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2   Gisela Mauritz  :  Ein Kind wird zwangsadoptiert  

 

Die Diplomchemikerin Gisela Mauritz hatte 1974 mit Hilfe einer Fluchthelferorganisation einen Flucht­versuch unternommen, der scheiterte. Sie erhielt dafür eine mehrjährige Haftstrafe, der damals vierjährige Sohn Alexander wurde ihr weggenommen und zwangsadoptiert. Den Kampf um ihr Kind bezahlte Gisela Mauritz mit einer zweiten Verurteilung. Nach Verbüßung auch dieser Strafe und einer mehrjährigen Wartezeit wurde sie 1988 in die Bundesrepublik Deutschland freigelassen. Sie fand später ihren Sohn wieder und konnte durch öffentlichen Druck dessen Ausreise erreichen.

 

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Gisela Mauritz wurde 1944 in Westpreußen geboren; ihre Mutter kam bei der Vertreibung ums Leben, und das kleine Mädchen wuchs bei einer Stiefmutter auf. Ihre Kindheit verbrachte sie im Bezirk Magdeburg, besuchte die Grundschule in Calvörde bei Haldensleben, machte die Mittlere Reife und wurde schließlich zur Chemiefacharbeiterin mit Abitur ausgebildet. An der Universität Greifswald studierte sie Chemie, erwarb ihr Diplom und kam 1969 nach Berlin an die Akademie der Wissenschaften der DDR; im Zentralinstitut für Informationen und Dokumentation war sie für chemische Fachliteratur zuständig.

Bis zum Studium war ihr Leben, wie sie es formulierte, im Sinne der SED-Staatsideologie »glatt« verlaufen: Vater und Stiefmutter gehörten der SED an. Das bescheidene Elternhaus sei durchaus »DDR-freundlich« gewesen. Als strebsame Schülerin habe sie den Lehrern geglaubt, spätere Zweifel übergangen, um ihre Position in der Schule und die Noten nicht zu gefährden. Gewehrt habe sie sich nie. Ein Auslöser für ihre Zweifel war der Kontakt zu Verwandten in Westdeutschland, Gespräche und Briefwechsel, sicher auch die Pakete von dort, die sie etwas besserstellten als andere Familien. Die Überlegenheit der DDR, von der sie in der Schule hörte, konnte sie im praktischen Leben nicht nachvollziehen.

Ihre zweifelnde und passive, aber noch nicht wirklich kritische Einstellung änderte sich, als sie unter ihren Mitstudenten an der Universität ein breiteres Meinungsspektrum kennenlernte. Sie traf erstmals auch Menschen, die eine dezidiert andere als die DDR-offizielle Auffassung vertraten. Unmerklich geriet sie in einen inneren Konflikt, der sich verschärfte, als sie einen westlich orientierten Freund kennenlernte, der ihr die Augen weiter öffnete. In ihrem Elternhaus stießen die neuen Ansichten auf Ablehnung. Die Eltern warfen ihr Undankbarkeit vor: »Dieser Staat läßt dich studieren!«

Je mehr Gisela Mauritz erfuhr, je größer ihre Lebenserfahrung wurde, desto stärker wuchs ihre Ablehnung des DDR-Systems. Am Zentralinstitut mußte sie sich an Propagandaaktionen für die »Betriebs­kampf­gruppe« beteiligen. Jubelaktionen für Breschnew kamen ihr peinlich und grotesk vor, ihre Westkontakte zur eigenen Familie mußte sie anmelden, lautes Reden war unmöglich: »Ich bin durchgekommen mit Lügen«, ist ihr Resümee.

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1970 kam ihr Sohn Alexander zur Welt; Gisela Mauritz entschied sich, den Vater nicht zu heiraten und das Kind allein großzuziehen.

Freunden aus der Greifswalder Zeit gelang 1973 mit einem Fluchthilfeunternehmen der Weg in die Bundesrepublik. Nachdem sie ihren geflohenen Freunden in einem Brief »konspirativ«, wie sie sagt, ihre Entschlossenheit zur Flucht mitgeteilt hatte, unterrichteten diese eine Fluchthilfe­organisation. Ein nach Ost-Berlin entsandter Kurier teilte ihr Codes und nähere Angaben zu der geplanten Flucht mit.

