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20  Die experimentelle Analyse

 

 

 

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Trotz meiner Sympathien für diese Suche nach Werten im Universum, für diese Einbeziehung affektiver, gefühls­mäßiger Faktoren in den Suchprozeß und die Sinngebung des Lebens, trotz alledem war für mich nach wie vor die Wissenschaft die gültigste und geeignetste Methode zum Studium der Welt. Das führte ich in einem Artikel aus, den ich zum 4. Jahrestag unserer psychologischen und sozialen Revolution schrieb und an alle Zeitungen schickte.

Es war wichtig, daß diese sich mit diesen Dingen beschäftigten, daß sie über das nachdachten, was Wissenschaft ist und was sie nicht ist. Einerseits ist der Wissenschaftler sicherlich ein Kind, das an den Ufern des Unbekannten Muscheln sammelt. Aber andererseits durfte man sich nicht damit begnügen, vor diesem immensen Meer des Unbekannten stehenzubleiben und beim Gedanken an all das, was wir nicht kennen, nur zu seufzen. Es ist besser, die Muscheln zu sammeln, das zu studieren, was wir schon kennen, zu klassifizieren und zu kategorisieren, zu versuchen, eine Ordnung in alles hineinzubringen. Das ist Wissenschaft. Das war es, was ich den Lesern meiner Artikel als Meditationsthema für das kommende Jahresende vorschlug.

Unsere Gesellschaft ist eine wissenschaftliche Gesellschaft, führte ich immer wieder in meinen Artikeln aus. Die Neue Ära gründet sich auf die Voraus­setzungen, Annahmen der Wissenschaft und ist so stark und so beständig, wie es die wissenschaftliche Methodologie ist Diese grenzt eindeutig Wissenschaft von Philosophie, Literatur und auch von Religion ab. Sie vermischt nicht Werte und vermeidet es, von einer Erklärungsebene zur nächsten zu springen, ohne dabei die Beziehungsregeln zu explizieren Sie vermeidet Extrapolationen Im engen Sinne ist Wissenschaft also eine Suche nach Ordnung Sie ist ein Versuch, die Beziehungen zu beschreiben, die zwischen Ereignissen herrschen Wenn die wissenschaftliche Darstellung den Ereignissen vorausgeht, sprechen wir von ,Vorhersage', wenn sie ihnen folgt, von 'Erklärung'.

 In beiden Fällen ist die Bedeutung der Wissenschaft dann zu sehen, das Universum zu verstehen und zu "kontrollieren" Exakte und valide Gesetze erleichtern die Kontrolle. Wenn wir einmal fähig sind, ein bestimmtes Phänomen zu "produzieren", dann können wir wirklich sagen, daß wir es verstehen.

Der Mensch ist ein Teil des Universums, er ist ein Ergebnis derselben Gesetzmäßigkeiten, die die übrigen Lebewesen hervorbrachten, und er befindet sich in der gleichen Evolutionslinie wie die anderen Arten Die Tatsache, daß wir über das Universum nachdenken, daß wir es verstehen können, bedeutet nicht, daß wir nicht den gleichen Gesetzen unterliegen wie die übrige Welt Das menschliche Verhalten hat nichts Mysteriöses, es existiert in Zeit und Raum, wie die Sterne oder die Amöben

Zweifellos ist das Studium des Verhaltens bisher sehr schwierig und zeitaufwendig gewesen Das ist auf die Komplexität des Verhaltens zurückzuführen und auf die Tatsache, daß wir uns einfach zu ,nahe' daran befinden Wir sind so nahe daran, daß wir nicht in der Lage sind, es objektiv zu untersuchen, so wie man auch sagt, daß man den Wald vor Bäumen nicht sieht

Über alle diese Dinge dachte ich gerade nach, als ich einen Anruf von Martin erhielt. Er wünschte mich dringend zu sprechen. Ich legte also das beiseite, was ich für die Zeitungen gerade verfaßte, und ging zu seinem Büro hinauf, das sich zwei Stockwerke über meinem im Prasidentenpalais befand. Der Präsident hatte soeben die Schlußansprache auf dem <Kongreß für Technologie und Angewandte Wissenschaft> gehalten und war jetzt darauf erpicht, an seine Alltagsarbeit zurückzukehren.

