Die drei industriellen Revolutionen
Einleitung 1979
§ 1 Unsere täglichen Esser gib uns heute
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Im Jahre 1956 habe ich dem ersten Bande den Untertitel <Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution> mitgegeben.
Das war damals bereits eine Untertreibung gewesen. Denn wenn man, statt (was ebenso seicht wie üblich ist) das Kriterium für die Unterscheidung der Revolutionen in die Verschiedenheit der Energiequellen (Wasser, Dampf etc.) zu verlegen, diese philosophisch definiert, dann ist die folgende Zählung geboten:
Von einer wirklichen "industriellen Revolution", also von der ersten, kann erst in demjenigen Augenblick gesprochen werden, in dem man damit begann, das Prinzip des Maschinellen zu iterieren, das heißt: Maschinen, oder mindestens Maschinenteile, maschinell herzustellen. Seit diesem Moment, dessen Datierung nicht von Belang ist, hat sich diese Iteration rapide potenziert. Denn nun ist die Herstellung von Maschinen durch Maschinen kein Ausnahmevorkommnis mehr, sondern die Regel.1)
Der Mechanismus unseres Industriekosmos besteht nun aus der (durch Produkte, und zwar Produktionsmittel, bewerkstelligten) Herstellung von Produkten, die ihrerseits als Produktionsmittel auf Herstellung von Produkten abzielen, die ihrerseits ... u.s.f. — bis eine jeweils letzte Maschine Finalprodukte auswirft, die keine Produktionsmittel mehr sind, sondern Konsummittel, das heißt: solche, die durch ihr Gebrauchtwerden verbraucht werden sollen, wie Brote oder Granaten.
Nur am Anfang dieser Produktionsketten (als Erfinder oder Handwerker) und an deren Ende (als Verbraucher) stehen Menschen. Aber selbst von diesen Finalprodukten zu behaupten, daß sie ausschließlich Produkte, keine Produktionsmittel seien, ist unerlaubt.
Denn auch diese letzten sollen ja — die Iteration kennt keine Unterbrechung — durch ihr Verbrauchtwerden wiederum etwas produzieren: nämlich Situationen, in denen eine, wiederum maschinelle, Erzeugung weiterer Produkte erforderlich wird. In solchen Fällen sind es nicht eigentlich die Produkte selbst, die als Produktionsmittel figurieren, sondern unsere Konsumakte — eine wahrhaftig beschämende Tatsache, da sich nun ja unsere, der Menschen, Rolle darauf beschränkt, durch den Produktekonsum (für den wir überdies noch zahlen müssen) dafür zu sorgen, daß die Produktion in Gang bleibe.2)
Nicht: "Unser täglich Brot gib uns heute", heißt es in einem molussischen Aphorismus, würden wir, wenn wir ehrlich wären, heute beten, sondern: "Unseren täglichen Hunger gib uns heute" — damit die Brotfabrikation täglich gesichert bleibe. Sofern das heute fällige Gebet überhaupt noch aus unserem menschlichen Munde kommt, da es ja eigentlich die Produkte sind, die beten. Nämlich: "Unsere täglichen Esser gib uns heute."
In der Tat trifft dieser molussische Aphorismus auf 99 % aller Produkte durchaus zu. Denn die meisten Produkte — selbst kaum artifiziell zu nennende, wie die Butter, die sich in Butterbergen auftürmt und ihre Bekömmlichkeit beteuert — hungern nach Konsumiertwerden, da sie nicht ohne weiteres mit einem ihnen entgegenkommenden menschlichen Hunger rechnen können oder dürfen. Damit sie auf ihre Rechnung kommen, das heißt: damit die Produktion in Gang bleibe, muß ein weiteres Produkt (eines zweiten Grades) erzeugt und zwischen Produkt und Mensch gezwängt werden, und dieses Produkt heißt "Bedarf".
Aus unserer Perspektive formuliert: Um Produkte konsumieren zu können, haben wir es nötig, diese zu benötigen. Da uns aber dieses Benötigen nicht (wie der Hunger) "in den Schoß fällt", müssen wir es produzieren; und zwar mittels einer eigenen Industrie, mittels eigener zu diesem Zwecke maschinell produzierter Produktionsmittel, die nun Produkte dritten Grades sind. Diese Industrie, die den Hunger der Waren nach Konsumiertwerden und unseren Hunger nach diesen auf gleich bringen soll, heißt "Werbung" 3) Man produziert also Werbemittel, um das Bedürfnis nach Produkten, die unser bedürfen, zu produzieren; damit wir, diese Produkte liquidierend, den Weitergang der Produktion dieser Produkte gewährleisten.
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§ 2 Das Gekonnte ist das Gesollte
Aber was durch die Erzeugung von menschlichen Bedürfnissen gestillt werden soll, sind nicht nur die Bedürfnisse der Produkte (nach Käufern), sondern auch die der Produktionstechnik, da diese pausenlos verlangt, daß all das gemacht werde, was auf ihrem Stande jeweils gerade machbar ist. Ich sage: "verlangt", weil heute — dies ist die fixe Idee der dritten industriellen Revolution — das Mögliche durchweg als das Verbindliche, das Gekonnte durchweg als das Gesollte akzeptiert ist.
