Werner Thiede

Evangelische Gnadenbotschaft
in der Leistungsgesellschaft

Das protestantische Paradox

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2017
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Schon oft stand menschliches Leben in der Gefahr, unter dem Diktat der Leistung entwertet zu werden. Doch nie waren die Gefahren einer wahrlich gnadenlosen Leistungsgesellschaft so zu spüren wie heute. Leider hat sich der Protestantismus – trotz seiner Rechtfertigungslehre eines Glaubens ohn’ alle Werke und Verdienst – in einem Paradox verfangen, was die Beurteilung des Leistungsgedankens betrifft. Hier ist engagierte Kritik gefordert, wie sie Werner Thiede in seinem leidenschaftlichen Plädoyer anbringt.


 

Roger Willemsen kritisiert in dem posthum publizierten Büchlein »Wer wir waren« (2016) die zunehmende Digitalisierung, Beschleunigung und Entpersonalisierung unserer Gesellschaft. Dabei stört ihn, dass heutzutage jedwede Leistung, kreative eingeschlossen, nur noch unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Bilanz gesehen wird. Aber ist nicht genau das die logische Konsequenz aus der zunehmend digitalisierten Leistungsgesellschaft unserer Zeit? Digitalisierung als solche leitet und bedeutet rigorose Quantifizierung – revolutionär durchgesetzt gerade auch um des zu mehrenden Kapitals willen1. Dass darüber am Ende Demokratie und Menschenwürde in Gefahr geraten, muss angesichts immer leistungsfähigerer Maschinen und Künstlichen Intelligenzen kaum verwundern2. Erstaunlich ist viel eher das Ausbleiben deutlich artikulierter Kritik von protestantischer Seite an dieser sich verschärfenden Entwicklung.

Ein protestantisches Paradox

Immerhin hat Robert Leicht schon einmal die Paradoxie benannt, dass einerseits Luthers Rechtfertigungslehre einen dicken Strich durch alle leistungsbezogene »Werkgerechtigkeit« zog und andererseits protestantische Ethik als Wurzel des modernen ­kapitalistischen Leistungswillens und -drucks gilt3. Hatte es nicht die EKD vor vier Jahrzehnten gar als ihre Aufgabe angesehen, die Leistungsgesellschaft gegen Kritik zu verteidigen4? In ihrer Denkschrift »Leistung und Wettbewerb« setzte sie damals Leistungsfeindlichkeit mit Kulturfeindlichkeit gleich. Und 2014 bekundete die 11. Synode der EKD bezeichnenderweise: »Als evangelische Kirche gestalten wir den digitalen Wandel mit und vertrauen auch in der digitalen Gesellschaft auf Gottes Begleitung.«5 Im selben Jahr war allerdings auch in einem Grundlagentext der EKD unter dem Titel »Rechtfertigung und Freiheit« im Vorfeld des 500-jährigen Reformationsjubiläums echt Evangelisches zu vernehmen. Christoph Markschies erklärte hier, gerade in der heutigen Leistungsgesellschaft stelle der Gedanke eine Provokation dar, jeder Mensch sei von Gott anerkannt, und zwar unabhängig davon, wie reich oder erfolgreich er sei.

Damit ist der Spagat umrissen, der den Protestantismus unserer Zeit charakterisiert: Inmitten der Leistungsgesellschaft leben, erklärtermaßen an ihrer Kultur partizipieren wollen und dennoch die Provokation nicht scheuen dürfen, dass das christliche Menschenbild nach evangelischem Verständnis ausdrücklich nicht am Leistungsprinzip orientiert ist. Man kann insofern ganz grundsätzlich vom »protestantischen Paradox« sprechen. Dabei ist der Begriff des Paradoxes mit Paul Tillich eher im umgangssprachlichen Sinn verstanden, demzufolge er einfach den Widerspruch zu der auf »alltägliche Erfahrung« gegründeten Meinung ausdrückt6. Passen Leistungsgesellschaft und Kritik des Leistungsprinzips irgendwie doch wieder zusammen? Oder widersprechen sie sich bei näherer Betrachtung gründlich, so dass ihr Miteinander im neuen Kulturprotestantismus unserer Tage eher verdächtig erscheinen muss? Hat die moderne Leistungsgesellschaft in ihrer typischen, aber nicht unbedingt selbstverständlichen Ausprägung vielleicht auf subtile Weise mindestens so viel mit der in ihr heimischen protestantischen Religiosität zu tun, wie Religionssoziologen schon lange unterstellen?

Hauptaspekte des Leistungsbegriffs

Etymologisch ist das Wort »Leistung« verwandt mit der Rede von des Schusters Leisten. Das Verb »leisten« bedeutet ursprünglich »einer Spur nachgehen, nachspüren«7. Auch die »Geleise« der Bahn sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Leisten und Leistung lassen sich insofern mit Nachfolge und Gehorsam assoziieren. Wer etwas leistet, kommt einer Pflicht nach, sich einzubringen. Er leistet etwas ab, indem etwas liefert oder beiträgt. Im Leistungsbegriff klingt also urtümlich ein heteronomes Verhältnis an: Einer Vorgabe ist zu entsprechen. Leistung ist geschuldet. Wird etwas »abgeleistet«, so kommt ein Begleichen zustande. Auch Opferleistungen gibt es; ja, ist nicht jede Leistung unter heteronomem Aspekt eine Art Opfer? Leistungsverweigerung erzeugt in der Regel Kopfschütteln.

Später hat sich das Gewicht in der Wortbedeutung verlagert: Leistung wird zunehmend zur Ware, mit der etwas bezahlt wird; umgekehrt wird auch sie selbst verstärkt ­pekuniär honoriert. Leistung und Gegenleistung entsprechen einander. In diesem modernen Verständnis bleibt das heteronome Element durchaus erhalten. Leistung stellt eine Entäußerung dar – bis hin zur Selbstentfremdung. Mit einer Leistung verkauft man sich, dient man sich an. Mit der Dienst-Leistung verdient man aber auch etwas. Leistungs- und Verdienstgedanke werden nahezu gleichbedeutend. Und damit der Verdienst genau berechnet werden kann, muss Leistung immer besser messbar werden. So ist es auch nur konsequent, wenn die Leistungsgesellschaft einen idealen Nährboden für die auf einem einfachen Zahlensystem basierende Digitalisierung der Lebenswelt bietet. Wer etwas leistet, bringt Energie oder Information ein und wird für seine Anstrengung mehr oder weniger belohnt bzw. entlohnt. Dieses heteronome Grundverständnis erklärt, warum in unserer Wachstumsgesellschaft Leistungsdruck8 entsteht und wächst9.

