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9. Das Versagen des <Retters mit dem Schwert>  

Toynbee-1950

 

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Der angebliche Retter einer in Auflösung befindlichen Gesellschaft ist notwendig ein Retter mit dem Schwert. Aber ein Schwert kann entweder gezogen sein oder in der Scheide stecken, und der Träger des Schwertes kann ebenfalls zwei entsprechende Haltungen einnehmen. Entweder kann er mit blanker Waffe um sich schlagen wie die mit den Giganten kämpfenden Götter, so wie sie der Fries von Delphi oder der von Pergamon darstellt; oder er kann stattlich dasitzen, ohne daß man die in die Scheide gesteckte Klinge sieht, wie ein Sieger, der »alle seine Feinde unterworfen« hat.

Die letztere Haltung ist das Ziel, zu dem die erstere ein Mittel ist. Und wenn ein David oder ein Herakles, der nie von seinen Mühen ausruht, bis er im Harnisch stirbt, romantischere Gestalten sein mögen als ein Salomo in all seiner Herrlichkeit oder ein Zeus in seiner ganzen Majestät, so wären doch Herakles' Mühen und Davids Kriege planlose Anstrengungen, wenn sie nicht die heitere Ruhe Zeus' oder den Reichtum Salomos zum Ziel hätten. Man schwingt das Schwert nur, wenn man hofft, daß man es zu einem so guten Zweck führen kann, daß es schließlich nichts mehr zu tun hat. Aber diese Hoffnung ist eine Illusion. Nur im Märchenland zerhauen die Schwerter gordische Knoten, welche die Finger nicht lösen können.

»Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen« ist das unabänderliche Gesetz des wirklichen Lebens. Und der Glaube des Schwertträgers an einen endlichen Sieg ist eine Illusion. David wird es gar nicht gestattet, den Tempel zu bauen; aber auch Salomos Bau wird nur errichtet, um von Nebukadnezar niedergebrannt zu werden. Herakles gelangt während seines ganzen Lebens nicht auf die Höhen des Olymp; aber auch Zeus baut seinen Thron auf den schreckenerregenden Berggipfel nur um das Schicksal zu erleiden, auch seinerseits in den Abgrund geschleudert zu werden, in den er vorher mit eigener Hand die Titanen gestürzt hat.

Warum kann eine in Auflösung befindliche Gesellschaft denn nun eigentlich nicht durch das Schwert gerettet werden, wenn der Träger des Schwertes wirklich gewillt ist, seine Waffe so bald wie möglich wieder in die Scheide zu stecken und sie, solange es irgend geht, unbenutzt darin zu lassen?

Ist nicht diese doppelte Handlung des Ziehens und Wieder-in-die-Scheide-Steckens ein Zeichen von gutem Willen, der auch belohnt werden sollte? Der Krieger, der gewillt ist, bei der ersten Gelegenheit auf eine Waffe zu verzichten, die er überhaupt nur beiseitelegen kann, weil er sie gerade so erfolgreich gebraucht hat, muß als Sieger auch ein Staatsmann und als Staatsmann etwas wie ein Weiser sein. Er muß ein großes Maß bewahrenden gesunden Menschenverstandes und zumindest ein Körnchen der feineren Tugend der Selbstbeherrschung haben. Der Verzicht auf den Krieg als ein Mittel der Politik ist ein Entschluß, der ebenso nützlich zu sein verspricht, wie er edel und weise ist. Und wenn er aufrichtig gefaßt wird, gibt er immer Veranlassung zu großen Hoffnungen.

Warum sind diese scheinbar berechtigten Hoffnungen dazu verurteilt, enttäuscht zu werden, wie das in so bemerkenswerter Weise der Fall war bei der Pax Augusta, die Hoffnung auf Dauer, die man in sie gesetzt hatte, nicht erfüllen konnte? Ist denn »kein Raum für Reue«? Kann der Triumvir, der einst die Ächtungen durchgeführt und Nutzen aus ihnen gezogen hat, niemals wirklich zum Vater des Vaterlandes werden? Die Antwort auf diese quälende Frage gibt die horazische Ode eines englischen Dichters auf die Rückkehr eines abendländischen Cäsars aus einem siegreichen Feldzug, in dem der Sieger seine militärische Aufgabe anscheinend triumphierend vollendet hatte. Dieses Gedicht, das ein Triumphlied auf einen besonderen Sieg sein soll, klingt in seinen beiden letzten Strophen wie die Totenglocke des Militarismus:

»Doch du, des Krieges und des Glückes Hort,
Zieh unbesiegbar immer fort!
     Und für die letzte Tat
     Halt noch das Schwert gerad'!
Zu fürchten hat's nicht nur die Macht,
Nein, auch die Geister dunkler Nacht.
     Nur was den Sieg gewann,
     Den Sieger halten kann.«*

*  Andrew Marwell, Eine horazische Ode auf Cromwells Rückkehr aus Irland

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Dieser klassisch formulierte Wahrspruch über die Laufbahn des frühesten sogenannten Retters mit dem Schwert in der Geschichte der Neuzeit unserer abendländischen Kultur hat einen scharfen Stachel; aber noch schärfer ist der des Schlagworts des 19. Jahrhunderts: »Alles kann man mit Bajonetten tun, nur nicht darauf sitzen.« Ein Werkzeug, das einmal dazu benutzt worden ist, das Leben zu zerstören, kann nicht, wie es dem Benutzer gerade paßt, auch dazu verwandt werden, Leben zu bewahren.

Der Zweck einer Waffe ist es, zu töten. Und ein Herrscher, der sich kein Gewissen daraus gemacht hat, »durch Blutvergießen auf den Thron zu gelangen«, wird erleben — wenn er versucht, seine Macht ohne weitere Inanspruchnahme der schrecklichen Waffen, mit denen er sie gewonnen hat, zu halten —, daß er früher oder später vor die Wahl gestellt wird, sich seine Macht entweder wieder entgleiten zu lassen oder durch weiteres Blutvergießen die Frist zu verlängern. 

Der Gewaltmensch kann nicht zugleich seine Gewaltsamkeit aufrichtig bereuen und doch dauernden Nutzen daraus ziehen. So leicht ist das Gesetz des Karma nicht zu umgehen. Der Retter mit dem Schwert kann sein Haus vielleicht auf Sand bauen, aber niemals auf den Felsen. Er ist auch nicht imstande, durch einen Stellvertreter für die Ewigkeit zu bauen, durch das Hilfsmittel einer Arbeitsteilung wie der zwischen dem blutbefleckten David und dem schuldlosen Salomo. Denn die Steine, mit denen Salomo baut, werden von David gehauen worden sein. Und das gegen den Vater ausgesprochene Verbot: »Du sollst meinem Namen nicht ein Haus bauen; denn du bist ein Kriegsmann und hast Blut vergossen«, gilt auch für ein Haus, das der Sohn im Namen seines Vaters baut.

Dieses schließliche Versagen aller Versuche, das Heil mit dem Schwert zu gewinnen, wird nicht nur in Dichtung, Mythus und Legende verkündet, sondern auch von der Geschichte dargelegt. Denn »das Unrecht der Väter«, die ihre Zuflucht zum Schwert genommen haben, wird »an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied« heimgesucht. In unserer eigenen Zeit sind die Nachkommen der protestantischen englischen Militärkolonisten, die Cromwell nach Irland verpflanzte, damit sie das eroberte katholische Land niederhalten sollten, mit denselben Waffen der Gewalt und des Unrechts, denen sie ihr fluchbeladenes Erbe verdankten, von den unrechtmäßig erworbenen Gütern ihrer Vorfahren wieder vertrieben worden.