Von der Technik gehen die moralischen Imperative von heute aus; und diese lassen die moralischen Postulate unserer Vorväter, nicht nur die der Individual-, sondern auch der Sozialethik, als lächerlich erscheinen. Tatsächlich werden diese Imperative strikt befolgt, "Abtreibung" von Produkten (solchen, die möglich, technologisch gesehen: "unterwegs", sind) ist aufs strengste verpönt — was zur Folge hat, daß nun tausend Dinge das Licht der Welt erblicken, tausend "Odradeks" (so hatte Kafka bekanntlich einen von ihm erfundenen, bewandtnislosen Gegenstand genannt), die keinem menschlichen Bedürfnis entgegenkommen, nicht nur keinem sogenannten "natürlichen" (die ja ohnehin nur einen winzigen Bruchteil in dem wachsenden und sich wandelnden System der menschlichen Bedürfnisse ausmachen), sondern auch keiner artifiziellsten Nachfrage.4)
So hat man z.B., um das Bedürfnis der Technik zu befriedigen, also um das Machbare zu machen, Waffen hergestellt, die den mehrfachen Untergang der Menschheit ermöglichen — einen Zustand also, nach dem nicht nur kein Bedarf besteht, sondern keiner bestehen kann, nein, der jeden Fortbestand der Industrie (und nicht nur deren) ausschließt. Nun gilt aber nicht nur, daß alles Machbare gesollt ist, sondern auch, daß jede dem Gemachten zugedachte Verwendung auch wirklich durchgeführt werden soll; nicht nur, daß keine Waffe je erfunden worden ist, die nicht auch effektiv hergestellt worden wäre; sondern daß auch keine je hergestellt worden ist, die nicht auch effektiv eingesetzt worden wäre.5)
Nicht nur ist das Gekonnte das Gesollte, sondern auch das Gesollte das Unvermeidliche. Und das ist nicht nur eine Regel, sondern ein Postulat, das lautet: "Laß nichts Verwendbares unverwendet!"
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"Verwendet" sind auch diejenigen von A produzierten Waffen, deren Einsatz in Bedrohung bzw. Erpressung besteht, die aber den virtuellen Gegner zur Waffenverbesserung seinerseits zwingt, auf die A nun wiederum mit der Herstellung "noch besserer" Waffen reagieren muß. Seit 1945 haben die Vereinigten Staaten die Sowjetunion benötigt, um diese Lizitierung durchzuführen und dadurch die Steigerung der eigenen Waffenproduktion aufrechtzuerhalten. Wenn es die Sowjetunion nicht gegeben hätte, die Vereinigten Staaten hätten sie erfinden müssen.
Tatsächlich ist diese absurde Verwendung der Produkte bereits so selbstverständlich, daß in den USA zuweilen Empörung darüber ausbricht, daß von ihr hergestellte und verkaufte Waffen vom Käufer auch wirklich verwendet werden. Das effektive Aufbrauchen durch Benutzung gilt heute schon nicht mehr als up to date, liquidiert sollen Produkte heute dadurch werden, daß sie durch neue Modelle überholt werden. Tatsächlich gibt es ja schon — Absurderes könnte sich kein Science Fiction-Autor ausdenken — Waffenverkäufer, die ihre Waffen mit der Auflage verkaufen, daß sie nicht als "Angriffswaffen" verwendet werden.
§ 3 Die Varianten des "prometheischen Gefälles"
Und, um ein zweites "Odradek"-Beispiel anzuführen: Man baut heute Computer, die in einer Sekunde nicht nur 1000 mal mehr Daten auswerfen können als 1000 Arbeiter in 1000 Stunden das könnten, sondern auch 1000 mal mehr als 1000 Menschen in 1000 Stunden verwenden könnten. Jenes "prometheische Gefälle", mit dessen Darstellung ich vor 25 Jahren den ersten Band eröffnet hatte: das zwischen dem Maximum dessen, was wir herstellen können und dem (beschämend geringen) Maximum dessen, was wir vorstellen können, ist nun sogar zu einem Gefälle geworden zwischen dem, was wir herstellen, und dem, was wir verwenden können.
Hektisch suchen wir für diese Produkte nach raisons d'etre, verzweifelt jagen wir nach Fragen, die den Antworten, die wir bereits haben, nachträgliche Legitimierung verschaffen könnten; und unermüdlich produzieren wir, um diese neue Aufgabe (nämlich die, neue Aufgaben zu finden) zu erfüllen, neue Produkte.
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In der Tat können wir unserem "prometheischen Gefälle" nun eine dritte Version geben. Denn dieses besteht nun zwischen dem Maximum dessen, was wir herstellen können, und dem (beschämend geringen) Maximum dessen, was wir bedürfen können. Jawohl, wie widersprüchlich das auch klingen mag: "bedürfen können". Denn die Menschheit befindet sich in der Lage jenes zum Tode Verurteilten in Tausendundeiner Nacht, dem man mitteilte, er würde begnadigt werden, wenn er 100 Brote, die man ihm vorlegte, verzehren würde. Auf 100 Appetit zu haben, war er natürlich außerstande, und das hatte seine Folge. — Nur daß heute wir selbst es sind, die sich die 100 Brote vorlegen; und die versagen. Unmetaphorisch: Unsere heutige Endlichkeit besteht nicht mehr in der Tatsache, daß wir animalia indigentia, bedürftige Lebewesen, sind; sondern umgekehrt darin, daß wir (zum Bedauern der untröstlichen Industrie) viel zu wenig bedürfen können — kurz: in unserem Mangel an Mangel.
§ 4 Die dritte Revolution
Nun, in diesem Stadium, in dem Bedürfnisse produziert werden müssen, sehe ich das der zweiten industriellen Revolution. Aber diese Umwälzung, die bereits im vorigen Jahrhundert eingesetzt hatte, ist durchaus nicht die letzte; und sie war auch schon damals, als ich am ersten Band arbeitete, nicht die letzte gewesen. In der Tat hatte ich ja auch damals schon im abschließenden Essay eine, durch ein neues Gerät herbeigeführte, weitere Revolution behandelt, eine, deren Beginn damals bereits zehn Jahre zurücklag und die eine so spektakuläre Verwandlung des Geschicks der Menschheit mit sich gebracht hat, daß es schon damals angemessener gewesen wäre, von einer Revolution sui generis, also von einer "dritten industriellen Revolution", zu sprechen.
Das spektakuläre Produktionsmittel, von dem ich spreche, ist natürlich dasjenige, das die Menschheit zum ersten Male dazu instandgesetzt hat, ihren eigenen Untergang zu produzieren, also die Atombombe. Dieser nachzusagen, daß sie uns dazu "instandsetze", ist freilich ein Understatement, sogar, wie man in Amerika sagt: das "Understatement of the Century" eben aus dem vorhin dargelegten Grunde: deshalb, weil es zum Wesen unserer technischen Existenz gehört, daß wir dasjenige, was wir erzeugen können, nicht nur nicht nicht-erzeugen können oder dürfen, sondern auch, weil wir das Erzeugte nicht nicht-verwenden können oder dürfen.
