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  Nutzung der Ressourcen und anfallende Abfälle  

  Daten 

 

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Trotz aller Nutzung von Holz und Rohstoffpflanzen wie Flachs oder Hanf und ungeachtet der Bergwerke, vor allem für Erze von Eisen, Zinn, Blei, Silber, war die Masse der erzeugten Güter im Mittelalter weitaus geringer als später. Güter wurden nicht möglichst rasch verschlissen, sondern möglichst lange genutzt. Güter wurden aus diesem Grunde auch repariert, das heißt, Textilien wurden beispielsweise gestopft, geflickt, gewendet oder neu gefärbt (DIRLMEIER 1993). Textilien, wie viele andere Güter, wurden an die Nach­kommen vererbt. Möbel waren wie Bücher für Jahrhunderte bestimmt. Das sparte Ressourcen und minderte den Abfall. Auch Verpackung gab es kaum. Selbst Bücher wurden noch lange in Ballen verschickt.

ULF DIRLMEIER (1993, S. 21) spricht für das Mittelalter von einer "Aufbewahr- und Reparatur­gesellschaft", die sich von der "Wegwerf­gesellschaft" des 20. Jh.s unterscheidet. Das Streben nach Dauer für die erzeugten Produkte hatte deren künstlerische Gestaltung wohl günstig beeinflußt. Das galt sowohl für die noch zu bewundernden gewaltigen Truhen und Schränke, die oft prächtigen Kostüme, Festtagskleider und Trachten als auch für Haushaltsgegenstände, so das Zinngeschirr.

Genaugenommen müßte die heutige Zivilisation den Menschen von einst dankbar sein, daß sie noch nicht ebensolche Verschwendungs­wirtschaft betreiben konnten wie die Europäer im 19. und 20. Jh., denn Kohle und Erdöl blieben im Mittelalter unangetastet.

Das Papier wurde aus Lumpen von Textilien, aus Hadern, hergestellt, die damit also nach ihrem Abtragen noch einer zweiten Verwendung zugeführt wurden. Diese war oft von dauerhaften Wert.

Der Sache nach bewirkte die Zunftordnung, daß es "Nullwachstum" gab, wenigstens, solange nicht infolge der Bevölkerungs­zunahme neue Handwerks­stätten gegründet wurden. Bereiche wie der Bergbau oder auch frühindustrielle Unternehmen wie die Papierproduktion waren in diese Zunftordnung nicht mehr eingebunden und in ihnen entwickelt sich zuerst etwas von jener wirtschaftlichen Dynamik, die später alle bisherigen Grenzen sprengte.

   Waldnutzung in Mitteleuropa bis ins 18. Jh.  

Die Existenz von Wald ist keine Umweltbelastung. Bei der Holzerzeugung werden die Umweltbedingungen verbessert. Die Verwendung von Holz schadet im Vergleich zur Verwendung anderer Substanzen kaum (LEIBUNDGUT 1985). Aber bei übermäßiger Waldnutzung, auch durch Rodung, wurde eben dieser nützliche und auch dauerhaft verwertbare Wald zerstört. Wald wie ein Bergbauprodukt abzutragen war natürlich billiger, als Wälder nachhaltig zu nutzen.

Der Raubbau, die "Entnahmewirtschaft", schritt gerade beim Wald schon im Mittelalter vielerorts beängstigend voran. Der Wald wurde damals und bis ins 18. Jh., ja sogar bis ins 19. Jh. nicht nur als Lieferant für Nutzholz, sondern auch in anderer Weise ausgebeutet (vgl. u.a. HILF 1938, MAGER 1930, MANTEL 1954, MITSCHERLICH 1983, RICHTER 1952, RUBNER 1967, WILSDORF 1960).

Holz war nicht nur Baumaterial und Rohstoff, sondern neben der im Laufe des Mittelalters immer stärker genutzten Wasserkraft der wichtigste Energieträger.

Zum Bauen wurde Holz in mehrfacher Hinsicht benötigt. Einmal war Holz Baumaterial. Bei einem einfachen Haus wurden für den Ständerbau 12 Stämme von ausgewachsenen Eichen verbaut, bei größeren Bürgerhäusern mehr, auch das dreifache (BRÜTTING 1995). Holz wurde aber ebenfalls in großen Mengen verbraucht, um Ziegel und Mörtel zu brennen.


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Um 15.000 Ziegelsteine herzustellen, wurden 18 Kubikmeter Holz verfeuert (SEILER 1994). Holz war auch das wichtigste Baumaterial der Schiffe, bevor im 19. Jh. auch Eisenschiffe aufkamen. Der Bau eines Kriegsschiffes im 17./18. Jh. verschlang 700 lange Eichenstämme, die auf etwa 2,5 Hektar Eichenwald gewachsen waren. Dazu kam noch etliches an Tannenholz (SEILER 1994).

Viel Holz wurde auch für die Wärmeerzeugung im Hause wie im Gewerbe, etwa zum Eindunsten von Lösungen mit Salzen und anderen nötigen Stoffen, benötigt. Die Saline Reichenhall brauchte jährlich etwa 240.000 m3 Holz zum Eindampfen der Sole (MITSCHERLICH 1983) und war damit wie alle Salinen ein großer "Holzfresser".

Für die Glasherstellung wurde Holz sowohl als Rohstoff wie auch als Heizmaterial benötigt. Rohmaterial für Glas war das Holz insofern, als aus der Asche von verbranntem Holz der Glasrohstoff Pottasche gewonnen wurde. Als Energieträger wurde das Holz in den Glashütten verwendet, um mit seiner Hilfe die Glasrohstoffe Pottasche (oder Soda) und möglichst reinen Quarzsand zusammenzuschmelzen. Aus 1000 kg Fichtenholz wurde etwa 1 kg Pottasche gewonnen (umgerechnet aus WILSDORF 1960). Je nach Holzart und -zustand wurden für die Herstellung von 1 kg Glas 1-3 m3 Holz verbraucht, davon rund 97 % für die Gewinnung der Pottasche und rund 3 % als Brennstoff für das Schmelzen (ABEL 1970, S. 53). Pottasche war noch im 18. Jh. wichtiger Exportartikel in Ostpreußen und brachte in manchen Gebieten bis zu 75 % der Forsteinnahmen. Anstatt der Pottasche konnte auch die aus der Asche von Meerestangen gewonnene Soda verwendet werden. Große "Holzfresser" waren auch die Kalk- und Ziegelöfen, die Montanindustrie, später auch die Porzellanmanufakturen.

Die von den Köhlern in den Kohlemeilern erzeugte Holzkohle bildete die Grundlage jeder Metallurgie, denn ohne Kohle konnte kein Metall aus dem Erz erschmolzen werden. Bei DUHAMEL DE MONCEAU (1700-1782) wird bemerkt, daß ein "hoher Ofen" mehr Holz als zwei kleine Städte verbraucht (1775a).

Ein Prozeß, welcher sehr viel, "monströse Mengen" (von STROMER 1995, S. 187) an Holzkohle verbrauchte, war das Saigerverfahren, die Abtrennung des im gewonnenen Kupfer enthaltenen Silber mittels Blei. Zuerst für die Abscheidung des Silbers aus Münzen benutzt, wurde der Saigerprozeß zu einem als "großtechnisch" zu bezeichnenden Verfahren. Es lieferte ein reineres und daher nicht mehr sprödes, dafür zu Messing legierbares Kupfer sowie das immer seltener bergmännisch zu gewinnende Silber. Die ersten Saigerhütten entstanden im Raum um Nürnberg.


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"Zu einem effizienten Entsilbern von Schwarzkupfer wurde mehr als die 30fache Menge an Holzkohle gegenüber dem Kupfer benötigt" (v. STROMER 1995, S. 199). Selbst die künstliche Aufzucht von Nadelhölzern um Nürnberg konnte nicht verhindern, daß wegen des Holzmangels der Nürnberger Rat die Saigerhütten aus seinem Territorien verbannen mußte und diese sich zwischen 1461 und 1515 im Thüringer Wald ansiedelten.

 

 

Abb. 4: 
Holz war bis in das 18. Jh. wichtiger Energieträger und wichtiger Rohstoff. 
Alle Metallurgie war an Holzkohle gebunden. Meilerverkohlung (nach DUHAMEL DE MONCEAU 1761, aus: JOHANNSEN 1953).

 

 


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Für das Kalfatern von Schiffen, als Wagenschmiere und auch für die Verteidigung von Städten und Burgen wurde in Pechhütten "Pech" bzw. in "Teeröfen" Teer erzeugt, so im oberen Vogtland in Sachsen und in norddeutschen Kiefernwäldern mit ihrem harzreichen Holz.

Eichen- und Fichtenrinde war eine wichtige Grundlage der Lohgerberei. Die zu gerbenden Tierhäute wurden in wassergegefüllte Bottiche mit Baumrinde gegeben. Die Gerbstoffe traten aus der Rinde aus und verwandelten die Häute in Leder.

Der Wald war auch wichtige Futterquelle für das Vieh, im Sommer durch die "Hudewirtschaft", Waldweide, das Weiden der Haustiere im Wald, und bei der Vorratswirtschaft für den Winter durch Laub von Bäumen als Viehfutter (POTT 1983). Der Wald diente als "Nährwald". Das galt sowohl für Rinder wie Schafe und Ziegen sowie die eichel- und bucheneckerfressenden Schweine. Junge Bäume konnten vielerorts kaum noch aufwachsen. 

