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Nachwort zur Neuausgabe

Weisman-2022

Welt mit uns, Welt ohne uns

363-372

Einige Jahre, bevor ich Die Welt ohne uns schrieb, reiste ich durch verschiedene Teile der Welt, um über Umweltkatastrophen zu berichten: von dem unsichtbaren Loch, das über der Antarktis hing, bis zur schmelzenden Arktis, von den Bränden und Kettensägen, die riesige Bereiche des Amazonas vernichteten, bis zu geköpften Bergketten, Industriebrachen, schwindenden Flüssen, und - nicht weit von dem Dorf, in dem mein Vater geboren wurde - der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Allmählich wurde mir klar, dass dies keine isolierten, unabhängigen Ereignisse waren: Sie hingen zusammen, und den Zusammenhang bildete das alltägliche Verhalten meiner eigenen Spezies auf diesem Planeten.

Durch das Privileg meiner Zeugenschaft fühlte ich mich verpflichtet, über alle diese Ereignisse zu schreiben, die, wie mir klar wurde, in ihrer Summe auf eine globale Um-weltkrise hinausliefen. Aber ein so übermächtiges Thema verlangte nach einem Buch, und kaum jemand, auch ich nicht, hatte Lust, in seiner kostbaren Freizeit zu lesen, dass wir alle sterben könnten, wenn es der Menschheit nicht bald gelänge, ihren unersättlichen, selbstzerstörerischen Lebensstil zu ändern.

Einige Jahre war ich wie gelähmt: Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie man über dieses grauenhafte Thema ein Buch schreiben sollte, das die Leser nicht nach ein paar Seiten an die Wand klatschen würden.

Eines Tages wurde mir durch die zufällige Bemerkung eines Redakteurs klar, dass sich die Leser darum keine Sorgen mehr machen müssten, wenn ich die ganze Weltbevölkerung vor Beginn des Buchs sterben ließe. Und da wir alle auf die Zukunft neugierig sind, war die Möglichkeit, einen Blick auf die Entwicklung der Erde zu werfen, wenn niemand mehr da wäre, um ihr zu schaden, möglicherweise unwiderstehlich.

Das Ergebnis war eine raffinierte Methode, um durch die Hintertür all das, was die Umweltschützer umtreibt, einzuschmuggeln, ohne in ihre düstere Rhetorik einzustimmen. Wenn wir uns alle plötzlich in Luft auflösten, wäre alles, was wir zurückließen, die Gesamtsumme der von uns verursachten Umweltschäden - obwohl ich das sinistre Wort nie verwenden musste. Anstatt zu beschreiben, wie unser Planet unaufhaltsam hässlicher, wärmer, verschmutzter und unbewohnbarer wird, stellte ich mir einfach vor, was geschähe, wenn, sagen wir, so etwas wie ein humanspezifisches Virus die Menschheit befiele, aber alles andere unangetastet ließe. (Für gläubige Christen und Science-Fiction-Fans deutete ich auch die Möglichkeit an, Jesus oder eine außerirdische Macht hätte uns entführt.) Wie lange würde die Natur, von unseren täglichen Ansprüchen befreit, brauchen, um die von uns verlassenen Räume zu besetzen, unsere Infrastruktur und Architektur niederzureißen, leere Nischen wieder-zubesetzen und die Wunden zu heilen, die wir diesem wunderschönen Himmelskörper geschlagen haben?

Mein Trick funktionierte: Die Leser nahmen mit solchem Entzücken zur Kenntnis, wie Wälder und Tiere Manhattan zurückeroberten, Wildblumen industrialisiertes Ackerland überwucherten und fast ausgestorbene Arten wiederbelebt wurden und erblühten, dass sie ihr eigenes implizites Ableben darüber vergaßen. Fasziniert lasen sie, dass sich Koreas Demilitarisierte Zone in knapp einem halben Jahrhundert in eine Wildnis zurückverwandelt hatte und zu einem der

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wichtigsten koreanischen Tierschutzgebiete geworden war und dass in noch kürzerer Zeit Schlüsselblumenfelder die gepflasterten Straßen eines verlassen zypriotischen Badeorts aufbrachen. Mein buchlanger Nachruf auf die Menschheit wurde zu einem internationalen Bestseller und liegt heute in 35 Sprachen vor.

