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Grenzen der Weltbewohnbarkeit

Die Bevölkerungsentwicklung

Von Hubert Weinzierl 1991

Kapitel in Weinzierl 1985

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Wie zur weltweiten Umweltkrise ist zum Spannungsverhältnis von Bevölkerungs­wachstum und dem Schwund der menschlichen Lebensgrundlagen eigentlich alles bereits gesagt, geschrieben und gefordert worden.

Während aber die Umweltpolitik beinahe täglich Zündstoff politischer Auseinander­setzungen bietet, wird die Bevölkerungsfrage offenbar immer noch als scheinbar gottgegebenes Schicksal einfach zur Kenntnis genommen. Schlagzeilen wie <In fünfzehn Jahren sieben Milliarden Erdbewohner> oder <Alle zwei Sekunden werden fünf Menschen geboren> berühren Mitbürger und Politiker wenig.

Diese Hilflosigkeit gegenüber dem Bevölk­erungsproblem zieht sich als roter Faden auch durch die Geschichte der Umwelt­bewegung, die seit Beginn dieses Jahrhunderts und verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder auf das schier unauflösbar Dilemma von Bevölkerungs­lawine und Ressourc­en­verbrauch hinzu­weisen versuchte, ohne jedoch ausreichend politisches Gehör zu finden.

1965 veröffentlichte der Deutsche Natur­schutzring die Studie <Natur­schutz – Eine Existenzfrage> in der es heißt:

»In der unmäßigen Bevölkerungsentwicklung liegt der Schlüssel des meisten Unheils dieser Erde. Krieg, Haß, Neid und Mißgunst der Völker: gründen sie nicht vielfach im Kampf um den unvermehrbaren Lebens­raum, im Ringen nach der Existenzgrundlage? Der Verkomplizierung aller Umweltbedingungen und der Lebensverhältnisse, die zunehmende Verknappung oder Störung der natürlichen Hilfsquellen, wie wir sie aufgezeigt haben, warum sind sie eingetreten? Warum wußte man noch nichts von solchen Nöten, als wir noch weniger Mitmenschen hatten? Warum gibt es dünnbesiedelten Ländern kaum Sorgen des Naturschutzes im weitesten Sinn?

... Alle diese Milliarden von Menschen werden aber den verständlichen Wunsch haben, zu >leben<, sie wollen einen höheren Lebensstandard, den sie aber nicht erreichen können, weil die >Mutter Erde< dann längst zu Tode gequält und ausgebeutet sein wird. Eine tragische Erkenntnis, der wir indes unerbittlich entgegensehen müssen! ...

Nur wenn diese Hauptsorge der Menschheit, die Eindämmung des Überbevölkerungsstromes, gewährleistet ist, wird es einen Sinn haben und wird eine Aussicht bestehen, an einer durchaus verbesserungsfähigen Umwelt zu bauen, unsere Zivilisationslandschaften zu gestalten, daß sie wert bleiben, >Heimat< genannt zu werden, unsere Kulturwerte weiter zu pflegen und friedlich zu überleben!«

Im <Ökologischen Manifest> stellte die Gruppe Ökologie bereits 1972 fest:

»Die Schätze der Erde haben ihre Grenzen erreicht, der Tag ist abzusehen, an dem der Erdboden die Menschen nicht mehr ernähren kann, die Rohstoffe zu Ende gehen und die Fruchtbarkeit des Bodens nachläßt. Die Natur läßt sich nicht vergewaltigen. Wer die Übervölkerung weiterhin fördert, bringt uns dem gemein­samen Selbstmord näher. Hunger, Elend, Haß und Gewalt sind die Folgen der Übervölkerung. Massenvermehrung erzeugt Massenelend und oft genug Massenvernichtung! Fortschritt und Technologie sind nicht mächtig genug, dies abzuwenden...«

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Zwei Jahre später, also 1974, verschärfte die Gruppe Ökologie ihre Mahnungen zum gleichen Thema:

