Stalin über seine Fälschungen
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Mit dem ihm eigenen prahlerischen Zynismus verrät Hitler das Geheimnis seiner politischen Strategie: »Es gehört zur Genialität eines großen Führers, selbst auseinanderliegende Gegner immer nur als zu einer Kategorie erscheinen zu lassen, weil die Erkenntnis verschiedener Feinde bei schwächlichen und unsicheren Charakteren nur zu leicht zum Anfang des Zweifels am eigenen Recht führt.« (<Mein Kampf>)
Dieses Prinzip ist der marxistischen Politik wie auch jeder wissenschaftlichen Erkenntnis direkt entgegengesetzt, denn die letztere beginnt mit der Zergliederung, der Gegenüberstellung, der Aufdeckung nicht nur der hauptsächlichen Unterschiede, sondern auch der Übergangsnuancen. Insbesondere hatte sich der Marxismus stets der Behandlung aller politischen Gegner als »einer reaktionären Masse« widersetzt.
Der Unterschied zwischen der marxistischen und der faschistischen Agitation ist der Unterschied zwischen wissenschaftlicher Erziehung und demagogischer Hypnotisierung. Die Methode der Stalinschen Politik, die ihren vollendetsten Ausdruck in den Prozeßfälschungen gefunden hat, entspricht vollständig Hitlers Rezept, läßt es aber dem Schwunge nach weit zurück. Alle, die sich vor der regierenden Moskauer Clique nicht beugen, sind von nun an »eine faschistische Masse«.
Während der Moskauer Prozesse hat sich Stalin demonstrativ abseits gehalten. Es wurde sogar geschrieben, er sei nach dem Kaukasus verreist. Das ist ganz in seinem Stil. Wyschinski und die »Prawda« erhielten Instruktionen hinter den Kulissen. Jedoch wurde Stalin durch den Mißerfolg, den die Prozesse in den Augen der Weltöffentlichkeit hatten und durch das Anwachsen der Unruhe und der Zweifel in der USSR gezwungen, in die Arena zu treten. Am 3. März hielt er im Plenum des ZK eine Rede, die nach sorgfältiger Zurechtmachung in der »Prawda« abgedruckt wurde. Von einem theoretischen Niveau dieser Rede zu sprechen, ist unmöglich; sie bewegt sich nicht nur außerhalb jeder Theorie, sondern auch außerhalb jeglicher Politik im ernsten Sinne dieses Wortes; sie ist nichts anderes als die Instruktion, wie die begangenen Fälschungen am besten auszunutzen und neue vorzubereiten sind.
Stalin beginnt mit der Definition des Trotzkismus: »Aus einer politischen Richtung innerhalb der Arbeiterklasse, die er vor sieben bis acht Jahren war, verwandelte sich der Trotzkismus in eine wildgewordene und prinzipienlose Bande von Schädlingen, Diversanten, Spionen und Mördern...« Der Autor dieser Definition hat jedoch vergessen, daß er »vor sieben bis acht Jahren« gegen den Trotzkismus die gleichen Beschuldigungen wie heute erhob, nur in vorsichtigerer Form. Bereits seit der zweiten Hälfte 1927 verknüpfte die GPU Trotzkisten, allerdings weniger bekannte, mit Weißgardisten und ausländischen Agenten. Meine Ausweisung aus der USSR wurde offiziell damit begründet, daß ich einen bewaffneten Aufstand vorbereite; nur hatte Stalin damals nicht gewagt, diese phantastische Feststellung der GPU zu veröffentlichen. Zur Rechtfertigung der Erschießung Blumkins, Silows und Rabinowitschs teilte die »Prawda« schon im Jahre 1929 mit, die Trotzkisten hätten Eisenbahnkatastrophen organisiert.