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Und 1937 wurde der Besitz des Gemeinwesens britischer Geschäftsleute im Vertragshafen und in der Niederlassung von Schanghai, der sich auf das Unrecht des Opiumkrieges von 1840-1842 gründete, von Japanern und Chinesen zerstört, die durch das Beispiel der Engländer, welche sich durch kriegerische Gewalttätigkeit vorübergehend Handelsvorteile zu verschaffen gewußt hatten, zum Militarismus erzogen worden waren.

Diese beiden Urteilssprüche der Geschichte sind keine Ausnahmen. 

Die klassischen Retter mit dem Schwert sind die Feldherren und Fürsten gewesen, die danach gestrebt haben, oder denen es gelungen ist, die Universalstaaten zu begründen, in welche die in Auflösung befindlichen Kulturen übergehen, wenn sie ihre »Zeit der Wirren« bis zum bitteren Ende durchgemacht haben. 

Allerdings kann der Übergang von der »Zeit der Wirren« zum Universalstaat auch eine große Erleichterung für die gequälten Menschen einer sich auflösenden Gesellschaft mit sich bringen. In solchen Fällen zeigen diese manchmal ihre Dankbarkeit gegenüber dem erfolgreichen Begründer des Universalstaates dadurch, daß sie ihn als Gott verehren. Wir werden aber sehen, wenn wir dazu kommen, diese Universalstaaten näher zu betrachten, daß sie bestenfalls kurzlebig sind. Und wenn sie einmal durch einen Gewaltstreich ihre normale Lebensdauer beträchtlich überschreiten, so haben sie diese unnatürliche Langlebigkeit damit zu bezahlen, daß sie in soziale Ungeheuerlichkeiten ausarten, die in ihrer Weise ebenso verderblich sind wie die »Zeiten der Wirren«, welche ihrer Begründung vorausgehen, oder die Interregnen, die ihrem Verfall im normalen Stadium folgen.

Die Verbindung der Geschichtsabläufe von Universalstaaten mit den Laufbahnen sogenannter Retter mit dem Schwert legt nicht nur im allgemeinen Zeugnis ab für die Unwirksamkeit der Gewalt als eines Mittels zum Heil. Sie versetzt uns auch in die Lage, das Tatsachenmaterial zu gewinnen und zu sichten, indem sie uns das Merkmal an die Hand gibt, nach dem wir die angeblichen Retter dieser Art herausfinden und in einer Weise anordnen können, die es uns ermöglicht, sie der Reihe nach zu betrachten.

Als erste wollen wir diejenigen der sogenannten Retter mit dem Schwert mustern, welche mit Klingen, die so unangebracht und wirkungslos waren wie die Siebe der Danaiden, in die zahlreichen Kriege einer »Zeit der Wirren« dreinschlugen.

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In der hellenischen »Zeit der Wirren« (etwa 431-31 v. Chr.) sehen wir in der ersten Generation die ritterliche Gestalt des Lazedämoniers Brasidas, der sein Leben gab, um die griechischen Stadtstaaten der Chalzidize vom athenischen Joch zu befreien. Sein Werk wurde aber weniger als ein halbes Jahrhundert später von ändern Lazedämoniern wieder vernichtet, die die Vorbereitungen dafür treffen sollten, daß Philipp von Mazedonien ein schwereres Joch auf den Nacken aller hellenischen Staaten außer Sparta selbst legte. Unmittelbar auf Brasidas folgt die finstere Gestalt seines Landsmannes und Zeitgenossen Lysander. Diesem gelang es, die griechischen Stadtstaaten entlang der asiatischen Küste des Ägäischen Meeres zu befreien und der athenischen »Thalassokratie« den Gnadenstoß zu versetzen. Er brachte den früheren Untertanen Athens aber nur die lazedämonische Geißel anstelle der attischen Peitsche und brachte sein eigenes Land auf einen Weg, der es im Verlauf von 33 Jahren von Ägospotamoi nach Leuktra führte. 

Und jede der folgenden Generationen fügt irgendeine Gestalt zu unserer Reihe. Da sehen wir den Thebaner Epaminondas die Arkadier und Messenier befreien und Sparta bestrafen, so wie Lysander Athen bestraft hat — nur um die Phoker anzureizen, auch Theben auf die gleiche Weise zu bestrafen. Ferner sehen wir, wie der Mazedonier Philipp Hellas von der phokischen Geißel befreit und von den Thebanern und Thessaliern, die am meisten unter ihr gelitten hatten, als »Freund, Wohltäter und Retter« begrüßt wird — nur um die Freiheit dieser beiden hellenischen Völker auszulöschen, die einmal so naiv waren, »alles Gute von ihm zu denken«. Und dann sehen wir auch, wie Alexander versucht, die Hellenen mit der mazedonischen Vorherrschaft auszusöhnen, indem er sie in das abenteuerliche Unternehmen führt, aus dem gesamten Achämenidenreich eine gemeinsame Kriegsbeute zu machen. Aber er verlor nur die Vorherrschaft wieder, die sein Vater für Mazedonien gewonnen hatte, und schürte die Flammen des hellenischen Bürgerkrieges, indem er die Kriegskassen seiner rivalisierenden Nachfolger mit den Schätzen füllte, welche die Achämeniden in zwei Jahrhunderten gesammelt hatten.

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Eine parallele und gleichzeitige Reihe gescheiterter Retter mit dem Schwert finden wir in der andern Hälfte der hellenischen Welt westlich des Adriatischen Meeres. Wir brauchen nur die Liste ihrer Namen — Dionys I., Dionys II., Agathokles, Hiero und Hieronymus — durchzugehen, um zu sehen, daß das Versagen jedes einzelnen dieser Diktatoren schon in der bloßen Tatsache zum Ausdruck kommt, daß er stets die Aufgabe, mit der sein Vorgänger nicht fertig geworden war, wieder in Angriff nehmen mußte. Die Hauptaufgabe, zur Rettung des Hellenismus im Westen eine heilige Union zu schaffen, die stark genug war, dem doppelten Druck der syrischen Nebenbuhler von Afrika und der barbarischen Eindringlinge von Italien her zu widerstehen, blieb ungelöst. So wurde Sizilien schließlich der Schauplatz des Kampfes zwischen Rom und Karthago um die Beherrschung der Ökumene, und der fruchtbare hellenische Kulturboden wurde völlig verwüstet.

 

In der christlich-orthodoxen Welt ist eine gleiche Schar sogenannter Retter zu finden. Die Gestalten, welche uns hier begegnen, sind wohl sympathischer; aber ihre Wirkung war deshalb nicht größer. Im Hauptstamm der orthodoxen Christenheit haben wir den Kaiser Alexius Komnenus (1081 bis 1118 n.Chr.). Dieser riß mit der Unerschrockenheit eines David, der sein Lamm einem Löwen und einem Bären entriß, das oströmische Reich aus den Klauen der Normannen und der Seldschuken.

