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2. Der Engpass

Wilson-2002

 

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Das zwanzigste Jahrhundert war eine Epoche des exponentiellen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, der Befreiung der Künste durch einen über­schäumenden Modernismus und der zunehmenden Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten in der Welt. Gleichzeitig war es ein finsteres, unmenschliches Jahrhundert der Weltkriege, des Völkermords und totalitärer Ideologien, die der Weltherr­schaft gefährlich nahe kamen. 

In all diesem Aufruhr gelang es der Menschheit gleichwohl, die natürliche Umwelt bedenklich zu dezimieren und die nicht erneuerbaren Ressourcen der Erde mit unbekümmerter Hemmungslosigkeit auszubeuten. Damit beschleunigten wir die Vernichtung ganzer Ökosysteme und die Ausrottung Tausender von Arten, die schon seit Jahrmillionen die Erde bevölkert hatten. Wenn es ökologische Grenzen für das wirtschaftliche Wachstum auf der Erde gibt - und dies ist zweifelsohne der Fall -, dann waren wir meistens zu beschäftigt, um dies zu bemerken.

Mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts ist die Menschheit allmählich aus ihrem Delirium erwacht. In einer zunehmend postideologisch geprägten Atmo­sphäre sind wir vielleicht zur Umkehr bereit, bevor der Planet unwider­ruflich zerstört ist. Es ist jedenfalls höchste Zeit, dass wir uns Klarheit über den Zustand der Erde verschaffen und analysieren, was erforderlich ist, um künftig allen Menschen auf Dauer ein befriedigendes Leben zu ermöglichen. 

Die Frage des Jahrhunderts ist: Wie finden wir am besten zu einer Kultur der Nachhaltigkeit — für uns selbst und für die uns am Leben erhaltende Biosphäre? Unsere führenden Ökonomen und Gesellschaftsphilosophen ignorieren bei ihren Annahmen für gewöhnlich die Zahlen, auf die es ankommt.

Angesichts einer Weltbevölkerung von mehr als sechs Milliarden Menschen und einer Zuwachsrate, die bis Mitte des Jahrhunderts eine Weltbevölkerung von acht Milliarden oder mehr erwarten lässt, verringern sich die pro Kopf zur Verfügung stehenden Mengen an Süßwasser und Ackerland auf ein Niveau, das von Experten als bedenklich eingestuft wird.

Der ökologische Fußabdruck — der auf jeden Menschen entfallende durchschnittliche Anteil an fruchtbarem Land und Küstengewässern zur Befriedigung seiner grundlegenden Bedürfnisse wie Nahrung, Wasser, Wohnen, Energie, Transport, Handel und Abfallaufnahme — beträgt ungefähr 1 Hektar in den Entwicklungs­ländern und 9,6 Hektar in den Vereinigten Staaten. Über die gesamte Weltbevölkerung gemittelt, beträgt er 2,1 Hektar.(1) Wollten alle Menschen auf der Welt das derzeitige Konsumniveau in den Vereinigten Staaten erreichen, würde man beim heutigen Stand der Technik vier weitere Planeten wie die Erde benötigen, um diesem Wunsch gerecht werden zu können.

Auch wenn die fünf Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern vielleicht gar nicht dieses verschwenderische Niveau anstreben, haben sie sich doch in ihrem Bemühen, zumindest einen bescheidenen Lebensstandard zu erzielen, dem Angriff der industrialisierten Welt auf die letzten natürlichen Lebensräume dieser Erde angeschlossen.

Homo sapiens ist zu einer geophysikalischen Kraft geworden und stellt damit die erste Spezies in der Geschichte des Planeten dar, die sich dieser zweifelhaften Auszeichnung rühmen kann. Wir haben den Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre auf den höchsten Stand seit mindestens 200.000 Jahren getrieben, wir haben den Stickstoffkreislauf aus dem Gleichgewicht gebracht und zu einer globalen Erwärmung beigetragen, die letztlich auf der ganzen Welt Unheil anrichten wird.

Um es auf den Punkt zu bringen: 

Das Jahrhundert der Umwelt hat begonnen — ein Jahrhundert, in dem die unmittelbare Zukunft als Engpass aufgefasst werden muss.(2) Wissenschaft und Technik, gepaart mit steinzeitlicher Sturheit und Mangel an Einsicht, haben uns in die heutige Situation hineinmanövriert. Wissenschaft und Technik, verbunden mit einer gehörigen Portion Weitblick und moralischem Mut, sind nun erforderlich, um uns zu helfen, den Engpass zu überwinden und einen Weg aus der Krise zu finden.