Im Jahre 1930 wurde eine Reihe verbannter Oppositioneller wegen ihrer Korrespondenz mit mir der Spionage beschuldigt. In den Jahren 1930-1932 versuchte die GPU, wiederum von weniger bekannten Oppositionellen, »freiwillige Geständnisse« über Vorbereitungen terroristischer Attentate zu erpressen. Ich habe der New Yorker Untersuchungskommission Dokumente über diese ersten Rohentwürfe des späteren Amalgams eingereicht. Vor sieben, acht Jahren jedoch hatte Stalin den Widerstand der Partei und sogar der Spitzen der Bürokratie noch nicht zu brechen vermocht und mußte sich deshalb mit Intrigen, vergifteten Verleumdungen, Verhaftungen, Ausweisungen und vereinzelten »Probe«-Erschießungen begnügen. Er hat seine Agenten - und sich selbst - allmählich erzogen. Denn es wäre falsch, zu glauben, dieser Mensch sei als vollendeter Kain geboren worden. »Die grundlegende Methode der Trotzkistischen Arbeit«, fährt Stalin fort, »ist heute nicht mehr die offene und ehrliche Propagierung ihrer Ansichten unter der Arbeiterklasse, sondern Maskierung ihrer Ansichten,... verlogenes In-den-Schmutz-Ziehen der eigenen Ansichten.«
Schon vor zehn Jahren konnten Eingeweihte sich nicht in die Augen blicken, wenn Stalin seine Gegner des Mangels an »Aufrichtigkeit« und »Ehrlichkeit« beschuldigte! In jenen Tagen pflanzte Jagoda die hohen Prinzipien der Moral an... Stalin sagt nicht, wie man »offene« Propaganda in einem Lande treiben kann, wo jede Kritik am »Führer« unermeßlich wütender verfolgt wird als im faschistischen Deutschland. Die Notwendigkeit, sich vor der GPU zu verbergen und die Propaganda ihrer Ansichten illegal zu führen, kompromittiert nicht die Revolutionäre, sondern das Bonapartistische Regime.
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Stalin erklärt auch nicht, wie man »seine eigenen Ansichten in den Schmutz ziehen« und gleichzeitig Tausende von Menschen beeinflussen kann, für diese Ansichten das Leben zu opfern. Die Rede und ihr Autor stehen auf dem Niveau jener reaktionären Presse, die stets behauptet hat, Stalins Kampf gegen den »Trotzkismus« habe fiktiven Charakter, in Wirklichkeit verbände uns eine geheime Verschwörung gegen die kapitalistische Ordnung, und meine Ausweisung sei nur die Maskierung unserer gemeinsamen Arbeit. Vielleicht rottet Stalin die Trotzkisten aus und bemüht sich, ihre Ansichten »in den Schmutz zu ziehen«, bloß um seine Solidarität mit uns besser zu verbergen?
Am plumpesten entlarvt sich der Redner durch die Frage nach dem Programm der Opposition. »Im Prozeß vom Jahre 1936 bestritten, wie Sie sich erinnern, Kamenjew und Sinowjew aufs entschiedenste, irgendeine politische Plattform besessen zu haben... Es steht außer Zweifel, daß beide logen, als sie das Vorhandensein einer Plattform leugneten.« In Wirklichkeit hätten sie die Plattform der »Restaurierung des Kapitalismus«. Das Wort »Zynismus« ist zu harmlos und patriarchalisch, um auf diesen Moralisten angewandt zu werden, der seinen Opfern wissentlich falsche Aussagen aufzwang, sie auf Grund einer wissentlich falschen Anklage ermordete und dann nicht sich, Jagoda und Wyschinski, nein, sondern die von ihnen erschossenen Kamenjew und Sinowjew als Lügner erklärt. Aber gerade hier läßt sich der Meister der Fälschung auf frischer Tat ertappen!
Im Januar 1935 nämlich, im ersten Prozeß, gestanden Sinowjew und die übrigen Angeklagten, wie aus dem offiziellen Bericht hervorgeht, daß sie in ihrer Tätigkeit von geheimen Absichten der Wiederherstellung des kapitalistischen Regimes geleitet wurden. So wurden auch in der Anklageschrift die Ziele der angeblichen Trotzkisten formuliert. Also haben damals die Angeklagten die Wahrheit gesprochen? Das Unglück bestand aber darin, daß niemand diese offiziell festgestellte »Wahrheit« glauben wollte. Aus diesem Grunde wurde bei der Vorbereitung des zweiten Prozesses Sinowjew-Kamenjew (August 1936) beschlossen, das Programm der Restaurierung des Kapitalismus, weil zu absurd, fallenzulassen und die Sache auf »Machtgier« zu konzentrieren; das würde der Philister leichter glauben.