Im Zuge der Moderne gewinnt der Leistungsbegriff aber auch eine autonome Färbung. Leistung wird zum Ausdruck der Selbstverwirklichung. Ich leiste, also bin ich. Kreatives Potenzial kann sich künstlerisch oder auch technisch bewähren – und pekuniär umsetzen lassen, was wiederum das Selbstwertgefühl stärkt. Leisten und schaffen werden zu identischen Begriffen. Sportliche, kulturelle, etwa auch pädagogische oder schulische Leistung versteht sich nicht nur unter dem Aspekt der Forderung, sondern auch des freiwilligen (Sich-)Produzierens. Etwas zu leisten macht Sinn für das Subjekt. Leistung wird zur Sinnstiftung, das geleistete Werk zum Beweis des Vermögens im Sinne stolzer Leistungsfähigkeit. Und selbst dort, wo sie als Pflichterfüllung erbracht wird, kann der Pflichtgedanke als solcher in einem autonomen Sinn verstanden sein – nämlich als Selbstverpflichtung im eigenen Gewissen. Leistung versteht sich insofern als Gehorsamsleistung gegenüber der »inneren Stimme«10, die ihrerseits nicht aufhört, leise Druck zu machen11.

Auch »autonomes« Leisten artet deshalb leicht in Stress aus. Das gilt ebenso für spirituelle Autonomie in Gestalt moderner Esoterik mit ihrer Selbst- und Karma-Gesetzlichkeit12. Und eine stark von säkularer und esoterischer Autonomie geprägte Gesellschaft kann sich selbst im Ganzen sehr unter Leistungsdruck setzen. Das zeigt sich derzeit eindrucksvoll in Mammut-Digitalisierungs- und entsprechenden Überwachungs- und Zählprogrammen, die gewohnte bürgerliche Grundrechte immer mehr in Frage stellen.

Letztlich besteht aber auch die Möglichkeit eines theonomen Verständnisses von Leistung. Hier verbinden sich heteronomes und autonomes Verständnis in einer höheren, religiös begründeten Einheit: Die Gehorsamsforderung Gottes, auf der von ihm gewollten Bahn zu wandeln, wird nicht gezwungenermaßen, sondern aus freiem, frohem Herzen heraus erfüllt, weil Gottes Geist selbst liebevoll diese Erfüllung ermöglicht. Leistung in diesem Sinn ist reine Frucht, ist dankbarer Reflex auf die Vorgabe der göttlichen Gnade, kraft derer sich das menschliche Subjekt trotz seiner Unvollkommenheit bedingungslos angenommen wissen darf. Der Verdienstgedanke spielt hier keine direkte Rolle mehr, er wird im Gegenteil ausdrücklich »aufgehoben« im dreifachen Wortsinn. Leistung bedeutet nicht mehr konditionales Müssen und Sollen, sondern Dürfen und kraft des Gottesgeistes charismatisches Können – ein Laufen auf der Spur, die Gott selbst gebahnt hat und bahnt. In diesem Sinn versteht sich protestantische Spiritualität theonom als Ausdruck der frohen Freiheit eines Christenmenschen. Sie müsste eigentlich zu konsequenter Kritik, zum stets spürbaren Stachel der modernen Leistungsgesellschaft werden. Davon ist aber erstaunlich wenig zu merken, und eben hierin besteht das protestantische Paradox.

Max Webers religionssoziologischer Blickwinkel

Auswirkungen protestantischer Überzeugung auf die Lebenspraxis hat der Religionssoziologe Max Weber bekanntlich vor allem auf dem Boden der reformierten Kirche erblickt. In seinem berühmten Werk »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«13 hat er psychologisierend gezeigt, wie sich der von Ulrich Zwingli und Johannes Calvin definierte Glaube an die Gnade Gottes kraft seiner theologischen Verknüpfung mit dem Erwählungsgedanken Gewissheit ewiger Geborgenheit erst indirekt durch den Blick auf sein biographisch aufzeigbares Gesegnetsein verschaffen kann.

Zwingli hatte die Zusammengehörigkeit von Glaube und Werken im Sinne einer Sachbedingung dargestellt: »Da Gott der erste und letzte Beweggrund aller Dinge, selber aber unbewegt ist und alles in Bewegung bringt und hält, lässt er es nicht zu, dass derjenige, dessen Herz er an sich gezogen hat, untätig ist.«14 Wo also kein christliches Werk hervorkeime, dort sei sicher auch kein Glaube – und umgekehrt. Deshalb müsse »gelehrt werden, mit welchem Verhalten wir uns bei Gott am meisten verdient machen …« Auch Calvin zufolge erlaubt der Glaube den tröstlichen Rückschluss von erkennbarem Segen auf die Gotteskindschaft und somit aufs Erwähltsein15. Dieser als Syllogismus practicus bekannt gewordene Rückschluss auf die göttliche Gnadenwahl im Ursprung aller Dinge durch Schauen auf Effekte, auf Früchte und Leistung möchte zwar die reformatorisch stets betonte Alleingeltung der Gnade Gottes nicht in Frage gestellt sehen, betrachtet jedoch ihre individuelle Applizierung im Ansatz als unsicher.