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Da dem so ist, leben wir — und das bereits seit dreißig Jahren — in einem Zeitalter, in dem wir (was wir nicht kennen, ist allein der Zeitpunkt) die Produktion unseres eigenen Unterganges pausenlos betreiben. Wenn das kein Kriterium für ein neues Stadium der industriellen Revolution, also für die dritte industrielle Revolution, ist, dann weiß ich nicht, worin man ein solches Kriterium suchen sollte.
Nicht also, weil sie physikalisches Novum ist — das ist sie auch —, ist die Kernkraft das Symbol der dritten industriellen Revolution, sondern deshalb, weil ihr möglicher oder wahrscheinlicher Effekt — was von keinem früheren menschlichen Effekt je hatte behauptet werden können — metaphysischer Natur ist.
"Metaphysisch" nenne ich den Kernkraft-Effekt deshalb, weil das Beiwort "epochal" noch das Weitergehen der Geschichte und die Nachfolge weiterer Epochen als Selbstverständlichkeit unterstellt — eine Unterstellung, die uns Heutigen eben nicht mehr erlaubt ist. Die Epoche der Epochenwechsel ist seit 1945 vorüber. Nunmehr leben wir in einem Zeitalter, das nicht mehr eine vorübergehende Epoche vor anderen ist, sondern eine "Frist", während derer unser Sein pausenlos nichts anderes mehr ist als ein "Gerade-noch-sein".
Die Obsoletheit Ernst Blochs, der sich dagegen sträubte, von dem Ereignis Hiroshima auch nur Kenntnis zu nehmen, hat in seinem, beinahe auf Trägheit hinauslaufenden, Glauben bestanden, wir lebten noch immer in einem "Noch-nicht", das heißt: in einer, dem Eigentlichen vorangehenden, "Vorgeschichte". Auch nur einen Moment nicht zu hoffen, dazu konnte er sich nicht aufraffen. Gleichviel, unser Zeitalter ist und bleibt, ob es nun endet oder weiterwährt, das letzte, weil die Gefahr, in die wir uns durch unser spektakuläres Produkt gebracht haben, und die nun das endgültige Kainszeichen unserer Existenz geworden ist, niemals aufhören kann — es sei denn durch das Ende selbst.
Diese dritte Revolution ist also die letzte. Mehr möchte ich über sie hier nicht aussagen. Deshalb nicht, weil ich sie in den letzten 20 Jahren bis zum Überdruß abgehandelt habe. In diesem Bande wird sie daher auch nicht mehr aufscheinen.
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§ 5 Die internen Revolutionen. Homo creator und homo materia
1. Nach dieser Kennzeichnung des dritten Stadiums als eines endgültigen und unüberwindbaren haben wir auf weiteres Zählen von Revolutions-Stadien zu verzichten. Und zwar deshalb, weil die Revolutionen, die seither die Menschheit erschüttert haben — und es gibt deren schon mehrere, und gewiß werden noch weitere folgen —, wie spektakulär sie auch sein mögen, doch innerhalb des dritten Stadiums stattfinden. Wenn dieses dritte Stadium nicht eingetreten wäre, dann dürften, nein: müßten wir die Umwälzungen, denen ich mich nun zuwenden werde, als vollgültige Revolutionen einstufen. Ich denke vor allem an zwei: an die ungeheuerliche Tatsache, daß der Mensch sich in einen "homo creator" hat verwandeln können; und an die nicht minder unerhörte, daß er sich selbst in Rohstoff, also in einen "homo materia" verwandeln kann.
Mit dem Titel "homo creator" meine ich die Tatsache, daß wir imstande sind, richtiger: uns instandgesetzt haben, aus Natur Produkte zu erzeugen, die nicht (wie das aus Holz gebaute Haus) in die Klasse der "Kulturprodukte" gehören, sondern in die der Natur. In der Tat dürfen wir von "zweiter Natur" sprechen, ein Ausdruck, der bisher nur metaphorisch benutzt worden war, heute aber in unmetaphorischem Sinne verwendet werden darf, da es nun Naturvorgänge und -stücke gibt, die es, ehe sie von uns geschaffen wurden, nicht gegeben hatte.
Nun, daß neue Varianten von Pflanzen oder Tieren gesteuert werden können, das ist ja keine Neuigkeit. Da die Exemplare der gezüchteten Kunstarten lebendige Wesen sind, die in die Botanik oder die Zoologie gehören, darf man behaupten, daß schon in diesen Fällen durch die techne physis hergestellt wurde; und auch diese Naturwesen waren, da sie von der Natur nicht "vorgesehen" waren, spektakulär. Und doch, wir benutzten das Wort "Variante", da es sich stets um Variationen über, von der Natur vorgesehene, Themen gehandelt hat. Von einer "Revolution" dürfen und müssen wir aber in demjenigen Augenblicke sprechen, in dem die Phase des Nur-Variierens verlassen wird. Und das ist heute der Fall.
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Denn was heute erfunden und durch Technik hergestellt werden kann, ist Seiendes, das keine Spielart eines vorgegebenen Themas ist, sondern, um im Bilde zu bleiben, ein neues Thema darstellt. Ich denke da z.B. an die Elemente 93 und 94 — Element 94 ist das Plutonium, das es bis vor kurzem "nicht gegeben" hat, und das erst durch den Eingriff des wahrhaft "gottgleichen" Menschen, nämlich durch die Bearbeitung von U 238, im Umkreis des Seienden, im Umkreis der Natur aufgetaucht ist. (Und zwar als das fürchterlichste Gift, das es nun in der Natur gibt.)
