat in einer Art Masseninzest nur unter ihresgleichen erlaubt ist? Wenn sie dagegen ihren Partner auch unter Menschen, die nicht durch »cloning« gezüchtet wurden, wählen dürfen, würde dann nicht ihr sorgfältig ausgewähltes Erbgut verwässert werden, obwohl man natürlich nicht ausschließen kann, daß auch auf diese Weise das allgemeine Niveau des Erbguts verbessert werden könnte? Die andere Möglichkeit wäre, daß sie außerhalb ihres »clone« überhaupt nicht heiraten dürfen. 

Menschen, die alle von einem solchen »clone« abstammen, hätten einen entscheidenden Vorteil. Wie bei eineiigen Zwillingen könnte man bei ihnen Gewebestücke und sogar ganze Organe von einem zum anderen übertragen. Abgesehen von der höheren Lebenserwartung wäre ein solcher Vorteil von ganz besonderer Bedeutung bei kleinen isolierten Gruppen, wie etwa bei Astronauten, deren Aufgabe mehrere Jahre dauern kann. Schließlich sollte man, solange die Antigenreaktionen bei Transplantationen nicht überwunden sind (ein Gegenstand, der in Kapitel 3 diskutiert wird), derartige Teams nach solchen Gesichtspunkten auswählen. Indessen sprechen noch andere Gründe für eine solche Auswahl.

Zur Zeit sind die einzigen genetisch identischen Gruppen, über die wir verfügen, Zwillinge, Drillinge und als Rarität schließlich Mehrlinge. Es gibt einige Hinweise, daß eineiige Zwillinge ein gewisses Einfühlungsvermögen in die gegenseitigen Probleme und Nöte besitzen — was man als eine Art Gedanken­übertragung bezeichnen kann. Es besteht kein Zweifel darüber, daß Zwillinge, die unter ganz verschiedenen Umständen aufwachsen, ein sehr ähnliches Leben führen, ähnliche Partner heiraten, die auch noch etwa gleichaltrig sind, und das, obwohl keine gegenseitigen Kommunikations­möglichkeiten bestanden. Es ist danach alles andere als sensationell anzunehmen, daß Mitglieder eines solchen »clone« ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln, das eine engere Zusammenarbeit ermöglicht, wenn sie sich nicht sogar durch Gedankenübertragung verständigen können.

Die Fähigkeit, in einem Team arbeiten zu können, ist besonders wichtig bei Sportarten wie etwa Bergsteigen, bei bestimmten Militäreinheiten — ich denke an Wachstreifen oder an eine Bomberbesatzung — und möglicher­weise auch bei Tiefseetauchern, etwa im Zusammenhang mit Forschungsaufgaben von Cousteau in Frankreich oder beim Unternehmen »Sealab« an der Kalifornischen Küste, da in diesen Fällen eine gegenseitige Verständigung ganz besonders schwierig ist. Eine Gruppe von Astronauten, die auf einem entfernten Planeten verstreut leben, ist ein weiteres Beispiel. Es wird ersichtlich, daß zahlreiche Interessierte (von der Weltraumbehörde bis zum Manager einer Eishockeymannschaft) diese Art der biologischen Forschung voranzutreiben wünschen.


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Professor J. Haldane, einer der brillantesten und erfolgreichsten Wissenschaftler unserer Zeit, gehörte zu jenen, die die Möglichkeit einer ungeschlechtlichen Vermehrung des Menschen schon frühzeitig ernsthaft diskutierten. Seiner Meinung nach werden wir irgendwann eine Methode entwickeln, um menschliche Zellkulturen zur Selbstorganisation zu veranlassen, wie es bei Pflanzen bereits gelungen ist; das könnte die menschliche Leistungs­fähigkeit auf dramatische Weise steigern. Haldane schlug vor, daß die meisten dieser Zellkulturen von Menschen stammen sollten, die mindestens 50 Jahre alt sind, ausgenommen Tänzer und Athleten, von denen bereits in jüngeren Jahren Zellkulturen angelegt werden könnten. Ausschlaggebend sei hierbei das soziale Wohlverhalten der einzelnen, das allerdings aus eigenem Verdienst und nicht aus purem Zufall resultieren müsse. Er meint weiter, daß die Züchtung von Menschen mit seltenen Fähigkeiten von ähnlichem Nutzen wäre, auch wenn ihr moralischer Wert zweifelhaft ist. Er denkt dabei an Menschen, deren Augen dauernd an die Dunkelheit adaptiert sind, die keine Schmerzempfindung kennen oder die, wie etwa die Yogis, den Organismus ihres Körpers unter beständiger Kontrolle haben.

Haldane machte ferner den interessanten Vorschlag, Hundertjährige, sofern sie noch einigermaßen gesund sind, zu »clonen«. Nicht daß Langlebigkeit unbedingt wünschenswert ist, doch um darüber Aufschluß zu gewinnen, sind Untersuchungen und Daten notwendig. Auffallend war für ihn, daß viele außergewöhnliche Persönlichkeiten eine unglückliche Kindheit hatten und daß manche an diesem frühkindlichen Erlebnis zerbrochen sind. Daher sei es vorteilhaft, daß sich große Genies ab dem 55. Lebensjahr der Erziehung ihrer aus der eigenen Zellkultur entstandenen Nachkommen widmen würden. Auf diese Weise könnte man ihnen am besten die Enttäuschung ihrer »Väter« ersparen.

Man wird vielleicht einwenden, daß Genies nicht notwendigerweise gute Erzieher sind oder daß ein gewisses Maß an Enttäuschung notwendig ist, um einen Menschen zum Genie reifen zu lassen. Eine weitere Tatsache sollte beachtet werden. Der französische Biologe Jean Rostand hat bereits zu bedenken gegeben, daß bei der identischen Vermehrung eines Menschen in hundert oder tausend Exemplaren auch asoziale Erbanlagen übertragen werden, die sich schließlich über unendlich viele Nachkommen ausbreiten.


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Lord Rothschild, langjähriger Physiologe in Cambridge und anerkannte Kapazität auf dem Gebiet der Struktur und Wirkungsweise männlicher Samen, gab seinen Lehrstuhl auf, um eine Tätigkeit bei einem der größten Chemiekonzeme der Welt anzunehmen. Berücksichtigt man seine frühere und jetzige Tätigkeit, so kann man ihn wohl kaum als sensationslüsternen Schwarmgeist bezeichnen. Er äußerte 1967 in Israel am <Weizmann Institute of Science> Wissen­schaftlern gegenüber, daß er die Züchtung von Menschen in Zellkulturen für eine Möglichkeit hält, die nicht mehr in ferner Zukunft liegt. Er sieht das Problem vielmehr darin, ob es jedermann erlaubt sein sollte, sich auf ungeschlechtliche Weise zu vermehren. Er rechnet daher mit der Gründung einer Kommission für genetische Kontrolle, die alle Vermehrungswünsche genau zu überprüfen hat. 

Man kann sich gut vorstellen, welche Manöver ein selbstsüchtiges Mitglied der Gesellschaft ausführen würde, um sich bis ins Unendliche zu vermehren: dreiundzwanzig Mozarts könnten wir gerade noch verkraften, dreiundzwanzig Hitlers oder Stalins sind schlicht unvorstellbar.

Die ersten Versuche von Steward sind geradezu von einer klassischen Einfachheit, die gleichzeitig das Umwälzende dieser Ergebnisse verdeutlichen. Aber in der Biologie muß nicht alles so einfach gehen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß die Vermehrung von Tieren in Zellkulturen wesentlich kompliziertere Methoden erfordert. Eine Ahnung von dem geben uns jedoch die Arbeiten von Dr. J. Gurdon von der Universität in Oxford. Gurdon gelang es mit Hilfe einer besonderen Technik, den Kern einer Darmzelle eines Frosches zu isolieren — der Kern mit den Chromosomen ist bekanntlich das Kontrollorgan einer Zelle —; er verpflanzte ihn in ein unbefruchtetes Froschei, dessen Zellkern zuvor mit einem winzigen Röntgenstrahl zerstört wurde. 

Würde sich dieses Ei mit dem Kuckuckskern weiter entwickeln? Er fand, daß sich solche Eier genauso entwickeln, als ob sie ganz normal befruchtet worden wären; in einigen Fällen erreichten sie sogar das Kaulquappen­stadium. Das Experiment bewies den entscheidenden Sachverhalt, daß die hochdifferenzierte (spezialisierte) Dannzelle immer noch die volle genetische Information enthält, die zur Entwicklung einer Kaulquappe nötig ist. Obgleich der größte Teil dieser Information »abgeschaltet« ist, da sie in der Darmzelle nicht benötigt wird, ist sie, wie das Experiment zeigt, nicht zerstört. 

Irgendwelche Körperzellen besitzen also wie die Geschlechtszellen (Samen- und Eizellen) die Fähigkeit, verschiedene Zellarten nachzubilden. Genetisch betrachtet, haben diese Geschöpfe nur einen Elter (Elternteil), nämlich den betreffenden Frosch, dem der Kern einer Darmzelle entnommen wurde, sei er nun männlich oder weiblich; die Nachkommen sind identisch mit dem Elter wie eineiige Zwillinge. Kaulquappen, die auf diese Weise hergestellt wurden, entwickeln sich zu Fröschen, die sich trotz ihrer ungewöhnlichen Entstehungsweise ganz normal weiter vermehren.


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Gurdons Technik läßt prinzipiell die Möglichkeit zu, eine exakte Kopie eines Preisbullen, eines berühmten Rennpferdes oder eines außergewöhnlichen Menschen herzustellen. Daß solche Versuche bis jetzt wenig erfolgreich waren, liegt nicht zuletzt daran, daß die Eizellen von Säugern fast unsichtbar klein sind, beim Menschen weniger als ein hundertstel Zentimeter im Durchmesser, was diese Zellchirurgie natürlich außerordentlich erschwert. Immerhin existieren auch hier bereits Methoden, um ähnlich kleine Strukturen zu verändern, und wie ein Kommentator richtig bemerkte, sind die wissenschaftlichen Probleme trivial im Vergleich zu den ethischen.

Eine genetisch einheitliche Population könnte man prinzipiell auch durch eine andere Methode erhalten, die den zuvor diskutierten sehr ähnlich ist, die aber den Vorteil hat, bereits in greifbarer Nähe zu sein: die Parthenogenese oder Jungferngeburt. Die Jungfernzeugung wurde bereits 1899 von dem französischen, später amerikanischen Biologen Jacques Loeb an Seeigeln ausgeführt. »Als ich die erste erfolgreiche künstliche Befruchtung eines Seeigels bekanntgab«, erinnert sich Loeb, »war man fast einstimmig der Überzeugung, daß ich das Opfer eines Irrtums sei, und anfangs hatte ich auch Angst, daß ich mich geirrt haben könnte.« 

Die damaligen wissenschaftlichen Zeitschriften äußerten sich sehr ironisch über diese Entdeckung — etwa die <Annales des Sciences Naturelles> unter dem Titel: <Bürger als Produkte der Chemie, die Söhne von Madame Seeigel und Monsieur Magnesiumchlorid>. Ebenfalls vor langer Zeit wiederholte ein anderer französischer Forscher, Eugene Bataillon, dieses Kunststück am Frosch, einem entwicklungsgeschichtlich wesentlich jüngeren Tier. Auch er traute seinen Augen kaum, als er seine erste vaterlose Kaulquappe beobachtete, die im Reagenzglas herumschwamm; ihn peinigte die Furcht, daß Froschspermien auf irgendeine Weise im verwendeten Leitungswasser gewesen sein könnten.