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»Es ist mit Sicherheit festgestellt«, lautet die neue Anklageschrift, »daß das einzige Motiv für die Organisierung des Trotzkistisch-Sinowjewistischen Blocks das Bestreben war, um jeden Preis die Macht zu erobern...« Das Vorhandensein irgendeiner »Plattform« bei den Trotzkisten bestritt diesmal der Staatsanwalt selbst; darin eben bestand ihre besondere Schuld! Ob die unglücklichen Angeklagten gelogen haben oder nicht ist bedeutungslos; die Stalinsche Justiz selbst hat »mit Sicherheit festgestellt«, daß »das einzige Motiv« der Trotzkisten das »Bestreben war ... die Macht zu erobern«. Zu diesem Zwecke hätten sie zum Terror gegriffen.
Diese neue Version, auf Grund derer Sinowjew, Kamenjew und die andern erschossen wurden, hat aber die erwarteten Resultate nicht ergeben. Weder die Arbeiter noch die Bauern konnten sich über die angeblichen Trotzkisten, die die Macht erobern wollten, besonders entrüsten; schlimmer als die regierende Clique könnten sie keinesfalls sein. Um dem Volke Angst zu machen, mußte man hinzufügen, daß die Trotzkisten das Land den Gutsbesitzern und die Betriebe den Kapitalisten zurückgeben wollten. Die Anklage wegen Terrorismus, ohne Terrorakte, würde außerdem die weiteren Möglichkeiten zur Ausrottung der Gegner beschränken.
Um den Kreis der Angeklagten zu erweitern, mußte man Sabotage, Schädlingsarbeit und Spionage in die Sache einbeziehen. Jedoch konnte man der Sabotage und Spionage nur durch die Feststellung einer Verbindung der Trotzkisten mit den Feinden der USSR einen Sinn verleihen. Aber weder Deutschland noch Japan würden die Trotzkisten nur wegen deren »Machtgier« unterstützen. Es blieb also nichts anderes übrig, als einer neuen Angeklagtengruppe den Befehl zu erteilen, zum Programm der »Wiederherstellung des Kapitalismus« zurückzukehren.
Diese erweiterte Fälschung ist derart lehrreich, daß es sich verlohnt, bei ihr zu verweilen. Jeder, der lesen kann, ist imstande, mit Hilfe einer kompletten Sammlung irgendeiner Zeitung der Komintern drei Etappen in der Entwicklung der Anklage mühelos zu verfolgen, eine Art Hegeische Triade der Fälschung: These, Antithese, Synthese. Nach dem Januar 1935 beschuldigten die Söldlinge Moskaus in allen Teilen der Welt den später erschossenen Vorsitzenden der Komintern auf Grund seiner »Geständnisse« der Urheberschaft am Programm der Wiederherstellung des Kapitalismus.
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Tonangebend war die »Prawda«, das persönliche Organ Stalins. Auf sein Kommando sprang die Presse der Komintern von der These zur Antithese und brandmarkte im August 1936, während des Prozesses der 16, die Trotzkisten als Mörder, denen jegliches Programm fehle. An diese neue Version hielten sich die »Prawda« und die Komintern-Presse jedoch nur etwa einen Monat: bis zum ls. September. Die Zickzacks der Komintern spiegelten nur die Wendungen Wyschinskis wider, der seinerseits sich den laufenden Instruktionen Stalins anpaßte.