»Weltweit wächst die Bevölkerung weiter, steigt der Rohstoff­verbrauch und nimmt die Belastung der Ökosysteme zu. Bei einzelnen Bodenschätzen wird die Verknappung deutlich sichtbar. Doch nur wenige Anzeichen einer Wende sind erkennbar: In einigen Industriestaaten ist das Bevölkerungswachstum beträchtlich zurückgegangen. Doch in den Ländern der Dritten Welt, die in immer stärkerem Maße die Entwicklung bestimmen werden, geht die Bevölkerungsexplosion unvermindert weiter. Zwar hat die Ölkrise erstmals weitesten Kreisen der Bevölkerung die >Grenzen des Wachstums< bewußt gemacht, aber noch zu wenige Politiker bekennen sich zu qualitativem anstatt quantitativem Wachstum. Die in der Sach­politik sich zeigenden Ansätze zu dieser Änderung der Zielsetzung werden in der Regel um machtpolitischer Interessen willen zunichte gemacht. Die Gruppe Ökologie erblickt aber auch schwere Gefahren in einem weiteren ungehemmten Wachstum der Wirtschaft. Dem Irrglauben, daß nur damit eine lebenswerte Zukunft gesichert werden kann, muß ein Ende bereitet werden. Auch die ökonomischen Ziele des Menschen müssen sich nach den Gesetzen der Natur richten...«

Mit der Studie <Sterben die Bayern aus?> hat sich der Bund Naturschutz dann wieder 1975 an die Öffentlichkeit gewandt, um einige Panikmeldungen aus dem Bayerischen Umweltministerium zu konterkarieren. In der Studie heißt es:

»Die hochentwickelten Industrieländer müssen also ihren eigenen ökologischen Ausgleich wieder zu erlangen versuchen, und eine der hierzu unerläßlichen Vorbedingungen ist ein Zurückschrumpfen der Bevölkerungs­dichten auf Größenordnungen, die mit der ökologischen Leistungsfähigkeit unserer Länder in Einklang stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der augenblickliche Rückgang der Geburten in der Bundes­republik keinesfalls als >Geburtendefizit<, sondern als längst überfällige Geburtenanpassung zu sehen, die jeder einsichtige Mensch begrüßen muß. Diesen Prozeß vorzeitig zu stören oder gar in seiner Tendenz umkehren zu wollen, hieße genau jene Katastrophe heraufzubeschwören, die man mit allen Mitteln zu vermeiden wünscht...«

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In einem eigenen Kongreß zum Thema Langzeit-Ökonomie – 1977 von der Deutschen Naturschutz-Akademie veranstaltet – wurde dem Problemkreis Bevölkerungsent­wicklung und Ressourcengrenzen großer Raum eingeräumt. Damals wurde festgestellt:

»... Bemerkenswert sind zwei Dinge: Erstens, daß der Zusammenhang zwischen individueller Entscheidung und gesamtgesellschaftlicher Auswirkung - damit aber auch der Verantwortlichkeit dafür - nur sehr wenigen Menschen bewußt ist; ihr Handeln in dieser Richtung verläuft zumeist völlig unreflektiert. Und zweitens: daß im politischen Raum die Zusammenhänge zwischen dem Verhalten des Einzelnen, der Entwicklung der Bevölkerung und der Grenzen dieser Entwicklung kaum gesehen werden. So gab es noch in keiner Legislatur­periode eine bevölkerungspolitische Debatte im Bundestag, sieht man von der Beantwortung von Anfragen der CDU/CSU-Fraktion durch die Regierung ab, bei der jedoch Fragen der Bevölkerungsentwicklung nur am Rande behandelt wurden...«

Bei diesem historischen Rückblick darf der damalige Präsident unserer Organisation, Prof. Dr. Dr. Bernhard Grzimek, nicht unerwähnt bleiben, der die letzten drei Jahr­zehnte seines Lebens jeden Brief und jedes Schriftstück mit dem bekenntnishaften Stempel signiert hat:

»Ceterum censeo progeniem hominum esse deminuendam.«
(Im übrigen denke ich, daß die Nachkommenschaft des Menschen vermindert werden muß.)

