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Heile Umwelt: der letzte Luxus?

Ein Vorwort von Hubert Weinzierl, 1991

 

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Spätestens nach dem Golfkrieg müssen auch bislang Uninteressierte feststellen, daß der Borniertheit zahlreicher Staatslenker nicht immer etwas entgegengesetzt werden kann.

Und auch wir müssen uns den Vorwurf der Borniertheit gefallen lassen, denn auch um unseren <american way of life> weiterhin aufrecht erhalten zu können, wurde der Krieg geführt: ein Krieg gegen den Menschen und gegen die Natur.

Die etwa 600 brennenden Ölquellen, die den Himmel verfinstern und schwarzen Regen erzeugen, sind ein weithin sichtbares Symbol für die Vergehen und Verbrechen wider die Natur in dieser Krisenregion. Erste Forderungen werden laut, die Urheber dieser Um­welt­zerstörung vor ein internationales Tribunal zu stellen. Was gerecht und richtig wäre!

Doch eine geschickte Verteidigung könnte leicht nachweisen, daß <Verbrechen gegen die Umwelt> weltweit, täglich und tausendfach vollzogen werden: straflos und oft noch mit Wissen, Billigung und Förderung der jeweilig Herrschenden! Eine Prozeßlawine müßte die logische Folge sein, denn <billige> Gründe für Umweltzerstörungen gibt es genug, auch in unserem Land – und schließlich zeugt jeder Quadratmeter Beton und Asphalt, der heute im Namen des Fortschritts Natur versiegelt, von der Vernichtung von Leben!

Ob Naher Osten, Dritte Welt oder auch sogenannte alte und neue Bundesländer: das Tempo der fortschreitenden Umweltzerstörung hat heute, trotz aller wissen­schaft­lichen Erkenntnisse über die Negativbilanz der Naturvernichtung, keines­falls abgenommen – im Gegenteil!

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Wir dürfen uns daher auch nicht anmaßen, mit erhobenem Zeigefinger auf ferne Krisengebiete zu verweisen: Gerade was die neuen Bundesländer betrifft, muß mit Bestürzung festgestellt werden, daß dort – wider besseren Wissens – die Natur <gemordet> wird. Man profitiert dort nicht von den Erfahrungen der bisherigen Entwicklung im Westen, will augenscheinlich auch gar nicht davon profitieren!

Dabei kann das Angleichen an die <westdeutsche> Situation allenfalls bedeuten, daß man mit den angestrebten Vorteilen auch alle Nachteile mit einhandelt: die >Denatu-rierung< in allen Bereichen des westlichen Lebensstils – beispielsweise bei der Entwicklung im Städtebau, der Verstädterung des ländlichen Bereiches, der Verwandlung der Landschaft in einen artifiziell geprägten Freizeitpark, oder auch der Vergiftung der Nahrungsmittel, um nur einiges zu nennen.

Man scheint teilweise bei der hastig vorangetriebenen Entwicklung in den neuen Bundesländern auch alle Fehler der alten Bundesrepublik wiederholen zu wollen: überbordender Straßenbau ohne Rücksicht auf die Natur, eine Übernutzung von naturbelassenen Gebieten durch Erholungssuchende oder die Freizeitindustrie, die Planung neuer Atomkraftwerke – und so fort.

Es wiederholt sich also die Geschichte ständiger Umweltzerstörung <im Namen des Fortschritts> und es ist mehr als scheinheilig und zeugt von doppelter Moral, mit dem Zeigefinger Umweltzerstörungen andernorts anzuprangern oder auch am Stammtisch und Arbeitsplatz darüber zu klagen.

Gerade wir Deutschen hätten es jetzt in der Hand, als führende Industrienation – und als wirtschaftlicher Riese auch mit einer gewissen Vormachtstellung in Europa handelnd –, strategisch klug den zukünftigen europäischen Kurs zu bestimmen!

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Dies würde bedeuten, daß wir uns unabhängig machen sollten von den immer knapper werdenden Rohstoffen, damit von der Unberechenbarkeit der Politik, von der Erpreß­barkeit moderner Industriestaaten, die – wie beim Golfkrieg gezeigt – irrsinnig hohe Finanzmittel, Menschen und Material einsetzen müssen, um ihre spätere Existenz <vorbeugend> zu verteidigen. Das Planspiel hoher Militärs vor bereits 15 Jahren, daß Dritte-Welt-Länder zu Rohstoff- oder auch atomaren Erpressungen neigen könnten, um ihre Politik durchzusetzen, ist heute schon des öfteren Wirklichkeit geworden.