Das Schema der letzten »synthetischen« Anklage hatte, ohne es zu ahnen, Radek verursacht. Am ai. August 1936 erschien sein Artikel gegen die »Trotzkistisch-Sinowjewistische faschistische Bande«. Die Absicht des unglückseligen Autors bestand darin, zwischen sich und den Angeklagten eine möglichst tiefe Kluft zu schaffen. Bemüht, aus den angeblichen »Verbrechen« die schrecklichsten nationalen und internationalen Folgen zu ziehen, schrieb Radek über die Angeklagten und vor allem über mich: »Sie wissen, daß ... die Untergrabung des Vertrauens zur Stalinschen Leitung ... Wasser auf die Mühlen der deutschen, japanischen, polnischen und aller anderen Faschismen bedeutet. Sie wissen ebenfalls, daß die Ermordung des genialen Führers der Sowjetvölker, Stalin, direkte Arbeit für den Krieg ist ...«
Radek macht noch einen Schritt weiter auf dem gleichen Wege. »Es handelt sich nicht um die Vernichtung von Ehrgeizigen, die bis zum schrecklichsten Verbrechen gegangen sind; es handelt sich um die Vernichtung von Agenten des Faschismus, die bereit waren, den Kriegsbrand zu entzünden, dem Faschismus den Sieg zu erleichtern, um aus seinen Händen das Gespenst der Macht zu empfangen.« Diese Zeilen bildeten nicht die juristische Anklage, sondern waren nur politische Rhetorik. Schrecken auf Schrecken häufend, sah Radek selbstverständlich nicht voraus, daß er dafür würde büßen müssen. Im gleichen Sinne und mit den gleichen Folgen schrieben Pjatakow und Rakowski.
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Diese Publizistik der auf den Tod erschrockenen Kapitulanten griff Stalin bei der Vorbereitung des neuen Prozesses auf. Am 1a. September, das heißt drei Wochen nach Radeks Artikel, verkündete der Leitartikel der »Prawda« plötzlich, die Angeklagten »... haben versucht, das wahre Ziel ihres Kampfes zu verheimlichen. Sie haben die Version verbreitet, daß sie kein Programm gehabt hätten. In Wahrheit hatten sie ein Programm, das Programm der Zerschmetterung des Sozialismus und der Wiederherstellung des Kapitalismus.« Zur Bestätigung dieser Behauptung brachte die »Prawda« natürlich nicht die geringsten Beweise. Welche Beweise hätte es auch geben können!
Somit war das neue Programm der Angeklagten nicht durch Dokumente, Tatsachen, Geständnisse der Angeklagten oder auch nur durch logische Schlußfolgerungen der Staatsanwaltschaft bewiesen; nein, es war einfach, über Wyschinskis Kopf hinweg, durch Stalin proklamiert worden, nach der Erschießung der Angeklagten. Beweise? Die soüte nachträglich die GPU liefern, und zwar in der einzigen Form, die ihr möglich war: in Form von »freiwilligen Geständnissen«. Unverzüglich ging Wyschinski an die Durchführung des neuen Auftrags, Radeks Konstruktion aus einer hysterischen in eine juristische, aus einer pathetischen in eine kriminelle zu verwandeln. Aber das neue Schema — das hatte Radek nicht vorausgesehen — bezog Wyschinski nicht auf die sechzehn Angeklagten (Sinowjew und die andern) — die waren ja nicht mehr unter den Lebenden —, sondern auf die siebzehn, wobei der Autor dieses Schemas, Radek, eines der ersten Opfer wurde. Fieberwahn? Nein: Realität. Die Hauptangeklagten des neuen Prozesses ähnelten frommen Mitarbeitern der Inquisition, die eifrig Gräber gruben, Särge bereiteten, Exkommunizierungsepitaphien für andere anfertigten und die dann der Inquisitor beauftragte, ihre eigenen Namen in die Opferlisten einzutragen und nachzumessen, ob die Särge ihrer eigenen Größe entsprechen. Nach Beendigung dieser Prozedur trat Stalin aus dem Schatten hervor und erklärte als unfehlbarer Richter, Sinowjew und Kamenjew, »beide haben gelogen«. Nie hat die menschliche Phantasie Infameres augedacht!
Die Erläuterungen Stalins zur Frage der Sabotage bewegen sich auf gleichem Niveau wie seine ganze Rede. »Warum haben unsere Leute das alles nicht gemerkt?« stellte er die Frage, der nicht auszuweichen war. Die Antwort lautete: »Unsere Parteigenossen waren in den letzten Jahren von der wirtschaftlichen Arbeit völlig in Anspruch genommen... und haben alles andere vergessen.« Wie es stets bei Stalin der Fall ist, variiert er, ohne Beweise, diesen Satz auf zehn Arten. Hingerissen von den wirtschaftlichen Erfolgen haben die Leiter die Sabotage »einfach nicht beachtet«. Einfach nicht beachtet. Hatten dafür kein Interesse.