Wie sensibel und spannungsgeladen die Frage nach den Grenzen unserer eigenen Art in den vom Bevölkerungswachstum besonders betroffenen Ländern ist, habe ich auf dem Gegenkongreß zur Weltbankkonferenz in Berlin erlebt. Danach habe ich – gewiß vorsichtig – formuliert:

»Weil in unserem gemeinsamen >Haus Erde< schon alle Zimmer besetzt sind, sollte die Entwicklungshilfe mit Projekten der Familienplanung Hand in Hand gehen, damit nicht alle Anstrengungen zur Bewahrung von Menschen, Umwelt und Schöpfung zunichte gemacht würden...« 38

Ich habe von unseren Freunden aus Ländern der Dritten Welt – wohlgemerkt auch von Umweltschützern – Pfiffe und Buh-Rufe geerntet und mußte mir den berechtigten Vorwurf gefallen lassen, daß wir hochzivilisierten Länder – allen voran die Bundes­republik Deutschland – doch die Übervölkerung längst hinter uns haben und eine so hohe Menschendichte nur durch Wohlstandsimporte auf dem derzeitigen Niveau gehalten werden könne.

»Fangt doch bei Euch an«, rief ein erregter Brasilianer, »denn jeder neugeborene Europäer verbraucht fünfzehnmal soviel Energie wie ein Kind am Amazonas.«

Er hat natürlich recht. Und als Naturschützer halte ich deshalb das Gerede von den aussterbenden Deutschen oder Europäern für reine Panikmache. Die immer wieder hochgespielten Parolen von den nicht mehr bezahl­baren Renten sind ja längst als falsch entlarvt worden.

Denn umgekehrt steckt doch im maßvollen Bevölkerungsrückgang die große Chance zur Befreiung unseres Lebensraumes vom Bevölkerungsdruck einerseits und zur Steigerung des Lebensgefühls andererseits – gerade in unserem zu dicht besiedelten Lande, wo die Menschen an allen Ecken und Enden eingeengt sind.

Ökologisch gesehen ist die Bevölkerungsfrage ausdiskutiert, denn wir kennen die Abläufe von anderen Lebewesen: Je höher die Population wird, desto geringer wird der Lebensraum für das einzelne Individuum und gleichzeitig wachsen die Gedränge­faktoren.

Die meisten Umweltprobleme sind letztlich darauf zurückzuführen, daß sich immer mehr Menschen immer weniger Umwelt teilen müssen. Das beginnt beim täglichen Brot und endet beim Wohnraum, es gilt für Trinkwasser und Atemluft ebenso wie für den Spielplatz oder den Parkplatz.

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Welche Auswirkungen die Bevölkerungsentwicklung auf die Erde und insbesondere die stark betroffenen Länder der Dritten Welt haben wird, ist in wissenschaftlichen Arbeiten und internationalen staatlichen Dokumenten umfassend dargestellt.

So heißt es im <Weltbevölkerungsbericht 1990> der Vereinten Nationen:

»Diese wachsende Menschenmenge geht an die Substanz der Erde selbst. Das schnelle Bevölkerungswachstum in den armen Ländern hat bereits begonnen, die Erde unwiderruflich zu verändern. Diese Veränderungen werden in den neunziger Jahren ein kritisches Ausmaß erreichen; zu ihnen gehören anhaltendes Wachstum der Städte, Zerstörung von Boden und Wasser, massive Waldrodungen und die weitergehende Konzentration von >Treibhausgasen<. Viele dieser Veränderungen sind heute nicht mehr rückgängig zu machen, weil sie nicht früh genug vorausgesehen wurden oder weil nichts geschah, um ihnen zu begegnen. Die Entscheidungen unserer Vorgänger schränken unsere eigenen Möglichkeiten ein. Für uns als Einzelpersonen und als Nationen sind damit die Möglichkeiten geringer und die Entscheidungen schwieriger geworden. In den neunziger Jahren wird sich entscheiden, ob der Handlungsspielraum für unsere Kinder noch weiter begrenzt wird – oder sich erweitert. Wir wissen mehr über die Bevölkerungs­problematik – und die Wechselwirkungen zwischen Bevölkerung, Ressourcen und Umwelt – als alle früheren Generationen. Wir haben eine Grundlage, von der aus wir handeln können. Wenn wir sie nicht wirklich nutzen, erreichen wir nur, daß sich die Probleme noch weiter verschärfen und ihre Lösungen immer schwieriger werden.«