Dies bedeutet einen geistlichen Rückfall hinter die lutherisch hochgehaltene Gewissheit des Glaubens16. Nachdem die Heilsgewissheit in Luthers Sinn eine ­steile theologische Überzeugung voraussetzt, darf angenommen werden, dass im allgemeinen volkskirchlichen Sinn der reformierte Rückschluss vom ersichtlichen Gesegnetsein aufs dauerhafte Angenommensein bei Gott insgesamt im Protestantismus weit verbreitet ist – ungeachtet seiner inneren Problematik. Selbstverständlich bedeutet Segen keine verfügbare Größe; aber die ängstliche Besorgtheit ums eigene Heil ist – darin wird Weber zuzustimmen sein – psychologisch allemal versucht, sich bei der angepeilten Vergewisserung nicht mit bloßem Schielen aufs faktische Dastehen zu beschränken, sondern in »Eigenverantwortung« nach Kräften zu einem guten Gesamtbild beizutragen. Der enorme seelische Druck in dieser Richtung fordert und fördert entsprechend Leistungs- und Kontrollbereitschaft. Durch die Hintertür schlupft so der protestantisch eigentlich verpönte Leistungsgedanke wieder ins religiöse Denken hinein. Was im Katholizismus einigermaßen ungeniert auf Selbstgerechtigkeit im Gottesverhältnis, nämlich auf Verdienstlichkeit der eigenen Werke im Horizont der umfassenden göttlichen Gnade hinausläuft17, ist also in etwas modifizierter Gestalt auch in den evangelischen Kirchen (Freikirchen eingeschlossen!) verbreitetes Denkmodell. Das erklärt, warum Leistungsgesellschaft und christlicher Glaube so ­erstaunlich harmonisch koexistieren.

Weber hat den erkannten Zusammenhang auf die sprichwörtliche Formel gebracht, »dass Gott dem hilft, der sich selbst hilft«18. Damit erklärt sich ein Stück weit auch der Leistungsdruck, der in modernen Gesellschaften sogar mit Unterstützung religiösen Gedankengutes bis zur Überforderung und zur Unmenschlichkeit gedeihen kann. Die protestantisch so betonte und geschätzte Bedingungslosigkeit des Angenommenseins bei Gott wird faktisch doch nicht durchgehalten – als wäre die Botschaft zu schön, um wahr zu sein. Evangelische Verkündigung hat offenbar die Rechtfertigungslehre vielfach in ihrer Substanz nicht deutlich genug machen können. Die daraus resultierende psychische Verunsicherung in vielen Gläubigen dürfte neben der kulturellen Säkularisierung mit schuld gewesen sein am zunehmenden Setzen auf Selbstvergewisserung durch Leistung19.

Sollte nicht diese Gesamtentwicklung auch den Kapitalismus mit seinen neoliberalen Auswüchsen entsprechend gefördert haben20? Und ist es am Ende so eben doch erklärbar, warum evangelische Kirche sich in überraschendem Ausmaß bereit zeigt, die digitale Revolution – die nicht ohne kapitalistische Vorder- und Hintergrundinteressen zu verstehen ist – mitvollzuziehen, ohne in ethisch gebotener Weise gründlich nach den mit ihr ver­bundenen Risiken zu fragen21?

In der Sicht Max Webers erscheint das Arbeits- und Leistungsethos des getriebenen Menschen weder als Quelle des Glücks noch als Grundlage psychischer Stärke. Verhält es sich heute etwa anders? »Die industrielle Leistungs- und Erlebnisgesellschaft verstärkt die Idee, dass Glück und Heil durch persönlichen Einsatz individuell erreicht werden müssen.«22 Ob in der Arbeit, Schule oder Familie, in der Therapie, Kneipe oder Fitness-Abteilung – in fast allen Sphären des Lebens hat sich das Diktat der Leistungssteigerung durchgesetzt. Allenthalben herrscht der Druck der Optimierung, ja der Perfektion und so auch der Hype häufigen Messens und Vergleichens23. Trotz mancherlei Vorteilsgewinne und Sinnkonstrukte24 inklusive narzisstischer Erhebungen bleibt der Leistende gebeugt, muss er sich verleugnen, während er sich technisch unterstützt zu finden sucht. Mag Weber seinerzeit das reformierte Denken etwas simplifiziert haben25, so markieren seine Beobachtungen dennoch bis heute bleibend Gültiges. Theologisch geht es um die Anfälligkeit reformatorisch begründeter Freiheits- und Rechtfertigungslehre für das »protestantische Paradox«.

Bonhoeffers prophetischer Weitblick

In Registern protestantischer Dogmatiken ist ungeachtet des Gewichts der Rechtfertigungslehre zum Stichwort »Leistung« oder »Leistungsgesellschaft« erstaunlich selten etwas zu finden. Zu den wenigen, die hierzu nach wie vor Relevantes beizutragen haben, gehört – obwohl schon lange tot – Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). In seiner posthum erschienenen »Ethik« schätzt er Leistung als »Werk« des Menschen ein als nicht abtrennbar von der jeweiligen Person; schließlich gehören Seiendes und Gesolltes gleichermaßen zur Wirklichkeit26. Die Einseitigkeiten einer Gesinnungsethik hier wie einer Erfolgsethik dort müssten vermieden werden. Verantwortungsethik sei angesagt – gerade auch beim Begriff der Leistung. So erblickt Bonhoeffer in der Arbeitsleistung ein Ineinandergreifen von Gehorsam und Verantwortung, wobei Letztere dem Leistenden seine Würde lässt: »Der Gehorsam bindet die Freiheit, die Freiheit adelt den Gehorsam.«27 Beide gehören ethisch im Leistungsbegriff zusammen: »Gehorsam handelt ohne zu fragen, Freiheit fragt nach dem Sinn. Gehorsam hat gebundene Hände, Freiheit ist schöpferisch.« Von daher verdient Leistung grundsätzlich ihre Anerkennung, welche geradezu mit der Menschenwürde zusammenhängt28.