Und ein Jahrhundert später sehen wir, wie Theodor Laskaris nach der furchtbaren Katastrophe von 1204, einem Unglück, wie es die heilige Stadt Konstantins noch nie erlebt hatte, nicht an der Republik verzweifelte, sondern sich hinter den Mauern von Nizäa gegen die fränkischen Eroberer der Hauptstadt zur Wehr setzte. Aber alle Heldenhaftigkeit der Byzantiner war vergeblich, und die weitere Geschichte des oströmischen Reiches nahm einen tragischen Verlauf. Denn der französische Goliath, welcher auf dem Vierten Kreuzzug hindurchzog, teilte trotz allem nicht das Schicksal des normannischen Bären und des seldschukischen Löwen. Allerdings schien die schließliche Wiedereroberung Konstantinopels durch Michael Paläologus eine Weile das Werk Theodor Laskaris' mit einem nachträglichen Erfolg gekrönt zu haben. Es erwies sich in der Folge aber, daß sie nur das Schicksal des oströmischen Reiches besiegelt hatte, indem sie den Osmanen den Weg von der asiatischen nach der europäischen Seite der Schwarzmeerengen wies.

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In der Geschichte des russischen Seitenzweiges der christlich-orthodoxen Gesellschaft finden wir als Gegenstücke zu Alexius Komnenus und Theodor Laskaris Alexander Newskij (1252-1263 n. Chr.) und Dmitrij Donskoi (1362-1389). Diese führten ihr Schwert für die Rettung der russischen Welt während ihrer besonderen »Zeit der Wirren« (etwa 1078-1478), indem sie sie gegen die gleichzeitigen Angriffe der heidnischen Litauer und der Deutschordensritter im Nordwesten und der mongolischen Nomaden im Südosten verteidigten. Diese russischen Helden der orthodoxen Christenheit waren glücklicher als die griechischen Helden derselben Zeit. Denn die Festung, die sie unter so widrigen Umständen tapfer hielten, sollte im nächsten Kapitel der Geschichte nicht in fremde Hände fallen. Doch waren auch Alexander und Dmitrij nicht erfolgreicher als Alexius und Theodor in der Erfüllung ihrer persönlichen Aufgabe, eine »Zeit der Wirren« zu Ende zu bringen.

 

Diese Retter mit dem Schwert, deren Los es war, in »Zeiten der Wirren« aufzutreten, sind Herakles vergleichbar und haben nichts von einem Zeus an sich. Die nächste Gruppe, die im geschichtlichen Zusammenhang auf sie folgt, wird dagegen von Übergangs­erscheinungen gebildet, die zwischen dem herkulischen und dem jovischen Typ stehen. Diese sind nicht davon befreit, die Arbeiten des Herkules zu verrichten; aber sie sind auch nicht dazu verurteilt, dies ohne Hoffnung auf die Belohnung Jupiters zu tun. 

Diese jovischen Herkulesse oder herkulischen Jupiter sind die Vorläufer der erfolgreichen Begründer der Universalstaaten. Sie spielen die Rolle des Moses in seinem Verhältnis zu Josua, die des Ellas einem weltlichen Messias gegenüber oder die Johannes des Täufers in seiner Bezogenheit auf Christus — sofern die angeblichen Retter einer weltlichen Gesellschaft überhaupt mit den Boten eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist, verglichen werden können. Einige dieser Vorläufer sterben, ohne den Jordan überschritten oder mehr vom Gelobten Land erhalten zu haben als einen Blick vom Berge Nebo. Anderen dagegen gelingt es, den Übergang zu erzwingen und die Standarte ihres Reiches zeitweilig auf dem ändern Ufer aufzupflanzen.

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Aber diese kühnen Geister, die einen verfrühten Erfolg aus den Händen eines widerstrebenden Geschicks zu winden versuchen, müssen für ihre Verwegenheit eine Strafe erleiden, der diejenigen entgehen, welche ihr Schicksal erkennen und sich vor ihm beugen. Denn die Universalstaaten, welche sie vorzeitig gründen, stürzen wie Kartenhäuser ebenso schnell, wie sie errichtet worden sind, wieder ein. Und die verfrühte Arbeit dieser schlechten Baumeister findet ihren Platz in der Geschichte nur als ein Hintergrund, von dem sich das festgefügte Werk ihrer Nachfolger um so besser abhebt; denn diese machen das Unheil wieder gut, indem sie das eingestürzte Gebäude neu aufbauen, und zwar aus Granit, und nicht aus Pappe.

In der hellenischen Geschichte spielt Marius die Rolle des Moses, der in der Wüste stirbt. Er ist es, welcher den Weg wies, den in der nächsten Generation Julius beschreiten sollte. Allerdings waren Marius' Versuche, eine Diktatur auf der Grundlage der Gleichheit aller zu errichten, zögernd und schwerfällig. Er vermochte nicht einmal Ordnung zu schaffen und verschlimmerte noch die schon bestehenden anarchischen Zustände. Im Hauptstamm der orthodoxen Christenheit hätte der Osmane Bajazet Jilderim beinahe die doppelte Leistung Mohammeds des Eroberers, Konstantinopel zu erobern und mit Karaman abzurechnen, vorweg­genommen. Aber mitten in seinen Unternehmungen wurde der »Donnerer« durch den Angriff einer noch stärkeren Kriegsmacht unterbrochen.

Auf diese Vorhut, die das Gelobte Land wohl sieht, aber nie betritt, folgt eine zweite Reihe von Vorläufern, die das Ungeheuer der Anarchie zeitweilig bändigen, aber nicht so entscheidend, daß es nicht noch sein Haupt erheben oder seine Zähne zeigen könnte.

In der hellenischen Welt teilten sich Pompejus und Cäsar in die Aufgabe, die römische Anarchie in einen Zustand des Friedens überzuleiten; aber sie teilten sich auch in die Schuld, ihre Waffen gegeneinander gerichtet und dadurch das bereits Vollbrachte wieder zerstört zu haben. Die rivalisierenden Kriegsherren verurteilten eine Welt, die sie gemeinsam zu retten bestimmt waren, dazu, durch eine weitere Reihe von Bürgerkriegen aufgewühlt zu werden. Und der Sieger triumphierte nur, um wie Esau »verworfen« zu werden, »da er den Segen ererben wollte«, und »keinen Raum zur Buße« zu finden, »wiewohl er sie mit Tränen suchte«. Cäsar sühnte den Tod des Pompejus und den Tod Catos nicht durch seine berühmte Milde in der Zeit seiner scheinbaren Allmacht.

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Der Totschläger, der sein Schwert von weiterem Gemetzel zurückgehalten hatte, mußte deshalb doch durch die Dolche besiegter Gegner sterben, deren Leben er geschont hatte. Und als Cäsar sein tragisches Ende fand, hinterließ er noch eine weitere Folge von Bürgerkriegen; das war sein ungewolltes Vermächtnis an eine bemitleidenswerte Welt, die er aufrichtig zu retten gewünscht hatte. Das Schwert hatte noch mehr Tribut an Leben und Glück zu fordern, bevor die Aufgabe, welche Cäsar und Pompejus so leichtfertig vernachlässigt hatten, schließlich von Cäsars Adoptivsohn getreulich und gut durchgeführt wurde. Augustus gelang es, nachdem er den letzten seiner Gegner in der Schlacht bei Aktium niedergeworfen hatte, die aufgeblähten Heere, die ihm verblieben waren, zu demobilisieren.

In der syrischen Geschichte hat Divus Julius sein Gegenstück in Cyrus, der der vom Furor Assyriacus gepeitschten Welt die Pax Achaemenia brachte.

