3 Bodo Strehlow / Handgranaten gegen einen flüchtenden Soldaten
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Der Marine-Unteroffizier Bodo Strehlow wollte 1979 nicht länger auf Flüchtlinge Jagd machen müssen und beschloß, mit einem NVA-Schiff in den Westen zu flüchten. Bereits in westdeutschen Gewässern angelangt, wurde er von der Mannschaft des Schiffes überwältigt. Obwohl schwer verletzt, überlebte er. Wegen der Ungeheuerlichkeit seines fast geglückten Fluchtversuches verbannte ihn die DDR in absolute Isolierhaft, aus der er als einer der letzten politischen Gefangenen erst kurz vor Weihnachten 1989 befreit werden konnte. |
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(d-2005:)
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Über den Hafen Peenemünde auf der Insel Usedom, im östlichsten Zipfel des wiedervereinigten Deutschland, pfeift im Frühjahr 1993 der kalte Wind. Im heutigen Hafen der Bundesmarine dümpeln die ausgemusterten Schiffe der Nationalen Volksmarine der DDR. Graue Wolken jagen am Himmel, als Bodo Strehlow suchend an den Schnellbooten, U-Boot-Jägern und Minensuchern vorbeigeht. »Das da, das müßte es sein!«
Und dann steht er an Deck der »Graal-Müritz«, berührt die eingerosteten Hebel im Führerstand — und denkt mit Schaudern an einen Sommermorgen vor mehr als 13 Jahren, an den 5. August 1979. Damals lag er blutüberströmt und von einer Handgranate schwerverletzt auf diesen Planken und hatte mit seinem jungen Leben bereits abgeschlossen.
»Laßt den da man liegen. Der liegt da gut. Der wird sowieso nicht mehr!« Der Kapitän der »Graal-Müritz«, Jürgen Herrmann, sprach es aus wie ein Todesurteil, und so war es auch gemeint. Der Kapitän sollte später von der DDR-Führung den »Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland« erhalten. Denn er hatte es in letzter Minute verhindert, daß sein Obermaat (Stabsunteroffizier) Strehlow, damals 22 Jahre alt, mit dem NVA-Schiff in einen bundesdeutschen Hafen flüchtete.
Strehlow hatte nachts die kleine Wachmannschaft auf seinem in der Kühlungsborner Bucht ankernden Schiff der »Kondor«-Klasse mit vorgehaltener Schußwaffe unter Deck getrieben und eingeschlossen. Dann wurden die Hebel im Führerstand auf »Volle Kraft voraus« gestellt und Kurs auf den Westen genommen, auf den Leuchtturm Dahmeshöved in der Lübecker Bucht.
Strehlow wollte das gleiche erreichen wie jene 5000 Flüchtlinge vor und nach ihm, die über die Ostsee in die Freiheit schwimmen wollten. Strehlow, der als Soldat bisher selbst geholfen hatte, flüchtende Landsleute zu jagen, hatte mit dem DDR-Regime gebrochen. Doch ebenso wie 90 Prozent der Flüchtlinge scheiterte auch er.
Nachdem er miterleben mußte, wie vor der dänischen Grenze zwei Flüchtlinge von seinem Boot aufgebracht und wie Vieh behandelt wurden, hatte Strehlow aus Protest sein Amt als FDJ-Sekretär des Schiffes niedergelegt. Als er auch dagegen protestierte, daß auf Befehl des Politoffiziers wieder die Werke Josef Stalins gelesen werden mußten, wurde das Verfahren zum Ausschluß aus der SED eingeleitet. Damit war auch seine letzte Hoffnung auf ein Physikstudium zerstört.
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Für Strehlow war mit diesen Erlebnissen die heile Welt eines bis dahin sorglos in der DDR aufgewachsenen jungen Mannes zerstört worden. Sein Vater war SED-Mitglied und Schiffsbauingenieur gewesen, Teil der Nomenklatura also, der Familie fehlte nichts. Selbst ein Auto hatten sie schon, als er noch Kind war. Über Politik sprach man zu Hause nicht. Das Leben im real existierenden Sozialismus war unter diesen Umständen für Bodo, der gut schwamm und in der Bezirksliga Handball spielte, ein Traum, der erst in der Konfrontation mit der Realität des Sozialismus, wie er ihn bei der Volksmarine erlebte, zerplatzte.