Die Anfänge der Waldweide fielen augenscheinlich mit dem ersten Ackerbau und der Viehhaltung in der Jungsteinzeit zusammen. Diese Landnutzung dauerte mehr als 5000 Jahre. Siedlungsintensivere Phasen zeigen sich im Pollendiagramm (Pollenspektrum) durch Ansteigen der Pollen von weideresistenten Gehölzen, so der immergrünen Stech-"palme" (Hex aquifolium) und des Wacholder (Juniperus communis). 

POTT (1983, S. 363) meinte: "Wohl keine menschliche Bewirtschaftung ist in ihrer Breitenwirkung mit der Waldweide zu vergleichen". Alte "knorrige", manchmal als "deutsch" bezeichnete Eichen erhielten ihre "Knorrigkeit" durch vielfachen Verbiß durch das weidende Vieh während des Wachstums. War die Krone bis in eine Höhe gewachsen, wohin das Vieh nicht mehr reichte, dann wuchs der Baum empor. Die Spuren des Viehverbisses blieben den Bäumen für immer. Ehemalige "Hudewälder" mit ihren knorrigen Eichen werden im Volksmund gern als "Urwald" bezeichnet, aber das Gegenteil ist der Fall, es sind "Wirtschafts"-, "Kultur"-Wälder. 

Auch das Auftreten von Wacholder und im nordwestlichen Mitteleuropa auch der Stechpalme weist auf die Existenz ehemaliger Hudewälder hin (POTT 1983). Die Schlehe, durch ihre Dornen geschützt vor Verbiß, konnte aufwachsende Bäume schützen. Die Beweidung führte dann auch zu einer zunehmenden Öffnung des Waldes über Laubwiese und Trift zur Magerwiese, worauf ELLENBERG (WILLERDING 1992) verwies.

Im Stall wurde einst vor allem Laub gefüttert, nicht Wiesenheu (BROCKMANN-JEROSCH 1917/1918, POTT 1983). Vielfach wurden im Sommer die Bäume zur Laubgewinnung ihrer Aste beraubt, vielfach wurden kurz vor der Laubfärbung, alle zwei Jahre die belaubten Zweige mit einem Stock oder einem langen, schweren Hackmesser ("Gertel") abgehauen, "geschneitelt" ("Schneitelwirtschaft") — wie der volkstümliche Ausdruck dafür etwa in der Schweiz hieß ("Schneitelwirtschaft", "Laubfutterwirtschaft").


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Das Laub wurde anschließend getrocknet, um im Winter als Viehfutter zu dienen. Manchmal wurde auch nur das Laub abgestreift, ohne die Zweige zu entnehmen. Besonders stark genutzt wurde die Esche, auch die Ulme und die Linde; die Blätter wurden für die Schweine mit heißem Wasser angebrüht. Die unterschiedliche Nutzung des Laubes der verschiedenen Baumarten beeinflußte auch die Zusammensetzung der Gehölze, stärker genutzte Arten konnten seltener werden. Jedenfalls gibt es in mittel- und nordwesteuropäischen Pollendiagrammen um etwa 3300 bis 3000 v.Chr. einen Ulmenabfall, was als Beginn der Schneitelwirtschaft gedeutet wird (POTT 1983). 

Die Bäume bekamen infolge des wiederholten Abschneidens der Zweige ein von der normalen Wuchsform abweichendes Aussehen. In Gebieten mit längerem Winter war die Schneitelwirtschaft noch wichtiger als dort, wo die Zeit der Weide im Jahresverlauf länger währte. Auch Bäume an Straßen wurden etwa in den Niederlanden für die Laubgewinnung genutzt, gemalt etwa auf Gemälden niederländischer Maler, so von MEINDERT HOBBEMA (1638-1709).

Außer dem "Schneiteln" für die Laubgewinnung gab es die Kopf-, Ast- und Stockschneitelung, so die Kopfschneitelung der Weiden für die Gewinnung von Material zum Korbflechten. Auch solche ge-schneitelten Bäume übten in den Landschaften ihre spezifische Wirkung aus. Das von den Bäumen herabgefallene dürre Laub diente früher in großem Maße als Einstreue im Stall. Die Streunutzung stieg mit der Sommerstallhaltung des Viehs.

Kamen die Exkremente von mit Waldprodukten ernährten Tieren auf die Äcker, dann hatte der Wald den Feldern Nährstoffe zugeführt, sie gedüngt (BICK 1989). Nur verarmte dabei der Waldboden an den weggeführten Substanzen.

Vielerorts gab es schließlich nur noch Niederwald, ein nach wenigen Jahren immer wieder abgehauener niederer Laubwald, der sich nach dem Abschlagen aus den stehengebliebenen Stümpfen durch Stockausschlag regenerierte und für viele der Zwecke, so für Brennholz, Gerbrinde, Viehweide geeignet war.

Waldzerstörung gab es namentlich in bringungsgünstigen Lagen, wo also das Holz an einen Fluß gebracht werden konnte, um dort geflößt zu werden. So gab es in gebirgigem Gelände hölzerne Gleitbahnen, "Riesen", im Sommer mit Seife oder Fett eingerieben und im Winter glatt durch Eis oder Schnee. 


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Der teure Bau solcher Anlagen legte nahe, dann den ganzen umgebenden Wald abzuholzen (SEILER 1994). Für die Flößerei wurden auch Flußbetten verändert. Die Flößer von Murg, Nagold und Enz im Schwarzwald vereinten sich und räumten in 10 Jahren die Felsbrocken aus den Flußbetten und bauten für 125.000 Gulden zahlreiche Wehre und Klausen. Ein gewaltiges Hochwasser vernichtete die Anlage 1824.

 

Abb. 5: Die Phantasielandschaft auf dem Gemälde von HERRI MET DE BLES ("Kupfermine") vom Anfang des 16. Jh.s zeigt die Arbeitsgänge der vorindustriellen Eisenmetallurgie und vermittelt eine Vorstellung von der Waldverwüstung.

 

Auf viel Holz angewiesene Gewerbe, wie etwa die Glasherstellung, zogen nach der Devastierung von Wäldern in bisher weniger genutzte holzreiche Gebiete, um dort ihr Zerstörungswerk fortzusetzen. Die Sudeten, also namentlich das Isar- und das Riesengebirge, sowie die Wälder in der nördlichen Mark Brandenburg und in Mecklenburg wurden erst relativ spät, im 17. und 18. Jh., Produktionsgrundlage von Glashütten. Glasindustrie blieb in den Sudeten auf anderer Energie- und Rohstoffgrundlage bis heute ein wichtiger Industriezweig.


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Abb. 6: Herstellung von Pottasche (aus JOHANN KUNCKEL 1679).

 

Abbildungen in dem Buch "Ars vitraria experimemalis oder vollkommene Glasmacher-Kunst" (1679, weitere Auflagen bis 1785) von JOHANN KUNCKEL (um 1631/34-1705; 1697 schwedischer Adel "VON LÖWENSTERN"), ein alle Fragen der Glaserzeugung behandelndes Buch, lassen die Einflüsse der Glashütten auf die umgebenden Wälder erahnen.

Das berühmte Gemälde "Der düstere Tag" (1565) von PIETER BRUEGEL dem Älteren (um 1520-1569), heute in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien, zeigt, wie seinerzeit in dichter besiedelten Regionen das Holz offenbar bis zum letzten Ast genutzt wurde (MAKOWSKI et al. 1983).

Dichter, natürlicher Wald hatte sowohl in der Antike wie auch bis hinein in die Neuzeit nichts Anziehendes. Wald war gefährliche, nutzlose Wildnis. Das lateinische Wort "silva" für "Wald" hat nicht ohne Grund denselben Wortstamm wie "silvestris", was "wild" heißt, und beide Worte führen zu einer psychischen Assoziation. Das Epos "Die Göttliche Komödie" des großen italienischen Dichters DANTE ALIGHIERI (1265-1321) beginnt mit den Versen (s. 1922, S. 3):


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"Auf halbem Weg des Menschenlebens fand  
Ich mich in einen finstern Wald verschlagen.
...
Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Not;
...
Nur wenig bitterer ist selbst der Tod; ..."

 

Anfänge des Wald- und Baumschutzes gab es zumindest regional schon im Mittelalter. Es gab "Bannforsten", die vor allem der Jagdleidenschaft hoher Herren dienten. Genannt werden in Mitteleuropa schon in der Frankenzeit der Reinhardswald, der Bramwald, der Kaufunger Wald. Zunehmend wurde in besiedelten Gebieten die Waldnutzung durch Verordnungen geregelt (vgl. u.a. MANTEL 1955, VON MINCKWITZ 1958).

Vor allem in der Nähe von größeren Städten wurde Waldschonung zum Gebot. Es blieben bewußt Samenbäume stehen, um natürliche Waldverjüngung zu erzielen. Relativ frühe Waldordnungen für die Städte Nürnberg und Erfurt sind wohl dadurch bedingt, daß beide Städte an relativ kleinen Flüssen liegen und so die Holzversorgung von weither nicht so reichlich sein konnte wie etwa für Städte an der Donau, an die Holz aus waldreichen Mittelgebirgen leichter herangeflößt werden konnte.