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»Moment mal!«

Dies ist die Stimme des wachstumsgläubigen Ökonomen. Hören wir ihm zu.

Er schreibt für Wirtschaftsblätter wie <The Economist> und <The Wall Street Journal> und verfasst Weißbücher für das <Competitive Enterprise Institute> und andere politisch konservative Denkfabriken.

Ich werde diese Quellen benutzen, um seine Haltung so ehrlich wie möglich zusammenzufassen, wobei ich mir der Gefahr der Stereotypisierung durchaus bewusst bin. Zur Verdeutlichung der verschiedenen Positionen treffen sich ein Ökonom und ein Ökologe zu einem konstruktiven Dialog. Konstruktiv deshalb, weil die Lage für ideologisches Geplänkel und Wortgefechte zu ernst ist.

Wir gehen von der Annahme aus, dass sowohl der Ökonom als auch der Ökologe die Erhaltung des Lebens auf unserem Planeten als ihr gemeinsames Ziel verfolgen.

Der Ökonom konzentriert sich in seiner Betrachtung auf Produktion und Konsum. Dies, so seine Argumentation, sind die Grundbedürfnisse der Welt. Er hat natürlich Recht. Jede Art lebt von Produktion und Verbrauch. Der Baum wächst und verbraucht Nährstoffe und Sonnenlicht. Der Leopard jagt und »verbraucht« Wild. Und der Landwirt rottet beide aus, um Getreide anzubauen — wiederum für den Verbrauch.

Das Weltbild des Ökonomen beruht auf präzisen Modellen rationaler Entscheidung sowie auf relativ kurzfristigen Zeithorizonten. Seine Parameter sind das Bruttosozialprodukt, die Handelsbilanz und der Wettbewerbsindex. Er sitzt im Vorstand großer Unternehmen, reist nach Washington und tritt gelegentlich in Talkshows im Fernsehen auf. Die Erde, so behauptet er, sei unendlich fruchtbar und ihre Kapazitäten würden noch nicht voll ausgeschöpft.

Der Ökologe vertritt eine andere Auffassung.

Er verweist auf unhaltbare Ernteerträge, sinkende Grundwasserspiegel und bedrohte Ökosysteme. Auch seine Stimme findet in Regierungskreisen und der Industrie Gehör, wenn auch nur in geringem Maße. Er sitzt im Vorstand gemeinnütziger Stiftungen, schreibt für Wissenschaftsmagazine wie Scientific American und wird manchmal nach Washington berufen. Die Erde, so behauptet er, sei erschöpft und stecke in einer tiefen Krise.

 

Der Ökonom:

»Jetzt entspannen Sie sich erst einmal. Trotz der Weltuntergangsprophezeiungen der letzten beiden Jahrhunderte erfreut sich die Menschheit gegenwärtig eines beispiellosen Wohlstands. Gewiss gibt es Umweltprobleme, doch sind diese nicht unlösbar. Betrachten Sie sie als vorübergehende Begleiterscheinungen des Fortschritts, die beseitigt werden müssen. Die globale wirtschaftliche Situation ist positiv. Das Bruttosozialprodukt der Industrienationen ist weiter gestiegen. Trotz Rezession holen die aufstrebenden asiatischen Volkswirtschaften Nordamerika und Europa gegenüber auf.

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Überall auf der Welt verzeichnen Industrie und Dienstleistungssektor kontinuierliche Zuwächse. Seit 1950 sind das ProKopf-Einkommen und die Fleischproduktion gestiegen. Auch wenn die Weltbevölkerung in demselben Zeitraum mit einer Rate von 1,8 Prozent pro Jahr explosionsartig gewachsen ist, konnte die Getreideproduktion, die in den ärmeren Ländern der Welt über die Hälfte des Kalorienbedarfs deckt und die traditionell als Beispiel für weltweite Ernteerträge herangezogen wird, mit dieser Entwicklung mehr als Schritt halten. Sie ist zwischen 1950 und 1980 von 275 Kilogramm pro Kopf auf 370 Kilogramm gestiegen.

Die Wälder der Industrieländer regenerieren sich heute fast ebenso schnell, wie sie abgeholzt werden. Und obwohl die Holzvorräte in der übrigen Welt stark zurückgehen — was zugegebenermaßen ein ernstes Problem darstellt —, ist in absehbarer Zukunft keine globale Knappheit zu erwarten. Als Retter in der Not ist hier die Forstwirtschaft eingesprungen: Mehr als zwanzig Prozent der für industrielle Zwecke benötigten Hölzer stammen heute aus Baumplantagen.

