Stefan Wachtel

Delikt 220

Bestimmungsort Schwedt

Gefängnistagebuch

Armeeknast, Militärgefängnis

1991 im Greifenverlag zu Rudolstadt 

Stefan Wachtel :  Delikt 220   (1991)   Armeeknast Schwedt     - 

1991   100 Seiten 

wikipe Stefan_Wachtel  *1960 im Eichsfeld

DNB.Buch

goog Buch

Wikipedia Militärgefängnis 


detopia:  W.htm

Aschebuch 

Schwedt-Film 2001


Rüdiger Wenzke (2013)  Ab nach Schwedt! Die Geschichte des DDR-Militärstrafvollzuges

500 Seiten

DNB.Buch   Google.Buch   Bing.Buch 

wikipedia  Rüdiger_Wenzke *1955 in Baruth/Mark 



Email an detopia zu Wachtel:

hallo du, oder ihr? egal, ich war froh, dass ich über euch den kontakt zu meinem ehemaligem mithäftling gefunden hatte. hab mir das buch delikt 220 dutzende male durchgelesen. nun ist es nicht mehr auf deiner seite, warum? ---  hatte stefan etwas dagegen? er sollte es sich überlegen, denn es gibt ausser diesem kein weiteres buch über das militärgefängnis schwedt. und dieses unrecht sollte dokumentiert bleiben für immer!!  --- Mit freundlichen Grüßen  axel brabec


Email an detopia:   Sent: Monday, April 19, 2004    Subject: Thema Schwedt

hi, bin heute über die google-suche heute auf die seite gestossen. sehr interessant! vor allem auch die buchempehlungen, ich selbst sass von september bis dez 1983 für 3 monate in schwedt ein, wegen fahnenflucht, werde die seite weiter verfolgen und mich nochmal melden, wenn ich alles gelesen hab, bin im mom erstmal ziemlich aufgewühlt, da eine vergangenheit wieder entdeckt ist, die ich innerlich verdrängt habe (weitestgehend) erstmal viele grüsse, Detlef Fahle aus Berlin


(d-2005:)  Der Autor war vermutlich ab Nov. 79 an der Uffz-Schule Eilenburg (bzw. Delitzsch). Am 17. April 1980 war er schon zum Uffz. befördert. 
Es muß also kurz vor der Versetzung ('in die Truppe')
passiert sein. ...
Er wurde dann zum Soldaten 'begnadigt' (S. 25 - "anderthalb jahre weniger"). 
Er schreibt nicht, ob er die 5 Monate Knast "nachdienen" mußte bzw., wann er entlassen wurde. 


Dies ist das erste authentische Buch über die Praktiken des militärischen Straf­voll­zugs in der ehemaligen DDR. Im April 1980 wird der noch nicht zwanzigjährige Stefan Wachtel in einer Kaserne der "Nationalen Volksarmee" verhaftet. Es beginnen fünf Monate der Angst, der Demütigung, der Mißhandlung.

Über die sowjetische Aggression in Afghanistan hatte er mit Kameraden gesprochen und die beschämende Zettelabgabe in der DDR "Scheinwahlen" genannt — Grund genug, gegen ihn mit Hilfe des berüchtigten Strafgesetz-Paragraphen 220 (Öffentliche Herabwürdigung) vorzugehen.

Wachtel vergegenwärtigt in klarer, suggestiv genauer Sprache den inneren Ablauf des Erlittenen; schildert, wie der Schatten der Gefängniszeit in Schwedt über seinem weiteren Lebensweg hängt, durch Akten und Universitäts­institutionen geistert, das Augenmerk von Stasi-Denunzianten auf ihn zieht.


Stefan Wachtel, Jahrgang 1960. Sprechwissenschaftler. Studium in Halle/Saale von 1982 bis 86. Lebte dort bis zur Flucht aus der DDR im Sommer 1989. Arbeitet als Sprecherzieher und Präsentationstrainer in der Rundfunk- und Fernseh-Fortbildung. Lehrauftrag an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Wohnt in Wiesbaden.

Der Schriftsteller Gerhard Zwerenz, 1957 mit knapper Not in Leipzig der Verhaftung entkommen, hat die Erinnerungen des jüngeren Kollegen mit einer Nachbemerkung versehen.


 

Der Text beruht auf Tatsachen. 
Der Autor verbürgt sich für den Wahrheitsgehalt aller Details, so unglaublich sie aus heutiger Sicht auch erscheinen mögen. 
Stefan Wachtel

Gewidmet den namenlosen politischen Gefangenen der ehemaligen DDR

 

Wie einer, der vorm Richtblock kniet,
häng' ich den Hals über die Toilette.
Was sonst? Mir kommt die Wut hoch, Mann,
auf den dreimal verfluchten Kahn
und die am Ruder dreh'n.
Das schwimmt als Dreck im Ozean
der Menschheit rum
und will nicht untergehn.

Gerulf Pannach


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Ich hätte das nicht so sagen dürfen. Ich hätte das anders sagen sollen, nicht so. Ich hätte nicht diese falsche Meinung haben sollen. Ich hätte anders sein müssen.

Ich muß bestraft werden. Ich muß erzogen werden.

Und jetzt bin ich hier.
Im zwanzigsten Jahr.
Aus Schuld. Aus Unschuld. Aus Unachtsamkeit. Aus Wachsamkeit.