Diese Experimente zeigten, daß sogar ein einfacher mechanischer Reiz, wie das Anstechen mit einer Nadel, ausreicht, um eine Teilung der Eizelle auszulösen; nach wenigen Teilungszyklen wird diese Entwicklung jedoch gestoppt. Bei der Entstehung von Eizellen erhalten diese von der Mutterzelle nur einen halben Chromosomensatz, den eigentlichen Träger der genetischen Information. Dasselbe passiert, wenn die männlichen Samenzellen gebildet werden, so daß beim Zusammentreffen von Samen und Eizelle wieder ein normaler, doppelter Chromosomenstrang gebildet wird. Die Nachkommen haben auf diese Weise die genetische Information von beiden Elternteilen erhalten. Man erhält auf diese Weise ein Gemisch der elterlichen Merkmale, einige vom Vater, einige von der Mutter und wieder einige als eine Mischung von beiden.


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Eine unbefruchtete Eizelle dagegen hat nur die Hälfte des normalen Chromosomensatzes, und es ist durchaus möglich, daß das in komplexeren Organismen ausreicht, um die Entwicklung zu stoppen. Zellen in einer Gewebekultur dagegen haben dieses Handikap nicht, da sie von normalen Körperzellen und nicht von Geschlechtszellen abstammen. Weiterhin wird das Problem, wie man eine Zelle aus einem solchen »clone« bzw. eine isolierte Eizelle ernährt, durch eine erst kürzlich entwickelte Technik bald gelöst sein.

 

   1  Künstliche Eieinpflanzung   

 

Im Jahre 1962 sah die Welt etwas völlig Neues: ein Monstrum, das an die unheimlichen Gerüchte erinnerte, die im Mittelalter verbreitet wurden. Zwei South-African-Corper-Schafe brachten zwei gesunde Border-Leicester-Lämmer zur Welt. Darüber hinaus hat der Vater dieser Lämmer England nie verlassen. Dieses Ereignis würdigte das Journal of Reproduction and Fertility< unter dem nichtssagenden Titel: »Erfolgreicher Lufttransport von befruchteten Eizellen des Schafes über große Entfernungen«. Die in den Eileiter eines lebenden Kaninchens eingebetteten Eizellen wurden so unter physiologischen Bedingungen per Luftfracht nach Südafrika gebracht.

Es ist kaum zwölf Jahre her, daß L. Rowson und seine Mitarbeiter am <Agricultural Research Council Institute> in der Nähe von Cambridge damit begannen, die Übertragung von Eizellen von einem Tier auf das andere zu studieren. Diese Methode würde einen Weg aufzeigen, wie man von einem hochwertigen Mutterschaf mehr Nachkommen erhalten kann, als das unter normalen LJmständen möglich ist. Alle Tiere sind in der Lage, weit mehr Eier zu erzeugen, als sie je zu ihrer Fortpflanzung brauchen. 

Die Natur stellt auch dem Menschen einen gewaltigen Überschuß an unbefruchteten Eizellen zur Verfügung. Injiziert man FSH (Follikel stimulierendes Hormon), ein Hormon, das normalerweise die Abgabe eines Eies (Ovulation) aus den Eierstöcken (Ovarien) verursacht, einer Kuh, so werden in einem Zyklus vierzig oder mehr Eizellen freigesetzt (man nennt das eine »Superovulation«). Wenn sie nun rechtzeitig einem anderen Tier eingepflanzt werden, kann man von jedem preisgekrönten Tier eine riesige Nachkommenschaft erzeugen. Dieser Prozeß stellt also eine Umkehrung der künstlichen Besamung dar, die heute einen Preisbullen in die Lage versetzt, Vater von mehr als 50.000 Nachkommen pro Jahr zu sein. Das am Beispiel der Border-Leicester-Lämmer beschriebene Verfahren wird als künstliche Eieinpflanzung bezeichnet. Seit Rowsons erstem Experiment auf diesem Gebiet wurden Eizellen in die Vereinigten Staaten und in andere Länder geflogen, wobei sie sogar zwischen verschiedenen Stämmen übertragen wurden.


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Unter Rowsons Leitung brachte ein weißes Kaninchen schwarze Junge zur Welt, und bei einem späteren Experiment hatte eine Friesische Kuh ein Herford-Kalb. Das ganze Verfahren bereitet heute noch einige Schwierigkeiten. Bei der Kuh zum Beispiel ist es nicht einfach, die Follikel, in denen die einzelnen Eizellen eingebettet sind, zum Platzen zu bringen. Es kann sein, daß man ein genaues Verhältnis von zwei oder drei Hormonen einhalten muß, um die gewünschte Zahl von Eizellen zu bekommen. Ist nämlich die Eiausschüttung zu groß, so vermindert sich der Prozentsatz an befruchtungsfähigen Eiern.

Ganz am Anfang war es nötig, eine kleine, dem Kaiserschnitt ähnliche Operation durchzuführen, um die Eizellen zu entnehmen, und eine weitere Operation, um sie danach wieder zu implantieren. 1964 gelang jedoch japanischen Wissenschaftlern an der <Versuchsstation für industrielle Viehzucht> einem Institut unter der Leitung des japanischen Landwirtschaftsministeriums, die Übertragung eines befruchteten Eies ohne operativen Eingriff. Die Eizellen wurden der Spenderkuh entnommen, wobei eines davon mit einer Spezialspritze in den Uterus einer anderen Kuh injiziert wurde. Diese Spezialspritze hatte eine Doppelkanüle, wobei durch eine Kanüle Kohlendioxyd gepreßt wurde, um den Uterus etwas aufzublasen, während durch die zweite die Eizelle im richtigen Moment eingespritzt wird. Die künstliche Einpflanzung eröffnet aber noch andere Möglichkeiten als nur die einer Verbesserung der Nachkommenschaft. Sie ermöglicht beispielsweise Untersuchungen, warum es bei bestimmten Haustieren so oft zum Absterben der Frucht kommt, sowie über Möglichkeiten der Behandlung von Unfruchtbarkeit.

Eine wesentliche Voraussetzung für diese Methode ist, daß der Uterus der Empfängerkuh etwa im gleichen Stadium des monatlichen Zyklus ist wie der Uterus der Spenderkuh zur Zeit der Eientnahme. Die Gründe dafür sind noch nicht geklärt. Derartige Probleme kann man studieren, indem man Kunststoff-Eizellen in den Uterus oder den Eileiter implantiert, die radioaktiv markiert sind. Ihr Weg kann später durch die radioaktive Spur verfolgt werden.

Es gibt viele Formen der Unfruchtbarkeit bis hin zur völligen Unfähigkeit, Eizellen zu produzieren. Daneben findet man Frauen, die wohl einen ausreichenden Vorrat an Eizellen besitzen, aber deren Eileiter blockiert ist, wodurch die Eier nicht in den Uterus gelangen können. Hier könnte zum Beispiel eine künstliche Eieinpflanzung vorgenommen werden, vorausgesetzt, daß wenigstens ein Teil des Eileiters funktioniert, da die eigentliche Befruchtung normalerweise im Eileiter stattfindet. 


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Kombiniert man die künstliche Einpflanzung mit einer Befruchtung im Reagenzglas, so gilt auch diese Einschränkung nicht mehr. Professor Parkes meint im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang diskutierten Schwierigkeiten, daß all diese Probleme eines Tages gelöst sein werden und daß die Übertragung einer Eizelle mit den gewünschten Geschlechtsmerkmalen im Laufe der Zeit auch beim Menschen möglich sein wird. Heute steht einer solchen Übertragung durch einen erfahrenen Chirurgen nur die fehlende Bereitschaft einer mutigen Patientin im Wege. Das Risiko für die Patientin ist gering, und es gibt eigentlich kaum Gründe anzunehmen, daß ein so entstandenes Kind nicht völlig gesund und normal sein sollte, vor allem dann nicht, wenn das implantierte Ei von der Frau selbst entnommen wurde. Es scheint, als ob wir in Kürze mit einer Form der künstlichen Befruchtung, nämlich mit der künstlichen Eieinpflanzung, rechnen können, wobei die Eizellen der Frau entnommen werden, im Gegensatz zu der bekannten künstlichen Besamung, wo der Mann die Samenzellen liefert. Die kritischen Auseinandersetzungen, wie sie im Zusammenhang mit der ersten künstlichen Besamung beim Menschen auftraten, würden sich zweifellos in zunehmendem Maße mit der neuen Methode befassen.

 

   2  Samen und Eier auf Vorrat   

 

Die Vielseitigkeit der neuen Techniken wie künstliche Eieinpflanzung und Besamung sowie die Befruchtung im Reagenzglas hängen offensichtlich weitgehend davon ab, wie lange Eizellen und Samen ohne Schaden gelagert werden können. Viele Leute glauben, daß dabei nichts anderes zu tun sei, als ein Reagenzglas mit den Geschlechtszellen in die Tiefkühltruhe zu stellen. Die Probleme in diesem Zusammenhang sind aber alles andere als simpel. Frühere Versuche, Samenzellen zu speichern, schlugen fehl, bis Wissenschaftler vom <National Institute of Medical Research> in England herausfanden, daß die Samen intakt bleiben, wenn man sie in Glycerin aufbewahrt. Ebenso muß eine bestimmte Abkühlungsgeschwindigkeit genau eingehalten werden. Während die Samen von Bullen diese Prozedur ohne Schaden überstehen, erwiesen sich die von anderen Haustieren als wesentlich empfindlicher.

Nachdem man bereits einige Millionen Milchkühe mit tiefgekühltem Samen erfolgreich befruchtet hatte, ohne daß eine Zunahme von abnormen Nachkommen beobachtet werden konnte, begannen sich auch die Physiologen ernsthaft mit der Lagerung von menschlichen Samenzellen zu befassen. Eine unmittelbare Anwendung dieser Technik könnte sein, die Samen von unfruchtbaren Männern, die nur eine geringe Menge an aktiven Spermatozoen bilden, zu sammeln, um nach einer Konzentrierung dieser Flüssigkeit eine Befruchtung zu erreichen.


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Nicht ganz so unproblematisch ist das Interesse der Eugeniker (Humangenetiker) für diese neue Technik: Der Samen von außergewöhnlichen Männern könnte gespeichert und dann an eine große Anzahl Frauen verteilt werden, um so zu versuchen, die Eigenschaften des Erbguts einer Rasse zu verbessern. (Die Vor- und Nachteile eines solchen Projekts werden später diskutiert.)

Bis vor einigen Jahren wurden keine ernsthaften Versuche unternommen, die Möglichkeiten zur Lagerung menschlicher Samen zu erforschen. Professor Parkes meinte, daß Untersuchungen über die Speicherfähigkeit von männlichen Samen nicht mit dem Nachdruck verfolgt würden, wie es von der Sache her eigentlich gerechtfertigt wäre. Das scheint mit der mangelnden Begeisterung für eine Form der Zeugung zusammenzuhängen, bei der nicht der männliche und der weibliche Geschlechtspartner gleichzeitig beteiligt sind. Mit anderen Worten, den Leuten geht nichts über das Bett.