Mit dem Wirtschaftswachstum nimmt auch der soziale Fortschritt zu. Die Alphabetisierung schreitet voran und damit die Befreiung und Gleichstellung der Frau. Die Demokratie, der Goldstandard politischer Systeme, setzt sich in immer mehr Ländern durch. Die durch den Computer und das Internet angetriebene Revolution in der Kommunikation hat zu einer Globalisierung des Handels und einer friedlicheren internationalen Kultur beigetragen.

Seit zwei Jahrhunderten überschattet das von Malthus beschworene Schreckgespenst der Übervölkerung die Träume der Zukunftsforscher. Wenn die Bevölkerung weiterhin exponentiell wüchse, so mahnen die Weltuntergangspropheten, reichten die begrenzten Ressourcen der Welt nicht mehr aus, um die Menschheit zu ernähren. Hungersnöte, Chaos und Kriege wären die Folge. Regional begrenzt, trat dieses Szenarium in der Tat gelegentlich ein, doch war dies weniger ein Resultat der malthusischen Bevölkerungstheorie als vielmehr das Ergebnis politischer Misswirtschaft. Menschliche Erfindungsgabe hat schon immer Mittel und Wege gefunden, um die wachsende Bevölkerung ausreichend zu versorgen und der Bevölkerungsmehrheit einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen.

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Ein Paradebeispiel dafür ist die >grüne Revolution, mit deren Hilfe es gelungen ist, die Ernteerträge in den Entwicklungsländern dramatisch zu erhöhen. Dieses Beispiel lässt sich mit den neuen Technologien wiederholen. Warum sollten wir daran zweifeln, dass menschlicher Unternehmungsgeist den gegenwärtigen Aufwärtstrend auch künftig fortsetzen kann?

Mit schöpferischer Kraft und harter Arbeit haben wir die Umwelt zum Wohle der Menschheit umgestaltet. Wir haben eine ungezähmte, unwirtliche Natur in einen Garten verwandelt. Es ist das Schicksal der Erde, dem Menschen Untertan zu sein. Die schädlichen Nebenwirkungen dieser Herrschaft können mit zunehmendem Fortschritt gemildert und rückgängig gemacht werden.«

 

Der Ökologe:

»Es ist zwar richtig, dass sich die Lebensbedingungen des Menschen in vielerlei Hinsicht dramatisch gebessert haben, doch ist dies nur die eine Seite der Medaille. Die Ihrer Argumentation zu Grunde liegende Logik ist bei allem Respekt schlichtweg gefährlich. Sie gehen in Ihrem Weltbild davon aus, dass die Menschheit ein Paradies geschaffen habe, das sich durch die wirtschaftlichen Prozesse von selbst am Leben erhält. Dies mag zutreffend sein — aber nur, wenn man einen unendlich großen und beliebig formbaren Planeten voraussetzt. Sie werden jedoch zugeben müssen, dass die Erde endlich ist und die ökologischen Probleme zunehmend prekärer werden.

Um qualifizierte Vorhersagen über die langfristige wirtschaftliche Zukunft der Welt machen zu können, darf man sich nicht allein auf Daten wie das Bruttosozialprodukt oder die Jahresberichte von Unternehmen verlassen. Wenn wir ein realistisches Bild vom Zustand der Welt gewinnen wollen, müssen wir auch die Berichte von Ressourcenexperten und Umweltökonomen heranziehen. Sie sind es, die eine objektive Bilanz erstellen, indem sie in ihre Rechnung auch die Kosten des Wirtschaftswachstums einbeziehen.

Diese neue Riege von Statistikern verweist darauf, dass wir es uns nicht länger leisten können, die Abhängigkeit der Wirtschaft und des sozialen Fortschritts von den ökologischen Ressourcen zu ignorieren. Es ist die Qualität des wirtschaftlichen Wachstums unter Berücksichtigung der verbrauchten natürlichen Ressourcen, die langfristig zählt, nicht der reine Ertrag in Form von Produkten und Geld.