Deshalb wurde ich, als Covid-19 mehr als zehn Jahre nach Erscheinen des Buchs ausbrach, mit Interviewanfragen überschüttet: von NPR, dem New Yorker, der BBC, von Journalisten aus Italien, Dänemark, Portugal, Spanien, Polen, Indien, Argentinien, Mexiko, Taiwan - und sogar vom iranischen Fernsehen.

Als die Leute beobachteten, wie der Himmel über Peking und Los Angeles kristallklar wurde und wie Kojoten, Ziegen, Wildtruthähne, Krokodile und Pumas durch menschenleere Straßen streiften, wollten sie wissen, wie ich in Die Welt ohne uns so vieles hätte voraussehen können. Weltweit war in symbolträchtigen öffentlichen Räumen wie der Piazza San Marco, der Place de la Concorde, dem Roten Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens und dem Times Square Ruhe und Frieden eingekehrt. Plötzlich hörte alle Welt die Vogelstimmen, und allmählich ging den Menschen auf, dass sie schon immer da gewesen waren, aber dass sie von den zeitweilig verstummten Maschinen übertönt worden waren. Nachdem in Venedig die Vaporetti mit den schäumenden Bugwellen von Schwänen und Kormoranen ersetzt worden waren, staunten die in Quarantäne lebenden Venezianer nicht schlecht, als sie aus den Fenstern auf ihre stille Stadt schauten und in den durchsichtig gewordenen Kanälen Fischschwärme schwimmen sahen.

Zwar erwiesen sich virale Videos von Delfinen, die im Canal Grande herumsprangen, als gefälschte Aufnahmen aus einem sardischen Hafen, aber ich fand es rührend, dass so viele Menschen sie für wahr halten wollten. Damals war Norditalien der erste westliche Covid-Hotspot, doch trotz


ihres Schreckens spürten die Menschen, dass auch etwas Schönes geschah. »Ist das die Welt ohne uns«, fragten sie fast sehnsüchtig, weil die Vision einer friedlichen, wahrhaft gesunden Welt unwiderstehlich ist. Sehnsüchtig, aber auch beunruhigt, weil ich in meinem Buch die Möglichkeit erwähnt hatte, dass ein Virus die Menschheit ausrotten könnte. »Sind Sie ein Prophet?« lautete die bange Frage, die ich oft zu hören bekam.

Nein, erwiderte ich dann, nur ein Journalist, der sich bei Epidemiologen erkundigt hat, die schon seit langem Bescheid wissen - so wie die Frage auch nicht lautet, ob, sondern wann das große Erdbeben Los Angeles dem Erdboden gleichmacht. Pandemien seien, sagen sie, natürliche Korrekturen, die immer dann unvermeidlich würden, wenn eine Art sich so vermehre, eine solche Übervölkerung verursache, dass sie ihre Umwelt überfordere und aus dem Gleichgewicht bringe.

Sehr schmerzlich ist es natürlich, wenn die eigene Art die Korrektur erleidet.

Interviewern, die beklagten, das Leben sei in Zeiten der Pandemie so schrecklich unwirklich geworden, antwortete ich: Nein, tatsächlich ist die Situation, die wir jetzt haben, real. Ein Trugbild waren die Vorstellungen, mit denen wir gelebt haben: Wachstum ohne Ende und Leugnung des Offensichtlichen.

Als ich das vorliegende Buch begann, machte ich mir Sorgen um das Schicksal der Erde, doch nach den Recherchen und der Niederschrift war das vorbei: Der Planet wird sich erholen. Er hat bereits fünf große Phasen des Aussterbens überstanden, die teilweise neun Zehntel alles Lebens ausgelöscht haben. Obwohl es jeweils Jahrmillionen dauerte, hat unser Planet doch stets zu seiner alten Pracht und Größe zurückgefunden, indem er die freien Nischen mit neuen Gattungen und Arten füllte. Genauso wird es nach dem großen Sterben sein, das wir gegenwärtig verursachen. Selbst wenn


einige unserer bösartigsten Schöpfungen möglicherweise bis zum Ende der Zeit überleben werden - etwa die neuen Verbindungen, die man als langlebige organische Schadstoffe oder Dauergifte bezeichnet und die weltweit Umweltverwüstungen anrichten -, irgendwann werden auch sie mit all dem Plastikzeug vergraben sein.