Die acht Seemeilen bis zur Grenze waren schnell bewältigt. Als sich Bodo Strehlow mit dem Schiff bereits in westdeutschen Gewässern befand, riß ihn eine Explosion aus seiner Freude über die geglückte Flucht: Der Kapitän hatte mit einer Handgranate den Aufgang an Deck freigesprengt und stürzte mit seinen Soldaten an Deck.
Strehlow wurde unter Feuer genommen, eine zweite Handgranate explodierte nur zwei Meter von ihm entfernt: Sie zerstörte sein linkes Auge, seine beiden Trommelfelle, zertrümmerte Arme und Beine. Blutüberströmt und übersät mit Granatsplittern brach Strehlow zusammen. Die Wirkung einer Handgranatenexplosion aus dieser geringen Entfernung gilt als garantiert tödlich - doch als die »Graal-Müritz« im DDR-Hafen ankam, wurde festgestellt, daß er noch lebte.
Obwohl schwerverletzt und fast taub, marterten ihn die Stasi-Vernehmer wochenlang, machten ihn mit Spritzen vor jeder Vernehmung gefügig. Eltern und Freunde wurden verhört, ein Schulfreund wurde verurteilt, weil er angeblich oppositionelle Äußerungen Strehlows nicht sofort der Stasi gemeldet hatte. Selbst in Westdeutschland wurden die Verwandten beschattet, weil die Stasi eine Verschwörung und Spionage konstruieren wollte.
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So begann für den jungen Unteroffizier ein Leidensweg, der in Worte kaum zu fassen ist. Erst 3.791 Tage später, sechs Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer, konnte Strehlow seine Kerkerzelle Nr. 35 im vierten Stock des berüchtigten Zuchthaus Bautzen II schließlich kurz vor Weihnachten 1989 als einer der letzten politischen Häftlinge der DDR verlassen.
Nach der Logik der DDR durfte Strehlow doppelt froh sein, daß er noch am Leben war: »Nur wegen seiner Jugendlichkeit« hatte das Militärobergericht in Neubrandenburg in dem Geheimprozeß 1980 von der Verhängung der Todesstrafe abgesehen. Nicht wegen seines Fluchtversuches, sondern wegen angeblicher »Spionage, Terrors, elffachen Mordversuchs und Fahnenflucht im schweren Fall« wurde er zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt. Den elffachen »Mordversuch« sah das Gericht als gegeben an, weil er seine elf Kameraden der Nachtwache mit der Dienstwaffe bedroht hatte - obwohl er keinen einzigen Schuß abgegeben hatte.
Der Strehlow von der Stasi zugeteilte Verteidiger hatte seinen Mandanten nur einmal kurz gesprochen, dann ebenso wie der Militärstaatsanwalt auf »Lebenslang« plädiert — die Eltern Strehlows mußten dafür eine Rechnung über mehr als 2000 Mark, das zweieinhalbfache eines durchschnittlichen Monatsgehaltes, zahlen.
Mehr als zehn Jahre verbrachte Strehlow im Zuchthaus Bautzen II, fast die gesamte Zeit hat er in absoluter Isolationshaft auf weniger als sechs Quadratmetern in der »verbotenen Zone« verbringen müssen, die nur von Offizieren betreten werden durfte.
In den fast 500 Wochen hinter Gittern durfte er nur 17 andere Gefangene sehen, sah er keinen Sonnenstrahl. Strehlow ist davon überzeugt, daß die Stasi sogar versucht hat, zwei Haftkameraden und ihn zu vergiften: »Uns wurde vergifteter Grapefruitsaft gegeben. Mithäftlinge starben, ich schwebte zwei Wochen in Lebensgefahr.«
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Zwischen 1980 und 1988 starben die Häftlinge Arno Schumann, Arno Heine und Horst Garau im Bautzen-II — Strehlow hält es für möglich, daß sie von der Stasi ermordet wurden.