Cyrus beachtete zwar — wie erzählt wird — das Zeichen, das ihm Apollo vom Himmel sandte, und bereute die böse Absicht, die er gegen Krösus gehegt hatte. So sah er davon ab, seinen besiegten Gegner lebendig zu verbrennen, und nahm ihn statt dessen als vertrauten Ratgeber zu sich. Aber es war vergeblich. Nach dem Bericht Herodots verlor er, Jahre später, sein Leben dadurch, daß er nach einem schlechten Rat handelte, den ihm Krösus in gutem Glauben gegeben hatte. Das letzte Wort über Cyrus wurde von der Nomadenkönigin Tomyris gesprochen. Diese versprach, den unersättlichen Blutdurst des persischen Kriegsherrn zu stillen. Und sie machte ihre Drohung wahr, indem sie auf dem Schlachtfeld einen Weinschlauch mit dem Blute der Erschlagenen füllte und damit die Lippen des toten Cyrus besudelte. Auch ging Cyrus nicht allein durch die von ihm selbst erhobene Waffe zugrunde. Dem Tode des achämenidischen Staatengründers folgte der Zusammenbruch seines stattlichen Bauwerkes. Kambyses störte Cyrus' Pax Achaemenia, so wie Caligula und Nero Oktavians Pax Augusta gestört haben. Und Darius hatte Cyrus' zugrunde gerichtetes Werk wiederherzustellen, so wie Vespasian das des Augustus wiederhergestellt hat.

In derselben syrischen Welt ahmte mehr als tausend Jahre später der arabische Kriegsherr Omar die Blitzsiege des Cyrus nach und brachte das lange Zwischenspiel der hellenischen Überfremdung schließlich zu Ende.

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Und der Eroberer von Jerusalem zeigte auch dieselbe Milde wie der von Sardes; aber nur, um einmal wieder zu zeigen, daß es für einen sogenannten Retter mit dem Schwert »keinen Raum zur Buße« gibt. Einmal wieder stürzte ein mit dem Schwerte errichtetes Gebäude ein, sobald der Schwertarm des Erbauers zur Ruhe gekommen war. Nach Omars Tode wurde sein Werk wie das des Cyrus zuerst schmachvoll zugrunde gerichtet und dann glänzend erneuert.

Allerdings wurden die Rollen des Kambyses und des Darius in der Geschichte des Kalifats beide, eine nach der ändern, von dem vielseitigen Genie eines einzigen arabischen Staatsmannes gespielt. Moawija verurteilte eine Welt, die gerade durch die letzte Runde des ergebnislosen Kampfes zwischen Rom und Persien erschöpft war, kaltblütig dazu, auch weiterhin durch einen arabischen Bürgerkrieg verheert zu werden. Die Absicht, die der schlaue Omaijade dabei verfolgte, war die, die Erbschaft Mohammeds den unfähigen Händen des eigenen Vetters und Schwiegersohnes des Propheten zu entreißen.

Es gibt indessen noch eine dritte Reihe in unserer Gruppe der Vorläufer. Diese besteht aus Herkulessen, welche die Früchte ihrer Arbeit an Nachfolger weiterreichen, ohne sie jemals selbst zu kosten, aber auch, ohne daß es dabei zu einem Bruch oder Rückschlag kommt. In der babylonischen Welt brachte Nabopolassar (626-605 v. Chr.) sein Leben damit zu, daß er den Tod des assyrischen Tigers herbeiführte. Dadurch war es Nebukadnezar (605-562) möglich, unangefochten auf dem Thron des neubabylonischen Reiches zu sitzen, der nicht eher fest dastehen konnte, als bis Ninive in Schutt und Asche lag.

In den Augen des Historikers einer späteren Zeit, der die Gründer von Universalstaaten im Lichte ihrer Wirkungen sieht, erscheinen ihre jovischen Gestalten nicht so sehr verschieden von den herkulischen Gestalten ihrer Vorgänger. Aber vor den Augen eines zeitgenössischen Beobachters, der die Dinge nicht perspektivisch sehen kann, tut sich der ganze Unterschied auf, der zwischen Scheitern und Erfolg besteht. Die Begründer der Universalstaaten scheinen im Augenblick ihres Wirkens Glanz­leistungen zu vollbringen und damit einen Erfolg zu erzielen, um den ihre Vorgänger mannhaft, aber vergeblich gerungen haben.

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Dafür, daß dieser Erfolg ein wirklicher und nicht nur ein scheinbarer ist, zeugen nicht allein Leben und Taten des Gründers selbst — so beredt diese als Tatsachen auch sprechen mögen —, sondern entscheidend vor allem das Glück und Gedeihen ihrer Nachfolger. Salomos Herrlichkeit ist der sprechendste Beweis für die Tüchtigkeit Davids. Deshalb wollen wir unsere Betrachtung der Retter mit dem Schwert fortsetzen, indem wir diese Salomos, die in den Purpur hineingeboren werden, ins Auge fassen. 

Die Schwerter dieser Porphyrogeneti sind trügerisch in den Falten eines Herrschermantels versteckt. Gelegentlich aber bekennen die Herrscher Farbe und zeigen die sonst verborgene Klinge. Wir werden sehen, daß dieser Selbstbetrug aus Übermut und nicht aus äußerem Zwang geschieht. Ob die Rettung mit dem Schwert gelungen ist, muß sich an den Kindern erweisen, und zwar gleich in der Generation eines Salomo oder nie im ganzen weiteren Verlauf der Auflösung einer Kultur. So wollen wir denn unsere Salomos jetzt näher betrachten.

Die Regierungszeiten dieser Salomos machen jene verhältnismäßig glücklichen Perioden eines wenn auch unvollständigen Friedens aus, die wie »Goldene Zeitalter« aussehen; aber nur wenn wir unsern Blick auf die Lebenszeit der Universalstaaten, von denen sie einen Teil bilden, beschränken. Sobald wir aber unsern Gesichtskreis erweitern und die ganze Lebensdauer einbeziehen, in deren Geschichte das Kommen und Gehen eines Universalstaates nur ein einzelnes Ereignis im Ablauf ihrer Auflösung ist, dann sehen wir, daß diese scheinbaren »Goldenen Zeitalter« in Wirklichkeit nur Nachsommer sind. Eine genaue Betrachtung dieser geschichtlichen Erscheinung wird zwei hervorstechende Merkmale deutlich werden lassen: eine auffällige Gleichartigkeit des Charakters und eine ebenso auffällige Ungleichheit der Dauer.

Der hellenische »Nachsommer« begann mit dem Regierungsantritt des Kaisers Nerva im Jahre 96 n.Chr. und endete mit dem Tode des Kaisers Mark Aurel im Jahre 180. Diese 84 Jahre machen nicht viel weniger als ein Viertel der Gesamtdauer der Pax Romana aus; dabei lassen wir diese nach der üblichen Chronologie, welche bei den großen Ereignissen des politischen Geschehens ihre Abgrenzungen vornimmt, 31 v.Chr., unmittelbar nach der Schlacht bei Aktium, beginnen und bis zum Tage der Schlacht bei Adrianopel im Jahre 378 n.Chr. dauern.

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In der Geschichte der ägyptischen Gesellschaft dauerte der »Nachsommer« des Neuen Reiches länger: von der Thronbesteigung Thutmosis' I. um 1545 v.Chr. bis zum Tode Amenhoteps III. im Jahre 1376 v.Chr. Beide Nachsommer wurden in ihrer Länge von dem des Mittleren Reiches übertroffen, welches der ursprüngliche ägyptische Universalstaat war. Denn dieser erste ägyptische »Nachsommer« ist ungefähr die Zeit der 12. Dynastie, die etwa von 2000-1788 v.Chr. herrschte. Und selbst wenn wir den Winter mit dem Tode Amenemhets III. im Jahre 1801 anfangen lassen, macht die Zeit des Sonnenscheins noch die Hälfte der ganzen Dauer der Pax Thebana aus, die im ganzen etwa vier Jahrhunderte währte, wenn man die Thronbesteigung Mentuhoteps, etwa 2070-2060 v.Chr., als ihren Beginn und den Hyksoseinfall, um 1660 v.Chr., als ihr Ende annimmt.