Die Erde wird sich also erholen: Sie hat buchstäblich alle Zeit der Welt, um zu heilen. Aber was ist mit der Welt, die uns ermöglichte, uns zu entwickeln und zu entfalten? Der Titel Die Welt ohne uns war eigentlich ein Täuschungsmanöver, in Wirklichkeit wünschte ich mir natürlich eine Welt mit uns. Als ich das Buch schrieb, dachte ich, ich müsse nur zeigen, wie kraftvoll und widerstandsfähig das Leben ist und wie die Natur sich auf wunderbare Weise selbst Orte zurückerobert, denen die Menschen so übel mitgespielt haben - die verbrannte Erde der entmilitarisierten Zone in Korea oder das strahlenverseuchte Tschernobyl. Dann würden sich die Leser vielleicht fragen, ob wir nicht selbst wieder in diesem Porträt eines genesenen Planeten einen Platz finden könnten, nur dieses Mal in Harmonie und nicht in tödlichem Kampf mit ihm.

Ursprünglich hatte ich beabsichtigt, in einem Epilog einige Vorschläge dafür zu unterbreiten. Doch gegen Ende meiner Recherche, als ich nach Stimmen suchte, die tatsächlich eine Welt ohne Menschen forderten, entdeckte ich die globale »Bewegung für das freiwillige Aussterben der Menschheit« (»Voluntary Human Extinction Movement«). Ihr Leiter, ein liebenswürdiger Lehrer, ist bereits in Trauer um unsere Spezies. Er ist der Meinung, die Menschheit und ihr Verhalten seien eine Zeit lang eine gute Sache gewesen, aber in letzter Zeit sei es zu viel des Guten geworden.

Heute brauchen wir fast den halben Planeten, um uns alle zu ernähren: deshalb verdrängen wir so viele andere Arten von ihm. Irgendwann, so erklärt er - und gibt damit die Meinung vieler Umweltschützer wieder, die ich kenne -, wird


eine darunter sein, die, wie uns zu spät klar werden wird, für unser Überleben unentbehrlich war. Seiner Meinung nach gibt es nur eine moralische Option für uns: den freiwilligen Verzicht auf Fortpflanzung.

Dann würde die Welt im Übergang zum nächsten Jahrhundert, während wir allmählich von der Bildfläche verschwänden, in ihren natürlichen, ursprünglichen Zustand zurückkehren. Jedes Jahrzehnt wäre schöner als das vorhergehende. Die letzten Menschen hätten das unvergleichliche Erlebnis, den Garten Eden im Naturzustand zu erleben, und unsere Art würde verlöschen, ohne noch mehr ihrer irdischen Mitgeschöpfe mit sich zu reißen.

Widerstrebend musste ich ihm recht geben, zum Teil, weil die moderne Medizin unsere Lebenserwartung verlängert und die Kindersterblichkeit eingedämmt hat, aber vor allem, weil wir gelernt haben, mehr Nahrung anzubauen, als die Natur aus eigener Kraft erzeugen könnte, indem wir unsere Nutzpflanzen chemisch gepusht und genetisch manipuliert haben. Allein im 20. Jahrhundert hat sich die menschliche Bevölkerung vervierfacht. In der biologischen Geschichte hat das vermutlich vor uns noch nie eine Großtierart geschafft. Zusammen mit unserem Nutzvieh lassen wir allen anderen immer weniger Platz. Unsere gesamte Agrochemie, die ungeheure Mengen an fossilen Brennstoffen verbraucht, erwärmt unsere Atmosphäre und verschmutzt an den Mündungen der großen Ströme Meeresflächen von mehr als 200000 Quadratkilometern.

Aber als ich ihm zuhörte, wurde mir klar, dass ich das Buch schrieb, weil ich mich mit dem Aussterben meiner Art noch nicht abgefunden hatte. Ich liebe Menschen - einige meiner besten Freunde gehören zur Spezies des Homo sapiens.