Als alte Waldordnungen aus dem 13. Jh. werden in Deutschland die vom Kloster Ebersberg und 1294 die für den Nürnberger Reichswald genannt. In der Ordnung des Klosters Ebersberg wurde schon das Liegenlassen von Reisig festgelegt (MANTEL 1955), was der Bodendüngung dienen mußte. Zugunsten der Eisenerzeugung gab es im 14. Jh. Forstordnungen in der Oberpfalz sowie in Nassau an den Flüssen Sieg, Lahn und Dill (WILSDORF 1960). Zahlreiche landesherrliche Forstordnungen werden für das 16. Jh. genannt (MANTEL 1955), so 1511 für Tirol, ab 1514 für Württemberg, 1547 für Braunschweig, 1532 für Hessen. Sorgfältige Waldpflege gibt es im 16. Jh. in Memmingen (WILSDORF 1960).

Die Eigeninteressen des Landesherren, so die Jagd, spielten allerdings oft eine größere Rolle als der Schutz der Landschaft für alle. In Notsituationen aber, wie sie im Dreißigjährigen Krieg auftraten, konnten die Forstordnungen ohnehin nicht eingehalten werden.


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Abb. 7: Das Gemälde von Peter Bruegel der Ältere "Der düstere Tag" gibt eine Vorstellung davon, wie Gehölze bis zum letzten Stamm genutzt wurden, weil es seit dem 17. Jh. mancherorts knapp wurde. Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, Wien.

 

Künstliche Waldanpflanzung war vor dem 18. Jh. selten, aber doch vorhanden. Eichelaussaat wird schon in alten Sagen erwähnt. Wehrhecken, die Viehherden im Umland von Städten vor dem Wegtreiben durch Räuber schützten, wurden durch künstliche Anpflanzung verbessert (HILF 1938). Von Nürnberg wird 1368 das erste künstliche Aussäen von Kiefern durch PETER STROMER, 1398 die Eichelsaat gemeldet. Durch die gewerbliche Entwicklung im Nürnberger Raum, so durch die Saigerhütten, wurde so viel Holz benötigt, daß die Erfindung der Nadelwald-Ansaat als von "schicksalshafter Bedeutung für das damalige Montanwesen" bezeichnet wurde (v. STROMER 1995), obwohl es auch den Mangel nicht voll beheben konnte. Zahlreiche Versuche der Nadelwaldansaat mißlangen, und endlich Ostern 1368 war es erfolgreich. Zur Durchwurzelung des Bodens wurden als Vorsaat Birken gesät, in deren Schutz die jungen Nadelhölzer aufwuchsen.

Im Jahre 1438 bietet ein Nürnberger Holzsamenhändler der Stadt Frankfurt a.M. Samen von Tanne, Kiefer, Fichte und die Dienste eines "Tannensäers" (WILSDORF 1960) bzw. "Dannensäers" (HILF 1938) an.


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   Teichlandschaften  

 

Landschaftsbereichernd wirkten Mönche, die in der Fastenzeit verpflichtet waren, Fisch statt "Fleisch" zu essen. Sie legten daher zahlreiche Teiche, ganze Teichlandschaften an. Heute vielfach noch existierend, wurden die Teichgebiete in der nördlichen Oberlausitz (seit 1994 Biosphärenreservat) und in der Niederlausitz, in Ostthüringen und in Südböhmen auch zur Heimat einer reichen Tierwelt, vor allem von Wasservögeln. Der 1541 zum Bischof von Olmütz gewählte JOHANNES DUBRAVIUS (1486-1553) veröffentlichte 1517 das erneut 1906 in Übersetzung und Bearbeitung herausgegebene "Buch von den Teichen und den Fischen, welche in denselben gezüchtet werden". 

Es befaßt sich, auch historisch, mit den Teichen, ihrer Anlegung und Bewirtschaftung. Die Römer werden wegen der von einigen Landbesitzern an der Meeresküste angelegten Salzwasserteiche als Pioniere der Teichwirtschaft gelobt. Interessant ist der Hinweis in diesem Buch, daß PETER ROSENBERG, der "vornehmste" der böhmischen Adligen, "eine Maschine in einen Teich stellte, die emsig gedreht, die Wasserqualität verbesserte". Es ist eine Erkenntnis neuerer Zeit, daß der in der Luft enthaltene Sauerstoff für den Abbau der organischen Substanz nötig ist und die Entstehung von Faulschlamm verhindert. Im 16. Jh. wurde das Verfahren ohne Kenntnis der zugrundeliegenden chemischen Vorgänge angewandt.

Es gab auch in anderen Teilen Europas bewußt gestaltete Landschaften. Wenn Venedig in seiner Kolonie Korfu den Bewohnern für das Anpflanzen von Ölbäumen Prämien zahlte und so riesige Ölbaumwälder entstanden, so war das schon "ökologische Politik" in wirtschaftlichem Interesse (NESTMEYER 1993), die ganze Landschaften gestaltete.

 

   Spätmittelalterliche "Agrardepression" –  Krise in der zweiten Hälfte des 14. Jh.s  

 

Daß eine Bevölkerung sich in kurzer Zeit gewaltig vermindern kann, bewies die Pest, der "Schwarze Tod", der 1348 bis 1350 mindestens ein Viertel der Bevölkerung Europas auslöschte (LANGER 1964). Damit wurde eine jahrhundertelange Bevölkerungs­vermehrung in Europa für etliche Zeit abgebrochen.

Es wird geschätzt, daß um das Jahr 500 n. Chr. in Europa etwa 27,5 Mio. Menschen lebten, um 650 nach den Wirren der Völkerwanderung und dem teilweisen "Untergang" der weströmischen Gebiete aber nur noch etwa 18 Mio.


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Bis in das 14. Jh. stieg diese Bevölkerung auf schätzungsweise etwa 74 Mio. Menschen (MIEGEL et al. 1993). Die größte Zunahme ist während des Hochmittelalters anzunehmen. Die Neuerungen in der Landwirtschaft und die Ausdehnung der besiedelten und kultivierten Gebiete hing offenbar damit zusammen. Im 14. Jh. aber war das Bevölkerungswachstum wohl an seine von den Ressourcen gesetzten Grenzen gekommen.

Die Pest war eine stark umweltabhängige Seuche. Sie verschwand in Europa und anderswo mit der Verbesserung der Hygiene. Auch die Cholera läßt sich mit Sicherheit verhindern, wenn einwandfreies Trinkwasser verfügbar ist, ebenso wie die virusbedingte Augenkrankheit Trachom eine Krankheit des Schmutzes blieb.

Vor allem mit der Pest hängt eine vielerorts veränderte Landschaftsnutzung in Europa zusammen. In der zweiten Hälfte des 14. Jh.s wurde vielerorts Ackerland wieder aufgegeben und zahlreiche Dörfer und Fluren lagen seitdem "wüst". Wie die durch W. ABEL (1955), H. MORTENSEN (1958), G. OVERBECK (1958) und andere ausgebaute "Wüstungsforschung" ergab, unterlag in der Zeit der "spätmittelalterlichen Agrardepression" in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern manches Siedlungsland der Wiederbewaldung.

Rings um längst aufgegebene mittelalterliche Siedlungen, auch um Burgen und Burgruinen, wächst noch heute eine "Ruderalflora", das heißt gedeihen stickstoffliebende (nitrophile) Pflanzen, die auf den von Exkrementen angereicherten Boden angewiesen sind und alte Besiedlung bezeugen. In Wäldern der Altmark und anderswo sind noch Spuren der mittelalterlichen Wölb-Acker zu erkennen. Sie bezeugen ehemalige Landwirtschaft auf dem Territorium heutiger Waldungen. Da namentlich im wenig fruchtbaren Buntsandsteingebiet, also in Hessen, zahlreiche Wüstungen liegen, darf angenommen werden, daß abnehmender Ertrag auf schon von Natur aus nicht so fruchtbaren Böden, also eine umweltbedingte Ursache, die Wüstungsentstehung zumindest hier offenbar mit begünstigt hat.

Die Ursachen für die Wüstungsentstehung waren wohl komplexer Natur, aber die große Pestepidemie und andere Seuchenzüge waren sicherlich entscheidende Auslöser. Möglicherweise hatten auch Lebensmittel­mangel und Übervölkerung die Anfälligkeit der Menschen für Krankheiten erhöht. Schon in den Jahren 1309 bis 1318 hatte es Hungersnöte gegeben, die verdeutlichten, daß die Lebensmöglichkeiten des Hochmittelalters an ihre Grenzen gelangt waren (ABEL 1955).


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Nach der ersten großen Pestepidemie folgten bis hinein ins 15. Jh. weitere Seuchen, in den 30er Jahren des 15. Jh.s gab es wieder eine Hungersnot und allgemein lag die Sterberate hoch. Die Menschen der Dörfer zogen teilweise in die durch die Pest entvölkerten Städte. Dörfer wurden zusammengelegt. Auch sich ausdehnender Handel mit Nahrungsmitteln infolge Transportverbesserung spielte wohl beim Aufgeben von schwer zu bewirtschaftendem Ackerland mit, da Nahrungsmittel nun über weitere Strecken transportiert werden konnten. Große Viehherden wurden teilweise weit durch Europa getrieben. Auch die Auswanderung nach dem Osten war zum Stillstand gekommen. Da nach der Pestzeit das Leben teilweise eher erleichtert vonstatten ging, stellte W. ABEL (1970, S. 20) wohl nicht ohne Grund fest, daß sich damit "die Spannungen" lockerten, "die hier und da schon zwischen der Bevölkerung und ihren natürlichen Ressourcen aufgetreten waren".