Ich hatte meinen Freund, den sowjetischen Technologen, zum Flughafen gebracht und ihm noch versprochen, einige wissenschaftliche Bücher über Psychologie zu schicken, mit detaillierter Beschreibung der experimentellen Analyse des Verhaltens und deren Anwendung in unserer Gesellschaftsreform. Ich dachte auch, daß die Artikel, die ich gerade für die Zeitungen unseres Landes schrieb, ganz nützlich für ihn sein konnten, da bedauerlicherweise seine Unwissenheit über die Operante Psychologie recht groß war. 

Schließlich beginnt man erst jetzt in der UdSSR, diese Themen zu beachten und zu studieren, und wenn man zu Sowjets auf einer <Verhaltensebene> spricht, ohne dabei alles auf Physiologie zu reduzieren, dann ist das etwas, was die Schüler von Pawlow und Bechterew sehr erschreckt. Glücklicherweise gab es dort auch einen Wygotsky, der die Grundlagen einer autonomen Psychologie erarbeitet hatte, und zwar ohne Reduktion auf Physiologie wie es etwa Pawlow gewollt hatte. Aber die Anwendung der Skinnerschen Psychologie auf Prozesse des sozialen Wandels war für die Sowjets ebenso unbekannt wie faszinierend.

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"Dave, schön, dich zu sehen. Wie geht's dir denn? Ich habe ewig nichts mehr von dir gehört Es gibt wieder eine Menge zu tun. Gerade habe ich einen Bericht der <Kommission für Deliquenz> erhalten und mochte deine Meinung hören, bevor ich den Plan umsetze. Und dann ist da die Arbeit der <Kommission für Erholung>, die wir neu überprüfen müssen "

"Ich war auf dem <Kongreß für Technologie>, genau wie Sie. Es ist nicht einfach, gleichzeitig zu arbeiten und Touristenführer zu spielen. Ich habe den Präsidenten des Kongresses zu verschiedenen Orten begleitet, darunter auch zu einem Tempel in einer Zone, wo gerade <F-Tag> war. Ihn hat das sehr befremdet und fasziniert, obwohl es seiner Ansicht nach am besten wäre, wenn wir uns ein für allemal der Religion entledigen würden. Wir waren auch noch anderswo, in Schulen, landwirtschaftlichen Kollektiven, und ich glaube, daß er einen sehr guten Eindruck von unseren sozialen Reformen bekommen hat."

"Ich hoffe, ihr seid nicht etwa in eines der <Zentren für sexuelle Gesundheit> gegangen ...?"

"Nein, das fehlte noch; Wie Sie wissen, lege ich großen Wert darauf, daß keine Fremden an solche Platze mitgenommen werden. Wenn ich das getan hatte, hätte der Russe vermutlich um politisches Asyl in unserem Land ersucht. - Außerdem Sie wissen ja, daß diese Russen puritanisch und reichlich antiquiert in mancher Beziehung sind. Es ist schon eine merkwürdige Sache, wie man einerseits in den Wissenschaften so vorankommen und so bedeutende Dinge erforschen und entdecken kann wie die Russen, und andererseits auf der Auffassung beharrt, das menschliche Verhalten sei kein Objekt wissenschaftlicher Forschung, — es sei unveränderlich und es gebe eine unwandelbare <menschliche Natur>. Ich glaube, wir können sie vieles lehren, aber sie uns auch."

"Ja, Junge, das stimmt in der Tat. Aber so im allgemeinen fand ich den Kongreß gut. Es gab schließlich eine breite nationale und internationale Beteiligung. Ich denke, daß wir einen guten Eindruck hinterlassen haben. Ich werde allmählich alt, mein Freund, und glaube, daß jeder Mensch im Leben hie und da eine Belohnung braucht. Willst du einen Schluck?"

"Nein, danke. Aber wenn Sie wollen, bedienen Sie sich nur und kümmern Sie sich nicht um mich. Ich fand Ihre Eröffnungsrede übrigens nicht schlecht, dieses Manifest zur Rolle der Psychologie in der Neuen Ära."

"Jetzt trink doch einen Schluck, Junge. Du kannst mich doch nicht allein trinken lassen. Hier, nimm!"