Die beiden Mediziner Dr. Keetel und Dr. Sawada scheinen die ersten gewesen zu sein, die tiefgefrorene Samenzellen in der Klinik einsetzten; sie berichten von mehr als zwei Dutzend Kindern, die auf diese Weise gezeugt wurden. Kurz darauf führte ein Arzt in Philadelphia eine ähnliche Behandlung durch; er verwandte Sperma, das zwei Jahre lang gespeichert war, um damit bei einigen Frauen eine Befruchtung vorzunehmen, deren Männer impotent waren. Von diesen Ergebnissen wurde nur wenig veröffentlicht, aber ich habe erfahren, daß keines der Kinder, die nun drei Jahre alt sind, irgendeinen Defekt zeigt, der damit im Zusammenhang steht. 

Genaueres darüber konnte man kürzlich vom Direktor des <Center for Research in Reproductive Biology> an der Michigan-University erfahren. 1968 berichtete er vor der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie, daß 18 von 44 Frauen, die für 18 Monate tiefgefrorenen Samen erhalten hatten, schwanger wurden. Bei keinem der Kinder konnte, wie regelmäßige Untersuchungen ergaben, Schädigungen festgestellt werden, die sich auf die verwendeten Samenzellen zurückführen ließen. Dr. S. J. Behrmann faßte dieses Ergebnis triumphierend zusammen: »Bis jetzt haben wir nur männliche Geschlechtszellen tiefgefroren, wir konnten das Leben darin bis zu zweieinhalb Jahre erhalten und damit auch Schwangerschaften erzeugen. Es gibt gute Gründe zu der Annahme, daß man diese Lagerzeit noch wesentlich verlängern kann.« Er hätte hinzufügen können, daß Bullensamen bereits länger als zwei Jahre gelagert wurden, ohne daß man irgendwelche genetischen Schäden feststellte, außer vielleicht einem Nachlassen der Vitalität.


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Ein weiterer, kaum erwähnter Grund macht es sehr wahrscheinlich, daß diese Experimente fortgesetzt und ausgedehnt werden. Bei einem Atomkrieg besteht die Gefahr, daß die Geschlechtszellen vieler Menschen, vermutlich vorwiegend der männlichen Bevölkerung, durch radioaktive Strahlung genetische Schäden erhalten, die an viele Generationen weitervererbt werden. Unter solch unerwarteten Umständen könnte die Regierung alle Frauen zu einer Schwangerschafts­unterbrechung drängen oder sogar zwingen, es sei denn, die Befruchtung erfolgte mit Sperma, das unter einer Bleiabschirmung tief in einem Bergwerk oder an einem anderen Ort, wo keine radioaktive Strahlung durchdringt, aufbewahrt wurde. Wahrscheinlich fassen die Regierungen solche Vorsichtsmaßnahmen schon ins Auge, und es könnte beim Ausbruch eines künftigen Krieges im ganzen Land Aufrufe für Spermaspenden geben wie heute für Blutspenden — wenn die Zeit dafür ausreicht. 

Natürlich wäre es ebenso wünschenswert, unbeschädigte Eizellen zu speichern, aber zur Zeit scheint es keine erfolgreiche Technik für eine längere Lagerung zu geben. Die Eier, die L. E. Rowson nach Südafrika verschickte, überlebten bis zu acht Tage im Eileiter eines Kaninchens. Durch Temperaturerniedrigung auf 8-10°C konnten Eizellen von Schafen 72 Stunden ohne Schaden aufbewahrt werden. Friert man diese Zellen jedoch ein, so werden sie zerstört, so daß wir momentan von einer Lösung dieses Problems noch ziemlich weit entfernt zu sein scheinen. 

Es gibt jedoch eine Alternativlösung. Ganze Ovarien können in Gewebekulturen gezüchtet werden. 1966 berichtete Dr. Theodore Fainstat vom >Strangeways Laboratory< in der Nähe von Cambridge, daß man Ovarien von Säugern mehrere Wochen lang lagern kann, wenn man das Sauerstoffangebot erniedrigt. Wie hoch dieses Sauerstoffangebot sein muß, scheint davon abzuhängen, in welchem Entwicklungszustand die Ovarien dem Körper entnommen wurden. Inzwischen haben sich andere Forscher bemüht, einzelne Ovarialzellen in einem Nährmedium weiterzuzüchten, und zwar besonders jene Zellen, aus denen eventuell die Eizellen entstehen. Bis jetzt allerdings konnte man sie nur zur Synthese von Progesteron bewegen. Der Plan, eine >Eibank< einzurichten, muß trotzdem ernsthaft in Erwägung gezogen werden. 

 

   3  Babies aus der Retorte   

 

Seitdem man sowohl Ei- als auch Samenzellen isolieren kann, scheint es einfach zu sein, sie in einem Reagenzglas zu vereinigen, um den Befruchtungs­vorgang zu vollziehen; das sind dann die sogenannten Babies aus der Retorte, die uns in der Boulevardpresse immer wieder verfolgen.


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(Diese Bezeichnung wurde vor allem verwendet, als von den ersten künstlichen Besamungen berichtet wurde, obwohl bei dieser Prozedur überhaupt keine Retorten gebraucht wurden. Man kann nur gespannt sein, wie diese Journalisten einmal die richtigen »Babies aus der Retorte« bezeichnen werden.)

Tatsächlich scheint das wirklich eine schwierige Angelegenheit zu werden, obgleich der Physiologe Dr. R. Edwards aus Cambridge gelegentlich Erfolge verzeichnen konnte (er benützt Schweine als Versuchstiere), und es könnte sein, daß er vor einem echten Durchbruch steht. Edwards meint, es sei möglich, daß wir bereits in Kürze menschliche Embryonen herstellen können, die auf diese Weise durch fortgesetzte Teilung entstanden sind. Dabei existieren zwei Hauptschwierigkeiten. Erstens müssen die Eier noch einen Entwicklungsprozeß durchmachen, bevor sie überhaupt befruchtet werden können. Alle Eier, die vom Eierstock freigesetzt werden — und darüber hinaus etwa eine halbe Million weiterer —, sind bereits zur Zeit der Geburt vorhanden. 

Aber sie liegen noch nicht in einer voll entwickelten Form vor; diese potentiellen Eier nennt man Öocyten oder Eizellen. Sie müssen sich mindestens noch zweimal teilen, wovon die erste Teilung, Meiose genannt, besonders wichtig ist; hier wird das genetische Material der Eizelle halbiert. (Auch bei der Samenzelle wird das genetische Material halbiert, so daß bei der Befruchtung die ursprüngliche Menge wiederhergestellt ist.) Es finden noch zwei weitere Teilungsschritte statt, wobei drei der so entstandenen Zellen absterben; nur eine der Zellen entwickelt sich also zum Ei. Die Gründe dafür kennen wir nicht.

Der zweite Schritt passiert erst nach der Pubertät, wenn die als Gonadotropine bezeichneten Hormone in die Blutbahn abgegeben werden, und zwar In einem monatlichen Rhythmus, der der Abgabe eines Eies in den Eileiter folgt. (Warum dabei nicht alle Eizellen gleichzeitig zur Ovulation angeregt werden, ist ebenfalls unbekannt.)

Edwards gelang es, Eizellen sowohl vom Schwein als auch vom Menschen über dieses zweite Stadium hinüberzuretten. Aber es gibt noch eine weitere Schwierigkeit. Auch die Spermatozoen unterliegen eigenartigen Veränderungen, bevor sie wirksam werden können. Man hat das als Reifung bezeichnet, da die Samenzelle erst im reifen Zustand zur Befruchtung fähig ist. Die tieferen Gründe dafür kennen wir nicht. Man nimmt an, daß irgendwelche weiblichen Ausscheidungsprodukte diesen Prozeß auslösen. Edwards hoffte, reifes Sperma zur Befruchtung in vitro zu erhalten, indem er es 10 Stunden nach dem Koitus zurückgewann, aber auch diese Manipulation führte nicht zum Erfolg. 


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Um eine physiologischere Umgebung als das Reagenzglas zu schaffen, packte er Ei und Samen in den Eileiter eines Kaninchens, ohne Erfolg, obwohl man in wenigen Fällen feststellen konnte, daß der Samen in das Ei eingedrungen war. Ein amerikanisches Team indessen glaubt, den Stoff gefunden zu haben, der für die Reifung von Kaninchensamen verantwortlich ist (es handelt sich um ein Enzym, genannt Betaamylase). Wenn diese Beobachtungen zutreffen, so ist eine Befruchtung im Reagenzglas in erreichbare Nähe gerückt. Das soll nicht heißen, daß man mit dieser Methode auch die weitere Entwicklung im Reagenzglas aufrechterhalten kann, aber es eröffnet sich damit die Möglichkeit, ein befrachtetes Ei mit der bereits beschriebenen Technik im Uterus einzupflanzen. 

Eine unmittelbare Anwendung dieser Methode wäre, daß man Ehepaaren bei bestimmten Formen der Unfruchtbarkeit helfen könnte. Unfruchtbarkeit hat bekanntlich verschiedene Ursachen. Im Extremfall ist weder die Frau noch der Mann in der Lage, funktionsfähige Ei- bzw. Samenzellen zu bilden. Diese Fälle sind jedoch außerordentlich selten. Als Beispiel dazu folgender Fall: der Mann produziert nur eine geringe Anzahl vitaler Samen, die noch mit inaktiven Zellen vermischt sind. In diesem Falle könnte man ein Ei, das man der Frau vorher entnommen hat, so lange mit den durch inaktive Formen verdünnten Samen aussetzen, bis eine Befruchtung stattgefunden hat. Danach würde man das befruchtete Ei wieder in den Uterus einpflanzen. Es kommt auch vor, daß Frauen Antikörper gegen Samenzellen bilden oder zumindest gegen gewisse Arten von Sperma. Durch eine Befruchtung im Reagenzglas (unter Wissenschaftlern ist hier der Begriff in vitro üblich, d.h., der Vorgang spielt sich in irgendwelchen Glasgefäßen ab, im Gegensatz zu Reaktionen im lebenden Organismus, die als in vivo bezeichnet werden) und einer nachfolgenden Zurückverpflanzung könnte auch dieses Hindernis ohne Schwierigkeiten umgangen und eine Schwangerschaft eingeleitet werden.

Weiter kann man sich vorstellen, daß Frauen, die völlig unfruchtbar sind, trotzdem durch die Implantation eines befruchteten Eies, das von einer anderen Frau stammt, Kinder bekommen. Diese Möglichkeit bezeichnet man als pränatale Adoption (Adoption vor der Geburt). Es ist möglich, daß sich zwischen Mutter und Kind ein engeres Verhältnis entwickelt, wenn die Mutter Entwicklung und Geburt des Kindes erlebt, als wenn sie ein mehrere Monate altes Baby adoptiert. Neben diesem rein psychologischen Aspekt gibt es auch noch überzeugende physiologische Gründe für eine derartige Prozedur. Man hat zum Beispiel festgestellt, daß Schafe in den ersten Lebensjahren ganz wesentlich vom Geruch des Muttertieres abhängig sind. Ein Lamm, dessen Mutter gestorben ist, nimmt die Milch von einem anderen Schaf erst dann an, wenn man das Fell mit dem des toten Muttertieres berührt. 


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Ein pränatal adoptiertes Kind würde in den Kreislauf der zweiten Mutter einbezogen, und diese Verbindung hätte ihre Entsprechung in gewissen biochemischen Merkmalen. Wie ein späteres Kapitel zeigt, würde diese Technik auch die Wahl des Geschlechts bei einem auf diese Weise empfangenen Kind erleichtern.