Es ist ein Produkt, das im Moment seines Hergestelltseins als "novum" zur Natur gehört; also nicht nur Natur "bleibt", wie jedes andere menschliche Produkt, ob dieses nun ein vermodernder Tisch oder ein brennendes Rembrandt-Gemälde ist. Aber nicht nur die Welt ist durch diese Möglichkeit der Herstellung von "Novitäten" revolutionär verändert, sondern auch der Mensch, da dieser dadurch aus dem Status des "homo faber" in den des "homo Creator" aufgerückt ist — und wenn das keine Revolution ist, dann weiß ich nicht, was dieses Wort bezeichnet. Daß auch diese Revolution, nicht anders als die apokalyptische, die uns instandsetzt, die Welt zu zerstören, in der Werkstatt der Atomphysik ihren Ausgang genommen hat, das ist gewiß kein Zufall.
2. Die Verwandlung des Menschen in Rohstoff hat wohl (wenn wir von Kannibalen-Zeiten absehen) in Auschwitz begonnen. Daß man aus den Leichen der Lagerinsassen (die selbst bereits Produkte waren, denn nicht Menschen wurden getötet, sondern Leichname hergestellt) gewiß die Haare und die Goldzähne, wahrscheinlich auch das Fett entnahm, um diese Stoffe zu verwenden, das ist ja bekannt. Ebenso, daß die amerikanischen Soldaten mit japanischen Goldzähnen aus dem Pazifik heimkehrten: mit eigenen Augen habe ich Beutel voller Zähne gesehen, die GI's zeigten mir diese — ich weiß, wie unglaubhaft das klingt: arglos. Arglos eben deshalb, weil es ihnen selbstverständlich war, in der Welt einen Rohstoff zu sehen, und ebenso selbstverständlich, dieser Welt eben auch die japanischen Mitmenschen zuzurechnen (die man freilich vorher durch systematische Diffamierung zu "Affen" degradiert hatte).
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3. Aber diese Art von Verwendung des Menschen als wertvoller Rohstoffquelle ist gottseidank eine Ausnahme-Erscheinung geblieben. Viel häufiger und ungleich charakteristischer sind diejenigen Aktionen, in denen Menschen aus Menschen nicht einfach toten Stoff herstellen, sondern etwas selbst Lebendiges. In der Tat kann man sagen, daß in diesen Fällen der "homo creator" und der "homo materia" zusammenfallen — wobei freilich "creator" und "materia" personell niemals koinzidieren, vielmehr der Eine als "creator" fungiert, der Andere als "materia".
Natürlich muß erst einmal eingeräumt werden, daß es rechtmäßige Aktionen gibt, durch die Menschen verändert werden: nämlich erzieherische, die sogar im besten Falle den behandelten Menschen erst zu dem machen, was man einen "richtigen Menschen" nennt. Von dieser Verwandlung ist hier nicht die Rede. Aber auch dieser Fall muß erwähnt werden, weil es schwer ist, auszumachen, wo Erziehung aufhört und Drill anfängt, also wo auf "unmenschliche" Art aus Menschen konditionierte Menschen gemacht werden. Und auch von diesen kann nur mit Vorbehalt behauptet werden, daß sie "unmenschlich" seien, da ja, wie Anthropologie und Ethnologie zeigen, die künstliche, mehr oder minder gewaltsame Veränderung der Menschen in "konditionierte" Wesen sowohl zum Wesen der (angeblich) "primitivsten" wie der modernsten Gesellschaft gehört, und nicht nur das, sondern Gesellschaft überhaupt erst möglich macht.
Gleichviel, die Konditionierung, die ich im Auge habe, ist ungleich radikaler, da sie sich nicht damit zufriedengibt, Lebewesen zu verändern, sondern aus Lebewesen andere Lebewesen zu erschaffen. In gewissem Sinn ist das bereits Usus, denn künstliche Inseminierung von ("Banken" entnommenem) Sperma wird ja heute nicht nur in der Viehhaltung, sondern auch schon bei Menschen ausgeübt — letzteres sogar mit Recht, dann nämlich, wenn natürliche Insemination aus welchen Gründen immer nicht möglich ist.
Aber diese Manipulierung ist im Vergleich mit dem, was heute droht, ganz harmlos, da ja die "Produkte", auf die man inseminierend abzielt, nicht, dem Plutonium analog, "Wesen sind, die es nicht gibt", sondern normale Menschen; und künstlich allein der Weg bzw. der Umweg ist, der zum normalen Ziel führt. Durch künstliche Besamung im Mutterleibe sich entwickelnde Embryonen werden normale Menschen.
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Aber mit dieser Künstlichkeit bescheidet man sich heute nicht mehr. Und damit komme ich zu einer Herstellungsart, die in der Tat als Novum in der Typologie menschlicher Produktionsarten und als eine weitere "industrielle Revolution" eingestuft werden müßte, wenn wir nicht, wie wir vorhin gezeigt hatten, von der weiteren Zählung von Revolutionen Abstand nehmen müßten.
Ich spreche von dem sogenannten "Cloning", von der Gen-Manipulierung; das heißt: von der Möglichkeit, neuartige, "unerhörte" und nicht vorgesehene Arten und Spezies, oder sogar Duplikate von bestehenden Individuen, herzustellen. Ob bereits das cloning von menschlichen Genen durchgeführt worden ist, ist mir unbekannt. Aber da wir wissen, daß der heutige Imperativ lautet: "Was man kann, das soll man" bzw.: "Das Machbare ist verbindlich", ist das bisher nur Mögliche als atemberaubendes Omen bereits gegenwärtig.
Bisher waren Lebewesen nur innerhalb der allen Spezies ohnehin freistehenden Variationsbreite verändert worden. Das gilt auch von den (z.B. nationalsozialistischen) Versuchen, den physiologischen Typ von Menschen zu verändern, wie sie glaubten: zu verbessern (Züchtungsaktion "Lebensborn"). Oder was verändert wurde, war nicht der Typ des Lebewesens, sondern die (umwegige) Methode der Reproduktion, eben durch artificial insemination.