 

Abb. 8: Kulturland- und Siedlungsverlust im hessischen Landkreis Lauterbach wahrend der spätmittel­alterlichen Agrardepression (ABEL 1962).

 


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Was manche Historiker immer wieder verkannten, die Umweltzerstörung als Faktor der Gesellschafts­veränderung, scheint im Spätmittelalter doch unverkennbar zu sein. Gab es erst einmal Ertragssenkung der Äcker, dann kamen auch Bedrückung, Fehden und Krieg zustande.

 

   Kulturuntergang durch Umweltzerstörung  

 

Auch für andere Kulturen, so die der Maya in Zentral-Amerika, mit dem Höhepunkt ihrer Kulturen zwischen 250 und 900 n. Chr. mit bisher etwa 160 aufgefundenen Städten (Noack 1995), wurde der Kollaps nach neueren Erkenntnissen vor allem durch wachsende Bevölkerung und damit verbundene Wasserknappheit und Raubbau durch Bodenverschlechterung im Gefolge intensiver, aber einseitiger Landnutzung bewirkt (TURNER II 1974). Von der Wasserknappheit zeugen künstliche Wasserreservoire. Die Untersuchung von Blütenpollen unter Tempel-Trümmern durch T. PATRICK CULBERT von der University of Arizona hat ergeben, daß am Ende der Maya-Kultur in ihren Gebieten schließlich fast kein tropischer Wald mehr existierte (Die Welt, 5.8.1993, S. 6). 

Als Nord-Amerikaner, der Anwalt und Forscher JOHN LLOYD STEPHENS (1805-1852) und der Maler FREDERIC CATHERWOOD, die ersten Reste der bis dahin kaum bekannten Maya-Kultur untersuchten und 1841 beschrieben, war längst der Dschungel wieder über das einstige Katastrophengebiet gewachsen. Nunmehr, am Ende des 20. Jh.s, wird gerade im Hinblick auf die Mayas gewarnt: "Die heutige Gesellschaft soll aus den Fehlern lernen können, die eine ganze Kultur ausgerottet haben" (Die Welt, 5.8.1993, S. 6).

Daß über dem einstigen und offenbar teilweise wüst gewordenem Kulturland der Mayas wieder Dschungel wuchs, zeugt gewiß von Regenerationskraft der Natur. In ursprünglicher Form erstehen aber auch tropische Wälder selbst in günstigem Gelände nicht wieder. In Kambodscha wächst um die Tempelstätte der Khmers, Angkor, seit 1431 wieder Wald, aber er unterscheidet sich in der Zusammensetzung noch immer von älteren Wäldern im gleichen Gebiet (WILSON 1995c).

 

Als von ihren Bewohnern verwüstet gilt auch die Osterinsel, eine der einsamsten Inseln in den Weiten des südöstlichen Stillen Ozeans (GERSTER 1993, REMMERT et al. 1992). Die zwischen 400 und 1000 n. Chr. dorthin gekommenen Polynesier haben den vorhandenen reichen Wald geschlagen und schufen große Götterfiguren, die sie weithin über die Insel transportierten. Die etwa 30.000 Einwohner in zwei Königreichen gerieten schließlich, um 1680, noch in Streit und Krieg miteinander. 


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Dabei wurde ihr Lebensraum so zerstört, daß bei der Ankunft europäischer Seefahrer im 18. Jh. nur wenige hundert Insulaner, ärmlich und von Krankheiten ausgezehrt, übrig geblieben waren. Im Jahre 1877 ist von 111 Bewohnern, einem Prozent der Gesamtbevölkerung zur Blütezeit der Mohai-Kultur, als die Steinfiguren errichtet wurden, die Rede (GERSTER 1993). 

REMMERT meinte warnend für die Menschen des 20. Jh.s (1992, S. 489):

"Eine bemerkenswerte, große Kultur hatte diese Insel als Lebensräume für den Menschen zerstört. Der Schutz der Natur wäre die höchste Aufgabe dieser Kultur gewesen, aber das hatten die Insulaner nicht erkannt. Entsprechende Beispiele lassen sich in großer Zahl beibringen. Vor allem aber: Schutz der Natur scheint, rückschauend betrachtet, immer die Voraussetzung einer großen Kultur gewesen, aber nicht als solche erkannt worden zu sein."

Auf einer begrenzten Insel von 179 km2 Fläche, die man nicht mehr verlassen konnte, mochten die wirtschaftlichen Probleme besonders groß werden, aber heute ist die unausweichliche Notwendigkeit eines Schutzes der Natur für riesige Territorien ebenso gegeben. Einige weiße Siedler haben durch Schafübersatz das Vernichtungswerk weitergeführt.

 

Erst in historischen Zeiten wurden durch die um 1000 n. Chr. nach Neuseeland gekommenen Maoris die etwa 13 teilweise recht großen Arten der Moas, der neuseeländischen Riesenstrauße (WILSON 1995c), und auf Madagaskar durch die um 500 n. Chr. von Osten gekommenen Vorfahren der Madagassen die dortigen Riesenvögel, die Madagaskarstraußarten, und große Halbaffen (Lemuroiden) vernichtet (HARRIS 1994, WILSON 1995c). Auf Neuseeland soll dann Fleischmangel zum Kannibalismus geführt haben. Aber der selbst von seriösen Forschern berichtete Kannibalismus wird jetzt auch bezweifelt, da es keine Augenzeugenberichte gibt.

Umweltschäden müssen eine Bevölkerung oder gar eine Zivilisation nicht direkt zerstören. Die Verschlechterung der Lebensbedingungen erzeugt Unzufriedenheit, diese führt zu Überdruß, Aufruhr und Krieg. "Umweltkriege", eine der großen Drohungen für das 21. Jahrhundert, haben möglicherweise schon begonnen, sind aber politisch überdeckt.


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Im mittelalterlichen Europa gab Bevölkerungsrückgang im 14. Jh. manchem Überlebenden der Seuchen- und Notzeiten Aufstiegschancen, um etwa vom Gesellen zum Meister emporzusteigen. Auf dem Lande entfiel vielerorts die Notwendigkeit, kaum noch ertragbringende Böden, sogenannte "Grenzböden", zu nutzen. Die Preise für Nahrungsmittel sanken, oft sogar beträchtlich. Andererseits stiegen die Lohnkosten in den Städten und verteuerten handwerkliche Produkte. Im 16. Jh. gab es dann wieder teilweise beachtliche Bevölkerungszunahme, erneuten Landesausbau und auch eine Verschlechterung des Lebensstandards (ABEL 1955, 1970). Das in vielem immer bedrückender erscheinende Zeitalter der Reformation mündete in teilweise schreckliche und langandauernde Kriege. Sie wurden vielfach unter religiöser Flagge geführt, aber entsprangen auch sozialen Spannungen. Es folgte ein erneuter, oft beträchtlicher Bevölkerungsrückgang. Erst die zweite Hälfte des 18. Jh.s war von einem erneuten starken Bevölkerungsanstieg gekennzeichnet.

So wie manche Kultur unter Umweltschäden litt, ja wie bei den Mayas und auf der Osterinsel an ihnen zerbrach, so wird auch die Höhe einer Kultur, werden manche ihrer Besonderheiten von der Umwelt entscheidend mitbestimmt, ohne daß das immer ganz deutlich ist. In Amerika gab es nicht jene zähmbaren Tiere wie in Eurasien und Afrika. Die Büffel lohnten wohl die Zähmung nicht. Der nur schwer zu befriedigende Bedarf nach Fleisch, nach Protein in Zentralamerika, habe den Kannibalismus der Azteken hervorgerufen (HARRIS 1994). Das Fehlen von Zugtieren ließ es nicht zu, daß mit Rädern ausgestattete Karren und Wagen eine Rolle spielten. Lasten wurden getragen. Ohne die weite Verwendung des Rades aber gab es auch keine Zahnräder, keine Mühlen, keine Maschinen mit Rädern. Die kulturell "zweite Welt", die Amerikas, blieb gegenüber der anderen Welt Eurasiens und auch Afrikas benachteiligt. Beim Zusammenstoß der Kulturen nach 1492 unterlag die Welt Amerikas.

 

    Städte im europäischen Mittelalter  

 

Zunehmend sonderten sich aus dem "natürlichen Kreislauf" die Städte heraus (HILGER 1984). Ihre Einwohner­zahl war allerdings selbst bei den größten, wie Köln oder Wien in Deutschland, im Lichte späterer Verhältnisse bescheiden. Köln zählte um die Mitte des 14. Jh.s etwa 35.000 Einwohner. Die Zahl der Bewohner dieser bedeutenden Stadt sank dann erheblich. Erst um das Jahr 1574 werden etwa 37.000 Einwohner für Köln genannt (ABEL 1955).


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Auch andere Städte hatten ihre höchste mittelalterliche Blüte wohl am Anfang des 14. Jh.s. Die Zahl der Steuerzahler betrug (ABEL 1955) in Freiburg i. Br. im Jahre 1385 9000 bis 9500, im Jahre 1500 noch 6000 bis 6500, in Bautzen in der Oberlausitz im Jahre 1400 etwa 5300, im Jahre 1436 jedoch nur etwa 1810.