Sie sollte mit ihrem kleinen Sohn an der Transitstrecke von Berlin nach Marienborn aufgenommen und in den Westen geschmuggelt werden. Zwei Versuche schlugen fehl, weil die »Ausschleusungsfahrzeuge« aus dem Westen nicht erschienen. Beide Male fuhr sie zurück in ihre Wohnung nach Ost-Berlin. Sie ahnte nicht, daß sie bereits in das Blickfeld der Stasi geraten war. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte fast alle Fluchthilfe­unternehmen mit Agenten durchsetzt.

Bei dem dritten Fluchtversuch wurden Gisela Mauritz und ihr Sohn auf der Transitstrecke Marienborn von einem Lkw aufgenommen; das Kind hatte sie mit Valium beruhigt. Am Grenzübergang Marienborn erfolgte eine Ladungskontrolle, bei der ihr mit einer elektromagnetischen Klappe gesichertes Versteck von der Stasi zwar gefunden, aber zunächst nicht geöffnet werden konnte. Nach massiven Drohungen verließ sie ihr Versteck; sie wurde mit ihrem Kind in Stasi-Baracken abgeführt, das Fahrzeug durchsucht. Vom Schicksal des Fahrers erfuhr sie nichts — auch nicht, ob er die Flucht verraten hatte.

Am folgenden Tag, dem 14. Juni 1974, wurde ihr noch vor der Abfahrt nach Berlin der vierjährige Sohn weggenommen. Sie sollte ihn fast 15 Jahre nicht wiedersehen.

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Gisela Mauritz kam in die Untersuchungshaft nach Hohenschönhausen. Dort hörte sie erstmals von der Möglichkeit, daß politische Häftlinge der DDR von der Bundesregierung freigekauft werden konnten.

Obwohl sie das alleinige Erziehungsrecht für Alexander hatte, verweigerte man ihr jede Auskunft über den Verbleib des Kindes. Der Junge sei, so die Stasi in den Verhören, »gut aufgehoben«, und auf bohrende Nachfragen von Gisela Mauritz reagierte die Stasi mit erbarmungslos harten, über viele Stunden geführten Verhören, bis sie schließlich zusammenbrach.

Im August 1974 wurde Gisela Mauritz nach Magdeburg verlegt, ihr Prozeß für September angesetzt. Sie mußte befürchten, daß sie zu einer zweijährigen Haft verurteilt werden würde. Als mögliche Verteidiger legte man ihr drei Namen vor; sie entschied sich für den ihr persönlich nicht bekannten Rechtsanwalt Vogel, der ihre Vertretung jedoch nicht persönlich übernahm. Etwa eine Woche vor Prozeßbeginn erschien an Vogels Stelle sein Mitarbeiter G. und führte mit ihr ein halbstündiges Gespräch. Fragen zur Sache stellte er nicht, vielmehr zeigte er sich – wohl wegen der Abhörung durch die Stasi – »ängstlich und eingeschüchtert«.

Knapp zwei Wochen vor dem 25. Jahrestag der DDR-Gründung, am 24. September 1974, fand der Prozeß gegen Gisela Mauritz statt. Die Angeklagte nutzte die Gerichtsverhandlung zu einer »befreienden Rede«, in der sie die DDR direkt angriff. Sie habe, so ihr Anwalt, die Sache dadurch nur noch schwieriger gemacht. Dagegen hielt er nach Ansicht von Gisela Mauritz »ein ganz unzulängliches Plädoyer«, das keine wirkliche Verteidigung dargestellt habe; nicht einmal das Kind sei erwähnt worden. Das Urteil lautete auf viereinhalb Jahre Zuchthaus. Gisela Mauritz schoß in diesem Augenblick nur der Gedanke durch den Kopf: Was wird aus meinem Kind?

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Eine Woche später wurde sie ins Zuchthaus Hoheneck transportiert. Sie traf Mitgefangene, die wegen versuchter Republikflucht zu noch längeren Haftstrafen verurteilt worden waren. Sie wurde einerseits durch weitere Informationen über Freikäufe ermutigt, andererseits hörte sie erstmals davon, daß Müttern aus politischen Gründen die Kinder weggenommen und an andere Familien zur Adoption gegeben worden waren.