Doch die Würde der Leistung und des Menschen sieht Bonhoeffer vom selben Vernunftprinzip aus gefährdet, durch das sie sich seit dem Aufklärungszeitalter begründen. Denn hat nicht die Vernunft auch die industrielle Technik hervorgebracht? Die aber wird für ihre Ersteller mit der Zeit zur Bedrohung: »Der Herr der Maschine wird ihr Sklave, die Maschine wird der Feind des Menschen.«29

Welch prophetischen Weitblick hat Bonhoeffer hier bewiesen – darüber kann man im Zeitalter der fortschreitenden digitalen Revolution mit ihren technokratischen Perfektionierungsprogrammen nur staunen! Schon vor einem dreiviertel Jahrhundert hat er beschrieben, wie »die Technik die Massen hervorbringt und die Massen wiederum gesteigerte Technik fordern«30 – genau dies steht heutzutage potenziert vor Augen. Entnimmt man der aktuellen Diskussion wachsende Besorgnisse, dass die digitalisierte Industrie 4.0 bald massenhaft Arbeitsplätze zu vernichten droht, dann zeigt sich immer krasser, wie die Würde der Leistung vom Menschen auf Maschinen übergeht. Tatsächlich ist ja Leistung etwas, das auch Maschinen erbringen und zum Teil, ja mit der Zeit immer besser können – scheinbar sogar auf dem Gebiet der Intelligenz. In der Folge ersteht die Gefahr, dass schließlich Künstliche Intelligenz die Herrschaft auf dem Planeten übernehmen und damit das Wohl der Menschheit auf dem Spiel stehen könnte, wie etwa der weltberühmte Physiker ­Stephen Hawking warnt31.

Bonhoeffers Weitblick sieht den pseudo­religiösen »neuen Menschen« mit seinen Tendenzen zur Selbstvergottung am Horizont auftauchen32, wie er heutzutage bereits real zu einem Mischwesen aus Mensch und Maschine mutiert33. Hat aber Leistung als Verantwortung den Schöpfer und Erlöser aus dem Blick verloren, auf den sie sich in der Tiefe des leistenden Subjekts beziehen sollte, dann führt sie zwangsläufig in den Nihilismus: »Mit der Zertrümmerung des biblischen Gottesglaubens und aller göttlichen Gebote und Ordnungen zerstört der Mensch sich selbst. Es entsteht ein hemmungsloser Vitalismus, der die Auflösung aller Werte in sich schließt und erst in der schließlichen Selbstzerstörung, im Nichts, Ruhe findet.«34

Ist nicht unsere Leistungsgesellschaft bei allem, was in ihr geleistet wird, auf dem besten Weg in solche Selbstzerstörung? Götz Hamann zufolge liegen in der digitalisierten Gesellschaft »Utopie und Apokalypse total eng beisammen«35. Der katholische Theologe Gregor Taxacher macht in seinem bedrückenden Buch »Apokalypse ist jetzt!« deutlich, dass die Zeichen der Zeit schon unter rein säkularem Blickwinkel auf »Endzeit« stehen. Umso mehr fragt er sich, warum christliche Theologie und Kirchen, die doch früher fleißig in apokalyptischen Farben gepredigt hatten, gerade heutzutage in dieser Hinsicht schweigen36. Erklärt sich solches Schweigen nicht bestens durch die angedeutete kirchliche Solidarität mit der modernen Leistungsgesellschaft?

Leistung in Gottes Augen

Das »Gericht nach den Werken« ist ein wichtiger dogmatischer Topos im Kontext protestantischer Rechtfertigungslehre, ohne den eine theologische Betrachtung des Themas unmöglich auskommt. Wenn Leistung intentional auf Sinn aus ist, nämlich entweder in Gestalt von Sinnstiftung oder in Form von Sinnbeheimatung des Tuns, kommt es bei tieferem Fragen auf den letzten Sinn an. Insofern impliziert Leistung interessanterweise – wer hätte das gedacht! – insgeheim die Gottesfrage.

Viel offenkundiger ist dieser Zusammenhang bekanntlich dort, wo es um die verzweifelte Suche nach dem Sinn von Leiden geht37, also ungefähr vom Gegenteil des Leistens (wobei auch die Bewältigung von Leid auf eine achtbare Leistung hinauslaufen kann, etwa in Gestalt von Trauer-»Arbeit«). Aber tatsächlich benötigt auch gerade Aktivität ihren Sinnhorizont. Der wird oft genug im Vordergründigen gesucht und gefunden, bewusst oder unbewusst jedoch fragend überschritten aufs Umgreifende hin. Dabei stellt sich die Transzendenz keineswegs nur als bergende Größe dar, vielmehr zugleich als richtende. Eben deswegen wird dieser Horizont so gerne verdrängt38 – obschon ohne echten Erfolg. Denn die Vernunft als solche wird die metaphysischen Grundfragen nicht wirklich los.

Nun hat allerdings die protestantische Rechtfertigungsbotschaft ihren Skopus genau darin, das Bedrohliche der religiösen Gerichtsperspektive in Freude zu verwandeln – in die frohe Gewissheit bleibender, weil bedingungsloser Geborgenheit. Das leistet sie, indem sie den Glaubenden nicht nur vors Jüngste Gericht versetzt, also mitten in die extremste vorstellbare Krise, sondern genau durch diese heil hindurch führt. Hans Joachim Iwand formuliert: »Die Gerechtigkeit, die Christus bringt, ist die im Endgericht, also endgültig uns zugeeignete.«39 Neutestamentlich stehen hier neben den wunderbaren Schlussworten von Röm. 8 vor allem auch Christi Worte aus Joh. 5,24 im Hintergrund: Die an ihn Glaubenden kommen nicht mehr vor Gottes Gericht; sie haben den Tod schon hinter sich gelassen und das unvergängliche Leben erreicht! Für sie hat die Ewigkeit in der Bindung mit dem Auferstandenen bereits begonnen. Statt mit Zwingli und Calvin zurückzublicken auf den Ursprung der Erwählung durch Gott, gilt es mit Luther im Geist Christi nach vorn zu schauen auf das Ziel aller Dinge – und frohe Gewissheit zu gewinnen in der durch nichts mehr zu überholenden Geborgenheit lebendiger Liebesverbindung mit dem Richter, der zum Retter schlechthin geworden ist. Die einzige Bedingung, nämlich der Glaube als diese Verbindung selbst, erweist sich ihrerseits als »geschenkt«, nämlich als Geistesgabe dessen, der mit sich selbst alles schenkt (Röm. 8,31). Konditionales ist in diesem theonomen Paradigma nicht zu Hause, Leistung als irgendwie Verrechenbares überflüssig geworden.

