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Batteriehühner für die Freiheit

 

 

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Als der britische Milchbauer Antony Fisher die Reader’s-Digest-Version von Der Weg zur Knechtschaft las, machte das Buch einen großen Eindruck auf ihn. Von Hayek schien Fishers eigenes Bauchgefühl zu teilen, dass die individuellen Freiheiten bedroht seien.

Fisher schrieb von Hayek einen Brief, in dem er ihn fragte, was er selbst tun könne und ob er vielleicht in die Politik gehen solle.

Von Hayek antwortete Fisher, dass er etwas Wertvolleres tun könne und erklärte ihm, dass in der Schlacht der Ideologien die »Gebrauchtwarenhändler der Ideen« eine wichtigere Rolle spielten als Politiker – nämlich die Journalisten, politischen Berater, Kommentatoren und Intellektuellen, welche die öffentliche Debatte und das politische Bewusstsein prägten und lenkten.

Von Hayek empfahl Fisher, in Zusammenarbeit mit der Mont-Pèlerin-Society Forschungsinstitute ins Leben zu rufen mit dem Ziel, solche »Ideenhändler« zu beeinflussen.

Im Jahr 1952 reiste Fisher in die Vereinigten Staaten, um eines dieser neu gegründeten Institute zu besuchen, die Foundation for Economic Education. Einer ihrer Gründer war der Ökonom F. A. »Baldy« Harper, der fünf Jahre zuvor an dem Treffen am Mont Pèlerin teilgenommen hatte. Und da Fisher Landwirt war, zeigte Harper ihm auch ein neues landwirtschaftliches Verfahren, nämlich eine neue Züchtung schnell wachsender Hühner, die sogenannten »Broiler«, die in winzigen Käfigen herangezogen wurden. Weil damals die Hühnerhaltung in Käfigbatterien in Großbritannien noch unbekannt war, erkannte Fisher, dass er damit ein Vermögen verdienen konnte. Also nahm er Broiler-Hühner mit zurück nach Großbritannien.* Er lieh sich 5000 Pfund, um eine Batterie-Hühnerhaltung aufzubauen. Als er den Betrieb 15 Jahre später verkaufte, war er 21 Millionen Pfund wert.

* Buchstäblich. Laut Fishers Freund und Biograph Gerald Frost (Antony Fisher, Champion of Liberty, Profile Books, 2002) schmuggelte Fisher bei seinem Rückflug 24 befruchtete Eier ins Flugzeug. Er hatte sie im Handgepäck versteckt, weil er das langwierige Genehmigungsverfahren umgehen wollte, die Eier legal zu importieren – eine Lizenz, die er möglicherweise nicht erhalten hätte. Bei öffentlichen Auftritten äußerte Fisher sich verächtlich über agrarrechtliche Vorschriften. Im Gegensatz zu von Hayek scheint er nicht erkannt zu haben, dass selbst der freieste aller Märkte einen robusten gesetzlichen Rahmen braucht.

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Fisher setzte sein wachsendes Vermögen ein, um von Hayeks Träume wahr zu machen. Er begann damit, dass er 1955 das Institute of Economic Affairs gründete – einen »Thinktank«, eine Forschungs- und Lobby­organisation mit dem Ziel, das Projekt voranzutreiben, das von Hayek beim ersten Treffen der Mont Pèlerin Society konzipiert hatte. Es war dieses Institut, das 20 Jahre später das erste Treffen zwischen von Hayek und Thatcher in die Wege leiteteeinige Monate, bevor Thatcher auf der Sitzung der Conservative Party von Hayeks Buch hochgehalten hatte.

Das Treffen zwischen Thatcher und von Hayek fand unter vier Augen im Konferenzraum des Instituts statt. Es dauerte etwa 30 Minuten, und danach versammelte sich der Stab des Instituts um von Hayek, um sein Urteil zu hören. Nach einer langen Pause sagte er, offensichtlich zutiefst bewegt: »Sie ist so schön.«5

Das Institute of Economic Affairs ist nur eines der Elemente der Atlas Economic Research Foundation, die Fisher 1981 ins Leben rief, um die Gründung ähnlicher Thinktanks in aller Welt zu fördern. Sie hat sich zu einem großen internationalen Dachverband entwickelt, einem Netzwerk, das im Laufe der Jahre immer größer geworden ist und zu dem inzwischen mehr als 500 Organisationen in über 90 Ländern gehören.

Dieses Netzwerk setzt sich für die Grundsätze der freien Marktwirtschaft ein und unterhält diverse Expertengruppen, welche die gesamte Bandbreite von Klimawandelleugnern bis hin zu Lobbyverbänden der Tabak­industrie abdecken. Einer der im gesamten Netzwerk zu beobachtenden Aspekte ist, dass seine Mitglieds­organisationen durch Großkonzerne und Plutokraten finanziert werden.