So unvorstellbar die Isolationshaft in Bautzen war — Strehlow konnte sich Gehör im Westen verschaffen. Ein winziges Kassiber, verfaßt auf Zigarettenpapier, konnte von einem Mithäftling bei seinem Freikauf in den Westen geschmuggelt werden. Es war an Franz Josef Strauß, die letzte Hoffnung vieler politischer Häftlinge in der DDR, gerichtet.
Strehlow beschwor den bayerischen Ministerpräsidenten: »Ich versichere Ihnen, daß ich kein Terrorist bin und niemals versucht hätte, gewaltsam zu flüchten, wenn ich nicht im Laufe meiner Dienstzeit bei der Marine Augenzeuge geworden wäre, wie Flüchtlinge auf hoher See unter Drohung mit Schußwaffen an der Flucht gehindert und verhaftet wurden.«
Doch auch Strauß, der mit seinen – nicht unumstrittenen – Kontakten zur DDR-Führung manches Schicksal von politischen Häftlingen zum Besseren wenden konnte, vermochte es nicht, Strehlow aus dem Zuchthaus Bautzen II freizukaufen.
Jede Anfrage durch die Bundesregierung hatte der SED-Generalsekretär Erich Honecker brüsk abschlagen lassen — es war die unmenschliche Rache des Regimes, das dem Westen offenbar um jeden Preis verheimlichen wollte, daß es einem 22jährigen fast geglückt wäre, ein NVA-Schiff mit mehr als 20 Mann Besatzung allein in die Freiheit zu steuern.
Erst Wochen nach der Absetzung Honeckers konnte Strehlow freigekauft werden.
OD: Der erwähnte Mithäftling, Willfried Kuester, war ein Westberliner Fluchthelfer, der 1976 im Alter von 24 Jahren 'gefaßt' wurde und 10 Jahre 'bekam'. Er hat seine Haft-Erlebnisse (mit Strehlow und dem Kassiber) bei www.knast.net - Gitterzeit - Kuester - Bautzen veröffentlicht.
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Doch endlich frei und im Westen, fängt für den Schwerbeschädigten die Auseinandersetzung mit den westdeutschen Behörden an: Das Heidelberger Landratsamt verweigert ihm anfangs die Anerkennung als politischer Häftling und damit auf eine Eingliederungshilfe, auf Anrechnung der Haftzeit für die Rente und auf Versorgungsleistungen wegen seines erblindeten Auges. Begründung der Bürokraten: Strehlow habe seine »Republikflucht« mit Waffengewalt versucht. Zwar sei er aus politischen Gründen inhaftiert worden, doch sei er daran selber schuld, weil er »den Maßstab der anzuwendenden Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zieles eindeutig überschritten« habe.
Friedrich Karl Fromme hatte vorher in der F.A.Z. geschrieben: »Auch diejenigen, die sich für eine Freilassung Strehlows bemüht haben, verkennen nicht, daß seine Tat strafwürdig war. Allerdings kann unter rechtsstaatlichen Begriffen, unter Berücksichtigung der Notwehrsituation (Versuch, die vorenthaltene Freizügigkeit zu verwirklichen, wenn auch mit unzulänglichen Mitteln), die lebenslange Freiheitsstrafe nicht als angemessen angesehen werden. Bei Strehlow ergibt sich die Zuordnung zum Begriff des politischen Gefangenen aus der Eigenart des Gerichtsverfahrens, aus dem Übermaß der Bestrafung und aus der Besonderheit des Strafvollzuges«.
Schließlich erkennt auch das Landratsamt die besonderen Umstände des Falles Strehlow an und bewilligt ihm die Anerkennung als politischer Häftling und damit auch eine karge Haftentschädigung: Etwa 30.000 D-Mark für zehn schreckliche Jahre DDR-Zuchthaus.
In Heidelberg konnte sich Bodo Strehlow seinen Traum vom Physikstudium erfüllen. Er hat geheiratet und ist heute Inhaber eines Computergeschäftes in der Neckarstadt.