 

   4  Babyfabriken?   

 

Bei der Diskussion einer Empfängnis jm Reagenzglas gelangt man zwangsläufig zur Frage, ob es eines Tages möglich sein wird, die ganze Entwicklung des Fetusses in einer künstlichen Umgebung zu erreichen, was schließlich zu einer Art Babyfabrik führen würde, wie sie sich Aldous Huxley bereits vor fünfund­dreißig Jahren vorstellte.

Die frühen Stadien scheinen keine unüberwindlichen Hindernisse zu bereiten. Dr. D. New am <Strangeways Laboratory> gelang es, Mäuseembryos bis zu einem Stadium, wo das Herz zu schlagen beginnt, unter Laboratoriumsbedingungen zu halten. Zu dieser Zeit haben bereits die wichtigsten Organe angefangen sich zu bilden. Bis zu einem gewissen Ausmaß sind Wirbelsäule, Rückenmark, Ohren, Augen, Darm, Nieren, Gliedmaßen, Kopf und Schwanz ausgeprägt. Dr. News' Methode besteht darin, den etwa zwei Millimeter langen Embryo zusammen mit Dottersack und Plazenta herauszuschneiden, um ihn dann in ein Medium von Blutplasma und etwas Nährlösung zu überführen. 

In diesem Stadium, wo bereits das Herz rudimentär angelegt ist, findet man weder Hirn noch Rückenmark. Doch ist schon eine Gewebefalte zu erkennen, die einmal diese Strukturen ausbilden soll. Während der zwei Tage, in denen sie am Leben erhalten werden können, wachsen die Embryos um das Vierfache, dann sterben sie ab.

Das hängt möglicherweise allein damit zusammen, daß sich Nahrungszufuhr und Abtransport von Stoffwechselprodukten nur auf dem Diffusionsweg vollziehen. Was sie offenbar brauchen, um sich weiterzuentwickeln, ist eine Plazenta, die sie mit dem mütterlichen Blutkreislauf verbindet. Mehrere Teams in den USA, in Großbritannien und anderen Ländern arbeiten an der Entwicklung einer solchen künstlichen Plazenta. 

Das unmittelbare Ziel dieser Forschungsrichtung ist es allerdings, einen Weg zu finden, um Frühgeburten retten zu können, die vor allem wegen der Atmungsschwierigkeiten und dem damit verbundenen Sauerstoffmangel zugrunde gehen. Im >King's College Hospital< in London konnte ein menschlicher Fetus, der in der 26. Woche der Schwangerschaft geboren wurde, immerhin fünf Stunden in einer künstlichen Plazenta am Leben gehalten werden. Im Prinzip funktioniert sie ähnlich wie die bekannte Herz-Lungen-Maschine. 

* (d-2015:)  A.Huxley bei detopia 


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Die Nabelschnur des Fetusses mündet in einen gewundenen Zelluloseschlauch, der in eine mit Sauerstoff gesättigten Lösung eintaucht. Ist die Zusammen­setzung des fetalen Blutes nicht normal, liegt etwa der Zuckerspiegel zu niedrig, so kann das gleichzeitig korrigiert werden. Es scheint so, als ob die Zeit zwischen dem Fetalstadium und dem des ausgewachsenen Kindes die größten Schwierigkeiten bereiten würde. Im <Department of Experimental Medicine> in Cambridge hat eine Arbeitsgruppe eine künstliche Plazenta entwickelt, mit deren Hilfe Schweineembryos einige Zeit überlebten. 

Fünf Jahre Entwicklungsarbeit hatten die Forscher zu leisten, ehe sie den Mechanismus des Gasaustausches zwischen dem Fetus und der Umgebung begriffen hatten. Um die Austauschvorgänge zwischen der festen und der flüssigen Phase zu verstehen, werden sie nach eigener Aussage mindestens doppelt so lange brauchen. Wahrscheinlich werden Hormone und andere Substanzen von der Mutter durch die Plazenta auf den Fetus übertragen, aber über diese Dinge ist nur wenig bekannt. Russische Forscher scheinen hier große Fortschritte gemacht zu haben. Man weiß, daß Professor P. Anochin von der Akademie der Medizinischen Wissenschaft mehrere Jahre auf diesem Gebiet gearbeitet hat. Einzelheiten darüber wurden allerdings nicht veröffentlicht.

Außerordentlich groß sind die Schwierigkeiten bei der Übertragung des Fetusses auf die künstliche Plazenta. Ein rein technisches Problem ist es beispielsweise, die winzigen, labilen Venen und Arterien des Fetusses mit Plastikschläuchen zu verbinden. Darüber hinaus sind die Blutzellen sehr schwach und scheinen den Kontakt mit dem künstlichen Material nur schlecht zu vertragen.

Sicher wird man sich noch längere Zeit damit begnügen müssen, Fetusse aus immer früheren Entwicklungsstadien in dieser künstlichen Umgebung aufwachsen zu lassen, bevor dieses Problem endgültig gelöst ist.

Schenkt man dem <New Scientist> Glauben, so ist die Entwicklung einer perfekten, künstlichen Plazenta nur eine Frage der Zeit. Wenn es so weit ist, wird eine Abtreibung aus medizinischer Indikation, die ausgeführt wird, wenn für Leben und Gesundheit der Mutter Gefahr besteht, weniger dramatisch sein, da sie die Weiterentwicklung ihres sechs Wochen alten Fetusses einer Maschine überlassen kann. Problematisch wird die Sache, wenn es sich um eine unerwünschte Konzeption handelt und der Fetus nur mit Hilfe der Maschine lebensfähig ist. 

In Huxleys Vision von der künftigen Gesellschaft wäre das keine Frage. Hier hat das große Wort Mutter etwas Beleidigendes, um nicht zu sagen Komisches an sich. Es wird kaum mehr benutzt, da es an die barbarische Zeit erinnerte, wo Menschen wahllos gezeugt und dann in Schmerz und Blut geboren wurden, nachdem es auch noch den Leib der Mutter neun Monate lang beschwert hatte.


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Statt dessen schleust eine Transferstraße den Embryo von der Befruchtung bis zur Auslieferung durch eine vollautomatische Babyfabrik, die einen täglichen Ausstoß von Tausenden von Kindern hat. Aber wie die bereits oben zitierte Zeitung bemerkte, kann hier von Hirngespinsten keine Rede mehr sein. Die <Schöne Neue Welt> rückt unaufhaltsam näher, und es wird höchste Zeit, daß wir uns klarmachen, was damit auf uns zukommt.

 

   5  Sohn oder Tochter nach Wunsch   

 

Es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis die Eltern das Geschlecht des von ihnen gezeugten Kindes vorher bestimmen können. Zweifellos wird es auch dann noch Leute geben, die die Natur (oder den Zufall) für sich entscheiden lassen möchten. Einige hätten aber sicherlich das Bedürfnis, nach mehreren Kindern des gleichen Geschlechts nun auch eine Abwechslung in der Familie vertreten zu haben. Professor Jacob Bronowski meinte, nachdem ihm vier Töchter, aber kein einziger Sohn geboren wurden, daß er sicherlich von einem Präparat Gebrauch gemacht hätte, um nicht noch eine Tochter zu bekommen.

Wenn für ein solches Präparat eine ähnliche Nachfrage bestünde wie für Antibabypillen und wenn für die Erfinder ein entsprechender Profit zu erzielen wäre, dann wäre dieses relativ einfache Problem sicherlich schon gelöst. Samenzellen mit dem Merkmal männlich oder weiblich unterscheiden sich nämlich geringfügig, aber signifikant, und es müßte prinzipiell möglich sein, diese Unterschiede für eine Trennung auszunützen. Russische Wissenschaftler beschäftigten sich bereits mit diesem Problem. 

Sie versuchten Kaninchensperma in der Elektrophorese aufzutrennen, da sie annahmen, daß die beiden Formen unterschiedliche elektrische Ladungsmengen tragen würden. Ihre Erfolge waren aber nicht sehr überzeugend. Versuche, dieses Experiment in anderen Laboratorien nachzuarbeiten, schlugen ebenfalls fehl. In Schweden bemühte sich Lindahl, Unterschiede in der Masse von Samenzellen des Bullen (Sperma) zu einer Auftrennung in der Ultrazentrifuge auszunützen. Er erreichte damit immerhin, daß elfmal hintereinander Bullenkälber geboren wurden. Es wäre wichtig, diese Versuche in größerem Maßstab zu wiederholen.

Das Bedürfnis, das Geschlecht vorherzubestimmen, kommt aus der Tierzucht, wo man sich vor allem weibliche Tiere wünscht, die dann wiederum durch die künstliche Besamung befruchtet werden können.


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Würde man auf diesem Forschungszweig echte Fortschritte erzielen, so erhebt sich für eine Gesellschaft die Frage, ob sich das normale Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern verschieben würde. Durch einen eleganten Mechanismus gewährleistet die Natur, daß etwa gleichviel Männer und Frauen, wenn auch nicht zur Zeit ihrer Geburt, so doch wenigstens im geschlechtsreifen Alter vorhanden sind. Da in den ersten Monaten Knaben weniger lebenstüchtig sind als Mädchen, werden etwas mehr Knaben geboren. Es ist klar, daß in jeder monogamen Gesellschaft ein größerer Überschuß an Männern oder Frauen zu ernsten Problemen führen muß. Die Geschichte zeigt uns auch, daß immer dann die Vielweiberei erlaubt war, wenn die Zahl der Frauen größer war als die der Männer.

Es scheint so, als ob in der westlichen Gesellschaft die Tendenz vorherrscht, sich Söhne zu wünschen. Ich meine aber, sie ist nicht so ausgeprägt, als daß man ihr nicht mit Vernunft und etwas Propaganda begegnen könnte. Die größte Gefahr wäre vielleicht, daß sich die Bevölkerung zu stark beeinflussen ließe, so daß erneute Korrekturen nötig wären. Je länger man braucht, um die Tendenz in eine der beiden Richtungen abzuschätzen, um so größer werden die Amplituden zwischen Frauen- bzw. Männerüberschuß sein. Die Soziologen werden deshalb bessere Methoden entwickeln müssen, um Änderungen im Verhalten der Gesellschaft festzustellen und vorauszusagen. 

Dazu ist es vielleicht nicht einmal nötig, Spermatozoen aufzutrennen, da man bereits heute in der Lage ist, das Geschlecht während der Schwangerschaft zu verändern, wie das folgende Experiment zeigt. Dr. F. Neumann und Dr. M. Kramer von den Schering-Werken in Berlin injizierten trächtigen Ratten zwischen der dreizehnten und der zweiundzwanzigsten Woche nach der Befruchtung eine Substanz, die unter dem Namen Cyproteronacetat bekannt ist. Die männlichen Nachkommen dieser Ratten kamen mit einer Vagina zur Welt. Bald nach der Geburt wurden sie kastriert und ihnen Ovarien implantiert. Spätere Untersuchungen zeigten, daß diese implantierten Ovarien nicht nur in der üblichen Weise Eier produzieren, sondern auch die Sexualhormone in den gewohnten Zyklen in die Blutbahn abgeben. Diese Ratten fühlen sich wie Weibchen und wurden von ihren männlichen Artgenossen auch als solche behandelt. Ähnliche Ergebnisse erhielt man, als Männchen nach der Geburt mit Cyproteronacetat behandelt wurden.

Es scheint heute sicher zu sein, daß Embryos am Anfang immer weiblich sind. Die Entwicklung zum männlichen Geschlecht setzt ein, wenn das männliche Sexualhormon Testosteron aufgrund der Instruktionen des männlichen Chromosoms synthetisiert wird. Cyproteronacetat neutralisiert diesen Effekt des Testosterons. Aus diesen Versuchen kann man schließen, daß die Umwandlung von Knaben in Mädchen leichter ist als umgekehrt. 