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Ein Land, das seine Wälder abholzt, seine Grundwasserreserven ausbeutet und seinen Ackerboden der Erosion preisgibt, ohne die Folgekosten abzuschätzen, verschließt sich der Realität und geht einer ungewissen wirtschaftlichen Zukunft entgegen. Es lebt in demselben Wahn, der schon die Walfangindustrie in den Bankrott getrieben hat. Mit der zunehmenden Verbesserung der Walfang- und Verarbeitungsmethoden stiegen die jährlichen Fangquoten, und die Walfangindustrie gedieh prächtig. Die Walbestände gingen jedoch in demselben Maße zurück, bis sie praktisch erschöpft waren. Mehrere Arten, darunter der Blauwal, das größte Lebewesen in der Erdgeschichte, wurden nahezu ausgerottet. Erst daraufhin wurden dem Walfang gewisse Beschränkungen auferlegt. Übertragen Sie dieses Beispiel auf sinkende Grundwasserspiegel, versiegende Flüsse und verschwindendes Ackerland, und Sie werden verstehen, was ich meine.

Angenommen, das auf herkömmliche Weise errechnete weltweite Bruttosozialprodukt von derzeit ungefähr 31 Billionen US-Dollar stiege weiterhin jährlich um kräftige drei Prozent. Bis 2050 würde es theoretisch 138 Billionen Dollar betragen. Setzt man nur ein Mindestmaß an ausgleichender Umverteilung dieser Summe voraus, so wäre die gesamte Weltbevölkerung nach heutigem Maßstab wohlhabend. Eine wünschenswerte Entwicklung, so sollte man meinen. Was ist der Schwachpunkt dieser Rechnung? Dass die Umwelt zerstört wird. Wenn sich der Rückgang der natürlichen Ressourcen, insbesondere von Süßwasser und Ackerland, mit derselben Geschwindigkeit wie bisher fortsetzt, wird sich das Wirtschaftswachstum zwangsläufig verlangsamen. Die resultierenden Bemühungen um eine Ausdehnung der produktiven Flächen führen wiederum zur Ausrottung eines großen Teils der Flora und Fauna unserer Welt, was ich als sehr besorgniserregend empfinde, auch wenn Sie meine Sorge vielleicht nicht teilen.

Die für produktive Zwecke beanspruchte Landfläche — der ökologische Fußabdruck — ist bereits heute viel größer, als es eine nachhaltige Nutzung der Erde erlaubt, und der Trend ist noch immer steigend. Eine jüngere Studie zu diesem Thema kommt zu dem Ergebnis, dass die Weltbevölkerung wahrscheinlich bereits um das Jahr 1978 die Kapazitätsgrenze der Erde für ein nachhaltiges Wachstum erreicht hatte. Bis zum Jahr 2000 war diese Grenze bereits um das l,4fache überschritten. Wenn zwölf Prozent der Landfläche zum Schutz der natürlichen Umwelt unangetastet bleiben sollen, wie es der Brundtland-Bericht 1987 empfahl, wäre die Grenze für ein nachhaltiges Wachstum bereits um 1972 überschritten worden. Kurz gesagt: Die Erde hat ihre Fähigkeit zur Regeneration verloren — bis der globale Konsum gesenkt und/oder die globale Produktion gesteigert wird." (3)

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Mit der Gegenüberstellung dieser zwei diametral entgegengesetzten Anschauungen zur wirtschaftlichen Zukunft möchte ich nicht andeuten, es gebe zwei Kulturen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen. Alle, denen die Wirtschaft ebenso wie die Umwelt am Herzen liegt, und dies ist die große Mehrheit der Menschen, gehören derselben Kultur an. Der Blick unserer beiden Diskussionspartner ist nur auf verschiedene Punkte der menschlichen Raumzeitskala gerichtet. Sie unterscheiden sich in der Auswahl der Faktoren, die sie für ihre Zukunftsprognosen berücksichtigen, im Maß ihrer Wertschätzung der nichtmenschlichen Lebewesen sowie darin, wie weit sie in die Zukunft schauen.

Die meisten Ökonomen und alle außer ihren politisch konservativsten öffentlichen Vertretern erkennen heute an, dass die Welt Grenzen hat und dass sich die Weltbevölkerung ein weiteres Wachstum kaum noch leisten kann. Aber obwohl sie wissen, dass der Mensch dabei ist, die biologische Vielfalt zu zerstören, wollen sie sich nicht damit auseinander setzen.

Glücklicherweise ist die ökologische Sichtweise auf dem Vormarsch.

Vielleicht sollte man gar nicht mehr von »der ökologischen Sichtweise« sprechen — als ob es sich nicht um eine dem Allgemeinwohl verpflichtete Perspektive handelte —, sondern vielmehr von der realistischen Sichtweise. In einer realistisch geführten und bewerteten Volkswirtschaft ist eine ausgewogene Bilanzierung selbstverständlich. Das herkömmliche Bruttosozialprodukt wird dabei durch einen umfassenderen Indikator für tatsächlichen Fortschritt (Genuine Progress Indicator, GPI) ersetzt, der auch die ökologischen Kosten wirtschaftlicher Aktivität abzuschätzen versucht. Eine wachsende Zahl von Ökonomen, Wissenschaftlern, Politikern und anderen haben sich bereits aktiv für diese veränderte Sichtweise eingesetzt.