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Von welcher wirtschaftlichen Arbeit waren diese Menschen »so in Anspruch genommen«, daß sie die Vernichtung der Wirtschaft zu übersehen vermochten. Wer eigentlich sollte die Sabotage »beachten«, wenn deren Organisatoren selbst die Organisatoren der Wirtschaft waren? Stalin versucht es gar nicht, die Fäden zu verknüpfen. In Wirklichkeit ist sein Gedanke der folgende: von der praktischen Arbeit zu sehr in Anspruch genommen, »vergaßen« die Wirtschaftler die höheren Interessen der regierenden Clique, die gefälschte Beschuldigungen brauchte, wenn auch zum Schaden der Wirtschaft.
In den früheren Jahren, fährt Stalin fort, hätten bürgerliche Techniker die Schädlingsarbeit ausgeführt. Aber »wir haben während der verflossenen Periode Zehn- und Hunderttausende technisch gut beschlagener bolschewistischer Kader (Hunderttausende >Kader<?) erzogen. Organisatoren der Sabotage sind jetzt nicht die parteilosen Techniker, sondern Schädlinge, die zufällig ein Parteibuch bekommen haben.« Alles ist auf den Kopf gestellt! Um zu erklären, weshalb gut bezahlte Ingenieure sich gern mit dem »Sozialismus« abfinden, während Bolschewiki sich in Opposition zu ihm stellen, findet Stalin nichts Besseres, als die ganze alte Parteigarde zu deklarieren als »Schädlinge, die zufällig ein Parteibuch bekommen haben« und wohl »zufällig« einige Jahrzehnte in der Partei steckengeblieben sind. Wie aber konnten »Zehn- und Hunderttausende technisch gut beschlagener bolschewistischer Kader« die Sabotage übersehen, die während einer Reihe von Jahren die Industrie untergrub? Die geistvolle Erklärung haben wir ja gehört:, sie waren von der Wirtschaft zu sehr in Anspruch genommen, als daß sie deren Vernichtung hätten bemerken können.
Für erfolgreiche Sabotage ist jedoch ein günstiges soziales Milieu erforderlich. Woher konnte es in einer Gesellschaft des triumphierenden Sozialismus kommen? Stalins Antwort: »Je weiter wir vorrücken ... um so erbitterter werden die Reste der zerschlagenen Ausbeuterklassen sein.« Aber erstens genügt die ohnmächtige »Erbitterung« irgendwelcher vom Volk isolierter »Reste« nicht, um die Sowjetwirtschaft zu erschüttern. Und zweitens, seit wann haben sich Sinowjew, Kamenjew,
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Rykow, Bucharin, Tomski, Smirnow, Jewdokimow, Pjatakow, Radek, Rakowski, Mratschkowski, Sokolnikow, Serebrjakow, Muralow, Sosnowski, Beloborodow, Elzin, Mdivani, Okudschawa, Gamarnik, Tuchatschewski, Jakir und Hunderte andere, weniger bekannte — die gesamte alte führende Schicht der Partei, des Staates und der Armee — in »Reste der zerschlagenen Ausbeuterklassen« verwandelt? Durch die Anhäufung von Fälschungen hat sich Stalin in eine Sackgasse hineingetrieben, daß es schwer wird, in seinen Erklärungen auch nur den Schatten eines Sinnes zu finden. Der Zweck aber ist klar: Alles verleumden und vernichten, was sich der Bonapartistischen Diktatur in den Weg stellt.
»Es wäre irrig, zu glauben«, fährt der Redner fort, »die Sphäre des Klassenkampfes beschränke sich auf die Grenzen der USSR.
Wenn ein Ende des Klassenkampfes seine Wirkung im Rahmen der USSR hat, so erstreckt sich sein anderes Ende über die Grenzen der uns umgebenden bürgerlichen Staaten*.« Es stellt sich also heraus, daß mit der Festigung des Sozialismus in einem Lande der Klassenkampf nicht erlöscht, sondern sich verschärft und daß der wichtigste Grund dieser widernatürlichen Tatsache das Nebenherbestehen bürgerlicher Staaten ist. Von ungefähr und unmerklich für ihn gelangt Stalin zum Eingeständnis der Unmöglichkeit eines Aufbaus der klassenlosen Gesellschaft in einem Lande. Doch wissenschaftliche Verallgemeinerungen beschäftigen ihn wenig. Die ganze Abhandlung trägt nicht theoretischen, sondern polizeilichen Charakter. Stalin muß einfach das eine »Ende« der Fälschung ins Ausland verlegen.