Ist damit etwa alles Leisten für Christenmenschen sinnlos geworden? Keineswegs! Wie bereits dargelegt, wird der gesundete Baum von selbst gute Früchte bringen, ohne dass diese in die Perspektive einer Verrechnung geraten. Gleichwohl werden sie belohnt: Im letzten Gericht wird es neben dem im Glauben bereits dankbar antizipierten Freispruch keine völlige Blindheit des gerechten Richters geben, sondern eine Würdigung mit den Augen der Liebe. Dabei bleibt das Moment der Verurteilung nicht in jeder Hinsicht aus. Paulus erklärt: »Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet wer­den, doch so wie durchs Feuer hindurch« (1. Kor. 3,15).

Das göttliche Gericht steht mitnichten im Zeichen von rächender oder technischer Gerechtigkeit, sondern im Zeichen von Gottes Lamm, des Gekreuzigten, der »die künftige Hölle besiegt hat«40 – so Martin Luther, der von einem Gericht nach den Werken nicht in Verbindung mit der Rechtfertigungslehre spricht, »sondern außerhalb von ihr«41. Der Reformator kann sagen: »Die Werke sind notwendig zum Heil, aber sie verursachen das Heil nicht; denn der Glaube allein gibt das Leben.«42 Für Luther ist der Glaube an Christus in diesem Sinn das eine Werk, das Gott erwartet und ohne das alle nur denkbaren Werke ihren Wert einbüßen43. Fein unterscheidet er die Paradigmen bei der Bewertung geleisteter Werke in seiner Schrift »Von den guten Werken« (1520), in der er die theonome Perspektive deutlich von der heteronomen abhebt: Ein Christenmensch tue im Glauben »alles fröhlich und frei, nicht um viele gute Verdienste und Werke zu sammeln, sondern weil es ihm eine Lust ist, Gott damit wohlzugefallen … Umgekehrt, wer mit Gott nicht eins ist oder daran zweifelt, der fängt an, sucht und sorgt, wie er doch noch genugtun und Gott mit vielen Werken bewegen ­wolle.«44

Bekanntlich hat Luther diesen Paradigmenwechsel existenziell durchlebt und ist gerade darüber zum Reformator geworden. Würde er wohl heute gegen das »protestantische Paradox« protestieren?

Leistung im Zeitalter extremer Beschleunigung

Im Mittelalter gab es bereits eine religiöse Leistungsgesellschaft im heteronomen Sinn: »Die Gewährung von Ablässen machte die Teilnahme am Kreuzzug in einer religiösen Leistungsgesellschaft attraktiv.«45 In der Moderne und Postmoderne hat man es mit einer säkular bestimmten Leistungsgesellschaft zu tun, zu deren pluralistischer Kultur es gehört, dass heteronomes und autonomes Verständnis von Leistung miteinander Hand in Hand gehen. Auch die theonome, von der Freiheit und Freude eines Christenmenschen geprägte Auffassung von Leistung gibt es sicherlich – aber offenkundig nicht so, dass sie die gesellschaftliche Wirklichkeit befreiend prägt. Das protestantische Paradox ist kein eingebildetes Phänomen.

Auf der Ebene individueller Existenz sind Christinnen und Christen den Strukturen der immer technokratischer ausgestalteten Leistungsgesellschaft mit ihrem wachsenden Tempo46 und der vielfachen Erwartung steter Erreichbarkeit47 weitgehend ausgeliefert. Sie können aber zumin­dest von der Innerlichkeit ihres Glaubenslebens her Gegengewichte aufbauen. Die Einstellung formt Erfahrung mit. Wenn Leistung weniger in der Perspektive ihrer heteronomen, weltli­chen Bezüge und mehr in der Relation theonomer Lebenspraxis wahrgenommen und verortet wird, stellt sich ihre Sinngebung anders, nämlich weniger bedrückend und vielleicht revi­sionsbedürftig dar. Im Licht der befreienden Christus-Botschaft kann der eigene Umgang mit Fremdbestimmung und Energieeinsatz so manche Korrektur zum Besseren erfahren. Die Ausstrahlung und das Zeugnis glaubender Menschen, die weder von Todesfurcht noch von falschen Ängsten vor vergänglichen Mächten geknechtet sind, vermögen ihrerseits in ihrer Mitwelt Ermutigung und neue Orientierung zu stiften. Wer bereits mitten im Leben seinen Anker im Himmel befestigt weiß (Hebr. 6,19; 13,14; Phil. 3,20), der wird als Leistender ebenso wie als Leidender von der himmlischen Leistung seines Herrn her entscheidende Kraft beziehen.

Was der Einzelne freilich nur bedingt zu bewirken vermag, können Gemeinden und Kirchenleitungen mit anderen Mitteln erreichen. Je mehr Verantwortung besteht, desto mehr Möglichkeiten gibt es, etwas in der Richtung zu leisten, dass die Bewertung von und der Umgang mit Leistung in der Gesellschaft sich ändern. Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes in Christus verpflichtet und ermutigt zum Einsatz für humanere Strukturen in der Arbeits- und Lebenswelt insgesamt48 – und zum Protest gegen die Relativierung des Menschlichen im aufkommenden Trans- und Posthumanismus49. Protestantische Kirchen sind als solche besonders aufgerufen, das »protestantische Paradox« abzubauen, indem sie mit ihrer durchaus steilen Rechtfertigungsbotschaft vermehrt ernst machen – sowohl durch sorgfältigere Verkündigung und Lehre als auch durch ethisch vorbildliches Tätigsein und uneingeschränktes Engagement.

