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8  Neue Schlüsse aus den Zeugnissen des Gesteins (und Schluss)

 

 

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Die Rotation der Erde und der jährliche Kreislauf in ihrer Bahn verlangsamen sich. Alles, was in der jüngsten Zeit ans Licht gekommen ist, stützt den Gedanken, daß, gemessen mit den genauen Angaben der Radium-Uhr, unsere Schätzungen über die Dauer der Frühzeiten der Gesteinsaufzeichnungen im Verhältnis zur känozoischen Periode eine gewaltige Reduktion erfahren müssen. 

Die Bildungen bleiben die nämlichen, aber die Proportionen sind andere. Diese säkulare Verlangsamung mag kontinuierlich gewesen sein oder nicht. Daß sie es war, erscheint dem Verfasser wahrscheinlicher. Wir wissen es nicht. Die Bedingungen für die Erhaltung von Individuum und Art scheinen in jenen ungestümen Zeiten sehr rasch und mit großem Ausschlag geschwankt zu haben.

Eines ist gewiß. In einer unerhörten Fülle von Tatsachen hat sich nicht eine einzige gezeigt, die auf das, was noch immer die "Theorie" der organischen Entwicklung genannt wird, auch nur den Schatten eines Zweifels würfe. Allem leidenschaftlichen Neinsagen der Frommen zum Trotz kann kein rationaler Geist die Unwiderstehlichkeit der Argumente für die Evolution in Frage stellen. 

Es gibt ein bewundernswertes Büchlein von A. M. Davies, Evolution and Its Modern Critics, in welchem diese Argumente vollständig und überzeugend zusammengefaßt sind. Danach sollte der Leser greifen, der nicht gut informiert ist.

Was nunmehr in Erscheinung tritt, ist diese Tatsache der Verlangsamung der Erdvitalität.

Das Jahr, die Tage werden länger; der Geist des Menschen ist noch tätig, doch was er betreibt und worauf er sinnt, ist Vernichtung und Tod.

Der Verfasser sieht die Welt als eine verbrauchte Welt, der es an der Fähigkeit sich zu erholen mangelt.  Rieseberg-1988 

In der Vergangenheit liebte er den Gedanken, der Mensch könne sich aus seinen Verstrickungen herausreißen und eine neue schöpferische Phase des menschlichen Lebens beginnen.

Angesichts unserer allgemeinen Unzulänglichkeit ist dieser Optimismus einem stoischen Zynismus gewichen. 

Die Alten führen sich größtenteils niedrig und abstoßend auf, und die Jungen sind unbeständig, töricht und allzuleicht in die Irre zu führen.

Der Mensch muß steil hinauf oder hinab, und alles scheint für sein Hinab und gänzliches Verschwinden zu sprechen.

Entwickelt er sich hinauf, so ist die von ihm geforderte Anpassung so groß, daß er aufhören muß, ein Mensch zu sein.

Der gewöhnliche Mensch ist am Ende seiner Möglichkeiten. 

Nur für eine kleine, überaus anpassungsfähige Minderheit der Art besteht vielleicht eine Möglichkeit der Erhaltung.

Die übrigen werden sich darum keine Sorgen machen und werden die Opiate und Tröstungen finden, nach denen ihr Sinn steht. 

Schließen wir also diese Spekulation über die Endphase der Geschichte des Lebens ab, indem wir die Modifikationen des Menschentypus untersuchen, welche heute vor sich gehen.

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Die Primaten tauchten als mit den Gruppen der Insektenfresser verwandte Waldgeschöpfe auf. Sie begannen auf Bäumen lebend. Im Geäst erwarben sie sich Raschheit des Auges und des Muskelspiels. Sie waren gesellig und gediehen in großer Zahl. Dann, als es zu der üblichen Zunahme von Größe, Gewicht und Kraft kam, stiegen sie notgedrungen auf den Boden herab, mittlerweile groß genug geworden, den größeren Fleischfressern der Waldwelt entgegenzutreten, mit ihnen zu kämpfen und sie zu überlisten.

Ihre halbaufrechte Haltung ermöglichte es ihnen, sich aufzustellen und auf ihre Gegner mit Stöcken und Steinen einzuschlagen, eine noch nie dagewesene Verbesserung von Zähnen und Klauen. 

Doch bald verringerte sich ihre Geselligkeit, weil sie nun für ihre Ernährung auf ausgedehnte Gebiete angewiesen waren. Gemäß der altehrwürdigen Einrichtung des Lebens mußten die Kleinen allmählich den Großen Platz machen. Die großen Menschenaffen brachten die Institution der Privatfamilie auf ein hohes Niveau. Diese Linie führt zu dem Gorilla, dem Schimpansen, dem Orang-Utan unserer Tage.

Außerhalb der Waldgebiete jedoch waren die sich entwickelnden Primaten während einer Phase des Rückgangs der Wälder anderen schwierigen Anford­erungen ausgesetzt. Grasbewachsene Ebenen und dürre Steppen breiteten sich aus. Die Möglichkeiten vegetabilischer Ernährung schrumpften.

Kleinwild und Fleisch wurden im großen ganzen zu einem an Bedeutung stets zunehmenden Teil der Verpflegung.

Wie eh und je bestand die Alternative: "Sich anpassen oder zu Grunde gehen."  

Eine neue Gruppe von Formen war so glücklich, ein weltumfassendes Dahinsterben der Widerstand leistenden Primaten zu überstehen. Sie hatten einen aufrechteren Gang als die im Wald lebenden Menschenaffen; sie liefen und jagten und waren intelligent genug, bei der Jagd zusammenzuarbeiten.