In den mittelalterlichen Städten entstanden offenbar gewaltige, oft unlösbare Hygieneprobleme. Aus Verordnungen wie der von 1410 in Ulm, die Schweine nur noch mittags zwischen 11 und 12 Uhr auf die Straße zu lassen, sind die Zustände ablesbar (STRELL 1914). Es gab auch Schuhe mit hohen Absätzen, um im Straßen- und Gassenmorast nicht steckenzubleiben. Abort- und Abfallgruben, in manchen Städten im Rahmen archäologischer Forschung wieder ausgegraben, waren einst gefährliche Krankheitsherde, zumal sie oft neben Küche und Brunnen angelegt waren. Allerdings dürfen aus den punktuellen Angaben nicht für das gesamte Mittelalter gültige Vorstellungen abgeleitet werden. 

Der hygienische Vorteil von sauberem Wasser und sauberer Luft war nicht unbekannt geblieben (DIRLMEIER 1981, 1993), und Gefahr und Belästigung durch unhygienische Zustände waren teilweise so hoch, daß Reglements zur Abhilfe erlassen wurden. Feuergefährliche Gewerbe wie die Glasmacherei oder Handwerker mit Geruchsbelästigung wie die Gerber oder mit viel Lärm wie die Schmiede wurden in die Vorstädte verwiesen. Abgase haben zumindestens hier und da schon zu Belästigungen geführt, obwohl allein durch die relativ geringe Flächenausdehnung mittelalterlicher Städte das Smogproblem geringer als in späteren Jahrhunderten gewesen sein muß. In London wurde 1306 durch eine königliche Verordnung die Verwendung von Kohle für Werkstätten untersagt (BECK 1959).

Fließgewässer wurden gerade von Städten oft bedenkenlos mit Unrat belastet (HILGER 1984). Gerber nutzten vorbeifließende Bäche als Entsorgungs­kanäle.

Glücklich eine kleinere Stadt wie Jena im östlichen Thüringen, die am Hange liegt und wo man das aufgestaute Wasser des Leutrabaches im 18. Jh. nach einer Beschreibung von FRIEDRICH NICOLAI (1788) ab und zu durch die Straßen rauschen ließ, damit der von den Anwohnern hingeworfene Unrat aus der Stadt in den Fluß Saale gespült wurde.

In dem Maße, wie die Städte sich vergrößerten, wurden vielerorts Einrichtungen für die Versorgung mit gutem Wasser geschaffen. Waren die Anlagen auch nicht so großartig wie die von Sklaven gebauten Aquädukte der Römerzeit, so entstanden doch teilweise ansehnliche Anlagen.


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Durch die Stadt Freiburg im Breisgau, am westlichen Hange des südlichen Schwarzwaldes, fließt noch heute Wasser in Rinnen neben zahlreichen Bürgersteigen. Manche Stadt besaß oder besitzt eine "Wasserkunst"; die aus dem 15. Jh. stammende der Stadt Bautzen in der Oberlausitz bestimmt noch heute das reizvolle alte Stadtbild. Die "Wasserkünste" brachten Wasser in Hochbehälter. Von solchen Hochbehältern in oft starken Türmen wurden Brunnen auf den Straßen in den verschiedenen Teilen der Stadt versorgt, in seltenen Fällen sogar Wasser bis in Häuser geleitet. 

Teilweise prächtige, künstlerisch wertvolle Brunnen beleben noch bis in das 20. Jh. alte Städte. In Deutschland wären der "Schöne Brunnen" in Nürnberg oder zahlreiche Brunnen auf Marktplätzen anderer fränkischer Reichsstädte zu nennen. Die Wasserversorgung wurde schon im 16. Jh. auch von Privatunternehmen betrieben. In London erwarb PETER MORRIS den ersten Bogen einer Themsebrücke, um hier ein Wasserrad für die Versorgung der britischen Hauptstadt mit Themsewasser zu installieren (LIPSCHÜTZ 1968).

 

Abb. 9: Chronologie der Stadtentstehung in Mitteleuropa (rd. 2000 Städte erfaßt) (Abel 1962).

 

 


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In der Renaissance hat im 15. Jh. LEON BATTISTA ALBERTI (1404-1472) in seiner Abhandlung "De re aedificatoria" (Von der Baukunst), verfaßt um 1450, über wünschenswerte hygienische Bedingungen in den Städten geschrieben. Es wurden regelrechte "Hygienestädte" vorgeschlagen. Manche italienischen Maler stellten Musterstädte vor, auf denen keine Abfälle zu sehen sind, sondern nur saubere Marmorgebäude und weißgepflasterte Plätze das Stadtbild bestimmen. Im Palazzo Ducale in der mittelitalienischen Stadt Urbino hängt das Gemälde einer solchen "La citta ideale" (Idealstadt) von LUCIANO LAURANA (um 1420/25-1479).

Wie Werke der Kunst und namentlich der Malerei verdeutlichen, wurde in Spätmittelalter und Renaissance der Landschaft größere Beachtung geschenkt.

HENRY MAKOWSKI und BERNHARD BUDERATH haben in ihrem schönen Buch "Die Natur dem Menschen Untertan. Ökologie im Spiegel der Landschaftsmalerei" (1983) Gemälde der verschiedensten Jahrhunderte nach ihrem Aussagewert über die Landschaft und die "Umwelt" von einst befragt.

 

Abb. 10: Idealstadt der italienischen Renaissance, die verdeutlicht, daß der Vorteil sauberer Straßen bekannt war.

 

 

   Landschaft und Natur im Denken von Spätmittelalter und Renaissance  

 

Gemälde, teilweise mit Heiligendarstellungen im Vordergrund und der zeitgenössischen Landschaft als Staffage im Hintergrund, geben eine Vorstellung vom Aussehen der Landschaft unter der extensiven Landnutzung im Mittelalter und später.

Noch als Teil anderer Motive, aber doch realistisch und auch eigenständig, erscheint die Landschaft bei den führenden Malern der flandrischen Schule, bei HUBERT (um 1370-1426) und JAN VAN EYCK (um 1390-1441).


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Abb. 11: Gemälde von KONRAD WITZ "Der wunderbare Fischzug" mit der Werbung der Apostel durch Jesus und einer erstmals identifizierbaren Landschaft, der am Genfer See. Musee d'Art et d'Histoire in Genf.

 

Eine erste noch identifizierbare Landschart, die am Genfer See, malte in Verbindung mit der Darstellung der Apostelwerbung durch Jesus KONRAD WITZ (um 1400-1445/46) auf dem Gemälde "Der wunderbare Fischzug". Das Gemälde entstand um 1444 und befindet sich heute im "Musee d'Art et d'Histoire" in Genf. Die Landschaft dominiert gegenüber Jesus und den fischenden Aposteln am Seeufer.

Als ein frühes, gar erstes reines Landschaftsbild, ohne ein biblisches oder historisches Motiv einzubeziehen, gilt das kleinformatige Gemälde "Donaulandschaft bei Regensburg" des Regensburger Malers ALBRECHT ALTDORFER (um 1480-1538) mit der Ansicht von Schloß Wörth und dem Scheuchenberg, das auf die Jahre 1520-1525 datiert wird und sich in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München befindet. Die extensive Landnutzung, gekennzeichnet auch durch die unscharfen Grenzen zwischen den Nutzungsarten, zwischen Niederwald, Wiese, Trift, Verkehrsweg, sind auf diesem Gemälde deutlich.


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Abb. 12: Gemälde von ALBRECHT ALTDORFER "Donaulandschaft bei Regensburg", um 1520-1525. Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Es ist das erste reine Landschaftsgemälde in Deutschland und zeigt eine recht extensiv genutzte Landschaft.

 


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Auch bei ALBRECHT DÜRER (1471-1528) und dann vor allem bei etlichen niederländischen Malern gibt es Landschaftsdarstellungen, die auch bei Berücksichtigung aller künstlerischen Zugaben ein realistisches Bild der Landschaft, der "Umwelt" ihrer Entstehungszeit, bieten.

 

In der Renaissance wurde von etlichen Denkern und Künstlern die menschengestaltete Umwelt gelobt. Steinerne Städte, Paläste, in Fontänen gezwungenes Wasser, gestaltete Gärten, Kanäle in Oberitalien, eine menschengemachte Welt wurden auf Gemälden dargestellt. Von dem Künstleringenieur LEONARDO DA VINCI (1452-1519) stammt die Skizze eines Flusses oder Kanales, der von den Kaimauern bis zu Wehr und Schleuse durch Ingenieurkunst völlig gestaltet wurde. So völlig ideal dachte man offenbar die Erdoberfläche zu zähmen, auch später noch. Immer wieder aber gab es dabei Versagen, nicht vorhersehbare Schäden, Gegenwirkungen. Der gebändigte Fluß oder der Kanal konnten schließlich vor Schmutz triefen. Der Stausee verschlammte. Einer völlig menschengemachten Welt, von JÜRGEN MITTELSTRASS (1991) "Leonardo-Welt" genannt, stehen die Menschen am Ende des 20. Jh.s doch viel kritischer gegenüber.

 

Die Philosophie der "Beherrschung der Natur", der Wissenschaft des Wohlergehens der Menschen, ist vor allem mit den Namen einiger Philosophen und Wissenschaftler des 17. Jh., der Zeit der "wissenschaftlichen Revolution", verbunden, mit FRANCIS BACON (1561-1626) und RENE DESCARTES (1596-1650). Nach F. BACON sollte es für die Wissenschaft eine wichtige Aufgabe darstellen, Erfindungen zu machen, die der Bequemlichkeit des Menschen dienen (v. FRITZ 1971). Es wurde und wird von dem "Bacon-Ideal", dem "Bacon-Programm" gesprochen, wenn die Beherrschung der Natur unter Anwendung der Naturgesetze angestrebt wird (L. SCHÄFER 1993).