Hierzu gehört aber nicht zuletzt der Mut zu angemessenem Nichtstun, nämlich zu durchaus gebotener Muße50 und zur Absage an Überforderung und Zumutungen jeder Art. Das gilt zum einen für die Kräfteeinteilung im eigenen Leben; Erschöpfung und Burn-out51 lassen sich oft durchaus vermeiden und Freizeit oder Konsum müssen nicht auch noch zu Regionen des Leistens verkommen. Es gilt zum andern hinsichtlich christlicher Wahrnehmung von Verantwortung für notwendige Schonung und hilfreiche Schutzmaßnahmen in der Lebensgestaltung der Mitmenschen – und für die Würde all derer, die noch nichts oder nichts mehr leisten können.

Spätestens in diesen Zusammenhängen kommt christlicher Existenz, kommt auch Theologie und Kirche eine politische Dimension und Strahlkraft zu. Entsprechende Wirksamkeiten und Aktivitäten verlieren allerdings ihren Sinn genauso wie alle fromm gemeinten »Werke«, wenn sie nicht aus dem Geist Christi selbst heraus erwachsen und erkennbar von der Quelle zeugen, der sie sich verdanken. Ist das protestantische Paradox vielleicht gerade auch der Paradoxie geschuldet, dass evangelische Kirche den Ball ihrer eigenen Botschaft oft eher flach zu halten scheint, um inmitten der Leistungsgesellschaft den Anschein der betreffenden Paradoxie gar nicht erst aufkommen zu lassen?

 

Anmerkungen:

1 Dazu meine Bücher »Die digitalisierte Freiheit. Morgenröte einer technokratischen Ersatzreligion« (Berlin 2014,2) und »Digitaler Turmbau zu ­Babel. Der Technikwahn und seine Folgen« ­(München 2015).

2 Vgl. Yvonne Hofstetter: Das Ende der Demokratie. Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und uns entmündigt, München 2016; Werner Thiede: Digitale Revolution und Menschenwürde. Ruiniert High Tech die Ethik?, in: Umwelt – Medizin – Gesellschaft 2/2015, 127-136.

3 Robert Leicht: Zur gegenwärtigen Lage des deutschen Protestantismus, in: (http://www.ekd.de/glauben/geistliches_leben/vortraege/protestantismus.html – Zugriff 21.2.2017).

4 Vgl. z.B. für die Gegenwart, aber auch rückblickend Karl Otto Hondrich u.a.: Krise der Leistungsgesellschaft? Opladen 1988; Gernot Böhme (Hg.): Kritik der Leistungsgesellschaft, Basel 2010. Die Leistungsgesellschaft bringe »Depressive und Versager hervor«, erklärt Byung-Chul Han (Müdigkeitsgesellschaft, Berlin 2010, 18). Einen Grund für die enormen Beschleunigungsprozesse unserer Zeit erblickt Han in der Säkularisierung: »Gerade auf das nackte, radikal vergängliche Leben reagiert man mit der Hyperaktivität, mit der Hysterie der Arbeit und Produktion. … Die ­Arbeits- und Leistungsgesellschaft ist keine freie Gesellschaft. Sie erzeugt neue Zwänge« (35).

5 Zit. nach EKD-Dossier Nr. 6/2014, 2.

6 Siehe Paul Tillich: Systematische Theologie Bd. II, Stuttgart 19796, 102, wo die übliche Definition des Widerstreits zweier in sich evidenter Aussagen als »logisches Spiel mit Widersprüchen« ausdrücklich negiert wird. Vgl. im Übrigen Kurt Wuchterl: Art. Paradox I. Philosophisch, in: TRE 25 (1995), 726-731, bes. 727.

7 Siehe Duden: Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, Berlin 20145, 517.

8 Nach Horst Georg Pöhlmann ist es »der Leistungsdruck unserer Leistungsgesellschaft, der den einzelnen in eine ›Dauerspannung‹ und ›Dauermobilmachung‹ versetzt …« (Abriß der Dogmatik, Güters­loh 19803, 163).

9 Die auffällige Zunahme von Burn-out-Fällen in der Digitalisierungsgesellschaft dürfte auch mit riskanten Umweltbedingungen durch zunehmende, baubiologisch rücksichtslose Funkbelastung zu tun haben, die letztlich als technische Hochleistung damit gerechtfertigt sein soll, dass sie menschliches Leistungsvermögen ausweitet (vgl. Ruediger Dahlke: Seeleninfarkt. Zwischen Burn-out und Bore-out, München 2012; Werner Thiede: Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft, München 2012).

10 Paul Tillich definiert: »Autonomie bedeutet den Gehorsam des Individuums gegenüber dem Vernunftgesetz, das es in sich selbst als einem vernünftigen Wesen findet. Der Nomos (Gesetz) des Autós (Selbst) ist nicht das Gesetz der Struktur der eigenen Person, er ist das Gesetz der subjektiv-objektiven Vernunft« (Systematische Theologie Bd. I, Stuttgart 19775, 102).

11 Ein Beispiel dafür ist Max Reger: Der Katholik war wegen der Heirat mit einer evangelischen geschiedenen Frau exkommuniziert worden und quälte sich seither autonom im Rahmen einer christlichen Privatreligion mit einer »Werkgerechtigkeit« ab: »Allein durch Handlungen und Taten wollte er sich rechtfertigen, und diese waren – wie alles in seinem Leben – immer mit Musik verbunden. Wie Bach sah er in der Musik eine Schöpfung Gottes, der er nach Kräften zu dienen suchte. Diese zentrale Funktion des Musikmachens – letztlich um sich von Schuld frei zu machen – mag eine tiefere Begründung für seine selbstzerstörerische Arbeitswut gegeben haben« (Susanne Popp: Max Reger. Werk statt Leben, Wiesbaden 20162, 454).

12 Gilt der Mensch esoterisch in seinem inneren Kern als immer schon göttlich, muss er sich eigentlich keinem Gott gegenüber erst noch als gerecht erweisen. Wohl aber muss er in seinem Entfremdungsdasein darum kämpfen, sich seine wahre Identität wieder bewusster zu machen und sie durch sein Handeln sich selbst und anderen zu beweisen, ja sie mit der autarken göttlichen Kraft wieder in ihrer Reinheit herzustellen (dazu mein Büchlein »Theologie und Esoterik«, Leipzig 2008).