An dieser Stelle beginnen Verschwörungstheorien aufzutauchen. Angefangen bei der Mont Pèlerin Society bis hinauf zur Atlas Foundation betrachten Verschwörungstheoretiker die hochfliegenden philosophischen Ambitionen dieser Organisationen als bloße Tarnung für einen konspirativen, langfristig angelegten Plan, um den Reichtum und Einfluss von wohlhabenden und mächtigen Wirtschaftseliten auszubauen.

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Und es ist richtig, dass diese Organisationen, obwohl sie formal unabhängig von den Reichen und Mächtigen sind, auf jedem Schritt des Weges von ihnen finanziert wurden. Und auch in einem tieferen Sinne sah die Mont Pèlerin Society die Politik als Diener wirtschaftlicher Interessen. Von Hayek wollte nicht nur Laissez-faire erreichen – die alte Idee, dass der Staat sich aus den Märkten und der Wirtschaft herauszuhalten habe – , sondern er sah Märkte und Wirtschaft nicht als etwas Separates an, das sich in einer vom übrigen menschlichen Leben getrennten Sphäre abspielt. Für ihn umfassten Märkte und Wirtschaft das gesamte Leben. Von Hayek war der Meinung, dass sämtliche Triebfedern des menschlichen Handelns wirtschaftlicher Art seien: »Ein isoliertes wirtschaftliches Motiv existiert nicht.«6

Inzwischen haben von Hayeks Ideen unsere heutige Kultur ebenso stark geprägt wie unsere Politik: Im Laufe der vergangenen 40 Jahre wurde das, was wir respektieren und denken, durch das Eindringen von markt­wirt­schaftlichen Konzepten in unseren Alltag völlig verändert.

Und dennoch waren die Auswirkungen dieser Entwicklung nicht ganz so, wie von Hayek es sich auf jener konstituierenden Sitzung der Mont Pèlerin Society vorgestellt haben mag, da die Wirtschaftswissenschaften selbst sich seither erheblich verändert haben. Der Aufstieg der Mont Pèlerin Society hat sich als ein nur kleiner Teil der ganzen Geschichte erwiesen, und an dieser Stelle kollabieren die Verschwörungstheorien.

Viele der einflussreichsten Denker hinter dem Triumph der Marktwirtschaftslehre waren Mitglieder der Mont Pèlerin Society, etwa Gary Becker, James Buchanan, Ronald Coase, Milton Friedman, Richard Posner und George Stigler. Aber sie waren nicht immer einer Meinung mit von Hayek. Und manche Ökonomen, zum Beispiel Kenneth Arrow und Thomas Schelling, waren ebenso einflussreich, obwohl sie eine völlig andere politische Welt­anschauung hatten als die Mont-Pèlerin-Clique.

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In den folgenden Kapiteln werde ich erkunden, wie die radikalen Ideen dieser Denker es schafften, der modernen Mainstream-Ökonomik ihren Stempel aufzudrücken.

Es waren diese neuen Ideen – weit mehr als eine Verschwörung der Reichen und Mächtigen – , welche die marktgetriebene Welt entstehen ließen, in der wir heute leben. Ich konzentriere mich dabei vor allem auf die Mikroökonomik, die Betriebswirtschaftslehre (im Gegensatz zur Makroökonomik, der Volkswirtschaftslehre), da die meisten wichtigen Entwicklungen der Wirtschaftswissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg sich in der Mikroökonomik vollzogen haben.

Die Mikroökonomik ist die Lehre von wirtschaftlichen Aktivitäten auf der Ebene des einzelnen Menschen, und so ist es kein Wunder, dass sie mehr Einfluss darauf hatte, wie wir – als Individuen – die Welt sehen.

Doch zunächst müssen wir versuchen, den dichten Nebel der Behauptungen und Gegenbehauptungen über die moderne Wirtschaftslehre zu durchschauen.

Ein wichtiger Grund, warum wir im heutigen ökonomischen Denken gefangen zu sein scheinen, liegt darin, dass wir in der Debatte zu diesem Thema in der Regel vor die Entscheidung zwischen zwei gleichermaßen unplausiblen Alternativen gestellt werden. Einerseits ist die Ökonomik eine Wissenschaft, die Erkenntnisse darüber liefert, wie wir zwangsläufig von Natur aus denken und uns verhalten. Andererseits beschwört die Wirtschaftslehre eine Fantasiewelt herauf, die nicht von plausiblen Inkarnationen des Menschen bevölkert ist, sondern von selbstsüchtigen, endlos berechnenden und Entscheidungen treffenden Robotern – die auch als homo oeconomicus bekannt sind. Diese Debatte mag unbefriedigend sein, doch der Status der Wirtschaftswissenschaften ist nicht nur von akademischem Interesse. Die globale Finanzkrise hat uns ermahnt, dass fehlerhafte Ökonomik sehr schmerzhaft sein kann.