Technik und Gewerbe zu entwickeln, geschah aber auch neben und unabhängig von BACON und auch DESCARTES. BACON selbst hat sich an Erfindungen und Experimenten so gut wie nicht beteiligt, mit Ausnahme einiger Versuche zur Kühlung von Geflügel zur Konservierung. Umweltzerstörungen wurden im 17. Jh. ohnehin nur unzureichend wahrgenommen, obwohl ja die Wälder teilweise übernutzt wurden. Es kann also nicht etwa gesagt werden, daß es ohne BACONS Schriften zur stärkeren Dienstbarmachung der Natur nicht gekommen wäre.

BACON war "Exponent der neuen Einstellung zur Natur", war Repräsentant einer Entwicklung, die eben deshalb manchmal mit seinem Namen verbunden wird, ohne daß er anderes getan hätte, als zu formulieren, was geschah.


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So verbindet denn auch HANS JONAS den Namen F. BACONS mit dem in der modernen Welt herrschenden Amalgam von Wissenschaft, Technologie und industrieller Naturnutzung (zitiert aus L. SCHÄFER 1993, S. 100). Die Unterscheidung von vernünftiger Naturnutzung und zerstörender, die Unterscheidung von guten und schlechten Technologien konnte kaum am Beginn der Überlegungen zu einer Naturbeherrschung stehen. Die Nutzung der Dinge in der falschen Weise widerspricht genaugenommen dem natürlichen Egoismus des Menschen, der auf ein langes und angenehmes Leben ausgerichtet ist und nicht nur auf eine einzige turbulente und zerstörerische Party mit dem großen Katzenjammer nach dem Erwachen. DESCARTES hat vor allem Subjekt und Objekt in der Erkenntnis endgültig getrennt, ließ das Naturding zum bloßen Vorhandensein eines Gegenstandes werden.

Daß sich bedeutende Gelehrte der beginnenden Neuzeit der Rolle des Menschen bewußt waren, bezeugt auch ein Ausspruch von GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ (1646-1716) in der "Protogaea" (s. Ausgabe 1949, S. 147):

"Das Aussehen der Erde ist durch den Eifer vieler Menschen so verändert worden, daß meiner Meinung nach das Menschengeschlecht sich einen großen Teil seines Wohnraumes selbst verdankt, ..."

Hier wird also vor allem auf die positive, die eine bewohnbare Landschaft gestaltende Tätigkeit des Menschen verwiesen. Schon LEONARDO DA VINCI aber hat einmal gesagt: Die Werke der Menschen werden Ursache ihres Todes sein.

Daß Landschaft und Natur überhaupt geschätzt werden, setzt die Freiheit von drängendster Not voraus. Gab es schon im Minnesang des Hochmittelalters Bewunderung für Frühling und Frühlingsblumen, für grüne Heide und Wald, so wurde für einige führende Geister des Frühhumanismus die Schönheit der Landschaft ein eigenständiger Wert (BURCKHARDT z.B. 1904, S. 16ff.). Nur wegen des Landschafts­erlebnisses bestieg der Dichter und Humanist FRANCESCO PETRARCA (1304-1374) den Mont Ventoux bei Avignon. PAPST Pius II., der als Humanist AENEAS SYLVIUS (1405-1464) hieß, genoß die Schönheiten des Albanergebirges südöstlich von Rom. Er tat das auch, als in der Ebene Dürre und Pest das Leben der Einwohner bedrohten. Reiche Italiener bauten wie begüterte Römer wieder ihre Landsitze, Villen, wie sie bei-


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spielgebend im 16. Jh. der aus Vicenza stammende ANDREA PALLADIO (1508-1580) entwarf. Nachahmung anderswo folgte.

Intensiver genutzte Landschaftsteile, bewußt gestaltet und auf Nachhaltigkeit angelegt, waren Gärten, später Parks. Dort zeigt sich die eine schöne "Umwelt" gestaltende Seite menschlichen Tuns oft am stärksten. Schließlich schuf auch Gott nach der Bibel als Lebensstätte für die Menschen zuerst einen großen Garten, das "Paradies" (MAKOW-SKIetal. 1983).

Von der gerade von Italien ausgehenden Parkkunst zeugt der mit einzigartigen Wasserspielen ausgestattete Park in der Villa des Herzogs von D'ESTE in Tivoli östlich von Rom.

 

   Umweltschäden im Spätmittelalter 

 

Im Spätmittelalter und in der Renaissance gab es Fortschritte in Wirtschaft und Technik, aber es mehren sich auch die Berichte über Umweltbelastung.

Ein stark umweltschädigendes Wirtschaftssystem entstand vor dem 15. Jh. auf der Iberischen Halbinsel, in weiten Teilen des späteren Spanien, durch eine einflußreiche Organisation wandernder Schafherdenbesitzer, die mit dem Weiderecht der "Mesta" ausgestattet waren (s. F. OSBORN 1950, J. PEREZ 1989, SCHULZ 1995).

Zogen diese Schafhalter zuerst im wesentlichen durch unbesiedeltes Land, schonten auch eingehegtes Gelände und wirkte der Schafdung sogar bodenverbessernd, so wurde diese Schafhaltung zum Schaden des Landes immer mehr verstärkt. Staatlich organisiert wurde diese Wanderschäferei zuerst durch den von 1155 bis 1214 in Kastilien regierenden König ALFONSO VIII. Weiter begünstigt und privilegiert wurden die Wanderschäfer unter den "katholischen Königen" FERDINAND von Aragonien (1452-1516) und ISABELLA von Kastilien (1451-1504) wegen des auch für den Staat ertragreichen Wollexports, da die Abnahme der Wolle wegen der in Nordwesteuropa entstehenden Textilindustrie stieg.

Überweidung und Abbrennen der Wälder zur zusätzlichen Weidelandgewinnung und auch die Verletzung der Eigentumsrechte der Ansässigen wurden üblich. Bis zu 3 Mio. Schafe wurden in der Blützeit der "Mesta" im 16. Jh. auf den Schafwegen des etwa 125.000 Kilometer langen Netzes durch das Land geführt. Solche Schafwege führten etwa von Sevilla bis östlich von Burgos, von südlich Badajoz bis nördlich von Leon.


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Erst der energische Widerstand der Geschädigten namentlich im 18. Jh. unter König CARLOS III. (1716-1788) hat die "Mesta" zunehmend begrenzt. Es kam zu einer Eingabe eines Abgeordenten der Estremadura bei Hof. Erst im Jahre 1836 wurde das formale Weiderecht offiziell aufgehoben. Die Folgen, nämlich weiträumige Landschaftszerstörung, konnten indes nicht mehr überwunden werden. Noch heute sind Wege vorhanden, die etwa eine halbe Million Hektar "spanischer Erde" (SCHULZ 1995) bedecken und über die immer noch jedes Jahr 300.000 Stück Vieh getrieben werden, als Attraktion einige davon sogar durch Madrid. Die Viehtreiberwege werden sogar als touristische Wanderwege empfohlen.

Lokal gewaltige Umweltbeeinträchtigungen werden im 16. und 17. Jh. aus Berghaugebieten berichtet. Das Rückseitenbild von HANS HESSE vom Bergaltar in der St. Annenkirche in Annaberg im sächsischen Erzgebirge, abgebildet auf dem Umschlag des Buches, zeigt eine sächsische Bergbaulandschaft vom Anfang des 16. Jh.s. Die Walddevastierung ist offensichtlich.

Der Arzt und Bergbauschriftsteller GEORGIUS AGRICOLA (1494-1555) schrieb in dem mit zahlreichen Holzschnitten ausgestatteten Folianten "De re metallica" von 1556 über Zustände im sächsischen Erzgebirge. An einer Stelle heißt es:

"In Altenberg im Meißnischen findet sich schwarzer Hüttenrauch in den Gruben, der Wunden und Geschwüre bis auf die Knochen ausnagt. Auch das Eisen verzehrt er, daher sind die Nägel der Häuser alle von Holz."

Für die Gesundheit der dort lebenden Menschen kann man daraus nur wenig erfreuliche Schlußfolgerungen ziehen. Wie bis ins 20. Jh. färbte auch damals das zerkleinerte Gestein mit den Zinnerzen die Flüsse rot. Die "Rote Weißeritz" trägt davon ihren Namen.

Nicht selten sind Bergbaugebiete kurzfristig blühende Regionen, die nach der Erschöpfung der Lagerstätten verfallen. Hohen Verdiensten und einem die schwere Arbeit oft begleitenden lockeren Lebenswandel in Bergbauregionen folgten vielfach hohe Arbeitslosigkeit und Wegzug der jüngeren Männer (BROOKS et al. 1974). Zurück blieben fast stets große Umweltschäden.

Die schreckliche, ja tödliche Umwelt, das war damals wie später für viele der Arbeitsplatz, besonders auch der unter Tage. Seitdem die Spanier am 1. April 1545 die Ausbeutung der Silberadern im "Cerro Rico", dem "Reichen Berg" von Potosi begannen, hat es hier schätzungsweise fünf Millionen Todesopfer gegeben. Silberschmuck ist dabei keine Lebensnotwendigkeit für den Menschen.