13 Die zuerst 1904 unter diesem Titel veröffentlichten Studien Max Webers erschienen 1920 überarbeitet und ergänzt im I. Band seiner »Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie« (1-206), als Buch 1934.

14 Huldrych Zwingli: Schriften, Bd. I, hg. von Th. Brunnschweiler und S. Lutz, Zürich 1995, 228 (1523). Nächstes Zitat ebd. Freilich kann Zwingli zugleich betonen, die Werke des Glaubens ­würden nichts zur Rechtfertigung aus Gnade ­beitragen.

15 Vgl. Johannes Calvin: Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae Religionis, hg. von Otto Weber, Bd. 2, Moers 1937, 328.

16 Vgl. Alfred Kurz: Die Heilsgewißheit bei Luther, Gütersloh 1933; Eberhard Jüngel: Anfechtung und Gewißheit des Glaubens oder wie die Kirche wieder zu ihrer Sache kommt, München 1986.

17 Der römische »Weltkatechismus« (1993) lehrt statt des reinen Gnadenprinzips das Prinzip gnadenhaft ermöglichter Verdienstlichkeit: »Vom Heiligen Geist und der Liebe dazu angetrieben, können wir uns selbst und anderen die Gnaden verdienen, die zu unserer Heiligung, zum Wachstum der Gnade und der Liebe sowie zum Erlangen des ewigen Lebens beitragen« (Katechismus der Katholischen Kirche, München u.a. 1993, Nr. 2010). Es gebe eine gottgewollte Genugtuung durch fromme Werke (Nr. 2004 und 2008f).

18 Weber: Gesammelte Aufsätze I, a.a.O., 131.

19 Auch dem nordamerikanischen Soziologen ­Gerhard Lenski zufolge sind die beträchtlichen »Beiträge des Protestantismus zum materiellen Fortschritt« größtenteils »unbeabsichtigte Nebenwirkungen« bestimmter protestantischer Verhaltensweisen gewesen (The Religious Factor. A Sociological Study of Religion’s Impact on Politics, Economics, and Family Life, Garden City 1963).

20 Vgl. Richard Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Wiesbeck 2000; Dirk Kurbjuweit: Unser effizientes Leben. Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen, Reinbek 2003; Luc Boltanski/Eve Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2006; Robert Reich: Superkapitalismus. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie untergräbt, Frankfurt/New York 2008; Hans-Jürgen Jacobs: Wem gehört die Welt? Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus, München 2016; Sebastian Friedrich: Lexikon der Leistungsgesellschaft. Wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt, Münster 2016.

21 So hat die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) erklärt, in all ihren Gebäuden freies WLAN installieren zu wollen (dazu mein Beitrag »›Godspot‹. Warum Kirche kein WLAN-Anbieter sein sollte« in: DPfBl 11/2016, 652f).

22 Hansjörg Hemminger: Weltanschauliche Trends 2006, in: theologische beiträge 37 (2006), 80-93, hier 86.

23 Siehe Felix Klopotek u.a. (Hg.): Zonen der Selbstoptimierung. Berichte aus der Leistungsgesellschaft, Berlin 2016.

24 Gerade in der Berufsleistung wird vielfach Sinn gesucht und für eine Lebensspanne gefunden. Christian Gremmels kritisiert, dass oft Arbeit »von einem Mittel zum Leben zu dessen einzigem Zweck geworden« ist (Handbuch der christlichen Ethik Bd. II, Gütersloh 1978, 367). Entsprechend klappen manche Berufstätige zusammen, wenn Überforderung droht bzw. Unterforderung bei Arbeits­losigkeit oder Rentenbeginn.

25 Vgl. Art. Wilhelm Neuser: Calvins Theologie, in: EKL3 Bd. 1, Göttingen 1986, 621-630, bes. 629.

26 Dietrich Bonhoeffer: Ethik. Werke Bd. 6, hg. von Ilse Tödt u.a., München 1992, 35f.

27 Bonhoeffer, a.a.O., 288. Nächstes Zitat ebd.

28 A.a.O., 108. Dabei »kommt es aber für die Wahrnehmung ethischer Verantwortung auch darauf an, dass ein Mensch weiß, dass weder sein (noch irgendeines Menschen) Menschsein, noch seine Menschenwürde durch seine ethischen Möglichkeiten und Leistungen konstituiert wird, sondern nur als etwas ihm (und allen anderen Menschen) Gegebenes in Anspruch genommen werden kann und muss« (Wilfried Härle: Ethik, Berlin/New York 2011, 102; vgl. 371f).

29 Bonhoeffer, a.a.O., 112. »Das Geschöpf wendet sich gegen seinen Schöpfer – seltsame Wiederholung des Sündenfalles!« (ebd.).

30 A.a.O., 112. Die Technik erzeugt Bedürfnisse bei den Massen, die sie selbst befriedigen kann – ein Kunststück aus dem Reservoir des Kapitalismus! Nicht von ungefähr spreche ich in dem Buch »Digitaler Turmbau« von einem digitalen Massenwahn (a.a.O., 14ff).

31 Vgl. Florian Kolf/Britta Weddeling: Der Kampf ums Gehirn, in: Handelsblatt Nr. 234 vom 4.12.2014, 1.

32 Vgl. Bonhoeffer: Ethik, a.a.O., 113f.

33 Vgl. Thiede: Turmbau, a.a.O., 39f. »Inzwischen sind wir alle Cyborgs«, notiert Sherry Turkle im 8. Kapitel ihres Buches »Verloren unter 100 Freunden. Wie wir in der digitalen Welt seelisch verkümmern« (München 2012).

34 A.a.O., 115. Bonhoeffer geißelt eine »Vitalitätsethik«, die verkennt, dass Leistung und Demut zusammen gehören (251).

35 Götz Hamann: »Wir sind schon Science-Fiction«, in: Die ZEIT Nr. 48/2011, 36.

36 Gregor Taxacher: Apokalypse ist jetzt! Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit, Gütersloh 2012.

37 Dazu mein Buch »Der gekreuzigte Sinn. Eine trinitarische Theodizee« (Gütersloh 2007).

38 Vgl. Max Picard: Die Flucht vor Gott. Warum ist der Mensch allein?, Leipzig 1934; Otto Gerok: Flucht vor oder zu Gott?, Stuttgart 1956.

