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Zum 5. Todestag von Herbert Gruhl 

Eine Würdigung von Leben und Werk 

NDR-Zeitzeichen am 26.6.1998   Autor:  WDR-Mitarbeiter Klaus Werry   Aus: herbert-gruhl.de  

 

 

 

O-Ton Herbert Gruhl: 

“Ich behaupte in meinem Buch und hoffe, das auch bewiesen zu haben, daß wir gegenwärtig an einer planetarischen Wende stehen — so habe ich das bezeichnet. Und diese planetarische Wende bedeutet, daß wir uns jetzt überlegen können, wie wir überhaupt innerhalb der Grenzen dieses Planeten noch wirtschaften, wenn wir auch an die zukünftigen Generationen denken.”

Autor: 

Der Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl im September 1975 über sein Buch “Ein Planet wird geplündert”, das er damals gerade veröffentlicht hatte. Gruhl war der erste deutsche Politiker, der die Ausplünderung der Natur und die Zerstörung der Umwelt anprangerte. Sein Buch fand hunderttausende Leser und machte seinen Verfasser sofort zur prominenten Figur. Herbert Gruhl wurde zu einem Vater der deutschen Umweltbewegung und zum Mitbegründer der Partei “Die Grünen”. Doch war Gruhl 1975 noch Abgeordneter der CDU und er blieb zeitlebens ein entschiedener, ja autoritärer Rechter. Kein Wunder also, daß die Grünen sich nicht mehr gern an ihre einstige Vaterfigur erinnern. Und als Herbert Gruhl am 26. Juni 1993 - heute vor 5 Jahren - starb, war er in der Umweltbewegung schon fast vergessen. Herbert Gruhl stammte aus einer alten Lausitzer Bauernfamilie und kam 1921 in dem kleinen Dorf Gnaschwitz bei Bautzen zur Welt. Kindheit und Jugend verbrachte er hier und hat aus der zwar nicht “heilen”, aber damals noch intakten bäuerlichen Welt entscheidende Impulse erhalten.

Sprecher: 

Der Hof, 1849 vom Urgroßvater gebaut, lag inmitten der Felder, der Wiesen und kleinen Waldstücke der Familie. Die Menschen kamen immer zuletzt, wenn nämlich das Vieh versorgt und die Feldarbeit getan war. Die Bauern im - so Gruhl - “heimeligen Land” seiner Jugend kannten nur ihre harte Arbeit, ein karges Brot und seltene Feste - jahrein, jahraus. Ihr Blick war beschränkt und reichte kaum über Gnaschwitz hinaus.

Autor: 

Herbert Gruhl fühlte sich tief durchdrungen von der Schönheit der Natur, und von der Liebe zur Heimat. - Die Entfremdung, ja Verzweiflung in der Industriegesellschaft - wird Gruhl später schreiben - rühre von der Heimatlosigkeit des modernen Menschen her. Und erst die Liebe zur Natur habe ihn selbst zu einem Umweltpolitiker werden lassen. -- Die Lausitz ist das Land des kleinen slawischen Volkes der Sorben und auch die Gruhls waren eine sorbische Familie. Zitat: “Meine Eltern unterhielten sich noch oft in sorbischer Sprache, die ich als Kind nebenbei erlernte. Aber wir Kinder wollten Deutsche sein, wir sprachen bewußt nicht mehr sorbisch...”

Autor: 

In Gnaschwitz entwickelte sich Gruhls Vaterlandsliebe, die später durch nichts mehr zu erschüttern war. Wir sehen einen naturverbundenen, heimattreuen und auch nationalstolzen jungen Deutschen heranwachsen, dessen Lebensweg vorgezeichnet schien. Er sollte Bauer werden, wie seine Vorfahren.

Sprecher: 

Doch früh entdeckte Gruhl seine - wie er schrieb - “Liebe zur geistigen Welt”. Er schleppte Taschen voller Bücher aus einer Bautzener Bibliothek nach Hause, um sie nach Feierabend in dem “heimeligen Obstgarten” hinter dem Hof zu verschlingen. - Als dann der Vater die Erbfolge zugunsten seines Bruders regelte, war der Weg für Herbert Gruhl frei: Er quartierte sich bei seiner Schwester in Dresden ein, um das Abitur nachzuholen. Das war 1940. Gruhl war 19 Jahre alt. Doch schon ein Jahr später mußte er Soldat werden, man schickte ihn an die Ostfront...