Mit einem Exemplar bin ich verheiratet. Ich denke, wir haben dasselbe Recht, hier zu sein, wie jede andere Art: Trotz der schrecklichen Exzesse, die auf unser Konto gehen,


haben wir doch mit bildender Kunst, Musik, Literatur und Architektur viel Schönheit in die Welt gebracht. Vögel sind nicht die einzigen Geschöpfe, die singen können. Daher suchte ich nach einem goldenen Mittelweg zwischen seinem Rezept - keine Babys mehr - und dem, was wir taten.

Von der UN-Bevölkerungsabteilung erfuhr ich, dass pro Jahr die Bevölkerung des Planeten um rund 84 Millionen Menschen - Geburten minus Todesfälle - anwächst, eine Zahl, die mir nicht viel sagte. Mithilfe eines Taschenrechners teilte ich sie durch 365. Sofort erschien eine Zahl auf dem Display, die meine Leser und ich uns vorstellen konnten: Etwa alle vier Tage vermehren wir die Weltbevölkerung um eine Million Menschen. Das ist eindeutig mehr, als der Planet verkraften kann. Am Ende meines Gedankenexperiments über die Frage, was in einer Welt ohne uns geschehen würde, beschloss ich daher, noch ein weiteres anzufügen -eines, das mir erst zwei Wochen vor dem Abgabetermin des Manuskripts einfiel. Ich ließ die gesellschaftliche Problematik des Projekts für den Moment beiseite und fragte mich, was wäre, wenn die ganze Welt sich an der chinesischen EinKind-Politik beteiligte?

»Das ist ein super Buch«, eröffnete der Moderator einer Radio-Talkshow in Bowling Green, Indiana, unser Gespräch. »Der Typ ist kein spinnerter Ökofreak, der euch Schuldgefühle einredet, weil ihr die Umwelt versaut. Er liefert euch nur alle diese irren Fakten und überlässt es euch, eure Schlüsse daraus zu ziehen. Aber eins kann ich Ihnen sagen«, meinte er zu mir, »hätte ich gewusst, worauf das Buch hinausläuft, hätte ich das verdammte Ding nie gelesen. Aber nach allem, was Sie berichtet haben, bevor sie mit diesem Bevölkerungskram kamen, war das ja wohl nur logisch: Auf einem Planeten, der nicht wächst, können wir nicht ewig wachsen.«

Mehr noch als New York City, das mit überraschendem

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Tempo zerfällt, nachdem sein Wartungspersonal verschwunden ist, bot die Frage, die ich am Ende des Buchs offengelassen hatte, Anlass zu heftigen Diskussionen. Da Chinas EinKind-Politik praktisch weltweit verurteilt wurde (sogar von den Chinesen selbst, wie man mir versicherte, als ich in Pekings Nationalbibliothek zu mehr als einer Milliarde Fernsehzuschauern sprach), fragten mich meine Leser immer wieder, ob es irgendeine humane Alternative für das Bevölkerungsproblem gäbe, bevor der Rest der Natur - und wir mit ihr - zugrunde gehen würden.

Tatsächlich gab es einige, wie ich während der nächsten Jahre entdecken sollte, als ich für mein nachfolgendes Buch Countdown: Hat die Erde eine Zukunft? Nachforschungen in 21 Ländern anstellte. Einige sind schon mit bemerkenswertem Erfolg in die Wege geleitet worden, wobei die wichtigste wohl die immer nachdrücklichere Forderung nach einer besseren Ausbildung für Mädchen und Frauen ist, die in vielen Kulturkreisen der Erde gestellt wird. In jedem Land, das ich besuchte, erwies sich der Schulbesuch von Mädchen als das wirksamste Verhütungsmittel. Da eine Ausbildung unzählige interessante, erstrebenswerte Möglichkeiten eröffnet, aber ein vernünftiger Beruf sich kaum ausüben lässt, wenn sieben Kinder an Mamas Rockzipfel hängen, bekommen Frauen mit einer höheren Schulbildung weltweit im Durchschnitt höchstens zwei Kinder. Wenn Empfängnisverhütungsmittel verfügbar sind - ein großes Wenn in vielen Ländern, sogar in Teilen meines eigenen - entscheidet sich die überwiegende Mehrheit gebildeter Frauen für ihre Verwendung, unabhängig von der Religion und ohne die Notwendigkeit politischen Zwangs.