Diese »Nachsommer«, welche mehrere aufeinanderfolgende Regierungszeiten und in wenigstens einem Fall fast die ganze Periode einer Dynastie umfassen, sind in ihrer Länge auffällig verschieden von ändern »Nachsommern«, die zwar ebenfalls echte Beispiele derselben sozialen Erscheinung sind, aber die Regierungszeit eines einzelnen Herrschers, mit dessen Namen sie gleichgesetzt werden, nicht überdauert haben. jln der Geschichte des arabischen Kalifats ist der gefeierte Nachsommer die Regierungszeit Harun al Raschids (786-809 n.Chr.). Diese erstrahlt deshalb in so hellem Glanz, weil sie sich wie ein Lichtfleck von einem tiefdunklen Hintergrund abhebt. Denn der abbasidische Kalif, der die gereiften Früchte der Arbeit einer langen Reihe omaijadischer Vorgänger ernten konnte, folgte auf eine Anarchie, während derer seine abbandischen Vorgänger das Kalifat aus den Händen der Omaijaden wanden; und seiner Regierungszeit folgte wiederum eine Katastrophe, in der seine Nachfolger in eine demütigende Abhängigkeit von ihrer eigenen türkischen Leibwache gerieten.

Im Hauptstamm der orthodoxen Christenheit brachte die Pax Ottomanica ihren »Nachsommer« in der Regierungszeit Suleimans des Prächtigen (1520-1566 n. Chr.). Dieser Osmanenfürst eiferte im wirklichen Leben der legendären Herrlichkeit seines davidschen Namensvetters nach. Und seine abendländischen Zeitgenossen bewunderten, wie die Konigin von Saba am ersten, an diesem späten Salomo die Ausdehnung seines Herrschaftsbereichs, den Überfluß seines Reichtums und die Pracht seiner Bauwerke.

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Aber auch in ihnen ist nicht mehr Geist. Und den Fluch, den der biblische Salomo auf sich lud, brachte auch Suleiman über sich. »Darum sprach der Herr zu Salomo: Weil solches bei dir geschehen ist, und hast meinen Bund und meine Gebote nicht gehalten, die ich dir geboten habe, so will ich auch das Königreich von dir reißen und deinem Knecht geben.« Suleiman der Prächtige untergrub die soziale Ordnung der Osmanen. Er war der erste Padischah, der die Grundregel der Sklavengarde durchbrach, daß sie sich aus den Söhnen von Ungläubigen rekrutieren mußte, und daß freie Moslems ex officio religionis von der Anwerbung ausgeschlossen waren.

Dadurch, daß er die Aufnahme von Janitscharen­söhnen unter die Adschem-Oghlans duldete, öffnete Suleiman die Schleusen zu einer verhängnisvollen Überflutung des Janitscharenkorps. Und in der auf diese Weise selbst verschuldeten Katastrophe ging die Herrschaft vom Osmanenpadischah an seine »Menschenherden«, die Rajah, über.

Wenn wir jetzt unsern Blick vom Hauptstamm der orthodoxen Christenheit weg auf ihren Seitenzweig in Rußland richten, werden wir im ersten Augenblick zögern, das Gegenstück Suleimans des Prächtigen in seinem Zeitgenossen Iwan dem Schrecklichen zu erkennen. 

Sind eine Schreckensherrschaft und ein Nachsommer miteinander vereinbar? Die beiden Gesellschaftsformen erscheinen uns so gegensätzlich und einander widersprechend, daß wir uns fragen, ob es möglich ist, daß sie gleichzeitig an einem Ort bestehen können. Aber eine Reihe von Leistungen, die Iwan der Schreckliche vollbrachte, zwingen uns zuzugeben, daß seine Regierung eine Art Nachsommer war. Denn er war der erste Moskowiterfürst, der Titel und Lebensstil eines oströmischen Kaisers annahm. Und diese Kühnheit rechtfertigte er dadurch, daß er Kasan und Astrachan eroberte und sich den Zugang zum Weißen Meer und nach Sibirien öffnete. Das war gewiß ein »Nachsommer«, wenn auch mit Gewitterluft. 

Und diese Auffassung von der Regierung Iwans des Schrecklichen wird durch das, was auf sie folgte, bestätigt. Noch vor dem Tode des Kaisers fiel ein dunkler Schatten auf seine von unheimlichem Sonnenlicht beleuchtete Regierungszeit, und zwar durch den unglücklichen Ausgang eines Krieges, den er führte, um einen Zugang zur Ostsee zu gewinnen.

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Dieser Krieg zog sich noch länger hin als der, den später Peter der Große zu demselben Zweck führte; im Gegensatz zu Peters glänzendem Erfolg endete er aber mit einem kläglichen Mißerfolg. Und als Iwan gegangen war, um Rechenschaft abzulegen, wurde der Staat, den er hinterließ, bald von schweren Schicksalsschlägen getroffen. Das Jahr 1598 sah das Erlöschen des Hauses Rurik, und die Zeit von 1604-1613 erlebte einen Zusammenbruch des christlich-orthodoxen Universalstaates, von dem sich dieser erst unter Peter dem Großen ganz erholte.

Wenn wir jetzt auf die Reihe unserer Nachsommer zurückblicken, welche länger als eine einzelne Regierungszeit gedauert haben, werden wir feststellen, daß auch diese bei all ihrer Dauerhaftigkeit schließlich dem Ansturm des Winters erlagen. In der hellenischen Welt folgte auf Mark Aurel ein Commodus und auf Alexander Severus die »Dreißig Tyrannen«. In der ägyptischen Welt des Neuen Reiches folgte auf Amenhotep III. Amenhotep IV., der sich unter dem selbstgewählten Namen Edhnaton bekannt gemacht hat. Im Mittleren Reich wich die lange Reihe majestätisch abwechselnder Amenemhets und Sesostrisse schließlich einer Dynastie, in der nicht weniger als 13 kurzlebige Herrscher innerhalb der kurzen Zeitspanne von einem Viertel­jahrhundert den Thron bestiegen und wieder verloren.

Unsere Betrachtung der »Nachsommer« hat uns also, so will es scheinen, zu der Erkenntnis geführt, daß Taten und Schicksale der Salomos die Behauptung, daß das Schwert in ein Werkzeug des Friedens umgewandelt werden könne, nicht bestätigen, sondern im Gegenteil ganz entschieden widerlegen. Denn wir haben gesehen, daß ein Nachsommer, einerlei ob er die Zeit einer ganzen Dynastie erlebt oder innerhalb der kürzeren Spanne einer einzelnen Regierungszeit kommt und geht, auf jeden Fall etwas Vorübergehendes ist. Die Herrlichkeit Salomos verblaßt wieder. Und wenn Salomo versagt, dann haben David — und seine Vorläufer — ihr Schwert umsonst geführt.

Die Wahrheit scheint zu sein, daß ein Schwert, das einmal Blut getrunken hat, nicht dauernd daran gehindert werden kann, aufs neue Blut zu trinken; so wie ein Tiger, der einmal Menschenfleisch geschmeckt hat, nicht davon abgehalten werden kann, sich diesen Genuß immer wieder zu verschaffen. Der menschen­fressende Tiger ist ohne Zweifel dem Tode verfallen; entgeht er der Kugel, so wird er an der Räude sterben.