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Ich protestierte nicht mehr und trank, und wir fuhren in der Analyse der vor uns liegenden Arbeiten und Projekte fort. Martin verbrachte übrigens nur wenig Zeit zusammen mit seiner Familie. Eigentlich war er immer mit uns zusammen, und ich dachte mir, daß seine Frau und seine fünf Kinder darüber sehr ärgerlich sein mußten. Es war eine schwere Arbeit, Präsident dieses Landes zu sein und das gesamte Gesellschaftssystem verändern zu wollen.

Später kehrte ich in mein Büro zurück und schrieb weiter an meinen Artikeln. Es ging mir darum, darin das Verstärkungskonzept zu erklären, die Bedeutung der Verhaltensmodifikation, die Verstärkungspläne, also alles, was in einer experimentellen Verhaltensanalyse wichtig und notwendig ist. Ich stellte fest, daß die operanten Methoden neue Forschungsstrategien fördern, ohne daß die traditionellen Probleme experimenteller Designs berücksichtigt werden müssen.

Die Forschung über Operantes Konditionieren ist durchgeführt worden, ohne daß man den traditionellen Problemen der Psychologie, seien sie methodischer oder theoretischer Art, Beachtung schenkte. Nichtsdestoweniger hält man die experimentelle Verhaltensanalyse in der letzten Zeit nicht mehr für eine "Schule", eine Art Insel, oder ein "System", und man hat versucht, sie als Ganzes in die Psychologie zu integrieren, vor allem in die experimentelle Psychologie. Heute arbeitet man in vielen Problembereichen, in denen Skinner und seine Jünger nicht gearbeitet hatten, und die Spezialisten kümmern sich nicht allzu viel um die ,,Reinheit" weder der angewandten Methoden noch der vorgeschlagenen Konzeptualisierungen. Die Grenzen haben sich wesentlich ausgeweitet.

Das Operante Verhalten studiert man, indem man Bedingungen herstellt, unter denen die Reaktionen eines Organismus in irgendeiner Form auf seine Umwelt einwirken. Beispielsweise drückt eine Ratte in einer sogenannten Skinner-Box auf einen Hebel, oder es pickt eine Taube an ein Scheibchen (und durch diese operante Reaktion erhält sie Futter). Diese Reaktion faßt man als einen Teil des Gesamtverhaltens eines Organismus auf; und ebenso, wie sich das Gesamtverhalten in relativ willkürlich abgegrenzte Einheiten unterteilt, die wir also "Reaktionen" nennen, so gliedert sich die Umwelt in (wiederum willkürlich abgegrenzte) Einheiten, die wir "Stimuli" oder ,,Reize" nennen. 

Die Psychologie operanten Verhaltens nun ist keine "Stimulus-Response"- (oder "Reiz-Reaktions"-)Psychologie im engen Sinn, sondern eine von "Stimulus-Reaktion- Konsequenz". Wenn die Reaktion eines Organismus die Umwelt dergestalt beeinflußt oder verändert, daß diese bestimmte Konsequenzen zeigt (daß es also Wasser oder Futter gibt, oder daß elektrische Schläge ausbleiben), dann wird der Organismus diese Reaktion lernen. Die besagte "Änderung" charakterisiert die Verhaltenskonsequenz als einen ,, Verstärker". Und die Beziehung zwischen Reaktion und Konsequenz bezeichnet man als "Kontingenz" (also die Verknüpfung von verschiedenen Ereignissen, in diesem Fall eben von Reaktion und Konsequenz).

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Verstärker gibt man im Rahmen von nach bestimmten Überlegungen zusammengestellten "Verstärkerplänen", und deren Studium hat mittlerweile eine ausgeklügelte Verhaltenstechnologie geschaffen. Man könnte mit Recht behaupten, daß das am weitesten, höchsten entwickelte Gebiet der Psychologie - egal welche Kriterien man zur Definition des Entwicklungsniveaus heranzieht - die experimentelle Analyse des Verhaltens ist, insbesondere die Verstärkungspläne.

