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"Sorgt überall für Sauberkeit, Genossen der Staatssicherheit" 

Stefan Neuhaus bei literaturkritik.de über  Joachim Walther's Studie: <Sicherungsbereich Literatur>

"Jeder Mensch hat ein Recht auf Liebe,
auf den Anblick der grünen Triebe am Kirschbaum; 
und auf den Wind, den streunenden Kumpan, 
und auf berauschenden Elan, 
und auf den stillen Sonntag unter Freunden. 
Drum lautet der Auftrag der Partei:
Sorgt überall für Sauberkeit, Genossen der Staatssicherheit." 

Das Gedicht von Benito Wogatzki ist ein Beispiel für "MfS-Lyrik" und in einer Hinsicht gelungen: Dummheit, Banalität und Selbstbewusstsein gehen hier eine ebensolche Symbiose ein, wie dies im wirklichen Leben im DDR-internen Geheimdienst der Fall war. Die "MfS-Lyrik" findet sich im Anhang einer Dokumentation, deren Bedeutung für die Aufarbeitung von DDR-Geschichte kaum überschätzt werden kann.

Seit dem Fall der Mauer ist bekannt geworden, dass das Ministerium für Staatssicherheit, abgekürzt MfS oder auch Stasi genannt, alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens mit Spitzeln durchsetzte, um jedes Aufbegehren gegen den Kurs der Führung der Sozialistischen Einheitspartei schon im Vorfeld zu unterdrücken oder abzuwürgen. Einzelne Fälle kamen ans Tageslicht, in denen Schriftsteller bespitzelt wurden oder selber als Spitzel dienten. Rainer Kunze veröffentlichte bereits 1990 Auszüge aus den über ihn angefertigten Stasi-Protokollen unter dem Titel "Deckname Lyrik".

Dass linientreue Schriftsteller wie Hermann Kant oder Dieter Noll als Spitzel tätig waren, dürfte deutlich weniger eine Überraschung gewesen sein als die IM-Tätigkeit (IM = Inoffizieller Mitarbeiter des MfS) des Stars der angeblich widerständlerischen Literatenszene am Prenzlauer Berg, Sascha Anderson.

Christa Wolf musste sich wegen früher Stasi-Verstrickungen rechtfertigen und publizierte alles Material, um zu zeigen, dass sie dem Geheimdienst nur kurze Zeit und ohne Folgen für andere zu Diensten war, dafür aber jahrzehntelang auf jede erdenkliche Weise bespitzelt worden ist.

Joachim Walther ist es zu danken, dass die Frage "Wer bespitzelte wen mit welchen Mitteln?" dem Bereich der Spekulation entrissen wurde. In seiner Studie nennt Walther Namen - Namen der Bespitzelten ebenso wie die der Spitzel, soweit die MfS-Unterlagen darüber Auskunft geben und soweit sie nicht 1989/90 vernichtet worden sind. Kenner der DDR-Literaturszene dürften 1996, als das Buch zum ersten Mal veröffentlicht wurde, in einigen Fällen erleichtert aufgeatmet und in anderen eine böse Überraschung erlebt haben. Jetzt liegt die Studie in einer angesichts des Umfangs preiswerten Taschenbuchausgabe vor. Ein Buch, das mit seinen über 1.000 Seiten vielleicht nicht in die Tasche, aber in jedes Bücherregal gehört.

Die Dokumentation zeigt über ihren Faktenreichtum hinaus beispielhaft, wie "die alte Antinomie Geist und Macht" zu einer "wechselseitigen Furcht" führt: "Die Schriftsteller fürchten das Einengen ihrer künstlerischen Freiheit, der Staat fürchtet, dass diese poetische Freiheit seine politische Macht in Frage stellt."

Aus dieser Konstellation erwachsenen Kollaborationen, Verrat und tragische Schicksale. Deutlich wird, wie eine Diktatur Menschen gebraucht, missbraucht und deformiert, und deutlich wird, dass nur jene davon profitieren, die über Leichen gehen. Allerdings gibt es nicht immer eine klare Trennlinie. Walther bemüht sich, die Grautöne zwischen ‚schwarzen' Tätern und ‚weißen' Opfern zu zeigen, etwa bei dem früheren Chef des Reclam-Verlags Leipzig: "Neben diesen offiziellen und inoffiziellen Kontakten zum MfS war Hans Marquardt ohne Zweifel ein profilierter DDR-Verleger, der in seinem Verlag auch Titel durchsetzte, die den engen ideologischen Rahmen erweiterten. Der Fall zeigt, wie kompliziert und komplex ein Leben in solcher Position in der DDR sein konnte und dass es nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen ist."