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"Ich fühle mich zehn Jahre jünger" --- Eine Odyssee mit Ende in Heidelberg --- ruprecht.uni-hd.de/ausgaben/57/ru05.htm
Zehn Jahre verbrachte er hinter Gittern. Und doch hat Bodo Strehlow weder einen Menschen totgeschlagen, noch Banktresore leergeräumt; er wollte frei sein und sich den Traum seines Lebens erfüllen: Das Physikstudium. Die DDR-Funktionäre sahen das allerdings anders.
"Der Strehlow ist noch im Keller", berichtet mir ein junger Mann, der sich als Informatikstudent und Aushilfe des kleinen Neuenheimer Computer-Consulting-Unternehmens entpuppt. Er führt mich in Bodo Strehlows Büro, wo ich, umgeben von Computern in Einzelteilen, auf den "Chef" des Ein-Mann-Betriebes warte. Nüchterne Sachlichkeit regiert die Atmosphäre des Zimmers der riesigen Jugendstil-Villa; an den Wänden nichts Persönliches, nur Werbeplakate neuer Pentium-Prozessoren, eine in der Tiefe des Raumes verschwindende Zimmerpalme, nichts was dem Besucher auch nur ein Fünkchen Privates verraten könnte.
Ein hochgewachsener Mittvierziger betritt das Büro. Strehlows Gedanken sind anderswo, das bemerke ich schon beim Handschlag. Er nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz und fragt mich, was ich wissen möchte. Je tiefer wir uns in den nächsten zwei Stunden, die er mir Rede und Antwort stand, in seine Biographie begeben, desto sinnloser scheint mir meine allzu übliche Neugier. Hier geht es nicht nur um einen Menschen, der unter dem Eingesperrtsein in der DDR gelitten hat, sondern um ein ganzes Leben, dem zehn der besten Jahre gestohlen wurden.
Fluchtversuch über die Ostsee
Der Fluchtversuch, den der junge Bodo Strehlow am 4. August 1979 unternahm und der ihn für eine Dekade unseres Jahrhunderts in die Isolationshaft nach Bautzen brachte, liest sich wie eine dieser Hollywood-Räuberpistolen, deren Bleigehalt den Status als Kassenrenner sichert.
Nach dem Abitur 1975 stand für Strehlow der Wehrdienst an. Als er erfuhr, daß der Physik-Studienplatz nur erreichbar war, indem er sich für den verlängerten, vierjährigen Dienst entschied, sah er darin die einzige Möglichkeit, seinen Traum zu realisieren. Ohne Einfluß auf diese Entscheidung wurde er zur Marine nach Stralsund abkommandiert. Nach der Ausbildung versah er seinen Dienst auf einem Aufklärer der DDR-Flotte, dessen Aufgabe es war, Republikflüchtlinge aufzugreifen.
Aufgrund regimekritischer Aussagen, die er auf dem Schiff gemacht hatte, erfuhr Strehlow 1979, daß er trotz des fast vollständig abgeleisteten Dienstes keinen Studienplatz erhalten sollte. Daher reifte in ihm der endgültige Entschluß, seine Position als Teil einer Schiffsbesatzung, die fast täglich Berührung mit bundesdeutschen Gewässern hatte, zur Flucht zu nutzen.
Am 4. August 1979, die Besatzung war aus Urlaubsgründen von 21 auf ungefähr 15 Mitglieder geschrumpft, schloß Bodo Strehlow während der Nachtwache die gesamte, schlafende Besatzung seines Schiffes mit zwei Vorhängeschlössern unter Deck ein. Anschließend startete er die Dieselmotoren, um das Schiff in westdeutsche Hoheitsgewässer zu manövrieren, welche der Aufklärer, so hatte es Strehlow berechnet, innerhalb von 20 Minuten erreichen sollte. Seine Kameraden wurden vom Lärm der Maschine geweckt. Sie zündeten jedoch eine Handgranate und gelangten so an Deck. Mit einer weiteren Granate zielten sie auf Strehlow, der bei diesem Angriff schwer verletzt wurde und unter den Folgen noch heute erheblich leidet.