Dazu kommt, daß die an Menschen durchgeführten Verwandlungen zumeist keine der Physis6) gewesen sind, sondern der Psyche, und daß diese ihrem Wesen nach "plastisch" modellierbar, also nicht nur lern- und erfahrungs- und bildungsfähig, sondern -bedürftig ist; von sich aus nicht nur die passive Möglichkeit des Verwandeltwerdens in sich trägt, sondern auf Verwandlung aus ist. Im Unterschied dazu versuchen die heutigen "cloners", den physiologischen Typ von Lebewesen zu verändern.
Das heißt entweder: von der Natur nicht "vorgesehene" Wesen zusammenzubrauen, von denen man nicht mehr würde (oder wird) ausmachen können, ob man sie noch bekannten Spezies zurechnen dürfte; oder solche, die die Einmaligkeit der Individuen aufheben, da sie lebendige Replika (gewissermaßen "Zwillinge", um nicht zu sagen: "Illinge") anderer Individuen sein würden. Während der Atomkrieg die Vernichtung der Lebewesen inclusive der Menschen bedeutet, bedeutet das "cloning" die Vernichtung der Spezies qua species, unter Umständen die Vernichtung der Spezies Mensch durch Herstellung neuer Typen.
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Die Frage der philosophischen Anthropologie nach dem "Wesen des Menschen", mit der wir heute Achtzigjährigen aufgewachsen waren (Scheler), und die auch ich noch aufgenommen hatte, freilich bereits, um sie radikal mit der Antwort: "Das Wesen des Menschen besteht darin, daß er kein Wesen hat" zu verwerfen,7) diese Frage könnte einmal, wenn der Mensch als Rohstoff ad libitum benutzt werden würde, vollends sinnlos werden.
Wie naiv man doch gewesen war, als man die Gegenposition gegen die biblische Ebenbild-These in einer Evolutionstheorie sah! Wie harmlos und human war doch der Darwinismus gewesen, da er die "Unmenschlichkeit" nur in die Vorgeschichte des Menschen verlegt hatte, verglichen mit der Gen-Manipulation, die Unmenschliches erzeugen könnte, und zwar durch die Herstellung von Wesen, die die "Ebenbilder" oder Kopien von aus politischen, ökonomischen oder technischen Gründen wünschenswerten Typen wären!
Und auch dann, wenn die Produkte, die man herzustellen versuchte, nicht untermenschliche Wesen wären, sondern "übermenschliche" (was sich Techniker so als "übermenschlich", als superman-haft vorstellen), wenn man also z.B. "creative beings" (das verbale Ideal in den Ländern der Schabionisierung), Musik- oder Mathematikgenies zusammenbrauen würde — auch dann wäre das Sakrileg am Menschen nicht geringer, als wenn man das Wunschbild eines halb-äffischen Maschinenwärters verwirklichen würde.
Zurück zu unserem Hauptthema der "industriellen Revolution". Um eine solche handelt es sich deshalb, weil der Manipulator den Menschen, den seine Vorfahren nur in fünf Rollen: in der Rolle des Eigentümers, des Erfinders, des Arbeiters, des Verkäufers und des Konsumenten gekannt hatte, nunmehr als bloßen, und zwar physiologischen, Rohstoff behandelt. Als Rohstoff für die Produktion neuartiger Produkte oder Produktionsmittel.
§ 6 Postzivilisatorischer Kannibalismus
Jener Text, der für die Besten unserer Generation verbindlicher gewesen und geblieben ist als jeder andere: jener Kants, der besagt, daß kein Mensch jemals "bloß als Mittel", also als Werkzeug, also als Sklave, gebraucht werden dürfe, der ist heute bereits antiquiert.8)
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Und das nicht deshalb, weil es solche, im wahrsten Sinne des Wortes "Vermittelung" des Menschen, also Sklaverei, nicht mehr gäbe (das Gegenteil beweisen hunderte von Konzentrations- und Arbeitslagern zwischen Santiago und Wladiwostok), sondern deshalb — und das macht das Wesen oder Unwesen des hier zur Rede stehenden Stadiums der "industriellen Revolution" aus — weil eben das, was mittlerweile eingetreten ist, die Verwendung des Menschen als Rohstoffes, die von Kant verbotene Verwendung des Menschen als Mittels oder als Werkzeuges in den Schatten stellt und geradezu als human erscheinen läßt.
Das, was im Verlauf der Geschichte der mechanistischen Naturwissenschaften vor sich ging: daß nämlich, da Ausnahmen dem Prinzip widersprochen hätten, auch der Mensch als Maschine ("homme machine") verstanden wurde, das wiederholt sich heute auf anderer Ebene: Da die Welt prinzipiell als Rohstoff gilt, muß auch das Weltstück "Mensch", damit das Prinzip nicht verletzt werde, als solcher behandelt werden. Und "behandelt" nicht nur im theoretischen Sinne, sondern auch im praktischen (wenn nicht sogar die praktische Behandlung der theoretischen vorausgeht).
Daß dieses Stadium — man darf es wohl das des "postzivilisatorischen Kannibalismus" nennen — so spektakulär ist, daß es als "Industrielle Revolution" sui generis anerkannt werden dürfte, wird wohl niemand bestreiten. Wenn wir das nicht tun, so eben aus dem Grunde, den wir oben angegeben hatten: weil sich diese Revolution innerhalb jener dritten Revolution abspielt, die als "Frist" die letzte ist.
§ 7 Die Welt ist "overmanned"
Die 4. "Binnenrevolution" — und diese werde ich im Folgenden ausführlich behandeln — ist der Trend, den Menschen, wie absurd das auch klingen mag, — überflüssig zu machen: dessen Arbeit nämlich durch den Automatismus von Geräten zu ersetzen; einen Zustand zu verwirklichen, in dem zwar nicht niemand, aber doch — denn es handelt sich natürlich um einen asymptotischen Prozeß — so wenig Arbeiter wie möglich erforderlich sind.
Sehr bewußt spreche ich von einem "Trend" und nicht von einer "Tendenz", weil natürlich niemandem unterstellt werden kann, auch keinem Rationalisierung fanatisch betreibenden Unternehmer, daß er das Ziel verfolge, Menschen arbeitslos zu machen.