Walther erläutert in einer gut nachvollziehbaren, klaren, ihrem schwierigen Gegenstand angemessenen Sprache, wie sich das MfS entwickelte, welche Ziele es mit welcher Organisationsstruktur verfolgte. Einige der Hauptakteure werden vorgestellt, ihre Lebensläufe im Dienste der Staatssicherheit erläutert. Vieles würde geradezu lächerlich wirken, wenn es nicht so ernst gemeint, so inhuman bis monströs gewesen wäre. Im Stasi-Jargon kürzte man gern ab, das erhöhte den Eindruck des Konspirativen. So wusste jeder, was mit POZW gemeint war - Politisch-operatives Zusammenwirken.

In detaillierten Richtlinien waren die "Methoden" der "Arbeit" zusammengefasst, eine davon lautete "Zersetzung": Die Vernunft sträubt sich, das zu glauben, was man unter diesem Stichwort liest:

"Bewährte anzuwendende Formen der Zersetzung sind: - systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben; - systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen; - zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten Idealen, Vorbildern usw. und die Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Perspektive; - Erzeugen von Mißtrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen durch zielgerichtete Ausnutzung persönlicher Schwächen einzelner Mitglieder".

In Zusammenarbeit mit den Spitzen des Staates konnte das MfS über alle nur denkbaren Druckmittel verfügen; so wurden von 1945 bis 1989 nachweislich 43 Schriftsteller inhaftiert, eine Zahl, die laut Walther nur eine "verläßliche Untergrenze" markiert. Ausdifferenziert war die Zensur, die es offiziell nicht gab, weil sie nicht so benannt werden durfte.

 

Die Verlage waren mit Stasi-Spitzeln durchsetzt, die Verlagsleiter und Lektoren mussten bei Publikation kritischer Texte um ihre Jobs fürchten. Dann kam das "Druckgenehmigungsverfahren": "Ohne den Druckgenehmigungsstempel der HV [Hauptverwaltung] Verlage und Buchhandel lief in der DDR keine Druckmaschine an." Um die Entscheidung für oder gegen ein Buch, für oder gegen Repressalien gegen seinen Autor treffen zu können, beschäftigte man Gutachter, in der Regel Stasispitzel aus dem Literaturbetrieb, also Mitarbeiter von Verlagen, Feuilletonisten und Germanistikprofessoren

Die Gutachter konnten auch beauftragt werden, durch negative oder positive Rezensionen Bücher öffentlich anzupreisen oder schlechtzumachen. Linientreuen Autoren half man gern, sogar auf unkonventionelle Weise. Als ein Helmut Sakowski, offenbar von Verfolgungswahn geplagt, einen Roman über "Störaktionen" der BRD gegen "die Erdgaserschließung und -förderung in der DDR" schreiben wollte, bekam er selbstverständlich jede Unterstützung bei seiner "Recherche".

Die Überwachung von Autoren, vor allem von solchen, gegen die ein sogenannter "Operativer Vorgang" lief, war total. Gemäß den Vorgaben über "Zersetzung" wurden Gerüchte ausgestreut, anonyme Briefe versandt, Inoffizielle Mitarbeiter damit beauftragt, Misstrauen im engsten Familien- und Freundeskreis zu säen. Das MfS schreckte vor nichts zurück

Für das Verletzen der Intimsphäre, für Denunziation und persönlichen Verrat bringt Walther zahlreiche Fallbeispiele, auch wenn er, aus nachvollziehbaren Gründen, den intimsten Bereich ausspart. Eines der Beispiele ist der "Einsatz" der ehemaligen DEFA-Schauspielerin Traudl Kulikowsky alias IMB ‚Galina Mark'. Sie wohnte im Sommer 1981 bei Elke Erb (die eine Georgienreise unternahm), um auf deren Sohn aufzupassen - in dieser Zeit öffnete sie die an Elke Erb adressierte Post und meldete die kopierten Briefinhalte an das MfS."

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