Welches sind nun also die wesentlichen Fakten zu Bevölkerung und Umwelt?

Anhand der bekannten Daten können wir diese Frage beantworten und uns den Engpass, in dem die Menschheit und die gesamte Natur derzeit stecken, besser vorstellen.

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Am oder um den 12. Oktober 1999 hat die Weltbevölkerung die Grenze von sechs Milliarden Menschen überschritten. Sie ist seitdem weiter gestiegen, und zwar mit einer Geschwindigkeit von 1,4 Prozent pro Jahr. Dies entspricht einem Zuwachs von 200.000 Menschen pro Tag und 1,4 Millionen pro Woche. Das kommt der Einwohnerzahl einer größeren Stadt gleich. Obwohl sich das Wachstum allmählich zu verlangsamen beginnt, steigt es noch immer im Wesentlichen exponentiell: je größer die Bevölkerung, desto schneller das Wachstum, und je schneller das Wachstum, desto größer die Bevölkerung. Diese Entwicklung setzt sich in astronomische Höhen fort, wenn nicht der Trend gestoppt und die Wachstumsrate auf Null oder darunter gesenkt wird. 

Was ein solches exponentielles Wachstum bedeutet, wird deutlich, wenn man sich Folgendes vor Augen hält: Menschen, die im Jahr 1950 geboren wurden, sind die ersten, zu deren Lebzeiten sich die Weltbevölkerung verdoppelt hat — von 2,5 auf über 6 Milliarden. Allein im zwanzigsten Jahrhundert wuchs die Bevölkerung um mehr Menschen als bis dahin in der gesamten Menschheitsgeschichte. So lebten um 1800 circa 1 Milliarde Menschen auf der Welt, und noch um 1900 waren es nicht mehr als 1,6 Milliarden.4)

Das Muster des menschlichen Bevölkerungswachstums im zwanzigsten Jahrhundert entspricht eher dem von Bakterien als dem von Primaten. So hat Homo sapiens mit Erreichen der 6-Milliarden-Grenze die Biomasse jeder anderen großen Landtierart, die je auf der Erde gelebt hat, um ein Hundertfaches überflügelt. Eine Fortsetzung der Entwicklung wie in den letzten hundert Jahren können sich die Menschheit und die Natur nicht mehr leisten.

Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zeichnete sich in weiten Teilen der Welt eine gewisse Entspannung ab. In Nord- und Südamerika, in Europa, Australien und in einem Großteil Asiens traten die Menschen allmählich auf die Bremse. Die Fruchtbarkeitsrate, das heißt die durchschnittliche Anzahl der Kinder pro Frau, sank von 4,3 im Jahr 1960 auf 2,6 im Jahre 2000. Die für ein Nullwachstum erforderliche Fruchtbarkeitsrate, bei der sich Geburtenrate und Sterberate die Waage halten und die Bevölkerungszahl konstant bleibt, liegt bei 2,1 (das zusätzliche Zehntelprozent ist der Ausgleich für die Säuglings- und Kindersterblichkeit). Liegt die Fruchtbarkeitsrate auch nur geringfügig über 2,1, so nimmt die Bevölkerung dennoch exponentiell zu. 

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Dies bedeutet: Auch wenn das Bevölkerungswachstum mit zunehmender Annäherung der Fruchtbarkeitsrate an den Wert 2,1 immer weniger steil ansteigt, wird die Menschheit irgendwann, zumindest theoretisch, mehr wiegen als die Erde und schließlich sogar die Masse des sichtbaren Universums übertreffen — vorausgesetzt, die Entwicklung dauert lange genug an. Dieses Gedankenspiel ist der Versuch des Mathematikers, auf anschauliche Weise auszudrücken, dass jede über dem Nullwachstum liegende Bevölkerungsentwicklung auf Dauer nicht tragbar ist. Wenn dagegen die Fruchtbarkeitsrate unter den Wert von 2,1 sinkt, nimmt die Bevölkerungszahl ab, und es ergibt sich eine negative exponentielle Wachstumskurve. 