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Worauf heutige Unternehmer aus sind, und das nicht nur in der kapitalistischen Welt, ist nicht Arbeitslosigkeit des Arbeiters, sondern Arbeiterlosigkeit ihrer Betriebe. Laut "Spiegel" (17.04.78) prahlt heute bereits der japanische Konzern Kawasaki mit einer "unmanned factory". Nicht zufällig erinnert dieser Ausdruck an militärische Anlagen, die ja immer und in jeder Hinsicht, also auch in der der Rationalisierung, den friedlichen Industrieanlagen voraus sind, und die (wie etwa die "unmanned mine fields" in Vietnam), wenn sie erst einmal installiert sind, Soldaten-, also arbeiterlos, funktionieren. — Gleichviel, daß im Effekt Arbeiterlosigkeit auf Arbeitslosigkeit herausläuft, das läßt sich natürlich nicht durch die von uns gemachte Unterscheidung vertuschen.
Es wäre tatsächlich an der Zeit, einen "WQ", sprich: "workers quotient" einzuführen, der den Prozentsatz der Arbeiter auszudrücken hätte, der benötigt wird, damit das Leben von 100 gewährleistet sei; oder sagen wir: gewährleistet bleibe, da wir unter "Leben" hier natürlich nicht das nackte Physisch-gerade-überleben verstehen dürfen, sondern dasjenige Dasein, in dem das ganze, zur zweiten und dritten Natur gewordene, System der künstlichen Bedürfnisse erfüllt wird, und zu dem sogar auch der, das heutige Leben mitdefinierende, konstante Anstieg der Lebensansprüche und der Lebensqualität gehört. Unsere These lautet natürlich: "Der WQ in hochindustriellen Ländern sinkt stetig (asymptotisch) in Richtung Zero ab." Jeder Betrieb in diesen (um nicht geradezu zu sagen: die Welt) ist, wie der amerikanische Terminus lautet: "overmanned".'
Es ist ein Wesensmerkmal der "Rationalisierung" genannten Phase der industriellen Revolution, daß diese uns als homines fabros liquidiert; daß sie einen Zustand herbeiführt, in dem Arbeit von Tag zu Tag rarer und unüblicher wird; in dem diese, weit entfernt davon, als Fluch zu gelten — darin hat die Bibel heute total unrecht —, als Anrecht beansprucht und als Privileg einer von Tag zu Tag schmaler werdenden Elite reserviert werden wird.
Was den meisten von uns ins Haus steht, ist also eine Existenz ohne Arbeit — womit ich (unterstellt selbst, unsere Lebensqualität würde dadurch nicht tangiert) ein höllisches Dasein meine. "Höllisch" deshalb, weil wir um eine der stärksten und wichtigsten und beliebtesten Lüste, nämlich um die (angesichts der Arbeitsmühe zumeist übersehene) "voluptas laborandi" betrogen sein werden.
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Tatsächlich versucht man schon seit langem, diese voluptas, deren libido-Energie irgendwie gestillt werden muß, durch andere, auch nicht gerade unbeliebte Wollustarten zu ersetzen.10) Aber daß diese Ersetzung gelingen werde, das bezweifle ich.
In akademischer Sprache: Die klassische Gleichung, an die meine Generation noch vor fünfzig Jahren geglaubt hatte, die von Freizeit und Freiheit, die auch heute schon kaum mehr gilt, wird dann vollends unwahr sein. Umgekehrt wird die Freizeit, also das Nicht-arbeiten, als Fluch empfunden werden. Und anstelle des berühmten Fluch-Satzes (Gen. 3. Kap. 14) wird es dann heißen müssen: "Auf deinem Hintern sollst du sitzen und TV anglotzen dein Leben lang!"
Wenn (was ich glaube) der Trend der Rationalisierung unaufhaltbar ist, dann gibt es nichts Unzeitgemäßeres als die (hie und da bereits bemerkbare) Tendenz, diesen Trend aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen: also Tätigkeiten, die bereits durch Maschinen oder Automaten ausgeführt werden können, oder sogar schon werden, zurückzuerobern — kurz: Dinge durch Menschen rückzuersetzen, z.B. mechanische Fahrscheinentwerter durch archaische Schaffner.
Das Wort "Selbst-verdingung" (das nicht dasselbe bezeichnet wie "Verdinglichung") trifft den Vorgang genau.11) Geradezu kafkaesk ist es, wenn die Arbeiter Arbeiten zurückzuerobern suchen, die in der Erzeugung oder Bearbeitung von extrem modernen Apparatteilen bestehen, von Produkten also, durch die sich die Arbeiter von neuem ersetzbar machen.
Trotz der Absurdität des Kampfes um Wiedergewinnung der bereits von Geräten eroberten Funktionen wäre es aber unangebracht, diesen wegen seines maschinenstürmerischen Charakters als reaktionär oder gar als konterrevolutionär zu verhöhnen. Wer das tut, der beweist damit nur, daß er den (Marxismus und Kapitalismus gemeinsamen, also am weitesten verbreiteten) Aberglauben an die Identität von technischem und sozialem bzw. politischem Fortschritt auch heute noch nicht hat überwinden können. Und wer das heute noch immer nicht kann, der beweist damit nur, wie reaktionär er selbst ist.
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Vor 150 Jahren waren unsere Vorväter, die durch die aufkeimende Industrie konkurrenzunfähig und arbeitslos gemachten Land- und Heimarbeiter, die ersten Maschinenstürmer gewesen. Wir hatten uns eingeredet, daß sie und ihre Nachkommen nach entsetzlichen Übergangsmiseren und Umstellungsverlusten doch irgendwie in die Industrie würden ausweichen und integriert werden können, daß die Zeit maschinenstürmerischer Affekte endgültig hinter uns liege. Das war eine Illusion gewesen.
