Start    Weiter

7. Die Arbeit 

 

48-53

Die Namen und die zeitliche Länge der Monate zu ändern, hatte nur einen Nennwert; es nahm die Titelseiten der Zeitungen in aller Welt in Beschlag, führte darüber hinaus aber zu keinen unmittelbaren Konsequenzen. Anders jedoch die Reform der Arbeit, die vorsah, daß jeder einen freien Tag pro Woche hatte, der aber je nach der Stadtzone, in der man wohnte, variierte.

Die Hauptstadt wurde in Zonen eingeteilt, und genauso geschah es mit den anderen Städten des Landes. Immer mußte dabei eine durch 6 teilbare Anzahl herauskommen: eine Stadt mochte also 18 Zonen haben, eine andere 12, und wieder eine andere 24. Die Leute kamen dann zu ihrem freien Tag, ohne daß dadurch — wie in der restlichen Welt — die Stadt für einen Tag völlig paralysiert wurde. 

Hier in unserer neuen Gesellschaft stand der Handel nicht still, funktionierte die Industrie, konnte man jederzeit einen Arzt oder Zahnarzt antreffen, egal, welcher Tag gerade war. Wenn die Zahnärzte in unserer Zone gerade frei hatten, brauchte ich nur in einen anderen Stadtteil zu gehen. Genauso klappte es, wenn man ein Hemd oder ein Paar Schuhe kaufen wollte.

Den Leuten gefiel das sehr. Das war etwas ganz Neues, Seltenes. Das hatte die Anziehungskraft des Unbekannten, nie zuvor Dagewesenen. Nur ein paar skeptische Alte betrachteten das neue System voller Mißtrauen und versicherten einander, daß es nicht funktionieren würde. Die große Mehrheit der Bevölkerung aber verfolgte aufmerksam diese Reform und nahm sie sehr wohlwollend auf.

Größeren Argwohn jedoch erweckte ein anderer Aspekt, der eine grundlegende Veränderung der Arbeit bedeutete. Die dafür zuständige Kommission stützte sich auf Statistiken und Daten der Wirtschaftskommission, als sie eine Arbeitswoche mit flexibler Zeiteinteilung vorschlug. 

 

Jedermann mußte 40 Stunden pro Woche arbeiten (also fünf Arbeitstage, normalerweise zu je acht Stunden); aber man sollte die Stunden so legen dürfen, wie es einem am besten gefiel. Jemand brauchte zum Beispiel nur vier statt fünf Tage zu arbeiten, wenn es ihm gelang, die 40 obligatorischen Stunden in diesen vier Tagen vollzubekommen; in solch einem Fall hatte er dann den freien Tag seines Stadtviertels und zusätzlich einen weiteren freien Tag seiner Wahl.

Die flexiblen Stundenpläne waren in den kleineren Unternehmen mit relativ wenigen Beschäftigten nur schwer zu organisieren. Aber dafür war dies in den großen Unternehmen sehr einfach zu bewerkstelligen — entsprechende Planung natürlich vorausgesetzt: montags kommt die Sekretärin "A" nicht, dienstags hat die Sekretärin "B" frei. In Firmen, wo es nur eine einzige Sekretärin gab, waren diese Veränderungen komplizierter durchzuführen, und man mußte Verschiedenes neu programmieren. Es gab auch Arbeitsplätze, bei denen man darauf bestand, daß die normalen fünf Arbeitstage zu je acht Stunden eingehalten wurden. Nicht jeder hätte übrigens vermutet, daß darüber hinaus gerade die Chefs Schwierigkeiten haben würden, ihren eigenen flexiblen Stundenplan zu organisieren...