Wenn ökonomische Theorien – wie sie weithin von Finanzinstitutionen, den für sie

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zuständigen Aufsichtsbehörden und anderen eingesetzt werden – fundamentale Fehler haben, ist es kein Wunder, dass es zu einer globalen Finanzkrise kommen konnte und wir ständig Gefahr laufen, eine neue Krise heraufzubeschwören.

Seit den 1950er-Jahren leiden immer mehr Ökonomen unter dem »Physikneid« – die Sehnsucht, die Ökonomik nach dem Modell einer exakten Wissenschaft wie der Physik neu zu erfinden. Und zweifellos begann die Ökonomik, sich einen wissenschaftlicheren Anschein zu geben: Die Mathematik wurde zur bevorzugten Sprache, um ökonomische Gedankengänge auszudrücken. Es liegt auf der Hand, dass der Einsatz von Mathematik mehr Präzision und Stichhaltigkeit herbeiführen kann. Ein gültiger mathematischer Beweis ist unanfechtbar; er scheint die verlockende Aussicht zu eröffnen, die gewundenen Einerseits-andererseits-Argumente zu durchbrechen und eine klare Antwort zu liefern.

In seiner Eigenschaft als Chefökonom der Weltbank hat Larry Summers (der spätere US-Finanzminister und Präsident der Harvard University) diese Zuversicht ausgestrahlt: »Verbreitet die Wahrheit – die Gesetze der Wirtschaftslehre sind wie die Gesetze der Ingenieurwissenschaften. Die gleichen Gesetze funktionieren überall.«7

Aber natürlich kann die Mathematik uns keine Wirtschaftsgesetze liefern, die den Naturgesetzen oder den Regeln der Ingenieurwissenschaften gleichen. Die Mathematik kann uns helfen, ökonomische Theorien klarer und konsistenter zu machen, aber sie kann nicht dafür sorgen, dass diese Theorien uns etwas über die reale Welt erzählen. Ein weiteres Problem von Summers’ Sicht der Dinge ist, dass sie politische und moralische Fragen aus der Wirtschaftslehre auszuklammern scheint, weil ihre Beantwortung unwissenschaftliche Werturteile notwendig macht, die eben nicht »überall funktionieren«. Doch die Fragen bleiben bestehen, weil politische und moralische Abwägungen im Kontext der Wirtschaftswissenschaften unvermeidbar sind. Das führt dazu, dass solche Werturteile nach wie vor getroffen werden, aber meistens auf eine indirekte Art.

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Ein großer Teil der modernen Ökonomik geht mit einer versteckten politischen und moralischen Agenda einher, erweckt jedoch den Anschein einer objektiven Wissenschaft. Das Ergebnis ist eine Wirtschaftslehre, die unser Leben im 21. Jahrhundert all umfassend beeinflusst – obwohl sie in vielerlei Hinsicht weit davon entfernt ist, einfach oder offensichtlich zu sein.

Ein großer Teil der politischen und moralischen Agenda scheint auf einem Bild des Menschen zu beruhen, das hauptsächlich aus Eigennutz besteht. Das bringt uns wieder zu dem Kritikpunkt zurück, dass die Ökonomik aus einer Sammlung hochgradig unrealistischer Geschichten über einen selbstsüchtigen und hyperrationalen homo oeconomicus bestehe. Tatsächlich ermöglichen viele ökonomische Theorien eine breitere Palette menschlicher Beweggründe als nur Eigennutz. Und die Probleme der modernen Wirtschaftslehre sind nicht ohne Weiteres zu lösen, indem man diese Lehre realistischer macht.

Viele Ökonomen sehen sich selbst ganz stolz als unsentimentale und brutal ehrliche Wissenschaftler, die Klartext reden. Seit Jahrzehnten ist die gewohnte Arbeitsgrundlage eines MainstreamÖkonomen die Prämisse, die natürliche und dominierende Determinante von menschlichem Verhalten sei Eigennutz. Diese Idee spukt hinter so unterschiedlichen Slogans wie »Geschäft ist Geschäft« und »zunehmende Ungleichheit ist in einer Marktwirtschaft unvermeidlich« herum.