Die Krise ist mit den Generationen mitgewandert; wir, die Ururenkel, stehen nun vor dem gleichen Dilemma, vor dem unsere Ahnen gestanden hatten. Nach eineinhalb Jahrhunderten der Latenz ist die Krise nun wieder virulent geworden. Wieder ist die Maschine zum Konkurrenten und Feind geworden. Aber nicht genug, daß sie wieder da ist, sie ist diesmal ungleich gefährlicher als damals. Und das nicht nur deshalb, weil die heute oder morgen Betroffenen keine Minorität darstellen werden; sondern vor allem deshalb, weil es diesmal keine Zufluchtsstätten mehr geben wird.
Die Frage, wohin, in welche nicht existierenden und niemals herstellbaren Frei- oder Arbeitsräume die nicht mehr benötigten Massen ausweichen sollen, bleibt offen. Schon heute gibt es, z.B. im Druckereigewerbe, Sturmzeichen von kollektiver Angst; und morgen wird diese Angst, und das mit vollem Recht, zu einer Massenpanik von ungeahnter Stärke anschwellen.
Hohnwörter wie "Maschinenstürmer" in dieser und für diese Situation zu verwenden, gehört sich nicht. Wenn es etwas gibt, was Hohn verdient, so ist es umgekehrt die heutige höhnische Verwendung des Wortes "Maschinensturm". Denn dieser Hohn (den sich neulich ein, den Bau eines Atomreaktors verteidigender, Kanzler erlaubte) ist heute antiquierter als der angeblich antiquierte Maschinensturm selbst.
In Molussien, dessen Vergangenheit bekanntlich voll von futurologischen Anspielungen gewesen ist, hat es in einer ähnlichen Situation, nämlich kurz vor dem Untergang des Reiches, wiederholtermaßen "Muße-Niederlegungen" gegeben, die "negative Streiks" genannt wurden: spontane, mit Fabrikbesetzungen verbundene Massenaufstände des nicht zur Arbeit zugelassenen Proletariats gegen seine "Zwangsfreiheit".
Natürlich brachten diese Versuche, sich der verlorenen Arbeit wieder zu bemächtigen, die Technik und Wirtschaft des Landes total in Unordnung, da händische Arbeit in den Automationsräumen nicht mehr vorgesehen, nein auch technisch gar nicht mehr möglich war ... wozu kam, daß sich die in die Automationen eingefütterten Rohstoffmengen vor den Toren der Fabrikhallen sinnlos auftürmten.
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Natürlich hat die molussische Exekutive in solchen Fällen stets aufs rücksichtsloseste durchgegriffen. Und vieles spricht dafür, daß sie sich dabei neutronenbombenartiger Waffen bedient haben, denn über zerstörte Fabrikanlagen liest man in den Chroniken nichts, wohl aber, und zwar in einem Ton, als seien diese gar nicht so unwillkommen gewesen, von Toten. Und trotzdem, endgültig solche desperaten Rückeroberungsversuche zu verhindern, waren die molussischen Polizeikräfte nicht imstande; die Gesellschaft ist ja in der Tat zusammengebrochen.
Gleich, ob es bei uns zu effektiven Maschinenstürmen kommt oder nicht — morgen wird die Freizeit nicht mehr als das "eigentliche" Leben gelten, sondern als leere Zeit, als nicht zu bewältigender Zeitbrei, als sinnloses Herumvegetieren — und als solche wird sie verhaßt sein. Und diesem Schicksal werden sogar auch die wenigen Begünstigten, die noch werden arbeiten dürfen, nicht entrinnen, selbst während ihres Arbeitens nicht.
Denn auch sie werden der Chance, ihre "cupiditatem atque voluptatem laborandi" zu befriedigen, beraubt sein, da sie sich mit der Rolle von "Automationshirten" werden begnügen müssen: mit Tätigkeiten, die sich vom Nichtstun eigentlich nur noch dadurch, daß sie bezahlt werden, unterscheiden werden. — Dieses Stadium der Arbeit werden wir später ausführlich durchsprechen.
Diese unaufhaltsame Entwicklung in Richtung "leeres Leben" die vor knapp einem halben Jahrhundert, in der Zeit der Welt-Arbeitslosigkeit, angehoben und im Nationalsozialismus ihre blutige Pseudo-Bewältigung gefunden hatte, ist eines der Hauptcharakteristika der in diesem Bande behandelten dritten industriellen Revolution. Da es im Zeitalter der elektronischen Medien keinen Platz mehr gibt, auf dem man nicht informiert bzw. desinformiert werden könnte, richtiger: an dem man dem Zwange, informiert bzw. desinformiert zu werden, entrinnen könnte, also keine Provinz, — gibt es auch keinen Platz, an dem einem nicht von Vulgärphilosophen, Psychoanalytikern, Rundfunkseelsorgern oder von im Selbstwählverfahren telephonisch erreichbaren "automatic consolation tapes" die Ohren mit "Sinnverlust" vollgeplaudert würde. Über dieses angeblich eingetretene Ereignis werde ich mich in meinem Essay über den "Unsinn des Sinnbegriffs" ausführlich auslassen.
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Was ich für um so erforderlicher halte, als es unter den heutigen Sinn-Predigern kaum einen gibt, der sich darauf beschränkte, den Verlust auszuschreien, vielmehr fast alle auch gleich Rezepte feilhalten — je weniger Ätiologie, um so prompter die Ratschläge.
Ausführlich werde ich den Wortschatz untersuchen, dessen sie sich bedienen. Dabei wird es sich herausstellen, daß der Großteil des von ihnen verwendeten Vokabulars aus philosophischen und psychologischen Blechmünzen aus der Zeit vor dem ersten Weltkriege besteht. Offenbar benötigen Bildungsvokabeln, um in die Sprache der Trivialphilosophie und Trivialerbauung abzusinken, viele Jahrzehnte. Da diese Wörter (wie "echt", "Werte", "schöpferisch", "gestalten", "Persönlichkeit", von "heiler Welt" zu schweigen) erst nach ihrem Absinken massenhafte Verbreitung finden, also triumphieren, kann man nicht von "Ladenhütern" sprechen. Ganz "Avantgardistische" benutzen sogar "schon" (in Wirklichkeit um fünfzig Jahre nachhumpelnd) Brocken aus Heideggers "Jargon der Eigentlichkeit".