Als man das Verhalten der Leute genau beobachtete und registrierte, stellte man fest, daß der Montag und der Freitag die Wochentage waren, an denen am meisten gearbeitet wurde. In der neuen Terminologie waren die Tage "A" und "E" (der Vortag des Feiertages "F") die "aktivsten". Dies versuchte man bei der Planung der flexiblen Stundenpläne zu berücksichtigen. Außerdem gab es ein Zeitintervall, das stärker besetzt war als die übrigen, nämlich die Stunden zwischen 10 und 12 Uhr morgens nach der alten Zeit (respektive "fünf" und "sieben" nach neuer Uhrzeit, weil man ja, wie gesagt, die Zählung mit der Stunde des Sonnenaufgangs, also fünf Uhr morgens der alten Zeit, begann). In diesen zwei Stunden an den Tagen "A" und "E" wurde der größte Teil des Handels, wurden die geschäftlichen Treffen und die meisten Aktivitäten abgewickelt. So daß man auch dies bei der Planung mit in Rechnung stellen mußte.

"Ich persönlich glaube, daß 40 Wochenstunden einfach zuviel sind", sagte Martin auf einer Sitzung der Arbeits-Kommission. "Bei Routinetätigkeiten und entfremdeten Arbeiten — und das sind doch die meisten — sind 40 Stunden Arbeit zuviel. Ein Arbeiter oder eine Sekretärin hat dann für nichts, absolut nichts mehr Zeit, er kann nur noch arbeiten."

Einer der Experten für "time and motion"-Probleme in der Arbeits-Kommission hielt ihm entgegen, daß eine einmal erlernte Routinetätigkeit bei anständigen Beleuchtungsbedingungen und adäquater Technologie keine schwere Arbeit sei, wenig Energie verbrauche, und überhaupt die betreffende Person nicht viele Entscheidungen zu treffen habe ...

49


"Aber was bleibt denn diesem Arbeiter? Was ist das denn für ein Leben, das er da hat? Ein Arbeiter ist nicht mehr als ein Anhängsel der Maschine, die er bedient. Eine Sekretärin ist nichts anderes als ein Anhängsel ihrer Schreibmaschine und ihres Aktenschrankes. Wir wollen freie und autonome Menschen, die wenig arbeiten müssen und viel Zeit haben, um sich ihren Kindern und ihrem Ehepartnerzuwidmen, der geistigen Bildung, den Künsten und der Wissenschaft. Das Ziel ist eine Woche mit zwanzig Stunden, nicht eine mit vierzig!"

"Alle Studien der Wirtschafts-Kommission weisen aber darauf hin, daß das unmöglich ist, Herr Präsident!"

"Ich weiß, ich weiß. Es ist jetzt noch unmöglich. Aber das muß ja nicht für immer so bleiben. Man muß die Produktion erhöhen, und das bedeutet:

mehr arbeiten, und nicht: den Arbeitstag halbieren. Ich weiß, ich weiß. Schließlich habe ich auch den Bericht der Wirtschafts-Kommission gelesen, der mir — nebenbei bemerkt — einen ganzen Haufen Mängel zu haben scheint. Meiner Meinung nach ist die Wirtschafts-Kommission sowieso die schwächste von allen aus der ganzen Nationalen Planung."

"Scheitern wir also an den Wirtschaftsproblemen?" fragte ich schüchtern.

"Wir scheitern an gar nichts! Alles läuft bestens. Und ich dulde weder Kritik noch Tadel. Diese Gesellschaft ist das größte je von Menschen unternommene Experiment. Das größte..."

Der Präsident verstummte, als er mein ernstes und gespanntes Gesicht sah. Ich wollte nicht, daß er seinen Sermon wiederholte, den wir in den vergangenen Jahren schon Dutzende von Malen gehört hatten.

Aber es stand fest, daß einige ausländische Konzerne bereits das Land verlassen hatten und andere mit diesem Schritt drohten. Ein paar reiche Kapitalisten waren geflüchtet, ohne ihre Fabriken noch ihr Geld, das sie im Lande hatten, mitzunehmen. Es war traurig, daß die Menschen die Vorzüge des neuen Systems nicht einsahen und es lieber vorzogen, ins Ausland zu gehen, um dort aus sicherer Entfernung die sozialen Veränderungen zu beobachten, statt sie selbst mit zu tragen.

Aber die Wirtschaft funktionierte und im Bericht der Wirtschafts-Kommission hatte man dieses Phänomen — daß die ausländischen Unternehmen das Land verlassen hatten und daß das nationale Kapital zu flüchten versuchte — wohl berücksichtigt. Der Präsident hatte noch keinen einzigen Erlaß ausstellen lassen, um seine Gegner loszuwerden; wer das Land verlassen wollte, konnte dies ohne Schwierigkeiten tun. Allerdings durfte er weder sein Geld noch sein Unternehmen mitnehmen.