Ende 1974 erhielt sie die Vorladung zu einem Termin in Berlin — das Referat Jugendhilfe beim »Rat« ihres zuständigen Stadtbezirks wollte ihr das Erziehungsrecht für den Sohn Alexander wegnehmen. Auch dieses Mal wandte sie sich in ihrer Angst vergeblich an Rechtsanwalt Vogel. Noch in Hoheneck fertigte sie Ausarbeitungen zu ihrer Verteidigung, aber die Anstaltsleitung nahm ihr die Unterlagen weg.

Nach Berlin verlegt, wurde sie dort gemeinsam mit Kriminellen inhaftiert. Bei dem Prozeß um das Sorgerecht, der im März 1975 stattfand, war kein Vertreter des Anwaltsbüros Vogel anwesend. Eine Möglichkeit zur eigenen Verteidigung und zur Verteidigung ihres Kindes erhielt sie nicht. Das Referat Jugendhilfe warf ihr im besonderen vor, daß die bei dem Fluchtversuch zur Beruhigung Alexanders verwendete Spritze aus der Bundesrepublik gekommen sei, und die Richterin verstieg sich zu der Unterstellung, daß die Injektion auch Zyankali hätte enthalten können.

Von Gisela Mauritz benannte Zeugen, die das gute Mutter-Kind-Verhältnis bestätigen wollten, durften nicht aussagen. Bei dem zweiten Gerichtstermin, der vier Wochen später stattfand, wurde sie von Rechtsanwalt Starkulla, einem Mitarbeiter Vogels, verteidigt. 

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Obwohl sie ihn vorher nicht gesehen hatte, habe er, so Gisela Mauritz, seine Sache »gut« gemacht. Da sie seit dem Fluchtversuch – mithin seit zehn Monaten – ohne Nachricht von ihrem Kind war, forderte der Anwalt Auskunft über Alexanders Verbleib. Der Vorstoß blieb ergebnislos: Gisela Mauritz wurde das Erziehungsrecht für ihren fünfjährigen Sohn entzogen. Ihr Anwalt riet ihr von einer Berufung ab – offenkundig wolle man an ihr ein Exempel statuieren.

Gisela Mauritz, inzwischen nach Hoheneck zurückgebracht, wollte auf die letzte Chance der Berufung aber nicht verzichten und hoffte, daß ihr Sohn an die Großeltern gegeben würde. Im Berufungstermin, der bereits im August 1975 stattfand, ließ das Referat Jugendhilfe anklingen, daß Alexander sich bei einer »betreuenden Familie« befinde. Noch vor der Urteilsverkündung wurde Gisela Mauritz nach Hoheneck zurückgebracht.

Eine Freundin half ihr mit einem kleinen, aber für die verzweifelte Frau wichtigen Dienst. Aus der Ferne konnte die Freundin den kleinen Alexander sehen, als seine Kinderheimgruppe zu einem Ausflug auf den Ost-Berliner Alexanderplatz kam. Die Furcht vor der Stasi veranlaßte die Freundin, den Rückweg der Kinder nicht zu verfolgen. So blieb der Aufenthalt des Jungen unbekannt. Die Freundin konnte ihn lediglich aus der Distanz fotografieren; das Foto brachte sie der Mutter bei einem Besuch in der Haft mit. Gisela Mauritz fand, daß ihr Alexander jetzt wie ein »sozialistischer Soldat« aussehe. Für viele Jahre sollte ausgerechnet dieses Foto das letzte Lebenszeichen sein, das Gisela Mauritz von ihrem Kind hatte.

Kurz vor Weihnachten 1976 – Gisela Mauritz kann auch im Rückblick von 20 Jahren nicht an einen jahreszeitlichen Zufall glauben, sondern nimmt puren Zynismus an – wurde ihr in der Haftanstalt Hoheneck die Zwangsadoption ihres Kindes eröffnet.

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Die von ihr nie für möglich gehaltene Nachricht löste einen Schock aus. Sie brach mit Weinkrämpfen zusammen und »drehte«, wie sie es selbst beschreibt, in ihrer mit 24 Frauen belegte Zelle »völlig durch«, bis sie vom Wachpersonal medikamentös ruhiggestellt wurde. Als sie nach Wiederaufnahme der Arbeit Elektromotoren vom Tisch warf, galt dies als »Sabotage«.