Der Weltbevölkerungsbericht kommt zu dem Schluß:

»Zu Beginn der neunziger Jahre müssen wir uns für konsequente Maßnahmen entscheiden, um das Bevölkerungs­wachstum zu verlangsamen, die Armut zu bekämpfen und die Umwelt zu schützen. Anderenfalls können wir unseren Kindern nur ein vergiftetes Erbe hinterlassen.« 41

Auch die 1988 veröffentlichte <Shell-Studie> über Weltbevölkerung, Energieverbrauch und Umweltauswirkungen resümiert, daß ohne weltweite Naturschutzstrategien der rapide ansteigende Weltenergiebedarf nicht gesichert werden kann:

Höherer Energieverbrauch, Wachstum von ProKopf-Einkommen und Bevölk­erung führen unvermeidlich zu höherer Beanspruchung der Umwelt. Ackerboden, Wald, Ober­flächen- und Grundwasser sowie die Atmosphäre würden belastet. Deshalb werde ein steigender Anteil der verfügbaren Mittel für den Umwelt­schutz benötigt. Die Studie stellt fest, daß der kontinuierliche Aufbau der Wirtschaft von der Bewahrung ihrer Ressourcen abhängig sei. Ohne Schutz der natürlichen Vorräte an sauberem Wasser, fruchtbarem Boden und reiner Luft sei demnach eine stetige Entwicklung nicht möglich.

In der Studie »Dauerhafte Entwicklung« (Sustainable Development) des Wissen­schafts­zentrums Berlin versuchte man dies zu quantifizieren:

»Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die derzeit reiche Minderheit der Welt­bevölkerung ein ressourcenverbrauchendes und umweltschädigendes Wohl­stands­niveau beansprucht, das weit über das für alle Menschen ökologisch mögliche Niveau hinausgeht... In dieser Konstellation, die im übrigen den tatsächlichen >oligarchischen< Verhältnissen im Weltressourcenverbrauch oder in der Belastung mit Schadstoffen recht nahekommen dürfte, würden die Reichen dieser Erde – ca. eine Milliarde Menschen – einen jährlichen Ressourcen­verbrauch von zehn Ressourceneinheiten/Kopf realisieren, während die arme Mehrheit von vier Milliarden Menschen nur eine Ressourceneinheit / Kopf beanspruchen könnte… Wenn alle Menschen ersteres Niveau zu erreichen versuchten, würde dies einen jährlichen Gesamtverbrauch von 50 Milliarden Ressourceneinheiten bedeuten. Das aber wäre voraussetzungsgemäß auf Dauer nicht möglich. Die bei einer Bevölkerungsmenge von fünf Milliarden Menschen ermittelte Tragfähigkeit des Systems erlaubt nur ein >demokratisches< Gleich­verteilungs­niveau von drei Ressourceneinheiten pro Kopf und Jahr. Eine solche ohnehin schon latent konfliktträchtige Konstellation würde in doppelter Weise verschärft, wenn das oligarchische Verbrauchsniveau der reichen Minderheit noch weiter ansteigen und wenn gleichzeitig die Weltbevölkerung weiter wachsen würde...« 42

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Welche Ansprüche stellt ein Umweltverband angesichts des vorgeschilderten Welt­bevölkerungswachstums an eine globale Entwicklungspolitik?

Spätestens Tschernobyl und das Ozonloch haben den Menschen klar gemacht, daß sie in einem gemeinsamen Haus wohnen. Die Zukunft der Schöpfung und die Bewohnbarkeit unserer Erde ist eng mit der sozialen Frage der Menschheit verknüpft. Denn Chemikalien, Radioaktivität und Abfälle in Wasser und Luft machen bekanntlich nicht an politischen Grenzen oder sozialen Barrieren Halt. Die Gefährdung des Weltklimas und der Weltmeere bedroht alles Leben auf der Erde.