50


"Die Arbeits-Reform ist eine psychologische und wirtschaftliche Angelegenheit", sagte einer der Experten. "Wir stützen uns bei allem auf die Lerngesetze und -prinzipien, um die Arbeiter zu motivieren, sie anzuregen und um ihre Arbeitsleistung zu überprüfen. Uns interessieren dabei die Kräfte, die sie bewegen, etwas zu tun, die extrinsische oder äußere Motivation, wie das Geld, und die intrinsische oder innere Motivation, wie persönliche Befriedigungen. Langfristig ist geplant, die extrinsische zugunsten der intrinsischen zu verringern und zu ersetzen. Obwohl natürlich jeder, wie Sie wissen, etwas zu essen haben muß."

"Die Bezahlung", fuhr ein anderer Experte der Arbeits-Kommission fort, "die Bezahlung wird auf der Basis von Verstärkungsplänen organisiert. Nicht nach Zufall, sondern kontingent. Man wird die gegenwärtig üblichen Pläne oder Programme (die im Prinzip auf festen Intervallen basieren, d.h. daß alle 14 Tage oder jeden Monat Lohn ausgezahlt wird) durch kontingente Programme ersetzen, bei denen das wichtigste Prinzip also ist, daß man um so mehr verdient, je mehr man arbeitet. Man wird die Arbeitsplätze überprüfen und versuchen, sie möglichst attraktiv und vom Arbeitsklima her freundlich zu gestalten. Die Arbeit muß angenehm sein, sie muß für den, der sie macht, Sinn haben. Das Arbeiten muß eine faszinierende Sache sein, es sollte nicht länger lediglich der einzige Ausweg sein, nicht Hungers zu sterben..."

"Auch nicht, um nicht vor Langeweile zu sterben ...", fügte ein anderer Experte hinzu.

,,Genau. Die Menschen arbeiten aus vielen Gründen, und wir werden uns Motivationsprogramme ausdenken, die die positiven Aspekte und Werte der Arbeit herausheben. Ein ganz wichtiger Aspekt ist die emotionale Stütze, die der einzelne von der Gruppe (mit der zusammen er arbeitet) empfängt, denn Arbeiten ist eine soziale Aktivitäten arbeiten mit anderen Menschen zusammen, wir arbeiten für andere Menschen. Und die wichtigsten Anreize für ein menschliches Wesen sind die anderen Menschen, nicht materielle Dinge."

Als ich als Student in den Vereinigten Staaten war, war ich sehr erstaunt über die große Bedeutung, die man in diesem Lande dem Geld beimaß. Offensichtlich arbeiteten die Menschen dort fast ausschließlich um des Geldes willen. Merkwürdigerweise arbeiteten sie aber auch dann noch, wenn sie schon genug Geld hatten. Und experimentelle Untersuchungen der Industriepsychologen zeigten doch, daß das nicht richtig ist, daß die Leute vielmehr aus einer großen Anzahl von Gründen arbeiten, und daß Geld nur einer davon — und gar nicht einmal der wichtigste — ist. Die Menschen arbeiten, um ihrem Leben einen Sinn zu geben, um ihre Zeit zu verbringen, um Bedürfnisse nach Unabhängigkeit, sozialem Status und Erfolg zu befriedigen. 

51


Sie arbeiten, weil sie sich in der Gemeinschaft ihrer Arbeitskollegen wohl fühlen. Sie arbeiten, um von ihren Mitmenschen, ihrer Umwelt anerkannt zu werden, um aktiv zu sein; sie arbeiten aus den verschiedensten Gründen.

"Ich möchte gern noch einen Punkt erläutern", sagte der Experte, der zuvor gesprochen hatte, und nahm seinen Gedankengang wieder auf. "Man wird also verschiedene Verstärkungspläne für die verschiedensten Aktivitäten durchführen. Ich sagte zuvor, daß wir kontingente Programme solchen mit festen Intervallen vorziehen, aber in Wirklichkeit ist es so, daß wir Programme für jede spezielle Situation entwickeln; der Großteil der Verstärkungspläne wird komplex, multipel, miteinander verbunden, verwoben usf. sein."