»Nimmt man zum Beispiel«, fährt er fort, »die Trotzkistische konterrevolutionäre IV. Internationale, die zu zwei Drittel aus Spionen und Diversanten besteht... Ist es nicht klar, daß diese Spionage-Internationale Kader aussondern wird für die Spionage- und Schädlingsarbeit der Trotzkisten?« Der Stalinsche Syllogismus ist in der Regel eine einfache Tautologie: die Spionage-Internationale wird Spione aussondern. »Ist es nicht klar?« Nicht ganz! Sogar im Gegenteil: völlig unklar.
* Durch diesen Stil zeichnet sich die ganze Rede aus. »Hunderttausende Kader.« Der Klassenkampf hat ein »Ende«. Dieses »Ende ... hat seine Wirkung«. Die ehrfurchtsvollen Redakteure wagen es nicht, den Führer auf seinen Analphabetismus hinzuweisen. Der Stil ist nicht nur der Mensch, sondern auch das Regime.
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Um sich davon zu überzeugen, genügt es, zu der uns bereits bekannten Behauptung Stalins zurückzukehren: der Trotzkismus habe aufgehört, »eine Richtung in der Arbeiterklasse zu sein«, und sei »eine enge Gruppe von Verschwörern« geworden. Die Trotzkisten besitzen eine Plattform, von der sie zu keinem laut sprechen können, nur Jagoda und Jeschow flüstern sie davon ins Ohr. Aber hören wir Stalin weiter an: »Es ist verständlich, daß die Trotzkisten gezwungen waren, eine solche Plattform zu verheimlichen nicht nur vor dem Volk, der Arbeiterklasse... der Trotzkistischen Masse, und nicht nur vor der Trotzkistischen Masse, sondern auch vor der Trotzkistischen Führerspitze, die aus einem kleinen Häuflein von 30 bis 40 Menschen bestand. Als Radek und Pjatakow von Trotzki die Erlaubnis (?) verlangten, eine kleine Trotzkistenkonferenz von 30 bis 40 Mann einzuberufen zur Informierung über den Charakter dieser Plattform, verbot (!) Trotzki es ihnen.«
Lassen wir beiseite die erstaunliche Darstellung der Beziehungen innerhalb der Opposition: Alte Revolutionäre wagen es nicht, ohne »Erlaubnis« des fernen Emigranten Trotzki sich in der USSR zu versammeln! Aber nicht diese totalitäre Polizeikarikatur, die den Geist des Stalinschen Regimes widerspiegelt, interessiert uns hier. Wichtiger ist etwas anderes: Wie ist die Charakteristik des Trotzkismus mit der Charakteristik der IV. Internationale zu verbinden? Trotzki. »verbot«, über Spionage und Sabotage auch nur die 30-40 erprobten Trotzkisten in der USSR zu informieren. Anderseits besteht die viele Tausende junger Mitglieder zählende IV. Internationale »zu zwei Dritteln aus Spionen und Diversanten«. Also, sein »Programm« vor wenigen Dutzenden Menschen geheimhaltend, hat Trotzki es Tausenden mitgeteilt? Wahrhaftig, der Bosheit und Schlauheit fehlt's an Vernunft! Und doch verbirgt sich hinter der schwerfälligen Dummheit der Verleumdung ein ganz bestimmter praktischer Plan, der die physische Ausrottung der internationalen revolutionären Avantgarde zum Ziel hat
Bevor noch dieser Plan sich in Spanien zu verwirklichen begann, wurde er mit völliger Schamlosigkeit von der Wochenschrift der Komintern (und der GPU) »La Correspondance Internationale« enthüllt, fast gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Rede Stalins: am 20. März 1937. In einem Artikel gegen den österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer, der, trotz aller Hinneigung-zur Sowjetbürokratie, Wyschinski kei-