Und wir würden auch klug handeln, wenn wir es nicht zulassen würden, daß sich die Atmosphäre der Erde so weit aufheizt, daß unsere Vegetation darunter leidet und stirbt, während Umweltflüchtlinge versuchen, die letzten Oasen geschützter Umwelt – und diese würden in den reichen Industriestaaten des Nordens liegen – zu erreichen.

Szenarien dieser Art gibt es reichlich, die Entwicklung weltweit bestätigt solche Denk­modelle unserer Wissenschaftler. Deswegen ist es mir oft unerklärlich, daß unsere Politiker und Wirtschaftler nicht in der Lage sind, über den Alltag hinaus zu denken und zu handeln.

Wer als verantwortlicher Politiker und Wirtschaftler die Entwicklung der globalen Umweltsituation negiert, ist entweder ein Dummkopf oder ein verantwortungs­loser Egoist! Für beide Spezies gilt, daß sie abgelöst gehören!

Unsere Gesellschaft übt den Konsum wie den <Tanz ums Goldene Kalb>, ohne zu begreifen, daß dabei eine heile Umwelt zum einzigen, echten Luxus wird, den wir uns in der Zukunft sicherlich nicht mehr werden leisten können.

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Wir kennen den Volksspruch: Alle Wünsche werden klein, gegen den, gesund zu sein!

Man kann davon ausgehen, daß die meisten von uns an eine solche Aussage erst dann glauben, wenn ihre Gesundheit angegriffen ist oder wenn sie ernsthaft todkrank sind.

Dieses Bild sollte auch auf die Natur übertragbar sein: Die Erde, die Natur gleicht ja im <heilen Zustand> einem Organismus mit zahlreichen Regelkreisen, die Irritationen, Fehlentwicklungen usw. abpuffern und das System – im Ganzen gesehen – gesund erhalten. So, wie wir im Augenblick die Natur belasten und denaturieren, ist sie schon krank geworden, wird vielleicht sterben. Und wir mit ihr.

In dieser Lage darf es kein Tabu mehr geben, wenn wir von Politikern, Wirtschaftlern, Militärs Rechenschaft über ihr Tun fordern. Wir dürfen nicht wieder warten, bis Sach­zwänge wieder einen Krieg, wieder ein Tschernobyl, wieder ein Tanker-Unglück auslösen, und wir als ohnmächtige Zuschauer, Statisten oder Mitleidende <eingeteilt> werden.

Wir müssen unbeirrt fordern, daß das Geschick unseres Planeten, unseres Lebensraums nicht mehr von einer kleinen Minderheit irrational handelnder Fundament­alisten einer fehlgeleiteten Wirtschaft, irrsinnigen Militärdoktrin oder Ideologie und Religion regiert und bestimmt wird.

Nur – Predigen hilft nicht mehr! Wir müssen beweisen, daß es möglich ist, unsere Welt vernünftig, im ökologischen Sinn zu leiten, zu nutzen, zu bewirt­schaften, zu beleben. Und da ein Bild mehr wirkt als tausend Worte, muß das Bild einer ökologisch-ökonomisch intakten Bundesrepublik beweisen, daß wir zur Rettung unseres Planeten Konkretes beitragen.

Wir sollten uns nicht scheuen, die umweltpolitische Führungsrolle in Europa zu übernehmen, um zum Erhalt der abendländischen Kultur beizutragen. Wir können nicht von anderen Verzicht fordern und dann noch darauf warten, daß sie uns vor der globalen Umweltkrise retten; unsere Selbstsicherung davor ist unsere ureigenste Angelegenheit.

Und diese kann auch nur bei uns, in der Bundesrepublik, umgesetzt werden! Das beginnt damit, daß unsere Regierung zur Einsicht bewegt werden muß, daß die Finanzen des Rüstungs­haushalts gravierend erniedrigt, jene aber des Umweltschutzes massiv erhöht werden müssen!

Dies ist nur ein Beispiel für die Umorientierung unserer Gesellschaft: Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – beim Wasser, der Luft und der Erde – sowie der Tier- und Pflanzenwelt muß zu einem Verfassungswert erhoben werden, wobei dieser durch Verankerung von Populär- und Verbandsklage unter einem grundrechts­ähnlichen Rechtsschutz gestellt wird!

In zentralen umweltpolitischen Fragen müssen Möglichkeiten direkter Demokratie wie Volksbefragung, Volksbegehren und Volksentscheid geschaffen werden: Wir sind heute demokratisch reif genug dazu!

Und das ist die Forderung, die wir uns heute stellen und bis zum Jahr 2000 realisieren sollten: die ökologisch-ökonomische Umorientierung unserer Industrie­gesellschaft. Dazu sollte keine Kraftanstrengung zu gering sein!

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Hubert Weinzierl
Vorwort im August 1991

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Hubert Weinzierl - Ökologische Offensive - Umweltpolitik in den 90er Jahren