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Das könnte durchaus von Vorteil sein, da nach soziologischen Untersuchungen sowieso die Tendenz einer Verschiebung des Gleichgewichts zugunsten der Männer besteht. Zur Zeit werden mehr Knaben als Mädchen geboren, aber dieser Trend wurde bisher immer durch die größere Sterblichkeit in früher Kindheit ausgeglichen, so daß sich das Verhältnis der Geschlechter bis zur Geschlechtsreife wieder ausgeglichen hatte. Durch den Fortschritt in der Medizin wurde auch die größere Sterblichkeit der Knaben reduziert; der daraus resultierende Männerüberschuß wird durch die Frühheiraten noch verstärkt. 

Am <Agricultural Research Council's Unit of Animal Physiology> verfolgte der indische Wissenschaftler Dr. Bhattacharya eine Beobachtung, nach der die Bauern in seiner Heimat ihre Kühe erst nach Sonnenuntergang zur künstlichen Befruchtung brachten, wobei sie behaupteten, auf diese Weise mehr Bullenkälber zu erhalten. Bhattacharya nahm an, daß von den beiden Spermasorten die etwas schwereren Samen mit dem Merkmal weiblich schneller auf den Boden des Vorratsbehälters absinken würden als die mit dem Merkmal männlich. Seine davon abgeleiteten Sedimentationsexperimente zeigten jedoch wie auch in Deutschland keine eindeutigen Ergebnisse. 

Das Problem ist allerdings nicht unlösbar, da auf jeden Fall ein Unterschied zwischen den beiden Sorten von Samenzellen besteht, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand einen Ansatzpunkt für die Lösung dieses Problems findet. 

Was die ganze Sache etwas vereinfacht, ist die bereits beschriebene Methode der In-vitro-Befruchtung von Dr. Edwards. Dieses Verfahren macht es unnötig, größere Mengen Sperma nach der männlichen oder weiblichen Spezies zu sortieren, wie es für die künstliche Besamung nötig wäre; bei der Reagenzglas-Methode kommt man mit sehr kleinen Mengen aus, denn wenn die Befruchtung nicht sofort eintritt, überläßt man das Gemisch so lange wie nötig sich selbst. Sollte eine Trennung tatsächlich nicht gelingen, so wäre es mit Hilfe der In-vitro-Befruchtung möglich, eine Anzahl von befruchteten Eizellen bis zu einem Stadium wachsen zu lassen, wo das Geschlecht der Keime unterscheidbar ist. Die mit dem unerwünschten Geschlecht verwirft man, während die Embryos mit dem gewünschten Geschlecht implantiert werden. Ähnlich wie bei einem Wurf von jungen Katzen kann man die Männchen aufziehen, während die Weibchen ersäuft werden und umgekehrt, nur passiert das lange vor der Geburt. Farmer wären über eine solche Möglichkeit sicher sehr erfreut, meint Dr. Richard Keynes, der Direktor des <Institute of Animal Physiology>.


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Die Anwendung eines solchen Verfahrens auf Menschen wirft natürlich in zugespitzter Weise die Frage nach der Unantastbarkeit menschlichen Lebens auf. Dem unkritischen Betrachter scheint nichts verloren gegangen zu sein: jemand wünscht Fortpflanzung und erlangt sie. Unter anderer Perspektive handelt es sich um das Opfer von Tausenden, ja Millionen potentieller Organismen. Man kann nicht behaupten, daß dies gegen das »Naturgesetz« verstoße, denn es ist ja exakt diese Methode, die die Natur selber anwendet. Vier von fünf in freier Natur ausgebrüteten Vögeln sind schon nach einem halben Jahr tot. Die Natur sorgt für einen enormen Überfluß von Leben, um das Risiko der Fehlschläge und Verluste auszugleichen. Wenn die Wissenschaft nun das Verlustrisiko eliminiert, wird der Überfluß zum Stein des Anstoßes.

Professor A. Parkes ist außerdem der Ansicht, daß man von Empfängnis überhaupt erst sprechen kann, wenn das Ei in der Uterusschleimhaut eingebettet ist, da.dieser Schritt für die weitere Entwicklung wesentlich ist. Wenn man diese Meinung akzeptiert, dann ist von der ganzen Problematik wenig übriggeblieben.

Man könnte einwenden, daß der Wunsch, das Geschlecht des Kindes vorherzubestimmen, etwas Unnatürliches sei, aber ich gebe zu bedenken, daß es auch zwingende Gründe dafür geben kann. Bestimmte Formen von Erbkrankheiten könnten auf diese Weise für immer ausgerottet werden. Dazu gehört etwa die Hämophilie (Blutkrankheit). Man hätte hier auf jeden Fall Erfolg, da es sich um eine geschlechtsgebundene Krankheit handelt, d.h., der für das Geschlecht verantwortliche Faktor (Gen) wird zusammen mit dem für die Krankheit verantwortlichen vererbt. So besitzt zwar die Frau das defekte Hämophilie-Gen, die Krankheit selbst wirkt sich jedoch nur beim Mann aus — der Sohn des letzten Zaren war davon befallen, seine Schwestern nicht. Wenn sich diese Frauen auf männliche Nachkommen beschränken könnten, so wäre diese Krankheit innerhalb einer Generation ausgerottet. 

Wir werden auf diesen Punkt im nächsten Kapitel noch einmal zurückkommen. In einem Kommentar dazu schrieb der <New Scientist>: 

»Das alles ist bestes wissenschaftliches Kalkül. Gleichzeitig wird klar, warum die Bedeutung des Physikers im Vergleich zum Biologen abnimmt, denn vom Biologen kommt heute die Art von Wissen, die unsere Lebensbedingungen auf dieser Erde bestimmen werden. Allerdings berücksichtigt Dr. Edwards' Plan nicht die Überschußembryos, die als lebensunwürdig aussortiert wurden. Würde man sie einfach am Abend von der Reinemachefrau mit beseitigen lassen? Schließlich stellt sich noch die Frage, wer aus dem Überfluß der Embryos die besten aussuchen soll, die überleben und sich entwickeln dürfen? Wer kann alle Umstände berücksichtigen, die für die richtige Auswahl notwendig sind? Das bleibt auch dann problematisch, wenn diese Auswahl nach völlig neuen Wertmaßstäben geschieht, die von der Gesellschaft akzeptiert wurden, denn wer ist in der Lage zu sagen, wie viele Mädchen und wie viele Knaben wir haben sollten.«


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   6   Bedeutung der Hormone   

 

Viele dieser neuen Möglichkeiten sowie andere, die ich noch beschreiben will, sind das Ergebnis eines besseren Verständnisses des Befruchtungs­vorgangs. Obgleich der holländische Tuchhändler van Leeuwenhoek (1632-1723) menschliche Samenzellen bereits vor einigen hundert Jahren unter seinem primitiven Mikroskop beobachtet hatte, wurde ihre Funktion doch erst viel später erkannt. Viele meinten, sie seien nur da, um die Koagulation der Flüssigkeit zu verhindern, und noch im achtzehnten Jahrhundert glaubte Abbe Spallanzani, daß nicht die Spermatozoen, sondern die Samenflüssigkeit für die Befruchtung verantwortlich sei. 

Andere hielten sie für eine besondere Art von Organismen und beteuerten sogar, sie bei der Paarung beobachtet zu haben. Erst mehr als ein Jahrhundert später, im Jahre 1856, sah der deutsche Biologe Pringsheim, wie ein Spermatozoon (genau genommen handelt es sich um Spermatozoi-den) in die Eizelle einer Alge, die unter dem Namen Oedogonium bekannt ist, eindrang. Diese Beobachtung räumte schließlich alle Zweifel über seine Funktionen aus. Beim Menschen waren die Schwierigkeiten, diesen Vorgang zu beobachten, aus naheliegenden Gründen wesentlich größer; der Befruchtungsvorgang wurde erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fotografiert.

Viele Einzelheiten sind auch heute noch unverstanden, aber der grundlegende Mechanimus ist ebenso geklärt wie die Kontrollfunktion einiger chemischer Verbindungen, die für die Regulation verantwortlich sind. Das Gehirn gibt verschiedene Substanzen in den Blutkreislauf ab, die die Keimdrüsen stimulieren. Diese Organe synthetisieren daraufhin Verbindungen, die sich selber, das Gehirn oder das umgebende Gewebe beeinflussen, um auf bestimmte Aufgaben vorzubereiten. Diese chemischen Verbindungen werden unter dem Begriff Hormone zusammengefaßt. Es ist danach vielleicht klar geworden, wie kompliziert und verschlungen dieses hormonale Regulationssystem arbeitet, das für den einfach scheinenden Prozeß — Eizelle trifft Samenzelle — verantwortlich ist.

Die Hormone regulieren die Freisetzung des Eis, den Transport zur Gebärmutter und die Einbettung in die Schleimhaut. Weiter regen sie die Vaginalsekretion an, um sie den wechselnden Anforderungen entsprechend zu verändern. Unser Körper enthält Hunderte, wenn nicht Tausende dieser Regulator-Verbindungen; sie regulieren eine Vielzahl von Funktionen, vom Herzrhythmus bis zur Verdauung.


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Seit die ersten Hormone zu Beginn unseres Jahrhunderts entdeckt wurden, hat sich die Kenntnis ihrer Struktur und Funktion wesentlich vermehrt. Weiter hat man gelernt, geringfügig veränderte Verbindungen zu synthetisieren, die es uns ermöglichen, ihre Wirkungsweise noch genauer als bisher zu untersuchen. Der Tag, an dem Wachstum und Entwicklung vollständig, wie ein Orchester von seinem Dirigenten, kontrolliert werden können, ist in Sicht. Die Regulation des Geschlechtszyklus ist bereits möglich. Die neugewonnenen Kenntnisse von der hormonalen Steuerung eröffneten zum Beispiel die Möglichkeit, den Menstruations­zyklus zu kontrollieren, was durch die veränderten sexuellen Gewohnheiten zu einer tiefgreifenden Veränderung des ganzen Lebens führte. Wir kennen die Hormontherapie für Frauen, die die Menopause erreicht haben, den Zeitpunkt also, zu dem die Eierstöcke aufhören, die Hormone abzugeben, die die sexuelle Aktivität aufrechterhalten.

Dank dieser Therapie werden den Frauen nicht nur physische Symptome, etwa verminderte Spannkraft und Unwohlsein, erspart, wie sie im Klimakterium oft auftreten, sondern man kann auf diese Weise ebenso sexuelle Bedürfnisse beliebig lang aufrechterhalten. Gerüchte, denen zufolge man nach einer solchen Behandlung mit höherer Wahrscheinlichkeit Krebs bekommen soll, entbehren jeder experimentellen Grundlage. Im Gegenteil, in einigen Fällen verschwanden bereits vorhandene Tumore während einer solchen Behandlung. Man wird sicherlich bei Bedarf auch Ovarien aktivieren können, die schon ihre Funktion eingestellt hatten; die Zahl der vorhandenen Eizellen reicht dafür in jedem Falle aus. Da aber mit zunehmendem Alter der Frauen bei den Nachkommen eine höhere Rate an Mißbildungen beobachtet wird (insbesondere findet man häufiger mongoloide Kinder), besteht an einer solchen Therapie kein unmittelbares Interesse. Die Einpflanzung eines Eis von einer jüngeren Frau könnte eventuell dieses Risiko vermindern, aber heute ist noch zu wenig bekannt, inwieweit Schädigungen der Frucht während der Schwangerschaft durch Sekretionsstörungen verursacht werden.