Weil wir nur eine Erde haben, kann auch nur eine gemeinsame Umweltvorsorge zum Einklang mit der Natur zurückführen. Die >sündig< gewordenen hochzivilisierten Industrie­nationen haben dabei eine vorrangige Pflicht zur Wiedergutmachung gegenüber anderen Völkern und künftigen Generationen. Wenn sich somit europäische und deutsche Naturschützer schon seit Jahren im Kampf gegen die Zerstörung eines der artenreichsten Refugien dieser Erde, des Tropischen Regenwaldes, engagieren, so sollen dies die betroffenen Länder nicht als Einmischung, sondern als gemeinsame Sorge verstehen. Ist doch gerade der Tropische Regenwald das sichtbarste Beispiel für die Zusammenhänge auf der nördlichen und der südlichen Erdhälfte.

Die direkte Holzausbeutung einerseits, aber auch die Erschließung der Tropenwälder zur Ausbeutung anderer Rohstoffquellen sind Bestandteil eines Vernichtungsfeldzuges, der eine ungeheuerliche Dimension erreicht hat.

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Täglich werden über tausend Quadrat­kilometer Regenwald zerstört. Das entspricht einer Fläche, die zehnmal so groß ist wie der Nationalpark im Bayerischen Wald. Dieser kaum vorstellbare Raubbau an den wertvollen und zugleich hochsensiblen Ökosystemen zwingen zu raschem Handeln und zu massiertem, konzentriertem Engagement aller Überlebenswilligen.

Die Ursachen der Zerstörung sind vielfältig. Es sind dies unsere Luxuswünsche nach exotischen Tropenhölzern, um unsere Wohnungen mit edlen Möbeln zu schmücken oder aber uns in Edelholzsärgen begraben zu lassen. Frühstücksbrettchen aus Teakholz werden zu Schleuderpreisen in unseren Supermärkten verramscht.

Wie sehr wirtschaftliche Interessen mit jenen des Naturschutzes im Tropischen Regen­wald aufeinanderprallen, macht der Mord an dem brasilianischen Kautschuk­zapfer und Gewerkschafter Chico Mendes überdeutlich.

 wikipedia  Chico_Mendes (1944-1988)

Hinzu kommt die geradezu tragische Erklärung des früheren Präsidenten Brasiliens, Jose Sarney, demzufolge sich sein Land nicht von der Ausbeutung des Amazonas­urwaldes abhalten lassen wird, weil dieser schließlich nicht der Nationalpark der Welt sei, sondern ein für sein Land wichtiges ökonomisches Reservoir.

Man gewinnt den fatalen Eindruck, daß offenbar alle Völker der Menschheitsfamilie zuerst dieselben Fehler begehen und sich erst zur Umweltvorsorge entschließen, wenn die Fehler irreparabel geworden sind. Folgerichtig betonten Gro Hartem Brundtland und Perez de Cuellar in einer Resolution, die anläßlich der Oslo-Konferenz 1988 (Sustainable Development; Anm. d. Redaktion) verabschiedet wurde, die Notwendig­keit einer neuen globalen Ethik, der Solidarität der menschlichen Gemeinschaft und der Verantwortung für die Umwelt und deren Erhalt für zukünftige Generationen.

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Grafik: Zerstörung tropischer Regenwälder

Insbesondere die Weltbank als Instrument des Internationalen Währungsfonds trägt hohe Verantwortung, umweltzerstörende Projekte künftig nicht mehr zu fördern. Entwicklungshilfe darf nicht länger ein kopfloses Geldgeben zum kurzfristigen Wohle weniger sein. Auf Dauer werden dadurch immer neue Probleme produziert. Die Länder der Dritten Welt geraten in immer größere finanzielle Abhängigkeit, vor uns allen türmen sich immer größere ökologische Schwierigkeiten auf.