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Aber wenn der Tiger auch sein Schicksal voraussehen könnte, würde er wahrscheinlich nicht fähig sein, die verzehrende Gier, die sein erster Genuß von Menschenfleisch in ihm wachgerufen hat, wieder zu unterdrücken. Und so ist es auch mit einer Gesellschaft, die einmal das Heil mit dem Schwert gesucht hat. Ihre Führer mögen ihr blutiges Handwerk bereuen. Sie mögen ihre Feinde schonen, wie Cäsar, und ihre Heere entlassen, wie Augustus.

Und wenn sie ihr Schwert reuig verbergen, mögen sie in gutem Glauben entschlossen sein, es niemals wieder zu ziehen, es sei denn zu dem sicherlich wohltätigen und deshalb erlaubten Zweck, den Frieden gegen Störenfriede, die sich innerhalb der Grenzen ihres eben gegründeten Universalstaates noch auf freiem Fuß befinden, oder gegen widerspenstige Barbaren in der Finsternis außerhalb seiner Grenzen zu behaupten. Sie mögen diesen Entschluß mit einem Eid bekräftigen und durch eine Teufelsaustreibung verstärken; auch eine Zeitlang den Anschein erwecken, als sei ihnen der fromme Gewaltstreich gelungen, dem Morden Einhalt zu gebieten, ja, das grausige Mittel einem guten Zweck dienstbar zu machen. Und wenn ihre ansehnliche Pax Oecumenica auch dreißig, hundert oder zweihundert Jahre, von verhüllten Schwertern gestützt, besteht: einmal wird die Zeit doch das Werk der Retter mit dem Schwert vernichten.

Die Zeit arbeitet in der Tat von Anfang an gegen die unglücklichen Reichsgründer; denn Schwertklingen sind eine unbeständige Grundlage. Offen oder verdeckt, diese blutbefleckten Waffen bleiben ihrem unheimlichen Karma verhaftet. Und das bedeutet, daß sie sich nie in leblose Grundsteine verwandeln können. Sie rühren sich immer wieder. Wie aus einer Drachensaat geht aus ihnen eine neue Schar tötender und sterbender Gladiatoren hervor. Unter der heiteren Maske einer mühelos ausgeübten Herrschaft kämpft der Weltfrieden eines Universalstaates die ganze Zeit seines Bestehens über einen verzweifelten und aussichts­losen Kampf gegen den unbeschworenen bösen Geist der Gewalt in seinem Innern. Wir können diesen Seelenkampf in seiner äußeren Erscheinungsform als Konflikt politischer Ideen und Kräfte feststellen.

Kann es dem jovischen Beherrscher eines Universalstaates je gelingen, jene unersättliche Gier nach weiteren Eroberungen, die Cyrus so verhängnisvoll war, zu unterdrücken?

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Und wenn er schon der Versuchung, die Übermütigen zu bekriegen, nicht widerstehen kann, kann er es dann wenigstens so weit bringen, daß er nach dem Ratschlag Virgils die Unterworfenen schont? Wenn wir Jupiters Taten in diesen beiden Punkten prüfen, werden wir sehen, daß es ihm selten gelingt, lange nach seinen eigenen guten Vorsätzen zu leben.

In der Geschichte des hellenischen Universalstaates gab der Gründer selbst seinen Nachfolgern ein praktisches Beispiel der Mäßigung, indem er den Versuch aufgab, die römische Grenze bis an die Elbe vorzutragen. Später hinterließ er ihnen dann den berühmten Rat, sich damit zu begnügen, die bestehenden Grenzen des Reiches zu halten, ohne zu versuchen, sie weiter auszudehnen. Strabo hat in seinem Bericht über die fortwährende Streitfrage, ob diese Regel des Augustus für Britannien eine Ausnahme zuließe, den Standpunkt des Kaisers beleuchtet.

Die Regel wurde in diesem Falle schließlich verletzt, und anscheinend, ohne daß eine Strafe darauf folgte. Trajan zeigte jedoch später, daß Augustus' Einstellung vernünftig gewesen war. Er wagte es nämlich, völlig mit der Regel zu brechen, und versuchte, Crassus', Cäsars und Antonius' Pläne einer Eroberung des Partherreiches zu verwirklichen. Aber der Preis, der für das zeitweilige Vorrücken vom diesseitigen Ufer des Euphrat bis an den Fuß des Zagros und den Nordrand des Persischen Meerbusens bezahlt werden mußte, war eine untragbare Beanspruchung der Geldmittel und des Menschenpotentials des Reiches.

Es brachen Aufstände aus, und zwar nicht nur unter den Augen der Eroberer in den gerade hinzugewonn­enen Gebieten, sondern auch unter der jüdischen Diaspora in den schon länger zum Reich gehörenden Gebieten in ihrem Rücken. Der klare Himmel des beginnenden hellenischen Nachsommers bewölkte sich zeitweilig. Und Trajans Nachfolger Hadrian mußte all seine Klugheit und Geschicklichkeit aufwenden, um das Vermächtnis, das ihm Trajans Schwert hinterlassen hatte, zu liquidieren. Hadrian gab die von seinem Vorgänger jenseits des Euphrat eroberten Gebiete alsbald wieder auf; aber er konnte nur den territorialen, nicht auch den politischen Status quo ante bellum wiederherstellen. Trajans aggressives Vorgehen machte einen tieferen Eindruck auf die Gemüter in der syrischen Welt jenseits des Euphrat als Hadrians entgegengesetzte Haltung.

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Von dieser Zeit an bereitete sich hier ein Wechsel der Stimmung vor, der noch durch wiederholtes Zurückgreifen der Römer auf das Schwert begünstigt wurde. Schon im 2. Jahrhundert v.Chr. war es gelungen, in heftigem Gegenangriff den hellenischen Eindringling aus den von ihm in Iran und im Irak eingenommenen Stellungen wieder zu vertreiben. Aber später, als Augustus im Jahre 20 v.Chr. einen »ehrenhaften Frieden« zwischen Römern und Parthern geschlossen hatte, waren die Verhältnisse wieder in der Schwebe gewesen. Jetzt wirkte sich schließlich das Eingreifen Trajans in einer aufsehenerregenden Umwälzung aus. An die Stelle des Arsazidenkömgs Artabanus trat der Sasanidenkönig Ardaschir, und in der Folge dieses Ereignisses kam es zu einem neuen Gegenangriff. Unter dem zweiten Sasanidenpadischah kam es 260 n.Chr. zur Vergeltung für Trajans Durchbrechung der augusteischer! Regel in den Jahren 113-17, und die Katastrophe, in die die Parther die römischen Waffen 53 v.Chr. gestürzt hatten, wiederholte sich.

In der ägyptischen Geschichte sehen wir, daß das Schwert, welches von Amosis (1580-1558 v.Chr.) in einem Befreiungskrieg gezogen und von Thutmosis I. (1545-1514) in einem Vergeltungskrieg geführt worden war, von der Kaiserin Hatschepsut (1501-1479) absichtlich in die Scheide gesteckt wurde — nur damit es von Thutmosis III. (1479-1447) mutwillig wieder gezogen und geschwungen wurde, sobald es ihr der Tod aus der Hand nahm. Das Karma des Militarismus, der in den nächsten hundert Jahren (1479-1376) die Politik des Neuen Reiches bestimmte, konnte auch von Echnaton nicht aufgehoben werden, der sich mit Leidenschaft von der Politik abkehrte, welche er von vier Vorgängern ererbt hatte. Ebensowenig konnte Naboned die göttliche Vergeltung für Nebukadnezars Militarismus dadurch abwenden, daß er auf den kindischen Einfall kam, vor der unliebsamen Wirklichkeit seiner kaiserlichen Erbschaft die Augen zu schließen und in archäologischen Liebhabereien seine Gedanken von den Staatsgeschäften abzulenken.