Die Beruhigungsversuche endeten auf der Krankenstation. Gisela Mauritz erlebt die folgenden Tage im Trancezustand. Als sie zu sich kam, fand sie sich dort ausschließlich von Häftlingen umgeben, die wegen krimineller Straftaten verurteilt waren. Als der Chefarzt ihren schlechten Zustand und ihre seelischen Nöte bemerkte, meinte er nur: »Sie müssen das Problem so sehen: Wenn ein Ziegel vom Dach fällt, dann ist er weg. So einfach ist das auch mit Ihrem Sohn.« Für Gisela Mauritz lautete die Folgerung dieser ärztlichen Bemerkung: Ob Ziegel oder Sohn, sie sind einfach weg, du mußt es hinnehmen.

Gisela Mauritz versuchte eine Neuorientierung; sie besann sich, verzichtete auf weitere, sinnlose Protestaktionen und faßte den Entschluß, den Kampf um ihr Kind wieder aufzunehmen — zunächst ohne irgendein Ergebnis. Der Präsident des Roten Kreuzes der DDR, an den sie sich wandte, schrieb ihr, er könne in dieser Sache nicht tätig werden, und auch von Rechtsanwalt Vogel erhielt sie eine nichtssagende Antwort.

Als sie Anfang 1977 Besuch von einer Cousine aus West-Berlin erhielt, hörte sie, daß Alexander angeblich nicht adoptiert worden sei. Gisela Mauritz verlangte daraufhin den Haftstätten-Anwalt, und seine Reaktion ließ sie hoffen — nein, ihr Kind sei nicht adoptiert. Sie war völlig verwirrt. Die Nachricht erwies sich später als falsch.

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Immer noch, drei Jahre nach der Verhaftung, hoffte sie auf die Abschiebung in den Westen. Die Hoffnung schien sich tatsächlich zu erfüllen, als sie im Juni 1977 nach Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) in die Abschiebehaft verlegt wurde. Noch von Hoheneck hatte sie ein Gespräch mit ihrem Anwalt erbeten, aber sie erhielt diesen Beistand auch nicht, als man ihr in Karl-Marx-Stadt einen Fragebogen präsentierte, der u. a. die Frage nach Kindern enthielt. Sie gab wahrheitsgemäß ihren zu diesem Zeitpunkt siebenjährigen Sohn Alexander an. Der Vernehmer reagierte ebenso verständnislos wie abweisend — von diesem Kind wisse man nichts. Sie wurde in die Zelle zurückgeführt und schließlich wieder nach Hoheneck gebracht — ihr Ausreiseantrag war abgelehnt worden. Sie brach erneut zusammen und kam auf die Krankenstation. Ihr körperlicher Gesundheits­zustand war bedenklich, und sie schien psychisch gebrochen.

Gisela Mauritz aber gab nicht auf. Immer wieder zwang sie sich auf die Beine, sie wollte ihr Kind, und sie wollte ihren Peinigern den Triumph eines weiteren Zusammenbruchs nicht gönnen.

Am 13. Dezember 1978 wurde Gisela Mauritz in die DDR entlassen — für sie ein neuer fürchterlicher Schlag. Bis zuletzt hatte sie gehofft, Rechtsanwalt Vogel würde sie »im Auto abholen und ohne Aufsehen in den Westen fahren«. Mit ihrer Haftentlassung war ein Aufenthaltsverbot für die »Hauptstadt der DDR« verbunden. In Döbeln, auf halber Strecke zwischen Leipzig und Dresden, wurde ihr bei der Firma ELMO eine Arbeit als Gewindeschneiderin zugewiesen. Da gegen die diplomierte Chemikerin kein Berufsverbot ergangen war, wandte sich Gisela Mauritz erneut an Rechtsanwalt Vogel und erhielt vorübergehend eine Stelle in einem chemischen Betrieb — ausgerechnet im Bereich »Politökonomie«.