Isolationshaft in Bautzen
Obwohl sich der Aufklärer bereits in bundesdeutschen Gewässern befunden hatte, erhielt Strehlow keinerlei Hilfe eines in der Nähe patrouillierenden Schiffes des Bundesgrenzschutzes. Für den 24jährigen entscheiden diese Stunden sein ganzes Leben. Verhaftung, Prozeß, lebenslange Haft, während der er nur sechs Mal im Jahr für eine Stunde besucht werden durfte. Isolation. Die Jahre, in denen die meisten Menschen ihre soziale und berufliche Heimat finden, ziehen an Bodo Strehlow in Bautzen vorbei.
Doch er gibt sich nicht auf. Auf Umwegen gelangen vier Physikbücher, ein Computer-Buch und, als Gipfel des Zynismus, der Studienführer westdeutscher Universitäten in seine Hände. Dieses halbe Dutzend Bücher erreicht im Lauf der Jahre für Strehlow einen biblischen Status.
Aber auch im Knast hält der Häftling Strehlow den Mund nicht. Es kommt immer wieder zu Verhören, bis er eines Tages 1984 nur knapp einem Mordversuch durch Vergiften entgeht. Das nach der Wende angestrengte Verfahren wird eingestellt, Strehlow überlebt knapp.
Am 21. Dezember 1989 ist der Alptraum zu Ende. Nichts mehr hält Bodo Strehlow im Osten. Der Berliner Rechtsanwalt Vogel erledigt für ihn die Formalitäten, begleitet ihn in den Westen der Stadt, von wo er nach Münster ausgeflogen wird. Ein Journalist nimmt sich seiner an und bringt ihn in den letzten Dezembertagen zu Günther Jauch in die Sendung "Menschen '89".
Nachdem er dort den Wunsch bekräftigte, Physik zu studieren, bietet ihm der ehemalige Rektor der Universität Heidelberg und Professor der Physik zu Putlitz einen Studienplatz in Heidelberg an. Fortan lebte Bodo Strehlow in einem Studentenwohnheim im Neuenheimer Feld und tat endlich das, was er schon immer wollte. In Heidelberg lernte er auch seine Ehefrau kennen, gründete eine Familie und trat 1995 nach dem Vordiplom in die Selbständigkeit.
Student wird Unternehmer
Ich frage ihn, wie er mit der Erinnerung an Bautzen und der tagtäglichen Gewißheit umgeht, zehn Jahre seines Lebens an ein Unrechtsregime verloren zu haben, dessen Existenz die Westdeutschen gerne vergessen. "Es gibt viel zu tun", antwortet er und beschreibt mit seiner Hand einen Bogen, der wohl sinnbildlich sein junges Unternehmen einschließen soll und bricht in ein selbstironisches Lachen aus.
In Strehlows Leben regiert die Verdrängung, jedenfalls in dem Gesicht, das er der Öffentlichkeit zeigt. Es ist schwierig, ihn davon abzubringen, den Teil des Interviews, welcher die Zeit seiner Haft betrifft, mit beißendem Zynismus zu würzen.
Allein die Tatsache, daß er über unser Gespräch die Zeit und damit den Beginn der Schulung vergißt, die er leitet, zeigt mir, daß jedesmal Steine ins Rollen kommen, wenn von Bautzen die Rede ist. Im nächsten Jahr wird sich die Wende zum zehnten Mal jähren, wird Bodo Strehlow am 21. Dezember seinen zweiten Geburtstag feiern.
Und die wiedervereinten Deutschen? Kennen wirklich alle die Geschichte der unzähligen Strehlows, die nicht nur in Bautzen in Haft waren?
"Ich fühle mich zehn Jahre jünger", sagt Bodo Strehlow. Und lacht.
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OD, 2005: Kürzlich war ich mal "vor Ort", also in "Bautzen II", hinter dem heutigen Landgericht in Bautzen. Hier also die "verbotene Zone".... zu der auch nur einige Wachleute Zugang hatten. Mir ist vollkommen unklar, wie ein Mensch 10 Jahre in einer solchen Zelle überleben kann.... zumal ohne Arbeit bzw. ablenkende Beschäftigung... und als Auslauf die üblichen Mauergänge. - Aber ich lese gerade (oben), daß B.S. ja nicht mal raus durfte, also in die Mauer-Dreiecke.