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nen Glauben schenken kann, steht unter anderem folgendes: »Wenn jemand heute in der Lage ist, sehr >authentische< Informationen über die Verhandlungen Trotzkis mit Hess zu geben, so ist es Otto Bauer: der französische und der englische Generalstab sind über diese Sache sehr gut informiert. Dank den guten Beziehungen, die Bauer zu Leon Blum und Citrine unterhält (der seinerseits sowohl ein Freund Baldwins wie Sir Samuel Hoars ist), hätte er nur nötig, sich an diese zu wenden. Sie würden ihm einige vertrauliche Auskünfte zum persönlichen Gebrauch nicht verweigern.« Wessen Hand hat diese Feder geführt? Woher kennt der anonyme Publizist der Komintern die Geheimnisse des englischen und des französischen Generalstabs? Eins von beiden: entweder haben die Generalstäbe der kapitalistischen Länder ihre Dossiers dem kommunistischen Journalisten gezeigt oder umgekehrt, dieser »Journalist« hat das Dossier zweier Generalstäbe durch Produkte seiner Schöpfung bereichert. Die erste Hypothese ist zu unwahrscheinlich: der britische oder der französische Generalstab brauchen nicht die Hilfe eines Journalisten der Komintern in Anspruch zu nehmen, um den »Trotzkismus« zu entlarven. Bleibt die zweite Version: die GPU hat irgendwelche Dokumente für die ausländischen Generalstäbe" fabriziert.
Im Prozeß Pjatakow-Radek wurde von meiner »Zusammenarbeit« mit dem deutschen Minister Hess nur sehr flüchtig und nebenbei gesprochen. Trotz seiner (angeblichen) Intimität mit mir hat Pjatakow bei unserer (angeblichen) Zusammenkunft nicht den geringsten Versuch gemacht, irgendwelche Details über meine (angebliche) Zusammenkunft mit Hess zu erfahren. Wyschinski ging in üblicher Weise schweigend an dieser Absurdität vorbei. Später aber wurde beschlossen, dieses Thema auszubauen. Der französische und der englische Generalstab haben offenbar irgendwelche »Dokumente« erhalten. Das weiß der Stab der Komintern mit Sicherheit. Jedoch hatte man weder in Paris noch in London Verwendung von diesem wertvollen Material gemacht. Weshalb? Vielleicht aus Mißtrauen gegen die Quelle. Vielleicht weil Leon Blum und Daladier nicht Partner der Moskauer Henker werden wollten. Vielleicht schließlich, weil die Herren Generale die »Dokumente« für einen heißeren Moment aufsparen. Wie dem auch sei, Stalin hat keine Geduld. Er braucht eine, wenn auch nur indirekte Bestätigung seiner Fälschungen von irgendeiner »unparteiischen«
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Seite. Da aber die Generalstäbe Schweigen bewahren, beauftragte die GPU den Journalisten, ihnen die Zunge zu lösen. Das ist zweifellos die Entstehungsgeschichte des von Stalin inspirierten Artikels und der ihn ergänzenden Rede. Vielleicht wird Herr Daladier darauf eine kompetentere Auskunft geben?
Die Resolution zu Stalins Rede lautet: »Die Entlarvung der Trotzkisten geschah in der Regel durch Organe des Volkskommissariats des Innern (d. h. die GPU) und einzelne freiwillige Parteimitglieder. Die Organe der Industrie und bis zu einem gewissen Grade auch die des Transports haben dabei weder Aktivität noch Initiative gezeigt. Noch mehr: einige Organe der Industrie haben sogar die Sache »gebremst« (»Prawda«, 21. April 1937). Mit andern Worten: die Leiter der Wirtschaft und des Transports konnten, trotzdem sie von oben mit glühendem Eisen gebrannt wurden, keine »Sabotage« in ihren Ressorts entdecken. Das Mitglied des Politbüros, Ordschonikidse, hat seinen Stellvertreter, Pjatakow, eben nicht durchschaut. Das Mitglied des Politbüros, Kaganowitsch, hat die Schädlingsarbeit seines Stellvertreters, Livschiz, übersehen. Auf der Höhe waren nur die Agenten Jagodas und die sogenannten »Freiwilligen«, d. h. die Provokateure. Allerdings wurde bald danach Jagoda selbst als »Feind des Volkes, Gangster und Verräter« entlarvt. Doch hat diese zufällige Entdeckung jene, die er erschossen hat, nicht zum Leben zurückgerufen.