Sicherlich wird man aber bald in der Lage sein, den sexuellen Appetit zu regulieren. Diejenigen Gehirnzentren, die für die Libido verantwortlich sind, kennt man bereits. Drogen, mit deren Hilfe sie selektiv angeregt werden können, scheinen in nicht allzu ferner Zukunft produzierbar. Professor Rostand ist der Ansicht, daß es bald Keuschheit ebenso wie echte Aphrodisiaka zu kaufen geben wird. Die Zugänglichkeit starker Aphrodisiaka könnte leicht gesell­schaftliche Probleme aufwerfen, gegen die der LSD-Rummel der sechziger Jahre noch harmlos war. Irgendeine Form von Kontrolle könnte dringend nötig werden, Kontrolle aber bedeutet auch Schwarzhandel und sich organisierende Unterwelt, wie die Erfahrung auf anderen Gebieten gezeigt hat.


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Insgesamt müssen wir also erwarten, daß die wissenschaftliche Forschung den ganzen Bereich sexueller Aktivität, vom Begehren bis zur Fortpflanzung, als bewußt kontrollierte Vorgänge verfügbar macht, wie sie es, in beträchtlichem Umfang, bereits getan hat.

Der Wissenschaftler, der Missionar, der Politiker, der Entdecker oder der Astronaut werden im Gegensatz zum Playboy den Schalter für sexuelle Bedürfnisse für kürzere oder längere Zeit abdrehen. Jedenfalls wird mit der Befriedigung sexueller Bedürfnisse nicht das Zeugen von Kindern verknüpft sein müssen. Zur Zeit ist in den meisten zivilisierten Ländern der Vater eines unehelichen Kindes zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet. Diese Verpflichtung resultiert aus der Annahme, daß erstens der Mann für die Konzeption verantwortlich ist, und daß zweitens der Mann allein für den Unterhalt der Familie zu sorgen hat. Beide Annahmen sind überholt. Mit Ausnahme vielleicht bei Vergewaltigung ist die Empfängnis eines ungewollten Kindes sowohl ein Fehler der Mutter als auch des Vaters, und wenn es die Pille »am Morgen danach« gibt, fehlt jede Rechtfertigung illegitimer oder unerwünschter Geburten.

Ganz abgesehen davon, muß man annehmen, daß sich Ehestand und Sexualität noch weiter voneinander entfernen werden. Ob man das als gut oder schlecht ansieht, Tatsache ist, daß voreheliche Beziehungen heute bereits der Normalfall sind. Schließlich sollte der Entschluß zu heiraten nicht länger mit Gewissens­konflikten oder mit der Furcht vor dem »gesunden Volksempfinden« verbunden sein.

Mit dem wachsenden Problem der Übervölkerung unserer Erde könnte der Staat eines Tages auch die Auffassung vertreten, daß die Produktion von ungewollten Kindern ein Verbrechen gegenüber der Gesellschaft ist. Erst seit wir zuverlässige Antikonzeptiva haben, sind wir theoretisch in der Lage, die Bevölkerungs­explosion wirksam zu kontrollieren.

 

  7  Geburtenkontrolle   

Die weltweite Verbreitung der Antibabypille ist eine Tatsache, von der ausgehend wir vielleicht eine Voraussage machen können, wie die Gesellschaft auf die hier geschilderten Umwälzungen reagieren wird. Nicht nur, daß ihr Gebrauch in Industrieländern wie Großbritannien und den USA verbreitet ist; bezeichnender ist ihre zunehmende Verwendung in katholischen Ländern Südamerikas und bei Katholiken in protestantischen Ländern.


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Ein kürzlich veröffentlichter Überblick zeigt, daß 21 Prozent der katholischen Frauen Amerikas unter 45 Jahren Pillen zur Geburtenkontrolle einnehmen. Sobald eine Technik gefunden ist, die keine persönlichen Tabus verletzt, bequem zu handhaben ist und eine erfolgreiche Kontrolle bestimmter Lebensbereiche gestattet, wird sie von diesen Frauen akzeptiert, und zwar trotz des Verbots durch die katholische Kirche.

Die »Pille« von heute ist jedoch nur ein Vorläufer von wesentlich feineren Methoden der Geburtenkontrolle, die zur Zeit entwickelt werden. Diese sollen die Regulation der Fruchtbarkeit leichter, sicherer und zuverlässiger gestalten. Auf diese Weise soll es gleichzeitig möglich sein, die Fruchtbarkeit zu erhöhen, zu vermindern oder ganz aufzuheben. Wir kommen so von der wenig differenzierten »Geburtenkontrolle« zu einer wesentlich komplexeren Form der Regulation, zur sogenannten »Fruchtbarkeitskontrolle«.

Es gibt viele Stellen, an denen man in den Prozeß der Fortpflanzung eingreifen kann. Die heute verwendete Pille verhindert die Freisetzung des Eis aus den Ovarien. Eine andere Möglichkeit wäre, daß sie die Einbettung in die Uterusschleimhaut verhindert. Der Menstruationszyklus wird von den beiden Hormonen Östrogen und Progesteron reguliert, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, wo das Ei freigesetzt wird; gleichzeitig sorgt es für den Aufbau der Uterusschleimhaut, die schließlich das befruchtete Ei aufnehmen soll. In der zweiten Hälfte ist die Progesteronkonzentration höher. Wird das Ei jedoch nicht befruchtet, so hört die Progesteronproduktion nach zwei Wochen auf, was die Monatsblutung auslöst. Bei der Menstruation wird die Gebärmutterauskleidung abgestoßen, die das befruchtete Ei aufnehmen sollte. Es ist danach naheliegend, Östrogen zu geben, um eine Menstruation zu provozieren, bzw. Progesteron, wenn man die zweite Phase des Zyklus stabilisieren will, so daß kein weiteres Ei mehr freigesetzt wird.

Das wurde bereits in den dreißiger Jahren versucht, aber die natürlichen Hormone waren bei oraler Gabe unwirksam, so daß man diese Hormone injizieren mußte. Eine Injektion täglich war aber ganz offensichtlich keine praktikable Lösung. Im Jahre 1948 zeigten dann ein englischer und ein indischer Wissenschaftler aus Oxford, daß man Substanzen mit geringfügigen Veränderungen gegenüber dem Naturstoff herstellen kann, die ihre Wirkung auch bei oraler Gabe nicht verändern. Dr. Gregory Pincus von der <Worcester Foundation> sah sofort die Anwendungsmöglichkeiten dieses künstlichen Progesterons als Antikonzeptivum, und bald nachdem das Oxforder Team nähere Einzelheiten ihrer Synthese publiziert hatte, wurden Patente in den USA und in Mexiko angemeldet.


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In den ersten Tests traten allerdings einige Schwierigkeiten auf. Einige Frauen zeigten einen unregelmäßigen Menstruationszyklus oder gelegentliche Blutungen. Man fand heraus, daß die gleichzeitige Gabe einer östrogenanalogen Verbindung diese Erscheinungen unter Kontrolle brachte.

Ungünstig war außerdem, daß bei den ersten naturstoffanalogen Hormonen eine Virilisierung (Vermännlichung) der damit behandelten Frauen verbunden war. Pincus mußte erst 200 dieser Substanzen an Ratten und Kaninchen testen, bis er in Norethynodrel die Verbindung hatte, die er dann am Menschen ausprobieren konnte. Bei den ersten Tests wurde zu niedrig dosiert und es kam zu Schwangerschaften. Wenn das Verhältnis der beiden Hormone nicht optimal war, verursachte es Übelkeit, und viele Frauen weigerten sich daraufhin, diese Pillen weiter einzunehmen.

Schließlich zeigte das erste große Experiment in Puerto Rico, daß diese Methode der Geburtenkontrolle außerordentlich erfolgreich ist, vorausgesetzt, die Pillen werden vorschriftsmäßig eingenommen. Befürchtungen, daß dieses Pharmakon ein Ansteigen der Gebärmutter- und Gebärmutterhals-Tumoren zur Folge haben könnte, (Östrogen spielt bei der Entstehung dieser Tumoren eine noch ungeklärte Rolle) wurden zerstreut. An diesem Experiment in Puerto Rico zeigte sich nämlich, daß bei Frauen, die diese Pillen eingenommen hatten, prozentual weniger Gebärmuttertumore auftraten als bei einer Gruppe unbehandelter Frauen. Den Versuchen konnte man weiter entnehmen, daß die Pille Arterienverkalkung entgegenwirkt. Der Verdacht allerdings konnte nicht entkräftet werden, daß vermehrt Thrombosen auftreten.

Dieses Beispiel zeigt weiter, wie lange es dauern kann, bis ein Antikonzeptivum von den ersten Laborexperimenten bis zur verbreiteten Anwendung kommt. In diesem Falle waren es dreißig Jahre, aber viele grundsätzliche Fragen sind damit beseitigt, so daß wir hoffen können, auf geebneten Wegen in Zukunft schneller voranzukommen.

Um die Unannehmlichkeit zu umgehen, die Pille täglich einzunehmen, ist man heute schon dabei, Antikonzeptiva zu entwickeln, die man nur einmal im Monat oder gar einmal pro Jahr zu schlucken braucht. Harry Rudel, der Präsident von >Syntex Pharmaceuticals<, einer Firma, in deren Laboratorien auf diesem Gebiet geforscht wird, prophezeite kürzlich das »jährliche Antikonzeptivum«. Bereits heute kann man sich durch eine Injektion drei Monate gegen eine ungewollte Schwangerschaft schützen. 


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Ein synthetisches Hormonanalogon, das unter der Bezeichnung Methoxyprogesteronacetat bekannt ist, wurde erfolgreich an 274 Frauen getestet. Es traten keine Schwangerschaften ein, jedoch hatten einige Frauen Schwierigkeiten mit Blutungen. Über längere Zeit hinweg wurde es bei Tieren getestet, verständlicherweise werden diese Experimente aus geschäftspolitischen Gründen geheimgehalten. Diese Art von Pillen wäre vor allem für Frauen von Vorteil, die keine weiteren Kinder mehr wünschen.

Einige würden sicherlich Pillen bevorzugen, die den Menstruationszyklus nicht beeinflussen. Eine Möglichkeit zeichnet sich hier bereits in Form der Verbindung Chlormadinin-Aqetat ab; sie ist offenbar in der Lage, den Schleimpfropf im Gebärmutterhals so zu verändern, daß er für die Spermien ein feindliches Milieu darstellt. (Es gibt einige Beweise, daß dieser Schleimpfropf als Filter wirkt, um defekte oder in ihrer Beweglichkeit geschädigte Spermien zurückzuhalten; die Wirkung dieser Verbindung besteht eventuell darin, daß diese Fähigkeit zum Auswählen verlorengeht.) 1966 berichtete Dr. Elizabeth Connell vom Metropolitan Hospital des New York College von dreihundertzwölf Frauen, die diese Pillen täglich genommen hatten. Übelkeit wurde in geringerem Maße festgestellt als bei der klassischen Hormontherapie; drei Frauen wurden schwanger, davon hatte eine die Instruktionen nicht genau befolgt.