Solche Ökonomen und ihre Unterstützer aus anderen Lebensbereichen (von denen es eine Menge gibt) berufen sich auf den Begründer der Wirtschaftslehre, Adam Smith, dessen Hauptwerk The Wealth of Nations (1776, deutsche Ausgabe: Der Wohlstand der Nationen) auf der felsenfesten Annahme beruht, der Mensch sei von Natur aus ein selbstsüchtiges Wesen.

Dann kommen sie zu dem Schluss, die moderne Ökonomik sei – nach dem Irrweg, der mit Karl Marx begann und mit dem

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Fall der Berliner Mauer endete – zu dieser klassischen Tradition zurückgekehrt, obwohl John Maynard Keynes sich die größte Mühe gegeben habe, das Unabwendbare hinauszuzögern.

Leider geht diese Version der Geschichte von Beginn an in die Irre.

Adam Smiths Ideen reflektieren die intellektuelle Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, in der er lebte, und lassen sich nicht ohne Weiteres auf unsere heutige Welt übertragen. Das Fundament der Weltanschauung im Zeitalter der Aufklärung war das Konzept des aufgeklärten Selbstinteresses, was keineswegs das Gleiche ist wie Egoismus. Das aufgeklärte Selbstinteresse des Adam Smith ging davon aus, dass der Mensch kultiviertes Verhalten, höfliche Manieren und »ethische Gefühle« entwickelt. So befürchtete Smith zum Beispiel, dass des Menschen »Hang, die Reichen und Großen zu bewundern, dagegen Personen in ärmlichen und niedrigen Verhältnissen zu verachten oder hintanzusetzen«, zur »Verfälschung unserer ethischen Gefühle« führen würde.8

Das hat kaum etwas zu tun mit dem »Jeder ist sich selbst der Nächste«-Zerrbild von Smith, das heute gern ins Feld geführt wird, um Egoismus zu rechtfertigen. Demnach hat die moderne Ökonomik uns nicht etwa zurückgebracht zu einer ewigen Wahrheit, die von Adam Smith niedergelegt wurde, sondern uns ganz woanders hingeführt.

Die oben erwähnten Klartext-Ökonomen gehen davon aus, dass wir immer und überall in einem engen Sinne egoistisch sind. (Aber wenn das stimmen würde, warum sollten wir dann auf diese Ökonomen hören? Würden sie nicht einfach immer das sagen, wovon sie sich eine Beförderung/Gehaltserhöhung/den Nobelpreis erhoffen?) Andere Ökonomen erkennen dagegen an, dass der Mensch sich durchaus altruistisch (selbstlos, uneigennützig, hilfsbereit) verhalten kann, und zwar nicht nur gegenüber Angehörigen und Freunden, sondern auch gegenüber Fremden: Viele Menschen versuchen, eine auf der Straße gefundene Brieftasche dem rechtmäßigen Besitzer zukommen zu lassen.9

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Gleichwohl wird allem Anschein nach uneigennütziges Verhalten häufig als verdeckter Egoismus interpretiert. Sie machen Ihrer Freundin ein Geschenk, weil Sie sich erhoffen, dafür etwas zu bekommen, jedenfalls laut Greg Mankiw (Präsident George W. Bushs ökonomischer Chefberater und Verfasser eines der bestverkauften Ökonomik-Lehrbücher der jüngeren Vergangenheit). Sie verhalten sich hilfsbereit, um einem anderen Menschen Ihre Tugendhaftigkeit zu signalisieren, damit er Ihnen genug Vertrauen entgegenbringt, um etwas von Ihnen zu kaufen oder Sie einzustellen (und später können Sie ihn dann immer noch beschummeln). Bei diesem Ansatz wird Absurdität mit Tautologie gemischt: Jeder Akt kann »letztlich« als egoistisch interpretiert werden, doch je breiter der Begriff »egoistisch« definiert wird, desto belangloser wird er.

In dem Bemühen, diese Schwierigkeiten zu umschiffen, vermeiden es heute viele Ökonomen, von Egoismus zu sprechen. Stattdessen gehen sie in ihren Theorien und Modellen davon aus, dass der Mensch sich rational verhalte – ein Wort, dem von verschiedenen Ökonomen unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden. Wichtiger als seine exakte Definition ist jedoch die schlüpfrige Macht dieses Wortes, das die Möglichkeit eröffnet, sich ausweichend zwischen der beschreibenden und der vorschreibenden Bedeutung des Begriffs hin und her zu schlängeln. Eine bestimmte Verhaltensweise als »rational« zu bezeichnen, kann entweder beschreibend sein – rationales Verhalten ist normal oder typisch. Oder es kann vorschreibend sein – Sie sollten sich rational verhalten. Hält man einem Ökonomen die überwältigenden Belege aus der Psychologie und Verhaltensökonomik entgegen, die zeigen, dass wir uns nur allzu häufig irrational verhalten, kann er antworten, dass ökonomische Theorien lediglich die »Was wäre wenn«-Implikationen der Annahme erkunden wollen, dass alle Menschen dem Ideal des Ökonomen von rationalem Verhalten entsprächen. Diese Theorien sollen keine genaue Beschreibung der Realität sein.