Gleichsam um die Bedeutung dieser skandalösen Selbstenthüllungen noch zu unterstreichen, hat der Vorsitzende des Sowjets der Volkskommissare, Molotow, öffentlich berichtet vom Mißerfolg der Regierungsversuche, Tatsachen der Sabotage nicht durch Provokateure der GPU, sondern durch eine offizielle Wirtschaftskontrolle festzustellen. Wir zitieren Molotow: »Im Februar dieses Jahres (1937) begab sich im Auftrage des Kommissariats für Schwerindustrie eine autoritative Sonderkommission zum >Uralwaggonstroi<*. um dort die Schädlingsarbeit festzustellen. An der Spitze dieser Kommission standen solche Genossen, wie der Chef des Glawstrojprom, Gen. Ginsburg, und der Kandidat für das ZK der WKP, Gen. Pawlunowski ... Die Kommission hat die Resultate ihrer Untersuchung im >Uralwaggonstroi< folgendermaßen formuliert: >Nach Kenntnisnahme der Lage in der Uralwaggonfabrik sind
* »Uraler Waggonbau.«
wir zu der festen Überzeugung gekommen, daß die Schädlingsarbeit von Pjatakow und Marjassin im Betrieb keinen großen Umfang erlangt hatte ...<« Molotow ist empört. »Die politische Kurzsichtigkeit der Kommission«, sagt er, »ist ganz evident... Es genügt zu sagen, daß diese Kommission nicht einen Fakt von Schädlingsarbeit im Betrieb angeführt hat. Es stellt sich also heraus, daß der schwere Schädling Marjassin zusammen mit dem andern Schädling, Okudschawa, sich selbst verleumdet haben.« (»Prawda«, 21. April 1937.) Man traut seinen Augen nicht! Diese Menschen verloren nicht nur die Scham, sondern auch die Vorsicht.
Wozu aber war es überhaupt notwendig, nachdem die Angeklagten erschossen waren, noch eine Kontrollkommission zu entsenden? Eine postume Nachuntersuchung der »Fakten der Schädlingsarbeit« war wohl deshalb erforderlich geworden, weil die öffentliche Meinung weder den von der GPU erhobenen Anklagen noch den von ihr erpreßten Geständnissen Glauben schenkte. Jedoch hat die Kommission unter Leitung Pawlunowskis, eines früheren langjährigen Mitarbeiters der GPU, keinen einzigen Sabotagefakt entdeckt. Eine evidente »politische Kurzsichtigkeit«! Sabotage muß man auch unter der Maske wirtschaftlicher Erfolge entdecken können. »Sogar die Hauptverwaltung der chemischen Abteilung des Volkskommissariats für Schwerindustrie, an deren Spitze Rataitschak stand«, fährt Molotow fort, »hat den Plan für 1935 und sogar für 1936 mehr als erfüllt. Heißt das«, scherzt das Haupt der Regierung, »daß Rataitschak nicht Rataitschak, ein Schädling nicht ein Schädling, ein Trotzkist nicht ein Trotzkist ist?«
Die Sabotage des im Zusammenhang mit dem Prozeß Pjatakow-Radek erschossenen Rataitschak bestand also darin, daß er den Plan mehr als erfüllt hatte. Es ist nicht verwunderlich, wenn die strengste Kommission ohnmächtig ist vor Fakten und Ziffern, die mit dem »freiwilligen Geständnis« Rataitschaks und der andern nicht übereinstimmen. Im Resultat »erweist es sich«, nach Molotows Worten, daß die Schädlinge »sich selbst verleumdet haben«. Und noch schlimmer: es erweist sich, daß die Inquisition viele ehrliche Arbeiter gezwungen hat, sich selbst mit scheußlichen Verleumdungen zu bedecken, um Stalin den Kampf gegen den Trotzkismus zu erleichtern.
Dies »erweist sich« aus Stalins Rede, die durch Molotows Rede ergänzt wird. Und dies sind die zwei autoritärsten Figuren der USSR!
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