Ich habe mich immer über den großen Unterschied zwischen den Laboratoriumsbefunden (bei der experimentellen Analyse des Verhaltens) und dem, was wir praktisch anwenden, um Verhalten zu ändern, gewundert. Da klafft doch ein riesiger Spalt, und ich glaube, daß wir nicht einmal ein Prozent unserer Laborergebnisse verwenden. Die "Physik" (Laboruntersuchungen und -ergebnisse) ist Lichtjahre von der ,,Technologie" (Verhaltensmodifikation) entfernt. Und möglicherweise lassen sich viele komplexe Probleme des menschlichen Verhaltens durch komplexere Verstärkungspläne lösen - und nicht durch einfachste Programme mit kontinuierlicher (permanenter) Verstärkung oder mit intermittierender (gelegentlicher) Verstärkung. Da das Verhalten des Menschen ziemlich kompliziert ist, bedarf es zweifellos auch komplizierter Verstärkungspläne, um sein Verhalten zu ändern. Aber eines Tages wird man auch dahin gelangen, dachte ich ...

Ich meinte auch, daß es angebracht sei, in meinen Artikeln für die Zeitungen auf die neuesten Entwicklungen einzugehen, die das Panorama der Verhaltenspsychologie und -forschung sehr verändert hatten; so zum Beispiel den Einfluß der Ethologie - der vergleichenden Verhaltensforschung -, oder das "auto-shaping" ("Selbst-Formung") oder anderes mehr. (Bei der Selbstformung fand man heraus, daß operantes Verhalten klassisch konditioniert werden kann, was einige Studien über Beziehungen und Zusammenhänge von klassischer oder Pawlowscher und operanter, also Skinnerscher Konditionierung anregte.)

Ich fuhr fort, darüber zu schreiben, daß die Ethologen und ihre Anhänger in der Lernpsychologie aufgezeigt hatten, daß die Selektion eines bestimmten Verstärkers, einer Reaktion oder eines Reizes die Selektion, Auswahl, anderer damit in Beziehung stehender Verstärker, Reaktionen oder Reize einschränken kann. Organismen haben gewisse (angeborene) Neigungen zu bestimmten Verhaltensweisen, sie bevorzugen gewisse Verstärker und gewisse Stimuli. Deshalb übernahm man ohne viel Überlegung den Begriff des "artspezifischen Verhaltens" aus der Ethologie, der nichts anderes war als der alte, vielgebrauchte "Instinkt"-Begriff in neuem Gewande, mit einem eleganteren Namen versehen.

Eine andere, relativ neue Weiterentwicklung, über die ich berichtete, war die des Werks des Lernpsychologen Premack, eines kreativen Menschen, den ich gerne nach Panama geholt hätte. Er hatte hervorgehoben, daß die Verstärker keine absoluten Qualitäten haben, sondern daß ihre Qualitäten, ihre Wirkungen funktional zu verstehen sind, sich aus der jeweiligen Situation ergeben. (Bestimmte Ereignisse sind also nicht Verstärker an sich, sondern nur relativ zu einer bestimmten Umgebung, einem bestimmten Organismus, einer bestimmten Lerngeschichte und so fort.)

Weiter konnte man erwähnen, daß es neue Untersuchungen über physiologische und motivationale Prozesse gab, die zum Beispiel mit der Aufnahme von Nahrung, Flüssigkeit oder der Aufrechterhaltung einer bestimmten Temperatur zusammenhingen. Die thermoregulatorischen Verhaltensmechanismen haben große Bedeutung. Auch beim Studium der Wahrnehmungsprozesse ist man gewaltig vorangekommen, etwa in der Psychophysik der Tiere, ein Forschungsgebiet, das man einst für "unmöglich" zu erforschen hielt, weil sich die Psychophysik (also das Teilgebiet der experimentellen Psychologie, das die Beziehungen zwischen der Stärke und Intensität von Reizen und sensorischen Empfindungen untersucht) zu Zeiten ihres Begründers Fechner allein auf die ,,Introspektion", auf die Selbstbeobachtung, und auf sprachliche Mitteilungen der Versuchsperson gründete. Da Tiere weder Introspektion betreiben noch uns sprachlich etwas mitteilen können, war eine Tier-Psychophysik eigentlich unmöglich; heute gibt es sie — dank Skinner und der experimentellen Verhaltensanalyse.

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