Das klingt harmlos, führt aber dazu, dass der Begriff »rational« eine pseudowissenschaftliche Begründung für die Annahme liefert,

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dass wir uns wie ein homo oeconomicus verhalten sollten, indem wir jede unserer Entscheidungen zwanghaft durchkalkulieren – und dass dieses berechnende Kalkül irgendwie lobenswert oder überlegen sei, ganz unabhängig davon, was wir dann tatsächlich zu tun beschließen.

Schlechtes Verhalten wird legitimiert, weil es zu »rationalem« Verhalten umdefiniert wurde.

Hier beginnt sich ein generelles Muster abzuzeichnen. Ökonomische Konzepte – etwa, was es bedeutet, sich »rational« zu verhalten – verändern uns, um uns dem hyperrationalen homo oeconomicus ähnlicher zu machen. Wie kann das angehen?

Man sagt, die erfolgreichsten Politiker würden »das Wetter machen«: Das heißt, sie formen und verbiegen unsere Wahrnehmung der Realität, bis sie ihrer Vision und ihren Werten entspricht. Auch die Ökonomen, die uns in den folgenden Kapiteln begegnen werden, haben das Wetter verändert – und zwar langfristig. Ihre Ideen liefern uns eine Art, die Welt zu sehen, die wahr wird, wenn wir sie uns zu eigen machen. Mit anderen Worten: Manche ökonomischen Ideen bewahrheiten sich selbst, zumindest teilweise. Wenn man sie glaubt, hat man sie schon weitgehend wahr gemacht. Wenn jeder davon ausgeht, dass alle anderen egoistisch sind, werden alle egoistischer. Wenn alle Käufer und Verkäufer auf einem bestimmten Markt annehmen, dass eine bestimmte ökonomische Theorie diesen Markt zutreffend beschreibt, verhalten sie sich in höherem Maße gemäß dieser Theorie, und so tendiert das Marktverhalten dann eher zu dem in der Theorie beschriebenen Verhalten. Manch ein Markt, vor allem in der Finanzwelt, könnte ohne eine Theorie, die ihn erklärt und ihm Regeln gibt, gar nicht existieren: Die gehandelten Finanzprodukte sind so komplex, dass ein Trader ohne eine Theorie (oder deren Manifestation als Computermodell) überhaupt nicht beurteilen könnte, ob sie billig oder teuer sind.

Wenn Ökonomen die Kluft zwischen ökonomischen Theorien und menschlichem Verhalten in der realen Welt sehen, besteht ihre Lösung in vielen Fällen darin, die Welt entsprechend zu ändern, und nicht etwa die Theorie.*

* Vielleicht kennen Sie ja diesen Witz. Ein Ökonom ist jemand, der fragt: »Das ist ja in der Praxis alles ganz schön und gut, aber wie funktioniert es in der Theorie?«

 

Der Ökonom Richard Thaler hat 2017 den Wirtschaftsnobelpreis gewonnen, für seine Arbeit, die zu der Nudge-Idee führte.

Nudge-Ökonomen wollen das Umfeld verändern, in dem wir Entscheidungen treffen, um uns dazu zu bringen, uns so zu entscheiden, wie der homo oeconomicus sich entscheiden würde. Sie wollen erreichen, dass wir uns entsprechend der ökonomischen Theorie verhalten, obwohl wir überhaupt nicht so denken. Dieser Ansatz, der unser Entscheidungsumfeld »idiotensicher« machen will, geht davon aus, dass die meisten von Menschen getroffenen Entscheidungen jenen des roboterhaften homo oeconomicus unterlegen sind, jedenfalls nie überlegen. Die Ökonomen unterstellen, dass wir uns wie der homo oeconomicus entscheiden würden, wenn denn nur unsere fehlerträchtige Natur das zuließe.

Das bringt uns zu einer direkteren Methode, wie die Ökonomik das Wetter machen, den Zeitgeist beeinflussen kann. Sie bietet uns Orientierung, eine Sammlung von Regeln für unser Leben, die zu befolgen uns empfohlen wird.

Manchmal sind diese Regeln etwas sonderbar.

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