In der Geschichte der osmanischen Macht beschränkte Mohammed der Eroberer (1451-1481 n.Chr.) bewußt seine ehrgeizigen Absichten auf das Unternehmen, seine Pax Ottomanica, in nicht mehr und nicht weniger als dem alten Gebiet der orthodoxen Christenheit (ohne ihren Seitenzweig in Rußland) aufzurichten. Und er widerstand allen Versuchungen, auf die angrenzenden Gebiete der abendländischen Christenheit und der iranischen Welt überzugreifen. 

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Aber sein Nachfolger Selim der Grausame (1512-1520) brach — teilweise ohne Zweifel durch Angriffe des Schahs Ismail Saffi dazu gezwungen — in Asien mit der Maßregel, die Mohammed, sich selbst verleugnend, getroffen hatte. Selims Nachfolger Suleiman (1520-1566) machte sogar den weiteren Fehler — der sich schließlich als noch verhängnisvoller erweisen sollte, und den er nicht wie Selim durch einen Hinweis auf höhere Gewalt entschuldigen konnte —, auch in Europa mit der Maßregel Mohammeds zu brechen. In der Folge wurde die osmanische Macht durch dauernde Kriege an zwei Fronten gegen Gegner, die sie wiederholt im Felde schlagen, aber nicht vernichten konnte, bald wie zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben. 

Dieses unkluge Verhalten Selims und Suleimans wirkte stark auf die Staatskunst der Hohen Pforte ein; und nicht einmal der Zusammenbruch, welcher auf Suleimans Tod folgte, bewirkte eine Umkehr zur Mäßigkeit im Sinne Mohammeds. Sobald die verschwendete Kraft des osmanischen Reiches durch die Staatskunst der Köprilis wiederhergestellt worden war, wurde sie von Kara Mustapha in einem neuen Angriffskrieg gegen die Franken wieder verausgabt, welcher die osmanische Grenze bis an den Rhein vortragen sollte. Obwohl er dieses Ziel nie zu sehen bekam, ahmte Kara Mustapha doch Suleiman den Prächtigen darin nach, daß er ebenfalls Wien belagerte. 

Aber 1682-1683 erwies sich wie 1529 der Buckel des Rückenschildes der abendländischen Christenheit an der Donau als so hart, daß die Waffen der Osmanen daran abprallten. Und dieses zweite Mal versagten die Osmanen vor Wien nicht, ohne dafür bestraft zu werden. Die zweite Belagerung Wiens rief nämlich einen abendländischen Gegenangriff hervor, der ohne ernste Unterbrechung von 1683 bis 1922 andauerte und nicht eher aufhörte, als bis die Osmanen ihr Reich verloren hatten und außerdem noch gezwungen waren, auch auf die iranische Kultur ihrer Vorfahren zu verzichten, um nur wenigstens im Besitz ihres Kerngebietes in Kleinasien zu bleiben.

Indem Kara Mustapha so, wie Suleiman vor ihm, in der abendländischen Christenheit in ein Hornissennest stach, beging er den klassischen Fehler von Darius' Nachfolger Xerxes.

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Dieser führte einen Angriffskrieg gegen das Kerngebiet Griechenlands auf dem europäischen Festlande. Der dadurch hervorgerufene hellenische Gegenangriff entriß dem Achämenidenreich alsbald den griechischen Rand seiner asiatischen Gebiete und führte schließlich zur Zerstörung des ganzen Reiches. Denn das Werk, welches die Seemacht Athen unter der Führung des Themistokles begonnen hatte, wurde von der Landmacht Mazedonien unter Alexander wieder aufgenommen und vollendet.

Es zeigt sich also, daß die Beherrscher von Universalstaaten in Hinsicht auf ihr Verhalten gegenüber Völkern jenseits der Grenzen ihres Reiches nur in recht geringem Grade dazu fähig sind, ihr Schwert in die Scheide zu stecken. Es verbleibt uns nun noch die zweite Aufgabe, festzustellen, inwieweit sie zur Toleranz gegenüber fremden Bevölkerungsteilen, die bereits unter ihrer gepriesenen Pax Oecumenica leben, fähig sind. Wir werden sehen, daß sich Jupiter bei dieser zweiten Prüfung als wenig besser erweisen wird, obwohl es bei oberflächlicher Betrachtung scheinen könnte, daß die für Reichsgründer charakteristische Anpassungsfähigkeit ihnen die Duldsamkeit leicht macht.

 

Die römische kaiserliche Regierung zum Beispiel entschloß sich, das Judentum zu dulden, und blieb bei diesem Entschluß trotz ernster und wiederholter Herausforderungen seitens der Juden. Aber die Langmut hatte doch eine Grenze. Das zeigte sich bei der schwierigen Frage, welche Haltung gegenüber einer jüdischen Ketzerei einzunehmen sei, die sich das Ziel gesetzt hatte, die hellenische Welt zu bekehren. Diese Ketzer wurden nämlich von der Duldung ausgeschlossen.

Beim allerersten Zusammenstoß zwischen den römischen Behörden und der christlichen Kirche tat die kaiserliche Regierung den außergewöhnlichen Schritt, das Bekenntnis zum Christentum zum Staatsverbrechen zu erklären. Und diese Erklärung eines Krieges bis zum äußersten war die einzige von Neros grausamen Regierungshandlungen, welche von seinen Nachfolgern auf dem Kaiserthron nicht rückgängig gemacht wurde. Der Grund für die Ächtung des Christentums als Religio non licita von selten der Herrscher des hellenischen Universalstaates ist ebenso bedeutsam wie ihre Folgen. Was der kaiserlichen Regierung am Christentum unerträglich war, war die Weigerung seiner Bekenner, dem Staate das Recht zuzubilligen, gegen seine Untertanen Gewissenszwang auszuüben.

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Die Christen bestritten das Vorrecht des Schwertes. Und die Waffe, die Augustus glücklich in die Scheide gebracht hatte, kam zur Verteidigung ihrer laesa majestas wieder daraus hervorgeschossen wie eine Schlange aus ihrem Loch, um diesmal eine geistige Macht zu bekriegen, welche niemals durch die Schläge einer weltlichen Waffe besiegt werden konnte. Weit davon entfernt, die Verbreitung des Christentums zu behindern, erwiesen sich die Martyrien als das wirksamste Mittel zur Bekehrung. Und der schließliche Sieg des Geistes der christlichen Märtyrer über die Klinge der römischen Herrscher veranlaßte Tertullian, sich triumphierend und herausfordernd dessen zu rühmen, daß Christenblut eine Saat sei.