Unentrinnbar erreichen uns diese Trost- und Erbauungsschwätzer über das Radio. Da sie den angeblichen "Sinnverlust" darüber hinaus als eine "Krankheit" behandeln, also dessen Wurzeln nicht ausgraben wollen und deshalb auch nicht können, sind sie reine Kurpfuscher, von denen ich mich hiermit aufs entschiedenste distanziere. Dieses Buch wird also so wenig "Echtes" oder "Positives" oder "Sinn" oder so wenige "Werte" enthalten wie meine früheren Bücher. Für solche fade Schönwörterei und für Rezepte gegen das angebliche "Sinnloswerden" des Lebens ist die heutige Situation zu ernst. Wer diesem Ernst der Situation durch eigenen Ernst zu entsprechen versucht, der hat auf solche Süßigkeiten zu verzichten.
Aber ehe ich in meinem Essay über den Sinn-Begriff diesen Verzicht artikulieren werde, werde ich in den zwei umfangreichen ersten Essays versuchen, die Kategorienverluste, die wir als Kreaturen der Technokrate durchgemacht haben und durchmachen, im einzelnen darzustellen. Freilich zweifle ich daran, daß uns (und damit meine ich nicht mich persönlich) nach Darstellung der Umwälzung noch Zeit genug bleiben werde, um diese Revolution zu revolutionieren, sie nämlich so zu lenken, daß wir dem in dieser angelegten Untergang entrinnen — denn darum geht es, und nicht um die Behandlung oder Erbauung oder Irreführung von, nach "Sinn" dürstenden, Privatpatienten.
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§ 8 Die Metaphysik der industriellen Revolution
Wir hatten anfangs von der fixen Idee der dritten industriellen Revolution gesprochen: nämlich von der obligatorischen Qualität, die das Machbare angenommen hat; von der Tatsache, daß die ("moralische") Entscheidung darüber, ob ein Produkt erzeugt, ein Effekt ausgelöst werden solle oder nicht, ausschließlich davon abhänge, ob Erzeugung oder Auslösung möglich sei; daß die Nicht-Erzeugung von etwas Erzeugbarem als Skandal gelte und daß nach diesem Kriterium die ("moralische") Qualität der herzustellenden Effekte (und handelte es sich um die mehrfache Auslöschung der Menschheit) nicht eigentlich zähle — kurz: daß kein Preis zu hoch sei.
Diese fixe Idee der dritten industriellen Revolution äußert sich aber noch anders: als skandalös wird nämlich nicht nur die Nicht-Verwertung eines möglichen Rohstoffes betrachtet; nein, sogar die Unterlassung, in etwas Vorhandenem Rohstoff zu erkennen und dieses als Rohstoff zu behandeln. Die Welt gilt als eine auszubeutende Mine.
Nicht nur sind wir dazu verpflichtet, alles Ausbeutbare auszubeuten, sondern auch dazu, die Ausbeutbarkeit, die angeblich in jedem Dinge (auch im Menschen) verborgen liegt, auszufinden. Die Aufgabe der heutigen Wissenschaft besteht also nicht mehr darin, das geheime, also verborgene Wesen oder die verborgene Gesetzmäßigkeit der Welt oder der Dinge aufzuspüren, sondern darin, deren geheime Verwertbarkeit zu entdecken.
Die (gewöhnlich selbst verborgene) metaphysische Voraussetzung der heutigen Forschung ist also, daß es nichts gibt, was nicht ausbeutbar wäre. "Wozu dient der Mond?" (molussisch). Daß er zu etwas dienen müsse, wird keinen Augenblick bezweifelt.
Die Frage nach dem, was als "Welt" angesehen werde — in diesem Sinne hat das dubiose Wort "Weltanschauung" vielleicht seine Berechtigung — ist im Laufe der Geschichte sehr verschieden beantwortet worden, z.B. mit dem Worte "Kosmos" oder mit "Schöpfung" oder "Gegenstand der Erkenntnis" oder "Inbegriff physischer Prozesse".
Stellt man heute die Frage, so kann die Antwort also nur lauten: "Rohstoff". Gemeint ist die Welt also nicht als ein "an sich", sondern als eine "für uns", dies freilich nicht im Sinne des "Idealismus", sofern dieser, grob gesprochen, Welt als Korrelat des Bewußtseins definiert, sondern im Sinne eines, wenn man so sagen darf: "pragmatischen Idealismus", daß Seiendes Korrelat der Verwendung sei.
Freilich ist diese idealistische Pointe oft verschleiert, da wir, wie wir gesehen haben, Weltgegenstände oft nicht unmittelbar "für uns", sondern "für etwas" (was wir verwenden) verwenden. Wozu kommt, daß wir Produkten nachjagen, obwohl wir diese nicht direkt benötigen, nein, obwohl wir deren Verwendbarkeit und unser Bedürfnis nach ihnen noch nicht kennen, diese vielmehr erst erfinden und erzeugen müssen.
"Welt" ist also nicht nur der Inbegriff dessen, woraus sich etwas machen ließe, sondern Inbegriff dessen, woraus etwas zu machen wir verpflichtet sind — wobei unausgesprochen unterstellt wird, daß es, weil nichts sein kann, was nicht sein darf, letztlich nichts gibt, woraus sich nicht etwas machen ließe. Umgekehrt gilt, daß demjenigen, woraus sich nichts machen ließe, Existenz abgesprochen werden muß, daß es, wo es uns im Wege ist, vernichtet werden darf.
Analog zu dem nationalsozialistischen "lebensunwerten Leben" gibt es "existenzunwertes Seiendes". Kurz: Rohstoffsein ist criterium existendi, Sein ist Rohstoffsein — dies ist die metaphysische Grundthese des Industrialismus, von dem nun die einzelnen Essays handeln werden.
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