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Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat daher folgende Forderungen für eine ökologische Entwicklungshilfe aufgestellt:

Entwicklungshilfemaßnahmen müssen einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Finanzmittel dürfen nur für umweltverträgliche Projekte gewährt werden, dann auch ohne Rückzahlungs­ver­pflicht­ung. Gelder der Weltbank dürfen nur in umweltverträgliche Projekte fließen. Zur Überwachung muß eine internationale Kommission gegründet werden. Technologietransfers müssen auf ihre Umwelt­verträg­lichkeit überprüft werden. Entwicklungshilfe muß den Schutz der genetischen Ressourcen an Pflanzen und Tieren, vor allem im tropischen und subtropischen Ökosystem, unterstützen. Entwicklungshilfe muß die Familienplanung in Ländern der Dritten Welt unterstützen – eine der wesentlichsten Forderungen.

Die Ausbeutung der Lebensgrundlagen anderer Völker oder die Verlagerung umwelt­zerstörender Produktionen und Technologien dorthin gefährdet nicht nur das Leben der Menschen, sondern auch den Frieden unter den Völkern.

Naturschutz ist Friedenspolitik. Denn:

Kann es Frieden geben, ohne die natürlichen Lebens­grundlagen für Menschen, Tiere und Pflanzen in Obhut zu nehmen? Werden nicht Armut und Krieg gefördert, wenn wir reichen Völker weiterhin den Armen die Nahrungs­mittel, Rohstoffe und Energien plündern, die Wälder roden und die Böden, die Luft und das Wasser der Flüsse und Meere vergiften? Exportieren wir nicht Wachstumswahn und Unzufrieden­heit zusammen mit Großtechnik, Kernenergie oder Chemie, welche das Leben auf dieser Erde ebenso gefährden wie Waffen? Müssen wir nicht das Leben künftiger Generationen genauso hoch einschätzen wie das Leben im Mutterschoß und deshalb unumkehrbare Entscheidungen bei so risikoreichen Technologien wie Kernenergie und Gentechnologie in Frage stellen? Können wir einer Agrarpolitik zustimmen, die an der industriellen Produktion Maß nimmt, Tiere und Pflanzen zur Ware degradiert und aus den ärmsten Ländern Futtermittel plündert, mit denen wir unseren Eiweißkonsum noch höher schrauben?

Grafik: Bevölkerungsentwicklung und Artensterben

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Unsere Erde ist ein gemeinsames >Lebewesen<, in das Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen verwoben sind; Boden, Luft und Wasser sind unsere gemeinsamen Lebenselemente. Diese Erde aber ist mehr als ein manipulierbares Ökosystem, sie ist ein Teil der Schöpfung. Daher ist weltweiter Naturschutz der Beginn einer sanfteren Kultur, einer neuen sozialen Bewegung.

Unser Wissen, Können und Wachsen stößt an Grenzen und verletzt die Sozial­pflichtig­keit gegenüber Mitmenschen und Mitgeschöpfen; nächstenliebende Vorsorge muß daher als Politik für das Leben den globalen Raubbau ablösen. Die, welche die meisten Schätze unserer gemeinsamen Mutter Erde verpraßt haben, sollten zuerst umkehren; wer Not verursacht, trägt Verantwortung für die Wiedergutmachung.

Lebensfeindlich aber sind die Großstrukturen des Denkens, des Handelns und der Macht; daher müssen wir die sanfteren, dezentralen Wege gehen, anstatt beispielsweise im Rahmen der Entwicklungshilfe unsere Fehler zu exportieren. Weil wir nur eine Erde haben, kann der Kreislauf nur im Zusammenwirken aller Kräfte, aller Menschen und aller Denkweisen Bestand haben. Das Leben muß wieder zum Maß aller Dinge werden.

Diese Wiedervereinigung von Mensch und Schöpfung ist überfällig.

In tiefer Enttäuschung monieren wir Naturschützer in diesem Zusammenhang die Haltung einiger Religionsgemeinschaften, vor allem der katholischen Amtskirche, die ihre Schöpfungsverantwortung nicht wahrnimmt und durch ihre antiquierte Haltung zur Familienplanung menschliches Elend fördert.