Wie die römische hatte auch die achämenidische Regierung den Grundsatz, mit der Zustimmung der Untertanen zu herrschen. Aber auch ihr gelang es nur teilweise, diese Politik in der Praxis durchzuführen. Sie konnte zwar die Phönizier und die Juden für eine loyale Haltung gegenüber der Staatsgewalt gewinnen; doch blieb es ihr versagt, auf die Dauer sowohl die Babylonier als auch die Ägypter zu versöhnen. Großmütig vergab Kambyses den Einwohnern von Tyrus ihre Weigerung, gegen ihre karthagischen Verwandten Kriegsdienste zu leisten, und ebenso großzügig verzieh Darius den Juden Serubabels verfrühten Hochverrats versuch. Das genügte, um die beiden syrischen Völker in der Treue zu bestärken, welche sie dem Großkönig zu halten geneigt waren, dessen Schwert sie in dem einen Fall von babylonischen Unterdrückern und im andern von griechischen Nebenbuhlern befreit hatte.

Aber die Versöhnung der babylonischen Priesterschaft durch Cyrus und die der ägyptischen durch Darius waren »Gewaltstreiche« ohne dauernde Wirkung. Weder taktvolle Behandlung noch Schmeicheleien konnten die Erben der babylonischen und der ägyptischen Kultur auf die Dauer mit einer fremden Herrschaft aussöhnen. Und beide erhoben sich so lange immer wieder, bis Babylon von Xerxes, und Ägypten von Ochus völlig zu Boden geworfen wurde.

 

Die Osmanen hatten keinen besseren Erfolg mit der Versöhnung ihrer Rajah — trotz der sehr weitgehenden Autonomie, die sie ihnen im Millet-System einräumten. Dieses System war de jure allerdings recht großzügig, wurde aber durch das anmaßende Wesen der beteiligten Personen bei seiner Durchführung de facto stark beeinträchtigt.

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Die osmanische Regierung war niemals ganz dazu imstande, die Herzen der Rajah für sich zu gewinnen. Und sobald eine Reihe von Rückschlägen im Kriegsglück der Osmanen den Rajah Gelegenheiten zu verräterischen Handlungen gab, ließen sie ihre Untreue in einer für den Staat recht gefährlichen Weise in Erscheinung treten. Das gab den Nachfolgern <Selims des Grausamen> Grund zu bedauern, daß dieser rücksichtslose Mann der Tat sich — vorausgesetzt, daß die Geschichte wahr ist — durch die gemeinsamen Bemühungen seines Großwesirs Piri Pascha und seines Scheichs ul Islam Dschemali davon hatte abhalten lassen, einen Plan zur Ausrottung der ganzen christlich-orthodoxen Mehrheit seiner Untertanen auszuführen. Eine Minderheit imamitischer Schiiten hat er in der Tat ausgerottet.

Was den Scheich Dschemali veranlaßte, sich — wie wir sahen, mit Erfolg — darum zu bemühen, Sultan Selim von seinem entsetzlichen Vorhaben abzubringen, war nicht nur sein persönliches Gefühl, seine Menschlichkeit, sondern die Bestimmungen des islamischen kanonischen Rechts, dessen Wahrung die Berufspflicht des Scheichs war. Das Scheriah-Gesetz forderte vom Beherrscher der Gläubigen oder seinem Stellvertreter, Nichtmoslems, die »Schriftbesitzer« waren, zu schonen, wenn sie es unterließen, dem Schwert des Islam mit Waffengewalt zu widerstehen, und sich verpflichteten, den mosleminischen Behörden zu gehorchen und eine Sondersteuer zu entrichten, und solange sie diese Verpflichtungen einhielten. 

Dies war allerdings ein Grundsatz, den die primitiven arabisch-mosleminischen Reichsgründer befolgt hatten. Und die Tatsache, daß sie ihn hatten und befolgten, ist einer der Gründe für die erstaunliche Schnelligkeit, mit der sie ihr Werk vollendeten. Sobald sie von ihren ersten Raubzügen zu dauerhaften Eroberungen in großem Maßstab übergingen, griff der Kalif Omar ein und schützte die Bevölkerung in den eroberten Gebieten gegen Ausplünderung und sogar gegen die Rechte der arabisch-mosleminischen Soldateska. Den dritten Kalifen, Othman, kostete sein Festhalten an der Politik Omars das Leben. Auch die Omaijaden erwiesen sich in dieser Hinsicht als würdige Nachfolger der vier »Rechtgeführten«.

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Moawija gab ein Beispiel der Toleranz; dem nicht nur die späteren Omaijaden, sondern auch die ersten Abbasiden folgten. Unter den späteren Abbasiden kam es jedoch zu wenig rühmlichen Wutausbrüchen des Pöbels gegen die christlichen Untertanen des Kalifats, welche inzwischen infolge von Massenübertritten zum Islam von der Mehrheit der Bevölkerung zu einer Minderheit zusammengeschrumpft waren. Diese Massenbekehrung kündete den Zusammenbruch des Universalstaates und den Beginn eines sozialen Interregnums an.

 

Unsere Übersicht hat uns die selbstmörderische Aufdringlichkeit eines Schwertes gezeigt, das in die Scheide gesteckt worden ist, nachdem es einmal Blut geleckt hat. Die befleckte Waffe wird nicht in ihrer Scheide bleiben, sondern immer das Gelüst haben, wieder herauszuspringen — als ob der von seinem Körper losgelöste Geist des sogenannten Retters, der zuerst zu diesem unheilvollen Werkzeug seine Zuflucht nahm, jetzt keine Ruhe finden könnte, bis seine Sünde, das Heil auf dem Wege des Verbrechens gesucht zu haben, eben durch die Tätigkeit der Waffe, welche er einst in verkehrter Weise gebraucht hatte, gesühnt worden ist. 

Ein Werkzeug, das nicht imstande ist zu retten, kann doch fähig sein zu bestrafen; das reumütig in die Scheide gesteckte Schwert wird immer noch danach dürsten, diese verwandte Aufgabe zu erfüllen. Und wenn die Zeit sein Verbündeter ist, wird es schließlich den Weg dazu finden. Wenn die Zeit erfüllt ist, wird der Schlachtenlärm, der sich an den Rand des Kulturbereichs verzogen hat und fast nicht mehr vernehmlich ist, mit der Vorhut barbarischer Kriegerscharen zurückkehren, die in der guten Schule eines beständigen Grenzkrieges von der Besatzung des »Limes« die Kunstgriffe des Berufsheeres gelernt und nun die Oberhand über dieses gewonnen haben.

Oder — was noch schrecklicher ist — der furchtbare Laut wird in einer Erhebung des inneren Proletariats wiederkehren, das noch einmal kriegerisch geworden ist — zum Entsetzen der herrschenden Minderheit, die sich in dem Gedanken gewiegt hat, daß dies profanum vulgus längst durch Einschüchterung oder Schmeicheleien zu dauernder Unterwürfigkeit gebracht worden sei. Die Gespenster des Krieges und des Aufruhrs, die schon zur Sage geworden sind, gehen jetzt wieder wie einst im hellen Tageslicht um. Und eine Bourgeoisie, die noch nie zuvor gesehen hat, wie Blut vergossen wird, richtet jetzt in Eile Ringmauern um ihre offenen Städte auf.

Als Material muß alles dienen, was gerade zur Hand ist: verstümmelte Standbilder, entweihte Altäre, herumliegende Kapitelle gestürzter Säulen und Marmortafeln mit Inschriften, die man schnell von öffentlichen Denkmälern reißt, um die sich niemand mehr kümmert. Diese friedlichen Inschriften haben jetzt ihren Sinn verloren. Die Zeit des »Nachsommers« ist vorbei, und die »Zeit der Wirren« ist zurückgekehrt. Und dieses furchtbare Unheil kommt über ein Geschlecht, das in dem trügerischen Glauben großgeworden ist, daß die bösen Zeiten von ehedem für immer vorüber seien!

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Ende

 

 

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