Nützlicher, als sich das manche Leute vorstellen, ist die »Am-Morgen-danach-Pille«. Eine solche Droge kann auf verschiedene Weise wirken, etwa erst dann, wenn sich das befruchtete Ei in die Uterus­schleimhaut einnisten will und so mit dem mütterlichen Blut in Berührung kommt. John McLean Morris und Gertrude van Wagenen aus Yale berichteten 1966 vor der <American Fertility Society> daß sie eine mit ORF-3858 bezeichnete Substanz, die auf diese Weise wirkt, an Affen und Kaninchen getestet haben. Sie konnten damit noch sechs Tage nach der Paarung eine Schwangerschaft verhindern. (Die Eieinlage-rung in die Uterusschleimhaut geschieht erst am sechsten oder siebten Tag nach der Befruchtung.) Sie verwendeten dazu die Affenkolonie von Yale, da diese Tiere einen ganz ähnlichen Menstruationszyklus haben wie der Mensch. Mißbildungen wurden auch dann nicht beobachtet, als die Verbindung während der Schwangerschaft gegeben wurde.

Diese Verbindungen sind noch nicht am Menschen getestet, aber bei Experimenten mit einer ähnlichen Substanz, nämlich mit Dimethylstilböstrol, die an Freiwilligen oder an Opfern von Notzuchtverbrechen ausgeführt wurden, konnte eine Schwangerschaft verhindert werden.

Professor Shelesnyak vom Weizmann-Institut hat gefunden, daß Antihistaminika das Hormongleichgewicht verändern und dadurch die Eiein­pflanzung bei Ratten verhindern. Er ist nun dabei, die Anwendbarkeit beim Menschen zu prüfen.


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Neben der Eigenschaft, eine »Am-Morgen-danach-Pille« zu sein, könnte man sie wahrscheinlich so weit entwickeln, daß sie bloß einmal im Monat eingenommen werden muß. Da diese Verbindungen die Entwicklung eines betrachteten Eis verhindern, hat man oft zu bedenken gegeben, daß es sich hier nicht um Antikonzeptiva, sondern um Abtreibungsmittel handelt, die in vielen Ländern verboten sind. Wenn sich das als richtig erweisen sollte, wäre diese Art von Geburtenkontrolle für kirchentreue Katholiken nicht akzeptabel. Man muß allerdings hinzufügen, daß bis jetzt immer noch nicht ganz klar ist, was man unter Empfängnis eigentlich verstehen soll. 

Tertullian, der erste christliche Schriftsteller, der sich bereits im 3. Jahrhundert damit befaßte, entschied, daß der männliche Fetus vierzig Tage nach der Befruchtung, der weibliche dagegen erst achtzig Tage danach beseelt sei. Sein Kommentar beruht sicher auf einer ungenauen Übersetzung von Exodus 21,22 wo die Bestrafung eines Mannes beschrieben wird, der eine schwangere Frau verletzt. Sowohl die Juden als auch die Griechen und Römer sahen in der Abtreibung eigentlich nichts Verwerfliches.

Wie hier bereits erwähnt, vertritt Professor A. Parkes die Ansicht, daß man von Empfängnis erst dann sprechen kann, wenn das Ei in die Uterusschleimhaut eingebettet ist. Die Kontroversen um die Einführung der Pille selbst und die Verbitterung im Zusammenhang mit der Veränderung des Abtreibungs­paragraphen in England im Jahre 1967 zeigen, wie groß die Brisanz dieser Fragen ist. Die Geschichte beweist aber andererseits, daß die Pille allein aus Gründen der Bequemlichkeit schließlich akzeptiert wurde.

Viele Frauen sehen indessen in der Tatsache, daß sie allein die Verantwortung für empfängnisverhütende Maßnahmen tragen müssen, eine Ungerechtigkeit, denn schließlich könnte damit auch ein gesundheitliches Risiko verbunden sein. Es gibt deshalb gute Gründe, ein Antikonzeptivum zu entwickeln, das der Mann einnehmen muß — seine Erprobung ist nicht mehr fern. Die ersten Versuche in dieser Richtung gehen auf das Jahr 1957 zurück, als man das orale Antikonzeptivum Enovid einer Anzahl Männern fünf Monate lang gab. Nachdem dieses Pharmakon abgesetzt wurde, konnte man eine entgegengesetzte Wirkung feststellen; viele Männer zeigten eine höhere Zahl an Spermien als üblich. Dieser Effekt wirft aber neue ethische Probleme auf, denn es ist durchaus denkbar, daß viele Männer dieses empfängnisverhütende Mittel nur einnehmen, um länger zeugungsfähig zu bleiben. (Ein ähnlicher Rückkopplungseffekt konnte bei einigen Antikonzeptiva für Frauen beobachtet werden.) 


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Das erste Hindernis im Zusammenhang mit der Entwicklung von Antikonzeptiva für Männer ist die Furcht vor allem, was die Potenz verringern könnte; der oben beschriebene Rückkopplungseffekt mag vielleicht solche Bedenken ausräumen. Dr. H. Jackson aus Manchester, der Leiter des einzigen englischen Universitäts­departments, das an der Entwicklung von Antikonzeptiva für Männer arbeitet, meint, daß die Vernachlässigung dieses Gebiets damit zusammen­hängt, daß männliche Forscher irgendwie psychisch gehemmt sind, diesen Fragen nachzugehen, und er erwartet raschere Ergebnisse, wenn sich weibliche Wissenschaftler dieser Sache annehmen würden. 

Man muß allerdings zugeben, daß viele Drogen, die die Sper-mienproduktion beim Manne vermindern sollen, unliebsame Nebenwirkungen zeigen. So schwächt etwa Nilevan sowohl die Potenz als auch ganz allgemein die sexuellen Bedürfnisse, was dieses Präparat für diesen Zweck unbrauchbar macht. Eine andere Pillensorte erhöht die Wirkung des Alkohols; obwohl die toxische Schädigung selbst minimal ist, scheidet es als Pharmakon aus. Trotzdem ist es sicher nur eine Frage der Zeit, bis eine geeignete Verbindung gefunden ist. Die abwechselnde Geburtenkontrolle durch Mann und Frau wäre gleichzeitig angewandte Gleichberechtigung, um Nebenwirkungen und mögliche Folgen längerer Anwendung zu minimalisieren. 

Es gibt jedoch noch viele andere Angriffspunkte. 

Man fand zum Beispiel Substanzen, die auf noch nicht bekannte Weise das Ei blockieren, wenn es im Eileiter ist. Eine andere Möglichkeit wäre, den Menstruations­zyklus so genau zu regulieren, daß man die Rhythmusmethode mit mehr Erfolg anwenden kann. Weiter ist es möglich, Frauen gegen Spermien ihres Mannes zu impfen, obwohl Tierexperimente zeigen, daß diese Methode weder völlig zuverlässig ist, noch daß dieser immunologische Schutz das ganze Leben anhält. Das kann so weit führen, daß die Frau gegen ihren eigenen Mann allergisch wird, was nicht im Sinne der Therapie ist. Tatsächlich wissen wir trotz der enormen Anstrengungen auf diesem Gebiet außerordentlich wenig über den Fortpflanzungsprozeß. 

Eine Ahnung, wie wenig wir tatsächlich wissen und was für seltsame Dinge mit der dritten Generation der empfängnisverhütenden Mittel auf uns zukommt, zeigte Hilde Bruce, eine englische Wissenschaftlerin. Während ihrer Tätigkeit am <National Institute of Medical Research> in London machte sie 1958 eine außergewöhnliche Entdeckung. Sie sperrte sofort nach der Paarung weibliche Mäuse in einen Käfig, der neben einer männlichen Maus stand, die nicht an der Paarung beteiligt war. Die Mehrzahl der Mäuse wurden nicht trächtig, zeigten wieder Brunstverhalten und verhielten sich ganz so, als ob überhaupt keine Paarung stattgefunden hätte. Als sie diese Dinge weiterverfolgte, fand sie heraus, daß es zur Verhinderung einer Schwangerschaft reichte, ein Weibchen in einen Käfig zu sperren, der von einem fremden Männchen verunreinigt war, oder einen Fetzen in den Käfig zu werfen, auf dem das Männchen geschlafen hatte.


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Weitere Forschungen zeigten, daß dieser Effekt durch einen Duftstoff verursacht wurde, den das Männchen produziert und der beim Weibchen die Freisetzung bestimmter Hormone verursacht. Keine solche Substanz kann im Urin oder Kot nachgewiesen werden, und man nimmt an, daß es sich um eine schnell flüchtige Verbindung handelt.

Diese Vorstellung ist nicht sonderlich phantastisch, da wir bereits bei den Insekten Verbindungen kennen, die den Generationszyklus beeinflussen; man bezeichnet sie als Pheromone. Offenbar produziert auch die Maus ein Pheromon, das die Brunst beim Weibchen auslöst.

Bis heute weiß niemand, ob der »Bruce-Effekt«, wie er genannt wurde, auch beim Menschen eine Rolle spielt; die Möglichkeit ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Experimente dieser Art lassen aber ahnen, daß es einmal Antikonzep-tiva geben könnte, die man einfach inhaliert, etwa so, wie wenn man unter Heuschnupfen leidet.

Obwohl ein solches »Anti-Baby-Parfüm« noch etwas utopisch ist, zeigt diese Entwicklung immerhin, wieviel wir noch dazulernen können. Klar scheint aber zu sein, daß wir in eine neue Phase eintreten, in der die Regulation der Schwangerschaften eine Selbstverständlichkeit wird. Das einzige Problem wird sein, aus dem gesamten Angebot die bequemste Methode zu bestimmen, so wie wir auch das bequemste Beförderungsmittel für eine Reise auswählen.

 

   8  Schlußfolgerungen  

 

Die neuen Möglichkeiten auf dem Gebiet der Fortpflanzungsphysiologie, die hier aufgezeigt wurden, scheinen auf den ersten Blick mehr in technischer Hinsicht bemerkenswert als aufgrund ihrer soziologischen Probleme, aber tatsächlich erfordert jede von ihnen neue gesetzgeberische Maßnahmen. Wir können die Probleme in etwa abschätzen, wenn wir nur den Fall der künstlichen Besamung betrachten, die wir nun etwa seit zehn Jahren kennen und die nichts Außergewöhnliches mehr ist. 

In den Vereinigten Staaten gibt es bereits 150.000 Frauen, die mit Hilfe der künstlichen Befruchtung Kinder zur Welt gebracht haben, aber kein Gesetz definiert die Rechte dieser Nachkommen. Nur im Staate New York hat ein Gericht festgestellt, daß ein auf diese Weise gezeugtes Kind als legitim zu bezeichnen ist (Strnad gegen Strnad, 1948). In anderen Staaten sind sie auf Grund von Grundsatzurteilen illegitim, und zwar auch gegen den Willen des Ehemanns.


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Im Jahre 1967 wurde der erste Rechtsfall im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung vor einem kalifornischen Gericht verhandelt (laut >Time<). Ein Mann, dessen Scheidung gerade drei Jahre zurücklag, wurde vom Staatsanwalt in Sonoma County angeklagt, die Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind vernachlässigt zu haben. Das betreffende Kind wurde mit Zustimmung des Ehemanns sechs Jahre zuvor durch künstliche Befruchtung gezeugt.

Das Gericht hätte die Ansicht vertreten können, daß er von seinen gesetzlichen Verpflichtungen entbunden werden könne, da er im biologischen Sinne nicht der Vater des Kindes ist. Aber das Gericht verurteilte ihn zur Unterhaltspflicht unter Hinweis auf das geltende Prinzip, daß alle Kinder, die einer Ehe entspringen, als legitime Nachkommen der ehelichen Partner betrachtet werden.