 

(...Es folgt ein weiterer biographischer Abriß bis zum Einzug des CDU-Politikers 1969 in den Bundestag...)

Sprecher: 

1970 hielt Herbert Gruhl seine erste Bundestagsrede - sein Thema damals schon: der Umweltschutz. Bald leitete er die neu geschaffene Arbeitsgruppe “Umweltvorsorge” der CDU/ CSU-Fraktion, die sich damals in der Opposition befand.

Autor: 

Erste Zweifel beschlichen ihn, ob er nicht an einer wachstumsorientierten Politik beteiligt sei, die unsere Umwelt um so rascher zerstört, je erfolgreicher sie ist. Und schon 1973 notierte er eine erstaunliche Analyse. 

Zitat:

“Leider ist der Konservatismus in den letzten Jahren korrumpiert worden, indem sich die Industriellen hauptsächlich auf seine Seite geschlagen haben. In Deutschland ist dies das Dilemma der C-Parteien; denn sie könnten ihrer Herkunft nach konservative und soziale Parteien sein, aber sie befinden sich fest im Griff ihrer geldmächtigen ‘Förderer’.”

 

Herbert Gruhl arbeitete intensiv an seinem Buch “Ein Planet wird geplündert”. Als es 1975 erschien, wurde er nicht nur rasch berühmt, sondern durch den Verkaufserfolg auch finanziell unabhängig.

Sprecher: 

Gruhl schildert in seinem Buch die Lage unseres Planeten: Die Industrie der nördlichen Länder produziert mit immer größerem Verbrauch an Energie und Rohstoffen immer mehr Waren, die für einen steigenden Wohlstand der Massen sorgen. Dies aber um den Preis einer immer schnelleren Plünderung der Rohstoffe und immer stärkeren Zerstörung der Natur. - Die Ursachen: Das Industriesystem, die Blindheit der Politiker und die Unwissenheit der Bevölkerung. Die ganze Entwicklung muß in einer Katastrophe enden, wenn nicht das Wirtschaftswachstum gestoppt und ein Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie hergestellt wird.

Autor: 

Diesen Zielen stehen aber mächtige Interessen entgegen, die sich der menschlichen Dummheit bedienen, und das heißt für Gruhl: der Masse der Bevölkerung, die nichts weiß und nichts wissen will, die “verkabelten Konsumtrottel”, die sich mit Waren “abfüttern” lassen. Kein Zweifel — Herbert Gruhl hatte trotz seiner bäuerlichen Herkunft ein ausgesprochen elitäres Bewußtsein entwickelt. Nach dem Erfolg seines Buches glaubte der nun prominente Herbert Gruhl die CDU zu einer effektiven Umweltpolitik veranlassen zu können. Er bat den Parteiführer Helmut Kohl um ein Gespräch über die Weltprobleme, doch der fand keine Zeit für ihn, löste vielmehr den Arbeitskreis “Umweltvorsorge” auf. 1978 war es soweit. Herbert Gruhl erklärte seinen Austritt aus der CDU. Dem Fernsehmagazin “Report” sagte er:

O-Ton Herbert Gruhl:

“Die CDU ist unfähig zu begreifen, daß die Ziele, die in den 60er Jahren noch richtig waren, heute falsch sind. Die Partei erkennt nicht die völlig neue Problemstellung der heutigen Welt. Sie diskutiert nicht einmal darüber, und sie ist weit davon entfernt, zu Erkenntnissen und Schlußfolgerungen zu kommen. Darum haben ihre öffentlichen Äußerungen mit den Realitäten wenig gemein und werden zu einer gefährlichen Irreführung.”

Autor : 

Schon am nächsten Tag gründete Gruhl die GAZ, die “Grüne Aktion Zukunft”, die erste bundesweite Umweltpartei. Sie sollte die noch junge Umweltbewegung einigen, die in zahllose Gruppen und Initiativen zersplittert war.

(...)

Herbert Gruhl selbst wurde mehr und mehr zur Kristallisationsfigur der Umweltbewegung, zu ihrem Vordenker und zum Vorsitzenden der Grünen Partei, die sich 1979 zu bilden begann und in die er seine GAZ einbrachte.