Natürlich ist es eine grobe Vereinfachung, 2,1 als den kritischen Wert für ein Erreichen des Nullwachstums anzusetzen. Fortschritte in der medizinischen Versorgung können ihn durch Reduzierung oder Beseitigung der Säuglings- und Kindersterblichkeit auf den idealen Wert von 2,0 senken, während Hungersnöte, Epidemien und Kriege ihn durch eine Erhöhung der Sterblichkeit anheben. Über einen längeren Zeitraum und weltweit gemittelt, heben sich lokale Unterschiede und statistische Fluktuationen jedoch auf, und die ehernen demographischen Gesetze verschaffen sich unbarmherzig Geltung. Sie vermitteln uns stets die gleiche Botschaft: dass ein exzessives Bevölkerungswachstum die Erde überfordert.

Bis zum Jahr 2000 war die Fruchtbarkeitsrate in allen Ländern Westeuropas unter den Wert von 2,1 gesunken. An der Spitze stand dabei Italien mit durchschnittlich 1,2 Kindern pro Frau (so viel zum Einfluss kirchlicher Doktrin in Fragen der Geburtenkontrolle). Auch Thailand hat die magische Zahl unterschritten, ebenso der nicht zugewanderte Bevölkerungsanteil in den USA.

Wenn ein Land seine jeweilige Geburtenrate für ein Nullwachstum erreicht oder gar unterschritten hat, kommt sein Bevölkerungswachstum nicht sofort zum Stillstand. Durch das positive Wachstum kurz vor Erreichen des kritischen Wertes gibt es eine unverhältnismäßig hohe Anzahl junger Menschen, die den größten Teil ihres Lebens und damit ihre fruchtbaren Jahre noch vor sich haben. Erst wenn diese Gruppe älter wird und der Anteil von Menschen, die Kinder bekommen, abnimmt, stabilisiert sich die Altersverteilung auf dem Niveau des Nullwachstums, und die Bevölkerung wächst nicht weiter. Selbst wenn ein Land den kritischen Wert unterschreitet, vergeht eine gewisse Zeit, bevor die absolute Wachstumsrate negativ wird und die Bevölkerung tatsächlich zurückgeht. Italien und Deutschland beispielsweise haben eine solche Phase des absoluten negativen Bevölkerungswachstums erreicht.

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Der Rückgang des globalen Bevölkerungswachstums ist auf drei miteinander verknüpfte soziale Einflussfaktoren zurückzuführen: die Globalisierung einer von Wissenschaft und Technik angetriebenen Wirtschaft, die damit einhergehende Landflucht der Bevölkerung und, daraus resultierend, die zunehmende Gleichstellung der Frau. Die soziale und wirtschaftliche Befreiung der Frau schlägt sich in einem Rückgang der Geburten nieder. Die bewusste Entscheidung der Frauen für weniger Kinder kann als ein Geschenk, ja geradezu als ein Segen für künftige Generationen betrachtet werden. Denn es könnte auch genau umgekehrt sein, dass sich nämlich Frauen — durch zunehmenden Wohlstand von wirtschaftlichen Zwängen befreit — für mehr Nachkommen entscheiden. 

Das Gegenteil ist der Fall. Statt größere Familien zu haben, ziehen sie es vor, eine kleinere Zahl von Kindern aufzuziehen, die gesünder und mit besseren Ausbildungschancen aufwachsen. Dadurch verbessern sich gleichzeitig ihre eigenen Lebensbedingungen. Dieser Trend scheint weit verbreitet, wenn nicht gar allgemeingültig zu sein. Seine Bedeutung kann gar nicht überschätzt werden. Gesellschaftskritiker behaupten oft, die Menschheit gefährde sich durch ihre natürlichen Instinkte — etwa Stammesdenken, Aggression und Habgier — selbst in ihrer Existenz. Meines Erachtens werden künftige Demographen darauf verweisen, dass die Rettung der Menschheit eben einem dieser Instinkte zu verdanken ist, dem Mutterinstinkt.

Wenn der weltweite Trend zu kleineren Familien weiter anhält, wird das Bevölkerungswachstum irgendwann zum Stillstand kommen und schließlich sogar rückläufig sein. Die Weltbevölkerung wird einen Höhepunkt erreichen und danach wieder abfallen. Doch um wie viel wird sie noch wachsen, und wann wird sie ihren Höhepunkt erreichen? Wie wirkt sich das Bevölkerungswachstum bis dahin auf die Umwelt aus? Im September 1999 veröffentlichte das Referat für Bevölkerung der Hauptabteilung für Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen auf der Grundlage vier verschiedener Annahmen für die weibliche Fruchtbarkeitsrate eine Reihe möglicher Zukunftsszenarien bis zum Jahr 2050. Wenn die Anzahl der Kinder pro Frau sofort, also ab dem Jahr 2000, auf zwei sänke, so würde sich die Weltbevölkerung um das Jahr 2050 auf ungefähr 7,3 Milliarden Menschen einpendeln. Ein so starker Wachstums­rückgang ist natürlich nicht eingetreten und wird sicherlich auch in den nächsten Jahrzehnten nicht erreicht werden.