Kein Gericht hat sich bis jetzt mit dem Erbrecht solcher Kinder befaßt, obwohl in vielen Staaten illegitime Kinder nur Anspruch auf das mütterliche Erbe haben. Verschiedene Staaten haben versucht, entsprechende Gesetze vorzubereiten, sie mußten aber die Waffen strecken, nachdem der Druck von kirchlicher Seite zu stark geworden war.

Die Situation in England ist mehr als uneinheitlich. Im Gegensatz zur Geburtenkontrolle, wo bereits festumrissene Gesetze und Richtlinien existieren, war man bei den neueren Methoden wenigstens in der glücklichen Lage, keine bereits bestehenden Gesetze rückgängig machen zu müssen, da es erfahrungsgemäß schwieriger ist, ein vorhandenes Gesetz zu ändern, als ein völlig neues Gesetz einzuführen. Wenn sich erst einmal jemand entschlossen hat, etwa menschlichen Samen zu speichern, Kinder durch Jungfernzeugung oder durch Eieinpflanzung zur Welt zu bringen, so wird er auch gegen äußere Widerstände daran weiterarbeiten. Ob sich Polizei oder Kirche dann einzumischen versuchen, muß man abwarten. 

Als Professor Petrucci aus Bologna vor einigen Jahren versuchte, einen menschlichen Fetus in vitro zu züchten, ging das Gerücht um, der Papst habe die Fortsetzung dieser Experimente verboten. Vom Gesetzgeber sind für solche Fälle keine klaren Richtlinien erlassen worden, und verschiedentlich kam es schon zu Widersprüchen. Richter und Schöffen fällen Urteile, die von der gerade herrschenden Stimmung abhängen oder, wie andere annehmen, von ihren unbewußten Vorurteilen. Unrecht und Leid sind die Folge. Außer Frankreich und den kommunistischen Ländern haben es die übrigen Staaten versäumt, sich in die neue Problematik hineinzudenken, klare Gesetze zu entwerfen, die auch vor der Zukunft bestehen können und dem einzelnen eine Standortbestimmung ermöglichen. Wie es heute aussieht, wird man aber noch weiter an der alten Politik des Sich-Durchlavierens festhalten.


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Diese mehr persönlichen Probleme sind jedoch von geringer Bedeutung im Vergleich zu den gigantischen Aufgaben, die mit der Geburtenkontrolle zusammen­hängen, etwa wenn es um die Entscheidung geht, auf welcher Höhe man die Bevölkerungsdichte der Erde und eines jeden Landes als stabil ansehen will. Das alles ist, völlig unvoreingenommen betrachtet, ein einzigartiges Problem; es ist die Folge von zwei voneinander unabhängigen Entwicklungen, nämlich den Möglichkeiten, die Todesraten zu senken und die Zahl der Geburten zu begrenzen. Wie wir in späteren Kapiteln noch sehen werden, ist das ein Musterbeispiel für ähnliche soziale Probleme, wie sie durch den biologischen Fortschritt verursacht werden.

Die Reaktion der Bevölkerung auf diese drängenden Fragen weist auch darauf hin, wie sie sich künftigen Problemen gegenüber verhalten wird. Manche versuchen sogar zu leugnen, daß es sich hier wirklich um ein Problem handelt. 

Die laufende Zuwachsrate von zwei Prozent pro Jahr mag vielen nicht besonders hoch erscheinen, aber wenn sie seit zweitausend Jahren so hoch gewesen wäre, so lebten heute zwanzig-millionenmal mehr Leute, was einer Bevölkerungsdichte von 10.000 Personen pro Quadratmeter entspräche. Wenn die Entwicklung nur im selben Maße für weitere 200 Jahre anhält, dann beträgt die Weltbevölkerung 150 Milliarden Menschen. 

Die >American National Academy of Sciences< veröffentlichte diese Statistik, um jedermann klarzumachen, daß es so nicht weitergehen könne. Entweder müssen wir versuchen, diese Entwicklung abzu­stoppen, oder warten, bis Hunger, Seuchen und Krieg für uns entscheiden werden. Dieser Bericht zieht den einzig möglichen Schluß: entweder werden die Geburtenzahlen gesenkt, oder die Sterberaten müssen angehoben werden. 

Demgegenüber meinten Experten, die im Auftrag der >Rand Corporation< eine Untersuchung über Bevölkerungszuwachs und die dazu nötigen Nahrungs­quellen machten, daß man in den nächsten fünfzig Jahren neue Methoden finden wird, um Nahrungsmittel zu synthetisieren. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird die Erdbevölkerung allerdings auf acht Milliarden Menschen angewachsen sein. Daraus folgt, daß eine Intensivierung der Landwirtschaft, auch wenn wir sofort damit beginnen, nur ein Notbehelf ist. Es ist in jedem Falle unmöglich, sie schnell genug zu entwickeln, da die Zuhilfenahme der Bevölkerung in einer geometrischen Progression verläuft, während die Agrarproduktion nur linear vermehrt werden kann. 

Das Studium von tierischen Populationen zeigt, daß enorme Vermehrung von katastrophalen Rückfällen begleitet wird, die sie unter die Ausgangszahl dezimieren. In der Natur wird das durch einen internen Mechanismus reguliert. Übervölkerung verursacht geringere Fruchtbarkeit. Es entwickeln sich verschiedene neurotische Erscheinungen.


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Sperrt man viele Ratten zusammen, so rotten sich die jüngeren, männlichen Tiere zu aggressiven Gruppen zusammen, verfolgen die Weibchen und greifen schwächere Männchen an, auch ohne daß sie dazu irgendwie provoziert werden. Diese Verhaltensweisen könnten vielleicht in Beziehung gesetzt werden zu den Unruhen und Angriffen, denen die westliche Gesellschaft in letzter Zeit ausgesetzt ist.

Der Astrophysiker Professor Fred Hoyle hat darauf hingewiesen, daß sich Malthus schlicht geirrt hat, wenn er annahm, daß Hunger ein Regulator sei, um die Bevölkerungszahl auf einem Niveau zu halten, wo jeder das Nötige zu essen hat. Es scheint eher so zu sein, daß die Bevölkerungszahlen stark abnehmen, bevor ein neuer Anstieg zu verzeichnen ist. Hoyle hat berechnet, daß ein solcher Wendepunkt im Jahre 2250 erreicht sein wird, wenn, wie er annimmt, die Weltbevölkerung die Fünfundzwanzig-Milliarden-Grenze erreicht hat (als Vergleich: heute leben etwas mehr als drei Milliarden Menschen). Die Zahl der Menschen wird dann auf zwei Milliarden abfallen, und dieser Prozeß wiederholt sich alle 300 Jahre. 

Das steht uns also bevor, wenn wir diese Probleme nicht energisch anpacken, denn das erstemal in der Weltgeschichte hat der Mensch die Möglichkeit, ein solches Anwachsen zu verhindern. Nach Hoyles Vorhersage werden also dreiundzwanzig Milliarden Menschen in jedem Zyklus sterben. Diejenigen, die gegen eine Geburtenregelung eintreten, haben diese Toten auf dem Gewissen.

Unglücklicherweise tut der Osten wesentlich weniger für die Geburtenkontrolle, obwohl gerade dort die Zunahme der Bevölkerung am größten ist. Die Erfolge bei der Senkung des Geburtenüberschusses werden mit Argwohn betrachtet, da man fürchtet, rein zahlenmäßig zu unterliegen. Die Geburtenkontrolle gilt dort als Geheimwaffe des Westens. 

Wie Untersuchungen in Tai-chung zeigen, ist die Bevölkerung durchaus bereit, die Familiengröße zu begrenzen, wenn sie nur weiß, wie. Taiwan (Formosa) ist eine außerordentlich dicht besiedelte Insel an der Küste des Festlands von China. Etwa zwölf Millionen Menschen leben auf einer Fläche von 40.000 Quadratkilometern. Mit Hilfe der amerikanischen Stiftung, die unter dem Namen <Population Council> bekannt wurde, ließen die Gesundheitsbehörden von Taiwan 1962 eine Befragung durchführen, um zu erfahren, wie die Einwohner über Familienplanung denken. Sind sie dafür? Wenn ja, wie könnte ihnen am besten geholfen werden? Fast 2500 Frauen in Taichung wurden befragt: fast alle hatten mehr Kinder, als sie eigentlich wünschten, und alle versuchten vergeblich, die Familiengröße zu begrenzen.


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Über 90 Prozent der Frauen und ihrer Ehemänner waren dieser Auffassung, aber sie wußten nicht, was sie gegen den unerwünschten Kindersegen unternehmen könnten, da sie über ihre eigene Physiologie so gut wie nicht Bescheid wußten. (Später wurden verschiedene Aufklärungsmethoden ausgearbeitet, um schließlich die besten davon auszuwählen. Dieses Verfahren wurde auch auf andere Gebiete ausgedehnt.) 

»Wenn auf der ganzen Welt alle ungewollten Kinder nicht gezeugt würden, hätten wir einen großen Teil des Bevölkerungsproblems gelöst.« Mit diesen Worten faßte der Vize-Präsident des <Population Council> einer der Organisatoren dieser Kampagne, seine Auffassung zu dieser Frage zusammen.

Eine Wendung tritt aber erst ein, wenn jede Regierung die Bevölkerungskontrolle als eine ganz normale Aufgabe ansieht. Zu entscheiden, wie hoch die optimale Bevölkerungsdichte sein muß, um Glück und Frieden zu sichern, ist die Frage, mit der sich die Sozialwissenschaften noch nicht ernsthaft auseinander­gesetzt haben. 

Der politische Ehrgeiz mancher Nationen oder religiöser Gemeinschaften läuft noch heute darauf hinaus, eine möglichst große Zahl von Angehörigen zu haben. Früher hätte das vor allem bedeutet: so viele Soldaten besitzen wie möglich.  

Mit der Mechanisierung und Automatisierung des Krieges müßte allerdings die Qualität wichtiger als die Quantität werden, und eine große, dichte Bevölkerung würde für ein Land zu einem Handikap im Hinblick auf die Ernährung wie auf den Schutz vor Kernwaffen und Fallout. Eines Tages wird ein Diktator seinen Willen zur Macht am besten mit einer ganz kleinen Bevölkerung verwirklichen — wenn es nur eine intelligente, ausgebildete Elite ist. 

Der Widerwille des Menschen, seine neuen sozialen Verantwortlichkeiten zu akzeptieren, wird nur noch übertroffen von der Abneigung gegen Änderungen in seinem Privatleben, die von ganz grundsätzlicher Art sein werden. Wenn der Homo-faber, der Mensch mit technischer Intelligenz, als ein neuer Menschentypus angesehen wurde, so wird der Homo-biologicus, der Mensch, der sich wieder als biologisches Wesen versteht, das Bild vom Menschen erweitern. 

In pointierter Form hat Professor Jean Rostand die neuen biologischen Möglichkeiten des Menschen folgendermaßen charakterisiert: 

»Ein seltsamer Zweifüßler, der Eigenschaften in sich vereint, wie Fortpflanzung ohne Beteiligung des Mannes, ähnlich der Grünfliege; er kann seine Frau wie die Nautilusschnecke über große Entfernungen hinweg befruchten; wie ein Xiphophores wechselt er das Geschlecht; er vermehrt sich wie ein Regenwurm, wenn er kleingehackt wird; fehlende Glieder wachsen nach wie beim Wassermolch; wie das Känguruh kann er sich auch außerhalb des mütterlichen Leibes entwickeln, und überwintern wird er wie ein Igel.«

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