39 Hans-Joachim Iwand: Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, in: Glaubensgerechtigkeit. Gesammelte Aufsätze II, hg. von G. Sauter, München 1980, 11-125, hier 120. Ebenso Wolfhart Pannenberg: Systematische Theologie, Bd. II, Göttingen 1991, 444, und Bd. III, a.a.O., 251; ferner ­Eberhard Hahn: »Ich glaube … die Vergebung der Sünden«, Göttingen 1999, bes. 210ff.

40 So Luther: WA 46, 312, 7f. Zur Frage der Negierung einer ewigen Hölle verweise ich auf meinen Aufsatz »Fegfeuer – Endgericht – Allversöhnung. Der Gerichtsgedanke im Licht protestantischen Rechtfertigungsglaubens, in: ThLZ 136 (2011), 1129-1144.

41 Bernhard Lohse: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, 282. Vgl. auch Ole Modalsli: Das Gericht nach den Werken. Ein Beitrag zu Luthers Lehre vom Gesetz, Göttingen 1963; Lieselotte Mattern: Das Verständnis des Gerichtes bei Paulus, Zürich/Stuttgart 1966; Werner Thiede: Luthers individuelle Eschatologie, in: LuJ 49 (1982), 7-49.

42 WA 39 I, 96, 7-9 (übersetzt).

43 Vgl. Martin Luther: Von den guten Werken (WA 6, 196-276), in: Karin Bornkamm/Gerhard Ebeling (Hg.): Martin Luther: Ausgewählte Schriften, Bd. 1, Frankfurt/M. 1982, 38-149, hier 42, 51, 57 u.ö.

44 Ebd., 46. Vgl. auch Karl Barth: Die kirchliche ­Dogmatik IV/1, Zürich 1953, 700ff; Stefan Heuser: Instrumente des Guten. Konkretionen einer Sozialethik der guten Werke, Stuttgart 2017.

45 Johannes Schilling: Art. Papst/Papsttum, 1. Kirchen- und dogmengeschichtlich, in: EKL3 Bd. 3, Göttingen 1992, 1016-1027, hier 1021.

46 Vgl. Karlheinz Geißler: Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine. Wege in eine neue Zeitkultur, München 2014; Werner Thiede: Die Beschleunigungsgesellschaft, in: Materialdienst der EZW 5/2015, 164-172.

47 Für die Pfarrexistenz habe ich dazu Stellung bezogen in dem Beitrag »Ständig unter Strom? Das Gesetz der ständigen Erreichbarkeit«, in: Korrespondenzblatt des Pfarrerinnen- und Pfarrervereins 11/2012, 156-158.

48 Dazu die EKD-Denkschrift »Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt« (Gütersloh 2015).

49 Hofstetter hat Recht: »Den neuen Technologiegiganten ist das Humane zwangsläufig egal, sie scheuen auch nicht einmal, sich entsprechend zu äußern. … Das Humane ist ihnen überflüssig, denn der Mensch, sagen sie, sei nur Maschine. Wer Menschen erst einmal überflüssig gemacht hat, kann sich jeglicher Verantwortung für den Menschen entziehen« (a.a.O., 416f). Auch der Internetexeperte Jaron Lanier weiß: »Der Glaube, dass Menschen etwas Besonderes sind, ist unter Technokraten eine Minderheitenposition …« (Wem gehört die Zukunft?, Hamburg 20142, 258).

50 Vgl. Ulrich Schnabel: Muße. Vom Glück des Nichtstuns, Augsburg 2012. Jan Ross überlegt: »Die Gegenwart produziert eine ungeheure Vielfalt an Glücksmöglichkeiten – wirtschaftlich, komfortmäßig, sexuell, emotional –, aber auch einen eigenen Glücksterror. Hoffnungslose Fälle, die komplett aus der Leistungs- und Genussgesellschaft herausfallen, sind nicht vorgesehen. Das Kreuz steht dagegen … für ein Bild vom Menschen, das kostbar und bedroht ist« (Das ist Gott!, in: Die ZEIT Nr. 47/2012, 70).

51 Hofstetter weiß: »Burn-outs gelten als modernste Erkrankung der westlichen Arbeitnehmerschaft. An der steigenden Geschwindigkeit des Arbeitstempos, an kurzfristig wechselnden Arbeitsumgebungen mit neuen Software-Funktionen, am ›sportlichen‹ Mithalten in einer immer schneller werdenden Arbeitswelt oder an der Forderung dauernder Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten erkranken immer mehr Arbeitnehmer« (a.a.O., 368). Vgl. auch Andreas Hillert/Michael Marwitz: Die Burnout-Epidemie. Oder: Brennt die Leistungsgesellschaft aus?, München 2006; Franz-Josef Wetz: Burnout. Die Lebenslüge der Leistungsgesellschaft, in: MUT Nr. 532 (3/2012), 56-69; Sighart Neckel/Greta Wagner (Hg.): Leistung und Erschöpfung, Frankfurt/M. 2013; Stephan Grünewald: Die erschöpfte Gesellschaft, Freiburg i.Br. 2015.

 

 

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. theol. habil. Werner Thiede, Pfarrer der ELKB, apl. Prof. für Syst. Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Publizist (werner-thiede.de)

neueste Publikation: Evangelische Kirche – Schiff ohne Kompass? Impulse für eine neue Kursbestimmung (Wiss. Buchgesellschaft: Darmstadt 2017).

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2017

URL:

https://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/archiv?tx_pvpfarrerblatt_pi1%5Baction%5D=show&tx_pvpfarrerblatt_pi1%5Bcontroller%5D=Item&tx_pvpfarrerblatt_pi1%5Bitem%5D=4356&cHash=ea8d7602e568dbf9fe83d8aca3391620

 

 

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