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Der Wert von 7,3 Milliarden Menschen ist somit also extrem unwahrscheinlich. Wenn andererseits die Fruchtbarkeitsrate weiterhin in dem Maße abnimmt wie bisher, wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 auf ungefähr 10,7 Milliarden Menschen anwachsen und noch einige Jahrzehnte einen steilen Anstieg verzeichnen, bis der Höhepunkt erreicht ist. Hält dagegen der gegenwärtige Wachstumstrend an, so werden bis zum Jahr 2050 14,4 Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Wenn schließlich die globale Fruchtbarkeitsrate schneller auf einen Wert von 2,1 oder darunter sinkt, als der gegenwärtige Trend erwarten lässt, so wird die Weltbevölkerung bis 2050 8,9 Milliarden Menschen betragen. Auch in diesem Fall würde sie zwar noch eine Weile weiter wachsen, doch die Kurve wäre weniger steil. Das zuletzt beschriebene Szenarium dürfte das wahrscheinlichste sein. Man kann also, um es grob zusammenzufassen, mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Weltbevölkerung im ausgehenden 21. Jahrhundert bei neun bis zehn Milliarden Menschen ihren Höhepunkt erreichen wird. Sollten die Bemühungen um eine Geburtenkontrolle verstärkt werden, liegt die Zahl vielleicht eher bei neun als bei zehn Milliarden.

Es ist also noch genügend Entwicklungsspielraum vorhanden, um einen vorsichtigen Optimismus zu rechtfertigen. Wenn erschwingliche Methoden der Empfängnis­verhütung zur Verfügung stehen und Frauen die Wahlmöglichkeit haben, machen sie von diesem Angebot in der Regel Gebrauch. Der Prozentsatz von Frauen, die Geburtenkontrolle praktizieren, variiert dabei noch stark von Land zu Land. In Europa und den Vereinigten Staaten liegt ihr Anteil bei mehr als 70 Prozent, dicht gefolgt von Thailand und Kolumbien. In Indonesien sind es ungefähr 50 Prozent; in Bangladesch und Kenia 30 Prozent, während es in Pakistan nach wie vor nicht mehr als 10 Prozent sind. Viele nationale Regierungen wollen die Geburtenkontrolle weiter ausbauen oder dulden sie zumindest stillschweigend. Dies lässt hoffen, dass sich die Familienplanung global weiter durchsetzen wird. Bis 1996 gab es bereits in 130 Ländern staatlich geförderte Programme zur Familienplanung. Darüber hinaus verfolgten mehr als die Hälfte aller Entwicklungsländer neben ihrer Wirtschafts- und Verteidigungspolitik eine gezielte Bevölkerungspolitik. Über 90 Prozent der übrigen Entwicklungsländer erklärten ihre Absicht, diesem Beispiel folgen zu wollen. Eine verblüffende Ausnahme bilden die Vereinigten Staaten, für die das Thema praktisch noch immer ein Tabu darstellt.

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Die Förderung bevölkerungspolitischer Maßnahmen seitens der Entwicklungsländer hätte nicht einen Augenblick später einsetzen dürfen, denn das ökologische Schicksal der Welt liegt letztlich in ihren Händen. Praktisch das gesamte Bevölkerungswachstum der Welt findet heute in den Entwicklungs­ländern statt, und diese werden unerbittlich nach einem höheren Pro-Kopf-Verbrauch streben.

Die Folgen des Bevölkerungswachstums sind weit gefächert und tief greifend. Die Menschen in den Entwicklungsländern sind im Durchschnitt weitaus jünger als in den Industrieländern, und diese Kluft wird sich noch vergrößern. In den Straßen von Lagos, Manaus, Karatschi und anderen Städten der Dritten Welt drängen sich die Kinder. In mindestens 68 Ländern machen Kinder und Jugendliche unter fünfzehn Jahren mehr als 40 Prozent der Bevölkerung aus. Hier einige typische Zahlen aus dem Jahr 1999: Afghanistan 42,9 Prozent, Benin 47,9 Prozent, Kambodscha 45,4 Prozent, Äthiopien 46,0 Prozent, Grenada 43,1 Prozent, Haiti 42,6 Prozent, Irak 44,1 Prozent, Libyen 48,3 Prozent, Nicaragua 44,0 Prozent, Pakistan 41,8 Prozent, Sudan 45,4 Prozent, Syrien 46,1 Prozent und Simbabwe 43,8 Prozent.5) 