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Diese auf dem Boden laufenden Affenmenschen waren die Hominiden, eine Klasse hungriger und wilder Tiere. Da sie im Freien leben und Verstand genug haben, sich immer wieder vor dem Ertrinkungstod zu retten, sind die fossilen Spuren ihres Auftretens selten und weit auseinander liegend. Aber sie genügen. Von diesen Hominiden sind wohl nicht viele Knochen geblieben, aber dafür ließen sie überall in der Welt Geräte zurück. 

Der aufrechte Gang hatte Hand und Auge für eine genauere Zusammenarbeit frei gemacht. Diese Bestien verständigten sich untereinander mit wilden, rauhen Lauten. Sie griffen nach Stecken und Steinen für ihre Zwecke. Sie hämmerten große Steine in schärfere Formen, und als die Funken in das trockene Laub flogen, in dem sie hockten, und sich die rote Blume des Feuers zeigte, kam sie in so sanfter und traulicher Form zu ihnen, daß sie nicht bestürzt waren. Alles andere Lebendige hatte bis dahin das Feuer nur inmitten einer wilden, stampfenden Schreckensflucht geängstigter Tiere erblickt.

Es verfolgte unbarmherzig Bären, selbst Höhlenbären, rissen Hals über Kopf vor Feuer und Rauch aus. Die Hominiden aber machten sich umgekehrt das Feuer zum Freund und Diener. Wurden sie von der Kälte oder von Fleisch fressenden Feinden angegriffen, so erwiderten sie damit, daß sie in Höhlen und ähnliche geschützte Stellen krochen und dort die Feuerbrände unterhielten.

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So setzten sich in den Winterphasen der aufeinander folgenden Eiszeiten diese großen, fast menschlichen, ungeschlachten Tiere durch. Mit schwerfälligen Schreien und Gebärden jagten und töteten sie. Sie waren in ihrer Erwachsenen-Form viel größer und schwerer als die Menschen. Die plumpen Hände, welche die Chelles-Geräte zurechthämmerten, waren größer, als eine Menschenhand je sein kann. Geschickte Steinschläger können die verhältnismäßig zierlichen Geräte des spätpaläolitischen Menschen mit größtem Erfolg nachformen, aber ein nachgemachtes Chelles-Gerät ist so unhandlich wie ein vormenschlicher Eolith. Das Chelles-Gerät ist das Kernstück eines großen Feuersteins, das spätere Menschen-Gerät ist ein von einem Kernstück abgeschlagener Splitter.

Das Homo sapiens genannte Geschöpf taucht unter den früheren Hominiden sehr deutlich auf als einer jener Rück-Fälle, die in der bunten Geschichte des Lebendigen eine so große Rolle gespielt haben: der Lebenszyklus greift auf eine infantile und biologisch flexiblere Form zurück.

Der Homo sapiens ist etwas ganz anderes als der ungeschlachte erwachsene Homo Heidelbergensis oder der Neanderthaler.

In seiner Anfangsphase ist er das experimentierlustige, verspielte, lernfähige, frühreife Kind, noch im Zustand der Geschlechtsreife sozialer Unterordnung zugänglich. Die sich ständig ändernden Lebensbedingungen duldeten immer weniger eine abschließende schwerfällige, herrische Erwachsenen-Phase, und sie wurde aus dem Zyklus ausgeschieden.

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Dieser urtümliche schwerfällige erwachsene Homo verschwindet und macht einem jugendlicheren Typus Platz; das geht aus den erhaltenen Zeugnissen sehr deutlich hervor, aber die Phasen und die Art des Übergangs sind noch immer Gegenstand der Spekulation. Alle Varietäten des Homo sapiens können sich untereinander paaren, und unter den früheren Arten des Genus können sich unaufhörlich Kreuzungen abgespielt haben. 

Intervalle der Isoliertheit können zu neanderthaloiden, negroiden, blonden, brünetten, großen und kleinen lokalen Variationen geführt haben, die immer noch paarungsfähig waren, ganz so, wie die Hunde ohne Ende Rassen hervorgebracht haben, die sich vermischen können und es auch tun, wenn die Schranken fallen. 

Familien und Stämme haben vielleicht Krieg gegeneinander geführt, und die Sieger haben die Unterschiede zum Verschwinden gebracht, indem sie sich mit gefangenen Weibern paarten.

Die vergleichende Anthropologie entwirrt langsam diese Geschichte der Art und Weise, wie der nunmehr überflüssige, erwachsene Homo in jeder praktischen Hinsicht abtrat und als Nachfolger den kindhaften Homo sapiens zurückließ, der zu seinen besten Zeiten wißbegierig, gelehrig und experimentierlustig von der Wiege bis zum Grabe ist.

Das, worauf es in diesem Abschnitt ankommt, sind die Worte "zu seinen besten Zeiten".

Es ist möglich, daß die geistige Anpassungsfähigkeit der heutigen Menschheit große Schwankungen aufweist. Es ist möglich, daß die große Masse der heutigen Menschheit unter Umständen nicht so ohne weiteres neuen Ideen zugänglich ist, wie die jüngeren, kindlicheren Geister früherer Generationen, und es ist auch möglich, daß das angestrengte, phantasievolle Denken sich nicht genügend weiterentwickelt hat, um mit der Ausweitung und Komplizierung der menschlichen Gesellschaften und Organisationen Schritt zu halten. 

Dies ist der dunkelste Schatten auf den Hoffnungen der Menschheit.

Mir jedenfalls macht es mein Temperament zu einem Ding der Unmöglichkeit zu bezweifeln, daß - wie schon gesagt - diese kleine Minderheit, der es gelingen kann, Zeuge des Lebens bis zu seinem unausbleiblichen Ende zu sein, nicht da sein wird.

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#

Das Ende von Mind at the End of its Tether  

 

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