Sie schützen die Ordnung, greifen durch, sie haben auch die Gesetze. Es ist auch rechtens.
Eine dumme Geschichte, deren Tage nicht verrinnen wollen. So langweilig-aufregend wie der Schauplatz Schwedische Gardinen. Eine dumme Geschichte, so unfaßbar wie alltäglich.

 

Ein Apriltag 1980, der 17. des Monats. Ein regnerisches Wetter ist in den letzten Wochen gewesen, naßkalt, auch mit Schnee, der über den Exerzierplatz huschte, an unseren Uniformen taute. Funkelnagelneue Schulterstücke mit der Silberborte, Gurkenschalen, sind schon verteilt worden. Eine zweifelhafte Ehre, die uns da zweifellos zuteil wird. Nun habe ich ein halbes Jahr in der Nähe von Leipzig mich drillen lassen, Bekenntnisse abgegeben zu einer Sache, mit der ich dem Gefühl nach nichts zu schaffen habe. Ich habe Wandzeitungen beschriftet und Gedichte von Zimmering rezitiert, alles im Ehrenkleid.

Wie sie es verstehen, sich unsere Talente geschickt zu eigen zu machen, wie aber doch etwas in uns sich wehrt, bis zum letzten mitzugehen. Das fast noch kindliche, hilflose Aufbäumen gegen etwas, von dem nur zu ahnen ist: es ist nicht gut. Daß es nur nicht offenbar wird.
Es ist offenbar geworden.

Aber ich will der Reihe nach erzählen. Aus der Erinnerung nach acht Jahren freilich nur das, was ein Gedächtnis herausgibt: Szenen, Gespräche, auch Namen. Dokumente und spärliche Notizen geben die Richtung. Das Motiv ist nicht neu: Gegen das Vergessen. Wo wir uns täglich vorführen lassen, wie das arbeitet.

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Seite 10-98


So etwas ist nun in vielen Büchern zu lesen. 
Davon schweigen? 
Alles ruhen lassen?
Wo es doch zum Himmel stinkt?

Gerhard Zwerenz

Ein Wort danach 

 

Hier spricht einer ohne zu erfinden reine Poesie der Wirklichkeit, die sich immer erneut selbst erfindet. Er steht ihr fremd gegenüber und ist doch gezwungen, sie stets beim rechten, genauen Namen zu nennen.

Begonnen hat diese Krankheit in der Uniform des Unteroffiziersschülers, in der sie drinnen steckte wie eine Kleiderlaus. Der künftige Obersoldat sagte Selbstverständliches, das ihm die Anklage des Ungeheuerlichen vor dem Militärrichter einbrachte. Man schneidet den Mann, den seine Sprache übermannte, aus Uniform und Hoheitszeichen heraus und verurteilt ihn zum Studium der Haftzelle.

Doch die Kleiderlaus spricht weiter aus dem Menschenkörper, obwohl dem ganz und gar nicht geheuer ist: „Ehre und Vaterland. Ich habe kein Herzklopfen. Es kommt mir einfach nur merkwürdig vor ..... Die Wachsamkeit mußte verkommen zur Denunziation. Warum soll sie ein anderes Schicksal haben als die Revolution selbst? ..... Wer hat die Wirklichkeit auf dem Gewissen?" 

So kann nur eine widerspenstige Kleiderlaus höhnen. Sie muß geknackt werden. Der Gefangene bekommt den Titel Häftling verpaßt. Er war immer Mit-Glied, auch hier in der Zelle: „Ich mach mit." Was sonst? Etwa über die Ostsee schwimmen? Aber nein: Inhaftierter Wachtel. Ich trage einen Titel. Noch in der Niederschrift spricht die Laus widerspenstig aus ihm heraus. 

In der Kurzbiografie des Inhaftierten a.D. lese ich, er sei Diplom-Sprechwissenschaftler. Das mit dem Diplom gibt mir zu denken: Wie viele Professoren, Doktoren, Diplome, Diplomaten produzierte das System. Lauter abgelegte Prüflinge. Alle haben bestanden. Mindestens als staatlich geprüfte und anerkannte Insassen. Erhält einer sein Diplom nach dem Studium des fünfmonatigen Strafarrests?

Ich erkenne den Titel nach vergleichenden Studien an, denn die Straflager in Ost und die überfüllten Gefängnisuniversitäten in West und Süd machen im großen Kollektiv das Vergessen zur Pflicht: War da etwas? Ist da etwas? Aber nein. Nichts ist gewesen, nichts ist. Nichts soll sein und gewesen sein. Die sprachlosen Gefangenen, in Gegenüberstellung mit der Wahrheit, werden zur Lüge verurteilt und nicht anerkannt. Die Täter von gestern treten umgeschminkt als Opfer an. Die Opfer von gestern werden der Lüge von heute geopfert. Wende ist. Nun wendet euch.

Stefan Wachtel, der Sprechwissenschaftler, fragt naiv: Wer hat die Wirklichkeit auf dem Gewissen? Niemand meldet sich. Also spricht die Sprache aus unverstellter Erfahrung heraus, was Sache ist, Seele, Schmerz, Ungeheuer­lichkeit. Die Sprache spricht ganz ohne Sprecherlaubnis. 

Bei Dostojewski hieß das <Aufzeichnungen aus einem Totenhaus>. Bei Gott, König, Vaterland, Politbüro und deutscher Zweieinigkeit, hier kann wieder einer die Sprache nicht halten. Was soll bloß aus so einem werden, der weder verstummen noch in Sklavensprache flüchten kann. Die Leute werden sagen: Selber schuld. Und sich selber gar nicht meinen.

99-100

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Ende

 

 

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