Sprecher: 

Aber die neue grüne Partei zog auch viele Linke an, darunter nicht wenige Mitglieder sehr weit links stehender Gruppen. Sie erschienen auch zum Gründungsparteitag der Grünen im Januar 1980 in Karlsruhe. Herbert Gruhl versuchte, die Linken aus “seiner” Partei herauszuhalten, einen Beschluß herbeizuführen gegen eine Doppelmitgliedschaft bei den Grünen und in anderen - natürlich linken - Gruppierungen. Doch der Parteitag folgte ihm nicht. Eine Niederlage für Gruhl, ein erster Sieg der linken Fraktion. Zwei Monate später dann der Saarbrückener Programm-Parteitag der Grünen. Die Linke trug ihre Positionen offensiv vor, versuchte sie ins Programm der Partei zu bringen. Dann griff Herbert Gruhl in die Debatte ein.

O-Ton Herbert Gruhl:

“Sie führen in dem Programm, besonders im Wirtschaftsteil, der Öffentlichkeit vor, was alles getan werden müsse, um eine heile Welt, vielleicht vergleichbar mit dem, was man früher im Märchen “Schlaraffenland” nannte, zu schaffen. Und dies auf eine Weise, die weitgehend ausgeht von technokratischem Denken, wie es diese Welt bisher beherrscht hat und immer noch beherrscht.” (...)

Autor: 

1981 gründete Gruhl... eine konservative Umweltpartei: die ÖDP, die “Ökologisch Demokratische Partei”, die ein Wählerpotential rechts von den Grünen erschließen sollte. Ein Jahr später, Herbert Gruhl im bayerischen Wahlkampf: “Die Ökologisch-Demokratische Partei ist die einzige wahrhaft konservative Partei.” (...) 

Die ÖDP konnte sich bei den Wählern aber nicht durchsetzen, blieb eine Splitterpartei. (...)

Sprecher: (...) 

Gruhl legte [1989] den Bundesvorsitz nieder. 1991 gründete er mit Baldur Springmann und anderen die “Unabhängigen Ökologen Deutschlands”, die UÖD. (...)

Autor: 

So sehen wir Herbert Gruhl als Umweltpolitiker zuletzt gescheitert. Enttäuscht und verbittert zog er sich auf seinen Alterssitz zurück: einen Bauernhof im Berchtesgadener Land. Hier entstand sein letztes Buch, das 1992 erschien und den Titel “Himmelfahrt ins Nichts” trägt und stark von der Philosophie Nietzsches geprägt ist. 

Gruhl schrieb:

“So wie die technische Zivilisation absolut einmalig in der Geschichte des Menschen ist, so einzigartig wird auch ihr Ende sein. Sie wird zugrunde gehen an der physischen Ausplünderung der Erde. (...) Die Grenzen der natürlichen Räume, der Grundstoffvorräte und der Belastbarkeit der Natur sind weit überschritten. Der Rest der Tragödie ist nur noch eine Frage der Zeit.”

Autor: 

Herbert Gruhl prophezeite den Untergang des Menschen und der Natur, das Ende des Planeten Erde. Bei der Vorstellung seines Buches sagte er resigniert der Presse: “Der Patient stirbt, deshalb braucht es keine Therapie mehr.” Dies war das letzte Wort eines Politikers, der im Juni 1993 in Regensburg starb und der zweifellos einer ökologisch orientierten Politik und auch der deutschen Umweltbewegung zu einer kräftigen Stimme verhalf. 

Um aber den düsteren Prognosen für unseren Planeten zu entgehen, müssen wir unseren Blick über das Trennen von Hausmüll, über das Bedienen von Wasser­spar­tasten, über die vielen Alltagsgifte hinaus auf die globalen Umweltprobleme lenken: Auf die Klimakatastrophe, auf das Ozonloch, auf die globale Waldvernichtung, auf die weltweite Zerstörung der Böden. -- Und wir müssen den Politikern energisch, und, wenn nötig, lautstark dabei helfen, trotz Globalisierung und Massenarbeitslosigkeit eine wirkliche, also eine globale Umweltpolitik zu betreiben.

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