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Hinter dem Luxus und dem Schmuck der Reichen steht oft bis heute das Leiden und der Tod unbekannter Armer. Der italienische Arzt BERNARDO RAMAZZINI (1633-1714) war der erste Autor, der in dem Buch "De morbis artificium diatriba" von 1700 ausführlich über Berufskrankheiten schrieb. Emissionen, Ausdünstungen, Dämpfe, Staub wurden für solche Krankheiten als häufige Ursachen genannt. RAMAZZINIS Werk erlebte bald weitere Auflagen und wurde aus dem Italienischen in andere Sprachen übersetzt.

In Bergbaugebieten wurde ganzjährig "Aufschlagwasser" zum Antrieb der Wasserhebemaschinen benötigt. Um diese Wasserversorgung zu sichern, wurden in den Grubengebieten, so im Gebiet um die Städte Freiberg, Altenberg und Schneeberg im sächsischen Erzgebirge schon im 16. Jh. und danach um die Oberharzer Bergstadt Clausthal Speicherbecken und Wasserzuleitungsgräben angelegt. Sie werden, oft erneuert, großenteils bis in die Gegenwart genutzt.

 

Von zahlreichen Umweltschäden ist auch in der umfassendsten Erstbeschreibung des sächsischen Erzgebirges, in dem 1699 postum erschienenen Folianten "Historischer Schauplatz derer natürlichen Merckwürdigkeiten in dem Meißnischen Ober-Ertzgebirge" von Pfarrer CHRISTIAN LEHMANN (1611-1688) in Scheibenberg, die Rede. Es heißt (S. 83):

"Vorzeiten / ehe so viel Hämmer und hohe Oefen aufkommen / mussten sich die Hammerschmiede zu ihren Renn-Feuern nur mit Kohlen von umgefallenem und zerbrochenem Holtz auf den Schönburgischen Wäldern aufhalten und vergnügen / das stehende durffte niemand angreiften: aber nachdem die Hämmer und Oefen sich vermehret / und das metallreiche Gebirge sich je mehr und mehr entdecket / sind die grossen hohen Wälder unglaublich niedergelegt / gelichtet und geräumet worden / also daß die hohen und starcken Tannen ziemlich seltzam werden ..."

Und auf Seite 155 seines Folianten warnte CHR. LEHMANN:

"Durch die Hammer-Wercke / welche durch ihre Holtzbauer und Kohlenbrenner die allergrösten Wälder nunmehro so gelichtet / daß man endlich in diesem vormahls ungeheuren Wald-Gebirge hoch wohl grossen Mangel an Holtz leiden durffte."

Örtlich gab es zweifellos auch im 17. Jh. gefährliche Luftverschmutzung, aber offensichtlich territorial begrenzt. Hierzu äußerte sich CHR. LEHMANN auf Seite 297f.:

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"Es wäre zwar kein Wunder / es würde offt die Gebirgische Lufft todt ungesund / wegen der gifftigen Dämpfte / Rauch und Dünste von Cobald-rösten / Schmeitz- und Eisen-Hütten / Blech- und Zinn-Hämmern / Hohen- und Krummen-Oefen / Farb-Mühlen / Gifft-Fängen / Floß-Sieden / ingleichen von bösen Wettern und arsenica-lischen Dünsten / so aus den Berggruben / sonderlich da man mit Feuer setzet / auswittern: massen die Erfahrung giebet / daß dergleichen gifftige und hitzige Dämpfte an manchem Ort umb Annaberg / Elterlein / Buchhohz auf die Bäume / Blumen / Blüthen und Krauter gefallen / das alles verweicket und versenget / kein Obst gedeyet / ja keine Biene lebendig bleibet / die Berge kahl und ohne Graß stehen: ja in Fronau hat die Pest im Grund und Wasser / darauff der Hüttenrauch gefallen / viel grössern Schaden gethan als oben im Dorff / wo der Wind die Lufft gereiniget ...

Allein / ob Wohl von Berg- und Hütten-Werck viel gifftige Dünste in die Lufft steigen / geschichts doch nicht überall / und hat man sich bey diesem grossen Fallen und Abnehmen der Bergwercke / Niederliegung so vieler Schmeltz-Hütten / keiner infection zu besorgen / weil sonderlich die Lufft durch die Winde offt gereiniget / und der gifftige Dampf durch die Kälte ersticket wird."

 

Auch von der Luft in London gab es warnende Berichte. Der Mitbegründer der "Royal Society" SIR JOHN EVELYN (1620-1706) schrieb darüber 1661 die Abhandlung "Fumifugium" und schlug Grünanpflanzung rings um die City von London vor (AVIGNON 1971). Das war einer der ersten Hinweise auf den Nutzen von Grünpflanzen überhaupt (WIJBENGA et al. 1984).

Daß sich auch für Gewässer die Auswirkungen auf größere Entfernungen in Grenzen hielten, kann aus Beiträgen in 7,edlers Großem Universal-Lexikon entnommen werden. In dem Band von 1793 heißt es über Verhältnisse in Sachsen, daß in der "Freybergischen" Mulde zwar noch viele Fische gefangen würden, auch Aale, aber "durch die vielen ... von neuaufgenommenen Bergwerken einfallenden Bergwasser" der Fischbestand "in etwas ist verringert worden ..."

Berichte aus vergangener Zeit zeugen auch von den einst vorhandenen, längst verlorenen Reichtümern der Natur. Eines der ersten Bücher über das Elbsandsteingebirge südlich von Dresden stammt von dem zuletzt in Lohmen bei Pirna tätigen Pfarrer CARL HEINRICH NICOLAI (1739-1823), der 1801 die kleine Schrift "Wegweiser durch die Sächsische Schweiz" veröffentlichte.

Der Autor trug damit wie Pfarrer WILHELM LEBERECHT GÖTZINGER (1758-1818) in Neustadt bei Pirna mit dem Büchlein "Schandau und seine Umgebung" (1804) zur touristischen Erschließung des einmaligen Elbsandsteingebirges bei.

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Es heißt bei NICOLAI über Fließgewässer bei Bad Schandau, daß die Bäche "enthalten ein süßes Wasser, das ... angenehm ist". Und es wird berichtet: "Es gehen daher viele Lachse aus der Elbe in diese Bäche, streichen hier und setzen Samen zu vielen Lachskunzen an. Diese werden dann bey der Potschdorfer Mühle gefangen. Dazu ist ein eigener Amts-Pacht-Fischer angestellt." Lachse sind im heutigen Sachsen so etwas wie sagenhafte Vorzeitwesen.

 

    Umweltprobleme in außereuropäischen Regionen  

 

In außereuropäischen Kulturen gab es ebenfalls mehr oder weniger große Umweltprobleme. Die "vorindustrielle" Zeit reichte außerhalb von Teilen Europas und Nord-Amerika teilweise bis in das 20. Jh... Industrieprodukte erreichten viele Regionen lange vor eigenen Anfängen dessen, was als Industrialisierung zu bezeichnen ist. Am meisten betroffen waren namentlich Hochkulturen, ob in Asien oder die schon erwähnten Maya in Zentralamerika.

Völker und Stämme auf einfachem wirtschaftlichen und kulturellem Niveau standen dagegen vielfach in einem offensichtlich ausgeglicheneren Verhältnis zu ihrer Umwelt. Zum einen gab es bei ihnen keine stärkere Bevölkerungszunahme, und zum anderen arbeiteten sie im wesentlichen nur für den täglichen Bedarf, strebten nicht nach großem Reichtum und "Fortschritt". Sie hatten Subsistenzwirtschaft.

Von den Indianern im Amazonasgebiet meinte der brasilianische Umweltminister JOSE ANTONIO LUTZENBERGER 1991, daß sie 30.000 Jahre in ihrer herrlichen Natur gelebt und nichts zerstört hätten. Es wird von den Völkern im arktischen Sibirien berichtet, daß sie "in bezug auf die Bilanziertheit, das Gleichgewicht mit der natürlichen Umwelt, die Homöostatik praktisch nicht ihres gleichen in der Welt" hätten. 

Über Neuguinea teilte LEONHARD SCHULTZE-JENA in seiner Reisebeschreibung 1910 mit, daß "Menschen, die noch kein Metall kennen", dem dortigen Urwald "nur wenig gewachsen" sind (S. 33), "... mit Steinbeil und Feuer und tödlichem Rindenschnitt zwingen sie dem Urwald nur in bescheidenstem Maße soviel Platz ab, als Hüttenbau und Gartenanlage fordert. Unmittelbar an die Siedelung grenzt das Dickicht unversehrt."


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Die Indianer, die in den Seen Minnesotas den Wasserreis (Oryza) ernteten, sollen immer einen Rest für die Vögel übriggelassen haben, und die Eingeborenen Tasmaniens jagten nach einem festen Rhythmus nur in bestimmten Abschnitten der Wälder (GENS 1991).

Es wird aber nunmehr auch betont, daß die Völker anderer Kontinente keineswegs immer die besseren Naturschützer waren, und auch die Indianer sowohl bei ihrer Einwanderung wie auch später an der Tiervernichtung beteiligt waren (KRISCHKE 1995). Im 18. Jh. haben Indianer im heutigen Illinois den Schwarzbären ausgerottet, dessen Fett als Delikatesse galt.

So manche im 18., ja noch im 19. Jh. bestehende Idylle hat sich rapide gewandelt.