Denn eine Rechnung ist doch unstrittig: Wenn jeder Bewohner dieser einzigen Erde genausoviel an Rohstoffen und Energien verbrauchen würde wie wir – und wer möchte ihm dieses Wachstumsziel nicht zubilligen –, dann wäre unser Globus in Kürze <leergefressen>.

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Also bleibt uns, die wir am meisten verprassen und die wir auch Hauptschuldige sind an der Umweltmisere, nur der eine anständige Weg offen: Anstatt anderen gute Lehren zu erteilen, müssen wir unseren überzogenen Wohlstand freiwillig zurückschrauben, bevor wir durch weltweite Verteilungskämpfe gewaltsam dazu gezwungen werden.

Bei solchen rein anthropozentrischen Überlegungen haben wir immer nur uns Menschen als die legitimen Bewohner des gemeinsamen Hauses Erde gesehen. Wer aber an die ganz anderen denkt, an jene stummen Mitgeschöpfe, die als Schwester Linde und Bruder Igel, als Vogel oder Schmetterling, als Fisch oder Wasserfloh, als Regenwurm oder Springschwanz, als Blüte und Blume oder als Haustier und Nutzpflanze ein Lebensrecht und einen >Wert an sich< besitzen und im Kreislauf des Lebendigen unser Sein erst ermöglichen, wer also die gesamte Schöpfung als unsere Mitbewohner respektiert, der wird sich sowohl im persönlichen Verbrauch wie auch in der eigenen Reproduktion einzuschränken haben.

Selbst bei Nullwachstum der Menschheit wären bereits alle Kräfte gefordert, um den jetzt lebenden mehr als fünf Milliarden Menschen eine menschenwürdige Umwelt zu erhalten.

Eine neue Philosophie des Überlebens ist nötig, eine Denkweise, die einer Revolution gleichkommt. Kleinkarierte Politikbereiche müßten zur Ganzheitspolitik zusammen­geführt werden. Statt nationaler Egoismen ist Menschheitspolitik – noch besser Schöpfungs­politik – gefragt.

Denn bei all unseren Belastbarkeits- und Grenzwert-Szenarien oder Restrisiko-Philosophien nehmen wir ausschließlich an der >Art Mensch< Maß, ohne daß wir an die anderen Mitbewohner dieser gemeinsamen Erde denken. Das sind aber immerhin ein paar Millionen Arten.

Selbst bei zutiefst anthropo­zentrischem Denkansatz ist indes eine solche Rücksichts­losigkeit gegenüber anderen <Hausbewohnern> dumm, weil mit dem Verlust einer jeden Art die Tragfähigkeit des gesamten Lebens, in das wir Menschen auf Gedeih und Verderb verwoben sind, geringer wird.

Denken wir also in Zukunft, wenn von Familienplanung die Rede ist, auch an die Tier- und Pflanzenfamilien, denen im Schöpfungsplan ebenso ein Wohnrecht zugeteilt wurde wie uns selbst. Aber wir fünf Milliarden Menschen nehmen für uns 40 Prozent der pflanzlichen Primärproduktion in Anspruch.

Nashorn, Storch und Seehund, Tanne, ein tropischer Baum, ein Stiefmütterchen, ein Schmetterling und ein Rotkehlchen – sie allesamt als Mitgeschöpfe, als Schwestern und Brüder der Menschenfamilie zu begreifen: dies ist jene erwähnte revolutionäre Denkweise, die den noch immer vorherrschenden Ökoimperialismus ablösen muß.

Denn die Tragfähigkeit von 242 Einwohnern je Quadratkilometer (Zahl der Bundes­republik Deutschland; Anm. d. Red.) impliziert doch die Null-Lösung für zwei Drittel der Mitgeschöpfe.

Und sie nimmt die Not von Mitmenschen in den ärmsten Zimmern des gemeinsamen Hauses Erde in Kauf.

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Weinzierl 1991