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Nach einem halben Jahr wechselte sie aus eigenem Antrieb als Requisiteuse und Souffleuse an das dortige Theater. Die an Erich und Margot Honecker sowie das ZK der SED gerichteten Bittbriefe, ihr den Sohn Alexander zurückzugeben, blieben unbeantwortet. Der Versuch, Rechtsanwalt Vogel einzuschalten, wurde durch das ihr auferlegte Berlin-Verbot behindert. Einen Vertreter schickte das Büro nicht, sondern forderte einen »Kurier«. Ein Bekannter von Gisela Mauritz aus Ost-Berlin suchte Rechtsanwalt Vogel auf, aber sein Besuch in der Anwaltskanzlei blieb ergebnislos. Als der Bekannte das Desinteresse und die Passivität von Rechtsanwalt Vogel erkannte und kritisierte, wurde er aus der Kanzlei verwiesen.

Schließlich fuhr Gisela Mauritz auf Vorladung von Rechtsanwalt Vogel Ende 1979 selbst nach Ost-Berlin. wohlwissend, daß sie sich wegen der gegen sie verhängten Auflage nach den DDR-Gesetzen erneut strafbar machte. Von Vogel persönlich zum Gespräch empfangen, sah sie sich, so im Rückblick, von seinem so ganz DDR-untypischen Gebaren »eingeschüchtert«; sie habe ihn »eiskalt« erlebt.

Für ihn sei sie offenkundig eine »kleine Bittstellerin« gewesen — von ihm, so ihr Eindruck, habe sie »nichts zu erwarten gehabt«. Vogel forderte sie auf, im nachhinein ihr Einverständnis zu der Adoption zu geben — für diesen Fall stellte er das ersehnte Wort »Ausreise« in den Raum, nicht ohne den Hinweis, daß sie auf alle Aktivitäten im Westen verzichten und eine entsprechende Zusage geben müsse. Gisela Mauritz merkte, daß die DDR »in meiner Sache absolut nichts mehr« zuließ.

Sie gab Vogel die geforderten Erklärungen und Zusagen und kehrte nach Döbeln zurück.

Auf eine positive Reaktion wartete sie vergeblich – im Gegenteil: Im Dezember 1980 wurde sie erneut verhaftet.

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Während ihrer ersten Haft hatte sie die in den Westen entlassenen Mitgefangenen gebeten, von ihrem Fall zu erzählen. Daraufhin nahm kurz nach ihrer Haftentlassung der Missionsbruder Theo Koening aus Hiltrup bei Münster/W. Kontakt mit ihr auf – so wie »Bruder Theo« für viele »Politische« in der DDR und ehemalige Gefangene, die in den Westen gehen durften, seelischer Beistand und selbstloser Betreuer war. Er hatte der in Döbeln »von allen getrennten« Gisela Mauritz in zwei Jahren etwa 30 Briefe und Pakete geschickt; für die faktisch Isolierte war die menschliche Zuwendung von Bruder Theo, den sie ja gar nicht kannte, »ganz wunderbar«. Da Bruder Theo mit >Hilferufe von drüben< verbunden war, wurde gegen Gisela Mauritz der Vorwurf der Zusammenarbeit mit einer »verbrecherischen Organisation« konstruiert. Man machte kurzen Prozeß mit ihr: Sie erhielt erneut zwei Jahre und zwei Monate Haft.

Während der Haft erreichte sie die wiederholte Aufforderung Vogels, der Adoption ihres Kindes nachträglich zuzustimmen, der sie mit großem Bedenken zum zweiten Mal nachkam. Sie wollte nach ihrer Ausreise in den Westen den Kampf um das Kind neu aufnehmen.

Nach Verbüßung der vollen Haftzeit wurde Gisela Mauritz wieder in die DDR entlassen und kehrte im Februar 1983 nach Döbeln zurück. Vorübergehend konnte sie ihre Theaterarbeit wieder aufnehmen, brach aber bald zusammen und kam in eine Nervenklinik. Sie war Ärzten ausgeliefert, die besonders im Fall dieser »Politischen« eng mit der Stasi kollaborierten.

Als Gisela Mauritz ein Fazit ihrer bisherigen Bemühungen zog, kam sie zu einem niederschmetternden Ergebnis: Nach zehn Jahren hatte sie weder ihr Kind wiedergefunden noch die Ausreiseerlaubnis in die Bundesrepublik erhalten. Sie hatte verstanden, daß über ihr Kind nicht mehr gesprochen werden konnte, und sie beschloß »nach

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außen« so zu leben, als hätte sie kein Kind. Die Stasi setzte u. a. ein IM-Ehepaar auf sie an, aber sie hatte den Test wohl bestanden: Im Mai 1988 erhielt sie ein Telegramm aus der Kanzlei des Rechtsanwaltes Vogel, der sie zu einem Termin vorlud und ihr die Ausreise ankündigte.