Von New York wird 1757 (S. 389) von dem schwedischen Botaniker PETER KALM (1716-1779) berichtet, daß er sich beim Herumwandern hier fühlte,

"als wenn ich mich in einem Garten befunden hätte ... Ausser den singenden und zwitschernden Vögeln von allerley Art, hielt sich gleichfalls eine besondere Gattung von Fröschen in diesen Bäumen, des Sommers, häufig auf. Selbige erfülleten, an den Abenden, und in den Nächten, vornämlich wenn die Tage heiß waren, oder ein Regen zu kommen schien, die Luft mit ihren vielfältigen Geschrey, und stritten gleichsam mit den Vögeln um die Wette."

In Kleinstädten auch der USA mag davon bis ins 20. Jh. einiges erhalten geblieben sein, aber die Großstädte wurden vielerorts zu Steinwüsten.

Immer mehr schwand auch schon im 19. Jh. der Raum jener tierreichen tropischen Urwälder, von denen zahlreiche begeisterte Reisende, so GEORG HEINRICH VON LANGSDORFF (1774-1852), Beschreibungen hinterließen. Es heißt bei LANGSDORFF (1812, S. 48) über einen Aufenthalt im Urwald nahe der Stadt Rio de Janeiro:

"... Hier rechts Papageyen von mancherlei Größe und Farbe, die mit lautem Geschrei scheu und schnell vorüberflogen, dort links ein großgeschnäbelter, bald roth bald gelbgebrüsteter Pfefferfraß (Ramphastos), der aller Nachstellung unkundig, die mir unbekannten Früchte des nahen Baumes verzehrte; tiefer im Wald ertönte das Geschrei und Gebrülle der Affen; zu meinen Füßen öffneten sich die Höhlen der Panzerthiere (Tatu, Dasypus, ...), dann ein bunter Schmetterling, der sich größer als ein Vogel (z.B. Pap. Idomeneus) majestätisch von Blume zu Blume wog, dann wieder ein wunderschöner Colibri ..."


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Mit der Kolonialisierung wurde auch die Natur Afrikas und anderer Kontinente rasch verändert. Der Forschungs­reisende EMIL HOLUB (1847-1902) hatte im Abstand von 9 Jahren die Einmündung des Flusses Marico in den Fluß Limpopo im südöstlichen Afrika besucht. Beim zweiten Besuch mußte er zu seinem "Schmerze erkennen" (1890, S. 139), daß die "jungfräuliche Schönheit der Wildniß ... den Weg des Irdischen gegangen — die Dickichte und die undurchdringlichen Ufergebüsche waren durch jährliche Brände von den Bakhatlas nahezu vernichtet."

 

Ein dichtbesiedeltes Land wie China, kannte schon lange Umweltzerstörung, vor allem auch Vegetations­vernichtung. Der deutsche China-Reisende FERDINAND FREIHERR VON RICHTHOFEN (1833-1905) berichtete über seine Eindrücke 1869 (s. 1907):

"Im Vernichten der Vegetation zeichnen sich die Chinesen in trauriger Weise aus. Die Vorfahren der jetzigen Generation haben die Wälder ausgerottet; dann wurden auch die letzten Reste der Sträucher vertilgt. Oft habe ich die Leute auf kahlen Bergflächen sorgsam die Wurzelstöcke der Sträucher aufhacken und aushacken sehen, um sie als Brennmaterial zu verwenden. In Schantung aber, bei Tschifu wie hier im Westen, ist auch dieses Stadium vorüber, denn es gibt längst keine Sträucher mehr. Man ist daher zur Ausrottung der Gras- und Krautvegetation herabgestiegen. An Berghängen wie an Feldrainen sieht man oft Scharen von Leuten emsig beschäftigt, mit eigens zu diesem Zweck verfertigten Instrumenten erst das trockene Gras abzumähen und dann die Wurzeln auszuhacken. Ganze Flächen werden in einem Tage vollständig verödet ... Es ist gewiß ein gutes Zeichen für Klima und Boden, daß die Berge noch immer mit einer dünnen Vegetation bedeckt bleiben."

Aber geht diese Vegetationszerstörung wirklich unendlich weiter? Ist nicht einmal auch Schluß? — Die Zeiten der Wälder, das war vielleicht auch das Goldene Zeitalter, von dem die Legenden mancher Völker berichten.

 

Groß bei der Umweltvernichtung in fernen Territorien war die Schuld des "Weißen Mannes", trotz aller Beteiligung der einheimischen Bevölkerung.

Auf kommerzielle Anreize der weißen Händler reagierten die Indianer "marktwirtschaftlich" (KRISCHKE 1995), das heißt, sie besorgten gewünschte Felle von Pelztieren, auch, wenn sie gefährlich vermindert wurden. FRIDTJOF NANSEN (1861-1930) stellte 1903 auf Grönland fest, daß der Kontakt mit dänischen, auf Gewinn ausgehenden Händlern für die Eskimos tödliche Gefahren heraufbeschwor.


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Der steigende Handel mit Fellen veranlaßte verstärkte Jagd. Den Eskimos verkaufte Gewehre ermöglichten vermehrten Abschuß und gefährdeten die Nahrungsgrundlage. Wer hat die Schuld?

Die Ausbreitung bestimmter Völker, namentlich der "weißen", über weite Teile der Erde hat die ökologischen Verhältnisse in zahlreichen Territorien stark beeinflußt. ALFRED W. CROSBY nannte das den "ökologischen Imperialismus" (1991). Kulturpflanzen und Haustiere, vor allem aber auch Krankheiten folgten den Siedlern. Die Einwohner von Amerika, aber auch von Australien, waren nach ihrer Einwanderung in diese Kontinente für viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende von den Völkern der Alten Welt getrennt gewesen. Manche Krankheiten der Bewohner von Eurasien oder auch Afrika hatten sie nie erreicht. Es war also bei ihnen kein Schutz, keine Immunität gegen etliche von Mikroben verursachte Krankheiten vorhanden. Das Zusammen­treffen mit den Neuankömmlingen aus der Alten Welt, welche etwa die Pocken mitbrachten, ließ in den folgenden Seuchen große Teile der einheimischen Bevölkerung umkommen. Da wurde also Land frei, das nunmehr von den Europäern in Besitz genommen wurde, welche in dem Wüten der Seuchen vielleicht noch eine Maßnahme Gottes zu ihren Gunsten erblickten. Als der "Schwarze Tod", die Beulenpest aus Asien nach Europa kam, hatte es die Europäer jedoch in ähnlich schlimmer Weise getroffen.

Auch die Neue Welt hat "Gaben" für die Alte Welt geliefert, die Kartoffel, den Mais, die Sonnenblume und als große Unannehm­lichkeit wahrscheinlich auch die Syphilis.

Wie der Mensch in den neu entdeckten und vielfach besiedelten Gebieten, so hat auch die einheimische Tier- und Pflanzenwelt unter bewußt eingeführten oder aus Versehen eingeschleppten Formen gelitten. Sehr betroffen waren einige Inseln, auf denen ein Teil der in vielen Lebensräumen vorkommenden Lebensformen fehlten, etwa größere Raubtiere. So konnten ausgesetzte Ziegen oder Kaninchen sich auf den Atlantikinseln gewaltig vermehren und brachen in die dort heimische, eben nicht mit dem Reichtum der Kontinente ausgestatteten Organismenwelt ein. CHARLES DARWIN (1875, S. 560 ff.) kam auf der Weltreise mit dem Schiff "Beagle" ab 8. Juli 1836 für 4 Tage auf die Insel St. Helena. Die Vegetation "gewährte" ihm nach eigenen Worten einen "entschieden britischen Charakter". Von den 746 Pflanzen der Insel waren nach damaliger Feststellung nur noch 52 als eingeboren anzusehen. Ähnlich wurden auch andere Inseln durch eingeführte Tiere und Pflanzen und die Jagd und Wirtschaft neu hinzugekommener Menschen betroffen.

Auch auf den Hawaii-Inseln blieb von der ursprünglichen Fauna und Flora kaum etwas erhalten, hier, auf diesem Inselland, das wie der Galapagos-Archipel niemals mit einem Festland in Verbindung stand (RADEMACHER 1995). Die indigene, aus vielen endemischen Arten bestehende Organismenwelt erstand wohl aus etlichen mit Meeresströmungen oder Winden hingebrachten Arten und entwickelte sich zu eigenen Formen. Keine der hier heimischen Pflanzenarten bildete Dornen oder Stacheln aus. Schon die dort anlandenden Insulaner brachten das Schwein mit, und verwilderte Schweine begannen auf der Insel zu wüten. Mit den Europäern beziehungsweise den weißen Amerikanern ging die Vernichtung der heimischen Tiere und Pflanzen verstärkt weiter.

Während die Evolution über riesige Zeiträume hinweg und offenbar auch in der frühen Menschen­geschichte vor allem zentrifugal, aufsplitternd wirkte, hat der Mensch sich zu dem Wesen aufgeschwungen, das getrennt entwickelte und voneinander isolierte Wesen, sowohl Tier- und Pflanzenarten wie die verschiedenen Menschenrassen, miteinander in Kontakt brachte. In der Evolution herausgebildete Unterschiede wurden und werden weiterhin damit wieder beseitigt.

Die Folgen davon sind nicht nur angenehmer Art.

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Gottfried Zirnstein  1994  Ökologie und Umwelt in der Geschichte  +   www.detopia.de