Ein armes Land mit einem hohen Bevölkerungsanteil von Kindern und Jugendlichen steht vor fast unlösbaren Problemen, wenn es seiner Bevölkerung auch nur ein Mindestmaß an Gesundheitsversorgung und Ausbildung bieten will. Zwar kann das Überangebot an ungelernten, billigen Arbeitskräften einen gewissen marktwirtschaftlichen Vorteil bedeuten; aber gerade diese Menschen werden auch als Kanonenfutter in ethnischen Konflikten und Kriegen eingesetzt. Mit steigender Weltbevölkerung und zunehmender Verknappung von Wasser und Ackerland sind die Industrieländer wachsendem Druck seitens der Entwicklungsländer ausgesetzt: durch den Zustrom verzweifelter Einwanderungswilliger und die Gefahr sich ausbreitenden internationalen Terrorismus. Inzwischen habe ich begriffen, was mir der wissenschaftliche Berater des amerikanischen Präsidenten vor vielen Jahren riet, als ich ihn für den Umweltschutz zu gewinnen suchte. Er sagte mir damals: »Ihr Verbündeter ist die Außenpolitik.«

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Wie viele Menschen kann die Erde versorgen, bis die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht sind? Diese Frage lässt sich grob beantworten, doch hängt die Antwort von drei Rahmenbedingungen ab: Über welchen Zeitraum soll die Erde in der Lage sein, die Menschheit zu versorgen? Wie gleichmäßig sollen die Ressourcen verteilt werden? Welchen Lebensstandard strebt man für die Mehrheit der Menschen an?

Betrachten wir die Ernährung, die Ökonomen gewöhnlich stellvertretend als Maßstab für die Tragfähigkeit der Erde benutzen. Die Weltgetreideproduktion, die den Hauptkalorienanteil der menschlichen Ernährung bereitstellt, beträgt heute ungefähr zwei Milliarden Tonnen jährlich. Dieser Ertrag reicht theoretisch aus, um den Bedarf von rund zehn Milliarden Indern zu decken, die sich hauptsächlich von Getreide ernähren und nach westlichem Maßstab nur sehr wenig Fleisch konsumieren. Derselbe Ertrag würde jedoch nur für ungefähr 2,5 Milliarden Amerikaner ausreichen, da diese einen großen Teil ihres Getreides für die Vieh- und Geflügelzucht benötigen.6)

Problematisch wird es, sobald auch Indien und andere Entwicklungsländer mehr Fleisch in ihre Ernährung einbeziehen. Wenn sich die Bodenerosion und der Rückgang des Grundwassers im gleichen Maße wie bisher fortsetzen, erscheint es unvermeidlich, dass bei einem Anstieg der Weltbevölkerung auf neun bis zehn Milliarden Menschen Nahrungsmittelengpässe eintreten. Es gibt zwei Möglichkeiten, um diesem Notstand vorzubeugen: Entweder steigen die Industrieländer auf eine stärker vegetarisch ausgerichtete Ernährung um, oder die landwirtschaftlichen Erträge werden weltweit um mehr als 50 Prozent gesteigert.

Die Grenzen der Biosphäre stehen unumstößlich fest. Der Engpass, in dem wir uns befinden, ist real. Jeder, der nicht gerade in blindem Fortschrittsglauben befangen ist, muss erkennen, dass die Belastbarkeit der Erde allmählich ausgeschöpft ist. 

Schon heute nimmt der Mensch rund 40 Prozent der von Grünpflanzen produzierten organischen Materie auf diesem Planeten in Besitz. Wenn alle Menschen übereinkämen, sich vegetarisch zu ernähren und so gut wie kein Getreide mehr für die Viehzucht zu verwenden, dann würde die derzeit für landwirtschaftliche Zwecke genutzte Fläche von 1,4 Milliarden Hektar rund zehn Milliarden Menschen ernähren. Wenn die Menschheit sogar die gesamte durch Pflanzenphotosynthese gewonnene Energie auf dem Lande und im Meer — insgesamt ungefähr 40 Billionen Watt — für die Ernährung verwenden würde, könnte der Planet etwa 17 Milliarden Menschen versorgen.7 Doch schon lange bevor diese letzten Reserven erschöpft

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