Hintergrund der plötzlichen Wendung ihres Falles war ein Treffen Honeckers mit dem Vorsitzenden der CDU/ CSU-Bundestags­fraktion, Alfred Dregger, der ihren Fall angesprochen hatte. Gisela Mauritz mußte zum dritten Mal schriftlich erklären, daß sie im nachhinein mit der Adoption Alexanders einverstanden sei und keine DDR-feindlichen Aktionen in der Bundesrepublik unternehmen werde. Am 8. Juli 1988 durfte sie ausreisen.

In der Bundesrepublik fand sie sofort große Unterstützung bei der Suche nach ihrem inzwischen 18jährigen Sohn. >Hilferufe von drüben<, Zeitungen, Rundfunksender, ganze Schulklassen nahmen sich ihrer Sache an. Bei einem persönlichen Besuch im Bonner Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen versuchte sie, ihre Sache weiter voranzubringen, aber für den Rat des zuständigen Mitarbeiters, Ruhe zu bewahren, hatte sie kein Verständnis. Sie sei 14 Jahre ruhig gewesen, erwiderte Gisela Mauritz, jetzt werde sie handeln.

Der Durchbruch kam mit einer Sendung von »Report München« im Januar 1989. »Report« berichtete über ihren Fall — »Mutter West sucht Sohn Ost« — und zeigte alte Fotos. Der Hinweis auf eine Verbrennungsnarbe, die sich Alexander als Kleinkind zugezogen hatte, war entscheidend. Eine Zuschauerin aus Ost-Berlin, die als Rentnerin in den West-Teil der Stadt reisen durfte, meldete sich und gab den Hinweis. Zwei Tage nach der Sendung erhielt Gisela Mauritz einen Anruf aus dem Innerdeutschen Ministerium, das ihr den Namen und die Adresse der Adoptiveltern mitteilen konnte.

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Gisela Mauritz telefonierte und schrieb sofort dorthin, erhielt aber am Telefon die schroffe Antwort, die Sache solle sie mit dem Anwalt der Adoptiveltern klären. Das Innerdeutsche Ministerium sagte zu, ein Treffen zu arrangieren. Sie begab sich in die Kanzlei des West-Berliner Anwalts Naumann. Dort wurde sie von Frau Vogel mit dem Wagen abgeholt; Naumann begleitete sie. In Vogels Kanzlei kam es nach mehr als 14 Jahren zur ersten Begegnung zwischen Mutter und Sohn.

Gisela Mauritz, gezeichnet von den Erfahrungen dieser Jahre, konnte kaum sprechen, Alexander, der keine Erinnerung an seine leibliche Mutter mehr hatte, zeigte sich hilflos. Rechtsanwalt Vogel, den sie auf die im Mai 1988 abgepreßte Verzichtserklärung ansprach, bestritt seine Rolle entschieden.

Nach einer Stunde kehrten Mutter und Sohn in ihre getrennten Welten zurück. Gisela Mauritz konnte ihm in den nächsten Wochen über das Anwaltsbüro Vogel schreiben und Pakete schicken, der Sohn auf demselben Weg antworten. Im April 1989 erhielt sie die Mitteilung, Alexander habe sich für die Ausreise in den Westen entschieden. Aus dem Innerdeutschen Ministerium folgte die Aufforderung, sie möge sich am Abend des 11. April 1989 in ihrer Wohnung aufhalten.

Alexander erschien in Begleitung seines Adoptivvaters, der Gisela Mauritz noch einen Rechtfertigungsbrief übergab.

Nach endlosen schlimmen Erfahrungen konnte Gisela Mauritz ihren Sohn in die Arme schließen. Die Freude wich aber bald bitterer Enttäuschung. Es zeigte sich, daß die von dem SED-Regime erzwungene fast 15jährige Trennung die Basis für eine normale Beziehung zwischen Mutter und Sohn zerstört hatte.

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Stasiaken, originale:

 

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