Zwei Kinder ersetzen einfach ihre Eltern; bei zweien wächst die Bevölkerung also nicht. Ist die Durchschnittszahl kleiner, schrumpft sie. Da heute immer mehr Frauen Zugang zu Bildung und Empfängnisverhütung bekommen, liegt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bei der »Erset-


zungsrate« oder darunter, trotzdem sind wir auf dem Planeten noch weit von einem nachhaltigen Gleichgewicht entfernt. Und wie jeder weiß, der lesen kann, rutscht Grönlands Eisschild unaufhaltsam ins Meer. Uns läuft also die Zeit davon.

Ungeachtet unserer Fortschritte auf dem Gebiet sauberer Energiegewinnung steigen die Temperaturen noch immer und wir vermüllen den Planeten wie eh und je. Für mich waren die erfreulichsten Reaktionen auf Die Welt ohne uns das Verbot von Kunststoffflaschen und -tüten in zahlreichen Städten und sogar ganzen Ländern. Dabei berief man sich manches Mal auf mein häufig abgedrucktes Kapitel »Die Unvergänglichkeit der Polymere«, das den nordpazifischen Müllstrudel und das an den Stränden der Welt angeschwemmte Kunststoffgranulat einer breiten Öffentlichkeit zu Bewusstsein brachte. Ich war stolz darauf, dass eine meiner Schriften tatsächlich eine positive Veränderung bewirkt hatte - bis ich kürzlich veröffentlichten Industriedaten entnahm, dass sich seit Erscheinen meines Buchs im Jahr 2007 die Kunststoffmenge weltweit verdoppelt hat.

Im selben Zeitraum sind weitere 1,3 Milliarden Menschen hinzugekommen. Covid-19 und nachfolgende Pandemien, die sicherlich nicht auf sich warten lassen werden, gehören zu den Maßnahmen der Natur, mit denen diese unseren Exzessen Einhalt gebietet. Und sie hält noch andere Maßnahmen bereit: Wenn unser ständig wachsender C02-Aus-stoß unsere Meere in Kohlensäure verwandelt, wird das Plankton, das gegenwärtig mehr als die Hälfte unseres Sauerstoffs produziert, eines Tages seine Toleranzgrenze erreichen. Wenn sonst nichts hilft, wird uns vielleicht Ersticken aus unserer Lethargie reißen.

Doch in der Zwischenzeit geben wir unser Bestes. Zwar sehe ich mich jetzt in dem unangenehmen Paradox gefangen, dass ich ein Teil des Problems bin, über das ich schreibe - ich betrüge die Natur, indem ich mich impfen lasse, damit ich weitermachen kann -, aber so lange wir da sind, ist noch Hoffnung. Mein nächstes Buch, in dem es um die Frage gehen wird, welche realistische Möglichkeit wir haben, die kommenden schwierigen Jahrzehnte zu überstehen, wird Hope Dies Last heißen und sich mit beispielhaften Menschen befassen, die unverdrossen nach einem Weg suchen, der uns in eine lebbare Zukunft führt. Als Journalist, der mehr als sechzig Länder und alle sieben Kontinente bereist hat, hatte ich nicht nur das Privileg, unendlich viel von diesem wunderbaren Planeten zu sehen, sondern auch Menschen voller Visionen und Ideen kennenzulernen, in deren Vokabular das Wort unmöglich nicht vorkommt. Immer wieder schöpfe ich Hoffnung, wenn ich sehe, wie sich solche Mitmenschen anschicken, der existenziellen Herausforderung, die vor uns liegt, mit Intelligenz, Phantasie und Hartnäckigkeit zu begegnen.

Eines ist gewiss: In dieser Welt, die jetzt schon aus allen Nähten platzt, werden wir mit einem einfachen »Weiter so!« nie ein vernünftiges Gleichgewicht mit dem Rest der Schöpfung erreichen, wenn uns nicht gelingt, was wir nie in unserer Geschichte oder Vorgeschichte in Betracht ziehen mussten: uns auf unsere irdischen Grenzen zu beschränken. Können wir das überhaupt?

Wir werden es nicht erfahren, wenn wir es nicht versuchen. Als ich einen dieser Visionäre fragte, warum er seine Bemühungen trotz der minimalen Erfolgsaussichten fortsetze, antwortete er: »Was soll ich denn sonst tun?«

Genau. Ans Werk.

Alan Weisman, 2022

371-372

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