"Und was ist mit der Abschaffung des Geldes?" fragte Martin ungeduldig.

"Ja, Herr Präsident, dazu steht auch etwas in einem Kapitel unseres Berichts. Ich glaube, daß es schwierig sein wird, das Geld abzuschaffen; auf alle Fälle ist während der ersten fünf Jahre daran nicht zu denken. Vielleicht gelingt es später."

"Fünf Jahre! Das ist zu lang, zu lang ... Wir wollen doch das Geld durch andere Güter ersetzen, — durch Wohnung, Gesundheit, Erziehung..."

"Gesundheitsfürsorge und Erziehung werden bei uns sowieso schon umsonst gegeben, und das Wohnen kostet zwar etwas, aber die Mieten sind absolut lächerlich. Ein Bereich, in den wir wirklich viel Geld investieren, ist der Wohnungsbau für die ärmsten Schichten der Bevölkerung."

"Ja, ich weiß. Ich habe nicht gedacht, daß es uns so teuer kommen würde, jeder bedürftigen Familie eine anständige Wohnung zu geben. Wo denn, zum Teufel aber auch, lebten denn die Leute früher? Unter einem Felsen! Jetzt haben sie ein nettes Häuschen oder stehen kurz davor, eines zu erwerben — und es hat sie fast nichts gekostet."

"Uns hat es aber viel gekostet, Herr Präsident. Das ist auch so eine Sache, ein Projekt, das wir während der Meditationstage am Ende des Jahres sehr sorgfältig überprüfen sollten."

Eine der wichtigsten Errungenschaften der neuen Regierung war es auch gewesen, mit der Arbeitslosigkeit Schluß zu machen, die vorher im Lande acht Prozent betragen hatte, die aber eigentlich noch höher war, wenn man die Unterbeschäftigung berücksichtigte. Das neue soziale System hatte allen Arbeit gegeben, hatte viele neue Stellen bei der Regierung und Verwaltung geschaffen, weil schließlich zur Durchführung der ausgearbeiteten Pläne sehr viele Menschen nötig waren. Außer den Regierungsposten waren auch Stellen in allen anderen Bereichen geschaffen worden, quasi als Gegenbewegung zur Automatisierung. 

Entscheidend war, daß jedermann eine Arbeit hatte, und nicht, daß ein Unternehmen die modernsten und ausgeklügeltsten technischen Apparaturen und Ausrüstungen hatte, mit denen erreicht wurde, daß eine Maschine die Arbeit von zehn oder mehr Menschen tut.

Woher sollte aber das Geld kommen, um diese neuen Verpflichtungen zu bezahlen — insbesondere die Ausgaben der Regierung? Würden nicht auch wir auf die altbekannte Schwindeltour des Kapitalismus verfallen müssen und immer mehr Geld ohne Reserven und Deckung in Umlauf bringen, um die vielen neuen Stelleninhaber bezahlen zu können?

Ich hatte einiges über das Dilemma von Arbeitslosigkeit und Inflation gelesen, und das beunruhigte mich sehr: Wenn man die Inflation unter Kontrolle hält, steigt die Arbeitslosigkeit, wenn man jedoch die Arbeitslosigkeit verringert, wächst die Inflation. Wir hatten uns entschieden, die Arbeitslosigkeit zu beenden. Eine zentralistische Wirtschaft konnte angeblich alle diese Faktoren kontrollieren — zumindest sagten das die sowjetischen Bücher, wenn sie das verteidigten, was wir "Staatskapitalismus" (im Gegensatz zum individuellen Kapitalismus) nannten.

In einer so geplanten und kontrollierten Gesellschaft wie der unseren mußte die Wirtschaft ohne Zweifel grundsätzlich in den Händen der Regierung sein. Man durfte nichts dem Zufall überlassen. Die Ökonomie war zu wichtig, als daß man sie den Ökonomen hätte überlassen dürfen.

52-53

 ^^^^ 

www.detopia.de